Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute in erster Lesung über die von uns seit so langer Zeit erwartete Novelle zum Bundessozialhilfegesetz. Endlich! Ich sage das nicht in einem Ton des Vorwurfs gegenüber der Regierung, sondern um
unsere Genugtuung darüber zu unterstreichen, daß
uns nun endlich dieses langersehnte Gesetz vorliegt.
— Ich wollte das gerade sagen, Herr Kollege Glombig. Wir wissen, welche Schwierigkeiten dahintergesteckt haben, und wir sollten der Bundesregierung deswegen insbesondere im Hinblick auf einen Punkt, auf den ich noch im einzelnen zu sprechen kommen werde, dankbar sein, daß man hier zu einer Lösung gekommen ist. Denn wir wissen, von welcher Seite aus besondere Schwierigkeiten gemacht worden sind, und wissen auch, daß gerade dieser Punkt im Rahmen des Gesetzeswerks für uns alle, insbesondere aber für die Betroffenen draußen, von besonderer Wichtigkeit ist.
Wir, die Fraktion der CDU/CSU, begrüßen es, daß zunächst einmal die Lehren aus den Erfahrungen bei der bisherigen Anwendung des Sozialhilfegesetzes von 1961 gezogen worden sind. Wir möchten aber bei dieser Gelegenheit eine Bitte an die Bundesregierung, insbesondere an Ihr Haus, Herr Staatssekretär, richten, nämlich mit den zuständigen Länderministern zu verhandeln, daß die Schwierigkeiten bei der Anwendung, auf die Sie selber hingewiesen haben, nach Möglichkeit behoben werden. Wir wissen, daß an sehr vielen Stellen die Bestimmungen noch außerordentlich zögernd angewendet werden. Das .hat sicherlich seinen Grund auch darin, daß es über bestimmte Teile des Gesetzeswerks lange Zeit einen Rechtsstreit vor dem Bundesverfassungsgericht gegeben hat. Es zeigt sich wieder einmal, wie schädlich solche Verfahren sein können. Es ist aber gewiß auch nicht der richtige Weg, wenn sich Abgeordnete dieses Hauses bei Verwaltungsstellen dafür einsetzen müssen, daß das, was in dem Gesetz klar ausgesprochen ist, überhaupt erst Rechtens wird.
Ich glaube, es wäre sicherlich gut, wenn Ihr Haus, Herr Staatssekretär, über diese Dinge noch einmal eingehend mit den Länderministern spräche und Wege suchte, um die zuständigen Dienststellen auf die Möglichkeiten und, wie wir meinen, die Verpflichtungen aus diesem Gesetz im Interesse der Leistungsempfänger hinzuweisen.
Was die Leistungsverbesserungen betrifft, die in dem Gesetz vorgesehen sind, werden sicherlich viele der Kollegen hier in diesem Hause mit mir der Meinung sein, daß wir den Wünschen, die vielfach von außen an uns herangetragen werden, gern nachgeben würden. Wir würden die Leistungen gern noch weiter verbessern. Aber wir wissen auch, unter welchen Verhältnissen die Bestimmungen und die Verbesserungen, die Sie jetzt eingeführt haben, zustande gekommen sind und welche Schwierigkeiten es auch im Bundesrat schon gegeben hat. Wir sind dankbar, daß der Bundesrat den Bestimmungen insgesamt dann doch zugestimmt hat. Wir werden im Ausschuß darüber noch im einzelnen beraten. Wir sollten aber nicht dadurch, daß wir übertriebene Forderungen stellen, das Gesetzeswerk im ganzen in Frage stellen; denn wir müssen auch die Zeit be-
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 201. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Dezember 1968 10823
Kühn
rücksichtigen, die uns hier noch bis zum Ende dieser Legislaturperiode zur Verfügung steht. Ich meine, daß das ein Gesetzeswerk ist, das unter allen Umständen noch verabschiedet werden muß, eben weil diejenigen, die auf seine Anwendung angewiesen sind, schon seit so langer Zeit darauf warten.
Der dritte Punkt — und das ist jener besondere Punkt, auf den Herr Kollege Glombig soeben auch schon durch den Zwischenruf aufmerksam gemacht hat — ist jener auch von Ihnen, Herr Staatssekretär, unterstrichene neue 12. Abschnitt des Gesetzes über die Sonderbestimmungen zur Sicherung der Eingliederung Behinderter. In der Tat ist es eines unserer ganz gro großen, vordringlichen Anliegen, daß auf diesem Gebiet, auf dem wir bisher wirklich zu wenig getan haben, nun — ich will nicht sagen: etwas Entscheidendes geschieht; das wäre ein zu positiver Ausdruck — ein Schritt in Richtung auf das, was hier geschehen müßte, getan wird.
Ich bin sehr beglückt darüber, daß die Bundesärztekammer ihren anfänglichen Widerstand aufgegeben hat und daß es in sehr zähen Verhandlungen gelungen ist, eine Regelung zu finden, die die Zustimmung auch der Bundesärztekammer gefunden hat. Es ist ganz selbstverständlich, daß, wenn bestimmte Berufskreise in eine solche Regelung und in solche Bestimmungen einbezogen werden, eine positive Gestaltung nur unter Zustimmung der Betroffenen erfolgen kann. Sie kann wirklich positiv nicht gegen ihren Willen erreicht werden.
— In den Bestimmungen sind natürlich auch die Ärzte wegen der Durchführung angesprochen. Aber Sie haben völlig recht, die letztlich Betroffenen sind die Behinderten. In deren Interesse soll diese Regelung erfolgen. Aber Sie stimmen mir sicher zu, Herr Kollege Glombig, daß hier in freiwilliger Zusammenarbeit mehr zu erreichen ist, als wenn man erst den Widerstand einer Gruppe, die wesentlich beteiligt ist, immer wieder beseitigen müßte. Insofern ist dieser Abschnitt besonders zu begrüßen. Es gibt nichts darin, was völlig neu wäre. Ich erinnere daran, daß wir im Körperbehindertengesetz schon weitergehende Vorschriften hatten, als wir sie dann im Sozialhilfegesetz festgelegt haben. Eigentlich tun wir hier nur einen Schritt zurück auf einem guten Weg, den wir damals, Herr Kollege Glombig, wie ich meine, beschritten hatten. Wir sollten uns daher auch nicht von Kritiken, wie sie hier und da sicherlich noch kommen werden, in unserer Entscheidung beirren lassen.
Es geht darum, sicherzustellen — das haben wir hier bei vielen Gelegenheiten, z. B. bei der Diskussion über die Situation der Kinder, erörtert —, daß die behinderten Kinder zu einem möglichst frühen Zeitpunkt in eine Förderung schulischer, beruflicher oder allgemeiner Art kommen, die es ermöglicht — ich will es noch einmal unterstreichen; ich habe es hier neulich schon einmal gesagt —, daß der Grundsatz jeder gesunden Sozialpolitik befolgt wird, daß nämlich der einzelne entsprechend seinen Fähigkeiten in den Stand versetzt wird, für sich selber zu sorgen. Letztlich ist es doch wirklich das sozialpolitische Ziel Nummer 1, dafür zu sorgen, daß der einzelne das Gefühl hat, sich seinen Fähigkeiten entsprechend im Leben bewähren zu können.
Es ist wohl selbstverständlich, daß hierzu im Ausschuß noch manches gesagt und beraten werden muß. Ich glaube, wir sollten bei dieser Gelegenheit als unsere Überzeugung auch unterstreichen, daß mit dieser Bestimmung nicht schon der letzte Schritt getan sein kann.
Ich glaube, bei dieser Gelegenheit ist noch ein Tatbestand zu erwähnen, nämlich die Tatsache, daß das Gesetz draußen immer noch nicht in dem Sinne verstanden wird, wie wir es gewollt haben: als ein modernes Sozialhilfegesetz, das von den Fürsorgevorstellungen alter Zeit weit entfernt ist. Wir haben hier einen Rechtsanspruch stabilisiert,
und es ist keineswegs so, daß diejenigen, die hier Hilfe in Anspruch nehmen müssen, befürchten müßten, daß dafür etwa ihre näheren oder weiteren Verwandten bis in ferne Zeiten hinein für die Rückleistung in Anspruch genommen werden.
Es ist sicherlich interessant, hier einmal eine Zahl zu nennen, wie hoch überhaupt solche Ansprüche im Verhältnis zu den gegebenen Leistungen sind. Sie betragen noch nicht einmal ein Prozent, sondern nur 0,75 %. Ich glaube, daß muß man von dieser Stelle in diesem Hause auch einmal sagen, um Befürchtungen auszuräumen. Wir haben hier ein Sozialhilfegesetz geschaffen, das wirklich einen Rechtsanspruch für denjenigen, der in Not geraten ist, etabliert,
und wir sollten das nach draußen immer wieder sagen; denn nur wenn das Bundessozialhilfegesetz richtig verstanden und von den Dienststellen, die dazu eingesetzt sind, richtig angewendet wird, wird es den Erfolg haben, den wir ihm alle wünschen.