Rede von
Prof. Dr.
Claus
Arndt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dies ist für mich ein etwas schwerer Weg, weil ich hier gegen den Antrag der Fraktion sprechen muß, der ich angehöre. Das ist für mich nicht leicht, denn ich gehöre nicht nur dieser Partei, sondern auch dieser Fraktion aus Überzeugung an, und daraus ergibt sich schließlich auch die Notwendigkeit einer kollegialen Zusammenarbeit.
Mir ist im Rechtsausschuß die Aufgabe des Mitberichterstatters zugefallen. Der Mitberichterstatter ist wie der Berichterstatter zur absoluten Objektivität verpflichtet. Er hat dieses Haus darüber zu unterrichten, welche Gesichtspunkte sachlicher Art dafür sprechen, eine vom Ausschuß beschlossene Regelung zu treffen; gegebenenfalls hat er das Haus auch darüber zu unterrichten, welche Bedenken im Ausschuß vorgetragen oder abgelehnt worden sind.
In Würdigung dieser meiner Aufgabe als Mitberichterstatter sehe ich mich leider gezwungen, bei Ihnen dafür zu plädieren, den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion abzulehnen. Ich kann mich in sehr wesentlichen Punkten auf das beziehen, was der Herr Bundesjustizminister vor mir schon gesagt hat, und kann mich deswegen im Hinblick auf den Freitagmittag relativ kurz fassen.
12858 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 232. und 233. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Mai 1969
Dr. Arndt
— Herr Kollege Lenz, Sie werden selber noch dazu beitragen, daß sich die Debatte noch etwas hinzieht, wie ich mir habe sagen lassen.
Zurück zu dem roten Faden meiner Ausführungen! Dieses Gesetz ist einer der Eckpfeiler der Reform unserer Justiz. Es hat zwar nicht jene überragende Bedeutung, die die Reform des Strafrechts besitzt, die wir hier heute morgen beraten und verabschiedet haben; aber wir werden eine gesunde und ihrer Aufgabe für die Freiheit in diesem Lande gewachsene Justiz nur dann bekommen, wenn wir die Zahl der Richter dadurch vermindern, daß wir den Richtern ermöglichen, sich auf die Aufgaben zu konzentrieren, die reine Rechtsprechung sind, und alle anderen Aufgaben von ihnen wegnehmen. Das ist aber nur möglich, wenn wir eine ganze Reihe von Aufgaben, die heute bei den Richtern liegen, auf andere Kräfte, insbesondere die des gehobenen Dienstes, also auf die Rechtspfleger übertragen. Das bedeutet wiederum andererseits, daß wir auch die Rechtspfleger bei den Gerichten von den Aufgaben, die sie heute noch wahrnehmen müssen, ohne daß es sich dabei um echte Gerichtsaufgaben handelt, entlasten müssen. Dies ist die zentrale Aufgabe des Gesetzes. Richter und Rechtspfleger sollen von der Beurkundungsaufgabe, die sie heute schon nur neben anderen Organen, vor allem neben dem Notar als dem klassischen staatlichen Organ für das Beurkundungswesen, wahrnehmen, entlastet werden. Wenn wir aber jetzt wieder eine Zuständigkeit der Gerichte neben den Notaren begründen, scheitert die Erfüllung dieser Aufgabe; denn alle deutschen Amtsgerichte müssen dann für diese Aufgabe ausgebildete Rechtspfleger vorrätig halten. Die Gerichte müssen sie ausbilden, damit sie die Beurkundungsaufgabe wahrnehmen können. Das kann aber nicht der Sinn dieser Regelung sein, auch nicht bei der soeben von dem verehrten Herrn Kollegen Jacobi zitierten Güterabwägung, wenn wir berücksichtigen, welche Bedeutung sie wirklich hat.
— Nein, aber ich will gerade zum Thema „Dramatisierung" gleich noch ein paar Worte sagen. Hier ist auch an anderer Stelle ein klein wenig daramatisiert worden. Der Herr Bundesjustizminister hat gerade einige Zahlen, die mir bis dato unbekannt waren, zitiert. Diese Zahlen sprechen für sich. Unabhängig davon habe ich mir bei zwei großen Wohnungsunternehmen, die ja hier an sich sogar Partei sind, in den letzten beiden Tagen in Vorbereitung dieser Debatte eine Berechnung darüber anstellen lassen, welche Kostenerhöhungen bei der Verwirklichung des Gesetzes, so wie es der Ausschuß vorschlägt, eintreten würden. Die beiden Unternehmen in Hamburg sind zu dem Ergebnis gekommen, daß frühestens beginnend mit dem Jahre 1973 oder 1975 eine Kostenerhöhung von minimal 1 Promille und maximal, bei sehr hoher Inanspruchnahme von Fremdkapital, 1,8 Promille der Baukosten entsteht. Wer angesichts dieser Zahlen die Behauptung auf-. stellt, daß die Kostenbelastung irgendwo ins Ge-
wicht fallen könnte, der setzt sich dem Vorwurf aus, hier zu dramatisieren.
— Aber von Promille-Sätzen!
— Gut, bei Alkoholdelikten. Wie dem auch sei, einige Dinge sollten jedoch an dieser Stelle klargestellt werden, gerade weil in der Öffentlichkeit immer wieder darüber diskutiert worden ist. Die Mieten für alle Gebäude des sozialen Wohnungsbaus, die heute stehen, werden von diesem Gesetz überhaupt nicht betroffen. In der Öffentlichkeit wird damit argumentiert, daß jetzt die Mieten steigen müßten. Das ist nicht im geringsten der Fall.
— Ja, Herr Kollege, das wollte ich hier eben deutlich machen. Aber in der öffentlichen Diskussion wird immer wieder gesagt
— von wem auch immer —: Jetzt steigen die Mieten. Das ist doch einfach unrichtig, weil diese Dinge nur anfallen, wenn später eine Wohnungsbaugesellschaft etwas erwirbt und sie die Kosten zu tragen hat. Es kann sich also frühestens auf Gebäude auswirken, mit deren Bau 1973 bis 1975 begonnen wird, aber keineswegs auf eine soziale Wohnung, die heute besteht. Eigenheime — Herr Kollege Jacobi, Sie erwähnten das Eigenheim — kann es überhaupt nicht treffen; denn der Eigenheimeigentümer ist zur Zeit der Letztverbraucher. Er zahlt schon heute und wird immer die volle Gebühr zahlen. Die Gebührenbefreiung trifft nur die großen Gesellschaften. Wenn sie erwerben, haben sie die Kosten zu tragen, aber nicht, wenn der Endverbraucher, gerade der kleine Mann, das Grundstück erwirbt, wenn er sein Eigenheim kauft; denn dann muß er heute die vollen Gebühren zahlen, uns es wird überhaupt nichts daran verändert. Das muß man hier doch einmal ganz deutlich sagen, damit draußen im Lande nicht ein falscher Eindruck entsteht.
Im übrigen ist hier auch noch darauf hinzuweisen, daß von denjenigen Gerichten, mit deren Landesjustizverwaltungen ich in der Kürze der Zeit habe sprechen können, festgestellt wurde, daß der Anteil der gerichtlichen Beurkundungen, die unter den von der SPD-Fraktion eingebrachten Änderungsantrag fallen würden, etwa 80 bis 90% beträgt, und zwar einfach deswegen, weil diejenigen, die ohnedies die Gebühren zahlen müssen, gar nicht mehr zum Gericht gehen; sie gehen schon heute zum Notar, weil natürlich beim Notar und beim Gericht, wenn keine Gebührenbefreiung gegeben wird, die gleiche Gebühr zu zahlen ist, wie jedermann im Gesetz nachlesen kann. 80 bis 90% der anfallenden Beurkundungen sind also solche, die von der Vorschrift erfaßt würden.
Mit Recht haben die Landesjustizverwaltungen zudem ihre Gerichte aufgefordert, diejenigen, die
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Dr. Arndt
keine Gebührenbefreiung genießen, mit dem Hinweis wegzuschicken: „Wir sind überlastet. Geh zum Notar; da kostet es das gleiche." Auch das sollte man hier berücksichtigen.
Meine Damen und Herren, es erschien mir bei meiner Aufgabe als Mitberichterstatter für dieses Gesetz notwendig, Ihnen dies alles hier ganz deutlich zu sagen. Wir sollten uns nicht von Zahlen, die uns von interessierter Seite und sicherlich größtenteils mit dem guten Willen, hier einer guten Sache zu dienen, unterbreitet worden sind, irreführen lassen. Wir sollten sehen, welche realen Auswirkungen hier gegeben sind, und sollten daher dem Antrag auf Umruck 651 nicht zustimmen.