Rede von
Dr.
Hermann
Kopf
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Außen- und die Verteidigungspolitik der Bundesrepublik vollziehen sich im Rahmen der NATO. Es fragt sich: Welche Wirkungen sind seit den Ereignissen des 21. August in bezug auf die NATO inzwischen eingetreten? Wir entnehmen der Regierungserklärung einen positiven Tatbestand: der Weiterbestand des Bündnisses kann als gesichert gelten. Das Verständnis für die Notwendigkeit des Weiterbestehens der NATO ist allerseits verstärkt worden. Die Bemühungen der Oststaaten, vor allem der Sowjetunion, dieses Bündnis zu spalten, haben keinen Erfolg gehabt. Es ist als notwendig eingesehen worden, daß durch gemeinsame Aktionen im Rahmen der NATO eine Verbesserung der Rüstung stattzufinden hat, an der auch die Bundesrepublik ihren angemessenen Anteil zu nehmen hat.
Im Rahmen der NATO sind auch die Fragen der Sicherheit behandelt worden, und sie sollen weiter behandelt werden. Es war erfreulich, daß auch der neugewählte amerikanische Präsident wenige Tage vor dem Zusammentritt des NATO-Rats in Brüssel und ungefähr zur Zeit der NATO-ParlamentarierKonferenz ein klares Wort zugunsten des Weiterbestands, der Notwendigkeit und der Fortführung der Tätigkeit der NATO gesagt hat.
Schließlich hat der Außenminister in der Regierungserklärung — und das ist eine neue Formulierung gewesen — darauf hingewiesen, daß innerhalb der NATO, wie er sagte, die europäische Identität stärker hervortritt, ohne daß damit das Bündnis gespalten wird. Er hat damit etwas sehr Richtiges gesagt. Es besteht der Wunsch — und wir entsprechen damit auch gewissen amerikanischen Wünschen —, daß die europäischen Staaten im Rahmen der NATO ein stärkeres Gewicht bekommen. Selbstverständlich soll damit die Zusammenarbeit mit der NATO in keiner Weise beeinträchtigt werden.
Diese NATO-Politik hat ein doppeltes Gesicht. Durch die Regierungserklärung beider Minister geht nicht nur ein roter Faden, sondern durch sie gehen zwei rote Fäden parallel hindurch. Dieses NATO-Bündnis ist ein Sicherheitsbündnis. Aber .es verfolgt eine Friedenspolitik. Diese beiden Dinge schließen sich keineswegs aus. Sie haben sich zu ergänzen. Neben den Fragen der Verteidigung, die der NATO obliegen, müssen die Bemühungen um die Verständigung fortgesetzt werden, muß die Verständigungsbereitschaft geweckt werden.
Ich habe heute in der „Welt" in einem Bericht des Washingtoner Korrespondenten eine sehr interessante Problematik gelesen. Der Korrespondent nahm Bezug auf angebliche Äußerungen von Herrn Kissinger, der künftig eine gewisse Schlüsselstellung einnehmen soll. Es wurde die Frage gestellt, ob ein militärisches Instrument wie die NATO für die Entspannungspolitik ebenso brauchbar sei wie für die Verteidigung. Unsere Antwort hierauf ist bereits in den beiden Regierungserklärungen enthalten. Die NATO ist nicht nur ein militärisches Instrument, sondern sie ist ein politischer Tatbestand. Sie ist ein Bündnis, das unter zwei Aspekten steht, unter dem Aspekt der Verteidigung, aber auch unter
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1968 10885
Dr. Kopf
dem Aspekt der Verständigungsbereitschaft. So ist es richtig, daß in dem Augenblick, in dem die NATO sich bemüht, ihre Anstrengungen zu verstärken und zu koordinieren, sie auch immer erneut ihren Willen zur Friedenserhaltung zum Ausdruck bringt.
In den Regierungserklärungen sind auch die Probleme des westlichen Europas angesprochen worden, und dies mit vollem Recht. Eine Frage, die heute noch nicht angeschnitten worden ist, bewegt uns stark. Bezüglich der Zukunft von Euratom bestehen Vorstellungen verschiedener Art. Wir haben gehört —
ich weiß nicht, ob es zutrifft —, daß ein Mitglieds: land, das an Euratom beteiligt ist, eine wesentliche Reduzierung des Personalbestandes der Euratom gefordert hat. Wir erblicken in Euratom das Ergebnis einer guten europäischen Zusammenarbeit. Wir sind der Meinung, bevor irgendeine Entscheidung über eine Herabsetzung des Personalbestandes von Euratom getroffen wird, muß das langfristige Arbeitsprogramm für Euratom behandelt und festgelegt werden. Es sollten keine Entlassungen von Arbeitskräften stattfinden, bevor dieses langfristige Programm endgültig feststeht. Es wird uns interessieren, welches die deutschen Vorstellungen für dieses langfristige Programm sind.
Wir haben heute die Begründung für zwei Anträge gehört. Ein Antrag erstrebt die Stärkung der Kommission der Europäischen Gemeinschaft. Man kann die Tendenz dieses Antrages nur begrüßen. Es wäre schon gut, wenn die Kommission die volle Rolle spielen würde, die ihr in den Römischen Verträgen zugemessen ist, ohne daß es nun unbedingt einer Satzungsänderung bedürfte. Nach den Römischen Verträgen stellt die Kommission Anträge, über die dann der Rat einstimmig zu beschließen hat. Es besteht der Wunsch, zu erreichen, daß die Kommission beim Ausbau der Gemeinschaft — das ist bereits in den Römischen Verträgen vorgesehen — und natürlich auch bei ihrer Erweiterung mitwirkt.
Der zweite Antrag bezieht sich auf Ausbau und Erweiterung der EWG. In den letzten Wochen ist oft die Frage erörtert worden, ob und inwieweit es möglich wäre, in Bereichen, die nicht in die Römischen Verträge einbezogen sind, zwischen den Mitgliedern der EWG und den beitrittswilligen Ländern eine Zusammenarbeit zu erreichen. Dieses Problem ist in der Tat mit allem Ernst zu prüfen. Es ist nicht ganz einfach, Arbeitsgebiete zu finden, die außerhalb der Römischen Verträge liegen und die dafür geeignet sind. Dieser Gedanke soll aber weiterverfolgt werden. Natürlich muß es allen Mitgliedsländern offenstehen, sich an diesen Arbeiten zu beteiligen. Die Außenminister kommen häufig zusammen, dm Rahmen der WEU, im Rahmen der NATO, im Rahmen der EWG; sie kommen immer und immer wieder zusammen. Auch die Frage, ob eine Außenministerkonferenz zur Überwindung der Krise verlangt werden soll, wird im Auswärtigen Ausschuß eingehend geprüft werden.
Ein letztes Wort zu dem letzten Absatz dieses Antrages. Es ist darauf hingewiesen worden, daß die Erweiterung der Gemeinschaft als ein vorrangiges Ziel behandelt werden soll. Vorrangig durchaus,
aber man muß bedenken, daß Erweiterung der Gemeinschaft und Ausbau der Gemeinschaft zwei vorrangige Ziele sind, und weil beide vorrangig sind, würde ich sie als gleichwertig bezeichnen. Es wäre verfehlt, wenn man sich gegen den inneren Ausbau der Gemeinschaft sträubte, wenn man Unlustgefühle erzeugte, weil die Erweiterung im Augenblick nicht möglich ist. Man muß vielmehr von einer derartigen psychologischen Fehlhaltung, die wir übrigens nie eingenommen haben, wegkommen.
Man muß bereit sein, die Erweiterung der Gemeinschaft nach wie vor intensiv anzustreben, aber auch alles zu tun, um an ihrem inneren Ausbau teilzunehmen. Man wird beim inneren Ausbau auch die Vorschläge prüfen müssen, die in den letzten Monaten von französischer Seite gemacht worden sind.
Meine Damen und Herren, nach dem 21. August hätte es vielleicht nahegelegen, in der Form eines Aphorismus zu sagen: 'Die beste Ostpolitik ist eine gute Westpolitik. Heute würde ich diese Formulierung etwas 'differenzieren; ich würde heute sagen: Unsere Ostpolitik umfaßt zwei Bestrebungen, einmal unsere Bemühungen um die Friedenssicherung und um die Verständigung, die wir trotz mancher Enttäuschungen unvermindert fortsetzen, und zum anderen die Fortsetzung und Stärkung unserer guten Zusammenarbeit mit den Ländern des Westens auf politischem Gebiete, auf wirtschaftlichem Gebiete und auch im Bereich der Verteidigung.