Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 72 % der Bevölkerung — so lautet das Ergebnis einer Umfrage — fürchten sich vor der wachsenden Kriminalität. Es gibt eine Partei, etwas weit rechtsaußen, die das auf ihre Fahnen geschrieben hat, was der dritte Bewerber um die Präsidentschaft in den Vereinigten Staaten mit dem Verlangen nach „law and order", nach Gesetz und Ordnung, ausdrückte. Diese Partei versucht, auf der Welle des Unmutes der Bevölkerung über diese gefährliche Kriminalität zu Stimmen zu kommen.
Erlauben Sie mir deshalb, lein paar sachliche Bemerkungen zur Kriminalität überhaupt zu machen. Eingangs möchte ich darauf verweisen, daß sich der Bundestag — besonders der Innenausschuß —, die Bundesregierung — besonders das Innenministerium —, das Bundeskriminalamt und weitere Mitarbeiter seit Jahren mit der auch die Politiker mit Sorge 'erfüllenden wachsenden Kriminalität beschäftigen. Zeugnis davon geben die Drucksachen dieser Legislaturperiode V/1697, 2502, 2525, 2855 und 3569, aber auch der Antrag der FDP Drucksache V/3445.
Nun zur Kriminalität. Bei dem jährlichen Erscheinen der Kriminalstatistik wiederholt sich in der Regel dieselbe Diskussion, die immer mit der Feststellung endet, daß wir wiederum ein Ansteigen der Kriminalität zu verzeichnen hätten. Es war von 1966 auf 1967 ein Anstieg von rund 8 % bei einer gleichzeitigen Abnahme der Aufklärungsquote von 53 auf 52,2 %. Dieser Trend hält seit Jahren an, mindestens seit 1963. Gleichzeitig stellen wir eine Umschichtung der Täter fest. Wir haben eine Abnahme bei den Erwachsenen, eine geringe Zunahme bei den Heranwachsenden, eine stärkere Zunahme bei den Jugendlichen und — das ist vielleicht doch etwas erschreckend — den Kindern. Ohne nun auf die Kriminalstatistik im ,einzelnen eingehen zu wollen, scheint es mir doch notwendig zu sein, die Entwicklung nüchterner zu betrachten, da die Kriminalstatistik ja nur Zahlen vermittelt, die der Erläuterung und Auslegung bedürfen. Der Herr Kollege Hübner hat soeben schon darauf hingewiesen. Die absolute Zunahme der aufgeklärten Straftaten beträgt von 1966 auf 1967 mehr als 66 000. Das heißt, meine Damen und Herren, daß es der Polizei trotz Personalmangels, trotz Schwierigkeiten in der materiellen Ausstattung, trotz Schwierigkeiten, die darauf beruhen, daß es mancher — auch mancher Politiker — in dieser Gesellschaft in der Bundesrepublik immer noch nicht unterlassen kann, leichtfertig am Ansehen der Polizei zu kratzen oder sie gar zu verteufeln, gelungen ist, insgesamt über 66 000 Straftaten mehr aufzuklären. Das muß man einmal feststellen.
Ich möchte das zum Anlaß nehmen, im Auftrage meiner Fraktion der Polizei insgesamt Dank und Lob für diese bei all den Schwierigkeiten vollbrachte hervorragende Leistung auszusprechen.
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Ich möchte bei dieser Gelegenheit aber auch einmal dem Präsidenten des Bundeskriminalamts danken,
der nun auch Chef der Interpol geworden ist. Ich gehöre diesem Haus erst einige Jahre an. Ich kann mich aber erinnern, meine Damen und Herren, daß die Einrichtung des Bundeskriminalamts in früheren Jahren — bei der Rückschau muß ich feststellen: nicht immer gerechtfertigt — erheblich in der Kritik stand. Gerade aus diesem Grunde ist es angebracht, einmal ein Wort der Anerkennung und des Dankes zu sagen.
Nun zu den Aufklärungsquoten. Ich sprach davon, daß die Aufklärungsquote von 53 auf rund 52 % gesunken sei. Ich möchte darauf verweisen, daß wir bei den Verbrechern, die das Gefühl der Unsicherheit, des Unmuts, des Unbehagens in der Bevölkerung im wesentlichen hervorrufen — nämlich bei Schwer- und Schwerstverbrechen, insbesondere bei Sittlichkeitsverbrechen — nicht nur eine relativ hohe Aufklärungsquote haben, sondern auch eine Abnahme der Straftaten im Laufe der letzten Jahre haben.
Woher kommt dieses Unbehagen? Sicher zu einem Teil daher, daß über Verbrechen in einer Breite berichtet wird — ich wehre mich gar nicht dagegen, ich stelle nur fest, daß das eine Folge der Verbreitungsmöglichkeiten der Massenkommunikationsmittel ist —, daß der Eindruck entsteht, als wären sowohl die Schwere der Verbrechen wie auch ihre Häufigkeit noch weit größer, als sie es tatsächlich sind.
Nun, meine Damen und Herren, der hohe Anteil der Diebstahldelikte ist es, der die Aufklärungsquote so sehr herunterdrückt. Ich spreche jetzt einmal von dem Diebstahl an und aus Kraftfahrzeugen. Die Aufklärungsquote beim Diebstahl an Kraftfahrzeugen liegt unter 10 %. Ein solcher Diebstahl liegt z. B. vor, wenn jemand im Vorbeigehen einen Spiegel oder einen Mercedes-Stern abmontiert. Ein Diebstahl aus Kraftfahrzeugen liegt beispielsweise vor, wenn ein Kofferradio aus einem nicht verschlossenen Wagen entwendet wird. Solche Diebstähle sind natürlich schwer aufzuklären. Das sind 250 000 Fälle im Jahr mit einer Aufklärungsquote von 9 % oder — bei der anderen Gruppe — ein bißchen mehr. Daran wird deutlich, daß wir uns unter Umständen etwas vormachen, wenn wir meinen, daß Diebstahlskriminalität und die Kriminalität so schrecklich groß sei.
Immerhin zeigt sich hier ganz deutlich, daß ein wesentlicher Grund für die unbefriedigende Aufklärungsquote in der Personalknappheit zu suchen ist. Ich lebe in der Nähe von Frankfurt in einer dieser — sagen wir einmal — Wohnsitzgemeinden. Dort kommen solche Diebstähle ja des öfteren vor. Bis dann der Telefonanruf bei der zentralen Polizeidienststelle angelangt ist, sind die Täter längst verschwunden; bis das Einsatzkommando ankommen kann, ist doch der Markt endgültig verlaufen. Das heißt mit anderen Worten, wir brauchen eine stärkere Präsenz der Polizei, das heißt eine höhere Personalstärke. Das ist eine Frage der Besoldung und auch der Beförderungsmöglichkeiten.
Ich möchte mich nicht mehr weiter mit der Frage der Kriminalität aufhalten, sondern nur noch etwas zur Position der Polizei in unserer Gesellschaft sagen. Ich bin der Auffassung, daß das Ansehen der Polizei in unserer Gesellschaft nicht zuletzt dadurch gemindert worden ist, daß manchmal fehlgeleitete oder ungenügende Informationen eine irrende öffentliche Meinung hervorgerufen haben. Ich stehe aber auch nicht an, zu sagen, daß da oder dort auch Personen, die politische Verantwortung tragen, die Polizei mehr als einmal im Stich gelassen haben.
Ich empfehle unserem Kollegen Dorn, einmal das Verhalten seiner Parteifreunde im Lande Hessen und in der Stadt Frankfurt etwas genauer daraufhin zu durchleuchten, ob hier nicht ein Ansatzpunkt dafür zu finden ist, daß wir es heute mit Erscheinungen zu tun haben, die uns Sorge machen.
Wir Politiker haben der Polizei zu helfen, ihre Aufgabe erfüllen zu können, Sicherheit und Ordnung als Grundlage der Freiheit zu bewahren. Es muß endlich damit Schluß sein, daß wir am Ansehen der Polizei leichtfertig kratzen. Es muß endlich damit Schluß sein, daß wir die Korrektheit des Vorgehens der Polizei in einem ungerechtfertigten Ausmaß in Frage stellen. Polizei ist weder Knüppelgarde noch Prügelknabe der Nation, sondern Garant für Sicherheit, Ordnung und Freiheit des einzelnen im Rahmen des freiheitlichen Rechtsstaates.
Nun zurück zu den Vorlagen, die Anlaß dieser Debatte sind. Ich glaube, der Bericht des Innenausschusses hat gezeigt, daß der Antrag der Freien Demokraten eigentlich offene Türen einrennt, zumal da er sechs Tage nach dem Abschluß der Anhörung durch den Innenausschuß gestellt worden ist. Es war doch völlig unmöglich, daß sich innerhalb von sechs Tagen schon konkrete Ergebnisse aus dieser Anhörung zeigen konnten. Ich bin aber dennoch dankbar, weil dieser Antrag zeigt, meine Damen und Herren von der FDP, daß wir uns in diesem Parlament in einer breiten Gemeinsamkeit des Bemühens befinden, die zu beklagenden Zustände — oder mancher mag sagen: Mißstände — zu bessern.
Lassen Sie mich einiges zu den beiden Anträgen sagen. Auch ich bin der Auffassung, daß Bagatellfälle nach Möglichkeit aus der Tätigkeit der Kriminalpolizei herausgenommen werden müssen. Inwieweit das möglich ist, ohne einen — sagen wir einmal — straffreien Raum entstehen zu lassen, bedarf einer Prüfung. Auch polizeifremde Tätigkeiten müssen der Polizei nach Möglichkeit abgenommen werden. Ich bin hier mit dem Kollegen Dorn völlig einig und weiß aus der bitteren Erfahrung dieser Polizisten, wie sehr sie darunter leiden, daß sie ihre kostbare Zeit mit einer Tätigkeit vergeuden müssen, für die sie gar nicht ausgebildet sind und für die sie auch nicht bezahlt werden, einer Tätigkeit, für die wir nicht sie, sondern vielleicht ein paar tüchtige Stenotypistinnen brauchen. Ich bin allerdings ein bißchen
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im Zweifel, ob es uns immer gelingen wird, dahin, wohin wir immer noch in der Lage sind, einen Polizisten zu versetzen, eine tüchtige Stenotypistin zu bekommen. Aber das müßte eigentlich gehen.
Ich bin nicht einig mit dem Kollegen Dorn, wenn er meint, daß das, was der Bundestag dieser Tage in der Finanzreform beschlossen hat, die Vereinheitlichung der Besoldung durch Änderung des Art. 75, ein Hinderungsgrund für eine Besoldungsverbesserung sein könne. Ich glaube, es liegt an diesem Parlament, zu zeigen, daß wir bereit sind, für die Erhaltung der Sicherheit auch im Innern die nötigen Mittel aufzubringen. Hier können wir ein Beispiel für die Länder setzen, und hier können wir zeigen, daß wir, wenn wir einmal — wir tun das sehr zurückhaltend — die Länder in diesem Bereich kritisieren, sie mit Recht kritisieren. Ich darf also bitten, daß alle Kollegen sich dann an das erinnern, was wir heute morgen wieder einmal sagen — nicht zum erstenmal und sicher nicht zum letztenmal —: daß wir, der Bundestag, bereit sind, alles zu tun, was notwendig ist, um die Sicherheit unserer Bevölkerung zu gewährleisten.
Flüchten wir uns nicht in das Argument mangelnder Zuständigkeit!
Zu Punkt 3 des Antrages der FDP — Versorgung der Strafverfolgungsorgane mit allen zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderlichen wissenschaftlichen und technischen Einrichtungen — läßt sich sagen: wir sind in der Erprobung sowohl des Einsatzes von elektronischen Datenverarbeitungsanlagen wie auch des Bildfunks so weit, daß wir damit rechnen können, daß die positiven Auswirkungen in absehbarer Zeit sichtbar werden. Ich möchte aber, weil wir alle miteinander zur Ungeduld neigen, doch darauf hinweisen, daß es auch in dem Lande, in dem man viel früher begonnen hat, insbesondere die EDV-Anlagen einzusetzen, in den Vereinigten Staaten, einer jahrelangen Vorarbeit bedurft hat — die bis heute noch nicht abgeschlossen ist —, um eine wesentliche Verbesserung bei der Fahndung zu erreichen.
Ich möchte zum FDP-Antrag noch eines sagen. Es gibt seit Sommer dieses Jahres eine Verwaltungsvereinbarung zwischen den deutschen Ländern, die ein Argument des Herrn Dorn hinfällig macht: daß nämlich Ländergrenzen, Zuständigkeitsgrenzen ein Hinderungsgrund bei der Verfolgung eines Täters über die Grenzen eines Bundeslandes hinaus seien. Auch ich verhehle jedoch nicht, daß ich es für besser hielte, wenn wir über dieses Verwaltungsabkommen hinaus eine gesetzliche Regelung hätten. Meine Fraktion ist insoweit zwar den Ländern dankbar, daß sie sich zu dieser Kooperation — erlauben Sie eine kleine kritische Bemerkung: immerhin nach 18 Jahren Bestehen der Bundesrepublik, fast 18 Jahre nach Verabschiedung des Bundeskriminalamtsgesetzes — bereitgefunden haben. Wir glauben jedoch, daß es einer gesetzlichen Regelung bedarf, von der der Bericht des Innenausschusses schon gesprochen hat.
Zum Antrag des Innenausschusses erlauben Sie mir noch einige wenige Bemerkungen.
Zu Punkt II.1 — Bericht über den weiteren Fortgang des Ausbaues und der personellen und technischen Ausstattung des Bundeskriminalamtes zum 31. Januar — wünschen wir, daß die Anstrengungen beschleunigt und verstärkt werden. Zum Bildfunknetz kann man, glaube ich, sagen, daß die Erfahrungen positiv sind und wir, wenn dieses Bildfunknetz funktioniert, tatsächlich ein hervorragendes Hilfsmittel zur Verbesserung der Fahndung haben. Sowohl Bildfunknetz wie EDV-Anlagen sollen uns in den Stand versetzen, die Fahndung zu beschleunigen, die Aufklärungsquote zu erhöhen, kurz: eine raschere und umfassendere Aufklärung zu bewerkstelligen.
Ich möchte hier ganz deutlich sagen: drakonische Strafen — nach denen in der deutschen Offentlichkeit so oft verlangt wird — haben nicht die abschreckende Wirkung, die man sich von ihnen verspricht. Die beste Abschreckungswirkung hat eine möglichst rasche und umfassende Aufklärung. Das ist das Ziel unseres Bemühens.
Eine Bemerkung noch zu einem inzwischen von der Koalition eingebrachten Antrag, der in ähnlicher Form auch von der CSU vorliegt. Er verlangt, das, was manche Leute das Verbrecherschutzgesetz nennen, zu ändern. Ich meine das, was ich als „Wiederholungsgefahr als Haftgrund" bezeichnen möchte. Es liegt ein Antrag auf Änderung der Strafprozeßordnung und des Jugendgerichtgesetzes vor. Ich möchte eines ganz deutlich sagen, weil sich heute schon in der Presse deutlich sehr heftige und scharfe Gegnerschaft gezeigt hat: dieses Parlament — das kann ich sicher für meine Fraktion sagen, das kann ich aber auch sicher für die anderen Fraktionen sagen — hat nicht die geringste Absicht, mehr zu tun als notwendig; wir sind aber auch fest entschlossen, nicht weniger zu tun als notwendig. Wir halten es für dringend erforderlich, daß wir sowohl die deutsche Offentlichkeit als auch die Polizei davor bewahren, heute jemand hinter Gittern verschwinden zu sehen, dem man morgen bei derselben Gelegenheit wieder begegnet; und das Spiel können Sie dann mehrmals wiederholen. Das demoralisiert nicht nur die Polizei, sondern auch die deutsche Offentlichkeit.
Der Herr Präsident hat um Kürze gebeten; ich will mich daran halten. Ich glaube, daß die Debatte, die wir heute führen, dazu beitragen kann — und ich hoffe, daß sie auch dazu beitragen wird —, daß das, was ich eingangs angesprochen habe, sich in nächster Zeit ändert, daß nämlich die Mehrheit der deutschen Bevölkerung nicht die Kriminalität fürchten zu müssen glaubt, sondern daß die Mehrheit der deutschen Bevölkerung der Überzeugung sein wird, daß auch unsere Sicherheit und damit unsere persönliche Freiheit im Innern weitgehend gewahrt bleiben.
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