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ID0516900200

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 169. Sitzung Bonn, den 30. April 1968 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Könen (Düsseldorf), Stooß, Blöcker, Diekmann, Stein (Honrath), Dr. h. c. Dr.- Ing. E. h. Möller, Paul und Lemmer . . . 8987 A Überweisung von Vorlagen der Bundesregierung an die zuständigen Ausschüsse 8987 B Amtliche Mitteilungen ..... . . 8987 D Bericht der Bundesregierung zur innenpolitischen Situation Benda, Bundesminister . . . . . 8989 C D. Dr. Gerstenmaier, Präsident . . 8998 A Scheel (FDP) 8998 A Schmidt (Hamburg) (SPD) . 9008 A, 9045 A, 9048 C Dr. Barzel (CDU/CSU) . . 9018 D, 9047 C Dr. h. C. Kiesinger, Bundeskanzler . . 9026 C Dr. Merk, Minister des Landes Bayern 9031 C Dorn (FDP) 9034 D Haar (Stuttgart) (SPD) . . 9041 D, 9047 A Dr. Even (CDU/CSU) 9042 D Scheel, Vizepräsident 9043 A Kiep (CDU/CSU) 9046 A Mischnick (FDP) . . . . 9047 D, 9050 A Nächste Sitzung 9050 D Anlagen 9051 A Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 30. April 1968 8987 169. Sitzung Bonn, den 30. April 1968 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigungen Es ist zu lesen: 160. Sitzung, Seite 8414 B, Zeile 7 von unten statt 16.25: 6.25 167. Sitzung, Seite 8798 C, Zeile 16 statt 12,753: 12 573 167. Sitzung, Seite 8895 A, Zeile 19 ist hinter dem Wort Januar einzufügen: — anders wie Sie — Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 30. April 1968 9051 Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Dr. Achenbach *** 30. 4. Adorno 30. 4. Dr. Aigner 30. 4. Dr. Althammer 5. 5. Arendt (Wattenscheid) 30.4. Dr. Arndt (Berlin/Köln) 30. 4. Dr. Artzinger * 30. 4. Bading * 30. 4. Bartsch 30. 4. Berberich 30. 4. Beuster 30. 4. Dr. Birrenbach 30.4. Blank 30. 4. Blumenfeld** 2. 5. Brück (Holz) 30. 4. Burgemeister 30. 4. Burger 30. 4. van Delden 30. 4. Dr. Dittrich * 30.4. Dr. Eckhardt 30. 4. Frau Eilers 30. 4. Frau Dr. Elsner 30. 4. Erhard (Bad Schwalbach) 30.4. Eschmann 30. 4. Fellermaier 30. 4. Dr. Frey 30. 6. Dr. Furler * 30. 4. Dr. Götz 30. 4. Graaff 30.4. Haase (Kassel) 30. 4. Dr. Häfele 30. 4. Hamacher 30.4. Frau Dr. Hubert 1. 7. Illerhaus * 30. 4. Dr. Jaeger 30. 4. Jung 30. 4. Kahn-Ackermann 30. 4. Killat 30. 4. Klinker * 30. 4. Dr. Koch 30. 4. Frau Korspeter 30. 4. Dr. Kraske 30. 4. Frau Dr. Krips 30. 4. Kriedemann * .30. 4. Kunze 1. 6. Kurlbaum 30. 4. Frau Kurlbaum-Beyer 30. 4. Lampersbach 30. 4. Lemmer 30.4. *Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Versammlung der Westeuropäischen Union *** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Beratenden Versammlung des Europarats Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Lenz (Brühl) 31. 5. Leukert 30. 4. Liehr 30. 4. Dr. Löhr * 30. 4. Frau Lösche 30. 4. Lücker (München) * 30. 4. Mauk 30. 4. Meis 30. 4. Memmel * 30. 4. Dr. h. c. Menne (Frankfurt) 30. 4. Metzger * 30.4. Michels 30. 4. Missbach 30. 4. Müller (Aachen-Land) * 30. 4. Dr. Müller (München) 3. 5. Peters (Norden) 30. 4. Petersen 30. 4. Picard 30. 4. Dr. Prassler 30. 4. Dr. Rau 30. 4. Frau Renger 30. 4. Richarts 30. 4. Dr. Rinsche 6. 5. Dr. Ritgen 30. 4. Frau Rudoll 30. 4. Schmidt (Würgendorf) 30. 4. Dr. Schober 30. 4. Dr. Schulz (Berlin) 30.4. Seibert 30. 4. Dr. Siemer 30. 4. Spitzmüller 30.4. Dr. Stammberger 30. 4. Steinhoff 15. 5. Dr. Steinmetz 30. 4. Stiller 30.4. Struve 30. 4. Dr. Tamblé 30. 4. Unertl 30.4. Wilhelm 30.4. Wullenhaupt 30. 4. b) Urlaubsanträge Cramer 20. 5. Diekmann 20.5. Enk 31.5. Anlage 2 Der Präsident des Bundesrates — Abschrift — An den Herrn Bundeskanzler 5300 Bonn Bundeskanzleramt Ich beehre mich mitzuteilen, daß der Bundesrat in seiner 323. Sitzung am 26. April 1968 beschlossen 9052 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 30. April 1968 hat, dem vom Deutschen Bundestag am 3. April 1968 verabschiedeten Gesetz zur Anpassung und Gesundung des deutschen Steinkohlenbergbaus und der deutschen Steinkohlenbergbaugebiete gemäß Artikel 84 Abs. i in Verbindung mit Artikel 105 Abs. 3 des Grundgesetzes zuzustimmen. Ferner hat der Bundesrat die sich aus der Anlage ergebende Entschließung gefaßt. Koschnick Vizepräsident Bonn, den 26. April 1968 An den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages 5300 Bonn Bundeshaus Vorstehende Abschrift wird mit Bezug auf das dortige Schreiben vom 4. April 1968 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Koschnick Vizepräsident Anlage zum Schreiben ,des Präsidenten des Bundesrates vom 26. April 1968 an den Herrn Bundeskanzler Entschließung des Bundesrates zum Gesetz zur Anpassung und Gesundung des deutschen Steinkohlenbergbaus und der deutschen Steinkohlenbergbaugebiete Der Bundesrat hält die in § 16 Abs. 2 des Gesetzes vorgesehene Mitleistungsverpflichtung des Sitzlandes für zumindest verfassungspolitisch außerordentlich bedenklich. Er hat sich daher im 1. Durchgang dafür eingesetzt, die Finanzauflage zu streichen. Unbeschadet seiner grundsätzlichen Zustimmung zu den wirtschaftspolitischen Zielsetzungen des Gesetzes hält der Bundesrat dieses Bedenken aufrecht. Lediglich mit Rücksicht auf die politische Notwendigkeit, das Gesetz bald zu verabschieden, sieht der Bundesrat von einer Anrufung des Vermittlungsausschusses ab. Anlage 3 Der Präsident des Bundesrates Abschrift Bonn, den 26. April 1968 An den Herrn Bundeskanzler 5300 Bonn Bundeskanzleramt Ich beehre mich mitzuteilen, daß der Bundesrat in seiner 323. Sitzung am 26. April 1968 beschlossen hat, hinsichtlich des vom Deutschen Bundestag am 5. April 1968 verabschiedeten Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1968 (Haushaltsgesetz 1968) einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen. Außerdem hat der Bundesrat die aus der Anlage ersichtlichen Entschließungen angenommen. 1 Anlage Koschnick Vizepräsident Bonn, den 26. April 1968 An den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages 5300 Bonn Bundeshaus Vorstehende Abschrift wird mit Bezug auf das dortige Schreiben vom 8. April 1968 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Koschnick Vizepräsident Anlage zum Schreiben des Präsidenten des Bundesrates vom 26. April 1968 an den Bundeskanzler Entschließungen des Bundesrates zum Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1968 (Haushaltsgesetz 1968) 1. Zu Einzelplan 60 Kap. 60 02 Tit. 571 a) und b) Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, unbeschadet der Notwendigkeit, die Strukturkrise im Kohlenbergbau zu beheben, verstärkt Mittel für die wirtschaftliche Förderung des Zonenrandgebietes und der Bundesausbaugebiete bereitzustellen. Die im Grundgesetz zum Ausdruck kommende gesellschaftspolitische Zielsetzung, einheitliche Lebensverhältnisse im gesamten Bundesgebiet herzustellen, erfordert für diese Gebiete wegen ihrer Strukturschwäche und ihrer Krisenanfälligkeit besondere Förderungsmaßnahmen. Dabei sollten folgende Zielsetzungen berücksichtigt werden: a) Weiterer Ausbau der überregionalen Verkehrsverbindungen des Zonenrandgebietes und der Bundesausbaugebiete. b) Ausstattung der ländlichen, für Industrieansiedlung geeigneten Gemeinden mit den erforderlichen Infra-Struktureinrichtungen. c) Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen in den vorgenannten Förderungsgebieten. Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 30. April 1968 9053 d) Fortsetzung der bewährten Frachthilfe, mindestens im bisherigen Umfang. Diese Maßnahmen zur Infra-Strukturverbesserung erfordern den Einsatz erheblicher finanzieller Mittel. Der Bundesrat begrüßt deshalb die Erklärung des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister für Wirtschaft vor dem Deutschen Bundestag am 5. April 1968, wonach die Bundesregierung derzeit prüft, zusätzliche Mittel für Ruhr, Saar und das Zonenrandgebiet in einer Größenordnung von 1 Milliarde DM bereitzustellen. Er erwartet, daß im Zuge dieser Prüfung und in Verfolgung der vorstehend aufgezeigten Zielsetzung das Zonenrandgebiet und die Bundesausbaugebiete besondere Berücksichtigung finden. 2. Zu Einzelplan 60 Kap. 60 02 Tit. 603 Die vom Deutschen Bundestag in den Erläuterungen zu Kap. 60 02 Tit. 603 vorgesehene Aufteilung der Ergänzungszuweisungen von 390 Mio DM entspricht nicht dem im Initiativgesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Länderfinanzausgleichsgesetzes zugrunde gelegten Verteilungsschlüssel. Der Bundesrat vermag die jetzt im Bundeshaushalt vorgesehene Aufteilung der Ergänzungszuweisungen nicht als endgültig anzusehen. Er weist darauf hin, daß eine verbindliche Regelung über die Aufteilung der Ergänzungszuweisungen in dem vom Bundestag noch zu verabschiedenden Gesetz zur Änderung des Länderfinanzausgleichsgesetzes zu treffen ist. Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme zu diesem Gesetzentwurf den vom Bundesrat vorgesehenen Verteilungsschlüssel übernommen. Der Bundesrat bittet den Deutschen Bundestag, im weiteren Gesetzgebungsverfahren hieran festzuhalten. Anlage 4 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Arndt vom 23. April 1968 auf die Zusatzfrage des Abgeordneten Moersch zu der Mündlichen Anfrage des Abgeordneten Weigl*). In der Fragestunde der 161. Sitzung des Deutschen Bundestages hatten Sie mich gefragt, in welchem Umfang Schwierigkeiten" für die Ansiedlung von Industrie durch gewisse Schwächen im Schulsystem der Oberpfalz bestünden. Ich bitte um Verständnis, daß ich mich nicht im einzelnen zu einer Angelegenheit, für die auf Grund der Kulturhoheit die Landesregierung zuständig ist, äußern kann. Ich möchte jedoch betonen, daß die Ausbildungsfrage für die Verbesserung der Wirtschaftsstruktur eines Raumes von eminenter Bedeutung ist. Deshalb unterstützt die Bundesregierung die berufliche Aus- und Fortbildung durch Finanzierungshilfen für entsprechende Investitionen auch im Rahmen des Regionalen Förderungsprogramms. Ferner wird bei der Auswahl von Bundesausbauorten *) Siehe 161. Sitzung Seite 8424 D. verlangt, daß die vom Land vorgeschlagenen Gemeinden mindestens eine Oberschule bereits aufweisen oder alsbald erhalten werden. Insofern wird der von Ihnen angeschnittene Aspekt im Rahmen der regionalen Wirtschaftspolitik der Bundesregierung berücksichtigt. Anlage 5 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Arndt vom 23. April 1968 auf die Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schwörer zu der Mündlichen Anfrage des Abgeordneten Zebisch *) Sie hatten mich in der Fragestunde der 161. Sitzung des Deutschen Bundestages gefragt, ob man nicht den Durchschnitt des Bruttosozialprodukts als Maßstab für Abschreibungsvergünstigungen zugrunde legen könnte. Hierzu ist folgendes zu bemerken: Es gibt zwar seit einigen Jahren Bruttoinlandsproduktzahlen je Kopf der Wirtschaftsbevölkerung in kreisweiser Aufgliederung. Diese wurden auch bei der Abgrenzung der Bundesausbaugebiete im Jahre 1963 herangezogen. Allerdings gelten meine Bedenken gegen regionale Steuerpräferenzen auch dann, wenn die mit Sonderabschreibungen zu begünstigenden Landkreise aufgrund der Bruttoinlandsproduktzahlen ermittelt werden. Denn dadurch würde das Problem nicht beseitigt, daß erstens Betriebe prosperierender Branchen, die innerhalb solcher Begünstigungsräume liegen, automatisch in den Genuß solcher Abschreibungsvergünstigungen gelangten, und zweitens, daß Betriebe in angrenzenden Landkreisen, die solche Präferenzen nicht erhalten, unter einer erheblichen Wettbewerbsbeeinträchtigung zu leiden haben würden. Ich halte es deshalb nach wie vor für besser, mit selektiven Maßnahmen gegen die strukturellen Schwächen vorzugehen, die letztlich Ursache für die besondere Konjunkturempfindlichkeit bestimmter Räume sind. Anlage 6 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Arndt vom 24. April 1968 auf die Zusatzfrage des Abgeordneten Fritsch (Deggendorf) zu der Mündlichen Anfrage des Abgeordneten Zebisch **) In der Fragestunde der 161. Sitzung des Deutschen Bundestages hatten Sie gefragt, ob ich bei den zu treffenden Maßnahmen zur Förderung der strukturschwachen Gebiete auch berücksichtigen würde, daß kürzlich der bayerische Staatsminister für Wirt- *) Siehe 161. Sitzung Seite 8427 C **) Siehe 161. Sitzung Seite 8427 D 9054 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 169. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 30. April 1968 I schaft und Verkehr dem Bayerischen Landtag erklärt hat, „die Bemühungen um die Ansiedlung von Betrieben in strukturschwachen Gebieten seien zunehmend rezessiv, so daß es fortlaufend schwieriger werde, Betriebe in diesen strukturschwachen Gebieten anzusiedeln." Ich hatte Ihnen Prüfung und eine schriftliche Antwort zugesagt. Erfreulicherweise beobachten wir gegenwärtig wieder ein zunehmendes Interesse für Betriebsansiedlungen in den Bundesfördergebieten. Der konjunkturell bedingte Rückschlag scheint endgültig auch in dieser Beziehung überwunden, so daß wir künftig mit stärkeren Ansiedlungserfolgen rechnen dürfen als in den letzten 2 Jahren. Dazu werden auch die in ihrer Wirksamkeit verbesserten Hilfen des Regionalen Förderungsprogramms beitragen, über die ich in der Fragestunde bereits ausführlich gesprochen habe. Anlage 7 Schriftliche Antwort des Bundesministers Dr. h. c. Strauß vom 5. April 1968 auf die Mündlichen Anfragen des Abgeordneten Richarts (Drucksache zu V/2793 Fragen 115 und 116): Ist die Bundesregierung bereit, sich bei den zuständigen amerikanischen Dienststellen dafür zu verwenden, daß Leitungen für Flugbenzin so gesichert werden, damit naheliegende Flüsse mit Flugbenzin nicht verunreinigt und dadurch mit viel Muhe und Aufwand aufgebaute Fischbestände auf große Strecken total vernichtet werden, wie es am 29. März 1968 auf dem NATO-Flughafen Bitburg geschehen ist, wo 120 000 Liter Flugbenzin das Flüßchen Kyll verunreinigt haben? Wird die Bundesregierung für eine ausreichende Entschädigung der Fischereipächter an der Kyll Sorge tragen? Zu 1.: Ich bin gern bereit, bei den amerikanischen Streitkräften Vorstellungen im Sinne Ihrer Anregungen zu erheben. Nach Art. 53 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut sind die ausländischen Stationierungsstreitkräfte verpflichtet, ihren militärischen Anlagen mindestens diejenige Sicherheit zu geben, wie sie deutschen Vorschriften entspricht. Zu 2.: Wie mir das Finanzministerium des Landes Rheinland-Pfalz telefonisch mitgeteilt hat, haben die zuständigen Landesbehörden die Bearbeitung der entstandenen Schäden bereits in Angriff genommen. Wenn sich ergibt, daß berechtigte Ansprüche gegen die amerikanischen Streitkräfte bestehen — was nach deutschem Recht zu beurteilen ist —, so werden solche Ansprüche abgegolten werden, auch ohne daß die Bundesregierung deswegen besondere Sorge zu tragen hätte. Ich werde jedoch auf eine zügige Prüfung von Ansprüchen mein Augenmerk richten.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Ernst Benda


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag erwartet heute von der Bundesregierung einen Bericht zur innenpolitischen Situation. Hierbei kann es sich nicht allein um einen Polizeibericht handeln. Wenn Gewaltakte zu Mitteln des politischen Kampfes werden, dann wird ja nicht nur die öffentliche Ordnung im polizeilichen Sinne betroffen.
    Wir haben nun schon seit einem Jahr eine Eskalation des Irrsinns erlebt. Der Tod von Benno Ohnesorg, der verbrecherische Mordanschlag auf Dutschke, das sinnlose Sterben von Frings und Schreck sind die traurigen Markierungen dieses Irrweges.
    Der Staat muß sich natürlich Gedanken darüber machen, wie er eine Wiederholung derartiger Vorgänge verhindern kann. Aber nicht nur die öffentliche Ordnung ist in erster Linie in Gefahr. Ruhe und Ordnung können mit polizeilichen Mitteln wiederhergestellt werden. Würde dieser Irrweg fortgesetzt, so müßte aber die verfassungsmäßige Ordnung dieses Staates Schaden nehmen. Wir verstehen die Bundesrepublik Deutschland nach der Entscheidung unseres Grundgesetzes als freiheitlichen Rechtsstaat und als parlamentarische Demokratie. Diese Entscheidung bestimmt mit verbindlicher Kraft für jedermann das Zusammenleben in einer menschlichen Gemeinschaft. Die Gesellschaft, auch unsere Gesellschaft, ist weder heute frei von Konflikten, noch wird sie es jemals sein. Aber wir haben den Auftrag, die Chance und auch die Zuversicht, daß wir solche unvermeidlichen Konflikte mit den Mitteln des Rechts und der freien Auseinandersetzung bewältigen können; wir brauchen sie nicht zu scheuen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Sie sind notwendige, sogar begrüßenswerte Teile einer Entwicklung, die nicht in ängstlicher Konservierung des Bestehenden verharrt, sondern sich den Möglichkeiten wie den Gefahren der Zukunft stellt.
    Das Grundgesetz versteht die verfassungsmäßige Ordnung als eine freiheitlich-demokratische und rechtsstaatlich-soziale Ordnung. Dabei geht es nicht von einer romantisierenden Vorstellung aus, welche die einmal bestehenden Verhältnisse für schlechthin ideal hält. Vielmehr nimmt die freiheitlich-demokratische Ordnung „die bestehenden, historisch gewordenen staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse und die Denk- und Verhaltensweisen der Menschen zunächst als gegeben hin. Sie sanktioniert sie weder schlechthin, noch lehnt sie sie grundsätzlich und im ganzen ab; sie geht vielmehr davon aus, daß sie verbesserungsfähig und -bedürftig sind". So äußert sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Verbotsurteil gegen die Kommunistische Partei.
    Jeder Staatsbürger, jede politische und soziale Gruppe ist daher berechtigt, ja sogar verpflichtet, wirkliche oder vermeintliche Mißstände anzusprechen. Sie alle sollen und dürfen auf die Änderung der von ihnen für falsch gehaltenen Verhältnisse drängen. Weder die Diskussion noch die kämpferische Auseinandersetzung hierüber verstößt gegen die verfassungsmäßige Ordnung. Demokra-



    Bundesminister Benda
    tie, erst recht parlamentarische Demokratie, setzt vielmehr solche Diskussion und solche Auseinandersetzung voraus. Dies gilt ebenso für das Parlament selbst. Sein Lebenselement, sein eigentliches Wesen ist die freimütige und kämpferische Erörterung aller Fragen von öffentlichem Interesse.
    Bildet sich eine leidenschaftliche außerparlamentarische Diskussion, so kann dies darauf hindeuten, daß das Parlament drängende Fragen nicht oder nicht genügend oder nicht freimütig genug behandelt hat. Daß die bestehenden Verhältnisse oder die Denk- oder Verhaltensweisen der Menschen von einzelnen oder von Gruppen kritisiert werden, kann daher für sich niemals ein Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung sein.
    Die Kritik mag oft leidenschaftlich, auch polemisch und ungerecht sein. Sie ist dies vor allem bei den jüngeren Menschen, die ja den heute erreichten Zustand nicht mit dem Chaos zu vergleichen vermögen, das am Beginn des staatlichen Neuanfangs stand. Aber diese Kritik gehört zu den Elementen, die den freiheitlichen Staat ausmachen.
    Es ist dann aber entscheidend, wie sich der Kampf der Meinungen und Interessen vollzieht. Das Bundesverfassungsgericht fährt an der erwähnten Stelle fort:
    Was jeweils praktisch zu geschehen hat, wird also in ständiger Auseinandersetzung aller an der Gestaltung des sozialen Lebens beteiligten Menschen und Gruppen ermittelt. Dieses Ringen spitzt sich zu einem Kampf um die politische Macht im Staat zu. Aber es erschöpft sich nicht darin. Im Ringen um die Macht spielt sich gleichzeitig ein Prozeß der Klärung und Wandlung dieser Vorstellung ab. Die schließlich erreichten Entscheidungen werden gewiß stets mehr den Wünschen und Interessen der einen oder anderen Gruppe oder sozialen Schicht entsprechen; die Tendenz der Ordnung und die in ihr angelegte Möglichkeit der freien Auseinandersetzung zwischen allen realen und geistigen Kräften wirkt aber ... in Richtung auf Ausgleich und Schonung der Interessen aller.
    So weit das Zitat des Bundesverfassungsgerichts.
    Die verfassungsmäßige Ordnung setzt also zugleich die freie Auseinandersetzung und die Ordnung voraus, in der allein eine wirkliche freie Auseinandersetzung möglich ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das Ziel darf weder Klassenkampf noch Revolution sein,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    sondern „Ausgleich. und Schonung der Interessen aller", mithin der Versuch, zu konkreten Reformen zu kommen, wo sie notwendig sind, aber im Rahmen der Ordnung und mit den Mitteln des Rechts. Dies schließt Gewalt in jeder Form und gegen jedermann aus.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Vorgänge in unserem Lande seit dem 11. April 1968 lassen erkennen, daß diese Maßstäbe einigen kleinen, radikalen Gruppen verlorengegangen sind.
    Diese Gruppen mißachten bewußt Gesetz und Recht, und sie setzen an deren Stelle die Mittel der Gewalt.
    Der äußere Ablauf der Geschehnisse seit dem 11. April ist Ihnen allen bekannt; ich muß ihn hier nicht wiederholen. Meine zusammenfassende Darstellung soll versuchen, eine vorläufige Bilanz zu ziehen und die Erörterung der Konsequenzen vorzubereiten, die sich hieraus ergeben.
    Seit dem Attentat auf Dutschke fanden zahlreiche friedliche Demonstrationen statt, zugleich aber auch Aktionen mit Gewaltanwendung, deren Ziel im wesentlichen Einrichtungen des Verlagshauses Springer waren. Nach den mir von den Herren Innenministern der Länder gemachten Angaben fanden in diesen fünf Tagen jeweils in bis. zu 27 Städten Demonstrationen statt. In insgesamt 26 Fällen, also etwa einem Fünftel, waren sie mit Ausschreitungen, Gewaltakten oder schwerwiegenden Rechtsverletzungen verbunden. An den einzelnen Tagen waren an Demonstrationen im Bundesgebiet jeweils zwischen 5000 und 18 000 Personen beteiligt — die Teilnehmer der Ostermärsche sind hier nicht eingerechnet —; an Demonstrationen mit Ausschreitungen beteiligten sich jeweils zwischen 4000 und 11 000 Personen.
    Es ist also deutlich zu unterscheiden zwischen den Aktionen radikaler Gruppen und den friedlichen Demonstrationen.

    (Abg. Dr. Barzel: Sehr gut!)

    Umfang und Grenzen des Demonstrationsrechts ergeben sich unmittelbar aus dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit. Die Demonstration als eine Form der kollektiven Meinungskundgabe gibt dem Staatsbürger die Möglichkeit, seine politische Auffassung nach außen hin zur Geltung zu bringen. Dieses unbestrittene Recht entbindet die Versammlungsteilnehmer aber nicht davon, die allgemeinverbindlichen Gesetze zu achten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge dürfen nicht unmittelbar die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden.
    Wer von °seinem Demonstrationsrecht, also einem Grundrecht, Gebrauch macht, der muß in -gleicher Weise die Grundrechte anderer und die Rechte der Allgemeinheit achten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der FDP.)

    Die Behauptung, daß die Versammlungs- oder Demonstrationsfreiheit gegenüber anderen Grundfreiheiten den Vorrang habe, findet im Grundgesetz keine Stütze. Diejenigen Aktionen während der Ostertage, die mit Zuwiderhandlungen gegen allgemeine und für jedermann verbindliche Strafvorschriften verbunden waren, sind durch das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nicht gedeckt. Der
    I Umfang der begangenen Ausschreitungen ergibt sich aus der Zahl der eingeleiteten Ermittlungsverfahren.
    Nach den von den Herren Innenministern der Länder mitgeteilten Zahlen ist inzwischen gegen insgesamt 827 Beschuldigte ein polizeiliches Ermitt-



    Bundesminister Benda
    lungsverfahren eingeleitet worden. Diese Verfahren werden der Staatsanwaltschaft zugeleitet; es kann natürlich heute nicht gesagt werden, in wie vielen Fällen Anklage erhoben werden wird oder Verurteilungen erfolgen werden.
    Die eingeleiteten polizeilichen Ermittlungsverfahren — insgesamt also gegen 827 Beschuldigte — betreffen in 331 Fällen Verstöße gegen § 116 des Strafgesetzbuchs (Auflauf), in 33 Fällen Verfahren wegen Aufruhrs (§ 115 StGB), in 215 Fällen wegen Landfriedensbruchs (§ 125 StGB), in 105 Fällen wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt (§ 113 StGB), in 276 Fällen sonstige Straftaten wie Sachbeschädigung, Brandstiftung, Körperverletzung und ähnliche Delikte.
    Dies sind insgesamt 960 Ermittlungsverfahren; die Differenz zu der bereits genannten Zahl von Verfahren gegen 827 Personen erklärt sich daraus, daß gegen einen Teil der Beschuldigten Verfahren wegen mehrerer Straftaten eingeleitet worden sind.
    Von den Beschuldigten sind 87 bis zu 18 Jahren alt, 210 zwischen 19 und 21 Jahren, 246 zwischen 22 und 25 Jahren; 286 Personen sind älter als 25 Jahre. Nach Berufen aufgegliedert, ergibt sich folgendes Bild: 92 sind Schüler, 286 Studenten, 185 Angestellte, 150 Arbeiter, 31 sonstige Berufe, 97 ohne Beruf, unbekannt ist der Beruf bei 26 Personen.
    Meine Damen und Herren, diese Aufgliederung scheint mir zu zeigen, wie falsch es wäre, die Gewaltaktionen als Studentenunruhen zu bezeichnen.

    (Beifall.)

    Neben militanten Studentenorganisationen, insbesondere dem SDS, waren andere Personen auch höheren Lebensalters beteiligt, deren Verhalten keinesfalls den Studenten zugerechnet werden kann. Es wäre falsch und ungerecht, die große Mehrheit der Studenten für das Verhalten einer kleinen Gruppe veranwortlich zu machen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    In München haben die Aktionen einer radikalen Minderheit zwei Todesopfer gefordert. Als bisher einzige der an den Aktionen beteiligten Gruppen hat der Liberale Studentenbund seine Mitverantwortung für diesen sinnlosen Tod öffentlich anerkannt. Der 2. Vorsitzende des SDS, Frank Wolff, hat zwar sein Bedauern über den Tod des Journalisten Frings ausgesprochen, aber zugleich erklärt, daß man jetzt „auch nicht rührselig werden" dürfe.

    (Zurufe von der Mitte: Hört! Hört! Pfui!)

    Herr Mahler, der als Beruf Rechtsanwalt angibt, hat nach Bekanntwerden des Todes von Frings erklärt, daß man „von vornherein mit solchen Unglücksfällen gerechnet" habe.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Auf Vorhaltungen bestürzter Studenten sagte er: „Wir haben niemanden für so dumm gehalten, daß man das öffentlich erklären muß. Wenn ich mich an das Steuer eines Wagens setze, muß ich auch damit rechnen, daß vielleicht ein Reifen platzt." Der Zynismus, der den durch einen Pflasterstein verursachten Tod für einen Betriebsunfall hält, entspricht für mein
    Empfinden sehr viel mehr dem Verhalten eines Menschen, der sich in betrunkenem Zustande an das Steuer eines Autos setzt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Er wird natürlich nicht die Absicht haben, andere zu töten, aber er weiß oder müßte wissen, daß sein eigenes Verhalten mit hoher Wahrscheinlichkeit eine solche Folge hat. Nach der Überzeugung unserer Rechtsordnung handelt ein solcher Täter kriminell. Wer darüber hinaus von vornherein mit Todesfällen als Folge seiner Aktionen rechnet und dennoch tätig wird, handelt im Rechtssinn mit Eventualvorsatz, Dolus eventualis, der ebenso wie der direkte Tötungsvorsatz strafbar ist.
    Nach den Ostertagen teilte ein Berliner SDS-Funktionär in Kiel öffentlich mit, daß der Berliner SDS eine Blockade der Autobahn nach Berlin geplant habe. Der Plan sei zwar nicht verwirklicht worden, aber keineswegs erledigt; er werde wiederaufgenommen werden, wenn die Ziele der SDS mit anderen Mitteln nicht erreicht werden könnten.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

    Der das gesagt hat, hat auch nicht nur geprahlt. Herr Rechtsanwalt Mahler war der Erfinder dieses brillanten Plans, und bestimmte SDS-Funktionäre in Berlin haben über seine Verwirklichung bereits Gespräche mit bestimmten Stellen in der SBZ geführt.

    (Abg. Dr. Barzel: Pfui! — Hört! Hört! bei der SPD.)

    Das Beispiel zeigt wohl, welcher Verirrung eine solche wahnsinnige Zerstörungslust fähig ist, und es zeigt auch, daß dieser Wahnsinn seine eigene Methode hat.
    Bei den Demonstrationen in Frankfurt am 15. April wurden u. a. folgende Kampfparolen ausgegeben — ich zitiere —: „Bildet Greifer-Trupps von 12 Mann Stärke, die besonders tatkräftige Polizisten schnappen und zusammenschlagen. Das Anzünden umgestürzter Autos und das Werfen von Molotow-Cocktails ist ab sofort als Notwehr zu betrachten. Warum sollen wir davor zurückschrecken, den Polizeibeamten die Daumen in die Augen zu drücken?"
    Am 11. April sagte der SDS-Funktionär Udo Riechmann in Frankfurt: „Ich bedauere, daß in Frankfurt zwei Kaufhäuser gebrannt haben; ich würde es lieber sehen, der Societäts-Verlag und das amerikanische Generalkonsulat gingen in Flammen auf."
    Der Sprecher der Münchner SDS-Gruppe, Reiner Jendis, sagte am 19. April: „Wir werden auch weiterhin Gewalt gegen Sachen anwenden, und wir werden auch weiterhin gegen die Gesetze verstoßen." Das war nach den Oster-Unruhen und nach den Todesopfern.
    Solche Äußerungen, denen auch Taten gefolgt sind, können um zahlreiche andere Beispiele vermehrt werden. Sie verraten die Bereitschaft der militanten Gruppen, sich für ihre politischen Zwecke aller verfügbaren Mittel zu bedienen. Die Anwendung der Mittel soll nicht durch Achtung vor dem



    Bundesminister Benda
    Gesetz, sondern nur durch Fragen der Zweckmäßigkeit begrenzt werden.
    Dabei könnte man die von einem Teil des SDS vertretene utopische Zielvorstellung an sich, wenn man noch lächeln könnte, als romantische Schwärmerei belächeln. Zwar wird der heutigen Gesellschaft vorgeworfen, daß sie die real vorhandenen Konflikte leugne oder unterdrücke; zugleich verfolgen aber eben diese Kritiker das utopische Ziel einer Gesellschaftsordnung, in der die Herrschaft des Menschen über den Menschen endgültig und radikal beseitigt sein soll. Der Unterschied liegt dann nur darin, daß der vermeintliche Idealzustand erst am Ende jenes langen Marsches erreicht werden soll, der revolutionäre Mittel notwendig macht und damit den heute Lebenden um solchen fernen Zieles willen Opfer zumutet. Diese Auffassung ist unserer verfassungsmäßigen Ordnung genau entgegengesetzt.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Ich selbst habe in einer vor zwei Jahren erschienenen Arbeit einmal versucht, die Ordnung des Grundgesetzes eben solchen Utopien gegenüberzustellen, und damals geschrieben:
    Entscheidend ist, ob die Gesellschaft auf das Gemeinwohl hin angelegt ist, nämlich, ob sie nach ihrer Gesamtordnung die Chance bietet, dem Ideal näher zu kommen, ohne daß auf dem Wege dorthin das individuelle Interesse und das private Glück des einzelnen zertreten werden müssen. Die Behauptung, daß am Ende eines mühsamen und leidvollen Weges, bei dem auch nur einem Teil der Bürger unzumutbare Opfer auferlegt werden, doch die allgemeine und vollkommene Glückseligkeit stehen werde, stellt nur für den Vertreter totalitärer Auffassungen ein Argument dar.
    Es ist, wie unser Kollege Adolf Arndt einmal geschrieben hat, „der wohl bezeichnendste Zug in jedem Totalitarismus, daß seine Machthaber so handeln, als wären sie zum jüngsten Gericht berufen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wo Menschen so verfahren", schließt Adolf Arndt, „endet jede Barmherzigkeit."
    Die Bundesregierung hat in engem Zusammenwirken mit den Innenministern der Länder im Rahmen ihrer verfassungsmäßigen Zuständigkeit alsbald die erforderlichen Schritte unternommen, um eine Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu ermögilchen. Im Bundesinnenministerium wurde sofort nach dem Attentat am Gründonnerstag ein ständiger Bereitschaftsdienst eingerichtet. Die Verbindung mit den Ländern stellte die schnelle und ständige Unterrichtung der Bundesregierung sicher.
    Nach Art. 30 des Grundgesetzes ist die Erfüllung der staatlichen Aufgaben auf dem Gebiet von Sicherheit und Ordnung Sache der Länder. Dem Bund steht im wesentlichen nur der Bundesgrenzschutz zur Verfügung, dessen Aufgaben nach geltendem Recht überwiegend auf die Sicherung der Grenzen der Bundesrepublik beschränkt sind. Im übrigen kann der Bund nur im Falle eines überregionalen
    inneren Notstandes nach Art. 91 Abs. 2 des Grundgesetzes in der heute geltenden Fassung eingreifen, und zwar dann, wenn die Länder nicht mehr in der Lage oder nicht bereit sind, aus eigener Kraft der Gefahr wirksam entgegenzutreten.
    Der Ernst der Vorgänge an den Ostertagen soll sicher nicht verkannt werden; aber zu keinem Zeitpunkt hat ein innerer Notstand, weder im Sinne des Art. 91 Abs. 1 noch im Sinne des Art. 91 Abs. 2 des Grundgesetzes, vorgelegen. Der Bund hatte daher verfassungsrechtlich keine Möglichkeit, unmittelbar einzugreifen; sachlich bestand hierzu auch keine Notwendigkeit.
    Diese Rechtslage entbindet die Bundesregierung jedoch nicht von ihrer politischen Verpflichtung, derartigen ernsten Vorgängen größte Aufmerksamkeit zu widmen

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    und im Rahmen ihrer Möglichkeiten in ständiger Zusammenarbeit mit den Ländern beratend und unterstützend tätig zu werden. Bund und Länder haben ständig und vertrauensvoll zusammengearbeitet. Die Innenminister der Länder haben den Bundeskanzler und den Bundesinnenminister laufend über alle wesentlichen Ereignisse unterrichtet, und die zuständigen Stellen des Bundes haben die Länder mit ihren Möglichkeiten unterstützt.
    Am ersten Tage der Unruhen, Gründonnerstag, kam es an einigen Orten zu schwerwiegenden Störungen der öffentlichen Ordnung und zu zahlreichen Straftaten. Nachdem die Polizeien der Länder bzw. der Gemeinden den Ernst der Lage erkannten, gelang es ihnen aber alsbald, durch energisches Eingreifen Herr der Situation zu werden. Die Erfahrungen der Ostertage berechtigen zu der Zuversicht, daß die Länder nach der personellen Stärke, Ausbildung und Ausrüstung der Polizei durchaus in der Lage sind, mit derartigen Unruhen fertig zu werden. Dies gilt um so mehr, wenn einzelne noch bestehende Schwächen möglichst bald beseitigt werden.
    Der Bund ist auf Grund eines Verwaltungsabkommens mit den Ländern an der Ausrüstung und Ausbildung der Bereitschaftspolizei beteiligt. Die mittelfristige Finanzplanung hat zu einer Verlangsamung des weiteren Aufbaues, insbesondere der Ausrüstung neuer Einheiten der Bereitschaftspolizei, geführt. Ich beabsichtige, den Herrn Bundesminister der Finanzen zu bitten, mit mir gemeinsam zu prüfen, ob hier nicht eine Beschleunigung möglich ist.
    Der Polizei ist vorgeworfen worden, daß sie in einer Reihe von Einzelfällen in übermäßiger Weise von den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln Gebrauch gemacht habe. Soweit dabei gegen einzelne Beamte derartige Vorwürfe erhoben werden, werden und müssen sie von den zuständigen Behörden und Gerichten nachgeprüft werden. Einer pauschalen Verurteilung der Polizei muß ebenso entschieden entgegengetreten werden wie einer verallgemeinernden Kritik an allen, auch den mit friedlichen Mitteln arbeitenden Demonstranten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)




    Bundesminister Benda
    Meine Damen und Herren, die Polizei hatte eine sehr schwere Aufgabe zu erfüllen. Insgesamt 280 Polizeibeamte — wesentlich mehr, als in der Presse gemeldet wurde — haben bei ihrem Einsatz über Ostern Verletzungen erlitten.

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    Demgegenüber hat sich die genaue Zahl verletzter Demonstranten oder Unbeteiligter nicht ermitteln lassen, weil leichter Verletzte sich oft ohne fremde Hilfe vom Ort der Demonstration entfernt haben und schwerer Verletzte nicht in allen Fällen der Polizei gemeldet wurden. Der Polizei liegen zuverlässige Meldungen nur über 25 verletzte Demonstranten und 8 verletzte Unbeteiligte vor. Wenn man die in der Presse gemeldeten, wahrscheinlich auf Schätzungen beruhenden Verletztenzahlen — ohne die Polizeibeamten — zusammenzählt, ergeben sich insgesamt 290 Personen, also etwa genausoviel wie verletzte Polizeibeamte, von denen aber mit Sicherheit ein Teil nicht auf Grund polizeilichen Eingreifens zu Schaden gekommen ist, so die beiden in München zu Tode Gekommenen.
    Die Polizei mußte Leben, Gesundheit und Eigentum der Bürger auch gegen Gruppen verteidigen, die vor keiner Gewalttat zurückschrecken und darüber hinaus ihr Handeln darauf anlegen, die Polizei zu provozieren. Die rechtlich und moralisch unsinnige Unterscheidung von Gewalt gegen Personen und Gewalt gegen Sachen entbindet die Polizei nicht von ihrer Pflicht, in beiden Fällen einzugreifen. Je frühzeitiger, entschlossener und zugleich besonnener, unter Beachtung des polizeilichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der Mittel, gegen Ausschreitungen eingegriffen wird, desto eher gelingt es, Schlimmeres zu verhüten und diejenigen zur Besinnung zu bringen, die überhaupt noch zur vernünftigen Überlegung fähig sind. Ein verspäteter oder verzögerter Einsatz der Polizei führt in aller Regel zu größeren Opfern für alle Beteiligten.

    (Beifall in der Mitte.)

    Die Innenminister der Länder haben am 17. April allen Polizeibeamten den Dank für ihre Pflichterfüllung ausgesprochen. Die Bundesregierung schließt sich diesem Dank an.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Aus den Vorgängen an den Ostertagen ergeben sich eine Reihe von konkreten Fragen, die einer baldigen Beantwortung bedürfen. Einzelmaßnahmen sind jetzt schon eingeleitet. Das Bundesinnenministerium hat sofort nach den Ostertagen einen ständigen Bereitschaftsdienst von sachkundigen Beamten eingerichtet. Er wird in Zukunft dauernd, d. h. auch außerhalb der Zeiten von Unruhen, tätig werden. Es wird daher nunmehr jederzeit möglich sein, eingehende Informationen sofort zu sammeln und damit die Unterlagen für notwendige politische Entscheidungen ständig zur Verfügung zu stellen. Für die praktische Durchführung dieser Aufgabe ist das Bundesinnenministerium auf die Mitarbeit der Länder angewiesen. Der dezentralisierte Aufbau der Polizei entspricht dem bundesstaatlichen Prinzip. Er kann den Schutz der öffentlichen Sicherheit und
    Ordnung durchaus gewährleisten. Die wesentlichen praktischen Entscheidungen müssen ohnehin an Ort und Stelle unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse des Einzelfalles getroffen werden. Der Bund strebt weder für den Bereich der Schutzpolizei noch den der Kriminalpolizei zentralistische Lösungen an. Wenn aber das Polizeiwesen auf föderalistischer Ebene funktionieren soll, so setzt dies ein hohes Maß an Bereitschaft zur sachlichen Zusammenarbeit voraus.

    (Beifall in der Mitte.)

    Der Sicherheitsbereich ist nur eines der Gebiete, auf denen der zur Kooperation bereite Föderalismus sich bewähren muß, aber auch bei Fehlen dieser Bereitschaft scheitern könnte. Über die unmittelbar berührten Sachfragen hinaus wird damit ein verfassungsrechtliches und verfassungspolitisches Grundproblem aufgeworfen, das Bund und Länder, Regierungen und Parlamente auf zahlreichen Gebieten immer mehr beschäftigen wird.
    Die Konferenz der Innenminister der Länder mit ihren verschiedenen Arbeitskreisen hat sich für ihren Aufgabenbereich stets um eine enge Zusammenarbeit der Länder untereinander und eine gute Zusammenarbeit mit dem Bund bemüht. Die Bereitschaft zu einer noch engeren Kooperation kann sicher überall vorausgesetzt werden.
    Dabei werden zu einigen Fragen Überlegungen anzustellen sein. Möglicherweise führen sie auch zu dem Ergebnis, daß Rechtsnormen überprüft und unter Umständen auch geändert werden müßten. Ich hielte es aber für falsch, derartige Überlegungen übereilt, ohne reifliche Prüfung der Vor- und Nachteile und ohne den Versuch einer Verständigung zwischen den Beteiligten hier vorzutragen.

    (Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)

    Damit ließen sich möglicherweise populäre Effekte erzielen, aber der Sache würde kaum ein Dienst erwiesen werden. Ich möchte daher heute keine derartigen Vorschläge machen, sondern nur auf wenige Punkte hinweisen, bei denen künftige Überlegungen ansetzen sollten.
    Es scheint immerhin ernster Erwägung wert, ob nicht der Bund auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung — möglicherweise auch auf anderen Gebieten — ein Recht auf hinreichende und schnelle Information durch die Länder erhalten sollte, statt nur auf deren sicher vorauszusetzenden guten Willen angewiesen zu sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Im Falle überregionaler Störungen der Sicherheit und Ordnung, die keinen inneren Notstand im Sinne des Art. 91 des Grundgesetzes darstellen, sollten, wie ich meine, dem Bund gewisse Koordinierungsbefugnisse zugestanden werden, die die Entscheidungsfreiheit und Verantwortlichkeit der Länder nicht aufheben, aber doch eine gewisse Gleichmäßigkeit der Gegenmaßnahmen sicherstellen.
    Die Herren Innenminister der Länder, mit denen ich diese und andere Fragen möglichst bald bespre-



    Bundesminister Benda
    chen möchte, wissen ja darüber hinaus, daß sie für ihren eigenen Bereich eigene Überlegungen anstellen werden. Hierzu gehört sicher auch die Frage, ob das Fortbestehen der Kommunalpolizeien, die in einigen Ländern vorhanden sind, heute wirklich noch zeitgemäß ist.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Ohnehin erschwert die Uneinheitlichkeit der Polizeiorganisation jede Übersicht und jede Möglichkeit der Koordinierung. Würde wirklich einmal ein überregionaler innerer Notstand entstehen, der den Bund zum Eingreifen verpflichten würde, dann würde sich die Buntscheckigkeit der Polizeiorganisation sehr bald als ein schwerer Mangel herausstellen, der zu sehr negativen Folgen führen könnte.
    Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es, rechtzeitig Aufschluß über verfassungsfeindliche Bestrebungen zu bekommen. Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen und demokratischen Grundordnung; er hat Anspruch auf jede Unterstützung durch alle staatlichen Stellen, und er verdient das volle Vertrauen der Staatsbürger, ohne das er keine sinnvolle Arbeit leisten könnte.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD.)

    Wenn bei einer Organisation verfassungsfeindliche Bestrebungen zutage treten, muß der Verfassungsschutz ihr erhöhte Aufmerksamkeit widmen.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Auch in Hessen!)

    Es hat in der Vergangenheit vereinzelt Zurückhaltung bei der Überwachung des SDS durch den Verfassungsschutz gegeben. Nach den Vorgängen der Ostertage halte ich diese Zurückhaltung nicht mehr für angebracht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD.)

    Ich beabsichtige, dort, wo es noch Schwierigkeiten geben sollte, bei den zuständigen Stellen auf eine Überprüfung der früher geäußerten Auffassungen zu drängen. Falls sich keine Einigung erzielen lassen sollte, müßte ich notfalls von der mir in § 5 Abs. 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes gegebenen Möglichkeit Gebrauch machen, den Landesämtern entsprechende Weisungen zu erteilen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD.)

    Ich nehme aber an, daß nach den Ereignissen der Ostertage überall eine richtige Einschätzung der Bestrebungen des SDS eingetreten sein wird.
    Über diese Einzelfrage hinaus stellt sich heute die Frage nach dem Verbot des SDS. Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes sagt, daß Vereinigungen verboten sind, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten. Die Beurteilung des Charakters des SDS muß sich an diesem Maßstab orientieren.
    Das erklärte Ziel aller ideologischen Gruppen des SDS ist die „revolutionäre Transformierung" der Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik, d. h. der Umsturz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, an deren Stelle ein sozialistisches System eigener Prägung treten soll. Der Parlamentarismus wird scharf abgelehnt; das Parlament wird nach einem im Dezember 1967 vom SDS Bonn verteilten Flugblatt als „eine vom Monopolkapital lizenzierte Schwatzbude" gesehen.

    (Abg. Stücklen: Solche Töne haben wir schon einmal gehört!)

    Über die sozialistischen Zielvorstellungen, die am Ende der erhofften Veränderung der Grundordnung stehen soll, sind sich die verschiedenen Gruppen des SDS dagegen nicht einig. Während sich die marxistisch-leninistische Gruppe — die Kommunisten und „Traditionalisten" — darunter die „Diktatur des Proletariats" vorstellen, also Ziele verfolgen, die vom Bundesverfassungsgericht im KPD-Verbotsurteil bereits als verfassungswidrig festgestellt worden sind, will der zur Zeit führende anarchistischmaoistische Flügel des SDS eine „Räterepublik" unter Ablehnung jeglicher Autorität. Einig sind sich beide Gruppen innerhalb des SDS über die Ablehnung und Abschaffung der parlamentarischen Demokratie.
    Die verfassungsmäßige Ordnung in dem Sinne, wie ich sie zu Eingang meiner Ausführungen hier skizziert habe, wird abgelehnt und bekämpft. Dieses Ziel und die Wahl der Mittel, die hierfür eingesetzt werden sollen, ergibt sich aus zahllosen Äußerungen führender SDS-Funktionäre, und die Ostertage haben gezeigt, daß den Worten auch die Bereitschaft zu Taten entspricht.
    Ich bemühe Ihre Geduld nur mit zwei Zitaten. In dem eben erschienenen Buch „Rebellion der Studenten oder die neue Opposition" schreibt Dutschke:
    An jedem Ort der Bundesrepublik ist die Auseinandersetzung in radikaler Form möglich. Es hängt von unseren schöpferischen Fähigkeiten ab, kühn und entschlossen die sichtbaren und unmittelbaren Widersprüche zu vertiefen und zu politisieren, Aktionen zu wagen, kühn und allseitig die Initiative der Massen zu entfalten. Die wirkliche revolutionäre Solidarität mit der vietnamesischen Revolution besteht in der aktuellen Schwächung und der prozessualen Umwälzung der Zentren des Imperialismus. Unsere bisherige Ineffektivität und Resignation lag mit in der Theorie. Die Revolutionierung der Revolutionäre ist so die entscheidende Voraussetzung für die Revolutionierung der Massen.
    Manches hiervon ist vielleicht schwer verständlich. Darum zitiere ich, was deutlicher ein SDS-Funktionär auf einer Tagung des SDS im internationalen Freundschaftsheim Bückeburg geäußert hat:
    Friedlichere Formen sind nur eine Renaissance des bestehenden Systems. Eine rasche Transformation ist die Forderung der Stunde, d. h. der etablierte Apparat muß zerschlagen und ein gewisses Ausmaß an Gewalt angewendet werden.
    Ich meine, das ist deutlicher.



    Bundesminister Benda
    Im Lichte dieser und zahlreicher ähnlicher Selbstdarstellungen der politischen Ziele des SDS bin ich überzeugt, daß er gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland gerichtete Bestrebungen verfolgt und daher eine verfassungsfeindliche Organisation im Sinne des Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes ist.
    Die Voraussetzungen für ein Verbot des SDS nach dem Vereinsgesetz sind daher gegeben. Zuständig hierfür ist nach § 3 der Bundesminister des Innern.
    Ich habe dem Bundeskabinett in seiner letzten Sitzung, am letzten Mittwoch, gleichwohl vorgeschlagen, zum gegenwärtigen Zeitpunkt von einem Verbot abzusehen. Das Bundeskabinett hat diesem Vorschlag zugestimmt.
    Bei der Prüfung und Entscheidung der Verbotsfrage war zunächst zu klären, ob denn der Bundesinnenminister nicht verpflichtet ist, unter den in Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes und § 3 des Vereinsgesetzes bezeichneten Voraussetzungen gegen derartige Organisationen vorzugehen. Eine solche Verpflichtung, die keinen Ermessensspielraum läßt, ist im Gesetz nicht ausgesprochen; sie ist auch nicht durch die Rechtsprechung anerkannt oder aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen abzuleiten.
    Aber selbstverständlich kann es der Bundesminister des Innern nicht etwa aus bloßer Bequemlichkeit oder aus reinen Erwägungen der politischen Opportunität ablehnen, seiner Überzeugung gemäß zu handeln, wenn er von der Verfassungswidrigkeit einer Organisation nach gewissenhafter Prüfung überzeugt ist. Oberste Richtlinie muß vielmehr die Beantwortung der Frage sein, welche zur Verfügung stehenden Maßnahmen erforderlich und ausreichend sind, um den verfassungswidrigen Bestrebungen nachhaltig, zugleich unter Berücksichtigung des Verfassungsgrundsatzes der Verhältnismäßigkeit des Mittels entgegenzutreten.
    Wenn dieses Ziel beachtet wird, kann und muß politisch entschieden werden, ob eine solche Vereinigung in jedem Falle oder nur dann verboten werden soll, wenn dies das wirksamste Mittel zur Bekämpfung der verfassungswidrigen Bestrebungen ist.
    Diese von mir vertretene Auffassung, die auch in dem KPD-Verbotsurteil des Bundesverfassungsgerichts eine gewisse Stütze findet, halte ich auch für rechtsstaatsgemäß. Auch die Einräumung einer Entscheidungsfreiheit an die Verwaltung, ob sie von den ihr vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellten und klar umrissenen Eingriffsmöglichkeiten Gebrauch machen will, ist rechtsstaatsgemäß, wie z. B. der Kommentar zum Grundgesetz vom Leibholz-Rinck unter Verweisung auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sagt; ich zitiere daraus:
    Das Prinzip des Rechtsstaates fordert nur, daß der einzelne wissen muß, inwieweit die Verwaltung in seinen Rechtskreis eingreifen darf, fordert aber weder, daß der Gesetzgeber die Verwaltung bindet, den möglichen Eingriff immer zu vollziehen, noch daß der Gesetzgeber tatbestandsmäßig genau umreißt, wann die Verwaltung von einem zulässigen, nach Tatbestand und Form eindeutig geregelten Eingriff Abstand nehmen darf.
    Ich halte es daher für die Pflicht und das Recht der Verbotsbehörde, sorgfältig zu prüfen, welches der heute richtige Weg ist, um die verfassungswidrigen Bestrebungen des SDS am wirksamsten zu bekämpfen.
    Die Entscheidung, die ich hier vorgetragen habe, gilt hier und heute; veränderte Umstände können zu einer Überprüfung der hier vorgetragenen Auffassung führen. Zweifellos gibt es gewichtige Gründe, die für ein Verbot des SDS sprechen.
    Die weitgehend vom SDS gesteuerten gewalttätigen Aktionen haben erhebliche Unruhe in die Bevölkerung getragen; mit überwältigender Mehrheit lehnt sie die Ausschreitungen ab und befürwortet energische staatliche Maßnahmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Noch gewichtiger ist das Bekenntnis des Grundgesetzes zu einer streitbaren Demokratie. Die Art. 9 Abs. 2, 18 und 21 Abs. 2 des Grundgesetzes könnten an Glaubwürdigkeit verlieren, wenn sie überhaupt nicht oder vielleicht nur einseitig gegen eine politische Richtung angewendet würden.
    Zugleich ist aber zu bedenken, daß ein Verbot des SDS heute nur diese Organisation, nicht dagegen die Träger radikaler Ideen an sich treffen würde. Die Anhänger des SDS würden sofort in befreundete Organisationen ausweichen; schon heute bestehen Doppel- oder Mehrfachmitgliedschaften in vergleichbaren, oft nicht weniger militanten Gruppen, die dann sofort weiter radikalisiert werden würden. Das Verbot des SDS würde daher zwangsläufig eine Kette weiterer Verbotsverfahren auslösen. Die notwendige und rechtlich zulässige Überwachung dieser Organisation würde durch ein Verbot eher erschwert werden. Ein Verbot würde Solidaritätserklärungen selbst unpolitischer oder nicht radikaler Studenten oder Professoren wahrscheinlich zur Folge haben. Das Verbot würde als Beweis dafür gelten, daß den staatlichen Behörden außerdem — wie es dann hieße — wieder einmal nichts eingefallen sei.
    Das Verbot würde — dies ist vielleicht der wichtigste Grund — den schon begonnenen Prozeß der Selbstbesinnung der Studentenschaft, selbst bis in den SDS hinein, und die Isolierung der radikalen Elemente in der Studentenschaft verhindern oder doch abbremsen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die natürliche Neigung, sich mit Minderheiten zu solidarisieren, würde gefördert und damit die Anfälligkeit für radikale Ideen verstärkt werden.
    Die weitgehend vom SDS ausgelösten und gesteuerten Unruhen waren ernst genug; aber sie haben den Staat nicht in Gefahr gebracht. Staat und Gesellschaft sind intakt; sie verfügen über genügend eigene Abwehrkräfte, um die extremen Gedanken und Bestrebungen nicht nur mit Zwangsmitteln unter



    Bundesminister Benda
    die Herrschaft von Gesetz und Recht zu bringen, sondern sie auch politisch zu überwinden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Auch das Ausland möge die innenpolitische Situation nicht falsch beurteilen; weder befindet sich die Bundesrepublik, wie die Kommunisten hoffen mögen, in einer vorrevolutionären Epoche, noch bereitet sich, wie andere glauben mögen, ein Wiederaufleben des nazistischen Ungeistes vor. Wahr ist leider nur, wie wir seit Sonntag erneut wissen, daß der Links- und der Rechtsradikalismus sich gegenseitig hochsteigern.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wer den SDS will, muß auch die NPD in Kauf nehmen, und umgekehrt.
    Die parlamentarische Demokratie, der freiheitliche Rechtsstaat sind in der Bundesrepublik Deutschland festgegründet; wir alle werden es nicht zulassen, daß dieser unser Staat von kleinen militanten Gruppen zugrunde gerichtet wird.

    (Beifall.)

    Freilich dürfen wir nicht sorglos zuschauen, wie solche Gruppen den Aufstand proben.
    Meine Auffassung zur Frage des Verbotes des SDS verkennt nicht, daß Autorität und Ansehen des Staates des Schutzes bedürfen; sie geht im Gegenteil davon aus, daß ein Verbot zwar auf kurze Sicht vielen gefallen würde, aber auf längere Dauer wahrscheinlich einen um so stärkeren Autoritätsverlust des Staates bewirken müßte. Im übrigen schlage ich nicht vor, solchen Bestrebungen untätig zuzusehen. Alle Anstrengungen sind darauf zu richten, daß die Polizei und die anderen zuständigen Behörden jeden Versuch einer Wiederholung der Unruhen wirksam verhindern können. Strafbare Handlungen müssen schnell und nachhaltig geahndet werden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und der FDP.)

    Das Rechtsbewußtsein des Volkes müßte erschüttert werden, wenn begangene Straftaten entweder überhaupt nicht oder nicht nachhaltig oder nicht binnen angemessener Frist geahndet würden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Nach meiner Meinung besteht kein begründeter Anlaß in der deutschen Richterschaft, sich gegen einen solchen Appell zur Wehr zu setzen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Dieser Appell erwartet nicht mehr, allerdings. auch nicht weniger, als daß Gesetz und Recht gewahrt werden. Dies ist die Aufgabe aller Organe des Staates, einschließlich der Justiz.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das zu sagen, bedeutet keine Mißachtung der verfassungsmäßig garantierten und von der Bundesregierung selbstverständlich respektierten Unabhängigkeit der Richter.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Der Sinn der heutigen Debatte des Deutschen Bundestages über die innenpolitische Situation kann nicht darin bestehen, lediglich die sich im Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ergebenden Probleme zu erörtern. Ich meine, daß die besondere Verantwortung des Bundesministers des Innern für diesen Teilbereich den ich behandelt habe, es gerechtfertigt hat, hierzu eine Diskussionsgrundlage zu liefern.
    Aber im Kern handelt es sich — ich habe das schon gesagt — um eine Frage nicht so sehr der Ordnung im polizeilichen Sinne als vielmehr um die Frage, wie wir unsere verfassungsmäßige Ordnung sehen. Die Notwendigkeit, mit den Mitteln des Rechts jeder Gewalt ganz klar entgegenzutreten, bedeutet für sich allein auch keine hinreichende Antwort auf die Unruhe, die in einem großen Teil der jungen Generation besteht. Daß sich dieser Vorgang in gleicher oder ähnlicher Form weltweit vollzieht, deutet ja auf andere Ursachen hin als auf spezifische Mängel und Fehler in unserem Bereich; aber dadurch sind wir nicht davon befreit, bei uns nach Ursachen zu forschen und, wo wir es können, Abhilfe zu schaffen. Es gibt in Deutschland, wie eine sehr kluge Darstellung eines Schweizer Beobachters der letzten Tage mit vollem Recht festgestellt hat, einen in seinem Kern ganz legitimen Grund für die Unruhe. Sie entspringt der Abwendung von der einstigen politischen Enthaltsamkeit der deutschen Intellektuellen von der Politik. Diese Entscheidung für das politische Engagement sollten wir auch begrüßen.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Ein guter Teil der bestehenden Unruhe ist auch von dem echten Willen junger Menschen zur Reform getragen. Gerade diese jungen Menschen sollten ja doch bald erkennen, daß die kleinen militanten Gruppen ihren Idealismus in zynischer Weise für ihre eigenen Zwecke ausnutzen, deren Ziele doch nur von wenigen geteilt werden, auch in, dieser jungen Generation. Wenn nicht alles täuscht, hat der Prozeß der Besinnung und Differenzierung bereits begonnen. Es wird um so erfolgreicher sein, je eher auch unsere Bevölkerung insgesamt von den unsinnigen Pauschalurteilen über d i e Studenten, d i e jungen Leute abgeht.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Und in jedem der jungen Menschen, der rebelliert und protestiert, ist ja zugleich auch der Vater angesprochen; und damit ist eigentlich jeder einzelne Staatsbürger gemeint.

    (Beifall im ganzen Hause.)

    Wir in diesem Hause wissen, wie viele schwerwiegende und drängende Fragen es gibt, auf die noch keine überzeugenden Antworten gefunden sind. Die verfassungsmäßige Ordnung des freiheitlichen Staates schließt ein, daß die staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse stets verbesserungsfähig und stets verbesserungsbedürftig sind. Meine Damen und Herren, ich verstehe alles, was wir hier in zwanzig Jahren gemacht haben, als eine Chance zur Demokratie hin. Demokratie wird niemals ein



    Bundesminister Benda
    utopischer Zustand sein, in dem es nichts zu verbessern gibt.

    (Abg. Lücke: Sehr gut!)

    Sie ist immer ein Ideal, das von neuem angestrebt werden muß. Aber Chance zur Demokratie bedeutet zugleich, daß wir bei aller berechtigten, oft auch notwendigen Skepsis doch die Zuversicht haben, das noch Fehlende oder noch Verbesserungsbedürftige erreichen oder doch in größere Nähe bekommen zu können, wenn wir es nur wollen.
    Eben diese eigentümliche Mischung von Skepsis und Zuversicht entspricht natürlich nicht dem natürlichen Überschwang der Jugend; aber auch die Jugend kann und wird begreifen, daß diese Haltung, diese Mischung von Skepsis und Zuversicht zugleich, vielleicht zum eigentlichen Wesen des demokratischen und freiheitlichen Staates gehört.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich halte es nicht für meine Aufgabe, mich im einzelnen zu den offenen Sachfragen zu äußern; wenige Stichworte mögen genügen. Hierzu gehören neben den Fragen der Hochschulreform, die übrigens für die radikalen Gruppen längst keine Rolle mehr spielt, z. B. auch Probleme des Pressewesens. Diese Frage beschäftigt uns länger und intensiver als offenbar viele Kritiker wissen. Die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission zur Untersuchung des Standes der Pressekonzentration und der hieraus zu ziehenden Folgerungen wird demnächst ihren Bericht abschließen. Das Ergebnis wird dann mit der Stellungnahme der Bundesregierung dem Bundestag zur Beratung vorgelegt werden. Der Bericht wird eine breite und gründliche öffentliche Diskussion aller Fragen ermöglichen. Ich möchte dieser Debatte nicht vorgreifen, aber doch sagen, daß Ausgangspunkt aller Überlegungen das Ziel sein muß, die im Grundgesetz verankerte Pressefreiheit nicht etwa einzuschränken, sondern im Gegenteil zu stärken. Enteignung, Begrenzung der wirtschaftlichen Expansion, auch Auflagenbeschränkung sind für mein Empfinden schon verfassungsrechtlich unzulässig, jedenfalls höchst problematisch.

    (Beifall in der Mitte.)

    Zu den konstruktiven Möglichkeiten, die sich vielmehr anbieten, zähle ich die Maßnahmen, welche die wirtschaftliche Kraft gerade der kleinen und mittleren Presse stärken.

    (Beifall bei Abgeordneten in der Mitte.)

    Noch wichtiger könnten Maßnahmen auf freiwilliger, vielleicht auch auf gesetzlicher Grundlage sein, welche die Unabhängigkeit der Journalisten und Redaktionen gegenüber den Eigentümern der Publikationen verbessern.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es gibt hierfür in der in- und ausländischen Presse eine Reihe von sehr interessanten Modellen — ich erwähne „Le Monde", um ein Stichwort zu sagen —, die einer sehr gründlichen Untersuchung wert sind.

    (Beifall in der Mitte.)

    Wenn man über die Situation der Presse ■spricht, muß man zugleich auch das Maß der Einflußmöglichkeiten auf die öffentliche Meinung sehen, welches die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten haben.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Der folgende Satz ist jetzt beinahe überflüssig, ich wollte sagen: Einzelbeispiele auch der jüngsten Vergangenheit zeigen,

    (Abg. Stingl: Gestern abend!)

    daß hier auch ein erörterungsbedürftiges Problem besteht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und Abgeordneten der SPD. — Zuruf von der Mitte: Dringend! — Abg. Schmidt [Wuppertal] : Ohne jede Legitimation! Arrogante Gesellschaft!)

    Das Bekenntnis zur parlamentarischen Demokratie als eines Kernbestandteils der verfassungsmäßigen Ordnung hat natürlich auch zur Konsequenz, daß unser Parlament in seiner Arbeitsfähigkeit der heutigen Zeit anzupassen ist. Hier sind nach meiner persönlichen Meinung weitgehende Reformen notwendig.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das gleiche gilt für Arbeits- und Führungsstil der Bundesregierung.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Zuständigkeit für die Modernisierung und Rationalisierung der Verwaltung gehört zu meinen wichtigsten Obliegenheiten in meinem Amt.
    Über alle Fragen der broßen Technik hinaus, über die wir nachdenken müssen, geht es auf diesen Gebieten ja auch um ein Stück Glaubwürdigkeit der parlamentarischen Demokratie. Der oft nicht nur in der jungen Generation vorhandene antiparlamentarische Affekt gewinnt oder verliert in dem gleichen Maße an Anziehungskraft, in dem Parlament, Regierung und Verwaltung sich als unfähig oder als fähig erweisen, die Probleme einer sich wandelnden Zeit rasch, energisch und erfolgreich anzupacken und zu lösen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Dabei bleibt die Entscheidung für unsere parlamentarische Demokratie unantastbar. Jede antiparlamentarische Aktion ist grundgesetzwidrig; ihr muß und wird mit Entschiedenheit begegnet werden. Dagegen kann eine außerparlamentarische Diskussion dem Parlamentarismus auch da nützlich sein, wo sie Parlament und Regierung in demokratischem Sinne herausfordert. Jede nicht antiparlamentarische Gruppe, welche die Meinung mündiger Bürger auf dem Boden der verfassungsmäßigen Ordnung äußert, sollte dem Parlament stets willkommen sein. Wo es um eine solche geistige, von mir aus ruhig auch kämpferische Auseinandersetzung geht, werden wir uns ihr nicht entziehen.
    In vielen Erscheinungen unserer Zeit ist zu spüren, daß sich ein Wandel zu Neuem ankündigt. Inhalt und Richtung dessen, was sich vor unseren Augen anbahnt, lassen sich noch nicht eindeutig erkennen und bestimmen; aber die Winde des Wan-



    Bundesminister Benda
    deis regen sich. Was wir heute vielleicht erst undeutlich ahnen, wird in wenigen Jahren offenbar sein. Es gehört vielleicht zu dem gesunden Instinkt junger Menschen, daß sie den Wechsel eher spüren als mancher von uns. Was wir beizutragen haben, ist dies: die Bereitschaft, uns allen Fragen unserer Zeit, jeder Herausforderung dieser Zeit unerschrokken zu stellen und zugleich die Grundwerte dieses unseres Staates, den wir erhalten und immer neu verbessern wollen, energisch zu verteidigen. Dies wird unsere Arbeit sein. In der Erfüllung beider Aufgaben sehe ich die Bewährung unserer freiheitlichen parlamentarischen Demokratie.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Beifall bei Abgeordneten der FDP.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren, ehe ich das Wort weitergebe, erlauben Sie mir, eine Bemerkung zu machen. In dem Bericht des Herrn Bundesministers des Innern steht der Satz: Insgesamt 280 Polizeibeamte haben bei ihrem Einsatz über Ostern Verletzungen erlitten. Meine Damen und Herren, was ein Rechtsstaat wert ist, zeigt der Krisenfall. Ich glaube im Namen des Hauses zu sprechen, wenn ich in diesen 280 Polizeibeamten den Dank und die Anerkennung dieses Hauses ausspreche.

(Lebhafter Beifall auf allen Seiten.) Das Wort hat der Herr Abgeordnete Scheel.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Walter Scheel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren Kollegen! Die Opposition in diesem Hause hat diese Debatte gefordert, weil sie der Meinung ist, daß die Reaktion der politischen Instanzen auf die Demonstrationen in der Osterwoche der Sache, um die es geht, bisher nicht gerecht geworden ist, ferner weil sie glaubt, daß Erklärungen von Parteien und von führenden Politikern sogar erschreckend deutlich gemacht haben, wie weitgehend das Verständnis für das fehlt, was in der jungen Generation bei uns vorgeht, und weil wir der Meinung sind, daß auch ein Teil der Presse und der Massenkommunikationsmittel zuwenig getan hat, um eine gründliche und nüchterne Analyse der Hintergründe dessen zu bieten, was vorgegangen ist. Wenn es noch eines Beweises dafür bedurft hätte, wie nötig diese Diskussion ist, dann war es die Rede des Herrn Innenministers, der doch über weite Strecken — ja, ich glaube, in vier Fünfteln seiner Rede — für einen uniformierten Zuhörer den Eindruck erweckt hat, es habe in der Osterwoche und auch vorher auf den deutschen Straßen nur SDS-Drahtzieher, nur Verfassungsbrecher, nur Steinewerfer und nur Schläger gegeben.

    (Lebhafter Widerspruch bei der CDU/CSU.)

    Ich habe kein Wort davon gehört, daß es in dieser Zeit auf den deutschen Straßen nicht nur Tausende, sondern Zehntausende junger Menschen gegeben hat, die nicht dieser Kategorie angehören.

    (Beifall bei der FDP. — Lebhafte Zurufe von der CDU/CSU.)

    Ich glaube, es ist unsere Pflicht, uns hier darüber zu unterhalten. Ich hatte in den letzten Wochen das Gefühl, daß die Diskussion über diese Frage etwas in Wahlkampfstimmung hineingeraten war, und zwar wegen des Landtagswahlkampfes in Baden-Württemberg. Es gab keinen deutlicheren Beweis dafür als ein Flugblatt, eine Anzeige, die die Christlich-Demokratische Union in einer Kampagne über das ganze Land verbreitete und die die Ereignisse der Vorosterwoche zum Gegenstand hatte. Hier war ausschließlich von der Ordnung, ausschließlich von Sicherheit die Rede, es war davon die Rede, daß die Strenge der Gesetze angewendet werden müsse. Und die Partei bot sich an, für alles das zu sorgen.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    In dieser Anzeige war nicht davon die Rede, welche Motive denn in der Bundesrepublik zu Unruhe geführt haben. Es war mit keinem Wort davon die Rede, daß wir in diesem Parlament über Reformen sprechen sollten. Es war fast wie die Darstellung in der „Bild-Zeitung": Die Demonstrationen werden als reine Gewaltakte dargestellt, ohne daß erkennbar wird, welche politischen Ziele hinter den Demonstrationen stehen. Daher gibt es in der breiten Öffentlichkeit heute ein Bild, das die Unruhe in Deutschland nicht objektiv werten läßt, sondern das einen oberflächlichen Charakter hat, das teilweise sogar verzerrt ist.
    Ich brauche wohl vor Ihnen, meine Damen und Herren, nicht noch einmal zu erläutern, daß es im Deutschen Bundestag gar keine unterschiedlichen Meinungen darüber gibt, daß Gewalt als Mittel der Politik von uns allen gleichermaßen und in gleicher Stärke abgelehnt wird. Gewalt ist ein untaugliches Mittel der Politik. Das brauchen Sie aber einem liberalen Politiker weiß Gott nicht zu sagen.

    (Beifall bei der FDP.)

    Ich las gestern in einer Zeitung, die in ihrer Werbung sagt, daß ein kluger Kopf dahinterstecke — die damit doch wohl auch den Eindruck zu erwecken beabsichtigt, daß kluge Köpfe in dieser Zeitung schreiben, was man gar nicht beschreiben kann —, einen Kommentar, der so anfängt:
    Am Dienstag findet die Beschwörung statt. Dann muß der Bundestag wahrmachen, was sich vorzunehmen ihn Pflichtgefühl und Überschwang, das Kalkül der Opposition nicht zu vergessen, veranlaßt, verleitet hat.
    Da ist es also, meine Damen und Herren, in diesem Kommentar: „das Kalkül der Opposition". Hier schreibt jemand, der sich offenbar gar nicht vorstellen kann, daß Opposition eine ganz bestimmte Funktion in der Demokratie ist und daß es die Pflicht und Schuldigkeit der Opposition ist, diese Funktion wahrzunehmen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Wir wollen dieser Pflicht im Bundestag nachkommen.
    Das Denken, das in dem zitierten Satz zum Ausdruck kommt, ist exemplarisch für die Betrachtungsweise, daß Opposition an sich etwas Lästiges ist und



    Scheel
    daß man, was immer sie auch sagt, unterstellen muß, daß es der - Effekthascherei dient, daß, was immer sie tut, unbequem ist, ja daß es am besten wäre, es gäbe sie gar nicht. Sie wird von vielen als unnötig betrachtet.

    (Abg. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller: Kennen wir alles!)

    Aber hier liegt nicht zuletzt einer der Gründe — das sollten wir uns gemeinsam überlegen —, warum es in der Bundesrepublik eine Unruhe gibt, die man nicht leichtnehmen sollte, sondern die uns jetzt ernst beschäftigen sollte und noch lange beschäftigen wird. Der Bundestag ist nicht das erste Parlament, das zu dieser Frage Stellung nimmt. Das Berliner Abgeordnetenhaus hat schon dazu gesprochen. Aber gerade diese Diskussion macht es, glaube ich, nötig, daß wir hier im Deutschen Bundestag nicht schweigen, daß wir den Bundestag auch als ein Forum der öffentlichen Diskussion begreifen und daß wir hier Position beziehen.
    Worum geht es bei der Diskussion, die uns heute beschäftigen soll? Es geht um die Glaubwürdigkeit und damit um den Bestand unserer Demokratie und eines Parteiensystems, das in den fünfziger Jahren entstanden ist; es geht um die Glaubwürdigkeit des demokratischen Regimes. Wir haben Anlaß, ernst darüber zu diskutieren. Denn in den Demonstrationen in der Vorosterwoche ist ja von dem, was in großen Teilen unseres Volkes wirklich vorgeht, nur der Gipfel eines Eisbergs sichtbar geworden. Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg ist, für manchen sogar sehr schmerzlich, etwas mehr von diesem Eisberg sichtbar geworden. Hier hat sich gezeigt, daß eine Unlust latent in weiteren Schichten unseres Volkes herrscht, als wir es bisher angenommen haben, und daß sich ein erschreckender Autoritätsverlust der politischen Institutionen breitgemacht hat.
    Hüten wir uns nun, diese Feststellung mit allzu schnell gedrechselten Formeln zu beantworten; hüten wir uns, diese Feststellung damit zu beantworten, daß wir den Versuch machen, unser gouvernementales Werkzeug zu vervollständigen, wie es eben der Herr Innenminister mit dem Schwerpunkt seiner Rede uns vorgeschlagen hat. Es ist doch für den Beobachter bedrückend, wenn er sieht, daß plötzlich die Zusammenarbeit der Polizei über die Ländergrenzen hinaus ein aktuelles Problem ist und daß sie so intensiv betrieben wird, während bis zur Stunde, wenn es darum ging, den Bürger vor Verbrechen jedweder Art zu schützen, es auf föderalistischen Gründen offenbar unmöglich war, darüber zu diskutieren. Jetzt, wo Demonstrationen gegen die Regierung der Anlaß der Reflexionen sind, jetzt plötzlich scheinen wir Fortschritte zu machen.

    (Beifall bei der FDP.)

    Es reicht nicht aus, das Instrumentarium der Exekutive zu erweitern, um dem Autoritätsverlust zu begegnen. Nur Leistungen dieses Parlaments und Leistungen dieser Regierung — Leistungen, wie sie die Regierung in ihrer eigenen Regierungserklärung sich selbst abverlangt hat — können hier einen Wandel schaffen. Keine Propaganda, keine noch so
    schöne Formulierung unserer Pressesprecher und unserer Pressestellen vermögen die Mittelmäßigkeit zu überdecken, die bisher von dieser Regierung sichtbar geworden ist, vermögen den Mangel an Leistung, den Mangel an Entschlußkraft zu kaschieren.

    (Beifall bei der FDP.)

    Warum sage ich das? Weil alle Autorität in der Demokratie — und das gilt für die Autorität aller, die in der Demokratie ein Amt haben, vom Bundespräsidenten bis herunter zum Polizeipräsidenten — auf der Anerkennung durch die Bevölkerung, also auf einer Meinung beruht. Macht in einer Demokratie entsteht nicht aus sich selbst; Macht verdankt man nicht sich selbst, sondern denen, die die Macht in der Demokratie unterstüzen. Ob es nun demokratische Regierungen ober ob es autoritäre Regierungen sind, sie sind gleichermaßen in ihrer Macht ohnmächtig, wenn sie die Unterstützung durch die Bevölkerung verlieren. Deswegen müssen parlamentarische Regierungen nicht nur daran denken, sich auf ihre Mehrheiten zu verlassen, die sie ins Amt gebracht haben, sondern sie müssen auch ständig daran arbeiten, die Unterstützung weiter Bevölkerungskreise für ihre Maßnahmen zu gewinnen.
    Hier liegt eine Gefahr für diese Regierung und eine Gefahr für die Koalition, die hinter der Regierung steht. 90'0/o Mehrheit in einem Parlament schaffen den Grad an Gelassenheit, der diese Regierung auszeichnet, schaffen den Grad an Gelassenheit, der leicht dazu verleitet, auch über die eigenen Schwächen hinwegzusehen.

    (Beifall bei der FDP.) Da liegt die Gefahr für diese Regierung.

    Eine Demokratie schwebt immer in dem Dilemma, sich zwischen zwei Extremen hin und her zu bewegen: einmal der Lethargie der Bevölkerung gegenüber dem politischen Geschehen— in einer solchen Situation verkümmern einfach die bürgerlichen Freiheiten, weil sie nicht gesehen, weil sie nicht wahrgenommen werden, nicht wahrgenommen werden wollen — und zum anderen dem Extrem, daß wir den politischen Widerstand unterschätzen, der latent vorhanden ist. Der Geist des politischen Widerstandes gehört nun einmal zu einer funktionierenden Demokratie. „Er ist oft", so sagt Thomas Jefferson, „die in Reserve gehaltene Macht der Revolution." Zwischen diesen beiden Extremen bewegt sich eine Demokratie hin und her. In den 50er Jahren neigten wir sehr zum ersten Extrem. Der Politik gegenüber war unsere Bevölkerung eher lethargisch als zu intensiv mit ihr beschäftigt. Wenn die Unruhe heute nicht im demokratischen Sinne genutzt wird, sind wir in Gefahr, an das zweite Extrem heranzurücken. Das Problem, vor dem wir jetzt stehen, ist das Problem der politischen Minderheit in einer Demokratie, das Problem der politischen Minderheiten, die man aus der Gesellschaft herausdrängt, wenn man über sie Pauschalurteile vergiftender, verleumderischer Art fällt, wie das heute allzu häufig geschieht, — nicht einmal aus bösem Willen, sondern aus Unkenntnis der Folgen, die sich daraus ergeben.



    Scheel
    Meine Damen und Herren, ich glaube, daß wir des Problems, vor dem wir stehen, nicht Herr werden, wenn wir die Demonstrationen nur — oder auch nur im Schwerpunkt — mit administrativen Mitteln abwehren wollen, mit den Mitteln des gut organisierten Polizeieinsatzes, vielleicht des verstärkten Polizeieinsatzes. Ja, sicher, wir sind alle der Überzeugung, daß unsere Polizei in der Lage ist, die Ordnung aufrechtzuerhalten. Ich möchte über das, was der Herr Bundestagspräsident gesagt hat, hinausgehen und sagen, daß wir unserer Polizei für diesen Einsatz auch dankbar sind — nicht nur den Verletzten, sondern allen —, für diesen Einsatz, der im Interesse der Sicherheit unserer Bürger nötig ist.
    Wir wissen, daß die Polizei die Ordnung aufrechterhalten kann; aber für den Politiker reicht dieses Wissen nicht aus. Die Verantwortung des Politikers muß darüber hinausgehen. Wir müssen uns mehr noch, als wir es bisher getan haben, und mehr als die Exekutive mit den Hintergründen der Unruhen befassen, die die Polizei zum Einsatz zwingen. Der Politiker muß den Einsatz der Polizei selbst verantworten. Es wäre ganz falsch, wenn wir etwa die Ordnung in diesem Lande der Polizei in eigener Verantwortung überließen. Hier liegt die politische Verantwortung ganz allein bei dem, der in seinem Amt politische Verantwortung trägt.

    (Beifall bei der FDP.)

    Er ist auch für die Angemessenheit der Mittel im Einsatz der Polizei zuständig. Und da ist es interessant, zu beobachten, wie unterschiedlich sich der Einsatz der Polizei in unserem Lande vollzogen hat, worüber nachher noch zu sprechen wäre.
    Meine Damen und Herren, wenn ich Sie alle hier im Bundestag bitte, mehr als über die Aufrechterhaltung der Ordnung über die Notwendigkeit der Diskussion über Reformen zu sprechen, dann sagen manche, das sei ein Anbiedern an die Meinungen und an die Vorstellungen der Demonstrierenden oder der jungen Generation. Das kann nur jemand behaupten, der noch niemals mit jungen Menschen gesprochen hat. Ich glaube, der Herr Bundeskanzler weiß aus Erfahrung, daß man sich bei diesen jungen Menschen nicht anbiedern kann; dazu gibt es überhaupt keine Basis. Mit ihnen kann man sich nur ernsthaft auseinandersetzen. Ja, soweit es die jungen Menschen angeht, ist die Auseinandersetzung manchmal sogar zu ernst, zu verbissen, als daß sie zu einem schnellen Ergebnis führen könnte.
    Die These des Anbiederns, die ich so häufig in der Öffentlichkeit höre, zeigt, daß derjenige, der sie vertritt, die Meinungsbefragungen sehr wohl gelesen hat, daß er selber wohl weiß, was die Mehrheit unserer Bevölkerung möchte und was sie fühlt. Die Meinungsumfragen zeigen, daß 95 %, ja, mehr, unserer Bevölkerung vordergründig und gefühlsmäßig für Ordnung und für Sicherheit, auch für den Polizeieinsatz, sind. Da liegt der Opportunismus; damit kann ich die große Menge ansprechen. Es ist heute eher ein Wagnis, über Reformen und über die Hintergründe der Unruhen als über den Polizeieinsatz in der Öffentlichkeit zu diskutieren.

    (Beifall bei der FDP.) Aber der Politiker sollte dieses Wagnis auf sich nehmen, er sollte in dieser Frage nicht dem Opportunismus erliegen.

    Der Ausgangspunkt wir müssen uns noch ein-
    mal daran erinnern — waren ja zunächst Hochschulfragen. Nun, die Bedingungen an den deutschen Hochschulen sind bekannt. Sie wissen alle wie ich, daß Forschung und Lehre durch mannigfache Schwierigkeiten heute noch allüberall behindert sind. Geldmangel, ja, auch der Mangel an Reformen an den Hochschulen behindert Forschung und Lehre. Die Entwicklung unserer Gesellschaft nach dem Kriege ist an der Hochschule, nahezu ohne sie zu berühren, vorbeigegangen. Die These von der Gemeinschaft der Lehrenden und der Lernenden an den deutschen Hochschulen hat bis in die jüngste Zeit hinein keinerlei Berechtigung gehabt. Erst jetzt zeigen sich, und zwar sehr zögernd, Reformbestrebungen durch die Demonstrationen, die den Grad an Heftigkeit angenommen haben, den wir alle bedauern. Der Widerstand hat zu lange gedauert. Das Entgegenkommen den Studenten gegenüber kommt an den Hochschulen heute manchmal zu eilfertig, als daß dahinter eine wirkliche Überzeugung vermutet werden könnte.
    Ein Wort zur Bildungsreform. Es liegt Ihnen, meine Damen und Herren, der Antrag der Freien Demokratischen Partei vor, die Zuständigkeit für die Rahmengesetzgebung in der Bildungspolitik dem Bund zu geben. Auch zu diesem Punkt hat der von mir eben genannte Kommentator der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einiges in seinem Artikel gesagt. Er schreibt dazu:
    Und der Bundestag kann zwar wünschen, dringlich fordern, daß die Hochschulreform nun ein rascheres Tempo anschlage, aber er kann weder den Schrittmacher spielen, noch die Richtung bestimmen. Das wird auf peinliche Weise verdeutlicht werden, wenn die Freien Demokraten ihre Absicht verwirklichen, mit Attacken gegen
    den Hochschulföderalismus billig Sympathien zu erwerben; eine rigorose Zentralisierung auf diesem Gebiet ist politisch nicht zu erreichen, und mit ihr wäre den Hochschulen nicht gedient.
    Ich möchte einmal fragen, meine Damen und Herren, wer das dem Schreiber eigentlich gesagt hat, wer ihm gesagt hat, daß eine Änderung politisch nicht zu erreichen ist. In einer Zeit, in der in wenigen Monaten schon jeder von uns in Stunden von einem Kontinent zum anderen fliegen kann, dabei die Zeit überholend, d. h. früher landend, als man startet, ist es doch ein Anachronismus, die Zuständigkeit für das Bildungswesen einzelnen Ländern zu überlassen. Wer nicht bereit ist, diesen Zustand zu überwinden, der kann einfach die Kraft für Reformen nicht aufbringen, der kann auch das Übel nicht wenden, an dem wir in der Bundesrepublik leiden.

    (Beifall bei der FDP.)

    Wie sollen wir von demjenigen, der diese Möglichkeiten, diese Notwendigkeit einfach verneint, der den Mut nicht aufbringt zu beginnen, denn überhaupt noch politische Leistungen erwarten?

    (Beifall bei der FDP.)




    Scheel
    Die Gelegenheit ist doch jetzt so günstig wie nie zuvor! Alle Ministerpräsidenten aller Länder und alle Kultusminister aller Länder gehören den gleichen Parteien an, die auch die Bundesregierung bilden. Es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn es den führenden Politikern der beteiligten Parteien nun nicht endlich möglich wäre, dieses Problem zu lösen. Erst wenn die Zuständigkeit für die Bildungspolitik beim Bund ist, sind die wesentlichen Hindernisse überwunden, die den so häufig diskutierten Detailfragen allüberall im Wege stehen. Nun fangen Sie doch endlich an! Ein Gesetzentwurf liegt Ihnen vor. Es ist an Ihnen, konkret etwas zu tun, nicht zu sagen, das habe keine Aussicht auf politische Verwirklichung. Es hat doch nur deswegen keine Aussicht auf politische Verwirklichung, weil Sie, die es verwirklichen können, nicht wollen! Sonst hätte es doch Aussicht!

    (Beifall bei der FDP.)

    Das sind doch Zustände, die zu einer Politisierung der Studenten geführt haben, zunächst im Bereich der Hochschulpolitik. Dann ist diese Politisierung in eine allgemeine Oppositionshaltung unter den Studenten umgeschlagen, die durch alle politischen Lager der Studenten geht. Das darf man doch nicht übersehen. Wer in dieser Entwicklung etwas Unnormales sieht, muß seltsame Vorstellungen von politischer Denkarbeit haben. Und wer in Demonstrationen in dieser Lage etwas Unnormales sieht, muß seltsame Vorstellungen von der Demokratie haben.
    Zur Klärung der politischen Einstellungen innerhalb der Studentenschaft sind in diesem Frühjahr verschiedene Meinungsumfragen durchgeführt worden, aus denen ich einige Ergebnisse vortragen möchte, weil sie in dem Bericht des Bundesinnenministers nicht enthalten waren. Es bestehen ja zum Teil abenteuerliche Auffassungen über die Studenten in der breiten Öffentlichkeit. Und es wäre nützlich, wenn sich die Bundesregierung ihrerseits Mühe gäbe, diese abenteuerlichen Auffassungen zu korrigieren. Ich nenne Ihnen einige Ergebnisse der Befragung.
    Erstens. Die Studenten sind von allen Bevölkerungsgruppen am besten über die politischen Probleme unseres Landes, aber auch über die politischen Probleme des Auslandes informiert. Sie haben zu diesen Problemen unter den Gruppen unseres Volkes auch die präzisesten Meinungen.
    Zweitens. Die Studenten sind von allen Bevölkerungsgruppen die entschiedensten Anhänger der Demokratie. Sie lehnen nichtdemokratische Regime am entschiedensten ab. Das müssen wir doch endlich einmal zur Kenntnis nehmen!

    (Beifall bei der FDP. — Zustimmung des Abg. Dr. Lohmar.)

    Es nützt nichts, daß wir als Beispiele hier immer wieder die extremen Studenten nennen. Wir müssen im Interesse der Objektivität die ganze Wahrheit sagen und dürfen die anderen Studenten nicht unterschlagen.

    (Beifall bei der FDP.)

    Drittens. Allerdings das muß ich hier auch
    sagen — lehnen 49 % der Studenten die Große Koalition ab. Das sind mehr als in den anderen Bevölkerungsgruppen. Nur 12 % geben eine eindeutige Zustimmung zur Großen Koalition zu erkennen. Im Vergleich dazu lehnen nur 41% der Jugendlichen im allgemeinen und nur 34% der Gesamtbevölkerung die Große Koalition ab.

    (Abg. Schmidt [Hamburg] : Herr Scheel, sagen Sie doch endlich mal „Volk" statt „Bevölkerung" ! Das letzte ist ein Luftschutzausdruck!)

    — Na gut. Ich bin mir über die sprachlichen Hintergründe nicht ganz klar, aber vielleicht ließe sich darüber nachher noch einmal etwas sagen.
    Wenn Sie diese Zahlen in eine Relation zu der Feststellung, daß die Studenten die am besten Informierten und die mit der präzisesten Meinung sind, setzen, sprechen diese Ergebnisse ja nicht gegen die Studenten; möglicherweise — ich bin ganz zurückhaltend — sprechen sie gegen die Funktionsfähigkeit der Großen Koalition.

    (Beifall bei der FDP.)

    Viertens. 46 % der Studenten sind mit den Studienbedingungen nicht zufrieden. Das gilt insbesondere für Studenten in den Massenfächern. Die Studenten üben Kritik an der Form der Darbietung des Lehrstoffs. 80% der Studenten setzen sich daher dafür ein, daß Vorlesungen — z. B. zum Zweck der Diskussion — unterbrochen werden können. Dem liegt doch nichts anderes zugrunde als das, was wir hier auch im Bundestag erleben, nämlich das Bestreben, die Zusammenarbeit zu beleben. Wir ringen hier im Deutschen Bundestag doch selber um eine modernere Form der Diskussion und eine Belebung der Diskussion.
    Fünftens. 65 % der Studenten treten dafür ein, daß in den Studentenparlamenten auch politische Tagesfragen behandelt werden. 89 °/o sind der Auffassung, daß die Demonstrationen die Unzufriedenheit mit der Hochschulsituation zum Ausdruck bringen sollen, wohingegen 80%, also etwas weniger, meinen, daß mit den Demonstrationen Unzufriedenheit und Unbehagen über die bestehende Gesellschaftsordnung als Ganzes zum Ausdruck gebracht werden sollen.

    (Abg. Könen [Düsseldorf] : Das wären 169 %, Herr Scheel!)

    — Ich stelle fest, daß Sie auf vielen Gebieten bewandert sind, Herr Kollege Könen, auf dem der Statistik auf jeden Fall nicht.

    (Abg. Könen [Düsseldorf] Doch, doch!)

    — Herr Kollege Könen, 89% der Befragten sind der einen, 80 % der anderen Meinung, wobei beim Befragten beide Meinungen kumulieren können.

    (Abg. Könen [Düsseldorf] : Das haben Sie nicht gesagt!)

    — Das kann gar nicht anders sein, Herr Kollege Könen.



    Scheel
    Sechstens. 35 % der Studenten und 25 % aller Jugendlichen sind der Auffassung, daß der Unterricht an der Schule beim Verständnis politischer Probleme nicht wesentlich geholfen hat. Das ist eine Frage, die wir in unsere bildungspolitischen Überlegungen einbeziehen müssen. 63 % der Studenten und 78% der Jugendlichen sind der Meinung, daß die im Grundgesetz verankerte Gleichheit vor dem Gesetz nicht garantiert ist — ein erschreckend hoher Prozentsatz! —, sondern daß er zugunsten Angehöriger höherer Gesellschaftsschichten durchbrochen wird. 42 % der Studenten und 31 % der Jugendlichen haben die Überzeugung, daß das Bürgerrecht auf Bildung nicht verwirklicht ist, d. h. daß keine gerechten Berufs- und Aufstiegsmöglichkeiten bestehen. Ob sie objektiv, formal bestehen, spielt hier keine Rolle. Dieser Zustand ist für uns wichtig, diesen Zustand zu begreifen, ist wichtig.
    Siebtens. Das folgende muß allerdings gesagt werden, das ist jetzt nicht eine Meinungsbefragung, sondern eine nüchterne Feststellung: Die Studenten nehmen keine Privilegien in unserem Staate in Anspruch, wie der Herr Bundeskanzler z. B. in einer Diskussion an der Universität hier in Bonn noch meinte.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Auch hier müssen Sie differenzieren!)

    — Ich komme noch auf den genauen Prozentsatz, Herr Kollege.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Es gibt eine Theorie von Marcuse — —!)

    — Ich will das gleich beweisen. Sie nehmen keine Privilegien in Anspruch. Sie leben auch nicht auf Kosten der Bevölkerung. Nur rund 13 % erhalten Mittel nach dem Honnefer Modell, 8 % nach dem Bundesversorgungsgesetz. 15% dagegen verdienen sich ihr Studium selbst, und mehr als 60 % leben von dem Geld ihrer Eltern.

    (Bundeskanzler Dr. h. c. Kiesinger: Die Universität wird doch zum großen Teil vom Staat bezahlt!)

    — Sie ist aber doch, Herr Bundeskanzler, eine Bildungseinrichtung des Staates, von der wir nicht sagen wollen, daß sie geschaffen worden ist, um Privilegierten zu dienen. Sie ist vielmehr eine notwendige Bildungseinrichtung des Staates.

    (Beifall bei der FDP.)

    Warum erwähne ich das? Ich nenne diese Zahlen, damit jeder weiß, was er z. B. von den Berichten der „Bild-Zeitung" und von deren „Bild-Leser-Parlament" zu halten hat. Denn darin werden ja erschreckende Meinungen verbreitet, die wirklich die Öffentlichkeit verwirren können und die mit dazu beitragen, daß diese Frage nicht mehr rational, sondern in weiten Kreisen emotional betrachtet wird. Das kann der Situation in unserem Volke nicht dienlich sein.

    (Beifall bei der FDP.)

    Ich erwähne es auch, weil ein Mann z. B. wie Helmut Lemke, der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, kürzlich erklärte: Axel Springers Presse vertritt die Dinge, für die wir alle eintreten, und
    weil auch Professor Weichmann, der Hamburger Bürgermeister — ich bin immer etwas gerecht in meinen Darlegungen —, erklärte: Die „Bild-Zeitung" ist eine gute demokratische Zeitung. Es gehört aber zu einer demokratischen Zeitung, meine Damen und Herren, daß sie informiert, und zwar in umfassendem Sinne, und daß sie den Leser auch zu einer kritischen Meinung führt, ihm nicht eine vorgefaßte Meinung unterbreitet.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Siehe Fernsehen!)

    — Ich spreche von Informationseinrichtungen im umfassenden Sinne, wie ich es am Anfang schon getan habe, also auch über alle anderen Massenkommunikationsmittel. Sie brauchen nie zu vermuten, daß ich nur in eine Richtung denke, sondern Sie können immer unterstellen, daß ich die Massenkommunikationsmittel insgesamt im Auge habe und sehr wohl die Gewichte zu verteilen weiß.
    Wenn ich den Eindruck zusammenfasse, den ich von meinen vielen Gesprächen her von der deutschen Studentenschaft und der Jugend habe, so komme ich im Gegensatz zu manchen Beobachtern zu einem ermutigenden, zu einem optimistischen Fazit. Diese Jugend ist kritisch, sie ist politisch, und sie ist demokratisch, wie es kaum eine andere Generation vor ihr gewesen ist. Auch der Herr Innenminister hat in seiner Rede heute gesagt, daß es so ist.

    (Beifall bei der FDP.)

    Als liberaler Politiker kann ich darüber nur froh sein. Die Jugend ist sicher auch unbequem, für viele vielleicht zu unbequem. Aber wäre sie das nicht, wäre sie angesichts der Situation vor allem an unseren Hochschulen unkritisch und unpolitisch, würden wir uns, glaube ich, mehr zu beklagen haben.
    Wir, die Politiker, haben doch jahrelang danach gerufen, daß sich die junge Generation, die Jugend endlich mit Politik befassen soll, daß sie den Materialismus nicht verherrlichen soll, daß sie sich engagieren soll. Nun engagiert sich die junge Generation. Aber ich habe das Gefühl, daß es manchem Politiker jetzt gerade nicht mehr recht ist, daß sie sich engagiert.

    (Beifall bei der FDP.)

    Ich meine, in unserer innenpolitischen Situation — lassen Sie mich das ganz ernst sagen — gibt mir nicht in erster Linie die Jugend zur Beunruhigung Anlaß. Unruhe muß vielmehr die Leistungsfähigkeit der Regierung und der Parlamente verursachen, Unruhe muß die Reaktion manch führenden Politikers auf die Ereignisse verursachen, von denen wir in den letzten Wochen gehört haben.
    Auch die Formel von der Angemessenheit der Maßnahmen hat nicht nur der Beruhigung gedient, sondern wir haben gesehen, daß sich hinter dieser Formel auch massiver Mißbrauch verborgen hat, worüber nachher der Kollege Dorn im einzelnen noch sprechen wird. Hier sind die Innenminister der Länder in der Verantwortung. Ich nehme an, daß wir von ihnen dazu die Auskünfte bekommen können, die in dieser Diskussion verlangt werden müssen.
    Die Polizei kann keine demokratische Ordnung garantieren. Wenn Polizeigewalt das einzige Mittel



    Scheel
    wäre, die demokratische Ordnung in einem Staat zu garantieren, dann würden wir nicht allzuweit vom Polizeistaat entfernt sein. Entscheidend ist die demokratische Gesinnung, die in einem Staat herrscht, und die demokratische Gesinnung, die unter den Regierenden herrscht.

    (Beifall bei der FDP.)

    Wie ist es nun — meine Damen und Herren, das ist wohl ein Kernproblem, vor dem wir stehen — damit in unserem Land bestellt? Als 1948/49 die Bundesrepublik gegründet wurde, standen wir vor der Aufgabe, aus dem Nichts heraus — aus dem politischen, aus einem wirtschaftlichen und auch aus einem moralischen Trümmerhaufen heraus — eine Demokratie zu schaffen, und das nicht etwa im Einklang mit der Geschichte, sondern gegen allerschwerste Widerstände, geradezu gegen die Geschichte. Die Demokratie hatte keine Wurzeln bei uns; sie hatte keine Wurzeln mehr.
    Meine Damen und Herren, in den ersten 18 Jahren des Bestehens unserer Bundesrepublik haben wir uns daran gewöhnt, daß die Ordnung auf der Herrschaft des Erfolges in dieser Demokratie basierte, vor allem auf der Herrschaft des wirtschaftlichen Erfolges. Der wirtschaftliche Erfolg ist für viele mit dem Erfolg der Demokratie identisch gewesen. Manche haben geglaubt, daß die Demokratie schon tragfähig genug sei, wenn sie nur wirtschaftliche Erfolge produzieren könne.
    Zwar — das wissen wir am allerbesten — war der Kontakt der Abgeordneten zur Bevölkerung nie besonders eng. Zu den Formen altbewährter Demokratien haben wir es eben nicht gebracht. Auch die Gefahr der Isolierung dessen, was wir „Bonn" nennen, der Zentrale der politischen Institutionen nämlich, ist immer sehr groß gewesen. Nicht umsonst hat sich doch der Begriff „Bonn" als ein negativer Begriff in der demokratischen Diskussion eingebürgert und nicht als ,ein positiver Begriff.
    Aber der wirtschaftliche Erfolg hat über Jahre und Jahrzehnte diese Schwächen überdeckt. Jetzt plötzlich treten sie zutage, jetzt in einer, wenn auch nur schwachen wirtschaftlichen Rezession und in einer Zeit, in der der Autoritätsverlust der Regierungen — damit Sie mich nicht mißverstehen: nicht dieser Regierung allein, sondern der Vorgängerregierung vielleicht noch stärker — das innerpolitische Klima ganz erheblich verändert hat.
    Wir sollten darüber nachdenken, daß diese Entwicklung durch diese Ereignisse des Herbstes 1966 verschärft worden ist. Ich bin mir völlig darüber im klaren, daß für die Politiker der Großen Koalition, welchen Parteien sie auch angehören, sich der Regierungswechsel 1966 und die Möglichkeiten und die Notwendigkeiten damals, 1966 nämlich, ganz anders angesehen haben, als es ihnen jetzt — rückschauend — vielleicht bewußt wird.
    Aber jetzt wenigstens sollten wir wissen, daß dieser Regierungwechsel die Schwierigkeiten in der Innenpolitik verschärft hat, daß die Hoffnungen, die in weiten Kreisen gerade der jüngeren Menschen bestanden haben, es könne vielleicht zu einem Wechsel der Macht kommen, daß die Überzeugung,
    nur der Machtwechsel beweise die Funktionsfähigkeit der Demokratie, daß alles das 1966 enttäuscht worden ist. Auch aus dieser Enttäuschung ist die Resignation unter den jungen Menschen 'entstanden, die zu den Unruhen, ja, zum Widerstand führt, mit dem wir es jetzt zu tun haben. Wenn wir schon nicht die Ereignisse des Jahres 1966 zurückdrehen können, so sollten wir wenigstens gemeinsam in der Zukunft daran denken, diesen Fehler, den wir gemacht haben, nicht zu wiederholen. Denn es ist doch unsere Demokratie, die wir verteidigen wollen.

    (Beifall bei der FDP. — Abg. Stücklen: Daher ein neues Wahlrecht, das uns eine solche Große Koalition nicht erzwingt!)

    — Das ist eine typische Haltung, um die es jetzt gerade geht. Weil Sie sich den politischen Mut nicht zugetraut haben, etwas anderes zu tun, und weil unsere anderen Kollegen diesen politischen Mut auch nicht gehabt haben, deswegen versuchen Sie den Umweg über eine politische Manipulation
    — notabene auch noch des Grundgesetzes — wie auf so vielen anderen Gebieten. Diese Regierung und ihre Koalitionsparteien, meine Damen und Herren, leiden doch darunter, daß sie den Versuch machen, den politischen Entscheidungen auszuweichen, daß sie immer wieder nach Wegen suchen, Grundgesetzänderungen zu diskutieren, Manipulationen anderer Art ins Auge zu fassen, auf die ich nachher noch kommen will, Kommissionen einzurichten, die Entscheidungen hinausschieben, weil man dann weiß: Ich brauche mich vorerst nicht zu stellen. Nehmen Sie doch das Beispiel der Mitbestimmung, weil es ein so populäres Beispiel auch in der öffentlichen Diskussion ist. Warum entscheiden Sie denn nicht über das, was die Parteitage der hier vertretenen Parteien dazu beschlossen haben? Ich bin völlig einig mit dem Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Herrn Rosenberg. Über Mitbestimmung — —

    (Lachen bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

    — Lassen Sie mich doch zu Ende sprechen. — Ich bin völlig einig mit ihm, wenn er sagt, daß in bezug auf die Mitbestimmung keine wissenschaftlichen Erkenntnisse mehr zu erwarten sind über das hinaus, was wir schon wissen, daß keine weisen Ratschläge von. Kommissionen, die darüber hinaus auch noch geschickterweise, wie heißt es so schön, „paritätisch besetzt" werden sollen, zu erwarten sind. Über Mitbestimmung kann man heute nur politisch entscheiden.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD.)

    Meine Freunde in der Freien Demokratischen Partei sind täglich bereit, das zu tun.

    (Zurufe von der SPD.)

    Und damit ich es auch jetzt sofort tue, will ich gleich sagen, — —

    (Erneute Zurufe von der SPD.)

    — Sie werden von mir bedient, haben Sie keine Sorge. Sie können bei mir immer erwarten, daß Sie eine Antwort bekommen, wenn Sie mich etwas



    Scheel
    fragen, immer. — Ich will das also gleich tun: wir sind aus sehr guten politischen Gründen gegen eine Ausdehnung der qualifizierten Mitbestimmung über die Bereiche hinaus, in denen sie heute eingeführt ist, ganz eindeutig.

    (Beifall bei der FDP.)

    Ich will es mir ersparen, die Gründe hier zu nennen, weil ich dann in die Gefahr gerate, Sie zu lange aufzuhalten. Das will ich jetzt nicht tun. Aber wenn Sie es wollen, dann bringen Sie doch eine Chance, daß wir im Parlament darüber diskutieren! Mit Wonne wird die Freie Demokratische Partei eine Diskussion über die Mitbestimmung in diesem Bundestag führen.

    (Zustimmung bei der FDP.)

    Ich habe nur den Eindruck, daß Sie nicht darüber diskutieren wollen.

    (Beifall bei der FDP. — Widerspruch bei der SPD.)

    Ich habe den Eindruck, daß die Christlich-Demokratische Union eigentlich gern „nein" zu einer Ausdehnung der Mitbestimmung sagen möchte, aber das aus Rücksicht auf den Koalitionspartner und auch auf weite Teile der eigenen Fraktion nicht tun kann. Und ich habe den Eindruck, daß die Sozialdemokratische Partei doch eigentlich — vor allem nach dem Beschluß ihres Parteitages — „ja" sagen möchte. Aber ich werde hier sehr genau beobachten, wann Sie, meine verehrten Damen und Herren der Sozialdemokratischen Partei, in diesem Bundestag das tun, das wagen; ich fürchte, Sie werden es in dieser Legislaturperiode nicht wagen.

    (Beifall bei der FDP.) Darum geht es doch.


    (Abg. Stücklen: Machen Sie doch ein Wahlgesetz, daß Sie keine Koalition brauchen! Dann haben Sie alle die Schwierigkeiten, die Sie hier aufzählen, nicht mehr! — Lachen und Zurufe bei der FDP.)

    — Herr Kollege Stücklen, ich könnte die Antwort darauf ganz kurz fassen: Wie wäre es denn, wenn Sie dieses Wahlgesetz machten?

    (Abg. Stücklen: Ja, ein gutes Wahlgesetz! — Lachen bei der FDP.)

    Und zwar frage ich Sie, ob Sie für ein solches Wahlgesetz eine Mehrheit finden.

    (Abg. Stücklen: Sicher, bei uns ja! — Zuruf von der FDP: Eben!)

    — Leider reicht die CSU für ein solches Wahlgesetz nicht aus, ebensowenig wie die FDP ein eigenes hier mit Mehrheit verabschieden könnte. Ich glaube, daß der Zwischenruf ganz deplaziert ist, weil er in eine weitere Schwäche der Koalition hineinstößt,

    (Sehr richtig! bei der FDP)

    nämlich in die Schwäche, auch auf diesem Gebiete zu keiner gemeinsamen Auffassung zu kommen. Das kann aber auch nicht möglich sein bei der vorhandenen Konstruktion der Mehrheit. Ich habe bei einer anderen Gelegenheit — ich will das nicht
    wiederholen — darauf hingewiesen, worin der Konstruktionsfehler liegt. Er liegt einmal in der im Kern falschen Betrachtungsweise, die am Beginn dieser Koalition gestanden hat, man könne politisch wichtige Entscheidungen und man könne Reformen nur in — wie nennt man das so schön? — Kabinetten der nationalen Konzentration und mit gewaltigen Mehrheiten zuwege bringen. Dem liegt die irrige Auffassung zugrunde, in der Politik könne man Qualität durch Quantität ersetzen. Den Beweis, daß das unmöglich ist, haben die anderthalb Jahre, die hinter uns liegen, eindeutig erbracht.

    (Beifall bei der FDP.)

    Ich wiederhole noch einmal: in den Ereignissen des Jahres 1966 liegt eine der Ursachen der Unruhe. Und ich wiederhole noch einmal, damit wir uns richtig verstehen: ich meine, die Politiker sollten im nachhinein das wenigstens erkennen. Sie sollten es im nachhinein bei ihren zukünftigen Entscheidungen berücksichtigen.
    Es gibt aber ein weiteres Problem im Klima der deutschen innenpolitischen Situation. Mit dem Auftreten der NPD ist in die deutsche Öffentlichkeit ein bis dahin schlummerndes autoritäres Potential öffentlich eingetreten, und wir haben jetzt — so meine ich — eine demokratische Bewährungsprobe abzulegen; denn wir haben es mit zwei Vorgängen zu tun. Insoweit ist die Beobachtung der Zusammenhänge links und rechts richtig. Wir haben es mit zwei Vorgängen zu tun, auf der einen Seite haben wir ein jetzt offen zutage tretendes autoritäres — stark autoritäres — Potential in der Innenpolitik und auf der anderen Seite ein stark ausgeprägtes demokratisches Potential der Jugend, das — ich möchte sagen — durch radikale Auswüchse am Rande dieser Erscheinung verfälscht wird. Zwischen diesen beiden Bewegungen — der autoritären auf der Rechten und der demokratischen der Jugend — bewegen wir uns, und das sind nämlich die Potentiale des Vergangenen und das Potential der Zukunft, über das wir jetzt diskutieren, wenn wir über die unruhige junge Generation diskutieren. Zukunft und Vergangenheit stehen sich hier gegenüber, und zwischen diesen beiden Schichten suchen die Parteien ihren Standort. Die Parteien beweisen den Grad an Demokratie dadurch, welchen Standort zwischen diesen Schichten sie für sich selbst wählen, und auch die Politiker und Parlamentarier beweisen den Grad an Demokratie dadurch, welchen Standort s i e zwischen diesen beiden Schichten für sich wählen.
    Da zeigt es sich nun, daß mancher — auch mancher Politiker der demokratischen Parteien — in seiner Diktion bei der Diskussion politischer Fragen eine Tonart anschlägt, die der NPD manchmal Rechtfertigung für ihre Phraseologie gibt.

    (Beifall bei der FDP.)

    Bei manchen ist die Tonart nicht so weit von dort entfernt, — wohl nicht einmal aus innerer politischer Überzeugung, sondern weil man glaubt, man könne den rechten Radikalen so das Wasser abgraben, indem man ihre Diktion übernimmt, indem man ihre Propagandathesen übernimmt. Meine



    Scheel
    Damen und Herren, das ist eine irrige Auffassung, und darüber gilt es hier auch zu diskutieren; denn wir werden es doch mit diesen Problemen recht bald nicht nur in einem und zwei und drei und jetzt sieben Ländern, sondern möglicherweise auch in diesem Parlament zu tun haben.
    Daß demokratische Politiker nicht nur im Bereich der sogenannten nationalen Politik dicht an das Vokabular der NPD herangehen, ist nicht allein eine große Gefahr; noch größer ist die Gefahr, wenn sie an das autoritäre Vokabular herangehen, wenn sie über Ordnung und über Sicherheit sprechen. Das sollten wir uns vor Augen halten. Die Ernsthaftigkeit muß in unsere Diskussion einziehen. Wir dürfen auch hier nicht der NPD den Rang ablaufen wollen, auch wenn wir vielleicht fürchten, daß ihr Wahlerfolg der letzten Wochen nicht zuletzt von solchen bewirkt worden ist, die mehr Ordnung haben möchten; eine These im übrigen, der ich nicht ohne Prüfung zustimmen möchte, weil ich mir nicht vorstellen kann, daß vernünftige Menschen Ordnung von einer Partei des Zuschnitts der NPD erwarten können, wo wir doch noch im eigenen Erinnerungsvermögen den Grad der Unordnung kennen, den uns ein Regime ähnlicher Herkunft in der Vergangenheit beschert hat.

    (Beifall bei der FDP.)

    Meine Damen und Herren, die Gefahr ist deswegen so groß, weil wir es nach meiner Auffassung bis heute noch nicht gelernt haben, uns mit Andersdenkenden auseinanderzusetzen.

    (Abg. Frau Brauksiepe: Was heißt hier „wir"?)

    Wir haben noch kein demokratisches Gefühl entwickelt, mit Minderheiten zu leben. Wir müssen aber in unserer Demokratie mit Minderheiten leben, und wir müssen mit ihnen leben können.

    (Abg. Dr. Wörner: Das ist eine undifferenzierte Aussage, die paßt gar nicht!)

    — Aber das ist doch der Sinn unserer Diskussion hier!

    (Abg. Dr. Wörner: Daß differenziert wird!)

    Ich habe die Hoffnung, daß sich aus der Erfahrung der jüngsten Zeit nicht nur der Ruf nach der vordergründigen Ordnung entwickelt, sondern daß sich eine demokratische Strategie entwickelt, die eine Antwort auf die Frage gibt, wie wir mit Minderheiten zusammenleben können.

    (Abg. Dr. Wörner: Das kann man aber nicht mit Pauschalurteilen!)

    Nun komme ich auf ein Problem, das auch der Herr Bundesinnenminister als wesentlich bezeichnet hat. Das Ziel der Osterdemonstrationen war ja das Haus des Verlages Springer. Springer ist ohne Zweifel in unserer innenpolitischen Auseinandersetzung ein Phänomen, an dem man nicht vorübergehen kann. Ich bin davon überzeugt, es würde an der Politik des Springer-Verlages und es würde an Herrn Springer überhaupt keine Kritik geben — auch wenn er noch mehr Zeitungen und Zeitschriften
    herausgäbe, als er es tut —, wenn er Zeitungen herausgäbe,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wie der „Stern"! — Heiterkeit in der Mitte)

    die jede für sich eine eigene Meinung hätten. — Herr Kollege, Sie haben völlig recht: wenn er etwa, um Beispiele zu nennen — das macht die Sache immer verständlich —, Zeitungen und Zeitschriften herausgäbe wie die „Welt", die „BildZeitung", die „Zeit",

    (Zuruf von der CDU/CSU: Oder den „Spiegel" !)

    — oder den „Spiegel", den „Stern" und „Jasmin", Herr Kollege — warum denn nicht?! —,

    (Abg. Rasner: Einen so schlechten Geschmack hat er nicht!)

    vielleicht auch „Konkret" und möglicherweise auch etwas für Sie, den „Bayern-Kurier".

    (Heiterkeit und Beifall bei der FDP.)

    Wenn Herr Springer diese Zeitungen und Zeitschriften herausgäbe, und zwar alle in der politischen Richtung, in der sie heute erscheinen, würde sich in der Öffentlichkeit keine Kritik gegen ihn regen.

    (Abg. Rasner: Wegen Gesinnungslosigkeit!)

    — Keineswegs, Herr Kollege! Es gibt doch Beispiele, daß das geht.

    (Abg. Rasner: Dahrendorf! — Abg. Bauer [Wasserburg]: Als Drucker, nicht als Verleger!)

    — Herr Kollege Bauer, wenn Sie hier auf die Qualität des Verlegers und das allerdings wichtige Moment der Quantität seiner Erzeugnisse zu sprechen kommen wollen, sollten Sie das nicht mit einer solchen Bemerkung über Drucker und Verleger abtun. Ich habe überhaupt nichts gegen den engagierten Verleger, aber ich hätte etwas gegen den engagierten Monopolverleger, — um das einmal extrem zu kennzeichnen.