Rede von
Ernst
Majonica
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu den gleichen Anträgen sprechen, zu denen gerade Herr Kollege Dr. Mommer Stellung genommen hat.
Im Zusammenhang mit der Währungskrise der vergangenen Woche ist von ausländischen Presseorganen das Wort gebraucht worden, daß sich das Machtzentrum Europas nach Bonn verlagert habe, daß Bonn, die Bundesrepublik, heute die Vormacht in Europa geworden sei. Der Herr Bundeskanzler hat diese Behauptung schon als kurios zurückgewiesen, und ich möchte ihn darin unterstützen. Aber mir scheint, meine Damen und Herren, daß daraus auch politische Folgerungen zu ziehen sind. Mir scheint, daß die Bundesrepublik nur dann eine gesicherte Position haben kann, daß nur dann das deutsche Volk seine Fähigkeiten in Europa voll entfalten kann, wenn es eben in die größere Gemeinschaft Europas eingegliedert ist. Deutschland ist nun einmal das Zentralproblem Europas. Wir sind auf Grund unserer wirtschaftlichen Stärke, unserer Bevölkerungszahl, unserer geographischen Lage und unseres Beitrags zur westlichen Verteidigung eine Macht, die in einem locker organisierten Europa immer Befürchtungen auslösen wird, auch wenn das nicht immer gesagt wird, wenigstens nicht so deutlich gesagt wird, wie es jetzt im Zusammenhang mit der Tagung des Zehnerklubs, mit der Währungskrise gesagt worden ist.
Wir werden nur dann diesen Befürchtungen entgegentreten können, wir werden sie nur dann endgültig beseitigen können, wenn wir ganz klarmachen, daß wir die Stärke unseres Staates in den Dienst Europas stellen, daß wir alle unsere Anstrengungen darauf konzentrieren, ein integriertes, größeres Europa zu schaffen. Denn in einem integrierten, größeren Europa wird es keine Vormacht mehr geben und damit auch keine nachgeordneten Staaten. Das Prinzip der Integration bedeutet, daß alle Staaten, alle Mitglieder einer Gemeinschaft einen verfassungsmäßig niedergelegten Anteil an der gemeinsamen Entscheidung haben, und das schließt jeden hegemonialen Gedanken, jeden Vormachtgedanken von vornherein aus. Wir wissen, daß es viele versuchte Hegemonien in Europa gegeben hat und daß der eigentliche Leidensweg der europäischen Geschichte darin bestanden hat.
Integration bedeutet deshalb für die Bundesrepublik: Gleichberechtigung unter Gleichberechtigten in einem gemeinsamen Europa. Das wollen wir. Wir wollen weder Vormacht noch ein diskreditierter Staat in diesem Europa sein. Zur Eingliederung der Bundesrepublik gehört die Erweiterung der Gemeinschaften, vor allem dann, wenn wir auch an eine endgültige Lösung der deutschen Frage den-
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1968 10883
Majonica
ken. Die EWG ist einfach nicht in der Lage, ein wiedervereinigtes Deutschland aufzunehmen, ohne aus dem inneren Gleichgewicht zu geraten. Integration und Erweiterung sind die unverzichtbaren Voraussetzungen für jede Lösung der deutschen Frage. Wir sollten uns dem Ziel der Stärkung und Erweiterung der Gemeinschaft noch stärker als bisher zuwenden. Diesem Ziel dienen die Anträge, die Herr Kollege Dr. Mommer hier gerade begründet hat.
Sie gliedern sich in zwei Teile. Einmal geht es um 'die Forderung nach Stärkung der Kommission. Die europäische Kommission hat in ihrem Bericht über die Zollunion selbst gesagt, daß sie eine Erweiterung ihrer Exekutivbefugnisse innerhalb der Gemeinschaft nötig hat. Wir erleben eine Rücknationalisierung in Brüssel durch die Einstimmigkei'tsentscheidungen. Das Monpol der Kommission, Vorschläge zu machen, hat nur dann seine Durchschlagskraft, wenn es zu Mehrheitsentscheidungen kommt. Bisher ist es dazu noch nicht gekommen. Leidtragender ist die Gemeinschaft; denn die Kommission ist der Motor, der die europäische Entwicklung vorantreiben soll.
Ich stimme auch damit überein, daß es notwendig ist, eine Konferenz der Außenminister der sechs Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften und der vier Staaten, die beitreten wollen, oder, wie es in der Resolution in Den Haag gefordert wurde, eine Konferenz der zehn Premierminister zusammentreten 'zu lassen. Eins muß ich dazu allerdings sagen. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß 'diese Konferenz sorgfältig vorbereitet werden muß. Ich glaube, daß sie nur dann einen Sinn hat, wenn es eine klare Tagesordnung gibt; denn ein Fehlschlag einer solchen Konferenz wäre schlimmer, als wenn sie gar nicht stattgefunden hätte.
In diesem Zusammenhang empfehle ich der Bundesregierung die sorgfältige Prüfung, ja Unterstützung der Vorschläge, die der belgische Außenminister Harmel in der WEU gemacht hat. Sie scheinen mir auch eine gute Grundlage für eine derartige Außenministerkonferenz oder Ministerpräsidentenkonferenz zu sein. Hier ist das Programm einer solchen Konferenz schon vorgezeichnet.
Namens der CDU/CSU-Fraktion schlage ich vor, diese Anträge an den Ausschuß zu überweisen.
Ich möchte eine persönliche Anregung hinzufügen. Ich möchte anregen, daß — nicht nur auf Grund dieser Anträge, sondern auch auf Grund der anderen anstehenden europäischen Probleme — im Auswärtigen Ausschuß öffentliche Hearings zur europäischen Frage stattfinden, bei denen Vertreter der Kommission, Vertreter der Regierung, Vertreter der interessierten Verbände, von den Gewerkschaften bis zum Bundesverband 'der Deutschen Industrie, ihre Stellungnahme zur europäischen Situation, zu den europäischen Schwierigkeiten und den Lösungsmöglichkeiten abgeben sollten. Mir scheint das ein sehr gutes Mittel zu sein — gerade vom Auswärtigen Ausschuß her —, um die europäische Frage wieder in den Mittelpunkt des öffentlichen Bewußtseins und der öffentlichen Diskussion hineinzutragen. Wir haben diese öffentliche Unterstützung nötig, wenn wir unsere europäische Politik erfolgreich abschließen wollen. Uns alle bedrückt doch der Tatbestand, daß bei der Unrast der Jugend, in den Diskussionen und Protesten, die wir erleben, die europäische Frage kaum eine Rolle spielt. Eine große Aussprache vor dem Auswärtigen Ausschuß, an der nicht nur Parlamentarierteilnehmen, scheint mir ein Weg zu sein, in der deutschen Öffentlichkeit wieder eine Europadebatte zu ,entfesseln, die uns die Unterstützung für unsere europäische Politik gibt.
Wir sind uns darüber einig — ich glaube nicht, daß es hier im Hause eine Meinungsverschiedenheit darüber gibt —, die Lösung der europäischen Frage, die Bildung eines geeinten Europas ist die Voraussetzung für die Lösung aller außenpolitischen Probleme, die wir gerade als Deutsche haben, sei es das partnerschaftliche Verhältnis zu den Vereinigten Staaten, sei es die endgültige Aussöhnung in Europa, sei es der Ausgleich mit dem Osten, sei es die Lösung der deutschen Frage, sei es — das hat mein Kollege Blumenfeld hier gerade hervorgehoben —der verstärkte europäische Einfluß im westlichen Bündnis. Alles das hängt davon ab, ob wir endlich zu einem geeinten Europa kommen.
Ich glaube, wir sollten diese Anträge deshalb unterstützen und sie so behandeln, wie ich es gerade hier vorgetragen habe.