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    Deutscher Bundestag 83. Sitzung Bonn, den 16. Dezember 1966 Inhalt: Amtliche Mitteilungen . . . . . . . 3799 A Erweiterung der Tagesordnung 3799 D Entwurf eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes (Zweites Steueränderungsgesetz 1966) (Drucksachen V/1068, V/1096); Bericht des Haushaltsausschusses gem. § 96 GO (Drucksache V/1233), Zweiter Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses (Drucksachen V/1231, zu V/1231) — Zweite und dritte Beratung —Dr. Stecker (CDU/CSU) 3800 B Zoglmann (FDP) . . . . . . . 3800 D Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dichgans (CDU/CSU) 3801 D Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) . 3802 D Dr. Dr. Heinemann, Bundesminister 3804 A Dr. Geißler (CDU/CSU) 3804 B Moersch (FDP) . . . . . . . 3809 C Dr. Lohmar (SPD) 3812 A Dr. Schober (CDU/CSU) 3813 A Dr. Mühlhan (FDP) 3815 A Dr. Stoltenberg, Bundesminister . 3817 A Orgaß (CDU/CSU) . . . . . . . 3818 C Kubitza (FDP) . . . . . . . 3819 A Dr. Even (CDU/CSU) . . . . . . 3819 D Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . . 3822 A Genscher ,(FDP) . . . . . . . 3824 C Lemmer (CDU/CSU) 3829 A Dr. Dehler (FDP) . . . . . . . 3830 B Schoettle (SPD) . 3836 A Dr. Barzel (CDU/CSU). 3836 C, 3867 C Stingl (CDU/CSU) . . . . . . . 3838 A Dr. Schellenberg (SPD) 3842 D Spitzmüller (FDP) . . . . . . 3845 C Dr. h. c. Kiesinger, Bundeskanzler 3850 B Brandt, Bundesminister 3853 A Dr. Mende .(FDP) . . . . . . . 3857 C Wehner, Bundesminister . . . . 3871 D Schoettle, Vizepräsident 3874 C Rehs (SPD) 3874 D Dr. Mommer (SPD) 3875 A Mischnick (FDP) 3878 B Nächste Sitzung 3881 C Anlagen 3883 Deutscher Bundestag - 5. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1966 3799 83. Sitzung Bonn, den 16. Dezember 1966 Stenographischer Bericht Beginn: 8.59 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich Beurlaubungen Dr. Achenbach * 19. 12. Dr. Aigner * 22. 12. Arendt (Wattenscheid) 16. 12. Dr. Arndt (Berlin/Köln) 17. 12. Bading * 16. 12. Bauer (Würzburg) ** 16. 12. Bazille 31. 12. Dr. Bechert (Gau-Algesheim) 17. 12. Berkhan ** 16. 12. Bewerunge 16. 12. Blumenfeld ** 16. 12. Brand 18. 12. Dr. Burgbacher 31. 12. Draeger ** 16. 12. Dröscher * 16. 12. von Eckardt 16. 12. Dr. Eckhardt 31. 12. Eisenmann 31. 12. Frau Dr. Elsner * 16. 12. Erler 31. 12. Flämig ** 16. 12. Dr. Furler * 16. 12. Frau Geisendörfer 18. 12. Gerlach * 16. 12. Haage (München) 17. 12. Hahn (Bielefeld) * 17. 12. Dr. Hellige ** 16. 12. Frau Herklotz ** 16. 12. Dr. Hofmann (Mainz) 31. 12. Hösl ** 16. 12. Kahn-Ackermann ** 16. 12. Frau Kalinke 31. 12. Dr. Kempfler ** 16. 12. Frau Klee ** 16. 12. Dr. Kliesing (Honnef) ** 16. 12. Dr. Kopf ** 16. 12. Frau Dr. Krips 31. 12. Frau Kurlbaum-Beyer 16. 12. Lemmrich ** 16. 12. Lenz (Trossingen) 31. 12. Lenze (Attendorn) ** 16. 12. Dr. Löhr 17. 12. Mauk * 22. 12. Frau Dr. Maxsein ** 16. 12. Dr. von Merkatz 16. 12. Metzger * 17. 12. Dr. Miessner 16. 12. Missbach 17. 12. Müller (Aachen-Land) * 16. 12. Müller (Berlin) 15. 1. 1967 Neumann (Berlin) 17. 12. * Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an einer Tagung der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich Frau Pitz-Savelsberg 31. 12. Dr. Rinderspacher ** 16. 12. Dr. Schmidt (Frankfurt) ** 16. 12. Dr. Schulz (Berlin) ** 16. 12. Dr. Serres ** 16. 12. Seuffert * 19. 12. Struve 31. 12. Dr. Süsterhenn 17. 12. Dr. Freiherr von Vittinghoff-Schell ** 17. 12. Weigl 1.3. 1967 Dr. Wilhelmi 16. 12. Frau Dr. Wolf 17. 12. Baron von Wrangel 17. 12. Dr. Wuermeling 16. 12. Zerbe 17. 12. Anlage 2 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Schwörer zur dritten Beratung eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes (Zweites Steueränderungsgesetz 1966). Bei der Anhebung der Tabaksteuer, insbesondere der Erhöhung der Steuer für Zigaretten, sollte man auch den Belangen des mittelständischen Tabakwarenhandels Rechnung tragen. Letzten Endes ist er es, der dafür sorgt, daß die Zigaretten bis in die letzten Kanäle gestreut werden und daß durch die von ihm aufgestellten über 600 000 Automaten die Überallerhältlichkeit der Zigaretten gewährleistet ist. Der Tabakwarenhandel leistet damit einen wesentlichen Beitrag auch zum Steueraufkommen. Die von ihm erbrachte volkswirtschaftliche Leistung muß deshalb auch entsprechend honoriert werden. Es darf nicht übersehen werden, daß die durch die Tabaksteuererhöhung bedingte Preisanhebung automatisch eine Reihe steigender, auf den Umsatz bezogener Kosten verursacht, die der Tabakwarenhandel mit seiner geringen Spanne, die zudem seit mehr als 10 Jahren unverändert ist, nicht verkraften kann. Meiner Ansicht nach sollte der Tabakwarenhandel auch an der künftigen Konsumzigarette von 9 1/11 Pt prozentual die gleiche Spanne haben wie heute bei der 8 1/3 -Pf-Preislage. Ich bin deshalb der Auffassung, daß die Zigarettenindustrie den berechtigten Belangen des mittelständischen Tabakwarenhandels entgegenkommen sollte. Die Erhöhung der Tabaksteuer kann nicht zu Lasten des schwer um seine Existenz ringenden mittelständischen Handels erfolgen, der sich seit Jahren vor das Problem gestellt sieht, ständig steigende Kosten bei gleichbleibenden Spannen zu verkraften. 3884 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, ,Fredtag, den 16. Dezember 1966 Anlage 3 Schriftliche Erklärung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung Katzer zu Punkt 4 der Tagesordnung Infolge des Zeitplans des Herrn Bundeskanzlers wurde ich veranlaßt, meine ursprüngliche Absicht aufzugeben, in der Aussprache des Hohen Hauses zur Sozialpolitik das Wort zu ergreifen. Nicht zuletzt der Sprecher der Opposition, Herr Kollege Spitzmüller, hat jedoch einige Fragen im Zusammenhang mit der Regierungserklärung vom vergangenen Dienstag an mich gerichtet, die ich zumindest in dieser Form beantworten möchte, soweit ich dazu jetzt schon in der Lage bin. Vorweg eine grundsätzliche Bemerkung: Der innenpolitische Teil der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers enthielt die beiden Schwerpunkte Wirtschaftswachstum und finanzielle Ordnung. Seit meiner Amtsübernahme vor einem Jahr habe ich immer wieder auf den engen Zusammenhang zwischen Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik hingewiesen. Ich brauche mich also weder zu ändern, Herr Kollege Spitzmüller, noch entscheidende Änderungen zu befürchten. Wir verstehen die Sozialpolitik im Sinne einer umfassenden Gesellschaftspolitik und sind uns der Tatsache wohl bewußt, daß wirtschaftliches Wachstum und eine solide Staatsfinanzierung die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Sozialpolitik sind und bleiben, aber wir wissen auch, was eine fortschrittliche Sozialpolitik ihrerseits für Stabilität und Fortschritt von Wirtschaft und Gesellschaft bedeutet. Soweit sich Ihre Ausführungen, verehrter Herr Kollege Spitzmüller, auf meinen Geschäftsbereich bezogen, möchte ich zwei Fragen herausgreifen. Mit einigem Recht haben Sie Kritik daran geübt, daß man in letzter Zeit zunehmend Anstoß an der Entwicklung der Bundeszuschüsse zur gesetzlichen Rentenversicherung nimmt und dabei so tut, als sei eine überraschende Wende, eine katastrophale Entwicklung eingetreten. Sie fragten mich, was Sie darunter zu verstehen hätten, wenn es in der Regierungserklärung heißt, „die Bemessung der jährlichen Zuwachsraten und der Bundeszuschüsse" müßten sehr ernsthaft geprüft und diese „mit den Möglichkeiten und Grundsätzen einer gesunden Finanzpolitik in Einklang" gebracht werden. Es wird geprüft, verehrter Herr Kollege Spitzmüller, das Ergebnis kann ich Ihnen jetzt nicht sagen, aber ich möchte doch keine Zweifel aufkommen lassen. Sie kennen meine Einstellung zu unserer Rentenversicherung und Sie wissen, daß ich sie für das Kernstück der sozialen Sicherheit in unserem Staat halte. Aus dem Wissen um den engen Zusammenhang zwischen Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik werde ich mich gleichwohl an den weiteren Überlegungen der Bundesregierung um den Ausgleich des Bundeshaushalts intensiv beteiligen so wie ich es auch bisher schon getan habe. An dieser Stelle möchte ich jedoch ganz klar festhalten — und auch das gehört zu den Bemühungen der neuen Bundesregierung um die Festigung des Vertrauens in der breiten Bevölkerung —, daß die Finanzen der Rentenversicherung gesund sind und die Schwierigkeiten, die uns der sog. Rentenberg in den nächsten Jahren bereiten dürfte, mit durchaus zumutbaren Beitragserhöhungen gemeistert werden können. Realistisch wollen wir die auf uns in den nächsten Jahren wartenden Aufgaben und Ausgaben erkennen. Das ist Sinn und Zweck der mittelfristigen Finanzplanung, die nach den bereits vorhandenen Ansätzen jetzt erstellt werden soll. Aber was wir nicht wollen, ist, mit einem Zahlenspiel an Hand zusammengebastelter theoretischer Modelle die Rentner und diejenigen, die heute ihre Beiträge leisten, um in Zukunft einen gesicherten Lebensabend zu haben, beunruhigen. Ein Mißverständnis scheint mir, Herr Kollege Spitzmüller, in bezug auf die Sozialinvestitionen entstanden zu sein. Nach wie vor stehe ich dazu, daß es zu einer modernen Aufgabengestaltung der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung in Nürnberg gehört, durch die Förderung der beruflichen Ausbildung, der Fortbildung und Weiterbildung sowie einer möglichst wirksamen Berufsberatung „Sozialinvestitionen" zu betreiben. Das ändert nichts daran, daß, um Ihre Worte zu gebrauchen, Herr Kollege Spitzmüller, auch die Sozialinvestitionen aus „Stahl, Glas und Beton" stärker als bisher dotiert werden müssen. Innerhalb der Bundesregierung besteht nicht der leiseste Zweifel darüber, daß viele Gemeinschaftsaufgaben in der Vergangenheit vernachlässigt wurden, ja, lange Jahre wegen anderer dringender Aufgaben vernachlässigt werden mußten und daß auf diesem Gebiet auch und gerade im Interesse des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts keine Zeit mehr zu verlieren ist. Anlage 4 Auszug aus Friedrich Naumann, Zeugnis seines Wirkens von Kurt Oppel auf Wunsch des Abgeordneten Dr. Barzel (CDU/CSU) zu Punkt 4 der Tagesordnung Durch Majorität sollen die Ideale gefördert werden, die in der Natur der Demokratie und in der gegenwärtigen Zeitlage beschlossen sind. Damit aber eine Majorität regieren kann, muß erst eine Majorität vorhanden sein, und zwar nicht nur eine Majorität für ein einzelnes Gesetz oder eine einzelne Handlung. Regieren besteht bekanntlich in zusammenhängendem Handeln auf verschiedenartigen Gebieten, im Ausführen größerer Gedankengänge wie etwa: Handelsverträge, Arbeiterversicherung, bürgerliches Gesetzbuch, Flotte, und zwar im gleichzeitigen Ausführungen mehrerer derartiger Generalideen. Eine Majorität, die nur auf ein oder zwei Leitsätzen aufgebaut ist, wird stets in Gefahr sein, in der Vielartigkeit der politischen Probleme zu zerschellen. Man erinnert sich, wie der Liberalismus am preußischen Militärproblem zerbrochen ist! Es Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1966 3885 genügt also nicht eine Majorität zu haben, die etwa in rein demokratischen Gesichtpunkten einig ist, die aber in bezug auf Nationalität, Heer, Zoll, Agrarwirtschaft verschiedene Strömungen vertritt. Es ist eine Majorität nötig, die erst durch lange politische Arbeit in einem Volk entstehen kann, eine durch verschiedene Zeiten teils oppositioneller, teils regierender Betätigung gefestigte Massenpartei. Da aber eine solche Massenpartei nur durch den Gegensatz ihrer Gegenpartei zusammengehalten werden kann, so ist die einzig erkennbare Möglichkeit zur Entstehung eines demokratischen Staates die Aufsaugung aller kleineren Parteiunterschiede durch zwei beständig konkurrierende, beiderseits regierungsfähige, große Parteien. Diesem Zustand am nächsten sind von den großen Staaten England und Nordamerika gekommen. Wo es kein Zweiparteiensystem gibt, stellt sich ein immerwährender Wechsel von Kompromißbildungen ein, der dem Fortschreiten einheitlicher Reformideen fast unübersteigliche Hindernisse entgegenstellt, wie man in Frankreich sehen kann. Anlage 5 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Becher (Pullach) (CDU/CSU) zu Punkt 4 der Tagesordnung. Eine große deutsche Wochenzeitung sprach jüngst von der Inflation des Unbehagens, die weite Teile der Bevölkerung befallen habe. Sie wurde in der gestrigen Debatte über die Stabilisierung unserer Währung und Wirtschaft angesprochen. Sie hat aber auch außenpolitische Ursachen. Wenn ich hier das Wort ergreife, dann tue ich das, um Sie auf das tiefe Maß der Erschütterung, ja Enttäuschung aufmerksam zu machen, welche bestimmte und nicht völlig unbedeutende Gruppen der Bevölkerung und insbesondere der Vertriebenen ergriffen hat. Ich tue es auch deshalb, weil ich dazu beitragen möchte, daß diese Koalition und diese Regierung ihre Aufgabe lösen und dereinst vor der Geschichte bestehen möge. Gerade die Menschen, die Wesentliches zum Wiederaufbau unserer Wirtschaft beigetragen haben, werden dem Herrn Bundeskanzler beistimmen, wenn er erklärt, alles Sorgen um wirtschaftliches Wachstum hätte nur dann einen Sinn, wenn es gelänge, den Frieden und eine freiheitliche Lebensordnung zu bewahren. Sie stimmen ihm — und das sei fürs erste hier festgestellt — vor allem in dem Bekenntnis bei, daß der Wille zum Frieden und zur friedlichen Lösung aller Lebens- und Existenzaufgaben unseres Volkes oberste Leitlinie unseres Handelns sein müsse. Nur Narren bekennen sich zu anderem Tun. Das Gerede von der angeblich so kriegslüsternen und revanchistischen Bundesrepublik gehört zu jenen Methoden der Diffamierung, von denen gestern der Herr Abgeordnete Schmidt sprach. Diese Diffamierung wird nicht nur von rechts, sie wird heute viel mehr noch von links gehandhabt. Sie bezeichnet alle als kalte Krieger, als Reaktionäre, die einer Politik der Entspannung nicht in dem Sinne folgen wollen, wie sie auf den Reißbrettern des Kremls entworfen wurde. Sie erzeugt oftmals einen Teil jenes Unbehagens, das wie ein schweigender Protest die Antwort auf diese kollektive Herabsetzung ist. Meine Sorge und die meiner Freunde gilt daher der Frage, wie es gelingen möge, Spannungen zu beseitigen, ohne neue Diffamierung und damit neue Spannungen auszulösen. Ich spreche damit jene Stellen der Regierungserklärung an, die sich mit dem Verhältnis zu unseren östlichen Nachbarn, insbesondere zu jenem befassen, mit dem uns eine gemeinsame unmittelbare Grenze verbindet. Ich vertrete die Interessen der Wähler, die mich hierher abgeordnet haben, wenn ich sage, daß auch sie eine Verständigung mit dem tschechischen und dem slowakischen Volke begrüßen, daß sie die Aussöhnung mit den östlichen Nachbarn genau so anstreben, wie sie im Verhältnis zu den westlichen Anrainern unseres Volkes bereits weitgehend Tatsache wurde. Ich darf aber auch ihre Überzeugung verdolmetschen, wenn ich meine, daß diese Aussöhnung nur auf der Basis der beiderseitigen Anerkennung der Menschenrechte erfolgen kann. Sie ist unmöglich, solange man hier mit zweierlei Maßstäben mißt. Der Außenminister der CSSR, Vaclav David, hat vor der UNO vor wenigen Tagen das Recht auf Selbstbestimmung für die Vietnamesen gefordert. Im gleichen Atemzuge aber griff er die Bundesregierung an, weil sie an „unrealistischen Doktrinen", eben am Recht auf Selbstbestimmung festhalte und damit den Revanchismus nähre. Für Herrn David und seine Bundesgenossen bedeutet Normalisierung der Beziehungen die Legalisierung der Austreibung, des Unrechtes also, von dem der Herr Bundeskanzler sprach. Die Herren des Hradschins verlangen von uns die Annulierung des Münchener Abkommens, sie meinen in Wahrheit aber die Anerkennung des Heimatverlust von 3 1/2 Millionen Menschen. Ich darf der Erklärung des Bundesministers Willy Brandt entnehmen, daß er diese Interpretation ablehnt. Ich darf erwarten, daß er das auch in Hinkunft tut. Ich erlaube mir, hierzu anzumerken, was in den Erklärungen der großen deutschen Parteien zu dieser Frage geschrieben steht: Die sudetendeutsche Frage ist durch die Vertreibung dieser Menschen nicht erledigt. Sie war widerrechtlich. Sie muß auf friedlichem Wege wiedergutgemacht werden, ohne daß anderen Menschen aufs neue Unrecht geschieht. Wir begrüßen, daß sich auch der Bundeskanzler zu diesem Standpunkt bekannte, in dem er die Obhutspflicht und damit die Obhutserklärung in Erinnerung brachte, mit der der Deutsche Bundestag am 14. Juli 1950 feierlich Einspruch, wie es heißt, gegen die Preisgabe des Heimatrechtes erhob, die in dem zwischen Prag und Pankow am 23. Juni 1950 3886 Deutscher Bundestag - 5. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1966 geschlossenen Abkommen ausgesprochen worden war. Demgegenüber sind die Hinweise auf das Münchener Abkommen sekundärer Art. Die Sudetendeutschen gründen — wie es in einer Stellungnahme ihrer demokratisch gewählten Vertretungen vom 5. und 17. Januar 1961 heißt —ihre politischen Bestrebungen auf die zitierten originären Rechte, auf das Recht auf Heimat und Selbstbestimmung, und zwar unabhängig von diesem Münchener Abkommen. Dieses Abkommen wird aus durchsichtigen Gründen nicht von ihnen, sondern von Prag fortlaufend genannt und zitiert. Wir wissen, daß die Bundesregierung aus diesem Abkommen keine Forderung nach Änderung von Grenzen oder andere territoriale Forderungen ableiten will noch abzuleiten vermag. Gleichwohl sind wir nicht gewillt, einer Annulierung des Münchener Abkommens zuzustimmen._ Sie hebt nachträglich Fakten auf, die durch einen völkerrechtlich gültigen und erfüllten Vertrag geschaffen wurden. Millionen Menschen haben durch diesen Vertrag Rechte und Pflichten übernommen, die sie — man denke an ihre Kriegsopfer — bis zur bitteren Neige wie alle Deutschen auszukosten hatten. Man kann sie nicht nachträglich staatenlos machen. Man kann nicht nachträglich ihre Rechts- und Besitztitel — man denke nur an die Gültigkeit von Gerichtsakten, von Kaufverträgen, von Eheschließungen usw. — in Frage stellen. Das würde zudem unermeßliche Forderungen seitens des Austreiberstaates gegen die Bundesrepublik auslösen, die von allen Bundesbürgern zu tragen wären. Ein völkerrechtlich gültiger Vertrag kann nur durch einen neuen Vertrag und nicht durch bloße Erklärungen annulliert werden. Wäre dem nicht so, hätte die Sowjetregierung nicht ihrerseits die friedensvertragliche Regelung dieser Frage in ihrem Entwurf vom Dezember 1958 ausdrücklich zur Bedingung gemacht. Man kann auch die Verträge des Jahres 1919 nicht nachträglich annullieren, obwohl ja auch sie durch Gewalt zustande kamen. Man kann das Recht auf Selbstbestimmung nicht für alle Völker fordern, für einen Teil des eigenen Volkes aber — für die aus ihrer jahrtausendalten Heimat vertriebenen Deutschen Böhmens und Mähren-Schlesiens — auslöschen. Man kann das alles nicht tun, ohne neues, auch innenpolitisch gefährliches Unrecht zu schaffen. Aus solchem Unrecht wächst keine Versöhnung. Trübe Kapitel der Geschichte unserer Völker würden damit nicht beendet, sondern in endloser Romanfolge fortgesetzt. Wir stehen in diesem Hause, wie schon von dem Abgeordneten Dr. Barzel gesagt wurde, kurz vor der Ratifizierung des 4. Ergänzungsprotokolls des Europäischen Abkommens zum Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten. Es besagt in seinem Art. 3 Abs. 1: niemand dürfe ausgewiesen werden, sei es individuell oder kollektiv, vom Gebiet des Staates, dessen Staatsangehöriger er sei. Im Begleitbericht des SachverständigenAusschusses des Europarates vom 21. Februar 1963 ist dazu vermerkt: Es besteht Einverständnis darüber, daß Art. 3 Abs. 1 keineswegs so auszulegen ist, als würden dadurch Kollektiv-Austreibungen gerechtfertigt, die in der Vergangenheit vorgenommen sein mögen. Hüten wir uns also durch voreilige Festlegungen, Grundsätze des Menschenrechtes zu negieren, um angebliche politische Konzessionen dafür .zu erhalten. Diese Konzessionen sind weder heute noch morgen dafür zu erhalten. Die Herren Prags erklären freimütig, für die Anerkennung der Kriegsfolgen sei kein Lohn zu erwarten. Also müssen wir versuren, mit anderen, besseren Mitteln die Einheit Europas voranzutreiben. Mit jedem Quantum neuer Kontakte, neuer Berührung auf kultureller, wirtschaftlicher und politischer Ebene muß das in der Erklärung des Kanzlers ausgesprochene Bekenntnis der Bundesregierung zur Aktivierung Europas den Ost- und Südostnachbarn verdolmetscht werden. Je mehr wir an dieser Aktivierung Europas mitarbeiten — von seinen freien Kerngebieten, von seinen Ansatzpunkten aus — desto mehr aktivieren wir auch unsere Deutschland- und Ostpolitik, desto mehr haben wir Gelegenheit, bei unseren Partnern Verständnis dafür zu finden, daß Auch wir Deutsche selbstverständliche nationale Güter zu vertreten haben. Je besonnener wir sie selbst vertreten, desto mehr verhindern wir, daß sie erneut mißbraucht und zur Quelle neuen Schadens werden. Hier muß sich. unsere Demokratie bewähren, besser bewähren, als sie es ehedem tat. Nehmen wir der Unvernunft den Wind aus den Segeln. Nicht dadurch, daß wir sie links oder rechts überholen, sondern dadurch, daß wir schlechthin das Richtige, das Gerechte tun. Viele der hier angesprochenen Deutschen glauben — das muß ich Ihnen in aller Offenheit sagen, Ihnen, Herr Bundeskanzler, und Ihnen, Herr Außenminister —, daß sie mit ihrem Recht als erste geopfert wurden. Sie glauben — und das setzt sich eben in wachsendem Unbehagen fort —, sie werden nicht die einzigen Opfer bleiben. Sie denken an die bekannte Geschichte von der Troika und den Wölfen, und sie meinen, daß es ein Trugschluß ist, die einen retten zu können, indem man die anderen vom Schlitten wirft. Helfen wir, daß dieses Gefühl nicht aufkommt in unserem Volke, in keinem Teile unseres Volkes. Versuchen wir die Schicksalsfragen unseres Volkes in gegenseitiger Hilfe, in der Solidarität aller, zu gestalten. Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1966 3887 Anlage 6 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Borm (FDP) zu Punkt 4 der Tagesordnung Die Regierungserklärung hat sich sehr ausführlich, geradezu vordringlich, mit wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen befaßt, denen sie den breitesten Teil ihrer Ausführungen widmet. Das Allerwichtigste jedoch war die Ankündigung eines neuen Wahlrechts, das als an erster Stelle stehend, offenbar besonders dringlich zu sein scheint. Man mußte schon einen erheblichen Teil Geduld aufbringen, um endlich auf der 21. Seite wenigstens einiges, wenn auch größtenteils Unverbindliches über die notwendige Beendigung der Spaltung unseres Volkes zu vernehmen. Noch unverbindlicher, nichtssagender und unklarer ist jedoch jener Passus in der Regierungserklärung, der sich mit der deutschen Hauptstadt Berlin befaßt. Daß diese Stadt und ihr Schicksal erst unmittelbar vor den Betrachtungen über die Verhältnisse in Asien und Afrika behandelt wird, sei nur am Rande erwähnt. Dem Berliner Abgeordneten der FDP sei es gestattet, Anmerkungen und Ergänzungen sowie Wünsche vorzutragen, die die Aufmerksamkeit der Bundesregierung auf einige Probleme der deutschen Hauptstadt richten sollen. Die Freien Demokraten sind einigermaßen erstaunt über die Erklärung der Bundesregierung, nach welcher diese alles tun werde, um die Zugehörigkeit Berlins zur Bundesrepublik zu erhalten. Was soll dies bedeuten? Berlin ist nach dem Willen seiner Bewohner, nach dem Willen des Grundgesetzes und nach dem erklärten Willen des Deutschen Bundestages ein Land der Bundesrepublik. Daß dieses nicht den Wünschen unserer Widersacher entspricht, auch nicht den Wünschen der Machthaber im unfreien Teil Deutschlands, ist lange bekannt und gibt infolgedessen keinen Anlaß dazu, daß die Bundesregierung sich heute besonders bemühen muß, Berlin beim Bund zu erhalten. Wenn die Formulierung in der Regierungserklärung mehr sein soll als nur ein Gemeinplatz, so ist es erforderlich, dies näher zu präzisieren. Ich hätte gewünscht, daß der Herr Bundeskanzler am 12. Dezember anläßlich der Wahl des neuen Regierenden Bürgermeisters im Berliner Abgeordnetenhaus anwesend gewesen wäre. Er hätte feststellen können, daß nicht nur der neue Regierende Bürgermeister, sondern auch die Redner der SPD und FDP die lakonische Kürze der Ausführungen über Berlin in der Regierungserklärung mit einigem Erstaunen aufgenommen haben. Die Regierungserklärung kündigt an, daß die Bundesregierung gemeinsam mit dem Senat und den Schutzmächten prüfen werde, wie die Wirtschaft Berlins und seine Stellung in unserem Rechtsgefüge gefestigt werden könne. Meine Partei hat in diesen Punkten präzise Vorstellungen, die ich ,dem Hohen Hause nachstehend unterbreiten möchte: 1. In Berlin wird die Bundesrepublik vertreten durch einen Bundesbevollmächtigten, ein Amt, das z. Z. von dem Herrn Staatssekretär im Ministerium für Gesamtdeutsche Fragen wahrgenommen wird. Die Freien Demokraten sind schon immer der Meinung gewesen, daß ein solches Amt nur ein dürftiger Ersatz für die unmittelbare Präsenz des Bundes in seinem Lande Berlin sein könne. Der Regierungswechsel in Bonn und in Berlin sollte gegebener Anlaß sein, die Frage eines Bundesbevollmächtigten erneut zu überprüfen. Warum eigentlich sind dafür geeignete, im wesentlichen unpolitische Fachministerien wie etwa das Postministerium, das Verkehrsministerium oder das Gesundheitsministerium nicht in Berlin ansässig? Warum hat der Herr Bundeskanzler in Berlin keinen zweiten Amtssitz, in Sonderheit, nachdem der erste Präsident der Bundesrepublik Deutschland, Herr Prof. Dr. Heuss, mit Selbstverständlichkeit für sich einen solchen zweiten Amtssitz in Berlin hat einrichten lassen? Durch nichts könnte die Zugehörigkeit Berlins zum Bund deutlicher dokumentiert werden als dadurch, daß Leitungsorgane des Bundes von der deutschen Hauptstadt aus tätig werden. Es erhebt sich die Frage, ob nicht endlich der Zeitpunkt gekommen ist, im Benehmen mit den Alliierten dafür zu sorgen, daß den geänderten Verhältnissen Rechnung getragen wird. Unter diesen neuen Verhältnissen ist in erster Linie die Tatsache zu verstehen, daß die Sowjetunion den deutschen Kommunisten gestattet hat, von Ostberlin aus die Regierung ihres Einflußgebietes vorzunehmen. Sie bezeichnen Berlin als „Hauptstadt der DDR". Es ist nicht einzusehen, warum die Bundesregierung nicht alle Anstrengungen darauf verwenden sollte, durch Verlegung von dazu geeigneten Ministerien nach dem freien Teil Berlins dem Machtanspruch der deutschen Kommunisten entgegenzutreten, und warum dies nicht erreichbar sein sollte. Wir erwarten zu dieser grundsätzlichen Frage die Stellungnahme der Bundesregierung. 2. In Berlin ist aber noch ein weiterer Beauftragter der Bundesregierung tätig, der sein Amt im unmittelbaren Auftrage des früheren Bundeskanzlers, Herrn Prof. Dr. Erhard, ausübte. Sein besonderes Aufgabengebiet sollte die Pflege der, kulturellen Beziehungen Berlins nach allen Seiten hin sein. Wir fragen die Bundesregierung, ob dieses Amt weiterhin bestehen oder ob es mit dem Regierungswechsel nicht lieber beendet werden sollte. Wir Freien Demokraten haben nie ein Hehl daraus gemacht, daß von der Sache her die Beauftragung eines weiteren Bevollmächtigten überflüssig ist. Sollte das Amt jedoch beibehalten werden sollen, indem der Herr Bundeskanzler den Auftrag seines Vorgängers verlängern will, so darf nicht unerwähnt bleiben, daß in Berlin eine Koalition aus Sozialdemokraten und Freien Demokraten besteht. Eine solche Koalition scheint jedoch dem Herrn Kulturbeauftragten nach einem Aufsatz im „Echo der Zeit" nicht genehm zu sein. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten trage ich vor, was er anläß- 3888 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1966 lich der Koalitionsbildung in Nordrhein-Westfalen zu sagen hatte: In Düsseldorf zeigten sich Kräfte, denen größte Aufmerksamkeit zugewendet werden sollte, weil hier einem Wunsch nach einer selbstmörderischen Politik für unser Volk entsprochen worden ist. Ulbricht siegte in Düsseldorf! Sorgen wir dafür, daß das nur ein kurzes Zwischenspiel sein wird. Sorgen wir weiter dafür, daß Bonn, wo es um Politik für das ganze deutsche Volk geht, davon unberührt bleibt. Bei einer Fortsetzung der Beauftragung sollte der Herr Bundeskanzler klären, ob die Weiterbeauftragung dem bisherigen Kulturbeauftragten bei einer SPD-FDP-Regierung noch zumutbar ist. 3. Es ist bekannt, daß Berlin infolge der Abschnürung und sonstiger widriger Umstände aus eigener Kraft nach Verlust seiner Hauptstadtsfunktion nicht voll lebensfähig ist. Wir erkenen dankbar an, daß der Bund bisher bereitwillig und fühlbar die Standortnachteile Berlins auszugleichen bemüht war. Wir dürfen der Regierungserklärung wohl entnehmen, daß dies fortgesetzt werden soll. Ein wichtiges Mittel, das wirtschaftliche Leben in Berlin zu fördern, sind die gesetzlich festgesetzten Berlin-Präferenzen. Wir haben Verständnis dafür, daß besonders bei Verlangsamung des Wirtschaftswachstums oder gar bei Stagnation und Rezession die konkurrierenden Wirtschaftszweige in der Bundesrepublik auf diese Präferenzen mit einigem Unbehagen blicken. Dieses Unbehagen auszuräumen ist das ständige Bemühen des Berliner Senats und wird es auch weiterhin bleiben. Bedenklich aber ist es — und das entzieht sich der unmittelbaren Einwirkung des Senats —, wenn auch von Seiten der Bundesregierung her wiederholt in der Öffentlichkeit die Frage der Berliner Präferenzen, ihre Höhe und ihre Laufzeit Gegenstand von Erörterungen ist. Eine Wirtschaft kann nur gedeihen, wenn ihre gesetzlichen Grundlagen für lange Zeiträume hin gesichert sind. Wenn Firmen, die sich in Berlin wirtschaftlich betätigen oder betätigen wollen, nicht wissen, unter welchen gesetzlichen Bedingungen dies gesichert möglich ist, werden sie noch mehr das Risiko, in Berlin zu arbeiten, scheuen. Meine Bitte geht dahin, bis zum Jahre 1970 — das ist der gesetzliche Ablauf der jetzigen Präferenzen — Modifikationen daran nicht mehr zu behandeln, um nicht zusätzliche Unsicherheiten hervorzurufen. Die Berliner Wirtschaft ist ohnehin dadurch belastet, daß in einer gewissen Phasenverschiebung ein Wirtschaftsaufschwung sich in Berlin später zeigt als im übrigen Bundesgebiet, während bei einem Nachlassen der Konjunktur die Berliner als erste dies zu spüren bekommen. Ich darf in diesem Zusammenhang auf ein Wort unseres Kollegen Helmut Schmidt anläßlich der Debatte über die Regierungserklärung hinweisen, der mit Recht verlangte, daß das Vertrauen der Unternehmer wieder hergestellt und erhalten werden muß, um Investitionsabsichten auch dadurch zu fördern. Wenn dies unbestritten für die Bundesrepublik gilt, so erst recht für den labileren Zustand im Bundesland Berlin. Wir Freien Demokraten haben schon wiederholt Vorschläge gemacht, wie ohne wesentliche Kosten, lediglich durch gemeinsame Bemühungen der Bundesregierung und des Senats dafür gesorgt werden könne, daß der Handel zwischen West und Ost nicht an Berlin vorbeigeht, sondern daß in Berlin ein handelspolitisches Zentrum für den Ost-West-Handel geschaffen wird. So könnten z. B. namhafte deutsche Firmen mit behördlicher Förderung Handelskontore eröffnen, um Interessenten aus den Ostblockstaaten Gelegenheit zum Abschluß von Ex-und Importgeschäften zu geben. Ferner könnte den osteuropäischen Staaten angeboten werden, in Berlin Zollausschlußlager zu errichten, um an Ort und Stelle auch das Warenangebot des Ostens zur Schau zu stellen. Ferner könnte durch Einrichtung von Informationsständen in Berlin der Interzonenhandel von beiden Seiten her gefördert werden. Ein besonderes Kapitel ist die Erstattung von Wegebenutzungsgebühren, welche die kommunistischen Behörden im Berlinverkehr erheben. Es ist nicht einzusehen, warum in der Rückerstattung Unterschiede gemacht werden zwischen Berliner Transportunternehmungen und solchen aus der Bundesrepublik. Die Bundesregierung sollte noch einmal ernsthaft prüfen, ob nicht auch hier mit gleichem Maß gemessen werden sollte. Schließlich ist die Berliner Wirtschaft der leidtragende Teil, weil nicht erstattete Kosten ihren Niederschlag in den Preisen finden müssen. Auch auf dem Wasserweg ist die Erstattung von Lasten durch zusätzliche Gebühren der SBZ bei Benutzung des Wasserweges ein Anliegen des Berlin-Verkehrs. 4. Lassen Sie mich, meine sehr geehrten Damen und Herren, noch auf einen weiteren Punkt hinweisen, der durch einen Antrag meiner Partei das Hohe Haus in nächster Zeit beschäftigen wird. Es handelt sich um die Gewährung des Stimmrechtes an die Berliner Abgeordneten im deutschen Bundestag. Die Berliner betrachten es als eine unzeitgemäß gewordene Diskriminierung, daß ihre parlamentarischen Vertreter im Bundestag noch immer einem Sonderstatus unterliegen. Mit Freude stellen wir fest, daß es wohl niemanden in diesem Hause gibt, der nicht der gleichen Meinung mit uns wäre. Um so mehr aber scheint es uns an der Zeit zu sein, mit den befreundeten Mächten Verhandlungen darüber zu führen, daß jenes unzeitgemäß gewordene Relikt endlich beseitigt wird. Niemand wird bestreiten wollen, daß die Berliner Abgeordneten ihre Aufgaben in Bonn mit derselben Intensität wahrnehmen wie alle anderen Kollegen. Niemand kann auch die Augen davor verschließen, daß auf vielen Gebieten der Innen- und Außenpolitik gerade die Berliner Bevölkerung in erster Linie von den Auswirkungen der Entscheidungen im deutschen Bundestag betroffen wird. Sie sind in erster Linie die Leidtragenden, wenn uns international der Wind ins Gesicht weht. Unter diesen Umständen sollte (die Bundesregierung alles daransetzen, daß im Einvernehmen mit den Berliner Schutzmächten dieser undemokratische, überholte und diskriminierende Sonderstatus der Berliner Abgeordneten endlich beseitigt wird. Die Frage der unmittelbaren Wähl- Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1966 3889 barkeit der Berliner Abgeordneten wird früher oder später auch Gegenstand gründlicher Überlegungen zu sein haben. Wir Freien Demokraten glauben, daß auch auf diesem Gebiet es keine andere Regelung für Berlin geben darf als für jedes andere Bundesland. 5. Meine Damen und Herren, in diesem Jahre wird es in Berlin für die Bewohner der Westsektoren keine Möglichkeit geben, ihre Verwandten im Ostsektor zu besuchen. Passierscheine werden nicht ausgegeben. Der Berliner Senat und die ihn tragenden Parteien, die SPD und die FDP, rechnen es sich als besondere Leistung an, daß vom Jahre 1963 an bei hohen Festtagen Passierscheine ausgegeben werden konnten. Die entsprechenden Übereinkommen stießen allerdings ständig auf erhebliche und nachhaltige Bedenken und Widerstände seitens der Berliner Opposition. Ich werte es zwar nicht als ein Symptom, daß nach dem Ausscheiden der Freien Demokraten aus der Bundesregierung dieses Jahr die Mauer hermetisch geschlossen bleibt, muß aber dennoch mit Bedauern feststellen, daß weder von seiten der Minderheitenregierung irgendetwas unternommen worden ist, um den Berlinern den Besuch ihrer Verwandten im Ostsektor zu ermöglichen, noch daß die Regierungserklärung, an deren Abfassung ja auch die Sozialdemokraten ihren Anteil haben, ein einziges Wort für den die Berliner bedrängenden Umstand gefunden hat. Ich wäre erfreut gewesen, wenn wenigstens in dieser Hinsicht die vier Zeilen über Berlin um ein verständnisvolles und klärendes Wort erweitert worden wären. Ich hoffe, daß jene globale Feststellung, die Bundesregierung wolle alles tun zum Wohl der Menschen im gespaltenen Deutschland, sich auch auf die Ermöglichung von Passierscheinen erstreckt. Nachdem der Herr Bundeskanzler festgestellt hat, daß die Aufnahme von Kontakten von Behörden der Bundesrepublik mit solchen im anderen Teil Deutschlands keine Anerkennung des zweiten Teils Deutschlands bedeutet, dürfen wir erwarten, daß auch für Berlin und seine Bewohner den Worten Taten folgen werden. Berlin ist nun einmal ein Angelpunkt im deutschen Geschehen. Wenn Kollege Dr. Barzel festgestellt hat, daß der Weg zur Einigung Deutschlands freigeschaufelt werden müsse, so wird er sicher mit mir der Meinung sein, daß man dann die Schaufeln auch nicht im Schuppen engstirniger, überholter und mutloser Vorurteile und Tabus verrosten lassen darf. Herr Bundeskanzler, Sie betonen in der Regierungserklärung immer wieder, daß es notwendig sei, entschlossen die verschiedensten Fragen der deutschen Politik zu lösen. Ich sagte bereits einleitend, daß für mein Gefühl die deutschen und Berliner Fragen etwas reichlich spät, reichlich kurz und recht global behandelt worden sind. Vergessen Sie nicht, daß, wenn die Bundesregierung sich zum Sprecher aller Deutschen machen will, sie dann auch die Pflicht hat, nicht nur die engeren bundesrepublikanischen Dinge im Auge zu behalten, sondern daß alles dem Ziel unterzuordnen ist, die Spaltung unseres Landes zu beenden. Dies nicht nur im deutschen Interesse, sondern im Interesse der Einigung Europas, für welche die deutsche Spaltung ein wesentliches Hindernis ist. Vergessen Sie nicht, daß das deutsche Schicksal sich in Berlin entscheiden wird. Die politische Bedeutung Berlins in der Welt, die Haltung seiner Bewohner und die Selbstbehauptung trotz der exponierten Lage der Stadt legt uns allen die Verpflichtung auf, nicht nur mit Worten und durch Geldleistungen Berlin zu helfen. Mindestens so wichtig ist es, die lebendige und natürliche Verbindung zwischen der Bundesregierung, den Menschen in der Bundesrepublik und ihrem Lande Berlin durch persönliche enge Kontakte aufrechtzuerhalten. Schicken Sie uns keine Beauftragten, Herr Bundeskanzler, kommen Sie selbst mit Ihrem zweiten Amtssitz nach Berlin. Anlage 7 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Czaja (CDU/CSU) zu Punkt 4 der Tagesordnung. Zum Verhältnis mit unseren unmittelbaren Nachbarn in Polen und der Tschechoslowakei hat der Bundeskanzler unsere besondere Pflicht zur Friedenssicherung betont. Wer die Grausamkeiten des Krieges und der Nachkriegszeit gerade in Mittel- und Ostmitteleuropa erlebt hat, weiß um den Ernst und den Umfang dieser Pflicht im Zeitalter der Weltraumfahrt und der Atomraketen. Mit der großen Mehrheit der Deutschen bejahen auch die meisten Ostdeutschen und die Heimatvertriebenen diese Pflicht zur Sicherung des Friedens. Dauerhafter Friede ist aber nicht dort, wo nicht eine für die jeweiligen Partner tragbare und in aller menschlicher Beschränktheit gerechte Ordnung sowie ausreichende Sicherheit bestehen. Eine solche Sicherheit kann sich letzten Endes nicht nur aus allen erdenklichen technischen, taktischen, strategischen Überlegungen und Vorbereitungen ergeben, sondern sie muß auch erwachsen aus einem glaubhaften und gerechten Ausgleich in strittigen Fragen. Zwischen uns und unseren Nachbarn im Osten gab es oft furchtbare Spannungen, aber wir vollbrachten auch große gemeinsame Leistungen auf allen Gebieten. Wir dienen nicht dem Frieden, wenn wir von unseren Nachbarn, aber auch von uns, die völlige Kapitulation vor lebenswichtigen, berechtigten und gegenüber dem Gemeinwohl der Völker vertretbaren Interessen sowie vor dem bisherigen geschichtlichen Weg fordern. Eine solche Kapitulation könnte weder als glaubwürdig angesehen werden noch als dauerhaft. Sie beseitigt nicht Angst und Mißtrauen voreinander, sondern vertieft diese. Sie führt zu einem neuen übertriebenen und gefährlichen Nationalismus, sie gefährdet damit unser Volk, die Nachbarn und den Frieden. Wir wollen und werden berechtigte Interessen der Nachbarn nicht als Preis für eigene oder andere Interessen anbieten und benützen, wie es uns in der Vergangenheit manchmal vorgeworfen wurde. Aber eben- 3890 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1966 sowenig können wir eigene lebenswichtige Interessen als Preis anbieten. Dauerhafte Lösungen werden auch nicht durch eine kurzlebige Flucht in rasche, in den Folgen wenig überlegte Formalitäten erreicht. Im deutschpolnischen Verhältnis beispielsweise gab es eine verhängnisvolle Epoche von Scheinlösungen auf der Basis scheinbar friedlicher Formalitäten in jener verhängnisvollen Ära der Außenpolitik, die von Ribbentrop und Beck auf polnischer Seite bestimmt wurde. Hinter dem scheinbar friedlichen diplomatischen Ausgleich aber türmten sich die ungelösten Probleme, bis der Vulkan losbrach. Das darf und soll sich nicht wiederholen. Weil ich die Antwort für richtig halte und mich damit identifiziere, berufe ich mich ausdrücklich auf die Antwort des Abgeordneten und stellvertretenden Vorsitzenden der SPD, den jetzigen Minister Wehner, die er in der uns allen übersandten Schrift des Rowohlt-Verlages unter dem Titel „Hat die SPD kapituliert?" Herrn Gauß zur Oder-Neiße-Frage gegeben hat: „Leichtfertig ist es, sich selbst dem Gefühl hinzugeben, durch eine Vorwegnahme der dem Friedensvertrag vorbehaltenen Entscheidung etwas an der tatsächlichen Lage des gespaltenen Deutschland ändern zu können ... Mit der Illusion — und das nenne ich eine Illusion —, durch Vorwegnahme einer friedensvertraglichen Regelung der Grenzfrage einen Schritt weiterzukommen, ist es auch nicht zu schaffen." So „wäre jede gerechte dauerhafte Friedensregelung für Europa aufgegeben." Eine Friedensregelung wäre vertan, in der nicht auch unser Volk eine Rolle spielen könnte neben anderen, nicht unterhalb anderer. Deshalb beharrt die Regierungserklärung auch darauf, daß die Fragen der Grenzen in einem Friedensvertrag von einer gesamtdeutschen Regierung frei und gerecht auszuhandeln seien. Es ist dies nicht ein Vertagen einer Entscheidung, sondern das Offenhalten der Tür für Verhandlungen zum friedlich gerechten Ausgleich. Das Wort der Regierungserklärung gilt und sollte weder durch Erklärungen noch durch irgendwelche Akte verwässert oder gefährdet werden. Herr Kollege Schmidt (Hamburg) hat dabei auf die Schwierigkeiten in dieser Frage in Europa hingewiesen. Ich möchte dazu die Worte von Herrn Dr. Barzel von gestern zur Selbstbestimmung hinzufügen: Die Welt soll wissen, daß wir zäh und geduldig — und notfalls auch unbequem - an diesem Ziel festhalten, denn es geht um die Wiederherstellung des Rechts. Unser Fraktionsvorsitzender hat jenseits aller Grenzfragen unter Hinweis auf die europäische Konvention der Menschenrechte und Grundfreiheiten gefordert, daß auch für alle unsere Menschen und Gruppen anerkannt werden muß das Recht, das in unserem Jahrhundert auch von uns, aber dann gegenüber uns ungezählte Male verletzt worden ist, das Recht nämlich auf ungestörten Verbleib im rechtmäßig innegehabten Wohnsitz und auf freie Entfaltung daselbst. Die 16 europäischen Nationen, die das vierte Protokoll zur europäischen Menschenrechtskonvention unterzeichnet haben, darunter Großbritannien, Frankreich, Italien, Belgien, die Niederlande, Schweden, Norwegen und Dänemark, bezeichnen dieses Recht und das Verbot kollektiver Ausweisung als bereits seit langem geltende Norm des Völkerrechts. Es geht hierbei nicht um eine Rechtsideologie, nicht um eine Erstarrung eines formalen Rechts, es geht um die freie Existenz der Menschen in einer freien Gemeinschaft. Wenn diese verletzte Rechts- und Seinsgrundlage der menschlichen Gesellschaft nicht in zumutbarer und möglicher Weise wiedergutgemacht wird, können keine dauerhaften Grundlagen des Friedens gelegt werden, im Gegenteil, es würde gefährlichstes Faustrecht sanktioniert. Der Grad der Entspannung zwischen Ost und West muß auch an den Fortschritten der Anwendung der Menschenrechte gegenüber allen Völkern, auch gegenüber dem deutschen Volk, gemessen werden. Und gerade jetzt muß die westliche Welt vom Ostblock fordern: gebt mehr Menschenrechte für alle, auch mehr Menschenrechte für die Deutschen. „Wer Frieden will, muß Menschenrechte wollen", sagte Dr. Barzel. Ein neuer Anfang des Zusammenwirkens zwischen den Völkern erfordert eine zumutbare Wiedergutmachung für bestehendes Unrecht, wo immer es sei, und soweit als möglich die persönliche Sühne für persönliche Schuld im geordneten Rechtsgang auf beiden Seiten. Gibt es ansonsten Ansatzpunkte eines Ausgleichs in einer überschaubaren Zukunft? Unser Sprecher hat auf den noch nicht real begonnenen, aber vielerorts angesprochenen Weg zum ganzen, ich betone zum ganzen Europa, hingewiesen und hinzugefügt, daß der, der dieses ganze Europa friedlich meine, ein gesichertes und wirksames Volksgruppenrecht herbeiführen möge. Er hat sich dabei ausdrücklich auf ein Interview des jetzigen Ministers Herbert Wehner vom 28. August 1966 berufen, in dem er zu den europäischen Strukturprinzipien bei Verwirklichung der Menschenrechte auf freien Wohnsitz für die Menschen und Gruppen in einem zukünftigen, hoffentlich integrierten Europa Stellung nahm. Wehner hat damals an alle Parteien und europäischen Gremien appelliert, die Bedeutung eines solchen Volksgruppenrechtes für die europäische Zukunft zu prüfen. Wie er sagte, bleibt das verletzte Wohnsitz- und Heimatrecht substanzlos, wenn man nicht dieses Volksgruppenrecht anstrebt, und er fügte hinzu: die Utopie von heute würde die Wirklichkeit von morgen sein. Er hat damit zusammen mit vielen Fachkundigen die Frage aufgeworfen, ob das Strukturprinzip des nationalen Einheitsstaates überhaupt auf Dauer für alle Gebiete Mittelosteuropas sich bewährt habe und ob nicht die Fortsetzung der geschichtlichen Kontinuität, der Zusammenarbeit zu gemeinsamer Leistung am Rande nationaler Kerngebiete nach den Veränderungen des 2. Weltkrieges auch in zeitgemäßen neuen Strukturformen auf europäischer Basis denkbar sei. So wäre zu prüfen, ob in Gebieten — und es gibt viele solcher in Mittel- Deutscher Bundestag - 5. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1966 3891 europa —, wo Menschen und Volkstümer mit- und ineinander verzahnt wohnen und leben, die einzelnen Volksgruppen nicht nur auf dem Papier, sondern wirtschafts-, steuer-, arbeits- und sozialrechtlich untermauert, eine bestimmte Selbstverwaltungshoheit besitzen und gleichzeitig die den ganzen gemeinsamen Raum angehenden Fragen in föderativer Ordnung regeln können. In einer Zeit, wo der überholte Souveränitätsbegriff des 16. Jahrhunderts ins Wanken gerät und die schrittweise Integration die Starrheit der Grenzen abbaut, wäre ein solches Prinzip mindestens dann erwägenswert, wenn es nicht zu einer Zerstückelung größerer regionaler Ordnungen führt. Die furchtbaren Lücken, die der 2. Weltkrieg und die Nachkriegszeit in die Wirtschafts-, Gesellschafts- und Siedlungsstruktur in Ost-Mitteleuropa gerissen hat, sind noch nicht geschlossen. Wahrscheinlich können sie nur durch eine große gesamteuropäische Gemeinschaftsleistung, durch große gemeinsame, von Westeuropa unterstützte Investitionsaufgaben gelöst werden. Die Regierungserklärung hat bewußt auch dabei auf die Notwendigkeit der französischdeutschen Zusammenarbeit hingewiesen. Die Gemeinschaftsaufgabe ist nicht zu vollbringen ohne die personale Mitwirkung europäischer Techniker, Ingenieure, Facharbeiter, die als Partner in harter Arbeit, aber auch in freier Existenz an diesem Aufbau mitwirken; die Freiheit der Existenz ist die natürliche Voraussetzung dafür. Da wir die Dringlichkeit dieser Aufgabe spüren, müssen wir unsere Verbündeten mit ihr unter Hinweis auf die notwendige Beteiligung der Deutschen und die Sicherung der Freiheit der Tätigkeit konfrontieren. Jeder, der wirtschaftliche, persönliche und kulturelle Kontakte sucht, muß um die Verantwortung wissen, die auf ihm lastet, damit er ein wirklicher Vertreter der freiheitlichen Ordnung sei, die dem freien Fortschritt ebenso wie der freiheitlichen Neugestaltung europäischer Tradition zugewandt ist und die ganze Tiefe und Verantwortung für die Freiheit im Handeln zeigt. Doch scheinen die in Frage kommenden Regierungen des Ostblocks auf solche Erwägungen kalt, ja begleitet von einem eisigen Wind zu reagieren. Der Regierende Bürgermeister von Berlin und jetzige Außenminister hat im Frühjahr dieses Jahres betont, daß wir vor allem auch die Verbindung mit den Völkern und Menschen in Ost-Mitteleuropa suchen und diesen glaubwürdig erscheinen müssen. Gerade deshalb habe ich dies hier gesagt. Die Völker sollen und müssen es wissen, daß die überwiegende Mehrheit des deutschen Volkes einen Ausgleich von Dauer, einen Ausgleich in Frieden, aber auch einen Ausgleich in Gerechtigkeit, ohne den ein Frieden nicht denkbar ist, anstrebt, einen Ausgleich zu gemeinsamem Aufbau in lebendig befruchtendem Austausch. Die freie Welt hat (die Pflicht, hier über den eisigen Alltag hinaus die Zukunft zu durchdenken und vorzubereiten für einen Zeitpunkt, wo sich vielleicht auch manche Großmächte angesichts mannigfacher Notwendigkeiten und Belastungen mit einer echten europäischen Ordnung in Mittel- und Osteuropa abfinden müssen oder sie zu unterstützen bereit sind. Auch wir alle brauchen mannigfaltige Überlegungen, wenn einmal eine gesamtdeutsche Regierung in das geistige und politische Ringen um die Grenzen eines wiedervereinigten Deutschland in einer friedensvertraglichen Regelung und in das Ringen um eine noch mögliche Beseitigung bestehenden Unrechts im geeigneten Zeitpunkt eintreten will. All dies bedarf der Mitarbeit und des Ernstnehmens der Mitverantwortung auch bei den Betroffenen selbst. Es handelt sich um eine Frage an das ganze deutsche Volk, aus dessen Entscheidungen sich die Ostdeutschen und die Heimatvertriebenen nicht verdrängt fühlen dürfen. Sie vermögen vielmehr in ernster Mitverantwortung und Sachkunde vieles dazu beizutragen, und dieser Beitrag ist bitter nötig. Dieser Beitrag wird desto wertvoller sein, je tiefer auch sie die Verantwortung für einen dauerhaften Ausgleich zusammen mit allen anderen Deutschen tragen. Anlage 8 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Ertl (FDP) zu Punkt 4 der Tagesordnung. Im Verlauf der zweitägigen Debatte wurde wiederholt auf die Schwierigkeiten bei der Lösung des Haushaltsproblems hingewiesen. Ursachen wurden genannt, andere Ursachen vielleicht bewußt verschwiegen. Ein Teil unserer finanziellen Verpflichtungen resultiert aus den Zusagen zur Finanzierung des europäischen Agrarmarktes. Die freien Demokraten können mit ruhigem Gewissen darauf hinweisen, daß sie auch in der Zeit, wo sie an der Regierung mitbeteiligt waren, immer auf die schwerwiegenden Folgen hingewiesen und auch vor einseitigen Vorleistungen gewarnt haben. Bereits im Jahre 1964, vor der Zusage zur Senkung des deutschen Getreidepreises, haben die Freien Demokraten darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung nicht in der Lage sein wird, einerseits mit Milliardenbeträgen zur Finanzierung des EWG-Agrarmarktes beizutragen und andererseits dem deutschen Bauern die sicherlich berechtigten Ausgleichszahlungen zu gewähren. Die politischen Hoffnungen, die man an die deutschen Vorleistungen knüpfte, insbesondere von den beiden jetzt die Regierung tragenden Parteien CDU/CSU und SPD, haben sich bis heute nicht annähernd erfüllt. Der Bundesminister der Finanzen wird also gut daran tun, im Interesse des deutschen Steuerzahlers und eines geordneten Haushalts sich vorsichtig und sparsam auch in punkto finanzielle Verpflichtungen gegenüber der EWG zu verhalten. Ob er das wirklich vorhat, wird sich bald herausstellen. Noch am 17. September 1966 erklärte der jetzige Bundesminister Franz-Josef Strauß anläßlich der Eröffnung der IKOFA in München: 3892 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1966 Wenn die Bundesrepublik heute etwa die gleiche Summe wie Frankreich in den landwirtschaftlichen Ausgleichsfonds zahlt, aber nur die Hälfte des von ihr eingezahlten Geldes zurückerhalten wird, so ist das auch ein Beweis dafür, daß einmal die Startposition der deutschen Landwirtschaft im Gemeinsamen Markt gar nicht so schlecht ist, daß andererseits der deutschen Seite erhebliche Opfer für das Zustandekommen des Gemeinsamen Agrarmarktes abverlangt werden, die durch politische Gegenleistungen honoriert werden sollen... Übrigens war es den sechs Partnern bei der Gründung der EWG klar, daß das Schwergewicht des deutschen Interesses auf dem Industriemarkt und das Schwergewicht des französischen Interesses auf .dem Agrarmarkt liegen würde. Diese Ausführungen bedürfen einer Erklärung. Sind sie vielleicht so zu verstehen, daß die Bundesrepublik im Rahmen der EWG nur schwergewichtig ein Interesse am Industriemarkt hat und dafür eben weitgehend Konzessionen auf dem Agrarmarkt machen will? Sind das vielleicht die politischen Opfer, die man im Interesse Europas zu bringen bereit ist? Die Freien Demokraten haben von jeher eine einseitige Vorleistung auch im Rahmen des europäischen Agrarmarktes abgelehnt und werden das in Zukunft als Opposition erst recht mit aller Deutlichkeit tun. Die Regierungserklärung wollte bewußt Neues bringen. In diesem Zusammenhang ist von der Presse mit Recht auf die Erklärung zum Münchener Abkommen hingewiesen worden. Ich will nicht auf die rechtliche Problematik eingehen, möchte aber doch darauf hinweisen, daß die Bundesregierung nur einmal auf das Selbstbestimmungsrecht hingewiesen und mit keinem Wort zu erkennen gegeben hat, inwieweit sie auch in aller Deutlichkeit das Heimatrecht als Grundsatz vertritt. Man glaubt wohl, auch hier durch mündliche Vorausleistungen eine größere Verständnisbereitschaft zu erzielen. Die Aussöhnung zwischen dem deutschen Volk und den osteuropäischen Völkern ist sicherlich ein vordringliches Problem. Verständigung kann aber wohl nur erzielt werden auf der Basis des Rechts und der Selbstachtung. Den sudetendeutschen Vertriebenen sind sowohl seitens der SPD als auch seitens der CDU/CSU bezüglich des Rechtes auf Heimat klare Zusagen gemacht worden; so durch die SPD in der Erklärung vom 22. Januar 1961 und durch die CSU durch die Erklärung vom 3. Juni 1961. Auch die Freien Demokraten haben am 19. Oktober 1964 in einem Gespräch mit der Vorstandsschaft der Sudetendeutschen Landsmannschaft festgestellt, daß eine Anerkennung der Vertreibung der Sudetendeutschen nicht vereinbar ist mit dem unveräußerlichen Anspruch des Menschen auf seine Heimat. Der Landesvorsitzende der CSU, Franz-Josef Strauß, erklärte in einem Interview, das er der Sudetendeutschen Zeitung am 21. Oktober gab, folgendes: Eine Annullierung des Münchener Abkommens von Anfang an würde bedeuten, ein völkerrechtlich absolut gültiges Dokument als juristisch nicht existent zu bezeichnen. Eine solche Betrachtungsweise würde niemals Zustimmung der CSU finden. Das Münchener Abkommen ist nun einmal ein völkerrechtlich wirksamer Vertrag, der auch dann rechtsgültig ist, wenn er von einem Vertragspartner — nämlich von Hitler, als er im Frühjahr 1939 die Rest-Tschechoslowakei durch deutsche Truppen besetzen ließ —willkürlich und in eindeutiger Absicht gebrochen wurde. Im Verlauf des Interviews wies Franz-Josef Strauß darauf hin, daß es sich nicht um eine Erklärung angesichts der bevorstehendenn Landtagswahlen zum Zwecke des Stimmenfangs handelt. Wie ist es nun, nachdem Franz-Josef Strauß der Bundesregierung angehört, die erklärt, das Münchener Abkommen sei nicht mehr gültig? Hat er nicht doch bewußt vor den Wahlen den starken, national zuverlässigen Mann gespielt? Oder ist er bereit, der großen Koalition zuliebe Grundsätze aufzugeben? Denn der Fraktionsvorsitzende der SPD-Fraktion, Schmidt, sprach schon im April 1966 von dem verdammten Münchener Abkommen. So war es wenigstens in einigen Zeitungen zu lesen. Oder zeichnen sich bereits jetzt in der Koalition neue Gegensätze auf? Das müßte man vor allem daraus schließen, daß sich der Kollege Bauer von der CSU im Gegensatz zur Regierungserklärung bemühte, sich äußerst positiv für die Rechte der Sudetendeutschen einzusetzen. Die Vertreibung war und bleibt für alle Zeiten ein großes Unrecht. Sie war ein Akt der Vergeltung. Sicherlich ging das Unrecht vom Überfall Hitlers aus. Aber wer Unrecht mit Unrecht vergilt, hat nicht dem Recht als solchem gedient. Unsere Politik kann nur glaubwürdig sein, wenn sie die Grundsätze des Rechtes ohne Einschränkung nach innen wie nach außen vertritt. So gesehen hat auch das deutsche Volk das Recht auf Selbstbestimmung, haben die Vertriebenen das Recht auf Heimat. Wer eine dauernde Friedensordnung in Europa schaffen will, kann das nicht tun durch permanente Rechtsverzichte. Unser Ziel muß sein, ein Europa zu schaffen, in dem es eines Tages keine Grenzen mehr gibt, in dem jeder Bürger frei in seiner Heimat leben kann, in dem vor allem aber auch völkische Minderheiten ohne Furcht vor Willkür und in einer geordneten rechtsstaatlichen Demokratie leben können. Eine Charta der europäischen Minderheitenrechte könnte eine Grundlage sein für die Aussöhnung mit den Völkern des Ostens und eine friedliche Regelung der Probleme ermöglichen, die mit der Vertreibung von Millionen von Deutschen aus ihrer jahrhundertealten Heimat zusammenhängen. Anlage 9 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Jahn (Braunschweig) (CDU/ CSU) zu Punkt 4 der Tagesordnung. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 zum Ausdruck Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1966 3893 gebracht, daß die Bundesrepublik die jahrhundertealte Aufgabe Deutschlands, Brücke zwischen West-und Osteuropa zu sein, auch in unserer Zeit gern erfüllen möchte. Es gibt wohl niemanden in diesem Hohen Hause, der dieser These nicht zustimmt. Wer aus den Gebieten östlich der Oder/ Neiße kommt, die Völker des Ostraums, ihre Geschichte, ihre Tradition, ihre Mentalität kennt, der weiß, daß in diesem Raum bis zum Ausbruch des Nationalsozialismus — der nicht nur eine deutsche, der eine europäische Krankheit des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts war — die Völker friedlich zusammenlebten — das gilt vor allem für das deutsche und für das polnische Volk —, und der kann nur jede Aktivität begrüßen, die in Richtung der Überwindung der Gegensätze zielt. Aber wir haben zu unterscheiden zwischen den Menschen in diesem Raum und den Regimen, unter denen sie leben müssen. Die von uns allen begrüßte wirtschaftliche, kulturelle und menschliche Zusammenarbeit mit den Menschen in diesem Raum kann, wie wir gesehen haben, die Herrschaft diktatorischer Minoritäten, die durch die Sowjetunion abgestütz werden, nur wenig verändern. Wir leugnen nicht, daß der europäische Kommunismus unter Führung Moskaus in Bewegung geraten ist und daß der Kommunismus zur Modifizierung seiner Politik gezwungen worden ist, aber nicht aus eigener Einsicht, sondern als Ergebnis der großen machtpolitischen Veränderungen in der Welt und des Tempos der naturwissenschaftlich technischen Entwicklung. Es wäre ein verhängnisvoller Irrtum, zu glauben, der Zeitpunkt sei bereits gekommen, ohne Bedenken mit diesen kommunistischen Staaten zu kooperieren. Manche Äußerungen der letzten Zeit könnten zu dieser Auffassung verleiten. Glückliches Frankreich! Es hat bereits jetzt die Weichen gestellt, wie es nur ein Land riskieren kann, das die Probleme, unter denen wir leiden, nicht kennt. Entspannung, Verständigung, Versöhnung mit den osteuropäischen Völkern — ja, aber nur auf der Grundlage der Menschenrechte und des Selbstbestimmungsrechts. Wenn wir an dem obersten Ziel aller deutschen Politik, die Einheit des ganzen Volkes in Freiheit wiederherzustellen, festhalten, dann muß die internationale Politik die Grenzen der Politik der Bundesrepublik begreifen, die ihr aus Gründen der Selbsterhaltung, des Selbstbestimmungsrechts und des Alleinvertretungsrechts, für ganz Deutschland zu sprechen, gesetzt sind. Der Herr Bundeskanzler hat ausgeführt: Aber die Grenzen eines wiedervereinigten Deutschlands können nur in einer frei vereinbarten Regelung mit einer gesamtdeutschen Regierung festgelegt werden, einer Regelung, die die Voraussetzungen für ein von beiden Völkern gebilligtes, dauerhaftes und friedliches Verhältnis guter Nachbarschaft schaffen soll. Wir begrüßen diese Erklärung der neuen Bundesregierung, wenn sie als rechtswahrende Erklärung für die Einheit ganz Deutschlands in seinen rechtmäßigen Grenzen verstanden wird. Die Erfüllung dieser Aufgabe ist mit dem Streben nach einem dauerhaften Frieden untrennbar verbunden. Aktivierung unserer Ostpolitik kann nur Differenzierung der Schritte bedeuten. Sie ist das Gebot der Stunde, aber wir müssen uns darüber im klaren sein, daß wir bei allen Maßnahmen sorgfältig zu prüfen haben, wo unsere Lebensrechte auf dem Spiel stehen! Meine Damen und Herren! Seien wir uns über eines im klaren: Wir werden auch um weitere geistige Auseinandersetzungen mit dieser Weltanschauung nicht herumkommen. Das hat nichts mit Kaltem Krieg zu tun. Wir alle lehnen einen billigen Anti-Kommunismus ab. Aber wenn wir schon neue Akzente setzen, dann gehört auch die Einsicht dazu, daß wir im Hinblick auf die friedliche Regelung unseres Verhältnisses mit dem Osten vor der historischen Aufgabe stehen, die geschichtliche, kulturelle und geographische Einheit Europas wiederherzustellen, die ohne eine Einheit Deutschlands undenkbar ist. Und dazu gehört auch die Notwendigkeit, in einem langen Prozeß den Kommunismus davon zu überzeugen, daß er es zu sein hat, der seine Politik modifiziert. Kennedy sagte, die deutsche Teilung ist ein Anachronismus, und Kossygin hat erklärt, die deutsche Teilung sei endgültig. Im Kalkül des Herrn Kossygin ist eine entscheidende Komponente nicht enthalten: Der Wille des deutschen Volkes, den wir als frei gewählte Abgeordnete dieses Landes repräsentieren. Von unserer Politik und der daraus hervorgehenden dynamischen Konzeption wird die Frage beantwortet werden, ob ein Volk auf ewig geteilt bleiben kann. Anlage 10 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Jungmann (CDU/CSU) zu Punkt 4 der Tagesordnung. Wir haben mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß das Gesundheitsministerium erhalten geblieben ist. Wir sehen darin nicht nur eine Frage der Koalitionsarithmetik. Wir sehen darin den Willen der Bundesregierung, der Gesundheitspolitik auch in Zunkunft den Platz einzuräumen, der ihr in jedem modernen Staatswesen zukommt. In einer Zeit, in der die materiellen Werte zwar hochgeschätzt, zugleich aber auch höchst fragwürdig geworden sind, gehört die Gesundheit für jedermann zu dem wichtigsten, was es überhaupt gibt. Es ist draußen und auch in diesem Hause schon viel, vielleicht schon viel zuviel über Zuständigkeiten gesprochen worden. Es ist richtig, daß die gesundheitspolitischen Zuständigkeiten in einem Mißverhältnis zu der gesundheitspolitischen Verantwortung des Bundes stehen. Gesundheitspolitik ist weder allein Bundessache noch allein Länder- sache noch allein Sache der Gemeinden. Gesundheitspolitik ist mindestens ebenso wie die Bildungs- und Wissenschaftspolitik eine gemeinsame, ja ich möchte deses Wort an dieser Stelle aussprechen: 3894 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1966 eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und Gemeinden. Kein Mensch hat heute mehr Verständnis für einen Streit über gesundheitspolitische Zuständigkeiten. Es gibt keinen bayerischen Krebs, keine baden-württembergische Tuberkulose, kein nordrhein-westfälisches Rheuma und keine schleswig-holsteinische Grippe. Ich teile deshalb die Auffassung derjenigen, die es nicht verstehen können, daß die gemeinsame Verantwortung von Bund, Ländern und Gemeinden für ein modernes Krankenhauswesen im TroegerGutachten außer acht gelassen worden ist, während die gemeinsame Verantwortung, der Charakter einer Gemeinschaftsaufgabe also, sowohl von den Weisen des „Beirats für Neuordnung der sozialen Leistungen" im Jahre 1957, wie auch von der nicht weniger weisen Sozialenquete-Kommission im Jahre 1966 klar und deutlich erkannt und ausgesprochen worden ist. Alle bisherigen Versuche, unser Krankenhauswesen mit kleinen oder halben Mitteln zu sanieren, sind gescheitert. Wir brauchen ein sinnvoll geordnetes Krankenhauswesen, dessen Kernstück eine gesicherte Krankenhausfinanzierung sein muß. Dabei wird besonders darauf geachtet werden müssen, daß die freigemeinnützigen Krankenhausträger gegenüber den öffentlichen Krankenhausträgern nicht in eine hoffnungslose Lage geraten. Auch ich bin durchaus nicht der Meinung, daß sich dieses und andere gesundheitspolitische Probleme mit dem einfachen Federstrich einer Grundgesetzänderung lösen ließen. Ich glaube aber trotz aller Enttäuschungen immer noch, daß das alles letzten Endes doch nur eine Frage der Einsicht und des guten Willens ist, eine Frage der von allen Seiten als notwendig anerkannten Zusammenarbeit, eine Frage des vernünftigen Miteinanders statt des notorischen und prinzipiellen und durchaus unvernünftigen Nebeneinanders — wenn nicht sogar Gegeneinanders. Was an sinnvollem Zusammenwirken in der Bildungs- und Wissenschaftspolitik möglich geworden ist, das muß auch in der Gesundheitspolitik möglich sein oder doch möglich werden. Gesundheitspolitik von heute ist nicht mehr Medizinalpolitik und schon gar nicht Medizinalpolizei. Gesundheitspolitik ist auch nicht mehr Fürsorge alten Stils, sondern Vorsorge, Schutz und Förderung der Gesundheit der Staatsbürger im weitesten Sinne des Wortes, Schutz und Bekämpfung nicht nur vor ansteckenden Krankheiten, sondern Schutz und Bekämpfung von Krankheiten aller Art, von Unfällen und all der zahllosen krankmachenden Einflüsse und Faktoren unserer industrialisierten Umwelt, ganz besonders am Arbeitsplatz. Das bedeutet Gesundheitserziehung und gesundheitliche Aufklärung, gesunde Lebensmittel, gesunde Wohnungen in gesunden Städten, Sport und Spiel und vieles andere mehr. Es wäre allerdings ein Irrtum, wenn man glauben wollte, daß man das nur zu organisieren brauchte, daß man dazu entweder neue Organisationen schaffen oder alte ausbauen müßte. Jeder gesundheitspolitische Perfektionismus ist vom Übel. Er führt zu Zwangsvorstellungen in der Planung und in der Beurteilung der Erfolge. Gesundheitlicher Perfektionismus widerspricht unseren Vorstellungen von der Freiheit und Würde des Menschen, und seine Ergebnisse müssen am Ende immer hinter dem zurückbleiben, was in freiwilligem Zusammenwirken aller Beteiligten erreicht werden kann. Man kann Gesundheit nicht verteilen und es gibt auch keinen Anspruch auf Gesundheit, den man mit gesetzgeberischen Mitteln oder mit den anderen Mitteln des Staates befriedigen könnte — ebenso wie man niemanden zu einem gesunden Leben zwingen kann. Es ist übrigens auch nicht wahr, daß der Gesundheitszustand unseres Volkes, unserer Jugend, unserer Frauen und Mütter, unserer Arbeitnehmer oder unserer alten Leute schlechter wäre als in anderen Ländern. Das schließt aber selbstverständlich nicht aus, daß wir sehr vieles sehr viel besser machen könnten. Dazu gehört nicht zuletzt eine Modernisierung der Berufsgesetze für die Heilberufe, besonders ihrer Ausbildungsvorschriften. Was hier in den vergangenen Jahren mit Erfolg begonnen worden ist, muß nun schnell und energisch fortgesetzt werden. Zu den großen Gesundheitsgesetzen der letzten Jahre — ich nenne nur das Lebensmittelrecht und das Arzneimittelrecht — fehlen noch sehr viele Ausführungsverordnungen. Wir müssen erwarten, daß sie bald herausgebracht werden. Ich kann hier nur das Wichtigste andeuten. Ich fasse zusammen. Wir erwarten eine aktive und lebendige Gesundheitspolitik. Wir werden aufmerksam beobachten und gern auch das Unsere dazu beitragen, daß unsere Hoffnungen in Erfüllung gehen. Anlage 11 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Logemann (FDP) zu Punkt 4 der Tagesordnung Die Fraktion der Freien Demokraten hält in der Debatte zur Regierungserklärung einen agrarpolitischen Beitrag für notwendig und trotz der schon zwei Tage dauernden Debatte für durchaus berechtigt. Die deutsche Landwirtschaft hat ein Anrecht darauf, zu erfahren, welchen agrarpolitischen Kurs der neue Bundeskanzler und die Große Koalition zu steuern beabsichtigen. Der Bundeskanzler ist nach Auffassung der FDP mit der völligen Ausklammerung aller agrarpolitischen Probleme in seiner Regierungserklärung schlecht beraten gewesen. Wie der Bergbau, zu dessen Problemen in der Regierungserklärung Stellung genommen wird, befindet sich auch die deutsche Landwirtschaft durch die EWG- Entwicklung bedingt in einer besonderen Lage. Sicherlich war es für den Herrn Bundeskanzler leichter, in der Regierungserklärung die Form einer Gesamtschau seiner politischen Vorstellungen zu wählen. Die FDP hat den Eindruck, daß es geschah, um im einzelnen, z. B. bei dem schwierigen Problem Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1966 3895 wie dem der Agrarpolitik, nicht konkret werden zu müssen. Uns ist nur zu gut bekannt, welche Spannungen in der Großen Koalition noch auszugleichen sind und welche Gegensätze noch neutralisiert werden müssen. Die FDP-Fraktion hat als Opposition ein besonderes Recht zu fragen: Welche agrarpolitischen Vorstellungen hat die Bundesregierung? Vorweg sei vermerkt: Was wir erwarten von dieser neuen Regierung, ist eine Agrarpolitik der Wahrheit und Klarheit. Ich unterstütze dabei den Kollegen Dr. Schmidt (Gellersen) von der SPD, der in der Deutschen Bauernzeitung verlangt, die Bauern hätten Anspruch darauf, daß man ihnen reinen Wein einschenke. Nach den Enttäuschungen bei den Zusagen und Versprechungen des ehemaligen Bundeskanzlers Erhard kann die Landwirtschaft nur dann wieder Vertrauen zu einem neuen Kanzler gewinnen, wenn er klar sagt, was er agrarpolitisch denkt und beabsichtigt. Die deutschen Landwirte werden dabei Verständnis für harte Wahrheiten, aber nicht für Zusagen haben, die nicht gehalten werden. Zur Regierungserklärung bleibt zu wiederholen, daß es mir trotz gründlichen Studiums nicht gelang, agrarpolitische Absichten zu erkennen. Auch mein weiteres Bemühen, Vorstellungen zur künftigen Agrarpolitik vom alten und neuen Landwirtschaftsminister Höcherl zu erfahren, blieb ohne Erfolg. Zwar hielt Minister Höcherl vor wenigen Wochen eine lange Rede vor dem Deutschen Bauernverband. Er brachte dabei aber das Kunststück fertig, das will ich gerne anerkennen, agrarpolitisch nichts Konkretes oder Richtungweisendes zu sagen. Auch die Presse meldete in den letzten Wochen über unseren Landwirtschaftsminister „agrarpolitisch nichts Neues". Es gab lediglich Erfolgsmeldungen des Ministers, und zwar über Jagderfolge auf der Diplomatenjagd! I. Ausgangspunkt für meine agrarpolitischen Aussagen sollen einige Sätze der Regierungserklärung auf Seite 7 des Manuskripts sein, in denen es heißt: Die Förderung der Forschung in Schlüsselbereichen der technischen Entwicklung, wie der Elektronik, der Atomenergie und der Weltraumforschung ist für die Zukunft der Gesamtwirtschaft und damit für den Wohlstand unseres Volkes ertragreicher als Subventionen, die nur der Erhaltung von stagnierenden Bereichen dienen. Ich stimme dieser Aussage des Herrn Bundeskanzlers zu. Zum stagnierenden Bereich darf ich anmerken, falls dabei an die, Landwirtschaft gedacht sein sollte, daß ich diese Bezeichnung nur abnehmen kann für die Anzahl der in der Landwirtschaft tätigen Menschen. Hier ist bekanntlich seit Jahren ein erheblicher Rückgang festzustellen. Das trifft aber nicht zu für die Entwicklung der Wertschöpfung der Landwirtschaft im Rahmen der Volkswirtschaft. Hier muß festgestellt werden, daß die Produktivität je Arbeitskraft in den letzten Jahren höher liegt und mehr gestiegen ist, als im industriellen gewerblichen Bereich. Die Landwirtschaft hat den Appell Professor Erhards zu einer Stunde Mehrarbeit, das zeigen die Grünen Berichte der letzten Jahre, nicht nur erfüllt, sondern noch länger gearbeitet. Die deutschen Landwirte leisteten damit einen erheblichen Beitrag zur Stabilität der Wirtschaft. Wenn in allen Bereichen der Wirtschaft die Arbeitszeit in etwa so lang geblieben wäre wie in der Landwirtschaft, hätte die Bundesrepublik auf die Beschäftigung von ausländischen Arbeitskräften weitgehend verzichten können. Ein weiteres Stichwort für eine Anmerkung zu meinem Thema ist mir mit den angesprochenen Subventionen gegeben. Die Frage der Agrarsubventionen bedarf einer genaueren Überprüfung. In der Offentlichkeit müssen wir immer wieder feststellen, daß man es sich mit den Agrarsubventionen zu leicht macht. Es werden der Einfachheit halber sehr oft gleich die Gesamtmittel des Einzelplanes 10 oder die Grünen-Plan-Mittel als Subventionen für die Landwirtschaft bezeichnet. Ohne hier im einzelnen Zahlen zu bringen, ist es doch in Wahrheit so, daß nur ein relativ kleiner Betrag von den erwähnten Gesamtmitteln für eine echte Einkommensverbesserung der Landwirtschaft in Frage kommen. Die größeren Beträge dienen dagegen der Förderung von Maßnahmen, die der Allgemeinheit zugute kommen. In diesem Zusammenhang darf nicht übersehen werden, daß die Entwicklung in der EWG, vor allem bedingt durch die Beschleunigung der Agrarintegration und durch die Einführung gemeinsamer Getreidepreise statt 1970 schon 1967 zusätzliche finanzielle Leistungen verursachen. Das veranlaßte den früheren Bundeskanzler Erhard im Dezember 1964 zu besonderen Zusagen für die Landwirtschaft. Wer heute Klarheit über den agrarpolitischen Kurs der neuen Regierung verlangt, kommt nicht daran vorbei, Herrn Bundeskanzler Kiesinger zu fragen: Wie halten Sie es mit den Zusagen Ihres Amtsvorgängers? Ich erhoffe auf diese Frage vom Herrn Bundeskanzler eine konkrete Antwort. Ich muß an die damalige Situation erinnern. Das ist notwendig, weil heute Kritiker des Bauernpräsidenten Rehwinkel, der mit vollem Recht die Einlösung ihm gegebener Zusagen verlangt, vergessen möchten, um was es im Dezember 1964 wirklich ging. Es muß daran erinnert werden: 1. daß die Bundesregierung von den Vertretern der Landwirtschaft, die sich dem Bundeskanzler nicht mit Forderungen aufdrängten, sondern im Gegenteil von Professor Erhard ins Bundeskanzleramt gebeten wurden, eine Zustimmung zur Harmonisierung der Getreidepreise und damit Senkung der deutschen Preise statt 1970 schon zum 1. 7. 1967 verlangte. 2. Die Senkung der Getreidepreise bedeutete damals und noch heute eine Senkung der deutschen landwirtschaftlichen Erzeugerpreise um durchschnittlich 10-13 % bis zum Jahre 1970, wobei hinzugefügt werden muß, daß die Löhne im gewerblichen und industriellen Bereich um 20% im glei- 3896 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1966 chen Zeitraum steigen werden. Das wird wiederum entsprechende Kostensteigerungen für die Landwirtschaft zur Folge haben. Daraus leite ich ab, daß die Zusagen des Bundeskanzlers Erhard, die der Landwirtschaft durch die EWG-Beschlüsse entstehenden Einkommensverluste durch zusätzliche finanzielle Hilfen auszugleichen, voll berechtigt waren. In der Offentlichkeit wurde die Berechtigung solcher Zusagen auch seinerzeit nicht bestritten. Für die an den damaligen Verhandlungen Beteiligten entstand sogar der Eindruck, daß bei höheren Forderungen Rehwinkel Bundeskanzler Erhard auch noch zugestimmt habe, und zwar zugestimmt aus der Einsicht, daß der Landwirtschaft ein Ausgleich zustehe und die finanziellen Zuwendungen aus dem Etat geleistet werden können. Die damalige Zustimmung erfolgte aber auch, weil der Bundeskanzler der Meinung war, daß mit einer Bejahung gemeinsamer Getreidepreise und damit durch eine deutsche Vorleistung eine politische Gegenleistung Frankreichs zu erwarten sei. Wenn heute Bilanz gemacht wird, bleibt festzuhalten: 1. Frankreich hat diese agrarischen Vorleistungen der Bundesrepublik politisch nicht honoriert, 2. Die Finanzsituation im Bundeshaushalt erschwert die Realisierung der 1964 gegebenen Zusagen. 3. Das möchte ich mit besonderer Deutlichkeit unterstreichen: Die Lage der deutschen Landwirtschaft hat sich gegenüber 1964 unter dem Druck von Haushaltskürzungen und Kostensteigerungen nicht verbessert, sondern die Disparität dürfte im nächsten Grünen Bericht auf 30-35 % ansteigen. Zur Berechnung der Disparität, die ich eben erwähnte, möchte ich Herrn Minister Höcherl auffordern, dafür Sorge zu tragen, daß die Angaben zur Disparität im kommenden Grünen Bericht nicht wieder, wie es im letzten Jahr geschehen ist, manipuliert werden. Herr Minister, wir werden in der Opposition sehr genau mitrechnen und nicht zulassen, daß wieder mit verschiedenen Zahlen gearbeitet wird. Abschließend zu dieser Anmerkung und zum Problem Kanzler ist zu sagen, es ist zu verlangen, daß die neue Bundesregierung die aufgezeigten Realitäten anerkennt und zu gegebenen Zusagen steht. Hier will ich auch ein Wort für Herrn Präsidenten Rehwinkel einfügen. Ich fühle mich dazu verpflichtet, weil in der Öffentlichkeit die Auffassung von Interessenvertretern und ihr Erscheinen im Bundeskanzleramt oftmals mit unzutreffenden Argumenten kritisiert werden. Bei dem damaligen Besuch des Präsidenten Rehwinkel, das möchte ich noch einmal feststellen, ging es um eine Einladung des Herrn Bundeskanzlers. Ich halte es für ungerecht, wenn das heute vielfach übersehen wird. In diesem Zusammenhang noch eine weitere Zwischenbemerkung: Es war für uns als ehemaligen Koalitionspartner ,der CDU/CSU befremdend, um es milde auszudrücken, bei einer Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers feststellen zu müssen, wie stark der Beifall der CDU/CSU dann war, wenn politische Fehler und Versäumnisse früherer Regierungen angesprochen wurden. Die Freien Demokraten fühlen sich auch hier der Wahrheit verpflichtet. Wir denken nicht daran, Eigentore zu schießen nach dem Motto Was schert uns das, was gestern war! Aus der Sicht der Entwicklung der EWG möchte ich dem ehemaligen Bundeskanzler Erhard bescheinigen: Der Bundeskanzler Erhard scheiterte agrarpolitisch, und ich könnte das leicht auf andere Gebiete der Politik erweitern, weil er ernten mußte, was sein Vorgänger im Amt, Bundeskanzler Adenauer säte! II. Zu einem weiteren Satz in der Regierungserklärung kann eine Stellungnahme der Freien Demokraten kürzer sein. Auf Seite 6 des Manuskripts wird u. a. ausgeführt, daß Außenverpflichtungen und Beiträge an supranationalen Einrichtungen, allen voran die EWG, nicht in der bisherigen Weise weiter wachsen dürfen. Die FDP hat seit 1961 in der Koalition und in diesem Hohen Hause vor für den Bundeshaushalt unerträglichen finanziellen Belastungen durch EWG-Beschlüsse gewarnt. Leider wurden diese Warnungen nicht ernst genommen. Vielleicht verständlich dadurch, weil sich immer wieder zeigte, daß ein großer Partner der EWG nur dann bereit war, ,die EWG weiter zu entwickeln, wenn die Bundesrepublik zahlte. Die Freien Demokraten haben die Bemühungen um ein vereintes Europa anerkannt und unterstützt, aber nie nach der Devise: Die EWG muß kommen, koste es, was es wolle! Nun die finanzielle Bilanz, die Herr Bundeskanzler Kiesinger von seinem Vorgänger übernimmt. Nach Berechnungen von Agra-Europ betrugen die Leistungen der EWG-Länder zur Agrarfinanzierung 1964/65 und im Jahre 1965/66 zusammen 2,15 Milliarden. Von diesem Betrag erhielt Frankreich an Leistungen 2/3 zurück. Oder anders formuliert: Für jede Mark, die Frankreich bisher einzahlte, bekam es zwei Mark zurück. Für die Bundesrepublik sieht es sehr viel ungünstiger aus: Für jede Mark, die wir nach Brüssel für Marktordnungsausgaben zahlen, werden nur 20 Pf gutgeschrieben. Aus dem Bundesetat müssen bekanntlich in den nächsten Jahren jährlich netto 1-1,6 Milliarden DM nach Brüssel gezahlt werden. Eine Chance, höhere Beträge aus Brüssel zurückzubekommen, ergibt sich für uns durch eine Förderung des deutschen Agrarexports. Bei diesen Überlegungen muß beachtet werden: 1. die starke finanzielle Belastung des Bundesetats durch die Brüsseler Beschlüsse, 2. die Tatsache, daß trotzdem die deutschen landwirtschaftlichen Erzeugerpreise fallen, und 3. die Verbraucher kaum billiger versorgt werden, weil mit einer Senkung der Erzeugerpreise für Brotgetreide noch nicht die Preise für Brot und Backwaren gesenkt werden dürften. Soviel zur Bilanz. In der Agrarpolitik ist heute uninteressant das, was war. Die Landwirtschaft braucht eine Antwort auf die Frage: Was bringt uns die Zukunft? Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1966 3897 III. Die Antwort der FDP in der Koalition und der Opposition bleibt die gleiche. Ich darf dazu zusammenfassend zur EWG-Agrarpolitik und zu unseren Vorstellungen im nationalen Bereich feststellen: I. Zur EWG-Agrarpolitik: 1. Die Bundesregierung muß im EWG-Rat als Unterlage für die alljährliche Überprüfung der Preiskostenentwicklung für Agrarerzeugnisse die rechtzeitige Vorlage eines Berichtes der EWG-Kommission über die wirtschaftliche Lage der Landwirtschaft in der Gemeinschaft (Grüner EWG-Bericht) erwirken. 2. Die Erzeugerpreise für landwirtschaftliche Produkte sind entsprechend dem Ergebnis des nach Ziffer 1 geforderten Berichtes der allgemeinen Kostenentwicklung in den Partnerländern anzupassen. 3. Die Durchführung des Beschlusses des EWG- Rates vom Dezember 1964 über die Angleichung der Getreidepreise kann erst dann erfolgen, wenn sichergestellt ist, daß alle notwendigen Verordnungen, die Voraussetzung für eine regionale Einführung gemeinsamer Getreidepreise sind, termingerecht in Kraft treten können und wenn außerdem sichergestellt ist, daß die Wettbewerbsverzerrungen abgebaut sind; dazu wird voraussichtlich die gesamte Übergangszeit bis 1970 in Anspruch genommen werden müssen. 4. Bei dem in der Milchmarktordnung vereinbarten Abbau oder Umbau der Milchprämie muß durch entsprechende Ausgleichsmaßnahmen sichergestellt werden, daß der von der Bundesregierung den deutschen Milcherzeugern zugesagte Milcherzeugerpreis von 39 Pfennig bei 3,7 % Fett tatsächlich erreicht wird. Herr Minister Höcherl, in diesem Zusammenhang frage ich Sie, ob Sie noch zu Ihrer Äußerung an die Herren Minister und Senatoren für Landwirtschaft und Forsten und an Abgeordnete des Deutschen Bundestages vom 30. August 1966 stehen? In diesem Brief schreiben Sie, zum Haushaltsvoranschlag 1967 Tit. 961: Für die Qualitätsverbesserung der Milch sind 325 Mio DM vorgesehen. Dafür sind 200 Mio DM an anderen Stellen für die Förderung der Milchwirtschaft zusätzlich ausgebracht worden. Ich behalte mir vor, die Qualitätsprämie außerplanmäßig aufzustocken und Deckung aus den anderen Milchtiteln anzubieten, wenn sich meine Preisvorstellungen auf dem Milchmarkt nicht verwirklichen lassen. — Die FDP wird sich erlauben, auf Ihre Aussage antragsmäßig zurückzukommen, wenn sich zeigen sollte, daß der zugesagte Erzeugermilchpreis von 39 Pfennig nicht aus dem Markt zu erreichen ist. 5. Für die Verhandlung über die Kennedyrunde muß die Bundesregierung im EWG-Rat verlangen, daß in der EWG festgesetzte gemeinsame landwirtschaftliche Erzeugerpreise nicht gesenkt werden und keinem weiteren Prenisstopp unterworfen sind. II. Zur nationalen Agrarpolitik: 1. Die Bestimmungen im EWG-Anpassungsgesetz über die Investitionshilfen für die Landwirtschaft dürfen nicht weiter eingeschränkt werden. 2. Ziel aller agrarpolitischen Maßnahmen muß es sein, für ordnungsgemäß geführte bäuerliche Familienwirtschaften über Maßnahmen einer zielgerechten Erzeugerpreispolitik und durch Ausnutzung aller Möglichkeiten zur Senkung der Betriebsmittelkosten ein den Kostenverhältnissen in rationell geführten Betrieben angemessenes Agrarpreisniveau sicherzustellen. 3. Die EWG-Entwicklung zwingt dazu, daß die Verbesserung der Agrarstruktur im Rahmen langfristiger Planungen und Finanzierungssicherungen beschleunigt und durch den Einsatz von Förderungsmitteln zur Rationalisierung der Hofwirtschaft und der Marktstruktur ergänzt wird. 4. Die Gesetzesvorschläge der FDP betreffend Umstellung des Verfahrens der Dieselkraftstoffverbilligung und Förderung der bäuerlichen Veredlungswirtschaft müssen durch entsprechende Unterstützung der Bundesregierung vom Parlament beschleunigt beraten und verabschiedet werden; insbesondere muß dafür gesorgt werden, daß das Verfahren für die Dieselkraftstoffverbilligung schon vom 1. 1. 1967 auf die von FDP-Abgeordneten vorgeschlagenen Maßnahmen umgestellt wird. 5. Die Soziallage des Landvolkes ist durch eine weitere Ausgestaltung der landwirtschaftlichen Altershilfe und durch Einführung eines Versicherungsschutzes gegen Krankheiten in Form einer Pflicht zur Krankenversicherung dem sozialen Status in anderen EWG-Ländern anzunähern. Die Zuschüsse zur landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft sind nicht auf gewerbliche Berufsgenossenschaften zu verlagern, sondern im Bundeshaushalt zu belassen. Soviel zu den Vorstellungen der FDP zu den aktuellsten agrarpolitischen Problemen. Wir behalten uns vor, zu den entsprechenden Punkten Anträge zu stellen. Vorrangig bleibt für uns agrarpolitisch ein Ziel: die Erhaltung und Förderung der bäuerlichen Familienbetriebe. Zur Erreichung dieses Zieles verlangen wir, daß über agrarpolitische Maßnahmen für ordnungsgemäß geführte bäuerliche Familienwirtschaft ein kostengerechtes Agrarpreisniveau angestrebt wird. Dieses Ziel ist nicht unrealistisch, sondern war im Herbst 1965 monatelang erreicht. Ein solches Agrarpreisniveau, das ist nachweisbar, belastet auch den Verbraucher nicht in unzumutbarer Weise. Die Erhaltung der bäuerlichen Familienwirtschaft ist für uns kein Luxus in der volkswirtschaftlichen Entwicklung. Eine Agrarpolitik nach den Vorstellungen der Freien Demokraten wurde durch die Bildung einer großen Koalition nicht leichter, sondern schwerer. Es wird unsere Aufgabe in der Opposition sein, den agrarpolitischen Weg der Regierung aufmerksam zu verfolgen, agrarpolitisch konstruktiv mitzuarbeiten, um das von mir eingangs erwähnte Ziel einer Agrarpolitik der Wahrheit und Klarheit zu erreichen. 3898 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1966 Anlage 12 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Mick zu Punkt 4 der Tagesordnung Gestatten Sie mir, daß ich einem Diskussionsbeitrag meines verehrten Fraktionskollegen Schulhoff, den er am gestrigen Tage in Fragen der Kriegsopferversorgung leistete, widerspreche. Erstens. Ich sehe es als einen sehr schlechten Stil an, gegen ein Gesetz, welches am Tage vorher einstimmig, auch mit der Stimme des Herrn Schulhoff, angenommen wurde, bereits am Tage darauf zu polemisieren. Mir schiene es richtig gewesen zu sein, wenn Herr Schulhoff seinen kritischen Beitrag zu einem Zeitpunkt geleistet hätte, wo er angebracht gewesen wäre, nämlich vor der Verabschiedung des Dritten Neuordnungsgesetzes. Zweitens. Es ist sachlich unrichtig, die Kriegsopferversorgung als nach dem Gießkannen-System geleistet zu bezeichnen. Herrn Schulhoff müßte bekannt sein, daß bare Leistungen aus der Kriegsopferversorgung erst ab einem Beschädigungsgrad von 30 °/o geleistet werden. Das ist immerhin der Verlust eines Unterschenkels. Soweit Kriegshinterbliebene Leistungen erhalten, werden sie, das drückt sich schon im System der gesamten Kriegsopferversorgung aus, gezielt geleistet — siehe Grundrente, Berufsschadensrente, Elternrente usw. Drittens. Herr Schulhoff bezeichnete seinen Vergleich mit Kriegsopfern und Zigaretten-Rauchern, die dem Lungenkrebs zum Opfer fallen, selbst als etwas makaber. Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Anlage 13 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Rehs (SPD) zu Punkt 4 der Tagesordnung. Ich möchte anknüpfen an die Feststellung meines Freundes Alex Möller in seinen gestrigen Ausführungen, daß Ausgangspunkt der Bemühungen um die Wiederherstellung der Finanzordnung der Wille sein muß, eine gerechte Verteilung der Lasten zu erreichen; d. h. insbesondere, daß auch in einer Situation wie der gegenwärtigen der Schutz der Schwachen und Hilfsbedürftigen nicht vernachlässigt werden darf. Ich begrüße diese Feststellung deshalb so besonders, weil sie dazu angetan ist, das durch die Formulierungen in der Regierungserklärung über die Abwicklung von Kriegs- und Nachkriegsfolgen entstandene Bild zu verdeutlichen und damit verbundenen Sorgen zu begegnen. Es handelt sich um die Formulierungen in der Regierungserklärung zu Punkt 8 über die Neuorientierung der Haushaltspolitik. Es ist ganz klar, daß sich die in diesem Bereich besonders Betroffenen und Angesprochenen die Frage nach der Reichweite und der Auswirkung dieser Erklärung im Regierungsprogramm stellen. Diese Betroffenen sind nicht eine bloße berufliche oder wirtschaftliche Interessengruppe. Hier geht es um jenen großen Teil unseres Volkes in der Bundesrepublik, zu dem unter anderen 10,6 Millionen Heimatvertriebene, 3,5 Millionen Flüchtlinge aus der sowjetisch besetzten Zone und Kriegsgeschädigte anderer Art gehören, die bei aller sonstigen regionalen, wie beruflichen und wirtschaftlichen Unterschiedlichkeit eines gemeinsam haben, daß sie nämlich durch die Folgen der Diktatur, durch das Schicksal der Vertreibung und Flucht über alle Maßen heimgesucht worden sind. Die Lage dieser Menschen und ihre Notwendigkeiten können nicht mit den Maßstäben gemessen werden, die überall da angebracht sind, wo der Begriff „Interessenverbände" eine Rolle spielt. Meine Damen und Herren, soweit ich mich für berechtigt halten darf, für diese Millionen Heimatvertriebenen und Flüchtlinge zu sprechen, möchte ich sagen, daß sie — wie ich — auch dem weiteren Satz meines Freundes Alex Möller zustimmen, daß -nur bei wirtschaftlichem Wachstum und finanzieller Ordnung soziale Stabilität gesichert werden kann. Das heißt, auch diese Menschen werden sich nicht den harten Notwendigkeiten der gegenwärtigen haushaltspolitischen und finanziellen Situation verschließen. Sie sehen, daß im jetzigen Zeitpunkt, in dem ein neues Fundament für die finanzielle Leistungsfähigkeit und Sicherheit in der Bundesrepublik gelegt werden muß, auch ihre Erwartungen und Wünsche von Einschränkungen nicht unbetroffen bleiben können. Die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge haben auch in den vergangenen 17 Jahren seit Bestehen der Bundesrepublik wahrlich eine vorbildliche Hal-. tung gezeigt. Trotz vieler Enttäuschungen und vieler Bitterkeit über zu langsame und unzulängliche Hilfe haben sie im Vertrauen auf gemachte Zusicherungen immer wieder stillgehalten. Sie trifft auch für die derzeitige finanzielle Lage keine Verantwortung. Ja, sie haben insgesamt die für sie gemachten Aufwendungen durch ihre Arbeit, ihren Fleiß, ihre Sparsamkeit und durch ihre wirtschaftliche Gesamtleistung mit Kenntnissen, Erfahrungen und Ideen in hohem Maße wieder hereingebracht. Es ist wohl verständlich, daß sie infolge der derzeitigen Entwicklung nun nicht das Opfer früherer Versäumnisse und das Opfer ihrer eigenen Geduld sein wollen. Deshalb geht es mir um zweierlei: erstens um die Feststellung, daß die Probleme, die zur Zeit nur teilweise berücksichtigt werden können oder zurückgestellt werden, nicht einfach als abgeschlossen angesehen werden, sondern daß sie erneut aufgegriffen und überprüft werden, wenn wir dank einer — wie wir alle hoffen — erfolgreichen Politik der neuen Bundesregierung wieder eine sichere Basis für Stabilität und Wachstum erreicht haben. Das zweite ist die Frage nach dem Umfang der Einschränkungen und nach den einzelnen Sachkomplexen, für die sie gelten sollen. Ich will in dieser Debatte, in der es um die politischen Grundsätze Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1966 3899 der neuen Bundesregierung geht, nicht in die Details gehen. Worauf es mir ankam und ankommt, ist, den Millionen Betroffenen im Lande einen Hinweis gegen die Vorstellung zu geben, als ob die Bundesregierung und der Bundestag oder meine Fraktion die mit der keiner sonstigen Gruppe vergleichbaren Lage auf Grund des Schicksals dieser Menschen nicht mehr sähen und nicht mehr in dem irgendmöglichen Maße berücksichtigten. Ich verbinde damit die Bitte an den Herrn Bundeskanzler und die Bundesregierung, diese Lage unbeschadet der harten und schweren finanzpolitischen Aufgabe bei jeder Maßnahme besonders zu wägen. Ich stimme durchaus der Forderung in jener Ziffer 8 zu, daß die Gesetzgebung über die Abwicklung von Kriegs- und Nachkriegsfolgen abgeschlossen werden sollte. 21 Jahre nach Kriegsende sollte die Zeit dafür in der Tat reif sein. Ich habe deshalb z. B. für den Lastenausgleich kürzlich bei der ersten Lesung der 19. Novelle auf die Notwendigkeit hingewiesen, zu diesem Komplex eine Schlußkonzeption zu entwickeln. Wenn es auch unbequem ist, sich weiter mit diesen Problemen beschäftigen zu müssen, so können wir nicht übersehen, daß in manchen Bereichen noch ein so erheblicher Rückstand in der Eingliederung und auch hinsichtlich der Entschädigungsleistungen besteht, daß es sehr schwer sein wird, hier alsbald zu einem Abschluß zu gelangen. Das Bild nämlich, das hierüber weithin in der Öffentlichkeit und zum Teil auch in diesem Hohen Hause besteht, ist eben leider falsch. Ich habe mich oft genug — auch von dieser Stelle aus — gegen die irreführenden Darstellungen gewandt und vor den falschen Folgerungen gewarnt, die sich daraus ergeben. Wir können eben nicht an der Tatsache vorbei, daß z. B. von weit über 400 000 Bauern aus dem deutschen Osten nicht einmal 10 % voll eingegliedert sind und nur etwa ein Viertel eine Nebenerwerbsstelle erhalten haben; oder an der Tatsache daß die Entschädigung für einen komplett eingerichteten Vollbauernhof, d. h. für Land, Gebäude und Inventar gerade den Wert eines Bauplatzes ausmacht. An den Maßnahmen für die Vertriebenen und geflüchteten Bauern darf also nicht gerüttelt werden. Wir können auch nicht an den krassen Ungleichheiten in den Entschädigungsleistungen für die verschiedenen Gruppen — ich will sie hier nicht aufführen — und an den Ungleichheiten vorbei, die bei der Wohnraumversorgung, in der gewerblichen Wirtschaft und in vielem anderen mehr bestehen, und die auch bei den Flüchtlingen aus der sowjetisch besetzten Zone seit Jahren Gegenstand von Hoffnungen und Enttäuschungen gewesen sind. Ich möchte auch meinen, Herr Bundeskanzler, daß die in jener Ziffer 8 gebrauchte Formulierung Wichtige Aufgaben der Zukunftvorsorge dürften nicht durch neue Zahlungen für die Vergangenheit belastet werden z. B. die in früheren Regierungserklärungen angekündigte Gleichstellung der Sowjetzonenflüchtlinge mit den Heimatvertriebenen oder etwa die Familienzusammenführung nicht im Auge gehabt haben kann. Denn dabei handelt es sich ja um Gegenwarts- und auch noch um Zukunftsaufgaben. Denn Jahr für Jahr kommen noch deutsche Menschen aus den Vertreibungsgebieten und bis aus Sibirien neu in die Bundesrepublik — allein im letzten Jahr rund 48 000 —, die ihre Freiheits-, ihre Gerechtigkeits- und ihre Lebenshoffnung auf uns gesetzt haben. Für diesen ganzen Bereich gilt auch heute noch der Satz unseres Freundes Fritz Erler in der Debatte vom 10. November 1965, daß die soziale und menschliche Situation der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge unvermindert unsere Solidarität erfordert, weil für sie die Nachkriegszeit leider noch nicht zu Ende ist. Wenn irgendwo, dann gilt es hier, die notwendige Rang- und Dringlichkeitsordnung sozialer Gerechtigkeit zu wahren. Dieses der Bundesregierung in dieser Debatte ans Herz zu legen, hielt ich für meine Pflicht. Anlage 14 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Reinhard (CDU/CSU) zu Punkt 4 der Tagesordnung Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung die einzelnen Wirtschaftsbereiche nicht besonders angesprochen. Ich bin daher dafür dankbar, daß er sich in der Fraktion der CDU/CSU für eine Weiterbefolgung der agrarpolitischen Auffassungen der CDU ausgesprochen hat. Das bedeutet, daß seine Regierung zu dem Landwirtschaftsgesetz, zu dem EWG-Anpassungsgesetz und zu dem Altershilfegesetz steht. Freilich wird es in Zukunft nicht so leicht sein, diese Gesetze in dem Geist, in dem sie geschaffen wurden, durchzuführen. Die Landwirtschaft hat Verständnis für notwendige Einsparungen zur Erreichung eines ausgeglichenen Haushaltes. Wenn alle Haare lassen müssen, kann ein Wirtschaftsbereich nicht ausgenommen werden. Das heißt aber nicht, daß die Axt der Sparmaßnahmen an die Wurzeln eines Berufsstandes gelegt werden darf, der sich in einem Strukturwandel ohnegleichen befindet, der trotz der vorhandenen großen Disparität zwischen landwirtschaftlichem Einkommen und Vergleichslohn größte Anstrengungen gemacht hat, der sich durch weitere rationelle Investitionen größten Ausmaßes auf den größeren Wettbewerb in der EWG vorbereiten muß, der durch Verkürzung der Übergangszeit so rasant auf ihn zukommt. Nicht um der Landwirtschaft allein willen sage ich dies, sondern weil ich überzeugt bin, daß das deutsche Volk und die deutsche Volkswirtschaft eine gesunde und leistungsfähige Landwirtschaft brauchen. Vom Erfolg oder Mißerfolg der Agrarpolitik — das zeigt sich jetzt bereits deutlich — hängen zahlreiche Industriezweige, hängen das 3900 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1966 ländliche Gewerbe und Handwerk, hängt letzten Endes die Ordnung des ländlichen Raumes ab. Es ist daher nicht angängig, daß getroffene Zusagen einfach übergangen werden, als ob sie nicht geschehen seien. Es handelt sich bei den gesetzlich fundierten Zusagen an die Landwirtschaft keineswegs um Wahlversprechungen und Wahlgeschenke. Der Grüne Plan nach dem Landwirtschaftsgesetz ist eine bewährte Entwicklungshilfe für die Landwirtschaft, die die Selbsthilfe des Berufsstandes sinnvoll ergänzen soll. Die Anpassungshilfen nach dem EWG-Anpassungsgesetz sollen es der Landwirtschaft ermöglichen, die aus politischen Gründen um drei Jahre verkürzte EWG-Übergangszeit zu überstehen. Es ist eine Torheit, solche Anpassungshilfen generell mit dem Begriff Subventionen abzutun. Subventionen sind ein legitimes Mittel zur Erreichung volkswirtschaftlicher Ziele, und die Subventionen für die Landwirtschaft sind vorläufig noch nicht zu entbehren, so erfolgreich sie sich für die Landwirtschaftsentwicklung auch erwiesen haben. In dem Haushalt des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sind neue, Aufwendungen in Höhe von mehr als 1/2 Milliarde DM eingesetzt worden. Diese sind bedingt durch die Marktordnungsbeschlüsse von Brüssel. Sie sollen den Ausgleich bringen für die Einnahmeausfälle, mit denen sich die Landwirtschaft im nächsten Jahr und zunehmend in den nächsten Jahren abfinden muß. Sie dürfen auf keinen Fall gekürzt werden, sind sie doch die Grundlage der EWG- Agrarpolitik. Diese Summen im Einzelplan 10 werden zum großen Teil dem Bundeshaushalt aus dem Ausrichtungs- und Garantiefonds der EWG zurückerstattet werden. Es wäre schön und gut, wenn diese im Einzelplan 10 eingesetzten Summen zusätzlich zur Verfügung gestellt wären. Dies ist aber nicht vorgesehen. Wenn dazu noch gesagt wird, der Landwirtschaftshaushalt sei nicht gekürzt und man solle zufrieden sein, daß man noch einmal so davongekommen sei, so ist dies eine falsche Darstellung. In Wirklichkeit ist durch die Etatisierung der Marktordnungsmaßnahmen im Einzelplan 10 ohne Erhöhung des Gesamtetats eine Kürzung um 12 bis 15 % eingetreten. Damit ist der Etat des Landwirtschaftsministers notleidend geworden. Dies um so mehr, als die Anpassungshilfe im EWG-Anpassungsgesetz durch das Haushaltssicherungsgesetz 1966 bereits um 260 Mio DM gekürzt wurde. An allen Ecken und Enden fehlt es. Der Herr Bundesminister Höcherl hat versucht, die entstandenen Lücken zu schließen. Bisher ist es ihm nicht gelungen. Bei der Beratung des Haushaltes wird es nötig sein, nach neuen Möglichkeiten zu suchen. Man sollte versuchen, die sich aus den Brüsseler Beschlüssen ergebenden Marktordnungsmaßnahmen aus dem Einzelplan 10 herauszunehmen und in einen besonderen EWG-Agraretat zusammenzufassen. Es muß unter allen Umständen sichergestellt werden, daß die Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur fortgeführt werden, daß sinnvolle Rationalisierungsmaßnahmen auch weiterhin ermöglicht werden. Durch Nichterfüllung der Zinsverbilligungszusagen im Jahre 1965/66 sind zahlreiche landwirtschaftliche Betriebe und auch ländliche Handwerksbetreibe bereits in ernste Schwierigkeiten gekommen. Es muß weiterhin sichergestellt werden, daß keine neuen Verzerrungen des Kostengefüges eintreten. Während der Anpassungszeit an die EWG dürfen der Landwirtschaft keine Steuererhöhungen dadurch erwachsen, daß die in dem GdL vorgesehenen Freibeträge überstürzt abgebaut werden. Die in der Regierungserklärung gemachten Ausführungen zum Steinkohlenbergbau gelten in gleicher Weise für die Landwirtschaft. Nach wie vor verlangt der schwierige Anpassungsprozeß, dem sich die Landwirtschaft in den Jahren des Übergangs zur EWG ausgesetzt sieht, dringend wohlgeplante Investitionsförderung. Ich mache diese Ausführungen nicht, um leichtfertig zu querulieren. Sie geschehen aus der ernsten Besorgnis, wie ein so notwendiger Berufsstand wie die Landwirtschaft über die Anpassungsschwierigkeiten der EWG hinwegkommen soll. Bei allem Verständnis für den Zwang zur Sparsamkeit ist es nötig, agrarpolitische Notwendigkeiten zu berücksichtigen. Anlage 15 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Schoettle (SPD) zu Punkt 4 der Tagesordnung. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung u. a. auch eine Änderung des Artikels 113 des GG angekündigt, die es ermöglichen soll, die Zustimmung der Bundesregierung zu Beschlüssen des Bundestages über zusätzliche oder neue Ausgaben oder über Einnahmeminderungen auf einen bestimmten Höchstbetrag zu beschränken und gleichzeitig eine nochmalige Beschlußfassung des Bundestages zu beantragen. Die Problematik des Art. 113 ist dem Hause und der deutschen Öffentlichkeit seit dem Sommer 1965 wohl bekannt. Ich habe in der ersten Beratung des Haushalts 1966 bereits auf das englische Beispiel hingewiesen und, wie der Herr Bundeskanzler, nicht von einer Nachahmung sondern von einer Annäherung unserer finanzpolitischen Praxis an das englische Vorbild gesprochen. Es handelt sich hier um ein wesentliches Element der Reform unserer Finanzverfassung, die sich nicht darauf beschränken kann, in Verfassungssätzen die Grenzen der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern neu abzustecken und die Finanzquellen diesen neuen Grenzen entsprechend zuzuordnen. Worauf es darüber hinaus entscheidend ankommt, das ist die Veränderung unserer eigenen inneren Verfassung als Träger der Gesetzgebungsaufgaben, genauer gesagt, unseres Verhältnisses zu den finanzpolitischen Entscheidungen. Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Fredtag, den 16. Dezember 1966 3901 Die Neufassung des Artikels 113 ist also nur die eine Seite der Aufgabe, die die Bundesregierung betrifft. Das hängt, ohne Rücksicht auf den Wortlaut letzten Endes alles davon ab, ob die Bereitschaft zur Anwendung dieses Mittels bei der jeweiligen Bundesregierung ohne Rücksicht auf die mögliche Unpopularität der sich daraus ergebenden Folgen besteht. Für das Parlament aber ist die Frage so gestellt, ob es sich bei den finanzpolitischen Entscheidungen — und die ergeben sich fast bei jedem Gesetzesbeschluß — so viel Beschränkungen auferlegen will und kann, daß es den von der Regierung gesetzten Finanzrahmen nicht selbst sprengt, weil es so scheinen könnte, als ob damit dem imaginären Wähler ein Gefallen erwiesen werden könnte. Diese Zwangsvorstellung stand doch an der Wiege vieler Beschlüsse der Vorgänger dieses Parlaments. Die Folgen sind uns allen bekannt. Der Herr Bundeskanzler hat in diesem Zusammenhang einen Initiativantrag aus diesem Hause begrüßt, der den § 96 der Geschäftsordnung des Bundestages in dem Sinne ändern will, daß sich daraus größere Einflußmöglichkeiten des Haushaltsausschusses ergeben. Ich habe Zweifel, ob das der richtige Weg ist. Schon die jetzige Fassung des § 96 würde, wenn er konsequent praktiziert wird, den Haushaltsausschuß in die Lage versetzen, jedes Gesetz, das finanzielle Konsequenzen hat, anzuhalten und eventuell zum Scheitern zu bringen. Der Haushaltsausschuß ist schon bisher auf Grund seiner jetzigen Vollmachten bei den Kollegen des Hauses nicht allzu beliebt gewesen, obwohl er nur die ihm aufgegebene Pflicht getan hat. Er würde durch eine Erweiterung seiner Vollmachten zweifellos zu einem Überausschuß gemacht, der dazu noch in der schwierigen Lage wäre, aus eigenen Kräften und bei seiner jetzigen Ausstattung nur mit Hilfe des Bundesfinanzministeriums die immer wieder auftretenden Fragen nach den Deckungsmöglichkeiten für entstehende Aufwendungen zu beantworten, Man kann eine solche Erweiterung der Vollmachten eines Parlamentsausschusses von der Bedeutung und der Aufgabe des Haushaltsausschusses für richtig und wünschenswert halten. Ich zweifle daran — und würde eine gesetzliche Begrenzung der finanzpolitischen Zuständigkeiten des Parlaments für richtiger halten, obwohl ich dafür im gegenwärtigen Augenblick keine konkreten Vorschläge zu machen habe. Sie müßten noch erarbeitet werden. Anlage 16 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Schultz (Gau-Bischofsheim) (FDP) zu Punkt 4 der Tagesordnung. Ich bedauere außerordentlich, daß die Regierungserklärung zur Verteidigungspolitik nichts aussagt. Wenn man auf diesem Gebiet auch keine spektakulären Aussagen erwarten kann, so hätte ich mir doch etwas konkretere Angaben gewünscht. Ich vermisse 'insbesondere die Ankündigung von Vorschlägen zur Rüstungskontrolle, Rüstungsminderung und Abrüstung. Wenn die Regierung erwähnt, sie strebe keine nationale Verfügungsgewalt über Atomwaffen und keinen nationalen Mitbesitz an Atomwaffen an, so wiederholt sie damit nur alte Regierungserklärungen. Diese Äußerung geht jedenfalls auf die eigentliche Problematik überhaupt nicht ein. Entscheidend ist, ob die Bundesregierung physischen Mitbesitz oder gar eine europäische Nuklear-Streitmacht ansteuern will,deren Kern die Force de Frappe sein würde. Oder will sich die Bundesregierung mit der Mitarbeit in einem konsultativen Gremium innerhalb des NATO-Rates begnügen, in dem die Frage der Planung und des Einsatzes im Hinblick auf Zeitpunkt und Ziel von nuklearen Waffen erörtert und festgelegt wird? Eine deutsche Beteilgung an atomaren Gemeinschaftslösungen stößt auf Bedenken, nicht nur im Osten, sondern auch im Westen. Sie ist in keinem Fall geeignet, die militärische Sicherheit .der Bundesrepublik zu erhöhen, engt vielmehr unseren Spielraum im politischen Bereich in unnötiger Weise weiter ein. Für die Bundesrepublik ist es wichtiger, ihren Einfluß auf die Bewältigung von möglichen Krisen im Rahmen des Bündnisses zu verstärken. Es ist wünschenswert, jede Vereinbarung über eine Rüstungsverminderung oder einen Rüstungsstopp in Europa mit Fortschritten bei der Lösung der deutschen und gesamteuropäischen Probleme zu verbinden. Darüber hinaus muß man jedoch die Frage aufwerfen, ob eine deutsche Unterschrift unter einen Atomsperrvertrag nicht schon einen Wert an sich darstellt, der bewirken könnte, daß das in Osteuropa noch weitverbreitete Mißtrauen gegenüber den Deutschen abgebaut wird und damit phsychologische Hindernisse, die sich einer Wiedervereinigung Deutschlands entgegenstellen, beseitigt werden. Wenn man die einander völlig entgegengesetzten Auffassungen maßgeblicher Vertreter der SPD und CDU/CSU in der atomaren Frage betrachtet, können wir Freien Demokraten den Sozialdemokraten in dieser Angelegenheit nur viel Glück zu ihrer Opposition in der Koalition wünschen. Es ist erschütternd, daß die Regierung auf die zahlreichen drängenden Probleme im Zusammenhang mit der Bundeswehr überhaupt nicht eingeht und sich, zum Verteidigungssektor insgesamt nur zwei Sätze über die Haushaltslage abringt. Wenn der Verteidigungshaushalt häufig als Reservekasse für andere Ausgaben angesehen wird, so liegt das daran, daß der militärische Auftrag der Bundeswehr weder dem politischen Wandel der Weltlage noch der technischen Entwicklung angepaßt worden ist. Die Bundeswehr hat von Anbeginn an nur einen politischen und keinen realen militärischen Auftrag gehabt. Der heutige Auftrag für die Bundeswehr berücksichtigt sind, daß Aggressionen im Spiel des zweiten Weltkriegs angesichts der zerstörenden Wirkung von Atomwaffen nicht mehr möglich sind und daß Aggressionsabsichten im Sinne der 50er Jahre daher heute nicht mehr vermutet werden können. Das hat inzwischen nicht nur der französische Staatspräsident de Gaulle, sondern sogar Herr Dr. Adenauer erkannt. 3902 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1966 Geblieben ist immer noch die Gefahr begrenzter Übergriffe unterhalb der Atomschwelle im konventionellen Bereich. Hiergegen ist ein Schutz durch die Bundeswehr nötig und auch durchführbar. Es ist allerdings erforderlich, die Bundeswehr in der Weise umzugliedern, daß entlang der Demarkationslinie zur Zone und der Grenze zur Tschechoslowakei tief gestaffelte Panzerabwehrverbände einen Riegel bilden, der eine begrenzte Aggression mit konventionellen Waffen verhindert. Entschließt sich der Gegner angesichts dieser Situation zum Einsatz atomarer Waffen, dann können die Amerikaner ihr atomares Potential sowieso nicht zurückhalten. Die FDP hat schon 1964 vorgeschlagen, den Schwerpunkt im Verteidigungssektor auf den Ausbau einer Heimatschutztruppe zu legen. Die dafür benötigten Kräfte kann man ohne Schwierigkeiten aus den jetzt vorhandenen Streitkräften nehmen. Auf diese Weise kann man der Bundeswehr einen sinnvollen militärischen Verteidigungsauftrag geben, dessen Erfüllung auch im Bereich des Möglichen liegt. Ein nur politischer Auftrag mit dem Inhalt, daß die Einordnung der Bundeswehr in die NATO aufgewertet und in die Gemeinschaft der freien Völker zurückgeführt hat, ist auf die Dauer zu abstrakt. Dieser Auftrag allein findet keinen Widerhall in der Bevölkerung und hält die Soldaten nicht bei der Stange. Auf dem Verteidigungssektor kann jedoch nur dann ein vernünftiger Wandel vorgenommen werden, wenn es gelingt, aus den alten eingefahrenen Gleisen herauszukommen und sich von den bisherigen Denkschemata freizumachen. Die angebliche Sprachregelung im Bundesverteidigungsministerium zu den jüngsten Vorschlägen des Obersten von Bonin ist aber nicht sehr ermutigend für diejenigen, die in dieser Hinsicht noch Hoffnungen hegen. Hier wird sich einmal mehr erweisen, ob im Bundesministerium der Verteidigung die Grundsätze des Primates der Politik richtig verstanden und angewendet werden und es zum Gespräch der Politiker mit den Soldaten kommt, wo liebgewordene Denkschemata in Frage gestellt werden. Anlage 17 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Staratzke (FDP) zu Punkt 4 der Tagesordnung In der Regierungserklärung wird an zwei Stellen auf die Haltung der Bundesregierung zu der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Bezug genommen: einmal, als es darum geht, die Außenverpflichtungen mit den Leistungsmöglichkeiten der Bundesrepublik in Einklang zu bringen. Dazu wird in der Regierungserklärung gesagt, daß in Zukunft die Belastungen durch Beiträge an supranationalen Einrichtungen — allen voran die EWG — nicht in der bisherigen Weise weiterwachsen dürfen. Diese Forderung hat die FDP-Fraktion in der Vergangenheit zu jeder Zeit und bei jeder Gelegenheit erhoben. An anderer Stelle wird von den angeblichen großen Fortschritten der bestehenden europäischen Gemeinschaften gesprochen. Gleichzeitig wird die Erklärung abgegeben, daß auf den konsequenten Ausbau der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und ihrer Institutionen hingewirkt werden soll. Zu diesen beiden Erklärungen ist es unseres Erachtens dringend notwendig, einige sehr kritische Anmerkungen zu machen. Die EWG ist aus politischen und wirtschaftlichen Erwägungen konzipiert worden. Politisch sind die Fortschritte, die uns in Richtung einer europäischen Gemeinschaft führen sollten, in den letzten Jahren zunehmend kleiner geworden. Auf dem wirtschaftlichen Gebiet haben wir heute — bis auf einen geringen Zollrest — lediglich eine Zollunion der 6 EWG-Länder, und wir haben einen in mancherlei Hinsicht außerordentlich kritisch zu betrachtenden, durch die Bundesregierung vorgeleisteten Agrarmarkt, beziehungsweise werden ihn wohl zum 1. 7. 68 vollendet haben. Auf die für die deutsche Landwirtschaft ungünstige Position ist von den Freien Demokraten wiederholt und deutlich hingewiesen worden. Heute und für die nächste Zukunft interessiert allerdings die Frage, ob die EWG im Zustand einer Zollunion verkümmert, oder ob sie doch noch das große gemeinsame Wirtschaftsgebiet werden kann, das denen vorgeschwebt hat, die den Vertrag von Rom geschlossen haben. Eine Zollunion ist nichts weiter als die Abschaffung der Binnenzölle innerhalb der EWG und die Anwendung gemeinsamer Außenzölle gegenüber dritten Ländern. Sie ist also nur ein allererster Schritt auf dem Wege zum Gemeinsamen Markt, der sehr viel anspruchsvollere Voraussetzungen haben muß. Ein Gemeinsamer Markt fordert, daß binnenmarktähnliche Verhältnisse für alle in diesem Gebiet Tätigen herrschen. Davon sind wir aber weit entfernt und es ist durchaus fraglich, ob bei Abwesenheit dieser Voraussetzung eines Binnenmarktes die Zollunion wirklich von Segen für alle EWG-Länder ist. Es ist unbestreitbar, daß mit den Zöllen ein Teil der Wettbewerbsunterschiede, die den internationalen Handel stören, ausgeglichen wurde. Der Abbau der Binnenzölle fördert nun aber Wettbewerbsnachteile und Wettbewerbsverzerrungen, die vorher verdeckt waren, zu Tage — und zwar sehr zum Nachteil der deutschen Wirtschaft. Das könnte allenfalls noch hingenommen werden, wenn es sich dabei um eine wirklich befristete Störung handelt. Denn wenn sie langfristig anhält, würde sie zu einer Verzerrung der Wirtschafts- und Industriestruktur in der Gemeinschaft führen. Das wären aber schwerwiegende Folgen für unsere deutsche Industriepolitik. Binnenmarktähnliche Verhältnisse liegen jedoch nur dann vor, wenn alle EWG-Länder eine gemeinsame Handelspolitik gegenüber dritten Ländern betreiben und wenn sie gleichartige steuerliche Voraussetzungen im gesamten Wirtschaftsgebiet der EWG schaffen. Auch im Hinblick auf die allgemeine Wirtschafts-, Struktur-, Wettbewerbs-, Kredit- und Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1966 3903 Konjunkturpolitik muß für gleichartige Zielsetzungen und gleichartige Methoden gesorgt werden. Nationale Alleingänge können im Hinblick auf die strukturverzerrenden Wirkungen, die sie haben, im Gemeinsamen Markt auch in diesen Bereichen der Wirtschaftspolitik nicht hingenommen werden, ohne die Vertragsziele ernsthaft zu gefährden. Unmittelbar entscheidend und gegenwärtig drängend ist jedoch die Einigung auf eine gemeinsame Außenhandelspolitik und die Herstellung gleichartiger steuerlicher Wettbewerbsvoraussetzungen. Solange zwischen den EWG-Ländern extrem unterschiedliche Regelungen und Praktiken gegenüber den Einfuhren aus dritten Ländern angewandt werden, kommt es zu einer Verlagerung der Importströme von den protektionistischen zu den liberalen Ländern innerhalb der EWG. Die unmittelbare Folge dieser Entwicklung zeigt sich in einer Verschlechterung der Wettbewerbspositionen der Industrien liberaler Länder im Vergleich zu ihren Konkurrenten in den mehr protektionistischen Ländern. Die mittelbare Folge ist dann, daß die Expansionsmöglichkeiten, z. B. in der Bundesrepublik, vor allem in denjenigen Bereichen erheblich herabgesetzt werden, die den stärksten Importdruck aushalten müssen. Die auf diese Weise entstandenen Wettbewerbsverzerrungen führen auch hier wieder nach einiger Zeit zu Strukturverzerrungen, von denen die Leistungskraft unserer Volkswirtschaft, aber auch der gesamten EWG-Wirtschaft, erheblich beeinträchtigt wird. Man muß sich stets vor Augen halten, daß der wirtschaftliche Sinn des Gemeinsamen Marktes allein darin begründet ist, daß im Zuge der Anpassung auf den größeren Markt eine rationelle Wirtschafts- und Industriestruktur entsteht. Wenn jedoch wegen des Steckenbleibens in der Zollunion und des Fortwirkens bestehender Wettbewerbsstörungen die Wirtschafts- und Industriestruktur verschlechtert wird, so läuft dies dem Vertragszweck, also der Verbesserung des Wohlstandes der gesamten EWG-Bevölkerung diametral entgegen. Die erwähnte Kritik, die wir an der gemeinsamen Agrarpolitik der EWG zu üben haben, erfolgt aber auch aus einem anderen Grund, nämlich aus handelspolitischen Überlegungen. Denn es ist zu befürchten, daß den Ausfuhrinteressen unserer Handelspartner außerhalb der EWG immer weniger Rechnung getragen wird. Das muß sich aber auf den für das deutsche Volk lebensnotwendigen Export — insbesondere auch gewerblicher Erzeugnisse aller Art — ungünstig auszahlen. Denn wenn man in Drittländer außerhalb der EWG exportieren will, muß man auch aus diesen Ländern Güter importieren. Infolge der Regelungen, die der gemeinsame Agrarmarkt gebracht hat, ist diesen Drittländern der Zugang zum deutschen Markt erheblich erschwert und teilweise versperrt worden bzw. wird noch sehr viel mehr erschwert werden. Die letzten Einfuhrstatistiken lassen bereits einen sehr deutlichen relativen Rückgang unserer Agrareinfuhren aus dritten Ländern zugunsten der EWG-Länder erkennen. Nach dem 5. Bericht des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über die Auswirkungen der EWG-Marktorganisationen auf dem Agrargebiet — Bundestagsdrucksache V/1108 — hat sich die Einfuhr von Gütern der Ernährungswirtschaft (ohne Kaffee und Tabak) in die Bundesrepublik zwischen den EWG-Mitgliedstaaten einerseits und den dritten Ländern andererseits wie folgt entwickelt: Die Agrareinfuhren aus den EWG-Mitgliedstaaten haben sich 1958/59 von 27,4 % auf 39,8 % erhöht, und die Agrareinfuhren aus Drittländern haben sich außerhalb der EWG in die BRD 1958/59 von 72,6 % auf 60,2 % 1965/66 ermäßigt. Um das Außenhandelsvolumen auf der wünschenswerten Höhe zu halten, kommt es zu einer Umgruppierung der Einfuhren von den agrarischen Erzeugnissen zu Erzeugnissen der gewerblichen Wirtschaft. Das gilt auch besonders für den an sich wünschenswert expandierenden Osthandel. Die Ostblockstaaten versuchen, ihre Käufe von Investitionsgütern immer mehr durch Exporte von Verbrauchsgütern zu bezahlen. Auch hier handelt es sich — ebenso wie bei den unterschiedlichen Bedingungen innerhalb des Gemeinsamen Marktes — um eine einseitige Belastung derjenigen Industrien, die diese verstärkt einströmenden Güter erzeugen. Es kann aber nicht der Sinn der Wirtschaftspolitik sein, die Kosten der Integration und ihre Folgen im Bereich des Agrarmarktes und der Osthandelseinfuhren einseitig denjenigen aufzuladen, die mit den neuen Importgütern konkurrieren. Für den weiteren Fortgang der Integration ist es unaufschiebbar geworden, endlich für die Herstellung binnenmarktähnlicher Verhältnisse zu sorgen und dabei auf dem Gebiet der Handelspolitik und der Steuerpolitik anzufangen. Im Bereich der Handelspolitik ist die Kooperation mit den übrigen EWG-Ländern die entscheidende Voraussetzung. Und diese Kooperation bedeutet Bereitschaft zum Kompromiß zwischen den extrem divergierenden Standpunkten in der Handelspolitik. Auf dem Gebiet der Steuerpolitik könnten wir dagegen autonom vorgehen. Die Bundesregierung sollte sich mit der Einführung der Netto-Umsatzsteuer beeilen und sollte im Rahmen der Finanzreform darauf achten, daß alle steuerlichen Regelungen, die die Herstellung gleichartiger Wettbewerbsbedingungen erschweren, aufgehoben oder durch bessere ersetzt werden. Wir befinden uns heute in der ernsthaften Gefahr, daß das Konzept der Wirtschaftsunion zu einer Zollunion verkümmert. Das kann nur vermieden werden, wenn wir alle unsere Anstrengungen verstärken. Das gilt sowohl für dieses Hohe Haus, die Bundesregierung, als auch für die EWG-Kommission und den EWG- Ministerrat.
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    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mit großer Aufmerksamkeit diese Debatte verfolgt und habe versucht, möglichst immer anwesend zu sein. Nur da, wo höhere Gewalt, wo zwingende Termine, die ich nicht anders disponieren konnte, mich gehindert haben, war ich nicht da. Ich habe der Debatte natürlich mit einiger Erwartung — sorgen- und hoffnungsvoller Erwartung — entgegengesehen, denn es war ja auch hier ein erster Gehversuch der neuen Koalition. Man hätte in der Zeitung entweder lesen können, das ganze sei nur eine langweilige Akklamation — natürlich von der Opposition abgesehen — für die Regierungserklärung gewesen oder, wie ich es auch gelesen habe, die Koalitionsparteien übten Kritik am Regierungsprogramm. Zwischen Scylla und Charybdis mußte sich also diese Debatte hindurchsteuern, und ich glaube, sie hat schon bei diesem ersten Male den Beweis erbracht, daß es in diesem Hohen Hause auch in der Zeit 'der Großen Koalition nicht langweilig zu sein braucht.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es ist ja ganz selbstverständlich, daß die beiden Partner, die sich in der Großen Koalition zusammengefunden haben, auch in der Zukunft über verschiedene Dinge verschiedene Auffassungen haben werden. Worauf es ankommen wird, ist nicht, Herr Kollege Spitzmüller, daß die SPD auf Gedeih und Verderb mit der CDU geht, worauf es in dieser Großen Koalition ankommt, ist, daß .die beiden Koalitionspartner auf Gedeih und Verderb bis zum Jahre 1969 zusammenhalten und in dieser Zeit das leisten, was unser Volk von ihnen erwartet.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es ist viel die Rede gewesen vom Hergang der Bildung der Großen Koalition, und ich will gleich einer Legendenbildung entgegentreten. Das wissen auch die Damen und Herren der Opposition: Ich bin nicht nach Bonn gekommen mit der Absicht, eine Große Koalition herbeizuführen.

    (Abg. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller: Sehr wahr!)

    Der erste Mann, mit dem ich über die Frage einer künftigen Regierungsbildung sprach, war ein von mir trotz manchmal unterschiedlicher Auffassungen immer sehr respektierter Angehöriger der Fraktion der Freien Demokraten. Ich habe allerdings im Verlaufe der Entwicklung der Dinge hier, von einem gewissen Zeitpunkt ab, den Eindruck gewonnen, daß eine Kleine Koalition, wie wir sie bisher hatten, wohl nicht mehr möglich sein würde. Ich will nicht das Wort verwenden, das Herr Kollege Dr. Dehler im Blick auf die Sozialdemokratie im Jahre 1949 gebraucht hat, das Wort von der Koalitionsunwürdigkeit, aber ich glaube, von Koalitionsunfähigkeit zu sprechen, entspräche wohl der Wahrheit,

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD. — Zuruf von der Mitte: Das ist das Wichtigere!)

    und zwar einfach deshalb, weil das, was vielleicht mancher von Ihnen als eine Tugend ansehen mag, innerhalb einer Koalition ein großer Nachteil, ja eine schwere Gefahr sein kann,

    (Sehr richtig! in der Mitte)

    daß nämlich die sehr differenzierte Zusammensetzung Ihrer Fraktion, die eigenwilligen Individualitäten Ihrer Fraktion, wie die Geschichte der vergangenen Jahre bewiesen hat, eben immer dazu beitragen, daß ein solches Bündnis gefährdet wird und schließlich zerbricht. Und das, meine Damen und Herren, können wir uns in der ernsten und schwierigen Situation, die vor uns liegt, einfach nicht mehr leisten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es ist dann in Zusammenhang mit der Gründung der großen Koalition viel von der Absichtserklärung der Verhandlungskommissionen über das künftige Wahlrecht die Rede gewesen. Natürlich habe ich nicht erwartet, daß die Freien Demokraten dazu ihre Zustimmung geben werden. Ich will jetzt die interessanten Ausführungen zur Frage des Wahlrechts nicht meinerseits durch einen ungebührlich langen Beitrag weiter ausdehnen. Aber eines darf ich doch Ihnen, verehrter Herr Dr. Dehler, sagen, und das ist wirklich sehr ernst gemeint. Von einem unwürdigen Trick kann keine Rede sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Es geht nicht darum, eine Partei umzubringen oder gar eine politische Gesinnung zu ersticken.

    (Zurufe von der FDP: Genau das!)

    — Nein, meine Damen und Herren, genau darum geht es nicht. Denn das, was in dieser Debatte schon von verschiedenen Rednern gesagt worden ist, ist doch wahr: Wenn wir wirklich in diesem Hause durch eine Verfassungsänderung ein mehrheitsbildendes Wahlrecht — ich will dieses Wort noch einmal gebrauchen, das ich auch in der Regierungserklärung gebraucht habe — durchsetzen, dann wird hinterher keiner von uns, keine der Parteien dieses Hauses mehr sein, was sie war. Das erfordert von jedem, von jeder Partei einen sehr schweren Entschluß. Es ist doch ganz klar: Wenn ein solches mehrheitsbildendes Wahlrecht schließ-
    Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1966 3851
    Bundeskanzler Dr. h. c. Kiesinger
    lich, wie gehofft wird, zwei große Parteien übriglassen wird, dann absorbieren diese beiden Parteien von allen Seiten diejenigen politischen Kräfte, die nun nicht mehr die Möglichkeit haben, in einer eigenen Partei in diesem Hause repräsentiert zu sein.

    (Zurufe von der FDP.)

    — Ja, meine Damen und Herren, dann absorbieren sie. Ich habe gar nichts dagegen, wenn z. B. die Christlich-Demokratische und die Christlich-Soziale Union in diesem Prozeß einen ganz kräftigen Zuschuß liberaler Gesinnung bekommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Eine große Volkspartei heute — das gilt auch für die Sozialdemokratische Partei — kann gar nicht ohne einen solchen Zuschuß von Liberalität existieren. Liberale Gesinnung ist etwas, was in allen Parteien dieses Hohen Hauses Heimat hat.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich wollte also nur sagen, es geht gar nicht nur um Sie bei diesem großen Unterfangen. Es geht um uns alle. Ich weiß genau, daß viele hier in diesem Hause vor einem solchen großen Wagnis ihre Bedenken und ihre Sorgen haben.
    Im übrigen, meine Damen und Herren, hat Herr Helmut Schmidt gesagt, diese große Koalition sei nicht eine gegenseitige Liebeserklärung gewesen. Das ist wahr. Aber sie wäre nicht zustande gekommen ohne gegenseitigen Respekt und ohne die Erkenntnis — und das haben wir durch die gründlichste Bestandsaufnahme, die bisher vor einer Regierungsbildung gemacht worden ist, geklärt —, daß wir jedenfalls für das Programm, das wir uns für die nächsten drei Jahre vorgenommen haben, die notwendige Einigkeit vorfinden. Darauf kommt es an.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich möchte sehr betonen, das es, wenn es sich schon nicht um eine Liebesheirat handelt, dann ganz bestimmt keine Verlegenheitsehe war, die hier geschlossen worden ist, sondern etwas, was aus nüchterner Überlegung als ein Ergebnis politischer Vernunft entschieden worden ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Daher habe ich auch gesagt, daß wir, auch wenn wir bei einer Koalition auf Zeit mit Recht und mit Verantwortungsbewußtsein von den Gefahren einer großen Koalition sprechen, uns nicht davon abhalten lassen werden, das Programm, das wir uns vorgenommen haben, mit — ich wiederhole die Worte — äußerster Entschlossenheit durchzuführen.
    Im Verlauf dieser Debatte sind an mich und an die Regierung viele Fragen gestellt worden, die ich jetzt nicht beantworten kann. Ich müßte sonst eine jener Reden halten, die in anderen Ländern gelegentlich üblich sind, die wir aber in diesem Hause doch noch nicht praktiziert haben. Wir haben uns in der Regierungserklärung bewußt auf die großen Schwerpunkte Finanzpolitik, Wirtschaftspolitik, Außenpolitik und Deutschlandpolitik beschränkt und darauf verzichtet, nun den großen Katalog der Gesamtpolitik aufzufächern. Der Grund dafür war auch der, daß wir hier noch eine große Bestandsaufnahme vor uns haben und vor allem erkunden müssen, wieviel Mittel uns in den nächsten Jahren zur Verfügung stehen und für welche Zwecke.
    Immerhin war es mir interessant, gewisse Reaktionen, auch außerhalb dieses Hohen Hauses, zum Regierungsprogramm zu lesen und zu hören. Dazu möchte auch ich, nachdem mein Kollege Professor Schiller schon seinerseits Stellung genommen hat, etwas ganz klar sagen. Da war zu lesen, es komme jetzt eine Politik des leichten Geldes; der Geldhahn werde aufgedreht werden. Einige meiner Freunde haben sogar gefürchtet, daß ich mich vielleicht etwas zu sehr von unserem neuen Partner in dieser Frage hätte beeinflussen lassen; diese Politik der Expansion sei doch eigentlich eine ursprünglich sozialistische Idee. Nun, für diese Besorgten darf ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten einen Satz verlesen, der folgendermaßen lautet:
    Wir befinden uns, wenn nicht alle Zeichen trügen, gegenwärtig in einer Phase, in der wir die Sanierung der Erfolgs- und Gewinnmöglichkeiten unserer Wirtschaft, die konjunkturelle Expansion der Märkte in den Vordergrund zu stellen haben, um auf dieser Basis spätere weitere soziale Fortschritte durch gesicherte und steigende Einkommen erreichen zu können.
    Dieser Satz stammt nicht von Professor Schiller, sondern von Professor Müller-Armack, den niemand als einen Sozialisten bezeichnen würde.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich behaupte nicht, daß ich mich etwa durch diesen Satz zu einer leichtfertigen Expansionspolitik verleiten ließe. Lassen Sie es mich so sagen: Ich höre zu, ich spreche mit vielen führenden Leuten der Wirtschaft. Ich weiß, daß dort die einen so denken und die anderen anders denken. Es gibt Stabilitätsdogmatiker, und es gibt Expansionsdogmatiker. Lassen Sie mich für mich und meine Position Goethe zitieren: Prophete rechts, Prophete links, das Weltkind in der Mitten".

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wenn schon, wie in der Debatte gesagt wurde, in den Korridoren dieses Hauses das Gerücht von einer einkalkulierten Inflation umgeht, dann kann ich darauf nur sagen: solche Überlegungen haben bei den Beratungen dieser Regierung keine Rolle gespielt. Ich würde mich mit allen Kräften dagegen wehren. Aber es gibt auch keine einkalkulierende Rezession.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Herr Professor Schiller hat schon gesagt, daß wir diese Dinge zusammen mit der Bundesbank, die ja autonom ist, beraten und abgestimmt haben. Es waren sehr genaue, sehr sorgfältige Abstimmungen, die wir unter Respektierung der autonomen Stellung der Bundesbank vorgenommen haben. Ich möchte das noch einmal ausdrücklich betonen.
    Zu den Sorgen, die in dieser Debatte zur Finanzpolitik geäußert worden sind, möchte ich folgendes sagen. Ich habe nicht umsonst das Bild gebraucht,
    3852 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1966
    Bundeskanzler Dr. h. c. Kiesinger
    daß wir nun nicht mit der Holzaxt das Haushaltsgestrüpp des diesjährigen und der kommenden Haushalte — die mir noch viel mehr Sorgen machen — lichten könnten, denn ich meine, daß wir diese schwierige Arbeit schon mit dem Blick auf unser künftiges politisches Programm tun müssen. Denn ich habe ja den Haushalt als das Instrument für die politische Programmatik bezeichnet. Hier werden wir uns — daran habe ich nie einen Augenblick lang gezweifelt — schwer tun, denn es werden sich die Interessen melden. Bitte, ich nehme dieses Wort nicht abschätzig in den Mund. Die Interessen sind in der Welt, und diese Interessen sind auch in diesem Hause legitim vertreten. Es werden sich auch programmatisch-dogmatische Standpunkte zu Wort melden. Auch diese haben ihren legitimen Ort in diesem Hohen Hause. Das legitime Geschäft der Regierung aber ist es, das alles unter einen Hut zu bringen, soviel an ihr liegt, die Interessen aufeinander abzustimmen und die programmatischen Wünsche auszugleichen zu einem Gesamtprogramm — ich wiederhole es —, das sich an den Notwendigkeiten — und nur an den Notwendigkeiten — des Gemeinwohls orientiert und sich nach der Decke streckt, d. h. das weiß, wie viele Mittel uns wofür zur Verfügung stehen. Das müssen wir miteinander auskämpfen. Ich weiß, daß das keine leichte Aufgabe ist. Wir können das Wünschenswerte vortragen — verwirklichen können wir nur das Mögliche.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Mit einigem Vergnügen habe ich in einer großen Zeitung gelesen, daß dem Bundeskanzler offenbar recht unbehaglich zumute gewesen sei, als er sich in seiner Regierungserklärung in den Niederungen der Finanzmisere, des Interessenschachers, der Finanzpolitik usw. bewegt habe; erst dann, als er zur Außenpolitik gekommen sei, habe er spürbar aufgeatmet. Ich möchte vor solchen Irrtümern warnen. Ich werde diese Dinge als Bundeskanzler sehr ernst nehmen, denn ich weiß, daß wir weder innenpolitisch noch außenpolitisch aktionsfähig sein werden, wenn wir nicht unsere Haushalte und unsere Finanzen ganz rasch und ganz klar in Ordnung bringen.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich habe in diesem Augenblick leider keine Gelegenheit, zu einer außenpolitischen Debatte in diesem Hause — sie hat ja noch nicht stattgefunden — Stellung zu nehmen. Erlauben Sie mir aber, wenigstens ein paar Worte zu der Rosonanz zu sagen, die der außenpolitische Teil der Regierungserklärung in unserem Volke und in der Welt gefunden hat. Sie ist — soweit ich sehen kann — in unserem Volk und auch in der Welt positiv aufgenommen worden.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Ich habe nicht erwartet, daß die Machthaber im anderen Teil Deutschlands dieser Regierungserklärung und ihre Aussagen zustimmen würden.
    Es hat mich mit besonderer Freude erfüllt, daß sich während des Aufenthaltes unseres Außenministers, des Herrn Kollegen Brandt, in Paris die Gelegenheit zu einer ersten Aussprache zwischen ihm und Präsident de Gaulle ergeben hat, einer Aussprache, die mich für die Zukunft und insbesondere für unsere erste Begegnung am 13. und 14. Januar des nächsten Jahres doch sehr ermutigt hat.
    Meine Damen und Herren, es gab in der letzten Zeit Stimmen in der Presse, die sagten: Jetzt zwar eine richtige Politik gegenüber Frankreich, aber wahrscheinlich zu spät. Ich sehe nicht den geringsten Grund für eine solche Skepsis, für einen solchen Pessimismus. Ich bin fest überzeugt: unsere beiden Völker sind so sehr aufeinander angewiesen, daß es eigentlich nie zu spät sein kann, zusammenzukommen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Sicher, manche Stimmen aus dem Ausland sagen uns, sie hätten gern zu dem einen oder anderen Problem eine konkretere, eine definitivere Aussage gehabt. Dafür habe ich völliges Verständnis. Aber wer die Problematik unserer heutigen Welt, wer die Schwierigkeit der Probleme der heutigen Außenpolitik kennt, der weiß, daß man eben in vielen Dingen gerade einen großen Fehler beginge, wenn man nach Art eines Eisenbahnfahrplans Programme entwerfen wollte. Es hat mich gefreut, daß man überall gespürt hat, daß wir mit dieser Regierungserklärung in einer neuen Sprache sprechen wollten, daß wir neue Aussagen und auch neue Tendenzen brachten. Es ging mir nicht darum, nur eine liebenswürdig-verbindliche Beschwichtigungsformel zu drechseln; in dieser Regierungserklärung war jedes Wort, jede Nuance der Aussage ernst gemeint und deutete in die Zukunft.
    Unser außenpolitisches Programm hatte den Kernsatz „Friede in der Welt und Verständigung unter den Völkern" und da hineingebettet das deutsche Problem, das unverzichtbare Recht unseres deutschen Volkes, das seinen eigenen Frieden mit der Welt und mit sich selbst mit den Mitteln des Friedens sucht. Das bitte ich, das bittet diese Regierung die Völker der Welt, alle, im Osten und im Westen, uns zu glauben.

    (Beifall bei Abgeordneten der Regierungsparteien.)

    Wir werden in den kommenden Monaten auch durch Taten, die den Worten folgen, beweisen, daß wir es ernst meinen.
    Was ich für die Außenpolitik gesagt habe, das gilt ganz genauso für unsere Deutschlandpolitik. Wir können nicht einfach nur immer wieder Objekte von Experimenten des Regimes in dieser Frage bleiben. Wir müssen Bewegung in die Dinge bringen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und bei der FDP. — Abg. Dr. Mende: An diesen Satz werden wir sie erinnern!)

    — Das werden Sie gar nicht nötig haben, Herr Kollege Mende. Nur das will ich Ihnen deutlich sagen: Das, was wir machen, ist ein gesamtdeutscher Realismus und keine leichtfertige gesamtdeutsche Romantik.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 83. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1966 3853
    Bundeskanzler Dr. h. c. Kiesinger
    Möge es uns, meine Damen und Herren — und dazu wird uns jede Hilfe der Opposition willkommen sein —, in diesen nächsten Jahren gelingen, gerade auf diesem steinigen und mühevollen Wege endlich ein Stück voranzukommen. Dann können wir wirklich sagen, daß diese Große Koalition nicht umsonst gebildet war.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.

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    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man hat mir gesagt, daß es nützlich sein könnte, in die Erläuterungen des Hauses mit einzubeziehen, was sich in den letzten zweieinhalb Tagen für mich ergeben hat, als ich mit Vertretern unserer befreundeten Mächte das zu erörtern oder ihnen zu erklären hatte, was der Bundeskanzler am Dienstag als Richtlinien dem Hause unterbreitet hat. Ich möchte, wenn ich das tue, gleichzeitig auf einige der Fragen eingehen dürfen, die gestern im Verlauf der Generaldebatte hier aufgeworfen worden sind.
    Lassen Sie mich vorweg sagen: Die Bildung einer auf breiter Basis ruhenden Regierung hat im Ausland, vor allem auch bei den Verbündeten, viel Beachtung gefunden. Unsere am Generalnenner der Friedenssicherung orientierte Außenpolitik findet die starke Zustimmung unserer Freunde, und unser Bemühen um Veränderung und Verbesserung der Beziehungen zur Sowjetunion und zu den osteuropäischen Staaten wird von unseren Verbündeten als wirklichkeitsnah und hilfreich empfunden.
    Der Bundeskanzler hat eben auf die zentrale Bedeutung des deutsch-französischen Verhältnisses hingewiesen. Aus guten Gründen war diesem deutschfranzösischen Verhältnis in der Regierungserklärung ein besonderer Rang eingeräumt worden mit dem ausdrücklichen Hinweis darauf, daß die vom Westen und vom Osten erhoffte Friedensordnung ohne ein enges und vertrauensvolles Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich nicht denkbar ist.
    Ich konnte bei den ersten Unterhaltungen dieser Tage nicht das vorwegnehmen, was Mitte Januar zu erörtern sein wird und worüber in bezug auf Einzelheiten natürlich auch erst noch im Kabinett zu sprechen sein wird. Lassen Sie mich aber, meine Damen und Herren, der Aufzeichnung über das gestrige Gespräch mit dem französischen Staatspräsidenten folgendes wiedergeben — ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren —:
    Der Minister fragte den General, ob er ihm einen ermutigenden Satz sagen könne, den er der Offentlichkeit mitteilen dürfe. General de Gaulle erwiderte, er tue das gern. Der Minister könne sagen, die Besprechung sei sehr herzlich gewesen. Die Orientierung der Bundesregierung, wie sie in der Regierungserklärung zum Ausdruck komme, betrachte er und gewiß ganz Frankreich als sehr gut und sehr befriedigend. In der dort zum Ausdruck gekommenen Richtung könne gewiß die deutsch-französische Zusammenarbeit auch im politischen Bereich vertieft werden. Was die Bundesregierung über ihre Politik ausgesagt habe, entspreche auch den Wünschen Frankreichs. Diese Aussage finde die vollständige und tiefgehende Zustimmung Frankreichs. Sie biete einen Ausgangspunkt für eine engere Zusammenarbeit als zuvor.
    Soweit die Wiedergabe dessen, womit das Gespräch abgeschlossen wurde.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Selbst möchte ich sagen: Mir scheinen die Voraussetzungen gegeben zu sein, auf dem Gebiet der deutsch-französischen Zusammenarbeit einen neuen Anfang zu machen. Darin werden die Ost-West-Beziehungen eine besonders wichtige Rolle spielen.
    Es war nützlich, daß am 13. Dezember, also am Dienstag, die deutsch-französischen Verhandlungen über das Aufenthaltsrecht und den Status der französischen Truppen in Deutschland durch die damit beauftragten Herren in Paris zum Abschluß gebracht werden konnten. Die Vereinbarung über das Aufenthaltsrecht beruht auf zwei Grundlagen, nämlich erstens auf dem wiederholt geäußerten Wunsch der deutschen Regierung, daß die französischen Streitkräfte zum Zwecke der gemeinsamen Verteidigung in Deutschland stationiert bleiben, und zweitens auf der die deutsche Souveränität wahrenden Erklärung der französischen Regierung, daß auch in Zukunft der Aufenthalt der französischen Streitkräfte im Bundesgebiet das Einverständnis der Bundesregierung voraussetzt.
    In den Statusfragen sind die bisherigen Regelungen an die neuen Verhältnisse, die sich infolge der Herauslösung der französischen Streitkräfte aus dem militärischen Integrationsverband der NATO ergeben, angepaßt worden. Die hierfür erarbeitete Lösung soll eine enge Zusammenarbeit zwischen den französischen Streitkräften und den zuständigen deutschen Stellen gewährleisten.
    Das Verhandlungsergebnis ist nun beiden Regierungen unterbreitet worden. Es ist beabsichtigt, die erzielte Vereinbarung in Kürze durch einen Briefwechsel in Kraft zu setzen.
    Wir können mit Genugtuung feststellen, daß damit der Aufenthalt und Status der französischen Streitkräfte in Deutschland erneut eine, wie wir hoffen, solide Rechtsgrundlage erhalten hat. Wir haben, so meine ich, allen Anlaß, dieses Ergebnis als Zeichen der engen Verbundenheit mit Frankreich zu begrüßen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Im Bereich der westeuropäischen Zusammenarbeit und Einigung erscheinen mir vor allem zwei Tatsachen berichtenswert.
    Wir haben dieser Tage unseren britischen Verbündeten und den Vertretern anderer EFTA-Staaten, nicht zuletzt auch aus dem skandinavischen Norden, im Rahmen der WEU-Erörterungen und auch aus anderen Anlässen gesagt, wie sehr wir ihre Teilnahme am Gemeinsamen Markt bzw. an den europäischen Gemeinschaften begrüßen würden. Es ist abgespro-
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    Bundesminister Brandt
    chen worden, daß der Premierminister und der Außenminister Großbritanniens uns in dieser Sache Mitte Februar hier in Bonn besuchen, nachdem sie vorher in Rom und in Paris gewesen sein werden.
    Ich möchte übrigens nicht versäumen, bei dieser Gelegenheit dem britischen Außenminister, meinem Kollegen Brown, einen besonderen Dank dafür zu sagen, daß er sich in den vergangenen Wochen in der Abwehr ungerechter Angriffe auf das deutsche Volk und auf die Bundesrepublik Deutschland als ein so guter Freund bewährt hat.

    (Lebhafter Beifall bei allen Parteien.)

    Zum anderen: Der italienische Außenminister Fanfani hat — darauf hat der Kollege Stoltenberg in der Vormittagssitzung hingewiesen — in den vergangenen Tagen mit besonderem Nachdruck betont, so auch während der Sitzungen in Paris, daß wir im westlichen Europa große Anstrengungen unternehmen müssen, um das technologische Nachhinken Europas gegenüber den Weltmächten auszugleichen oder jedenfalls abzuschwächen. Diese Initiative trifft sich mit unserer eigenen Überlegung, wie sie in der Regierungserklärung ihren Niederschlag gefunden hat.
    Nachdem Herr Fanfani als Mitglied des Ministerrates der WEU Anfang kommender Woche bei uns in Bonn gewesen sein wird, freut es mich, daß ich selbst Anfang Januar in Rom die Möglichkeit haben werde, mit unseren italienischen Freunden über die Weiterentwicklung unserer vertrauensvollen Zusammenarbeit zu sprechen.
    Die letzten Tage, meine Damen und Herren, boten auch die Gelegenheit, vor allem natürlich auch mit dem Außenminister der Vereinigten Staaten von Amerika, seinen Kabinettskollegen, die mit in Europa waren, und seinen Mitarbeitern über unsere Zusammenarbeit, vor allem aber auch über Ost-West-Fragen und Probleme der gemeinsamen Sicherheit zu sprechen.
    Nun ist es so, daß die Diskussionen im NATO-Rat in dieser Stunde noch weitergehen und im Laufe der Abendstunden mit einem langen Kommuniqué schlossen werden. werden. Ich kann Ihnen ein solches Kommuniqué nicht vorlesen — es würde Sie auch eher langweilen —; aber ich möchte Ihnen doch meinen Eindruck von dem Verlauf der politischen Aussprache im NATO-Rat vortragen.
    Die Entschlossenheit der Allianz, in gemeinsamer Anstrengung für Sicherheit und Frieden einzutreten, ist unverändert, bei allen Unterschiedlichkeiten der Einschätzung, die es sonst zwischen den Bündnispartnern geben mag. Das Bündnis hat dadurch, daß es ihm gelungen war, der Bedrohung eine wirksame Abschreckung entgegenzustellen, mit die Grundlage für den Entspannungstrend gelegt, der sich innerhalb Europas abzeichnet. Ich glaube, es bestand Einigkeit darüber, daß der Wille zur gemeinsamen Friedenssicherung nicht nachlassen darf, wenn auf dem Wege zur Entspannung Fortschritte gemacht werden sollen.
    Die Verstärkung der Ost-West-Bozniehunge spielte dieser Tage in den Diskussionen des NATO-
    Rats eine große Rolle. Ich habe den Eindruck, daß es auf diesem Gebiet zu einigen Initiativen kommen wird, die sich sowohl in politischer und wirtschaftlicher als auch in wissenschaftlicher und kultureller Hinsicht positiv auswirken werden.
    Auch die Abrüstungsfrage und insbesondere die zur Verhinderung der Verbreitung von Kernwaffen erforderlichen Maßnahmen nehmen in den gegenwärtigen Diskussionen des Bündnisses einen großen Raum ein. Ich habe den Eindruck, daß die Bedeutung, die eine befriedigende Lösung dieser Fragen für eine Entspannung in Europa hat, von allen Beteiligten erkannt wird. Gleichzeitig sind sich aber auch alle darüber klar, daß diese Probleme in engem Zusammenhang mit der europäischen Sicherheit gesehen werden müssen.
    In den Sitzungen der Minister wurde eine Reihe von Beschlüssen gefaßt oder vorbereitet, die für die weitere Entwicklung der Allianz von Bedeutung sein werden. Diese Beschlüsse beziehen sich insbesondere auf zukünftige — aber mit Zukunft ist hier weniger als ein Jahr gemeint, also kurzfristig-zukünftige — Studien, die dazu gedacht sind, das Bündnis den Erfordernissen der Zukunft anzupassen. Solche Studienaufträge wurden gegeben für die Untersuchung des militärischen Potentials und der politischen Absichten der Sowjetunion, der Planung in nuklearen Fragen und der Verbesserung der Konsultation insbesondere in Krisenzeiten. Dieses letzte Gebiet erweist sich als besonders schwierig, da die sogenannte Krisenbeherrschung schon im nationalen Rahmen nicht leicht zu verwirklichen ist und deshalb international noch viel mehr durchdacht werden muß. Konkrete Beschlüsse konnten auf diesem Gebiet daher jetzt noch nicht gefaßt werden.
    Die Minister besprachen auch die Möglichkeiten der Nutzung von Fernmeldesatelliten und kamen überein, sich an einem vorgesehenen Projekt versuchsweise zu beteiligen.
    Herr Kollege Schmidt hat in der Generaldebatte des gestrigen Tages für die sozialdemokratische Fraktion bemängelt, daß die Regierungserklärung in bezug auf die Probleme der Rüstungskontrolle, der Atompolitik und der Bündnispolitik nicht deutlich oder nicht ausführlich gewesen sei, und Herr Kollege Mischnik hat für die Freien Demokraten gemeint, es gebe in der Regierungserklärung eine zu wenig klare Aussage zur Atompolitik, und der Verzicht auf nuklearen Besitz oder Mitbesitz sei nicht deutlich genug gemacht worden. Darf ich im Zusammenhang mit den Pariser Erörterungen innerhalb der NATO dazu folgendes bemerken.
    Die Regierungserklärung hat festgelegt, daß wir keine nationale Verfügungsgewalt über Atomwaffen und keinen nationalen Besitz an solchen Waffen anstreben. Auch wenn das für die meisten von uns nichts Neues war, so hat sich dies bei den Gesprächen und Verhandlungen, die der Kollege Schröder und ich dieser Tage zu führen hatten, als hilfreich erwiesen.
    Soweit bemängelt worden ist, daß man es nicht nur bei dieser Festlegung hätte bewenden lassen sollen, möchte ich dreierlei dazu sagen.
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    Bundesminister Brandt
    Erstens. Man sollte die Festlegung — das hat sicher auch keiner tun wollen —, die in der Regierungserklärung steckt, nicht unterschätzen. Die deutsche Regierung braucht andererseits einen genügenden Handlungsspielraum, wenn sie der sich verändernden Lage gerecht werden soll.
    Zweitens. Ich meine, der Sinn unserer Regierungserklärung ist, daß wir die Bemühungen um den Abschluß eines Vertrages gewiß nicht erschweren, sondern, wo es geht, eher erleichtern wollen — die Bemühungen um einen Vertrag, der die Ausbreitung von Atomwaffen in den nationalen Besitz weiterer Staaten verhindern würde. Außenminister Rusk hat mich über den aktuellen Stand der amerikanisch-sowjetischen Gespräche zum Thema der Non-Proliferation unterrichtet. Wir werden uns daraufhin und auch auf Grund der im Bündnis erörterten Möglichkeiten gemeinsamer Beratungen über die verschiedenen Aspekte der nuklearen Verteidigung unsere Meinung auf Grund des gegenwärtigen Standes zu bilden und diese dann im Bündnis zu vertreten haben. Dabei liegt auf der Hand: Wir wie andere im Bündnis sind daran interessiert, daß in einem solchen Nichtweiterverbreitungsvertrag, wenn er kommt, die schutzbedürftigen Interessen der nicht-nuklearen Mächte gebührend berücksichtigt werden. Wir wie andere müssen davon ausgehen, daß ein solcher Vertrag das natürliche und in der Charta der Vereinten Nationen verbriefte Recht auf kollektive Selbstverteidigung nicht beeinträchtigt und daß einem Vereinten Europa, von dem wir leider alle miteinander noch nicht wissen, wann es Wirklichkeit werden wird, die Entscheidungsfreiheit über seine Sicherheitspolitik nicht genommen wird.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es gibt einen dritten Gesichtspunkt in diesem Zusammenhang. Nach der konkreten Lage, mit der wir es zu tun haben, stellt sich das Problem des Mitbesitzes an einem Atomwaffensystem der Allianz in Wirklichkeit nicht. Ich sehe gerade nach den Besprechungen und Beratungen in diesen Tagen in Paris keinen Anlaß, daß wir auf diesem Gebiet Initiativen entwickelten. Falls wir es mit Initiativen anderer zu tun hätten, würde abzuwägen sein, wie sie und unser Reagieren auf diese sich zu unseren erklärten allgemeinpolitischen Interessen verhielten. Da es sich hier, soweit ich sehen kann, um ein eher theoretisches Problem handelt, erscheint es nicht lohnend und auch nicht sinnvoll, der Frage eines nuklearen Mitbesitzes weiter nachzugehen.
    Daß wir an der vollen Mitwirkung an der Gesamtstrategie der Allianz und an den sich daraus für uns ergebenden Fragen interessiert sein müssen, liegt auf der Hand. Ebenso wichtig ist es, daß wir Fehldeutungen unserer Absichten und vermeidbares Mißtrauen nicht auf uns lenken.
    Meine Damen und Herren! Im Zusammenhang mit den Ost-West-Fragen hat die Regierungserklärung draußen besonderes Interesse gefunden. Ich habe dieses Thema und das des deutschen Beitrags zur Sicherung des Friedens auch gestern vor dem NATO-Rat und in gewisser Beziehung auch schon vorgestern vor der Versammlung der WEU darlegen können. Ich habe auch unseren Freunden gegenüber darauf hingewiesen, daß bekanntlich mit der Errichtung deutscher Handelsvertretungen und durch langfristige Handelsabkommen eine neue Phase der Beziehungen mit den osteuropäischen Ländern eingeleitet worden war. Die Bundesregierung will — das hat sie in ihrer Erklärung gesagt — diese Politik ausbauen. Das gilt nicht nur für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen, soweit das möglich sein wird, sondern das gilt auch für die Bemühungen, der deutschen Ausfuhr wieder Erleichterung des Zugangs dieser Länder zum deutschen Markt, wo es geht, neue Wege zu ebnen. In diesem Zusammenhang wird es sich auch um Maßnahmen zur weiteren Liberalisierung handeln können. Darum ist die Initiative der deutschen Wirtschaft zu einer Kooperation mit Unternehmen Osteuropas zu fördern. Man kann nur hoffen, daß damit ein Beitrag zur Entwicklung neuer und zweckmäßiger Formen der Zusammenarbeit mit Staatshandelsländern gefunden werden kann.
    Ich möchte meinen, daß es auch darauf ankommt, die mannigfaltigen bilateralen kulturellen Beziehungen zu den Ländern Südost- und Osteuropas zu entwickeln bzw. auszubauen. Damit könnten wir deutlich machen — ich meine, wir sollten es tun —, daß es uns wirklich auf eine Politik der Verständigung und des gegenseitigen Verstehens ankommt, also nicht nur auf die, wenn man so will, bloße Form normaler diplomatischer Beziehungen.
    Manche Beobachter draußen haben dieser Tage die Auffassung vertreten, die deutsche Regierung sei mit ihrer Erklärung über das Münchener Abkommen der Regierung der Tschechoslowakischen Volksrepublik auf dem Wege zu_ einem tragbaren Kompromiß entgegengekommen und habe die Tür zu diplomatischen Beziehungen auch in dieser Richtung öffnen helfen. Gerade auch dieses Thema interessiert nicht nur in den Zeitungen der westlichen Welt. Leider eilt der letzte Teil — die Bemerkung über die diplomatischen Beziehungen — den Ereignissen weit voraus. Aber die Absicht dürfte klar genug geworden sein, den Weg zu einer Normalisierung auch der Tschechoslowakei gegenüber, wenn es geht, zu ebnen.
    Dabei sage ich noch einmal aus gegebenem Anlaß, was der Herr Bundeskanzler am Dienstag dem Hohen Hause im Rahmen der Regierungserklärung entwickelt hat. Wir wissen — das muß man auch in der westlichen Welt verstehen —, die Gefühle unserer sudetendeutschen Landsleute zu würdigen und sind und bleiben uns unserer Obhutspflicht für sie bewußt.

    (Abg. Stingl: Es sind aber nicht nur Gefühle!)

    Niemand wird auch nachträglich seine Zustimmung zum bitteren Unrecht der Vertreibung geben oder uns abverlangen können.

    (Beifall.)

    Die eigentlichen Deutschlandfragen sind am Mittwochabend im Rahmen der jährlich und manchmal
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    Bundesminister Brandt
    sogar halbjährlich stattfindenden Gespräche der Außenminister der drei Westmächte und der Bundesrepublik Deutschland zu viert erörtert worden. Sie haben in der politischen Diskussion im NATO- Rat gestern eine Rolle gespielt, auch in den Einzelgesprächen. Ich konnte vor dem NATO-Rat darauf hinweisen, daß ich aus dem Mund von General de Gaulle wiederholt dessen Überzeugung vorgetragen bekommen hatte, daß es sich bei dem Wiedererlangen der Einheit des deutschen Volkes um eine historische Notwendigkeit handele. Dabei hat er freilich hinzugefügt — das ist nicht neu —, daß er seinen Standpunkt zur Frage der Grenzen zwischen Deutschland und seinen Nachbarn bekanntgemacht habe und ihn nicht ändere.
    Mit Bezug auf Deutschland und Berlin gibt es keinen Zweifel daran, daß sich auch heute wieder die NATO-Partner als Ergebnis ihrer Konferenz weiterhin zu den Verpflichtungen bekennen werden, die sie seit den Jahren 1954 und 1958 hinsichtlich der Wiedervereinigung Deutschlands und der Sicherheit Berlins übernommen haben. Ich habe meinerseits erklärt, daß wir uns aus menschlichen, aus humanitären, aber auch aus nationalen Gründen, aber auch aus Gründen eines innerdeutschen Beitrages zur Entspannung für eine Verstärkung der Kontakte zugunsten der Menschen in den beiden Teilen Deutschlands einsetzen werden, damit das menschliche Leid, das durch die Teilung unseres Landes verursacht wird, gemildert wird und die nationale Substanz erhalten bleibt.
    Für diesen Teil dessen, was die Regierungserklärung dargelegt hat, gibt es viel Verständnis und auch viel Ermutigung durch unsere Freunde und Verbündeten, und es gibt keinen Grund zur Sorge, hierdurch könne in den Augen unserer Verbündeten unser Rechtsstandpunkt erschüttert werden.
    Wer das Echo auf die Regierungserklärung aus dem Osten verfolgt hat, kann sich freilich einer bemerkenswerten Feststellung nicht entziehen. Wir sehen die Amtsstellen in Ostberlin in einer Linie mit der Volkrepublik China und mit der Volksrepublik Albanien, während es in den anderen Ländern, in den Staaten Ost- und Südosteuropas eine davon deutlich unterschiedene, wenngleich stark differenzierte Reaktion gibt. Ich meine, wir können niemanden daran hindern, uns mit Skepsis zu begegnen. Aber ich möchte doch die Hoffnung aussprechen, daß der gute Wille der Bundesregierung, die Bereitschaft zu praktischen Fortschritten, auf eine entsprechende Bereitschaft in anderen Ländern stoßen wird.
    In diesem Zusammenhang erscheint auf Grund des ausländischen Echos ein unterstreichendes Wort der Erläuterung über die Frage der deutschen Grenzen angebracht, die nur mit einer gesamtdeutschen Regierung festgelegt werden können. Das wiedervereinigte Deutschland — so sagen es auch unsere Verbündeten erneut — wird erst am Ende eines Prozesses stehen können, von dem wir nicht wissen, wie lange er dauert und wie er im einzelnen verläuft.
    Zu unseren Bemühungen gehört — so sagt es die Regierungserklärung — gerade auch der Wunsch nach einer Aussöhnung mit Polen. Dieser Wunsch soll also nicht als ein bis zur Wiederherstellung der deutschen Einheit aufgeschobener Wunsch verstanden sein. Dementsprechend hat ja die Bundesregierung, als sie von ihrem Verhältnis zur Sowjetunion und zu den osteuropäischen Staaten sprach und sich auf die Friedensnote der vorigen Bundesregierung vom März dieses Jahres bezog, ihre Bereitschaft erklärt, das ungelöste Problem der deutschen Teilung und ihrer Überwindung in ihr Angebot auf Gewaltverzicht einzubeziehen. Es darf kein Zweifel daran bestehen, daß die Bundesregierung auch nicht gegenüber dem Gebiet, das heute den kommunistisch regierten Teil Deutschlands umfaßt, Gewalt anzuwenden beabsichtigt oder sich vorbehält.
    Meine Damen und Herren, noch zwei Worte zu regionalen Problemen, nicht weil ich hier unbedingt loswerden will, was man in einer Regierungserklärung nicht loswerden kann, wenn man als Außenminister versucht, an all die Teile der Welt zu denken, mit denen wir gut zusammenzuarbeiten haben. Ich sage also jetzt nicht nur, weil der neugewählte brasilianische Staatspräsident in wenigen Tagen zu uns kommt und uns besuchen wird, folgendes: daß die Beziehungen Deutschlands zu den Ländern Lateinamerikas, die mit Europa kulturell und geistig eng verbunden sind, auf einer traditionsreichen und ungetrübten Freundschaft beruhen. Alle freien Länder Lateinamerikas haben sich als treue Fürsprecher für das Recht unseres Volkes auf Selbstbestimmung in Frieden und Freiheit erwiesen. Wir sind voll Zuversicht, daß sich die lateinamerikanische Völkergruppe immer stärker als mitbewegende Kraft in dieser sich wandelnden Welt fühlt und daß ihre Stimme in zunehmendem Maße die ihr gebührende Beachtung in der internationalen Politik findet. Die deutsche Regierung wird die politische und wirtschaftliche Erstarkung aller freien lateinamerikanischen Nationen nach Kräften fördern und die Beziehungen zu diesen uns so eng befreundeten Völkern mit großer Sorgfalt pflegen.
    Das andere, meine Damen und Herren, ist dies: Wie schon aus der Regierungserklärung hervorgeht, betrachten wir es als eine wichtige Aufgabe, möglichst bald gute Beziehungen zu allen arabischen Staaten wiederherzustellen. Ich möchte in diesem Zusammenhang versichern, daß es auch im Nahen Osten selbstverständlich die Politik der Bundesregierung ist, sich nicht in die inneren Angelegenheiten fremder Staaten oder in regionale Konflikte einzumischen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und bei der FDP.)

    Dabei unterstützt die Bundesregierung alle Bemühungen, insbesondere die der Vereinten Nationen, die zu einer friedlichen und gerechten Lösung der Probleme im Nahen Osten beitragen können.
    Dann noch eine Bemerkung, die vielleicht eine Kleinigkeit über meinen Verantwortungsbereich als Bundesminister des Auswärtigen hinausgeht. Über Notwendigkeiten, Chancen, Gefahren und Pflichten der jetzt auf breiter Basis gebildeten Koalition ist sowohl in der Regierungserklärung und in dem, was der Bundeskanzler hier heute gesagt hat, wie im bis-
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    Bundesminister Brandt
    herigen Verlauf der Debatte für meine Begriffe fast alles gesagt worden, was nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge gesagt werden kann. Lassen Sie mich einen Gesichtspunkt hinzufügen, den ich auch in Gesprächen mit den Vertretern befreundeter Staaten mit verankerter demokratischer Ordnung zu interpretieren hatte.
    Die Fraktionsführer der Regierungsparteien haben in dem, was sie gestern ausgeführt haben und was ich nur nachlesen konnte, jeder auf seine Weise deutlich gemacht — auch für die, die es von draußen beobachten und die uns danach fragen —, daß die politischen Gruppierungen ihren Charakter behalten, der doch wohl — entgegen der Auffassung mancher Kritiker — auch bisher schon unverwechselbar gewesen ist. Nach den Gesprächen, die der Regierungsbildung voraufgingen, und nach Beginn der Arbeit des Kabinetts habe ich nicht den Eindruck, daß irgend jemand einen politischen Eintopf anzurichten oder einzurühren wünscht. Es wäre nicht aufrichtig, wenn man den Eindruck erwecken wollte, daß Überzeugungsunterschiede und solche der politischen Praxis zwischen den Parteien, die die Regierung tragen, und denen, die die Parteien in einer Regierung vertreten, über Nacht verschwunden wären. Einiges ist allerdings durch die mehrfach erwähnte Bestandsaufnahme ausgeräumt oder bereinigt oder reduziert worden. Diese Bestandsaufnahme hat zugleich gezeigt, wie eng in vielerlei Hinsicht unser. Handlungsspielraum ist und daß es großer Anstrengungen bedarf, diesen Handlungsspielraum zu erweitern. Das ist unsere Aufgabe.
    Wenn Stabilität und Wachstum im Innern und wenn die Handlungsfähigkeit der deutschen Regierung und der deutschen Politik nach außen stärker wiederhergestellt sein werden, so wird diese Regierung nicht nur einige Erfolge zu verzeichnen haben, sondern sie wird dann auch die Lage verändert haben, in der sich die Bundesrepublik Deutschland und ihre Regierung, wie immer sie gebildet wird, befinden werden. Wenn wir an die Reform der NATO, an das Fortschreiten der europäischen Einigung, aber auch an die Veränderung des Ost-West-Verhältnisses und an das Anpeilen von Grundpositionen einer friedensvertraglichen Regelung denken, dann werden wir über manches von dem hinausgelangt sein und hinausgelangen müssen, was sich uns heute erst in Ansätzen darstellt.
    Wenn hier — und noch mehr draußen — in dem, was geschrieben worden ist, beispielsweise vermißt wurde, daß die Bundesregierung in einigen der eben von mir erwähnten Fragen nicht konkreter geworden ist, so hat dies seinen guten Grund. Eine Bestandsaufnahme auf diesen Gebieten, meine Damen und Herren, ist nicht nur eine Sache der Bundesrepublik allein, sondern es liegt in der Natur der Sache, daß wir dazu die Auffassungen unserer Verbündeten und anderer so genau wie möglich kennen müssen. Dieser Prozeß hat begonnen. Es wäre nicht seriös gewesen, und es wäre auch heute nicht sachlich zu rechtfertigen, wenn die Bundesregierung auf diesem Gebiet mit einem fertig erscheinenden Konzept über das hinaus, was vorgetragen werden konnte, vor dieses Hohe Haus getreten wäre. Die Gespräche während und am Rande der NATO-Konferenz haben mir deutlich gemacht, daß, wie es so schön heißt, manches auf uns zukommt, was sich nicht nur in Weiterführung der Friedensnote vom März 1966 und aus den eigenen zusätzlichen Überlegungen ergibt, sondern auch aus der begonnenen sehr viel stärkeren politischen Konsultation im atlantischen Bündnis und aus den dabei mit erörterten möglichen neuen Formen internationaler Kooperation.
    Bei der Durchführung der Regierungserklärung — das gilt jedenfalls für den Bereich, über den ich einige Bemerkungen hier machen durfte —, werden wir uns über Beschäftigungsmangel jedenfalls nicht zu beklagen haben. Was wir brauchen, ist die Konzentration auf die dringendsten Aufgaben der allernächsten Jahre. Und dazu brauchen wir — das sage ich ganz besonders für den Bereich, den ich zu verantworten habe —, die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit allen Teilen und den kritischen Rat aller Teile dieses Hohen Hauses.
    Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)