Rede von
Heinrich
Draeger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Wer die Diskussion heute nachmittag hier verfolgt, wird sicher auf den verschiedenen Plätzen der Außenpolitik und der Verteidigungspolitik geistig hin und her gehetzt. Es tut mir leid, daß ich Sie auch jetzt wieder auf einen neuen Platz entführen muß. Ich will mich nämlich nur mit einem einzigen speziellen Thema beschäftigen, der Stärkung unserer Verteidigungskraft durch bessere Waffen und Geräte.
Unsere Bundeswehr hat im NATO-Bündnis den angemessenen Beitrag für Frieden, Freiheit und Sicherheit zu leisten. Die strategische Doktrin dieser westlichen Allianz ist die flexible Reaktion. Diese flexible Reaktion ist, wie der Bundesverteidigungsminister am Freitag hier dargetan hat, auch durch die Ereignisse in der Tschechoslowakei nicht betroffen worden. Sie existiert weiter. Ohne Zweifel hat aber nach der überfallartigen Besetzung der Tsche-
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choslowakei im Rahmen des Bündnisses die NATO-Ministerkonferenz vom 14. bis zum 16. November es für notwendig befunden, innerhalb dieser „flexible response" Akzente zu setzen, deren Notwendigkeit auf Grund der bedrohlichen Situation in Mitteleuropa und insbesondere für die Bundesrepublik sehr deutlich geworden ist.
In diesem Zusammenhang hat der Herr Minister eine ganze Reihe von Vorschlägen zur Verstärkung der materiellen Seite der Bundeswehr gemacht. Ich gehe bei meinen Ausführungen und Überlegungen davon aus, daß, ehe es zu einer Verstärkung materieller Art in der Bundeswehr kommt, die Probleme der personellen Seite befriedigend gelöst sind.
Sie wissen, daß es in den vergangenen Wochen und Monaten eine sehr lebhafte Diskussion über die Schließung der Aufklärungslücke gegeben hat. Ich sage, dasselbe Problem besteht auch bezüglich der Schließung der personellen Bestandslücke im Mittelbau der Bundeswehr. Ich will also so verstanden sein, daß der weitere Zulauf von Waffen und Geräten mit der Auffüllung der Präsenzstärken und mit dem Zurverfügungstellen von zusätzlichem Personal koordiniert sein muß, damit diese Waffen und Geräte auch sinnvoll bedient und eingesetzt werden können.
Ich will nur wenige Waffen und Geräte herausgreifen. Ich lasse außerhalb meiner Betrachtung, was in den Ausschüssen des Parlaments, im Verteidigungsausschuß und Haushaltsausschuß, ohnehin beschlossen ist. Ich gehe auch davon aus, daß dafür die entsprechenden Haushaltsmittel zur Verfügung stehen. Ich wende mich dem zu, von dem der Minister gesagt hat, daß es nach den Besprechungen in Brüssel im Hinblick auf die bedrohliche Situation zusätzlich geschehen wird. Ich darf für mich und meine politischen Freunde der CDU/CSU sagen: in diesem Katalog gibt es keinen Posten, der völlig neu ist. Was dort an zusätzlichen Waffen und Geräten gefordert wird, ist den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses zumindest seit einem Jahr, in einzelnen Positionen schon seit vier Jahren bekannt. Die Mitglieder des Verteidigungsausschusses waren schon damals der Auffassung, daß das nicht nur nützlich und wünschenswert, sondern für unsere eigene Verteidigung sogar dringend notwendig wäre. Warum sind wir nicht dazu gekommen? Weil die finanziellen Mittel im Rahmen der Zuwachsrate im Verteidigungshaushalt das einfach nicht zugelassen haben. Wenn wir jetzt auf Grund der Tschechenkrise vor dieser neuen Frage stehen, so meine ich, daß man sehr wohl diese alten Vorschläge erneut aufgreifen sollte, weil sie eine besondere Dringlichkeit, eine besondere Priorität im Rahmen unserer Gesamtverteidigungspolitik haben.
Man sollte in den Bemühungen um zusätzliche Waffen und Geräte von einigen unverrückbaren Fakten auf östlicher Seite ausgehen. Wenn man beispielsweise weiß, daß die Stückzahl der Kampfpanzer im Osten 2,5mal so hoch ist wie hier im Westen, und wenn man ferner weiß, daß der Westen einfach nicht zahlenmäßig gleichziehen kann, stellt sich die Frage, was man auf ,dem Gebiet der Panzerbekämpfung tun muß. Ich würde deshalb einmal
einen ersten Akzent auf die Panzerbekämpfungswaffen legen.
Wenn man weiter weiß, daß beispielsweise der Bestand an Jagdfliegern im Osten das Vierfache von dem ausmacht, was wir im Westen gegenüberzusetzen haben, stellt sich die zweite Frage — und da stimme ich mit dem Herrn Minister völlig überein —: Was können und müssen wir angesichts dieser Überlegenheit auf dem Gebiet der Tieffliegerabwehr tun? Ich meine, daß wir ,da gar nicht mehr warten können und dürfen, bis ein allumfassendes technisches System für Allwetterfähigkeit gefunden wird, sondern daß wir auf das solide System, das alerdings nur unter Schönwetterbedingungen wirksam ist, abstellen müssen.
Ich würde noch einen Schritt weitergehen, Herr Minister. Im Verteidigungsausschuß ist die Anregung gegeben worden, auf den Flugplätzen im Rahmen des do-it-yourself ,die 20-mm-Zwillingskanone zu installieren. Ich habe mit Freude gehört, daß Sie daß auch auf unsere Marine-Flugplätze ausdehnen wollen. Mein Petitum geht noch darüber hinaus. Ich möchte politische, militärische, wirtschaftliche und Verkehrsnervenzentren mit in den Objektschutz einbezogen wissen.
Ich begrüße, daß die Frage der Verstärkung der konventionellen artilleristischen Kraft von Ihnen aufgegriffen worden ist, indem Sie gesagt haben: Die dritte feuernde Batterie muß her! Auch das ist ein Anliegen, das, wenn ich mich recht erinnere, schon vor drei Jahren im Verteidigungsausschuß eine Rolle gespielt hat.
Bei diesen drei von mir gesetzten Akzenten möchte ich es belassen. Ich bin mir im klaren darüber, daß die stärkere Hinwendung zur konventionellen Komponente nicht nur das Heer, sondern auch Teilbereiche der Luftwaffe betreffen wird.
Nun, das Ganze kostet Geld. Der Herr Minister hat gesagt: Das kostet für einen überschaubaren Zeitraum von drei Jahren zunächst einmal 2,5 Milliarden DM. Ich nehme an, daß etwa 60 % davon auf die Beschaffung von konventionellen Waffen und Geräten entfallen und .daß der Restbetrag zum größeren Teil für die Infrastruktur und zum kleineren Teil für personelle Bereiche ausgegeben werden muß.
Die NATO hat den sehr schönen lateinischen Wahlspruch, daß — ich will ihn ins Deutsche übersetzen — Wachsamkeit der Preis der Freiheit ist. Ich möchte das in unserer Situation heute abend so ergänzen: jede Freiheit hat ihren Preis. Ich hoffe, meine Damen und Herren, .daß wir uns, wenn hier die Mittel zur Verfügung gestellt werden, an diese Diskussion noch einmal erinnern werden. Die CDU/ CSU-Fraktion hat gestern nachmittag einstimmig beschlossen, die Bundesregierung möge sich sehr rasch daranmachen, uns entweder innerhalb oder außerhalb ,der mittelfristigen Finanzplanung Vorschläge zu unterbreiten, wie jene 2,5 Milliarden DM aufgebracht werden können. Dabei gehe ich davon aus, daß in dieser bedrohten Situation jenes Mindestmaß an finanziellen Opfern gebracht werden muß, damit
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die Freiheit und die Sicherheit im bestmöglichen Grade gewährleistet bleiben.