Rede von
Kurt
Spitzmüller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wenn ich an die Verabschiedung des Bundessozialhilfegesetzes und die heißen Redeschlachten denke, die in diesem Hause bei großer Besetzung bis in die Nacht hinein und am nächsten Tage geführt worden sind, dann kann ich nur sagen: Welch erfreuliche Entwicklung, daß wir uns in den Fragen, die in dieser Novelle anstehen, beinahe einig sind, daß es nur um Nuancen geht, daß es darum geht, ob das, was die Regierung in der Begründung sagt, wirklich zutrifft oder ob nach unserer Meinung noch Verbesserungen vorgenommen werden sollten! Die Regierung sagt in ihrer Begründung, daß sie vor allem drei Dinge anstrebt. Sie will die gesetzgeberischen Folgerungen aus den Erfahrungen ziehen, die man gemacht hat, sie will die Leistungen in einigen Bereichen der allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung anpassen und sie will bei der Eingliederung der Behinderten besondere neue Regelungen in Abschnitt 12 treffen.
Die Freien Demokraten können nicht die Auffassung teilen, daß mit dem Entwurf die gesetzgeberische Folgerungen aus allen Erfahrungen gezogen werden, die bei der Anwendung des Bundessozialhilfegesetzes gemacht wurden, sondern meinen, daß im Ausschuß noch eine ganze Reihe von Fragen anzusprechen sind. Wir sind z. B. der Meinung, daß die Probleme der Schwerst- und Mehrfachbehinderten erörtert werden müssen und daß hier zusätzliche Folgerungen zu ziehen sind.
Wir haben auch die Meinung, daß der zweite Punkt, die Anpassung der Leistungen an die allgemeine wirtschaftliche und soziale Entwicklung, nicht in allen Teilen dem gerecht wird, was die Regierung in der Begründung sagt. Auch hier werden wir uns sehr deutlich darüber unterhalten müssen, was richtig und zweckmäßig ist. Ich darf hier wie meine Vorredner im Zusammenhang mit § 81 die besondere Einkommensgrenze ansprechen, die nach § 82 ständig hätte angepaßt werden können; denn wir haben im Jahre 1961 der Bundesregierung eine Ermächti-
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1968 10827
Spitzmüller
gung gegeben. Aber die Bundesregierung hat von dieser Ermächtigung nicht Gebrauch gemacht.
Wir werden im Ausschuß einmal zu prüfen haben, warum sie von dieser Ermächtigung keinen Gebrauch gemacht hat bzw. was wir tun können, damit Verbesserungen nicht nur dadurch vorgenommen werden können, daß wir das Gesetz im Bundestag novellieren.
Der Vorschlag, der jetzt gemacht worden ist, ist nach meiner Meinung ungenügend, vor allem wenn wir an die geschichtliche Entwicklung denken. Das Körperbehindertengesetz hatte höhere Sätze. Das Tbc-Hilfegesetz hat die Sätze ein bißchen nach unten gedrängt. Die Grenze ist also immer nach unten bewegt worden, während die Löhne und die Lebenshaltungskosten im gleichen Zeitraum gestiegen sind. Diese Entwicklung haben wir im Jahre 1960/61 im Ausschuß sicher nicht so übersehen können. Sonst hätten sicher auch Herr Willeke und Frau Niggemeyer, die leider nicht mehr unter uns weilen, die sich aber um das Gesetz außerordentlich bemüht haben, vielleicht mit uns gemeinsam eine bessere Regelung angestrebt. An uns ist es nun, im Ausschuß zu versuchen, bessere Regelungen für die Zukunft einzubauen.
Namens der Freien Demokraten möchte ich auch dem Bundesrat Dank aussprechen. Er hat nicht nur einschneidende Verschlechterungen vorgeschlagen oder sich gegen die eine oder andere Fassung gewandt, sondern er hat in sehr vielen Punkten positive, durchdachte Ergänzungsvorschläge gemacht, für die wir dankbar sind, weil damit im Ausschuß schon viel Arbeit sozusagen über den Tisch erledigt ist, da die Regierung in den meisten Fällen zugestimmt hat. Ich weise nur hin auf die Regelung beim Pflegegeld, bei dem der Bundesrat vorgeschlagen hat, es unabhängig von der Einkommensgrenze zu gewähren, auf die häusliche Entbindung und auf die teilstationäre Betreuung. Wir sind darüber hinaus noch der Meinung, daß im Zusammenhang mit dem Leistungskatalog in § 40 zu prüfen sein wird, ob nicht die Behandlung und Betreuung in Sondereinrichtungen, insbesondere in Tagesstätten, in das Gesetz aufgenommen werden sollten.
Nun komme ich zu dem sehr schwierigen Problem des Abschnitts 12, der schon eine bedeutende Rolle gespielt hat. Es handelt sich um die Meldepflicht für Behinderte. Wir sehen noch nicht ganz ein, daß diese Meldepflicht für Behinderte tatsächlich Vorteile bringt. Wir müssen uns über die Vorteile, die diese Meldepflicht bringen kann, im Ausschuß noch einmal unterhalten und müssen auch erfahren, was die Bundesärztekammer veranlaßt hat, ihren Widerstand nun aufzugeben.
Wenn Sie uns aber davon überzeugen, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß die Meldepflicht Vorteile bringt, dann sind wir der Meinung — das darf ich für meine Fraktion klar aussprechen —, daß die Meldepflicht nur dann sinnvoll ist, wenn wir im Gesetz die Grundlage dafür schaffen, daß die Träger. geeignete Einrichtungen zu bilden haben. Die Meldepflicht nützt uns gar nichts, wenn
wir nicht die gesetzlichen Voraussetzungen schaffen, damit diejenigen, die erfaßt sind, tatsächlich einer guten Behandlung zugeführt werden können; sonst gibt es doch nur Verärgerungen.
Der Herr Kollege Könen hat das Problem der Ärzteschaft ein bißchen scharf angegangen. Ich glaube, wir brauchen die Mitarbeit der Ärzte. Bei der Frage der Meldepflicht der Ärzte geht es doch nicht um die berufständischen Möglichkeiten, sondern einfach um das Verhältnis Arzt — Patient. Hier handelt es sich um mitmenschliche und zwischenmenschliche Beziehungen, in die man möglichst nicht eingreifen soll. Man muß hier doch auch erkennen — das möchte ich als Nichtarzt sagen —, daß die Ärzte natürlich immer vor der Frage stehen: wo fängt es an, wo führt es hin, und wo hört es auf? Von da her muß man den Bedenken, die die Ärzte hier vorgetragen haben, durchaus Verständnis entgegenbringen. Wir sind also der Meinung, daß, wenn eine Meldepflicht verankert wird, auch die gesetzliche Verpflichtung vorhanden sein sollte, die notwendigen Einrichtungen zu schaffen.
Ich möchte jetzt die Verhandlungen nicht mehr weiter aufhalten. Es war das erklärte Ziel des Bundessozialhilfegesetzes, Hilfen für alle jene Fälle zu normieren, die nicht anderweitig geregelt sind und die sich der Vorsorge des einzelnen oft entziehen. Das bedingt eine Vielzahl von Einzelregelungen. Diese sind zunächst für sich allein, dann aber auch im Gesamtzusammenhang zu sehen. Hier geben die. Vorschläge im Entwurf zu Fragen Anlaß, die ich nicht jetzt, sondern im Ausschuß stellen möchte.
Ich hoffe, daß wir diesen Gesetzentwurf zügig beraten und als ein weiteres sozialpolitisches Gesetzgebungswerk in diesem Bundestag verabschieden können.