Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zweifellos spricht aus der übersichtlichen und gestrafften Konzeption der Regierungserklärung der Wille, das Steuer fest in die Hand zu nehmen, um die Stabilität der Wirtschaft und ihr Wachstum zu sichern. Das ist Wohlklang in den Ohren des Mittelstandes, aus dessen Blickwinkel ich hier die Dinge sehe und behandle, des Mittelstandes, der in wachsendem Maße befürchtet, durch schleichende Geldentwertung und Preissteigerungen mehr oder weniger um die Früchte seiner Arbeit gebracht zu werden. Nun, die Bundesregierung erklärte als ihr oberstes Ziel die Beseitigung der allgemeinen wirtschaftlichen Unsicherheit und hat hierzu sehr konkrete Maßnahmen angekündigt. Aber wir sind in bezug auf Erklärungen gebrannte Kinder, und man kann es uns nicht verargen, wenn wir erst dann die Erklärungen honorieren, wenn ihnen die entsprechenden Taten gefolgt sind.
Ich muß mit Bedauern feststellen, daß bereits der erste Wermutstropfen in den reinen Wein des zweifellos guten Willens der Bundesregierung gefallen ist. Ich spreche von dem am Mittwoch dieser verabschiedeten Dritten Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts, das wir alle einstimmig angenommen haben, einem Gesetz, das den Haushalt mit 880 Millionen DM belastet, die zum großen Teil nach genau dem Prinzip verteilt werden sollen, das der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung aufs schärfste abgelehnt hat, nämlich nach dem Gießkannenprinzip. Hinzu kommt, daß es sich hier nicht um eine einmalige, sondern um eine sich jährlich wiederholende Aufwendung handelt, die den in der Regierungserklärung angesprochenen finanziellen Spielraum weiter einengt und zudem durch eine Dynamisierung noch ausgeweitet werden kann.
Zwar haben wir uns, meine Kollegen, gegenseitig damit beruhigt, daß dies vorläufig das letztemal sei, daß ein derartig ausgabenwirksames Gesetz zur Beschlußfassung vorliege und daß es sich in diesem Falle um Menschen mit einem beklagenswerten Schicksal handele. Das ist durchaus richtig; ich muß aber mit Verlaub bei dieser Gelegenheit an den Raucher denken, der immer wieder die angeblich letzte Zigarette raucht, um dann schließlich eines Tages dem Lungenkrebs zum Opfer zu fallen. Dieser Vergleich mag etwas makaber sein, aber unsere gesamte finanzielle Lage ist, meine ich, makaber, und sie kann nicht mit höflichen Redewendungen wegdiskutiert werden. Ich hoffe zu Gott Sie sehen, ich bin noch wundergläubig —, daß in diesem Falle wirklich nur einer Ausnahmesituation Rechnung getragen wurde. Mein Vorschlag wäre, meine Herren, auch meine neuen Freunde von der SPD,
— na ja gut: alten und neuen Freunde, einen heiligen Eid zu schwören, daß kein einziges ausgabenwirksames Gesetz verabschiedet werden soll, bis das große Loch im Haushalt in finanzpolitisch vernünftiger Weise gedeckt ist.
In diesem Zusammenhang ein Wort zu dem Erstarken der NPD, die nachweisbar gerade aus Kreisen des gewerblichen Mittelstandes erheblichen Zulauf hat. Mein Freund Opitz hat schon einige Bemerkungen in dieser Richtung gemacht. Der Grund dafür — ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit, denn es ist ein sehr ernstes Problem — liegt sicherlich nur zu einem Teil in einem zunehmenden Nationalismus bzw. in einem wiederkehrenden Nationalsozialismus. Mir scheint vielmehr, daß diese Kreise aus Existenzsorge die NPD wählen in der allerdings trügerischen Hoffnung, daß diese Partei ihre Interessen in einem höheren Maß politisch schützen werde, als es die Parteien tun, die die heutige Bundesregierung tragen. Immerhin müssen im Durchschnitt jährlich 38 000 Handwerksbetriebe ihre Betriebe aufgeben; die Zahlen des Einzelhandels und des übrigen gewerblichen Mittelstandes sind mir nicht bekannt. Das kommt hinzu. Auf diesem Hintergrund geht — so glaube ich — die Saat der NPD auf.
Es wäre gut, wenn die Bundesregierung diese Tatsache nicht aus den Augen verliert. Insbesondere
3792 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1966
Schulhoff
wäre beispielsweise bei der Verabschiedung des Gesetzes über die Nettoumsatzsteuer zu beachten, daß eine differenziertere Behandlung der kleinen und mittleren Betriebe vorgenommen werden muß, als es bisher vorgesehen ist. Allein die buchhalterischen Umstellungsschwierigkeiten werden viele Betriebsinhaber zur Aufgabe ihrer selbständigen Existenz veranlassen.
Die Ankündigung der Regierung, bei der Überprüfung der Subventionen keine Tabus mehr gelten zu lassen, wurde in den mir nahestehenden Mittelstandskreisen ebenso begrüßt wie die Zusicherung, mit Hilfe einer mittelfristigen Finanzplanung den Bundeshaushalt in Ordnung zu bringen. Hoffentlich wird man nicht gerade damit beginnen, die armseligen 12,5 Millionen DM Gewerbeförderungsmittel für das Handwerk zu kürzen oder sogar in Wegfall zu bringen. Ich habe etwas läuten hören. Der frühere Bundeswirtschafts- und jetzige Bundesschatzminister Schmücker, der allerdings nicht mehr hier im Raum ist, wird mir gern bestätigen, daß sich selten eine Unterstützung des Bundes volkswirtschaftlich und staatspolitisch so vorteilhaft ausgewirkt hat wie diese 12,5 Millionen DM.
Zu den angekündigten Steuererhöhungen ist zu bemerken, daß sie angesichts der schwierigen Haushaltslage nicht ganz zu umgehen sind. Wir wissen das, und wir rechnen auch damit. Nur machen wir darauf aufmerksam, Herr Wirtschaftsminister, daß jede derartige steuerliche Maßnahme auf ihre Auswirkungen auf alle Kreise der Wirtschaft genau durchdacht werden muß.
Es ist bereits darüber gesprochen worden — und die Zeitungen, die manchmal leider besser orientiert sind als die Abgeordneten, schreiben es schon —, daß die Absicht besteht, den allgemeinen Umsatzsteuersatz um 0,5 auf 4,5 % zu erhöhen. Das wäre natürlich eine billige Lösung und würde die Regierung von allen Kopfschmerzen befreien. Damit hätte sie theoretisch eine Mehreinnahme von wenigstens 2,5 Milliarden DM. Gleichzeitig allerdings würden die Preise davonlaufen, und von Stabilität könnte dann wirklich nicht mehr die Rede sein. Eine Regierung, so meine ich, die ihr Geschäft mit einer solchen Maßnahme beginnen würde, hätte bereits ihr Gesicht verloren. Zudem kann diese Maßnahme auch wieder leicht zum Übermut der vollen Kassen führen, dem wir in der Vergangenheit alle leicht zum Opfer gefallen sind.
— Meine lieben Kollegen, ich habe allen, die vor mir gesprochen haben, aufmerksam zugehört. Der kollegiale Anstand gebietet es, das auch bei mir zu tun. Außerdem bin ich gleich fertig.
Zusammenfassend ist zu sagen, daß die Regierungserklärung ein hoffnungsvoller Anfang ist, wenngleich nicht übersehen werden sollte, daß aus einigen angekündigten Maßnahmen, u. a. bei der Ankündigung, den Kreditmarkt stärker als bisher in Anspruch zu nehmen, ein bißchen eine mögliche Geldwertaufweichung durchschillert. Aber ich hoffe, meine lieben Kollegen, daß unser Strauß hier nicht den Kopf in den Sand steckt.
Der Dichter sagt: Nehmt alles nur in allem! Letztlich ist neben dem guten Willen die unbegrenzte Entschlossenheit, zu seinem Wort zu stehen, entscheidend. Wenn der Herr Bundeskanzler, der leider auch nicht mehr hier ist — er hat sicher noch wichtigere Verpflichtungen —, noch hier wäre, würde ich ihm ein Wort von Wilhelm Gerhard zurufen, das heißt: Landgraf, werde hart!