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ID0516903200

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    Deutscher Bundestag 169. Sitzung Bonn, den 30. April 1968 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Könen (Düsseldorf), Stooß, Blöcker, Diekmann, Stein (Honrath), Dr. h. c. Dr.- Ing. E. h. Möller, Paul und Lemmer . . . 8987 A Überweisung von Vorlagen der Bundesregierung an die zuständigen Ausschüsse 8987 B Amtliche Mitteilungen ..... . . 8987 D Bericht der Bundesregierung zur innenpolitischen Situation Benda, Bundesminister . . . . . 8989 C D. Dr. Gerstenmaier, Präsident . . 8998 A Scheel (FDP) 8998 A Schmidt (Hamburg) (SPD) . 9008 A, 9045 A, 9048 C Dr. Barzel (CDU/CSU) . . 9018 D, 9047 C Dr. h. C. Kiesinger, Bundeskanzler . . 9026 C Dr. Merk, Minister des Landes Bayern 9031 C Dorn (FDP) 9034 D Haar (Stuttgart) (SPD) . . 9041 D, 9047 A Dr. Even (CDU/CSU) 9042 D Scheel, Vizepräsident 9043 A Kiep (CDU/CSU) 9046 A Mischnick (FDP) . . . . 9047 D, 9050 A Nächste Sitzung 9050 D Anlagen 9051 A Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 30. April 1968 8987 169. Sitzung Bonn, den 30. April 1968 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigungen Es ist zu lesen: 160. Sitzung, Seite 8414 B, Zeile 7 von unten statt 16.25: 6.25 167. Sitzung, Seite 8798 C, Zeile 16 statt 12,753: 12 573 167. Sitzung, Seite 8895 A, Zeile 19 ist hinter dem Wort Januar einzufügen: — anders wie Sie — Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 30. April 1968 9051 Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Dr. Achenbach *** 30. 4. Adorno 30. 4. Dr. Aigner 30. 4. Dr. Althammer 5. 5. Arendt (Wattenscheid) 30.4. Dr. Arndt (Berlin/Köln) 30. 4. Dr. Artzinger * 30. 4. Bading * 30. 4. Bartsch 30. 4. Berberich 30. 4. Beuster 30. 4. Dr. Birrenbach 30.4. Blank 30. 4. Blumenfeld** 2. 5. Brück (Holz) 30. 4. Burgemeister 30. 4. Burger 30. 4. van Delden 30. 4. Dr. Dittrich * 30.4. Dr. Eckhardt 30. 4. Frau Eilers 30. 4. Frau Dr. Elsner 30. 4. Erhard (Bad Schwalbach) 30.4. Eschmann 30. 4. Fellermaier 30. 4. Dr. Frey 30. 6. Dr. Furler * 30. 4. Dr. Götz 30. 4. Graaff 30.4. Haase (Kassel) 30. 4. Dr. Häfele 30. 4. Hamacher 30.4. Frau Dr. Hubert 1. 7. Illerhaus * 30. 4. Dr. Jaeger 30. 4. Jung 30. 4. Kahn-Ackermann 30. 4. Killat 30. 4. Klinker * 30. 4. Dr. Koch 30. 4. Frau Korspeter 30. 4. Dr. Kraske 30. 4. Frau Dr. Krips 30. 4. Kriedemann * .30. 4. Kunze 1. 6. Kurlbaum 30. 4. Frau Kurlbaum-Beyer 30. 4. Lampersbach 30. 4. Lemmer 30.4. *Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Versammlung der Westeuropäischen Union *** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Beratenden Versammlung des Europarats Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Lenz (Brühl) 31. 5. Leukert 30. 4. Liehr 30. 4. Dr. Löhr * 30. 4. Frau Lösche 30. 4. Lücker (München) * 30. 4. Mauk 30. 4. Meis 30. 4. Memmel * 30. 4. Dr. h. c. Menne (Frankfurt) 30. 4. Metzger * 30.4. Michels 30. 4. Missbach 30. 4. Müller (Aachen-Land) * 30. 4. Dr. Müller (München) 3. 5. Peters (Norden) 30. 4. Petersen 30. 4. Picard 30. 4. Dr. Prassler 30. 4. Dr. Rau 30. 4. Frau Renger 30. 4. Richarts 30. 4. Dr. Rinsche 6. 5. Dr. Ritgen 30. 4. Frau Rudoll 30. 4. Schmidt (Würgendorf) 30. 4. Dr. Schober 30. 4. Dr. Schulz (Berlin) 30.4. Seibert 30. 4. Dr. Siemer 30. 4. Spitzmüller 30.4. Dr. Stammberger 30. 4. Steinhoff 15. 5. Dr. Steinmetz 30. 4. Stiller 30.4. Struve 30. 4. Dr. Tamblé 30. 4. Unertl 30.4. Wilhelm 30.4. Wullenhaupt 30. 4. b) Urlaubsanträge Cramer 20. 5. Diekmann 20.5. Enk 31.5. Anlage 2 Der Präsident des Bundesrates — Abschrift — An den Herrn Bundeskanzler 5300 Bonn Bundeskanzleramt Ich beehre mich mitzuteilen, daß der Bundesrat in seiner 323. Sitzung am 26. April 1968 beschlossen 9052 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 30. April 1968 hat, dem vom Deutschen Bundestag am 3. April 1968 verabschiedeten Gesetz zur Anpassung und Gesundung des deutschen Steinkohlenbergbaus und der deutschen Steinkohlenbergbaugebiete gemäß Artikel 84 Abs. i in Verbindung mit Artikel 105 Abs. 3 des Grundgesetzes zuzustimmen. Ferner hat der Bundesrat die sich aus der Anlage ergebende Entschließung gefaßt. Koschnick Vizepräsident Bonn, den 26. April 1968 An den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages 5300 Bonn Bundeshaus Vorstehende Abschrift wird mit Bezug auf das dortige Schreiben vom 4. April 1968 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Koschnick Vizepräsident Anlage zum Schreiben ,des Präsidenten des Bundesrates vom 26. April 1968 an den Herrn Bundeskanzler Entschließung des Bundesrates zum Gesetz zur Anpassung und Gesundung des deutschen Steinkohlenbergbaus und der deutschen Steinkohlenbergbaugebiete Der Bundesrat hält die in § 16 Abs. 2 des Gesetzes vorgesehene Mitleistungsverpflichtung des Sitzlandes für zumindest verfassungspolitisch außerordentlich bedenklich. Er hat sich daher im 1. Durchgang dafür eingesetzt, die Finanzauflage zu streichen. Unbeschadet seiner grundsätzlichen Zustimmung zu den wirtschaftspolitischen Zielsetzungen des Gesetzes hält der Bundesrat dieses Bedenken aufrecht. Lediglich mit Rücksicht auf die politische Notwendigkeit, das Gesetz bald zu verabschieden, sieht der Bundesrat von einer Anrufung des Vermittlungsausschusses ab. Anlage 3 Der Präsident des Bundesrates Abschrift Bonn, den 26. April 1968 An den Herrn Bundeskanzler 5300 Bonn Bundeskanzleramt Ich beehre mich mitzuteilen, daß der Bundesrat in seiner 323. Sitzung am 26. April 1968 beschlossen hat, hinsichtlich des vom Deutschen Bundestag am 5. April 1968 verabschiedeten Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1968 (Haushaltsgesetz 1968) einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen. Außerdem hat der Bundesrat die aus der Anlage ersichtlichen Entschließungen angenommen. 1 Anlage Koschnick Vizepräsident Bonn, den 26. April 1968 An den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages 5300 Bonn Bundeshaus Vorstehende Abschrift wird mit Bezug auf das dortige Schreiben vom 8. April 1968 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Koschnick Vizepräsident Anlage zum Schreiben des Präsidenten des Bundesrates vom 26. April 1968 an den Bundeskanzler Entschließungen des Bundesrates zum Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1968 (Haushaltsgesetz 1968) 1. Zu Einzelplan 60 Kap. 60 02 Tit. 571 a) und b) Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, unbeschadet der Notwendigkeit, die Strukturkrise im Kohlenbergbau zu beheben, verstärkt Mittel für die wirtschaftliche Förderung des Zonenrandgebietes und der Bundesausbaugebiete bereitzustellen. Die im Grundgesetz zum Ausdruck kommende gesellschaftspolitische Zielsetzung, einheitliche Lebensverhältnisse im gesamten Bundesgebiet herzustellen, erfordert für diese Gebiete wegen ihrer Strukturschwäche und ihrer Krisenanfälligkeit besondere Förderungsmaßnahmen. Dabei sollten folgende Zielsetzungen berücksichtigt werden: a) Weiterer Ausbau der überregionalen Verkehrsverbindungen des Zonenrandgebietes und der Bundesausbaugebiete. b) Ausstattung der ländlichen, für Industrieansiedlung geeigneten Gemeinden mit den erforderlichen Infra-Struktureinrichtungen. c) Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen in den vorgenannten Förderungsgebieten. Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 30. April 1968 9053 d) Fortsetzung der bewährten Frachthilfe, mindestens im bisherigen Umfang. Diese Maßnahmen zur Infra-Strukturverbesserung erfordern den Einsatz erheblicher finanzieller Mittel. Der Bundesrat begrüßt deshalb die Erklärung des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister für Wirtschaft vor dem Deutschen Bundestag am 5. April 1968, wonach die Bundesregierung derzeit prüft, zusätzliche Mittel für Ruhr, Saar und das Zonenrandgebiet in einer Größenordnung von 1 Milliarde DM bereitzustellen. Er erwartet, daß im Zuge dieser Prüfung und in Verfolgung der vorstehend aufgezeigten Zielsetzung das Zonenrandgebiet und die Bundesausbaugebiete besondere Berücksichtigung finden. 2. Zu Einzelplan 60 Kap. 60 02 Tit. 603 Die vom Deutschen Bundestag in den Erläuterungen zu Kap. 60 02 Tit. 603 vorgesehene Aufteilung der Ergänzungszuweisungen von 390 Mio DM entspricht nicht dem im Initiativgesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Länderfinanzausgleichsgesetzes zugrunde gelegten Verteilungsschlüssel. Der Bundesrat vermag die jetzt im Bundeshaushalt vorgesehene Aufteilung der Ergänzungszuweisungen nicht als endgültig anzusehen. Er weist darauf hin, daß eine verbindliche Regelung über die Aufteilung der Ergänzungszuweisungen in dem vom Bundestag noch zu verabschiedenden Gesetz zur Änderung des Länderfinanzausgleichsgesetzes zu treffen ist. Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme zu diesem Gesetzentwurf den vom Bundesrat vorgesehenen Verteilungsschlüssel übernommen. Der Bundesrat bittet den Deutschen Bundestag, im weiteren Gesetzgebungsverfahren hieran festzuhalten. Anlage 4 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Arndt vom 23. April 1968 auf die Zusatzfrage des Abgeordneten Moersch zu der Mündlichen Anfrage des Abgeordneten Weigl*). In der Fragestunde der 161. Sitzung des Deutschen Bundestages hatten Sie mich gefragt, in welchem Umfang Schwierigkeiten" für die Ansiedlung von Industrie durch gewisse Schwächen im Schulsystem der Oberpfalz bestünden. Ich bitte um Verständnis, daß ich mich nicht im einzelnen zu einer Angelegenheit, für die auf Grund der Kulturhoheit die Landesregierung zuständig ist, äußern kann. Ich möchte jedoch betonen, daß die Ausbildungsfrage für die Verbesserung der Wirtschaftsstruktur eines Raumes von eminenter Bedeutung ist. Deshalb unterstützt die Bundesregierung die berufliche Aus- und Fortbildung durch Finanzierungshilfen für entsprechende Investitionen auch im Rahmen des Regionalen Förderungsprogramms. Ferner wird bei der Auswahl von Bundesausbauorten *) Siehe 161. Sitzung Seite 8424 D. verlangt, daß die vom Land vorgeschlagenen Gemeinden mindestens eine Oberschule bereits aufweisen oder alsbald erhalten werden. Insofern wird der von Ihnen angeschnittene Aspekt im Rahmen der regionalen Wirtschaftspolitik der Bundesregierung berücksichtigt. Anlage 5 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Arndt vom 23. April 1968 auf die Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schwörer zu der Mündlichen Anfrage des Abgeordneten Zebisch *) Sie hatten mich in der Fragestunde der 161. Sitzung des Deutschen Bundestages gefragt, ob man nicht den Durchschnitt des Bruttosozialprodukts als Maßstab für Abschreibungsvergünstigungen zugrunde legen könnte. Hierzu ist folgendes zu bemerken: Es gibt zwar seit einigen Jahren Bruttoinlandsproduktzahlen je Kopf der Wirtschaftsbevölkerung in kreisweiser Aufgliederung. Diese wurden auch bei der Abgrenzung der Bundesausbaugebiete im Jahre 1963 herangezogen. Allerdings gelten meine Bedenken gegen regionale Steuerpräferenzen auch dann, wenn die mit Sonderabschreibungen zu begünstigenden Landkreise aufgrund der Bruttoinlandsproduktzahlen ermittelt werden. Denn dadurch würde das Problem nicht beseitigt, daß erstens Betriebe prosperierender Branchen, die innerhalb solcher Begünstigungsräume liegen, automatisch in den Genuß solcher Abschreibungsvergünstigungen gelangten, und zweitens, daß Betriebe in angrenzenden Landkreisen, die solche Präferenzen nicht erhalten, unter einer erheblichen Wettbewerbsbeeinträchtigung zu leiden haben würden. Ich halte es deshalb nach wie vor für besser, mit selektiven Maßnahmen gegen die strukturellen Schwächen vorzugehen, die letztlich Ursache für die besondere Konjunkturempfindlichkeit bestimmter Räume sind. Anlage 6 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Arndt vom 24. April 1968 auf die Zusatzfrage des Abgeordneten Fritsch (Deggendorf) zu der Mündlichen Anfrage des Abgeordneten Zebisch **) In der Fragestunde der 161. Sitzung des Deutschen Bundestages hatten Sie gefragt, ob ich bei den zu treffenden Maßnahmen zur Förderung der strukturschwachen Gebiete auch berücksichtigen würde, daß kürzlich der bayerische Staatsminister für Wirt- *) Siehe 161. Sitzung Seite 8427 C **) Siehe 161. Sitzung Seite 8427 D 9054 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 30. April 1968 I schaft und Verkehr dem Bayerischen Landtag erklärt hat, „die Bemühungen um die Ansiedlung von Betrieben in strukturschwachen Gebieten seien zunehmend rezessiv, so daß es fortlaufend schwieriger werde, Betriebe in diesen strukturschwachen Gebieten anzusiedeln." Ich hatte Ihnen Prüfung und eine schriftliche Antwort zugesagt. Erfreulicherweise beobachten wir gegenwärtig wieder ein zunehmendes Interesse für Betriebsansiedlungen in den Bundesfördergebieten. Der konjunkturell bedingte Rückschlag scheint endgültig auch in dieser Beziehung überwunden, so daß wir künftig mit stärkeren Ansiedlungserfolgen rechnen dürfen als in den letzten 2 Jahren. Dazu werden auch die in ihrer Wirksamkeit verbesserten Hilfen des Regionalen Förderungsprogramms beitragen, über die ich in der Fragestunde bereits ausführlich gesprochen habe. Anlage 7 Schriftliche Antwort des Bundesministers Dr. h. c. Strauß vom 5. April 1968 auf die Mündlichen Anfragen des Abgeordneten Richarts (Drucksache zu V/2793 Fragen 115 und 116): Ist die Bundesregierung bereit, sich bei den zuständigen amerikanischen Dienststellen dafür zu verwenden, daß Leitungen für Flugbenzin so gesichert werden, damit naheliegende Flüsse mit Flugbenzin nicht verunreinigt und dadurch mit viel Muhe und Aufwand aufgebaute Fischbestände auf große Strecken total vernichtet werden, wie es am 29. März 1968 auf dem NATO-Flughafen Bitburg geschehen ist, wo 120 000 Liter Flugbenzin das Flüßchen Kyll verunreinigt haben? Wird die Bundesregierung für eine ausreichende Entschädigung der Fischereipächter an der Kyll Sorge tragen? Zu 1.: Ich bin gern bereit, bei den amerikanischen Streitkräften Vorstellungen im Sinne Ihrer Anregungen zu erheben. Nach Art. 53 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut sind die ausländischen Stationierungsstreitkräfte verpflichtet, ihren militärischen Anlagen mindestens diejenige Sicherheit zu geben, wie sie deutschen Vorschriften entspricht. Zu 2.: Wie mir das Finanzministerium des Landes Rheinland-Pfalz telefonisch mitgeteilt hat, haben die zuständigen Landesbehörden die Bearbeitung der entstandenen Schäden bereits in Angriff genommen. Wenn sich ergibt, daß berechtigte Ansprüche gegen die amerikanischen Streitkräfte bestehen — was nach deutschem Recht zu beurteilen ist —, so werden solche Ansprüche abgegolten werden, auch ohne daß die Bundesregierung deswegen besondere Sorge zu tragen hätte. Ich werde jedoch auf eine zügige Prüfung von Ansprüchen mein Augenmerk richten.
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    Rede von Dr. Rainer Barzel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wäre dies eine normale parlamentarische Beratung und hätte uns nicht ein besonderes Ereignis auf Antrag der Opposition zusammengeführt, — es wäre jetzt sicher für den ersten Sprecher der CDU/CSU mancher Anlaß, auf das Geplänkel zurückzukommen, das hier hinsichtlich der Ereignisse von 1966 war; auch vielleicht die Frage zu stellen, ob die Hinweise auf Neuwahlen historisch oder konkret oder theoretisch waren; und vielleicht auch manche andere Frage hier aufzunehmen, z. B. den Beitrag zur Parlamentsreform, den der Kollege Schmidt durch ein sehr deutliches Wort hier geleistet hat. Meine Damen und Herren, ich will auf dies alles verzichten. Denn ein ernster Anlaß führt uns zusammen.
    Die Freien Demokraten haben mit unserer Unterstützung diese Sitzung herbeigeführt, mit unserer Unterstützung, weil wir ihnen einmal gesagt haben — und wir pflegen das zu halten —: An der geringen Zahl der Opposition soll die Chance für die Qualität der Opposition nicht leiden. Ich hatte



    Dr. Barzel
    gehofft, Herr Scheel, heute mit einem Kompliment an die Opposition beginnen zu können. Ich kann es leider nicht machen. Parlamentarische Spannung zu erzeugen ist nicht gelungen. Wie schade, meine Damen und Herren! Ein Parlament — das ist das erste; dieses Parlament wird auch kritisiert — kann nicht lebendiger, kann nicht besser, kann nicht kontroverser sein, als die Opposition dies herein-
    trägt.

    (Beifall in der Mitte.)

    Schade!
    Und nun gleich zur Sache, auch mit dem Blick auf die Uhr. Zunächst einige Vorbemerkungen. In der heutigen Presse ist zu lesen, daß viele im Ausland wegen des Wahlausgangs in Baden-Württemberg besorgt seien. Herr Kollege Schmidt hat dazu ein paar Worte gesagt, die sich mit dem Inneren beschäftigen. Ich möchte zu diesen kritischen Stimmen ein Wort nach draußen sagen. Ich meine, hier braucht keiner von draußen mit kritischen Fingern auf uns zu zeigen. Dies ist unsere Sorge, die wir als eine Sorge empfinden, und mit ihr werden wir als deutsche Demokraten um so leichter fertig werden, als man uns von draußen einräumt, daß das, was jetzt hier gewachsen ist, sich auch als Demokratie sehen lassen kann, und als man sieht, daß wir selbst dies als ein Problem begreifen, mit dem wir fertigwerden müssen.

    (Beifall in der Mitte.)

    Meine Damen und Herren, wer auf Grund dieses Wahlergebnisses draußen in der Welt etwa glauben sollte, „die Deutschen" nun erneut mit heimlichen Stempeln wegen einer endgültig gewesenen Vergangenheit belegen zu sollen, fällt uns in den Arm,

    (Beifall in der Mitte)

    leistet denen Vorschub, die da rechtsaußen stürmen. Ich meine, wer sich etwa aus Moskauer Richtung zu dieser Sache äußert, sollte sich einmal überlegen, welchen Beitrag er dadurch geleistet hat, daß er diesem Volk zumutet, als Nation verstümmelt zu leben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD.)

    Die zweite Vorbemerkung. Wir empfinden — und ich glaube, hier empfinden wir gleich; das begrüße ich —, daß dieser Deutsche Bundestag herausgefordert ist. Er ist herausgefordert von prinzipiellen Gegnern, von Kritikern, auch von Zweiflern. Es wird behauptet, wir erfüllten unsere Pflicht nicht, wir arbeiteten zu langwierig, wir verschleierten die Konflikte und die Spannungen, wir seien beherrscht von Interessen, wir wichen dem Gespräch aus. Meine Damen und Herren, es wäre zu billig, einfach zu dementieren und zu sagen: dies ist nicht so. Wir müssen vielmehr durch unsere Arbeit und nicht nur einfach verbal dartun, daß dieses Parlament seinen Rang nicht nur theoretisch begreift, sondern ihm auch praktisch gerecht wird.
    Ich meine, bevor wir uns an andere wenden und hier anderes zur Sprache bringen — gar auch kritisch, wie dies meine Vorredner schon getan haben —, müssen wir auch Fragen an uns selbst richten. Wir müssen uns z. B. fragen, ob sich das
    Bild, das wir uns hier von unserer Arbeit und von unserer Politik machen, mit dem Eindruck, den andere von unserer Arbeit und unserer Politik gewinnen, deckt. Wenn immer wieder zu hören ist, daß das nicht der Fall ist, müssen wir uns fragen, ob wir etwa in der Mühsal des demokratischen Prozesses oder in der Kleinarbeit des Tages den großen Blick verloren haben oder ob wir nur versäumt haben, uns besser zu erklären und uns besser ins Bild zu setzen.
    Ich sage dies, meine Damen und Herren, weil ich glaube, daß es heute nicht genügt, auf die Demonstrationen draußen im Lande etwa mit einer Demonstration des Parlaments zu antworten. Dies wäre zuwenig. Es würde auch nicht genügen — und ich bin froh, daß die Bundesregierung sich nicht darauf beschränkt hat, das zu tun —, etwa die administrativen Maßnahmen der Ostertage zu erörtern und zu billigen. Es geht hier nicht nur um das, was auf den Straßen war, nicht nur um Polizei. Es geht um eine Herausforderung der Politik, die wir annehmen sollten.

    (Beifall in der Mitte.)

    Es geht um Fragen, die wir zu beantworten haben. Das geht nur bei völliger Offenheit und bei Unterscheidung; das letztere habe ich vor allem bei Herrn Scheel vermißt.
    Meine Damen und Herren, wir haben oft gesagt, wir müßten nicht nur Fragen aufnehmen, die hier im Hause gestellt sind, sondern auch solche, die draußen im Lande gestellt sind. Ich meine, wir müßten hier hinzufügen: es kommt bei solchen Fragen auf die Qualität der Fragen an, nicht auf die Macht oder die Zahl, die hinter den Fragestellern steht.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir von der Union glauben, daß dieser Bundestag nicht nur handelt, wenn er Gesetze beschließt und einen Kanzler wählt, sondern auch, wenn er versucht, das rechte Wort in rechter Weise zu sagen und zur Unterscheidung draußen im Lande beizutragen. Das ist es, was von diesem Tage ausgehen sollte.
    Nun eine dritte Bemerkung, meine Damen und Herren. Wir freuen uns, daß die Bundesratsbank heute, ich kann nicht sagen: nicht leer ist, sondern daß sie so glanzvoll voll besetzt ist. Das ist sehr selten. Wir freuen uns darüber.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Denn, meine Damen und Herren, Kompetenzen hin, Kompetenzene her — hier sind die vom deutschen Volk in geheimer Wahl gewählten Abgeordneten, hier ist das deutsche Volk präsent, und hier ist Gelegenheit für jedermann, welche Kompetenz immer er haben sollte, darzutun, warum dies so und nicht anders ist; hier ist Gelegenheit auf die Fragen junger Menschen zu antworten, warum wir noch nicht weiter sind mit den Fragen, die sie vor allem an der Universität bedrücken.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Bürger draußen im Lande, die unruhigen wie die ruhigen, nennen das Ganze „Bonn". Wir wollen — nehmen Sie uns das bitte ab, meine Damen und Herren von der Bundesratsbank — uns nicht nur im



    Dr. Barzel
    Fernsehen und in Wahlkämpfen und in Debatten mit dem SDS hinstellen, als Bundespolitiker über Unruhen diskutieren und dann sagen müssen: Zur Sache können wir euch leider nichts sagen; denn wenn wir uns nur dazu äußern, empfindet das mancher, der die Kompetenz hat, schon als einen verfassungspolitischen Verstoß.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Lassen Sie mich das bitte ganz ernsthaft sagen: das föderative System — wir sind es leid, hier nur zu deklamieren und eine Sache zu verteidigen, in der wir nicht einwirken können — wird sich in dem Maße bewähren, in dem die Kooperation zwischen Bund und Ländern zunimmt,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    wird sich, meine Damen und Herren, durch Kooperation bewähren — ich rede nicht von Kompetenzen, ich rede von Zusammenarbeit und von Politik —, wird sich in dem Maße bewähren, wie die praktische Kompetenzverteilung das Notwendige nicht hemmt, sondern fördert.
    Das Vierte, meine Damen und Herren, was ich in diesem ersten Kapitel zu sagen habe, kann ich sehr kurz machen nach dem ausgezeichneten Bericht des Herrn Bundesministers des Innern und nachdem auch die anderen Sprecher hier unterschieden haben. Wir legen Wert darauf, festzustellen, daß wir es zugleich zu tun haben mit Radikalen, die einen Umsturz wollen, und mit einer großen Zahl aus verschiedenen Gründen besorgter Mitbürger. Wir würden uns aber etwas vormachen, wenn wir nicht das Ausmaß und die Breite und die Tiefe der Probleme uns völlig klar vor Augen führten.
    Ich möchte deshalb mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten zwei Sätze zitieren aus einem Brief, der uns erreicht hat, ich muß das vorher sagen: nicht vom SDS, sondern vom Bund der Deutschen Katholischen Jugend. Es heißt darin:
    Den jungen Menschen fehlen weitgehend die Möglichkeiten, sich im Rahmen ihrer Fähigkeiten an der Mitgestaltung von Gesellschaft, Staat und Kirche zu beteiligen. Viele sehen in dem gegenwärtigen Gesellschaftssystem überhaupt keinen Ansatz mehr, mit den herkömmlichen Mitteln etwas zu erreichen. Sie wollen deshalb die Revolution.
    Soweit das Zitat. Meine Damen und Herren, ich teile
    diese Meinung nicht, und ich denke, keiner in diesem Hause teilt sie. Unsere Gesellschaft ist offen für
    Neues und Neue. Hier ist die Möglichkeit nicht nur zum Sprechen, sondern zum Andersmachen wirklich da. Aber diese Meinung ist geäußert, und auch wenn sie falsch ist, müssen wir sie ernst nehmen und versuchen — nicht durch Phrasen oder verbal, sondern durch Taten, und diese erste Sitzung soll eine solche sein —, eine Antwort darauf zu geben. Das ist Sache des Parlaments, und es ist nicht etwa nur die Exekutive angesprochen.
    Auf der anderen Seite müssen die jungen Menschen sehen, daß wir Tage brauchen werden, nicht heute, aber in den nächsten Wochen viele Tage brauchen werden, um all die Fragen, die sie aufwerfen, zu beantworten. Wir haben natürlich auch noch etwas anderes zu tun, nämlich unsere Alltagsarbeit zu erledigen. Mit Recht hat Helmut Schmidt hier soeben von der großen Majorität unserer Arbeiterschaft gesprochen. Aber meine Fraktion wird — das möchte ich hier erklären — die parlamentarische Gelegenheit zur Diskussion solcher Fragen herbeiführen. Ich hoffe, meine Damen und Herren — ich darf das für uns sagen, Herr Schmidt, und auch für Herrn Mischnick —, daß wir auch einmal zu Debatten kommen, wo wir nicht als Fraktionsvorsitzende jeder eine Stunde versuchen müssen — ich darf es so sagen —, den ganzen Garten zu bestellen, sondern wo wir einmal andere Kollegen bitten, fünf oder zehn Minuten hier ihre Meinung zu sagen. Das wäre doch ein praktischer Beitrag, auch zur Parlamentsreform.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, mit großem Recht hat — um noch eine andere Stimme zu zitieren — die Arbeitsgemeinschaft der evangelischen Jugend in Deutschland uns geschrieben. Ich lese es hier vor, falls jemand noch glauben sollte — hier oder draußen —, das Problem, das wir erörtern, gehe nicht sehr tief. Die Arbeitsgemeinschaft der evangelischen Jugend hat geschrieben:
    Gewalt und Gewaltandrohung in der politischen Auseinandersetzung müssen entschieden verurteilt und vermieden werden. Sie verhärten die Fronten und schaffen nicht die Basis für einen freimütigen und sachhaltigen Dialog über notwendige Reformen in Staat und Gesellschaft. Die junge Generation zeigt mit ihrem Protest ein waches Bewußtsein für ihren Anteil an der Verantwortung für die gemeinsame Zukunft. Sie ist von der revolutionierenden Kraft der Freiheit überzeugt. Es wäre gefährlich, wenn ihre Bereitschaft zum Engagement durch unduldsame Reglementierung, politischen Immobilismus und autoritäre Wahrung von Ordnung und bestehenden Machtverhältnissen zunichte gemacht würde. Die Arbeitsgemeinschaft der evangelischen Jugend Deutschlands appelliert daher an den Bundestag, nicht bloß die Symptome der Proteste aus der jungen Generation anzuprangern, sondern eindringlich und mit dem Willen zur Veränderung nach den Ursachen zu fragen.
    So wollen wir es hier halten, soweit diese erste parlamentarische Station, der weitere folgen werden, das schon ermöglicht.
    Meine Damen und Herren, Herr Schmidt und auch Herr Scheel haben von Erfahrungen bei der Diskussion draußen im Lande gesprochen. Ich glaube, wir haben sie alle. Wer sich der freien Diskussion stellt, wird nicht nur feststellen, daß es junge Menschen gibt, die Unruhe haben und Veränderungen wollen, sondern er wird auch feststellen, daß junge Menschen die Frage aufstellen, ob nicht von der Politik auch mehr geistige Führung ausgehen könne. Beide Fragen werden gestellt. Wer die Ohren offen hat, spürt außerdem eine Sorge um unseren Staat. Jeder spürt die Sorge um den Staat.
    Es gibt zwei Strömungen, meine Damen und Herren, die gegensätzlich sind. Das ist aus meiner Sicht nicht ungefährlich. Da gibt es einmal die Strömung der Unruhe: Unruhe von Intellektuellen



    Dr. Barzel
    und von jungen Menschen, aber auch von Bergarbeitern und von Bauern und von älteren Angestellten und von Mittelständlern und vielen anderen. Es gibt auch Unruhe wegen der mangelnden Fortschritte in der deutschen Einheit, wegen der Lage in der Bildungspolitik, wegen der Lage Europas und aus vielen Gründen mehr.
    Aber zum anderen gibt es unverkennbar das Bedürfnis nach Ruhe im Volk, nicht nur nach Ordnung, sondern auch nach Ausruhen. Es besteht das Gefühl: Nun haben wir wieder aufgebaut, es ist alles ganz schön, nun laßt uns einen Zaun drum machen und die Sonne hereinscheinen und endlich einmal Pause machen von all den Strapazen. Dieses Gefühl ist doch auch vorhanden, meine Damen und Herren.
    Ich weiß nicht, was diesem oder jenem sympathischer ist. Ich weiß nur, daß unserem Volk aus objektiven Gründen diese Pause nicht erlaubt ist. Denn wir sind herausgefordert, mindestens wirtschaftlich, eine neue Anstrengung durch Leistung zu machen, um morgen ein modernes Land bleiben zu können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Dies ist die Zeit des Umbruchs. Wir stellen uns entweder darauf ein, und es wird morgen gutgehen;
    oder wir versagen uns. Das letztere ist nicht die
    Politik der Union. Darum sollten wir, die nicht mehr
    20jährigen, die Strapazierten der Wiederaufbauphase, alle, so meine ich, heute den Mut haben, zu
    sagen, daß all das, was wir erreicht haben, so stolz
    viele darauf sind, nur die Basis für den Fortschritt
    in eine noch bessere Wirklichkeit ist. So sollten wir
    es begreifen und nicht meinen, wir könnten uns
    hier in der besten aller möglichen Welten ausruhen.
    Das Zweite, was diese Gegensätzlichkeit von Ruhe und Unruhe aus meiner Sicht problematisch, ja, gefährlich macht, ist die Tatsache, daß radikale Verführer manchen Mißstand, den es auch bei uns gibt — ich will hier nicht wiederholen, was andere gesagt haben —, mißbrauchen. Die von rechts außen mißbrauchen das Bedürfnis vieler Bürger nach Ordnung. Sie mißbrauchen die Sorge manches durch Berufs- oder Strukturveränderung Betroffenen. Sie mißbrauchen das nationale Gefühl. Die von links außen mißbrauchen den Reformeifer, den Fortschrittsdrang, die überfällige Universitätsreform und manchen Mangel unserer Gesellschaft. Einig sind sich beide in diesem Mißbrauch von Mißständen. Sie sind sich aber auch einig darin, daß sie darauf verzichten, uns zu sagen, wie es denn besser werden sollte. Konkret werden diese Herrschaften leider nie.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich meine, daß das eben die Landschaft ist, in der Demagogen gedeihen. Nur Betrüger können ein Paradies auf Erden versprechen. Nur wer einen Blick für die Wirklichkeit hat, weiß, daß jede Idee zu ihrer Verwirklichung ihre Zeit braucht. „Stein auf Stein setzen", hat Helmut Schmidt gesagt. Ich meine, wir sollten das wiederholen, was wir in der Debatte über die Lage der Nation gesagt haben, und sollten es hier noch deutlicher machen: wenn wir Stein auf Stein in diesem grauen Alltag der Parlamentsarbeit setzen, der doch wegen der demokratischen Kontrolle notwendig ist, dann arbeiten wir nicht für uns, sondern an großen Reformen. Wir sollten diese Perspektiven, glaube ich, etwas deutlicher machen.
    Zu den Vorkommnissen um Ostern möchte ich als Erstes dieses sagen, und das ist für eine Fraktion eine fundamentale Aussage, eine Aussage, die uns bei all der Einzelbeurteilung der Einzelheiten leitet: Es ist nicht unsere Absicht, mit administrativen Mitteln Ruhe zu erzwingen, gar noch für uns selber. Auf diese Weise kann und muß für unser Volk nur die Gesetzmäßigkeit garantiert werden. Dies zu unterscheiden, scheint uns wichtig; denn wir glauben, Demokratie braucht ebenso schöpferische Unruhe, Diskussion und Kritik wie Gesetzmäßigkeit. In der Gesetzmäßigkeit ist der Fortschritt auf eine demokratische Weise möglich.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das Zweite! Unser freiheitlicher Rechtsstaat ist offen für Neues. Hier kann man vieles verbessern, und hier ist vieles zu verbessern. Wir wollen Evolution; aber Revolution werden wir zu verhindern wissen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das Dritte! Ich kann das ganz kurz machen, weil es eben schon gesagt worden ist. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es mehr Freiheit, mehr soziale Sicherheit und mehr Chancengleichheit, mehr Aufstiegsmöglichkeiten, als es sie jemals in unserem Lande gegeben hat. Das führt mich dazu, zu sagen: in diesem Land ist nicht nur vieles zu ändern, sondern hier ist auch vieles zu verteidigen, zu bewahren und zu erhalten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir werden uns diesen freiheitlichen Rechtsstaat weder von innen, noch von außen zerstören lassen. Wir legen Wert darauf, festzustellen, daß wir dabei sind, die Weichen so zu stellen, daß wir ein modernes Land bleiben können.
    Mein Damen und Herren! Wir wollen im Anschluß an den Bericht des Herrn Bundesministers des Innern, für den wir danken, weil er konkret war und die Zusammenschau hatte, doch noch an eines erinnern: Auf Grund eines Verbrechens, nämlich auf Grund des Mordversuches von Bachmann an Dutschke, gab es eine spontane Erregung in unserem Volk, eine Erregung, die hoffentlich auch jeden von uns erfaßt hat und noch erfaßt hält. Auf Grund dieser spontanen Erregung gab es dann Demonstrationen. Das ist verständlich, und das ist gut. Denn das war ein urtümliches Aufbegehren: Mord soll in Deutschland nicht sein, gar noch in der politischen Auseinandersetzung.
    Aber dann kam etwas anderes. Es kamen dann Drahtzieher, die nach lange vorbereiteten Plänen — z. B. in Beschlüssen des SDS von Frankfurt vom September — beschlossen haben, etwas ganz anderes zu machen: es kam zum Mißbrauch der Spontaneität. Infolgedessen kam das, was die Innenminister der Länder in ihrer Stellungnahme „organisierte Gewalthandlungen" und „organisierten Rechtsbruch" genannt haben. Wir tun gut daran, diesen Unterschied



    Dr. Barzel
    festzuhalten: das Spontane der Demonstration, das Mitgefühl und die Ablehnung eines Mordes einerseits und dann andererseits den Mißbrauch dessen durch eine Gruppe, die hier Umsturz will. Deshalb muß man die Unterscheidung hier noch weiter fortsetzen. Es gibt also nicht nur Kritik, und es gibt nicht nur eine außerparlamentarische Opposition, sondern es gibt in diesem Lande eine antidemokratische Aktion.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Nur wer dies alles sieht, wird ein klares Bild haben. Deshalb darf man hier nicht verallgemeinern. Das ist alles zurückgewiesen. Ich meine, man muß auch die Unterscheidungen innerhalb der Studenten, auch innerhalb derer, die nur wieder Kritik wollen, völlig klarmachen.
    Ich kann das kurz machen, aber ich möchte ein Zitat verlesen, weil ich glaube, daß ein Mann, der sicherlich nicht zu unseren Freunden der Union gehört, etwas Kluges geschrieben hat. Golo Mann hat in diesen Tagen zu den Krawallen geschrieben:
    Mein Resümee? Nach ihrer Osteroffensive sollten die Studenten ein „Halt, das Ganze sammeln" ausrufen. Sie sollten solche Anführer loswerden, die in Deutschland Vietnam oder Bolivien spielen wollen. Das geht hier nicht. Dazu fehlen die Grundbedingungen. Sie sollten sich zur Politik entschließen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Dazu sind wir offen. In unseren Parteien ist Platz für Bessere und Begabtere als wir. Wir sind offen für bessere Ideen. Wir haben nur keinen Platz für Gewalt und keinen Platz für Intoleranz. Das sind die beiden Grenzen, die wir ziehen müssen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir würden, glaube ich, unsere Pflicht versäumen. wenn unsere Debatte an dieser Stelle etwa enden würde. Denn wir müssen doch dazu beitragen — mit dem Blick auch auf die nächsten Tage —, daß aus Demonstrationen wieder Gespräche werden, daß Unruhe durch Argumente und durch bessere Vorschläge geäußert wird und nicht durch Krawall und Gewalt. Wir legen deshalb Wert darauf, einige Punkte hier anzusprechen, immer um zu unterscheiden, weil wir sonst nicht weiterkommen.
    Das Erste ist dies: Die Leute, die da Krawalle machen, die Partisanen der Revolution, wenn ich so sagen darf, können sich auf Martin Luther King nicht berufen. King lehrte Gewaltlosigkeit. Die Anführer der Krawalle bei uns schließen Gewalt nicht 'aus. Sie, diese Krawallmacher — nicht wir --, haben die Polizei auf den Platz gerufen. Auch diese Ursache darf man nicht vergessen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Ich möchte ein Zitat von Martin Luther King hier in die Debatte einführen. Er sagt und schreibt:
    Als ich im Bürgerrechtskampf mit verzweifelten, verbitterten, ausgestoßenen jungen Menschen marschierte, sagte ich ihnen, daß Molotow-Cocktails und Gewehre ihre Probleme nicht lösen können. Ich sagte ihnen, daß gesellschaftliche Veränderungen am sinnvollsten durch gewaltloses Handeln vollbracht werden.
    So weit Martin Luther King. Es verbietet der Takt, jetzt Zitate von der anderen Seite hier vorzulesen; Sie verstehen, warum.
    Zweitens. Wir sind hier in Deutschland, nicht in Nordamerika, nicht in Südamerika und auch nicht in Vietnam. Leute, die für sich und für andere ein kritisches Bewußtsein fordern, sollten nicht unreflektiert, geradezu blind, eine Gesellschaftskritik übernehmen, die ja woanders vielleicht stimmen mag. Sie sollten analysieren, was hier ist, und gestützt darauf ihre Forderungen erheben. Hier ist ein sozialer Rechtsstaat. Er ist nicht fertig. Aber wir sind froh, daß uns so viel in so kurzer Zeit gelang.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Hier gibt es kein Rassenproblem. Hier gibt es keine Favellas. Wir führen keinen Krieg. Wir sind hier in Deutschland, und worunter wir vorwiegend leiden, das ist Marxismus in einem Teil unseres Vaterlandes, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Dies ist der Ausgangspunkt für die Betrachtung der Probleme.

    (Zurufe von der SPD: Das hat doch mit Karl Marx nichts zu tun! — Entarteter Marxismus!)

    — Meine Damen und Herren, Sie führen aus, das drüben sei ein entarteter Marxismus.

    (Erneuter Zuruf von der SPD.)

    Ich will dem gar nicht widersprechen, weil ich hier jetzt keine Marxismus-Debatte haben will; ich komme auf den Neo-Marxismus nachher. Es lohnt sich nicht, Herr Lohmar? Ich glaube, in diesem Punkt stimmen wir beide überein; es ist ein bißchen zu alt, ein bißchen zu viel voriges Jahrhundert. Ich danke Ihnen herzlich, meine Damen und Herren.
    Ich möchte hier in diesem Zusammenhang noch einen anderen Punkt anführen. Wir teilen — und wer mit jungen Menschen spricht, spürt dies sehr häufig als eine Ursache — die Besorgnis, daß vieles in der Welt nicht stimmt, weil jährlich 25 Millionen Menschen verhungern. Da stimmt vieles in der Welt nicht. Wir wissen, daß dies die Tatsache ist, die den einen oder anderen dazu treibt, weil die Schere zwischen den entwickelten Industriegesellschaften und den anderen immer größer wird, nun auf dem internationalen Feld erneut den Klassenkampf wieder zu erkennen, die Notwendigkeit der Gewalt zu bejahen. Das treibt dann manchen dazu, Ho-Ho Ho Tschi Minh zu rufen oder unter der VietkongFlagge herzulaufen. Wir werden diese Frage hier in diesem Bundestag sorgfältig zu analysieren und zu diskutieren haben. Es genügt ja nicht, daß wir sagen: Seht her, was wir für prima Kerle sind, wir haben in diesem Jahr der Sparmaßnahmen unseren Entwicklungshaushalt erhöht! Hier muß gesprochen werden über weltpolitische Bedingungen, darüber gesprochen werden, daß auch international Schießen keinen satt macht

    (Beifall bei den Regierungsparteien)




    Dr. Barzel
    und daß eben derjenige, der für den inneren Kampf Gewalt als möglich betrachtet, dies dann auch im äußeren für möglich hält. Wer im Atomzeitalter irgendwo der Gewalt das Wort redet, ist eben gemeingefährlich. Das muß man wohl so aussprechen.
    Ein dritter Punkt, den ich gern abhandeln würde — ich kann ihn nur kurz andeuten —, ist die Frage, ob die Kommunikation, der Austausch zwischen Geist und Politik bei uns in Deutschland voll in Ordnung ist. Meine Damen und Herren, hier ist nicht alles in Ordnung. Und dies ist, wenn man die Geschichte der deutschen Philosophie und auch der Literatur nachsieht, ein nicht neues Problem unseres Landes, und wir sind damit nicht ganz fertig, sagen wir es ehrlich. Das liegt an zwei Seiten. Ich kann nur versuchen, es ganz verkürzt darzustellen.
    Wir hier, die Politiker, müssen handeln, wir müssen eine mehrheitsfähige Formel finden, wir müssen entscheiden. Der Intellektuelle sagt eigentlich viel lieber „zwar" und „aber", ihm ist der Zweifel sehr viel näher als das Ja einer Handlung; wenn er unentschlossen ist, ist ihm die Minderheit sympathischer als 'die Mehrheit, und er nimmt sich Zeit. Wir haben nicht immer die Zeit, wir müssen handeln, und so entstehen Mißverständnisse.
    Aber, meine Damen und Herren, ich habe eine Bitte an beide Seiten, zuerst einmal an uns. Vielleicht machen wir nicht immer deutlich genug, warum, gestützt auf welche Informationen, wozu, zu welchen Zwecken, mit welchen Argumenten wir für oder gegen eine Sache sind. Warum machen wir nicht deutlich, daß wir auch wissen, daß vielleicht der andere, der anders votiert, auch ein Argumentchen haben könnte? Meine Bitte andiejenigen, die den Anspruch erheben, den Geist in Deutschland zu repräsentieren — es gibt ja auch da kein Monopol, meine Damen und Herren, es gibt sicher auch in diesen Bänken manchen, der dazugehört —: sich nicht aus zu grobschlächtiger Information und aus zu kurzatmiger Lektüre ein zu apodiktisches Urteil zu bilden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das ist nämlich unter dem Niveau, mit dem sie sonst zu 'arbeiten pflegen. Wir wären so dankbar, wenn wir gelegentlich auch von dieser Seite vorher etwas hören würden; denn hinterher sind immer alle klüger gewesen, meine Damen und meine Herren.
    Ich will einen vierten Punkt übergehen, der den Zeitgeist betrifft. Ich kann ,es nicht ausführen, weil ich gehalten bin, auf die Uhr zu sehen.
    Ein Fünftes, meine Damen und Herren. Unser Land braucht Reformen und hier — wie schon vorher dargetan worden ist — nicht Reformen von nebulosen, sondern ganz konkreten Dingen. Deshalb nenne ich hier einige Reformen, auch an die Adresse der Opposition. Dabei sind ein paar Punkte, die wir mit Ihnen nicht haben schaffen können. Meine Damen und Herren, ich nenne eine Reform wie die Mehrwertsteuer, eine Sache von enormer reformerischer Wirkung. Ich nenne eine Sache wie unser wirtschafts- und finanzpolitisches Instrumentarium, das modernste der Welt. Da kann man
    natürlich nicht mit Phrasen ankommen, sondern da muß man über Paragraph zwölf Absatz drei sprechen und vielleicht einen Änderungsvorschlag machen. Das ist dann parlamentarische Arbeit und politische Verantwortung. Ich nenne die mittelfristige Finanzplanung, ich nenne das Parteiengesetz, ich nenne unser Kohlegesetz. Ich erinnere daran — den Herrn Bundeskanzler wird das freuen und beruhigen —, daß wir die Absicht haben, in den nächsten Wochen in den schwierigen Fragen der Verkehrsgesetzgebung eine sachliche Einigung herbeizuführen. Wir werden in der nächsten Woche die erste Lesung der Finanzverfassungsreform haben, eine Sache von weittragender Bedeutung für unser Land.
    Es kann uns also keiner kommen und sagen, wir seien da nicht tätig. Vielleicht wollen andere etwas anderes oder nach dem Motto — ich glaube, Herr Ertl hat es soeben gesagt —: Unmögliches machen wir sofort, Wunder dauern etwas länger. Meine Damen und Herren, das Parlament ist weder für Unmögliches noch für Wunder kompetent. Das muß jeder sehen. Wir drängen seit langem — und wir werden ja von den Herren aus den Ländern etwas hören — auf die Universitäts- und die Studienreform. Wir sind dabei, das Strafrecht zu reformieren, das Prozeßrecht neu zu ordnen. Wir sind in allen Fraktionen dabei — wahrscheinlich gesondert, weil hier eine Übereinstimmung nicht so schnell zu erzielen ist, und warum soll auch alles ein Eintopf sein? —, auf dem Gebiet „Eigentum für jeden" neue Vorschläge zu machen. Hier ist eine reformerische Arbeit. Man muß sich nur die Mühe machen, hinzusehen und zuzuhören, und wir müssen uns die Mühe machen, besser zu argumentieren.
    Ich möchte einen anderen Punkt anschneiden. Ich glaube, daß wir in einer Beziehung sogar einen Dank an junge Menschen sagen können. Ich finde, "to face the facts" ist die erste Parole eines Parlaments, auch in der Politik: die Wirklichkeit sehen und aussprechen. Wir werden, wie ich schon sagte, eine breite Debatte über weltpolitische Zusammenhänge herbeiführen, in der Dinge wie Griechenland, Vietnam, Entwicklungshilfe und andere ihren Platz haben. Und vielleicht ist es auch notwendig, erneut das Ziel und die Grenzen unserer Ostpolitik deutlich zu machen. Aber ich möchte hier auf folgenden Punkt hinaus. Nicht nur, daß junge Menschen uns freier machen, weil sie nichts so sehr ärgert wie Mangel an Engagement und wir die Chance haben, mit engagiertem Ja oder Nein eine große Zustimmung zu finden; auch das ist eine veränderte Landschaft, für die wir dankbar sein sollten. Ich möchte noch etwas anderes sagen: Wenn junge Menschen mit Plakaten zu Vietnam, Griechenland und anderen Fragen herumlaufen — mit Parolen, denen ich nicht folgen kann, weil sie mir zu unreflektiert sind —, so machen sie uns doch alle in einem ein Stück freier; sie sind nämlich unbekümmerter als 'wir alle hier, die wir doch wegen der Vergangenheit manchmal Hemmungen haben, uns gar zu pointiert zu der einen oder anderen Frage zu äußern. Wir haben dadurch einen größeren Spielraum bekommen, und ich glaube, das sollte man hier einmal anerkennen.



    Dr. Barzel
    Daß diese Generation ein anderes Bewußtsein hat, als wir es hatten, haben wir in der Debatte über die Lage der Nation gesagt. Ich will auch nicht dartun, daß in der Sowjetunion und in anderen Bereichen dasselbe Problem vorhanden ist. Aber, meine Damen und Herren, ich möchte uns hier doch eines ins Stammbuch schreiben: Ich glaube, es hat niemals zuvor in Europa eine Situation gegeben wie diese, in der junge Franzosen Deutschland kennen; junge Deutsche da sind, die nicht mehr auf andere Europäer geschossen haben; junge Engländer, die die Insel nicht mehr als eine Hemmung gegenüber dem Kontinent empfinden; in der junge Russen gern Kontakt mit westlicher Literatur und Musik haben wollen. Es gab nie eine Situation, in der junge Menschen sich so gut in Europa und seinen Sprachen auskannten, in der junge Menschen weitgehend das gleiche Bedürfnis, den gleichen Geschmack in Literatur, Mode, Musik usw. hatten. Meine Damen und Herren, das ist eine Chance!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Entweder gründen wir darauf einen neuen europäischen Akzent in der Politik, oder wir haben es eben nicht geschafft, die Chance zu nutzen, die diese Zeit uns anbietet.
    Meine Damen und Herren, ich möchte noch einen anderen Punkt anschneiden. Denn ich habe nun, glaube ich, genügend auch von einigen Dingen gesprochen, die wir uns selbst anrechnen müssen. Aber es wäre ganz falsch, den Blick nicht auch darauf zu wenden, daß Unruhe und Fragen von jungen Menschen nicht etwa nur in Versäumnissen oder in den Verhältnissen begründet sind, sondern hier gibt es — und das muß deutlich und hart ausgesprochen werden — eine Gruppe von Menschen, die bewußt den Umsturz will, und dazu muß ein deutliches Wort gesagt werden. Denn einer der Gründe der Unruhe ist eben nicht die Lage, sondern ist diese Gruppe, die die Unruhe erzeugt, wo sie nicht da ist, die sie fördert, wo sie da ist, oder die sie erneut bewirkt, wenn sie vorbeigehen sollte. Diese Gruppe, über die der Herr Bundesinnenminister und auch Herr Kollege Schmidt sich ganz klar geäußert haben — und ich kann wirklich nicht verstehen, daß sich Herr Scheel hier bemüht hat, einen völlig falschen Eindruck von der Rede des Herrn Bundesinnenministers zu vermitteln; er hat da offensichtlich nicht zugehört —, stört bewußt das, was an Gespräch zwischen den Generationen sein muß. Nehmen Sie ein Zitat aus einer Verlautbarung des SDS aus Frankfurt vom 13. April! Da hat der SDS gesagt:
    Die Herrschenden wollen die außerparlamentarische Opposition und besonders die Studenten zum nationalen Hauptfeind stempeln. Die Hetze gegen sie soll von den tatsächlichen politischen Problemen ablenken. Der systematische Aufbau eines inneren Feindes — früher der Juden, heute der Studenten — ist das Mittel der autoritären Politiker, ihre Ziele durchzusetzen.
    Das ist das, meine Damen und Herren, was hier die Landschaft verbiestert, was Gespräche nicht in Gang kommen läßt. Hier wird gehetzt! Dann wird zu einem Gespräch eingeladen, einer kommt, dann gibt
    es die von Herrn Schmidt trefflich beschriebene Geräuschkulisse, und hinterher behaupten dann die Leute, wir, die Verantwortlichen, seien nicht zum Gespräch bereit. Diese Gruppe, von der die anderen Sprecher hier Treffliches gesagt haben, muß allerdings als eine Gruppe bezeichnet werden, der es nicht um Kritik, nicht um Reform, sondern um Umsturz unserer Ordnung geht, und hier gilt noch einmal, was ich eingangs sagte: Evolution ja — Revolution nein!
    Über die Fragen des Pressewesens brauche ich, glaube ich, nichts mehr zu sagen, nachdem der Herr Bundesinnenminister das gut getan hat. Es geht hier ja nicht nur um die Verleger, sondern es geht um die Unabhängigkeit der Journalisten und um unsere Möglichkeit, uns objektiv zu informieren. Ich darf nur erklären, daß wir den Bericht, der erneut angekündigt ist, abwarten, daß wir mit eigenen Vorstellungen bereits beschäftigt sind und daß wir damit herauskommen werden, sobald es soweit ist.
    Ich möchte aber — deshalb habe ich das andere ein wenig schneller erledigt — noch ein Wort zur Bildungspolitik sagen. Ich möchte hier wirklich die Verantwortlichen in den Ländern bitten, die Gründe darzutun, aus denen sie für oder gegen diese oder jene Sache sind. Wir haben ja nicht die Kompetenz, wir haben auch nicht die 'Ämter, die uns das alles sagen können. Aber wir werden jeden Tag draußen gefragt: Wir wollen wissen, warum seid ihr hierfür, warum seid ihr dafür? Sie wollen auch wissen, wie weit die Länder zur Kooperation mit dem Bund bereit sind. Das ist wirklich ein berechtigtes Anliegen. Damit meinen wir z. B., daß man, bevor man über alle möglichen Dinge philosophiert, einfach das nehmen muß, was auf dem Tisch liegt. Auf dem Tisch liegen seit zwei Jahren die praktischen Vorschläge des Wissenschaftsrates über die Kürzung der Studienzeit, über mehr Seminarbetrieb an den Universitäten, über ein anderes Verhältnis der Assistenten, über größere Chancen für junge Forscher. Das alles liegt auf dem Tisch, das alles kann, glaube ich, erledigt werden, und zwar von denjenigen, die hier die Verantwortung haben. Ich weiß, daß diese wieder ihre Schwierigkeiten mit den akademischen Senaten haben; aber die Geschichte fragt uns doch nicht nach Senat und nach Kompetenzen, sondern danach, ob in diesem Lande geschieht, was notwendig ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich möchte unmißverständlich klarmachen, daß diese Fraktion nicht erneut in eine Lage zu kommen wünscht wie heute, wo sie auf diesem Gebiet nur deklamieren, fordern und bitten kann. Wir wünschen hier nun in eine Situation zu kommen, wo wir mit konkreten Argumenten oder mit konkreten Vorschlägen konfrontiert werden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir sind bereit, unsere Verantwortung daran zu tragen, und auch bereit, das einzustecken, was uns selbst betrifft. Aber hier vor dem deutschen Volk, in aller Öffentlichkeit muß dieses Gespräch geführt werden, das junge Menschen in diese Schwierigkeiten bringt. Denn es ist doch für keinen von uns
    Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 169, Sitzung. Bonn, Dienstag, den 30. April 1968 9025
    Dr. Barzel
    behaglich, zu sehen, daß Polizei auf den Straßen
    gegenüber jungen Menschen Ordnung schaffen muß.
    Ich habe eine spezielle Frage, nämlich die nach den Ingenieurschulen. Da die Frage aufgetaucht, ob es stimmt, daß die jungen Menschen, die jetzt dort arbeiten, im Jahre 1970 innerhalb der EWG diskriminiert sein werden, weil ihre Examina schlechter gewertet werden sollen als die aus Frankreich oder Belgien. Ich kann die Frage nicht beantworten. Aber sie wird uns gestellt, und wir wollen die Argumente für oder gegen kennen, und wir behalten uns vor, diese Frage, die eine wichtige Frage ist, auf die Tagesordnung des Bundestages zu bringen.
    Meine Damen und Herren, das ist für uns ein wichtiger Punkt. Denn wir haben seit langem gesagt, daß Bildungspolitik nicht eine Sache nur der Universitäten ist. Herr Kollege Katzer hat den Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Arbeitsförderung hier eingebracht. Wir haben immer gesagt — ich erinnere an den Antrag unserer Freunde über die Akademiereife —, daß es notwendig sei, hier wirklich durch ein paar praktische Schritte weiterzuführen. Das würde uns zerstört, wenn der Blick jetzt nur auf die Hochschulen und die Akademien gerichtet würde und nicht auf die breite Bildung im Volk.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    80 °/o unserer Mitbürger besuchen die Volksschule. Sie sollen eine Chance zum Aufstieg haben. Dazu gehört auch, daß eine solche Sache wie die Ingenieurschule von niemandem abgewertet wird.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Erlauben Sie mir, zu meinem letzten Kapitel zu kommen. Wir sind vor die Frage gestellt, wie eine demokratische Gesellschaft sich reformiert, und wir sind vor die Frage gestellt, ob wir die Kraft haben, uns zu reformieren. Die Antwort kann nur sein: eine demokratische Gesellschaft reformiert sich durch Diskussion, durch Gespräch, durch Entscheidung, durch Evolution. Sie reformiert sich nicht durch eine Revolution der Totalitären; denn dann bliebe keine Demokratie mehr übrig. Eine neue Stunde Null — das wäre Revolution. Fortschritt durch Werktagsarbeit — das heißt Demokratie.
    Demokratie heißt noch ein anderes: Gleiches Recht für alle, keine Vorrechte für irgendwen. Wenn ein Gesetz verletzt ist, ist es keine Entschuldigung, daß dies aus politischem Motiv geschah oder daß es von einer privilegierten Schicht geschah.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir müssen auch fragen — und dafür haben wir ja die Verantwortung —: Wie wollen wir eigentlich vor unseren Wehrpflichtigen — auch junge Menschen —, die ohne Aufhebens treu und unter großen persönlichen Opfern ihren Dienst tun, bestehen, wenn es etwa eine Prämie auf Krawalle und auf Lautstärke gibt,

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU)

    und wie vor unseren Arbeitern? Nein, in diesem Land brauchen wir gleiches Recht für alle und keine Stunde Null,
    Es muß wieder — wir erklären in aller Form unsere Bereitschaft dazu — ein Gespräch entstehen. Die Demonstrationen der einen — die nicht unberechtigt sind — sind so viel oder so wenig wert wie die Deklamationen der anderen. Aus beiden kommt kein Gespräch und keine Besserung. Gespräch entsteht durch Zuhören, Einanderemstnehmen und Miteinanderreden. Wir ermuntern in aller Form die jungen Menschen, die Diskussion zu suchen. Wir ermuntern sie aber auch, sie zu ermöglichen; auch dadurch, daß ein fairer Ablauf solcher Diskussionen ermöglicht wird.
    Wir wünschen auf Grund der Osterereignisse nichts zu dramatisieren. Ich gehöre nicht zu denen, die glauben, daß die wenigen, die in unserem Lande rufen: „Schafft viele Vietnams!", damit schon das meinen, was man hier und dort in östlicher Propaganda lesen kann, nämlich daß westliche Großstädte sehr wohl geeignet seien, die Rolle in Europa zu spielen, die Dschungel in Asien spielen. Ich glaube daran nicht, aber ich meine: wir alle miteinander sollten uns in unseren Sicherheitsvorkehrungen nicht nur mit Gedanken an Atomschirm und Bündnis begnügen, sondern wir sollten auch andere Möglichkeiten des Konflikts in unsere Vorkehrungen einrechnen.
    Was ist nun das wirklich Wichtige? Wir alle sprechen davon: die Gewalt muß weg. Das ist alles richtig. Aber es genügt nicht. Es muß etwas Positives her. Was ist das Positive, um das es hier geht? Es geht darum, daß wir alle miteinander erneut die Toleranz als die fundamentale Bedingung unseres Zusammenlebens, als die Basis unserer Gesellschaft und das bestimmende Prinzip unseres Staates erkennen und entsprechend Position beziehen. Wir müssen miteinander leben, voneinander lernen und miteinander die Herausforderung der Welt bestehen. Nicht nur Gewalt muß aufhören; der Respekt vor der anderen Meinung muß die Alltagswirklichkeit in unserem Lande bestimmen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es kommt manchem in unserem Lande zu leicht von den Lippen, wenn ein Andersdenkender da ist, zu sagen: Du bist ja ein Kommunist, oder: Du bist ja ein Faschist. Und kaum ist das von den Lippen, da gibt es natürlich eine Rechtfertigung, auch einmal. rnit Gewalt da draufzuschlagen. Nein, das, was die fundamentale Bedingung ist, ist der Respekt vor der anderen Meinung, ob sie nun gesagt, geschrieben, gedruckt oder gedacht wird. Demokratie heißt Mehrheitsentscheidung, heißt Führung durch die, welche in geheimer Wahl dazu bestimmt werden. Wer wie der SDS hier groß herumkritisiert und demonstriert und revolutionieren will, sich aber nicht zur Wahl stellt, der kneift, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es ist nun einmal so, daß in einer Demokratie, wie überall im Leben, nicht jeder allein mit seiner Meinung durchkommen kann. Winston Churchill hat das in seiner Form einmal so formuliert: „Demokratie, das ist die Notwendigkeit, sich gelegentlich den Ansichten anderer Leute zu beugen". Wie oft müssen wir dies alle tun, wie oft wir gegenüber den



    Dr. Barzel
    Fraktionen, wie oft der Kanzler gegenüber einer Mojorität des Kabinetts, gegenüber einer Majorität hier! Das ist das Zusammenleben, der Respekt vor der anderen Meinung und vor der Majorität. —
    Herr Bundeskanzler, ich habe natürlich nicht gemeint, daß dies etwa ein Eingriff in den verfassungsrechtlich gesicherten Besitzstand der Richtlinien ist, die für die Bundesregierung zu bestimmen Sie nach dem Grundgesetz Recht und Pflicht haben.
    Lassen Sie mich noch ein anderes sagen. Hier ist ausgeführt worden, daß der Krawall von links die Rechtsaußen fördere. Diese Rechtsaußen stören unsere außenpolitischen Möglichkeiten, zerstören möglicherweise ein Stück des in der Welt wiedergewonnenen deutschen Ansehens. Diejenigen, die die Ursachen dafür gelegt haben, wissen gar nicht, welchen Schaden sie dem deutschen Volke zugewendet haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Herbert Marcuse, einer der geistigen Väter der radikalen Linken, lehrt Haß und Umsturz. Er behauptet die objektive Notwendigkeit radikaler Umwälzungen, wie er das nennt, und dies behauptet er, obwohl sie von der überwiegenden Mehrheit gar nicht als notwendig empfunden werde. Das von ihm als „falsch" bezeichnete Bewußtsein der Mehrheit soll durch das von ihm als richtig Verordnete ersetzt werden. Nicht, was die Menschen wollen, sondern was er will, daß sie wollen sollen, soll gelten, lehrt Marcuse. Das ist die Maxime der Intoleranz. Nicht genug damit: Marcuse erklärte in Berlin, es sei unabweisbar, daß in irgendeiner Weise die Unterdrücker unterdrückt werden müßten. Das ist die Lehre der Gewalt.
    Wofür nun diese Intoleranz, wofür diese Gewalt, was soll an die Stelle dessen treten, was er hier so verurteilt? Er beantwortet die Frage nach seiner Zielvorstellung wie folgt: „Ich kann mir unsere Bestimmung einer freien Gesellschaft nur als die bestimmte Negation der bestehenden vorstellen." So sind wir als Demokraten nicht nur von berechtigten Sorgen junger Menschen herausgefordert; wir sind auch angegriffen, angegriffen durch Intoleranz, durch Negation und durch Gewalt.
    Meine Damen und Herren, solch eine arrogante Intoleranz des Totalitären gilt .es abzuwehren. Das hilft der Menschheit nicht weiter. Uns hilft nur die Fortentwicklung des Bestehenden. Nicht allein in der Verteidigung unserer Ordnung liegt unsere Aufgabe. Es muß vielmehr, wie wir hier früher öfter gesagt haben, von unserer Ordnung eine werbende Kraft ausgehen, und es muß diese Ordnung verteidigt werden, damit Fortschritt innerhalb dieser Ordnung möglich bleibt, Fortschritt zu lebendiger Demokratie, zu Humanität, zu mehr Rücksicht, aber auch zum ganzen Deutschland, zum einigen Europa, zum ganzen Europa.
    Das ist es, was ich am Schluß uns und jungen Menschen sagen möchte: wir wollen — und darüber diskutieren wir seit Wochen — eine europäische Friedensordnung, und wir sagen aller Welt, der erste Schritt dazu hieße: Zusammenleben ohne Gewalt. Wie soll dieses Ziel erreicht werden, wenn es nicht bei uns selbst Realität ist? Nur wenn es bei uns selbst Realität ist, werden wir mit anderen so darüber reden können, daß wir dieses Ziel zu unseren Lebzeiten erreichen. Zusammenleben ohne Gewalt und in Respekt vor der Meinung des anderen — darum geht es hier in Europa und in der Welt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Erwin Schoettle
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundeskanzler.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Turbulenz der Ostertage hatte ich die Pflicht, zusammen mit dem Herrn Innenminister und den Innenministern der Länder mein Bestes zu tun, um dafür zu sorgen, daß Gewalttaten abgewehrt wurden, ohne daß dadurch unnötige, gefährliche Opfer gefordert wurden. Ich habe in diesem Zusammenhang über das Fernsehen eine Mahnung und eine Warnung an diejenigen unter den Studenten gerichtet, die es auf Gewalt ankommen lassen wollten, und habe sie darauf aufmerksam gemacht, daß eine solche Gewalt, eine sich derartig steigernde Gewalt die staatlichen Abwehrkräfte zwangsläufig verschärfen müßte.
    Ich habe es außerordentlich bedauert, daß der Sprecher des Richterbundes daraus eine Kritik an unsere Justiz oder eine Mahnung an sie sehen wollte, den „Büttel der Nation" zu spielen. Ich habe viel zu große Achtung vor der Unabhängigkeit der Justiz, als daß man mir etwas Derartiges auch nur im Traume eingefallen wäre.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Formulierung, meine Damen und Herren, bezog sich klipp und klar auf die staatlichen Abwehrkräfte, d. h. auf die Polizei, und jeder, der guten Willen hatte, konnte es nicht anders verstehen.
    Wir alle, die wir durch die Schule der Jurisprudenz gegangen sind, betrachten es als eine der vornehmsten Tugenden des Juristen, bevor er urteilt, den Sachverhalt genau zu prüfen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wäre das geschehen, hätte es nicht zu dieser irreführenden Feststellung kommen können.
    Ich hatte in jenen Tagen, wie gesagt, alle Hände voll zu tun und konnte nur dieses mahnende Wort sprechen. Es war auch gar nicht der Ort und die Zeit, eine Analyse dessen, was da geschah, vorzunehmen. Die heutige Debatte gibt mir die Gelegenheit, einiges mehr zu sagen.
    Wir fragen uns heute in diesem Haus, was in der jungen Generation vor sich geht, und versuchen, eine Antwort darauf zu finden. Es wurde bereits in der Debatte gesagt, daß es sich hier zugleich um ein internationales Phänomen wie aber auch um ein Phänomen handelt, bei dem es ganz spezifische Probleme aus unserer Situation gibt. Lassen Sie mich dazu einiges sagen.
    Auf meinem Schreibtisch hat sich ein Berg von Analysen angehäuft. Es ist erstaunlich, ja, manch-



    Bundeskanzler Dr. h. c. Kiesinger
    mal erschütternd, die Ratlosigkeit dieser Analytiker zu sehen. Das beweist nur, daß eis sich um ein Phänomen handelt, das offenbar nicht leicht zu fassen ist.
    Für mich hat eine der überzeugendsten Darstellungen George F. Kennan in seinem Aufsatz: „Rebellen ohne Programm — Die radikale Linke an den amerikanischen Universitäten" gegeben. Er hat in diesem Aufsatz geschrieben —ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren —:
    Die Welt scheint heute voller kampfbereiter Studenten zu sein. Nur selten fehlen in den Zeitungen Meldungen über ihre Tätigkeit. Täglich kann man Fotos sehen, wie sie lärmen, mit Steinen werfen, Fenster einschlagen, Autos umwerfen, wie sie von der Polizei geschlagen oder weggeschleppt werden ... Daß diese Leute zum Kampf gerüstet sind, steht außer Frage.
    Das ist •eine Schilderung auch amerikanischer Verhältnisse.•
    Helmut Schmidt hat heute früh gesagt, er sei manchmal erschrocken über die elitäre Arroganz, mit der sich eine kleine Gruppe dieser Studenten — keineswegs alle — äußere. Das finde ich in dem bestätigt, was Kennan beobachtet. Er sagt:
    Was einem zuallererst an der zornigen Militanz auffällt, ist der außerordentliche Grad von Gewißheit, der sie beseelt, die Gewißheit 'der eigenen Redlichkeit, der Richtigkeit der eigenen Antworten, der Genauigkeit und Tiefe der eigenen Analyse zeitgenössischer gesellschaftlicher Probleme, die Gewißheit vor allem, daß alle Andersdenkenden im Unrecht sind. Sicherlich haben die Heftigkeit der Emotionen und die Überzeugungen, das Recht auf der eigenen Seite zu haben, fast immer die Gefühle der politisch begeisterten Jugend bestimmt. Aber irgendwie scheinen diese Emotionen heutzutage besonders fehl am Platze zu sein. Zu keiner Zeit sind die Probleme der Politik so komplex gewesen wie 'die, mit denen sich unsere Gesellschaft heutzutage in dieser Ara technischer Neuerungen und der Bildungsexplosion konfrontiert sieht.
    Ich würde dieser Feststellung George Kennans zustimmen.
    Rebellen ohne Programm hat er die radikale Linke an den amerikanischen Universitäten genannt. Können wir dasselbe bei uns feststellen? Auch das ist heute schon in der Debatte zum Ausdruck gekommen.
    Während des Wahlkampfes in Baden-Württemberg, in dem ich mich Studenten gestellt und mit ihnen an einer Reihe von Universitäten diskutiert habe — unter wenig erfreulichen Bedingungen, aber wir haben diskutiert —, ist es mir immer wieder geschehen, daß ich auf die Aufforderung: Nun sagt doch einmal, was euch nicht gefällt, z. B. an den Notstandsgesetzen, z. B. an der Entstehung und der Entwicklung des Krieges in Vietnam, z. B. da, z. B. dort? einfach keine Antwort bekam. Das Schlagwort, das reine Schlagwort regierte die Szene. Ich muß sagen, ich war darüber sehr enttäuscht; denn es gibt genug Dinge, über die sich — und zwar auch zu unseren Ungunsten — diskutieren läßt. Das gilt selbstverständlich nicht für alle, aber es gilt für eine große Anzahl von Studenten, die sich bei solchen Gelegenheiten durch große Lautstärke und auch durch große Arroganz auszeichnen.
    Aber mit dieser Feststellung will ich es keineswegs bewenden lassen. Ich habe bei diesen Debatten — und ich gestehe, ich mußte dabei lernen, ich mußte mich von Debatte zu Debatte mehr in die geistige Verfassung der Studenten, mit denen ich da diskutierte, hineindenken und hineinfühlen —aber doch den Eindruck gewonnen, daß man es hier nicht einfach mit einer gleichgestimmten großen Zahl von jungen Leuten zu tun hat, sondern daß sie durchaus differenziert denken, daß sie allerdings in bezug auf manche Probleme gemeinsame Auffassungen haben, daß sie eine gemeinsam Grundhaltung zu haben scheinen. Das nötigt uns, glaube ich, darüber nachzudenken, woher das kommt.
    Helmut Schmidt, der viel jünger ist als ich — ich glaube, Sie sind im Jahre 1918 geboren, ich im Jahre 1904 —, hat aus seinem eigenen Leben berichtet. Wenn ich an das meine denke: zehn Jahre alt, als der erste Weltkrieg begann, und dann eigentlich ein ganzes Jahrzehnt Krieg, Blut und Tränen, Tod, dann die Niederlage, dann eine Epoche des Bürgerkrieges, eine Kette politischer Morde, die Inflation — ganz und gar, bis zur Billion —, dann wenige erhellte, trügerische Jahre, dann die Weltwirtschaftskrise, die einsetzende Depression, die politische Verwirrung in der ausgehenden Weimarer Republik, der aufkommende Nationalsozialismus, das, was daraus wurde, der zweite Weltkrieg und die Jahre danach. Was für ein Leben für jemanden, der das intensiv miterlebt hat! Und dann seit 1945 23 Jahre des Friedens für uns und seit 1949 — ich will die Leistungen vorher gewiß nicht vergessen — ein ununterbrochener Aufbau. Ich bestätige, was die beiden Fraktionsvorsitzenden gesagt haben: der Aufbau eines Gemeinwesens, das politisch freier, sozial gerechter und wirtschaftlich prosperierender ist als alles, was wir vorher hatten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Aber auch das ist für die junge Generation keine Erinnerung mehr. Sie hat ein anderes Selbstverständnis der heutigen deutschen politischen Wirklichkeit als wir. Diese Bundesrepublik ist gegründet worden auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, angesichts einer von uns allen empfundenen unmittelbaren kommunistischen Bedrohung aus dem Osten. Ich erinnere an das Jahr 1948, an die Berliner Blokkade, an Korea, an Griechenland, an die Gründung des Nordatlantischen Bündnisses. Diese Bundesrepublik ist gegründet worden, als wir unsere Wirtschaft von Grund auf aufzubauen hatten. Das alles ist für die heutige junge studentische Generation keine Gegebenheit mehr, die sie wahrnehmen, die ihre Schätzung oder Nichtschätzung dessen, was sie an politischer Wirklichkeit bei uns vorfinden, bestimmt. Sie blicken nicht zurück. Sie wissen nicht wie wir, wie das alles einmal war, und können deswegen auch nicht wie wir das, was heute ist, als etwas so



    Bundeskanzler Dr. h. c. Kiesinger
    Kostbares schätzen — bei aller Unvollkommenheit —, wie wir es tun. Damit müssen wir uns abfinden.
    Wir müssen also versuchen, mit einer Generation uns zu verständigen, die nach vorn blickt und die mit abstrakten, zum Teil utopischen Maßstäben mißt. Deswegen ist auch ihr Verständnis von Demokratie ein ganz anderes als das unsrige. Wir hatten das Erlebnis der Weimarer Republik, ihres Scheiterns, und dann die Epoche der Hitlerzeit.
    Ich glaube, man tut der Arbeit des Parlamentarischen Rates nicht unrecht, wenn man sagt, daß er mehr zurück als in die Zukunft geblickt hat, daß seine Arbeit aus einer defensiven Gesinnung geleistet wurde. Das ist, wenn man an die Situation zurückdenkt, in der er sich befand, mehr als verständlich. Diese junge Generation weiß auch das nicht mehr. Sie kennt also die Überlegungen nicht, aus denen heraus etwa das Referendum, die Möglichkeit, von Zeit zu Zeit das Volk unmittelbar sprechen und entscheiden .zu lassen, im Parlamentarischen Rat verworfen worden ist. Sie kann nur nachlesen, warum das geschehen ist, wie man diese Entscheidung begründet hat, aber sie versteht sie nicht mehr aus der damaligen Situation heraus.
    Ich will nicht über die sozialrevolutionäre Gruppe sprechen, über die George Kennan das seine sagt, über das heute die beiden Fraktionsvorsitzenden der Regierungskoalition sprachen. Hier müssen wir natürlich auch versuchen, zu argumentieren und sie davon zu überzeugen, daß ihre utopischen Vorstellungen falsch sind. Gewiß! Aber ebenso überzeugt müssen sie davon sein, daß, wenn sie ihr sozialrevolutionäres Programm mit Gewalt durch Revolution durchsetzen wollen, sie auf die entschiedene Abwehr des Staates, den wir zu schützen haben, stoßen werden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Aber den anderen, den vielen anderen, von denen die Rede war, müssen wir unser Verständnis unserer Gesellschaft und unseres Staates deutlich machen, und wir müssen versuchen, das ihre zu verstehen, um überhaupt zueinander zu kommen.
    Es ist gar kein Zweifel: Jeder Ältere, jeder Vater, wird sich eingestehen, daß er ein wenig die Neigung zum Autoritären hat. Ob diese Neigung gerade in unserem Lande stärker ist als anderswo — manchmal wird das behauptet —, will ich nicht untersuchen. Aber ebenso sicher ist, daß die heutige junge Generation, in der Familie wie in der Gesellschaft wie im Staat Widerstand gegen jeden Versuch der Älteren leistet, sich autoritär zur Geltung zu bringen. Deswegen wäre es grundfalsch, wenn wir diesen Weg gegenüber denen, die keine Revolution, sondern eine Evolution wollen, beschreiten würden.
    Es ist auch gar kein Zweifel, daß nicht nur bei den Revolutionären, die die parlamentarische Demokratie ablehnen und an ihre Stelle eine unmittelbare Demokratie mit Rätesystem setzen wollen, ein Unbehagen an dem vorliegt, was wir repräsentative oder parlamentarische Demokratie nennen. Das müssen wir erkennen. Wir müssen nach den Gründen
    fragen und versuchen, dieses Unbehagen bei der jungen Generation zu überwinden. Es ist gar kein Zweifel, daß wir uns hier wahrscheinlich in der Vergangenheit zuwenig angestrengt haben, um das Leben dieser repräsentativen oder parlamentarischen Demokratie deutlich genug zu machen und unsere Arbeit darin — das Wort ist heute einmal gebraucht worden — transparent zu machen.
    Meine Damen und Herren, es wäre sinnlos für uns Ältere, wenn wir Verwirrung in der jungen Generation, Unbehagen gegenüber Institutionen und politischen Wirklichkeiten, die uns wert und teuer sind. nur beklagen oder gar tadeln. Wenn es so ist, ist eben etwas nicht in Ordnung, und wir müssen es in Ordnung bringen. Nun meine ich keineswegs, daß wir uns vor den Jungen an die Brust schlagen und sagen sollten: Nostra culpa! Aber wir können ruhig zugestehen, wo wir etwas falsch gemacht oder wo wir uns nicht deutlich genug gemacht haben.
    Das kann zu Überlegungen über institutionelle Änderungen führen, die die parlamentarische Demokratie für diese Jungen einleuchtender und akzeptabler machen. Das muß aber unter allen Umständen eine Aufforderung für uns alle sein, in ganz anderem Maße und mit viel größerer Intensität als bisher zu den Jungen zu gehen und uns mit ihnen über unsere parlamentarische Demokratie auseinanderzusetzen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das ist sicher nicht immer leicht. Ich habe den staatsbürgerlichen Unterricht an unseren Schulen nicht verfolgen können, aber das Ergebnis scheint mir zu zeigen, daß dieser staatsbürgerliche Unterricht doch wohl weithin in einer trockenen und sterilen Institutionenkunde steckengeblieben und daß er nicht wirklich zum Kern der Sache vorgestoßen ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Auch scheint unserer Jugend ein utopisches Bild der Demokratie gezeichnet worden zu sein, so daß sie zu dem Glauben verführt wurde, Demokratie sei etwas Vollkommenes, etwas, was mit Gloriole und Heiligenschimmer umgeben sei. Das ist das entgegengesetzte pädagogische Extrem und ebenso gefährlich wie das andere, nämlich das Steckenbleiben in der bloßen Institutionenkunde. Hier ist also für uns vieles zu tun, meine Damen und Herren.
    Ich selbst möchte sagen: ich schöpfe aus der Unruhe dieser Studenten nicht nur Unbehagen, sondern auch Hoffnung,

    (Zustimmung in der Mitte)

    weil es eine Jugend ist, die sich engagieren will.
    In der Geschichte der studentischen Generationen — wenn dabei dieses Wort erlaubt ist — seit dem Ende des zweiten Weltkrieges gibt es recht interessante Abfolgen. Es gab zunächst die Generation, die aus dem Krieg heimkehrte. Ich hatte mit ihr lehrend zu tun. Das war eine hochgemute Generation, die froh war, aus dem Krieg und aus dem Zwang eines bösen Systems in eine neue Freiheit entlassen zu sein. Dann kam eine Generation — ich habe ihren Einbruch sozusagen von heute auf morgen erlebt —, der nichts anderes am Herzen zu



    Bundeskanzler Dr. h. c. Kiesinger
    liegen schien, als möglichst rasch das Studium zu beenden, um in eine berufliche. Position zu kommen. Dann kam das, was Schelsky die skeptische Generation genannt hat, eine Generation, die sich von der Politik zurückhielt, wenig von ihr und von den Politikern hielt. Nun haben wir auf einmal eine ganz neue, eine leidenschaftlich engagierte Generation.
    Das ist zunächst einmal etwas Positives. Die Molive, die diese Generation bewegen, sind gute Motive. Sie hassen den Krieg. Wir hassen den Krieg auch. Sie treten für die Freiheit in der ganzen Welt ein. Wir auch. Ihnen liegt das Schicksal der neu in die Geschichte eintretenden Völker Asiens, Afrikas, Lateinamerikas am Herzen. Uns auch. Es liegt uns auch die Freiheit der Presse, der Information am Herzen. Was uns von ihnen trennt, das sind die Methoden, das ist die Frage, wie man diese Ziele in einem freien Lande verfolgt.
    Ich habe in einer Diskussion mit Studenten gesagt: Ihr hängt das ganze Problem des Nord-SüdKonfliktes, also der Auseinandersetzung zwischen den privilegierten Nationen und den nichtprivilegierten am Problem Vietnam auf. Warum hört ihr nicht, daß wir einer Entwicklungspolitik das Wort reden, die bereit ist, diesen in die Geschichte eintretenden Völkern beim Aufbau ihrer gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Ordnung zu helfen, und zwar in dem Sinne, daß wir ihnen nicht unsere eigene Ordnung aufzureden wünschen? Sie sollen ihre eigene bauen, wenn es auch unser Wunsch ist, daß diese Ordnungen unter dem hohen Leitgestirn der Freiheit stehen.
    Man kann unsere Sorge für den Frieden in der Welt, der diesen jungen Menschen so sehr am Herzen liegt, am Beispiel unserer außenpolitischen Bemühungen darlegen. Ich habe immer wieder erlebt, daß in den Diskussionen in dem Augenblick, wo darauf die Rede kam, plötzlich die Sprechchöre verstummten und die Studenten mit Aufmerksamkeit zuhörten, ja sogar Beifall spendeten. Offenbar ist das alles noch nicht in genügendem Kontakt. Viele haben uns nicht genug gehört, manche wollten uns nicht hören. Vielleicht haben wir uns mit den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, einfach nicht deutlich genug gemacht. Dies, meine Damen und Herren, soll und muß an einem solchen Tage gesagt sein.
    Wenn uns auch heute von der Opposition wieder vorgeworfen wird,, uns gehe es nur um Ordnung und Ruhe, dann sage ich: jawohl, uns geht es wie unserem ganzen Volk um Ordnung und Ruhe. Aber diese Ordnung und Ruhe schließen in keiner Weise eine lebendige und kritische Anteilnahme aller unserer Bevölkerungsschichten — auch der Jugend — an unserer Demokratie aus.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Im Gegenteil, wir wären schlechte Sachwalter dieser Demokratie, wenn wir eine Ordnung und eine Ruhe wollten, die uns in unserer abgeschlossenen Sphäre wirken ließen, ohne daß wir durch Kritik — sei sie berechtigt oder unberechtigt — gestört würden.
    Das Problem der Minderheit! Natürlich ist es so, daß sich in einer Demokratie die Minderheit dem Entscheid der Mehrheit beugen muß. In einer Demokratie, in der hundert verschiedene Interessen und hundert verschiedene politische Überzeugungen miteinander auskommen müssen, gibt es natürlich zuletzt keine andere Entscheidung, wenn man sich nicht einigen kann, als daß die Mehrheit — abgesehen von jenen, dem Mehrheitsspruch entzogenen Werten des Grundgesetzes — bestimmt, was wird. Dann gibt es, wenn Demokratie am Leben bleiben soll, keine andere Lösung, als daß sich die Minderheit dieser Mehrheitsentscheidung beugt. Das ist das Wesen der Demokratie.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Trotzdem ist damit das letzte Wort noch nicht gesprochen. Es gibt Minderheitenrechte, wir kennen sie. Aber es ist auch unsere Pflicht, uns mit Minderheiten, die sich für eine Demokratie engagieren und die im Parlament keinen Platz gefunden haben, auseinanderzusetzen.
    Frieden im Volk bedeutet ja nicht einen Kirchhofsfrieden, sondern bedeutet den Frieden, der dadurch zustande kommt, daß jeder das Gefühl bekommt, daß seine Meinung nicht nur toleriert, sondern — ich gehe mit Goethe diesen Schritt weiter — auch anerkannt, insofern anerkannt wird, als man sie als die Meinung eines für das Ganze besorgten Menschen achtet.
    Das ist auch eine Aufgabe, der wir uns vielleicht zuwenig gewidmet haben. Wir werden uns überlegen müssen, wie wir das z. B. mit den Studenten in Zukunft anders halten können. Ich habe am vergangenen Montag — wie einige der Fraktionen — eine Unterredung mit Vertretern der Studentenschaft gehabt. Ich habe auch bei dieser Unterhaltung gesehen, daß die Meinungen durchaus differenziert sind und daß jedenfalls die Hoffnung besteht, daß diejenigen, die weiterhin an der Anwendung von Gewalt bei Demonstrationen festhalten wollen, in hoffnungsloser Minderheit sind. Das ist ein außerordentlich bedeutsamer Fortschritt.
    Wir wollen zusehen, daß in den kommenden Wochen und Monaten das Gespräch mit den Studenten nicht abreißt, so daß ein Zurückfallen in die unseligen Ereignisse der Osterzeit nicht mehr möglich sein wird.
    Aber, Herr Scheel, nun muß ich doch zu Ihnen kommen und Ihnen einiges antworten zu dem, was Sie der Regierung und der Großen Koalition vorgeworfen haben. Sie wiederholen immer wieder den Vorwurf, die Große Koalition habe versagt, sie habe nichts getan, sie habe viel zuviel unterlassen, und das sei der Grund für die Unruhe, für ein Unbehagen im Volk. Ja, verehrter Herr Kollege Scheel, wir haben sicherlich manches nicht getan, was Sie gewollt haben; aber was wir uns vorgestellt haben und was wir gewollt haben, haben wir wahrhaftig getan. Ich glaube, ich darf dieser Koalition das Zeugnis ausstellen, daß sie in den 17 Monaten, die zur Verfügung standen, mindestens so viel getan hat,



    Bundeskanzler Dr. h. c. Kiesinger
    wenn nicht mehr, als jedes andere Kabinett und jede Koalition vorher seit 1949.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — OhRufe bei der FDP.)

    Sie brauchen nur die Liste alles dessen, was getan worden ist, und alles dessen, was sich noch in der Arbeit befindet, anzusehen, um das bestätigt zu finden.
    Sie behaupten, wir seien keine neuen Wege gegangen. Wir sind sowohl in der Innenpolitik wie in der Außenpolitik ganz entschlossen neue Wege gegangen und haben uns nicht gescheut, Tabus zu brechen, die jahrelang gegolten haben, weil wir die Zeichen der Zeit erkannt haben. Der Kanzler dieser Regierung ist ein Mann der CDU und hat das Vertrauen der CDU,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    und ich glaube bewiesen zu haben, daß ich den Mut hatte, Tabus zu brechen und neue Wege zu gehen. Ich glaube, so billig und so einfach darf es sich die Opposition, gerade wenn es sich um ein so ernstes Thema handelt wie das, das wir heute behandeln, nicht machen. Da muß man dann schon sehr viel genauer hören, was man hätte machen können und sollen, und diese Rechnung haben Sie ur s nicht präsentiert, Herr Scheel.

    (Abg. Dr. Barzel: Eine Sondersitzung verlangen und dann nichts sagen, Herr Scheel!)

    Es ist die Rede davon gewesen — und die Welt, die diese Debatte beobachtet, denkt natürlich viel weniger an die Studentenunruhen, über die wir heute sprechen, als an diese andere Tatsache —, daß bei den Wahlen in Baden-Württemberg die rechtsradikale Partei fast 10 % der Stimmen errungen hat. Die notwendigen Korrekturen gegenüber gewissen Behauptungen, die hier gefallen sind, sind schon gemacht worden, aber ich muß es noch einmal tun, weil es wichtig ist, daß unsere Nachbarn, daß die Völker der Welt sich daran erinnern: wir haben schon vor der Gründung der Großen Koalition erhebliche Erfolge der NPD gehabt, und zwar in Hessen und in Bayern. Es .sind damals in Hessen 7,9 % und in Bayern 7,4 % der Stimmen von der NPD gewonnen worden. Es ist dann ein wenig heruntergegangen; wir haben uns schon gefreut, daß die Kurve absank, und zwar auf 6,9% in Rheinland-Pfalz, auf 5,8 % in Schleswig-Holstein, wo viele ein starkes Anwachsen erwartet hatten. Dann kamen — das fiel zusammen mit dem tragischen Tod des Studenten Ohnesorg am 2. Juni 1967 — 7% in Niedersachsen, dann 8,8 % in Bremen und nun 9,8% in Baden-Württemberg. Was sollen wir daraus schließen?
    Meine Damen und Herren, es ist kein Zwifel, daß ein gewisser Kernbestand von Wählern dieser rechtsradikalen Partei vorhanden zu sein scheint, der sich bei jeder Landtagswahl behauptet hat. Der Erfolg dieser Partei in Baden-Württemberg ist aber ganz ohne jeden Zweifel auch darauf zurückzuführen, daß es zwei Gruppen gab, von denen man annehmen kann, daß sie keineswegs aus Überzeugung, aus parteipolitischer Überzeugung diese Partei
    wählten, sondern daß es sogenannte Trotzwähler sind. Wir kennen dieses Phänomen ja auch aus anderen Ländern. Wir wissen, daß in Italien und Frankreich unzufriedene Bauern häufig kommunistisch wählen, und es läßt sich ohne weiteres nachweisen, daß in vielen Wahlkreisen Bauern solche Trotzwahlen vollzogen haben. Es gab sogar Bauern, die uns das vorher sagten: Das nächstemal wählen wir euch wieder, aber bei diesen Wahlen wollen wir euch einen Denkzettel geben, weil ihr euch nicht genug — wie sie meinten — um das Wohl und Wehe des Bauern gekümmert habt! -Das ist die eine Trotz-Gruppe.
    Die andere Trotz-Gruppe ist ebenfalls schon erwähnt worden. Das sind jene unserer Mitbürger, die durch die Osterunruhen empört und erschreckt waren und die durch eine raffinierte, darauf bezügliche Propaganda der NPD verleitet worden sind, diesmal ihre Stimme dieser Partei zu geben.
    Ich weigere mich einfach, daran zu glauben, daß in der Bundesrepublik eine Bewegung eingesetzt habe, die bis zur Bundestagswahl des Jahres 1969 einen noch höheren Prozentsatz an NPD-Wählern erbringen werde. Natürlich werden wir uns die Gründe für den Erfolg der NPD im übrigen genau überlegen müssen. Natürlich ist es wahr, daß die extreme Linke Wasser auf die Mühlen der extremen Rechten geleitet hat. Wenn es uns gelingt, mit der Studentenfrage auf die richtige Weise fertig zu werden, d. h. wirklichen geistigen Kontakt mit den Studenten zu bekommen — auch wenn sie in vielen Fragen anderer Meinung bleiben werden als wir —, wenn es uns gelingt, die Gewaltakte bei den Demonstrationen zusammen mit den Studenten aus der Welt zu schaffen, dann ist ein gefährliches Element beseitigt, das der NPD bei dieser Wahl Auftrieb gegeben hat.
    Außerdem bin ich auch davon überzeugt, daß es uns in gemeinsamen Anstrengungen gelingen muß, die Bauern davon zu überzeugen, daß es nicht an der Nachlässigkeit, der Leichtfertigkeit der Politiker liegt, wenn es ihnen zur Zeit nicht gut geht, wenn sie ernste und berechtigte Sorgen haben.
    Wir werden uns auch anstrengen müssen, ein Drittes zu tun. Innenpolitisch würde mir ein solcher Erfolg der NPD nicht allzuviel Sorgen machen. Der wirkliche Grund für die Sorgen anläßlich dieses Erfolgs der NPD liegt im Ausland. Wir alle wissen, wie diese Partei zusammengesetzt ist, daß es sich um ein sehr komplexes Phänomen handelt, zusammengesetzt aus Menschen, die aus den verschiedensten Motiven — einige nannte ich ,schon — so gewählt haben. Darunter sind auch altmodische, verstaubte Nationalisten, aber deswegen noch keineswegs Nationalsozialisten. Wenn im Ausland diese ganze Partei nun einfach als neonazistische Gruppe bezeichnet wird, dann gebietet uns das Interesse dieses Volkes und sein guter Ruf in der Welt, zu sagen, daß diese globale Feststellung nicht richtig ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Natürlich müssen wir zugeben, daß es in dieser
    Partei eine Gruppe gibt, die gefährliche Schlagseite
    nach jenen überwundenen, unheilvollen Zeiten zeigt,



    Bundeskanzler Dr. h. c. Kiesinger
    und natürlich ist es richtig, daß in den Jahren 1932/33 viele unpolitische Menschen zur nationalsozialistischen Partei gegangen sind, weil sie ihre Existenz bedroht sahen, weil sie arbeitslos waren usw. Ich will also die Gefahr gar nicht verkleinern. Dennoch ist es wichtig festzustellen: Dieses neue politische Phänomen muß man objektiver sehen, und man darf hier nicht mit schrecklichen Vereinfachungen arbeiten. Aber ebenso sicher ist, daß wir die Pflicht haben, alles, was in unseren Kräften steht, zu tun, um bis zur nächsten Bundestagswahl möglichst viele derjenigen, die jetzt diese Partei gewählt haben, davon zu überzeugen, welchen Schaden sie unserem Volk und unserem Land dadurch zufügen, daß sie den Eindruck entstehen lassen, als gäbe es in Deutschland wirklich wieder ein ernsthaftes Erwachen des Nationalsozialismus.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Unsere ganze Außenpolitik ist darauf gegründet, daß wir das Vertrauen des Auslandes bewahren und vermehren. In unserer großen nationalen Frage, in der Frage der Wiedervereinigung unseres deutschen Volkes in Frieden und in Freiheit, haben wir gar keinen anderen Bundesgenossen als dieses Vertrauen der Völker der Welt. Wie oft habe ich es in diesem Hause und an anderer Stelle gesagt: Nur wenn wir dieses Vertrauen bewahren, dürfen wir auf die Dauer auch mit der moralischen Unterstützung der Völker der übrigen Welt für dieses unser großes nationales Anliegen rechnen. In demselben Augenblick aber, in dem sich draußen der Eindruck durchsetzen würde, daß sich hier ein alter, unheilvoller Geist nicht einmal des Nationalsozialismus, sondern eines aggressiven Nationalismus wieder rege, wäre unsere ganze Mühe und Arbeit, dieses Ringen um das Vertrauen draußen vergeblich gewesen, wir wären um eine riesige Strecke Weges zurückgeworfen. Deswegen appelliere ich bei dieser Gelegenheit an alle, die ihre Entscheidung aus partikularen Interessen, aus Emotionen, aus augenblicklicher Empörung, Angst oder Verärgerung getroffen haben, an alle diejenigen, von denen ich annehme, daß es auch ihnen um das Schicksal unseres Landes und Volkes zu tun ist: Überlegt euch, was ihr anrichtet, und wiederholt den begangenen Fehler nicht! Unterstützt diejenigen politischen Kräfte in der Bundesrepublik, die seit zwei Jahrzehnten — und ich schließe da dieses ganze Haus ein — mit redlicher Mühe versucht haben, ein Gemeinwesen aufzubauen, das nicht nur den Interessen unseres Volkes und seinem Wohle gerecht wird, sondern das sich auch den Respekt und das wachsende Vertrauen der Welt erworben hat, und das sollen wir uns nicht zerstören lassen!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)