Rede von
Dr.
Gustav W.
Heinemann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Kollegin, wir sind beide von Profession Anwälte, unter Umständen also auch Verteidiger. Wenn ein Gutachter die Grenzen dessen, was ihm an Hilfe für das Gericht zusteht, überschreitet, gehört es auch zu der Aufgabe der Verteidigung, dem energisch entgegenzutreten. Natürlich kommen Grenzüberschreitungen vor; sie sind aber korrigierbar.
Ich wollte davon sprechen, daß es natürlich schön wäre, wenn auch der Verdacht oder der Anschein einer Abhängigkeit eines Sachverständigen, sofern er Beamter, sofern er Soldat ist, ausgeräumt werden könnte. Dazu hat der Bundesminister der Verteidigung durch organisatorische Maßnahmen sichergestellt, daß angeforderte Gutachten von einem Juristen erstattet werden, der aus dem hierarchischen Gefüge des Ministeriums ausgegliedert und unmittelbar einem Hauptabteilungsleiter zugeordnet ist. Diesem Gutachter stehen für die besonderen Fachgebiete weitere Sachverständige zur Seite, die unter Umständen auch im Strafverfahren in Erscheinung treten können. Das ist jedenfalls eine Bemühung, dem Anschein der Weisungsgebundenheit, dem Verdacht der Abhängigkeit zu begegnen.
Es muß aber daran festgehalten werden, daß die Gerichte bei der Auswahl des Gutachters keinen Beschränkungen unterworfen sind und daß sie den Gutachter heranzuziehen haben, der die beste Sachkunde mitbringt. Mit diesem Grundsatz ist der Gedanke einer besonderen gesetzlichen Regelung dahingehend, daß Gutachten von besonderen unabhängigen Gremien zu erstatten seien, nicht zu vereinbaren. Wenn ich recht verstanden habe, ist das auch nicht das, was Ihnen vorschwebt. Die Einrichtung besonderer Gutachterstellen oder die Benennung ein für allemal zuzuziehender Gremien würde es notwendig machen, daß diese Stelle oder daß dieses Gremium laufend von allen Staatsgeheimnissen unterrichtet würde, um gutachtlich aussagen zu können. Das hätte aber eine Konzentration von Staatsgeheimnissen höchsten Ranges zur Folge und würde mit den Grundsätzen über die Geheimhaltung nicht in Einklang stehen. Die Bestellung eines besonderen Gutachtergremiums würde auch in die Entscheidungsfreiheit der Gerichte eingreifen. Man darf die Gerichte nicht an die Inanspruchnahme ganz bestimmter Gutachter in Person oder éines bestimmten Gremiums binden. Diesen Vorgang erleben wir gerade in der DDR. Dort wird in der neuen Strafprozeßordnung gesagt, daß die Sachverständigen bei einer amtlichen Stelle angefordert werden müssen — diese hat das Benennungsrecht — und daß andere Gutachter nur dann herangezogen werden dürfen, wenn ganz besondere Umstände das erfordern. Solch eine Regelung — das ist gar kein Streit unter uns — ist für uns indiskutabel.
Ich darf abschließen. Die Bundesregierung ist also der Auffassung, daß für die Erstattung objektiver Gutachten die erforderliche Unabhängigkeit weniger von der Art .der beruflichen Tätigkeit des Gutachters abhängt als vielmehr von seiner inneren Einstellung zur Aufgabe. Was im Bereich des Verteidigungsministeriums im Organisatorischen getan werden kann, das ist geschehen. Die Bundesregierung ist deshalb ,der Meinung, daß es einer gesetzlichen Regelung über ,das Geschilderte hinaus nicht bedarf.