Rede von
Werner
Kubitza
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit einer zweijährigen Verspätung hatte die Bundesregierung am 14. Juni 1965 dem Hohen Hause den Jugendbericht vorgelegt, der uns- ein möglichst vollständiges und realistisches Bild von der Lage der Jugend und von den Bestrebungen auf dem Gebiete der Jugendhilfe geben sollte. Nach weiteren zwei Jahren sind wir in der Lage, den Jugendbericht sowie den Ausschußbericht zu beraten.
Die Tages- und Wochenpresse hat den Jugendbericht seinerzeit fast einhellig positiv beurteilt, wogegen das Urteil der Fachpresse von maßvoller ' bis zu vernichtender Kritik ging. Wir Freien Demokraten verkennen nicht die Schwierigkeiten, vor denen die Bundesregierung stand, meinen aber, . daß man in vier Jahren Besseres hätte leisten können. Zumindest hätte in der Einführung deutlicher darauf hingewiesen werden müssen, daß es in Deutschland für einen solchen Bericht kein Vorbild gibt
und daß sich die Bundesregierung nicht in der Lage sah, ein geschlossenes Bild der deutschen Jugend zu zeichnen, weil der Bereich der Jugend wissenschaftlich noch nicht umfassend erforscht ist.
Ein Journalist hat einmal gesagt, um über eine Sache gut berichten zu können, müsse man 5 % von ihr wissen oder 95 %. In der Jugendforschung sind wir jetzt vielleicht bei 50 bis 60 %. Es fehlen uns somit das Detailwissen und, weil wir über die besagten 5 % hinaus sind, die unbehinderte Frische und Unbefangenheit. Wir sind aber auch noch weit entfernt von den 95 %, die es uns erlaubten, souveräner zu urteilen.
Je mehr wir die Jugendlichen beobachten, befragen, testen, desto deutlicher werden uns ihre individuellen, ihre altersmäßigen und typologischen Verschiedenheiten und desto unsicherer werden alle Pauschalurteile über die Jugend.
Ich sagte vorhin, daß wir in Deutschland kein Vorbild für einen solchen Jugendbericht haben. Aber man hätte sich wenigstens in Aufbau und Inhalt an dem Bericht der englischen Regierung vom Jahre 1958 besser orientieren können. Dieser Bericht „Youth Service in England and Wales" ist allerdings von einer unabhängien Royal Commission erarbeitet worden und dann mit einer Stellungnahme der Regierung der Offentlichkeit vorgelegt worden. Gegenüber dem deutschen Bericht ist er geradezu wohltuend in Sprache, Inhalt und Methode.
Unsere Regierung ist der Versuchung erlegen, mehr einen Leistungsbericht vorzulegen als einen Bericht über die wirkliche Lage der Jugend. In der Einführung sind zwar lobenswerte Ziele gesetzt, doch werden sie im Bericht selbst nicht so erfüllt. Die Regierung war meines Erachtens überfordert, als sie in eigener Sache womöglich kritische Aussagen machen sollte. Übriggeblieben ist eine Darstellung, die allzu schönfärberisch und verharmlosend wirkt, und es ist schwer, aus ihr Schwerpunkte für notwendige jugendpolitische Aktionen zu gewinnen.
Lassen Sie mich einiges zu dem methodischen Vorgehen sagen. Der Bundesregierung standen 18 Einzelstudien unterschiedlicher Qualität mit insgesamt 2200 Buchseiten zur Verfügung. Sie hat daraus ein Konzentrat von 35 Seiten Text in Großformat, das entspricht etwa 80 Buchseiten, gemacht. Vom Minister bis zum Regierungsrat war man — mit unterschiedlichem Erfolg — an diesem Super-Sammelreferat beteiligt, wobei die Qualität der einzelnen Kapitel nicht dem hierarchischen Aufbau des Ministeriums entspricht.
— Das will ich offenlassen.
Bei der ersten Arbeitstagung des Jugendpresseklubs in München erklärte Herr Professor Dr. Küchenhoff — der seinerzeitige Leiter des Deutschen Jugendinstituts — über den Jugendbericht, er müsse sich bei jeder Gelegenheit von diesem ersten Jugendbericht distanzieren, dessen Quellen zwar vom Jugendinstitut erschlossen, dessen Auswahl und politische Akzentuierung aber vom Ministerium für Familie und Jugend festgelegt worden seien; die Gutachter könnten ihre Arbeit im Bericht nicht wiedererkennen. Dieses Urteil ist wenig schmeichelhaft. Es wäre vielleicht, wenn man schon wußte, daß man für den Bericht Kurzfassungen brauchte, zweckmäßiger gewesen, erst einmal die Autoren dieser Quellen zu solchen Kurzfassungen aufzufordern. Die notwendige politische Akzentuierung hätte man dann noch vornehmen können.