Rede von
Alfred
Ollesch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frage der Wehrgerechtigkeit nimmt in der Rede des Bundesverteidigungsministers vom vergangenen Freitag nur einen kleinen Raum ein; in der gedruckten Rede ist es nur eine halbe Seite.
Trotzdem, mehr als bei vordergründiger Betrachtung erkennbar, spielen die Fragen der vorhandenen Wehrungerechtigkeiten bei der Betrachtung der Personallage der Bundeswehr eine bedeutende Rolle.
Die Bereitstellung neuen und zusätzlichen Gerätes und der Einsatz finanzieller Mittel reichen allein nicht aus, die Anstrengungen unseres Volkes in verteidigungspolitischer Hinsicht in Kampfkraft umzusetzen, wenn der Wille zur Verteidigung nur schwach entwickelt ist, und er wird, falls nicht recht bald auf diesem Sektor eine Änderung geschieht, schwach entwickelt bleiben.
Unsere Verteidigung basiert auf dem Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht. Allgemeine Wehrpflicht heißt doch, daß sich jeder wehrfähige junge Mann für einen gewissen Zeitraum zur Verteidigung
10886 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1968
Ollesch
unseres Lebensraumes zur Verfügung zu stellen hat. Von einer allgemeinen Wehrpflicht kann nicht mehr gesprochen werden, wenn wie heute nur 47 % der Gemusterten überhaupt zum Wehrdienst herangezogen werden und wenn an den notwendigen Versuchen zur Schaffung einer gesunden Personalstruktur, also 63% an Längerdienenden und 37 % an Wehrpflichtigen
— ja, keine 105 %, Herr Kollege Damm, sondern nur 100% —, festgehalten werden soll. Denn die notwendige Verbesserung unserer Personalstruktur wird naturgemäß das Problem der Wehrungerechtigkeit bzw. der anzustrebenden Wehrgerechtigkeit verschärfen.
Herr Bundesverteidigungsminister, es kann sich bei der Lösung des Problems der Wehrgerechtigkeit eben nicht nur darum handeln, den Wehrdienst Leistenden vor allem finanziell zu fördern; denn wenn wir diesen Weg bis zur völligen Zufriedenstellung beschreiten, dann können wir gleich zum Berufsheer übergehen. Dann haben wir in praxi etwas Ähnliches wie ein Berufsheer, und das Ziel, den Wehrwillen der gesamten Bevölkerung durch die allgemeine Wehrpflicht zu stärken und die Bundeswehr voll in das Bewußtsein der Bevölkerung zu bringen, wird eben nicht erreicht.
Mitglieder des Verteidigungsausschusses des Bundestages und des Bundesverteidigungsministeriums haben sich mit diesem Problem ein halbes Jahr beschäftigt und eine Vorlage erarbeitet. Sie mag in diesen oder jenen Punkten umstritten sein. Es war aber der Wille der Beteiligten, daß diese Vorlage nicht zerpflückt wird,
sondern insgesamt diskutiert wird. Dann kann man natürlich auch hier und da zu wahrscheinlich besseren Lösungen kommen und Veränderungen vornehmen.
Nun frage ich Sie, Herr Bundesverteidigungsminister: Was wird aus der Vorlage? Sechs Monate hat die Kommission daran gearbeitet, einen Entwurf zu fertigen. Sechs Monate prüfen Sie diesen Entwurf. Wie lange gedenken Sie diesen Entwurf noch zu prüfen? Das fragen wir; denn inzwischen beginnt die Demontage dieses Entwurfs, auch von Ihnen vorgenommen.
Es mag, meine Damen und Herren, dieser oder jener Vorschlag umstritten gewesen sein. Ich erinnere mich einer Erklärung des Herrn Kollegen Berkhan, den ich persönlich sehr schätze, allerdings vom Juni vergangenen Jahres, daß die vorgesehene Erhöhung der Antrittsstärke der Bundeswehr — und die Kommission schlug 10 % mehr Einziehungen vor, um die Fehlstellen auszugleichen, Fehlstellen infolge von Krankheit, Kommandierung, Lehrgängen und dergleichen — außenpolitisch überhaupt nicht vertretbar sei.
Man könne nicht 40 000 Soldaten mehr einzuziehen,
über den Bestand hinaus, der in der mittelfristigen
Finanzplanung — aus finanziellen Gründen — mit 460 000 festgelegt war. Nun sehen wir, daß der Bundesverteidigungsminister Herr Dr. Schröder — das werden Sie als Mitglied einer Koalitionsfraktion, die diese Regierung trägt, sicher billigen — von diesem Vorschlag bei seiner Erhöhung der Präsenz — erhöhte Präsenz im Gegensatz zu herabgestufter Präsenz — Gebrauch machen will. Er spricht zwar von 20 000 Mann. Wenn aber die Zahl 460 000 unverrückbar ist, wenn das gerade die Zahl ist, die außenpolitisch ohne Widerstände vertretbar ist, dann werden 20 000 Mann mehr genauso störend wirken wie 40 000 Mann mehr. Die Wehrungerechtigkeit wird allerdings bei einer Erhöhung um 40 000 Mann etwas eher erreicht als bei einer Erhöhung um 20 000 Mann.
Auch das Parlament beginnt zu demontieren. Alle Fraktionen — wir konnten uns dabei gar nicht ausschließen — haben beantragt, das Entlassungsgeld für ausscheidende Wehrpflichtige zu verdoppeln. Auch dieses Vorhaben ist in die Vorschläge der kleinen Kommission eingeschlossen. Wenn das so weitergeht, fürchte ich aber, daß aus dem Vorschlag nur teilweise etwas wird.
Dann werden die Punkte verwirklicht, über die die Meinungen innerhalb der Regierungskoalition nicht geteilt sind. Nach bewährtem Muster, vorexerziert durch den Herrn Bundeskanzler, beginnt nunmehr auch der Herr Bundesverteidigungsminister, unangenehme Probleme auszuklammern, wahrscheinlich in der Hoffnung, daß demnächst, unter Umständen nach einem anderen Wahlergebnis, die Notwendigkeit zur Ausklammerung nicht mehr besteht und bei einer anderen Konstellation Mut genug vorhanden ist, auch solche Dinge, die nicht ohne weiteres von allen sehr freudig aufgenommen werden, durchzusetzen.
Meine Damen und Herren, es kann also nicht oberstes Ziel sein, die Vergünstigungen noch zu erhöhen. Der Verteidigungswille wird gestärkt, wenn die Bundeswehr nicht mehr wie bisher neben dem Großteil der deutschen Jugend hermarschiert. Er wird nicht gestärkt, wenn die Bundeswehr gar nicht erst zur Kenntnis genommen zu werden braucht, weil die Mehrheit der deutschen Jugend von der Bundeswehr nicht zur Verteidigung unseres Volkes in Anspruch genommen wird.
Wir haben uns auf unserem Wehrpolitischen Kongreß in Koblenz bemüht, diese Fragen einer Lösung zuzuführen, und haben uns, obwohl ein Wehrdienstausgleich bei der nicht vom Wehrdienst betroffenen Jugend unpopulär ist, für einen Wehrdienstausgleich ausgesprochen. Über die Höhe wird man sich unterhalten müssen. Aber die Existenz des Verteidigungsinstruments wird erst dann zur Kenntnis genommen, wenn der Teil der Jugend, der nicht eingezogen wird, durch bestimmte Maßnahmen gezwungen ist, diese Bundeswehr und die Notwendigkeit des Dienstes zur Kenntnis zu nehmen.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1968 10887
Ollesch
Nun ein Wort zu unserem Kollegen Rommerskirchen. Sie haben die Vorteile der Flexibilität, der Anpassung der Bundeswehr an die verschiedenen Gegebenheiten der Politik, gepriesen. Herr Berkhan, es zeugt von einem gestörten Verhältnis zum Liberalismus bei Ihnen, wenn Sie meinen, daß Liberale nie planen. Wenn ich ein Haus baue, plane ich auch 'als Liberaler. Und wenn ich weiß, daß die Bauzeit eines Zerstörers — leider — neun Jahre beträgt, dann kann ich nicht aus der Tagespolitik heraus die Bundeswehr konzipieren. Dann muß ich halt in längeren Zeitabständen vorausdenken und entsprechende Maßnahmen einleiten, Herr Kollege Rommerskirchen.
Nun zurück zur Struktur. Es dient auch nicht der Wehrwilligkeit unseres Volkes und unserer Jugend, die hier angesprochen ist, wenn die Berufsverbände und Gewerkschaften der Bundeswehr — und die haben wir nun einmal in unserer Massengesellschaft — ständig darüber klagen müssen, daß es ihr Dienstherr mit der Fürsorge nun nicht so nimmt, wie es sein müßte. Und ich empfehle Ihnen allen, die Studie des Bundeswehrverbandes über das Miet-
und Wohnungswesen sehr eindringlich zur Kenntnis zu nehmen
und, meine Damen und Herren,
Schlußfolgerungen daraus zu ziehen.
Darauf kommt es allein an.
Wir stimmen mit Ihnen überein, Herr Bundesverteidigungsminister — wir stehen nicht nur im Gegensatz zu Ihnen, — daß das Problem der Kriegsdienstverweigerung eine Sache ist, mit der wir uns beschäftigen müssen. Wir haben das auf unserem Wehrkongreß in Koblenz auch getan. Es muß die Möglichkeit geschaffen werden, daß derjenige junge Mann, der während des Wehrdienstes plötzlich sein Gewissen entdeckt — terminieren kann man die Entscheidung nicht —, unverzüglich — und Herr Kollege Zimmermann hat das auch ausgeführt — einem zivilen Ersatzdienst überstellt wird.
— Unverzüglich, Herr Kollege Dr. Marx! Denn wir können die ständige und zunehmende Beunruhigung mit den Möglichkeiten gewisser Organisationen —ich nenne einmal den SDS —, Unruhe in die Bundeswehr hineinzutragen,
nicht hinnehmen.
Aber Sie werden getragen von 90 Prozent der Parlamentarier hier mit allen Möglichkeiten und gesetzlichen Initiativen. Sie haben Ihre Kollegen im Kabinett, die für diese Fragen des Ersatzdienstes zuständig sind. Schaffen Sie dann bitte auch die Organisation und die Möglichkeit der sofortigen Aufnahme dieses Teils unserer jungen Leute in diese Organisation!
Ich habe mir erzählen lassen, daß nur ein Drittel der anerkannten Kriegsdienstverweigerer — diejenigen, die vor Einzug zur Bundeswehr ihre Gewissensentscheidung getroffen haben — zum zivilen Ersatzdienst herangezogen wird, weil Aufnahmemöglichkeiten nicht gegeben sind oder weil die zuständigen Institutionen nicht gern diesen Teil unserer jungen Leute aufnehmen.
Ich meine, wenn der neue Beirat Sinn haben soll, der dritte, wie Sie ja ausführten — wobei man gleich die Frage stellen kann, ob alle Schwierigkeiten mit Beiräten gelöst werden können und sollen;
wir haben sicherlich eher zuviel als zuwenig Beiräte —, dann sollte es Aufgabe dieses dritten Beirates sein, Ihnen und Ihren Ministerkollegen und diesem Haus sehr schnell Empfehlungen zuzuleiten, damit dieses Problem der Kriegsdienstverweigerer ohne Schaden für die Bundeswehr in Vollzug des Grundgesetzes, das das Recht zur Kriegsdienstverweigerung gibt, gelöst wird.
Ich meine also: Regeln wir die Frage der Wehrgerechtigkeit mit allen Fragen, die sich darum herumranken, dann werden wir in absehbarer Zeit — bei Realisierung der von den Freien Demokraten vorgelegten personellen Vorschläge — über das ungelöste Problem des Bundeswehrpersonals nicht mehr zu sprechen haben.