Herr Präsident, ich habe nicht den Vorzug, Philologe zu sein, ich bin nur ein Jurist und bitte vielmals, dies zu entschuldigen.
Man kann aber die Dinge auch anders betrachten. Wenn man sieht, wie jetzt die Ströme von Wohlwollen hinüber- und herüber- und herüber- und hinübergehen, wenn man sieht, wie sich die Frontstellungen in Wohlgefallen auflösen, wird man unwillkürlich an Dostojewskij erinnert, der in einem seiner Bücher einen der Beteiligten nach einer Beerdigung sagen läßt: „Erst solches Leid, und dann auf einmal Pfannkuchen!" So ähnlich ist es auch hier zur Zeit bei uns.
Nun, das Wirtschaftsressort hat seit 18 Jahren erstmals wieder einen der Sozialdemokratischen Partei angehörenden Ressortchef. Das ist, glaube ich, ein Anlaß, an den Vorgänger, Herrn Minister Schmücker, zu erinnern, der drei Jahre lang kraftvoll und erfolgreich dieses Amt geführt hat. Er verdient unser aller herzlichen Dank.
Zum Schluß war er auch noch kurz Finanzminister, und das in einer Situation, in der ein Finanzminister von der öffentlichen Meinung wohl nur Prügel erwarten mußte. In dieser Situation hat er Beifall auf der ganzen Linie geerntet. Ich glaube, das ist ein Kabinettsstuck im wahrsten Sinne des Wortes.
Wir haben jetzt aber andere Probleme als bisher. Bisher waren es die Preise und die Zahlungsbilanz, typische Probleme eines auslaufenden Wachstumszyklus. Die Stabilitätspolitik entsprang nicht einsamen Beschlüssen, sondern einem gesellschaftlichen Konsens. Das ergibt sich aus einem Kommuniqué, das nach einer Sitzung bei Bundeswirtschaftsminister Schmücker am 21. Januar 1966 veröffentlicht worden ist. In der Sitzung des Bundeswirtschaftsministers mit den Sozialpartnern waren auf der einen Seite die Gewerkschaftsführer Rosenberg, Leber und Brenner, auf der anderen Seite Herr Professor Balke und andere Arbeitgebervertreter anwesend. In dem Kommuniqué heißt ausdrücklich:
Alle Teilnehmer waren sich darin einig, daß in der gegenwärtigen Situation der Sicherung des Geldwertes Vorrang zukomme, auch wenn dafür eine Abschwächung des wirtschaftlichen Wachstums in Kauf genommen werden müßte.
Das möchte ich als eine erste Antwort an Herrn Kollegen Dr. Arndt hier ausdrücklich noch einmal vermerkt haben.
Das entspricht auch der Erkenntnis, daß Wachstumsverluste die logische Folge einer energischen Stabilitätspolitik sind. Das entspricht ferner dem zweiten Jahresgutachten und allen Empfehlungen, die wir von seiten der EWG in dieser Sache bekommen haben. Daß die Stabilitätspolitik auf der einen Seite Erfolge gezeitigt hat, das hat Herr Kollege Dr. Pohle vorhin schon vorgetragen. Ich möchte seine Ausführungen nicht wiederholen. Das bezieht sich einmal auf die Preissituation, wenngleich wir da heute noch nicht vollständig befriedigt sind. Insofern hat Herr Dr. Arndt völlig recht. Auf der anderen Seite aber bezieht sich das auf die Zahlungsbilanzsituation, die heute tatsächlich weitestgehend bereinigt ist. Auch die Sparneigung hat wieder zugenommen.
Es ist aber nicht zu bestreiten, daß jede Stabilitätspolitik zwangsläufig auch ihre Schattenseiten hat. Im zweiten Jahresgutachten war schon zu lesen: Wenn Geldwertstabilität keinen Preis hätte, wäre sie sicher längst verwirklicht. Daran, meine Damen und Herren, kommen wir nicht vorbei, wenn wir uns an allzu großen Preissteigerungen stoßen, wie das in der Vergangenheit ja der Fall gewesen ist.
Nachteile sind durch die Stabilitätspolitik vor allem in bezug auf die Wachstumsraten und in bezug auf den Kapitalmarkt eingetreten, aber beides ist von Anfang an vorhergesehen und in Kauf genommen worden. Das müssen wir hier nochmals ausdrücklich feststellen. Herr Präsident Schneider vom Deutschen Industrie- und Handelstag hat schon vor Monaten gesagt, daß wir nicht mehr um eine möglichst moderierte Rezession herumkommen, wenn wir wieder zu einer Stabilisierung kommen wollen, und Herr Benning hat noch am 4. November erklärt, daß die Kapitalmarktmisere eine durchaus kalkulierte Maßnahme war, um die Währung zu schützen. Das ist ein dankenswert offenes Wort von einem kompetenten Vertreter der Bundesbank gewesen.
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Dr. Luda
Damit, meine Damen und Herren, komme ich zur Rolle der Bundesbank. Für die künftige Arbeit dieser Bundesregierung ist, wie ich glaube, von entscheidender Bedeutung, daß die Stabilisierungserfolge maßgeblich auch Erfolge der Deutschen Bundesbank sind. Das muß hier eingeräumt werden. Weil aber die Deutsche Bundesbank nach dem Motto gehandelt hat: Harte Währung erfordert harte Entscheidungen, steht sie heute im Kreuzfeuer der Kritik, und einiges davon ist ja auch hier in dieser Debatte deutlich geworden. Meine Damen und Herren, ich persönlich bin der Meinung: Wir schulden den Mitgliedern des Zentralbankrates Dank dafür, daß sie den Mut und die Nervenkraft aufgebracht haben, die ihr hohes und schwieriges Amt in einer solchen Situation erfordern.
Daß die Situation begonnen hat, sich zu wandeln, daß es jetzt statt um Stabilität und Zahlungsbilanz um Stabilität und Wachstum geht, das hat die Bundesbank und die Bundesregierung schon seit Monaten berücksichtigt. Darauf muß ich hinweisen. Schon im Juli hat die Bundesbank die Exportfinanzierung erleichtert. Schon seit Monaten hat sie die erheblichen Liquiditätszuflüsse, die durch unseren Außenhandel hereingekommen sind, in ihrer Geldpolitik toleriert. Auf diese Weise sind vom Juli bis November dieses Jahres beim deutschen Bankensystem Liquiditätszuflüsse in Höhe von 3,3 Milliarden DM festzustellen gewesen. Schließlich haben wir die Mindestreservensenkung, die erst für den Monat Dezember — und lediglich für diesen Monat geplant war — inzwischen nun auf unbefristete Zeit verlängert.
Das alles hat den Geld- und Kapitalmarkt ganz entschieden aufgelockert. Die Banken sind — insofern muß ich Herrn Kollegen Dr. Arndt widersprechen — schon seit geraumer Zeit wieder an der Börse, an den Wertpapiermärkten als Käufer von Wertpapieren aufgetreten. Schon im dritten Quartal dieses Jahres haben die Banken wegen dieser gezielten Lockerungen in der Restriktionspolitik der Deutschen Bundesbank Wertpapiere im Wert von über 400 Millionen DM übernommen; im Oktober haben sie weitere Wertpapiere im Werte von 260 Millionen DM übernommen.
Dabei ist auch Herr Minister Schmücker beteiligt gewesen. Ich verweise auf das Kommuniqué, das nach einer Zentralbankratsitzung am 23. November veröffentlicht worden ist, in dem es ausdrücklich heißt, daß Staatssekretär Langer als Vertreter von Minister Schmücker dabei auf eine Reihe von Gefahrenmomenten verwiesen hat, die sich aus einer fortgesetzten Abschwächung der wirtschaftlichen Aktivität ergeben könnten. Diese Lockerungspolitik ist also ganz bewußt schon seit vier, fünf oder sechs Monaten sowohl von ,der Bundesbank wie auch von der Bundesergierung betrieben worden.
Die Bundesbank verfolgt seit Monaten ein Konzept differenzierter Maßnahmen und gewährt gezielte Lockerungen. Die von vielen erhoffte demonstrative Kehrtwendung ist bisher allerdings ausgeblieben. Ich möchte Ihnen hier als meine persönliche Meinung sagen: Wir müssen akzeptieren, daß die Entscheidung darüber ganz allein bei der Deutschen Bundesbank liegt.
Wir haben eines der besten Notenbankgesetze der Welt. Dieses Gesetz gewährt also der Zentralbank, also der Bundesbank, völlige Unabhängigkeit von jeglichen politischen Einflüssen. Auf dieses Gesetz sind wir stolz gewesen, und dessen sollten wir uns heute in dieser Situation erinnern. Die Direktoriumsmitglieder .der Deutschen Bundesbank haben in der Welt und in den entsprechenden Fachgremien auch des Internationalen Währungsfonds ,das höchste Ansehen. Sie gelten als Garanten für eine harte D-Mark. Der bloße Anschein, meine Damen und Herren, der vielleicht im Ausland auftauchen könnte, daß die Unabhängigkeit der Bundesbank gefährdet sei, könnte die Gefahr eines erheblichen Vertrauensverlustes mit nachteiligen Konsequenzen und Kettenreaktionen auf den Geld- und Kapitalmärkten zur Folge haben.
Wenn solche Vertrauenskrisen einträten, eventuell sogar mit solchen gefährlichen Kettenreaktionen, dann wäre jeglicher Traum von einer expansiven Wirtschaftspolitik in Deutschland endgültig ausgeträumt. Deshalb muß diese Gefahr ganz klar vermieden werden.
Die Position der Bundesbank ist also außerordentlich stark. Sie setzt den Möglichkeiten der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung gewisse Grenzen im Interesse der Währung. Das ist gut so. Denn, meine Damen und Herren, was ist soziale Marktwirtschaft? Soziale Marktwirtschaft ist Marktwirtschaft verbunden mit monetärer Disziplin. Daran müssen wir uns erinnern.
Stabilität ist aber nicht alles. Es gibt keine Stabilität ohne Wachstum. Das möchte ich ausdrücklich sagen. Ich möchte an dieser Stelle daher hier eine Lanze für das Wachstum unserer Volkswirtschaft brechen. Aber was sage ich? Eine Lanze? Ich möchte viele Lanzen brechen. Ich möchte am liebsten von früh bis spät nichts anderes tun, als Lanzen für das Wachstum unserer Volkswirtschaft zu brechen.
Aber nicht jede numerische Wachstumsrate ist von der gleichen Qualität. Das müssen wir bei jeder Wachstumspolitik erkennen. Mit Zuviel Schulden finanziertes Wachstum bringt nur zu hohe Kosten, zu hohe Preise und gefährdet schließlich die Vollbeschäftigung, eines unserer höchsten Ziele.
Meine Damen und Herren, wir brauchen deshalb eine solide Finanzierung des Wachstums. Wer ein Eigenheim bauen will, kann sich natürlich mit Hypotheken helfen. Das kann er aber nur dann tun, wenn er hinreichendes Eigenkapital zur Verfügung hat. Wer nicht genug Eigenkapital hat, dem sollte man kein Fremdkapital anvertrauen. Schon Adam Smith hat gesagt: Was im Haushalt einer einzelnen Familie töricht wäre, kann in einer Volkswirtschaft nicht sinnvoll sein. Die deutsche Volkswirtschaft —das ist der Tatbestand, den wir heute klar erkennen müssen — hat zuviel Hypotheken und zuwenig
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Dr. Luda
Eigenkapital. Das ist der Hauptgrund unserer Wachstumsverluste und nicht etwa die restriktive Kreditpolitik der Deutschen Bundesbank in der Vergangenheit.
Fragen Sie die Banken, meine Damen und Herren! Bei den Banken geht es im täglichen Geschäft nicht um Liquidität, sondern um Bonität, um das Problem der Sicherheiten. Trotz der Restriktionspolitik ist die Kreditschöpfung in den letzten Monaten schneller gewachsen als die langfristige Ersparnis in unserer Volkswirtschaft. Der Rückgang der Investitionen ist also nicht die Folge der Restriktionen, sondern zu hoher Kostenbelastung in unserer Wirtschaft.
Ich bin wegen des Rückgangs der Investitionen dankbar, daß die Regierungserklärung der Stabilitätspolitik dem Konjunkturzyklus gemäß einen stärkeren Wachstumsakzent gibt, aber nicht im Sinne ungehemmter Liquidisierung des Bankenapparates und nicht durch zügellose Geldvermehrung. Die Betonung liegt auf „kontrollierte Expansion".
Ich bin besonders dankbar, daß jede Expansionspolitik in dieser Regierungserklärung ausdrücklich an zwei Voraussetzungen geknüpft worden ist. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren:
Die Bundesregierung sieht in der Verabschiedung eines umfassenden Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft eine notwendige Voraussetzung für diese Politik.
Also: wollen wir expandieren durch Maßnahmen der staatlichen Wirtschaftspolitik, dann ist die erste Voraussetzung die Verabschiedung eines tauglichen Stabilitätsgesetzes. Ohne das geht es nicht.
Zweitens steht in der Regierungserklärung, daß der Spielraum der Expansionspolitik entscheidend von dem Erfolg einer freiwilligen und gemeinsamen Aktion der Gewerkschaften und der Unternehmensverbände zu einem stabilitätsgerechten Verhalten im Aufschwung abhängt. Was heißt das? Das heißt, meine Damen und Herren, daß Wachstum nur aus einer Phase der Stabilität, aus einer Phase des allseitigen Wohlverhaltens heraus und nicht auf der Basis wesentlicher Ungleichgewichte angekurbelt werden kann. Das war der Sinn der Stabilitätspolitik der Vergangenheit.
Die Regierungerklärung hebt sich also — das ist meine Auffassung — sehr erfreulich von ähnlichen Verlautbarungen ab, die wir in der letzten Zeit von anderer Seite gehört haben, z. B. von einer Verlautbarung des deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, das in seinem. Wochenbericht vom 10. November dieses Jahres vorgeschlagen hat, daß durch Maßnahmen der staatlichen Wirtschaftspolitik der Volkswirtschaft sofort ein inflatorischer Stoß von 5 Milliarden DM gegeben werden möge, und zwar bei der Bundesbahn durch zusätzliche Investitionen in Höhe von ,1 Milliarde DM, bei Infrastrukturinvestitionen von seiten des Bundes in Höhe von zusätzlichen 2 Milliarden DM sowie durch eine sofortige Senkung der Mindestreserve — noch vor Weihnachten — durch die Deutsche Bundesbank, die auch eine weitere Liquidisierung von 2 Milliarden DM für die Volkswirtschaft erbringen sollte.
Das, meine Damen und Herren, wäre eine typische Politik des „deficit-spending". Keynes, auf den das ja zurückgeht, schlägt aber eine solche Politik bei Rezessionen vor, die durch Nachfragemangel und durch Geldverknappung entstanden sind. Die Ursachen unserer Gleichgewichtsstörungen waren aber doch ganz im Gegenteil Übernachfrage und Geldvermehrung, und die Geldvermehrung dauert bis zum heutigen Tage an. Die Nachfrageseite — das ist völlig klar — ist heute anders zu beurteilen.
Das ist der Unterschied. Daher müssen wir solche Vorschläge des „deficit-spending" ganz energisch zurückweisen. Warum sage ich das? Ich sage das, weil in der Presse in den letzten Tagen vielfach behauptet worden ist, diese Große Koalition sei eine Koalition des leichten Geldes. Diese Behauptung wird nicht im Sinne einer situationsgerechten Liquidisierung des Bankenapparates, sondern im Sinne einer ausgesprochenen Konzeption der Geldschwemme, der Kreditspritze, also des monetären Leichtsinns, aufgestellt. Weil das nicht stimmt, weil niemand hier in diesem Hohen Hause dieser Auffassung sein wird, deshalb ist es unser aller Aufgabe, diesen Eindruck nachhaltig zu zerstören. Wir alle wollen Wachstum, das ist völlig klar; aber ein Wachstum durch Leistung und nicht ein Wachstum durch Manipulation mit dem Gelde.
Meine Damen und Herren, ein Volk, das zweimal sein Geld verloren hat, weiß ganz genau: mit dem Gelde spielt man nicht. Wirtschaften heißt: mit dem Vorhandenen auskommen. Man kann nicht ein nichterarbeitetes Wachstum hervorzaubern wie ein Zirkuskünstler Kaninchen aus dem Zylinder; das geht einfach nicht. Eine Politik der Geldschwemme würde zwar die Umsätze steigern, würde zwar Steuermehreinnahmen und auch den Haushaltsausgleich erzielen; ich müßte aber, obwohl das faszinierende Aspekte sind, doch sagen: Man würde dann zu spät erkennen, daß man — statt dem dringendsten Gebot zu folgen, nämlich die reale Leistung der Volkswirtschaft und damit das Sozialprodukt und die langfristigen Ersparnisse zu steigern, statt die Kostenbelastung der Volkswirtschaft zu mindern — einen Götzen angebetet hat, und zwar den Götzen Umsatz, und man würde zu spät merken, daß solche Gebete nicht erhört werden. Daher würde eine solche Politik, eine Politik der Scheinblüte, auf kurz oder lang eines unrühmlichen Todes sterben, und auf ihrem Grabstein würden die Worte geschrieben sein „Lord Keynes war ihr Schicksal". Meine Damen und Herren, dazu darf es nicht kommen. Niemand hier in diesem Hohen Hause wünscht eine solche Politik; dessen bin ich sicher. Daher mußte ich das Gerücht von einer derartigen Koalition des leichten Geldes nachhaltig zurückweisen.
Um die Schwierigkeiten, die wir haben, mit primitiven Tricks, mit einer Politik der Geldvermehrung zu überdecken, wäre keine große Koalition nötig gewesen. Meine Damen und Herren, das kann jede Koalition machen, gleichgültig, wie sie aussieht.
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Dr. Luda
Wenn das bald schon zu oft zitierte Wort von den notwendigen unpopulären Maßnahmen einen Sinn hat, dann gilt es ganz besonders im Falle einer Großen Koalition und ganz besonders für das Gebiet der Währungspolitik.
Meine Damen und Herren! Ich möchte in diesem Sinne an die Bundesregierung appellieren: Wollen Sie, wie wir alle, mehr Wachstum, so stärken Sie die Wettbewerbskraft der Wirtschaft nach außen, einmal durch Ablehnung jeder Aufwertung und jedes Aufwertungsersatzes. Wir haben keine importierte Inflation. Wir haben vielmehr Exportleistungen, die vielfach mit viel zu niedrigen Preisen erkämpft und erkauft werden müssen. Daß wir in den Jahren 1963/34 nicht dem Vorschlag gefolgt sind, die damalige importierte Inflation durch Variierung des umsatzsteuerlichen Grenzausgleichs zu bekämpfen, hat sich inzwischen als richtig erwiesen. Denn hätten wir so operiert, dann wären wir inzwischen aus etlichen Auslandsmärkten verdrängt. Man muß wissen, man kann beim Export nicht ein- oder aussteigen, wie es einem innenpolitisch gerade paßt.
Ein weiteres, meine Damen und Herren. Wenn die Bundesregierung die Kraft unserer Volkswirtschaft vor allem auf den Weltmärkten steigern will, so möge sie doch bitte alle Voraussetzungen — und es geht jetzt vor allen Dingen um die technischen Voraussetzungen — dafür schaffen, daß die Mehrwertsteuer fristgerecht in Kraft treten kann. Gerade die heute notleidenden Branchen in unserer Volkswirtschaft hätten, wenn die Mehrwertsteuer jetzt schon in Kraft wäre, entscheidende Hilfen für die augenblickliche Situation. Das wären Hilfen, die die Staatskasse keinen Pfennig an Subventionen kosten würden. Das gilt für die Stahlseite, das gilt für Textil, das gilt für Leder, das gilt neuerdings auch für die Automobilindustrie. Ich möchte darauf doch
extra noch hingewiesen haben. 1962 haben 66 Kollegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion einen von mir eingebrachten Mehrwertsteuergesetzentwurf unterstützt. Hätte der Entwurf von Anfang an eine breitere Unterstützung im 4. Deutschen Bundestag gehabt, dann hätten wir die Möglichkeit besessen, dieses wichtige Gesetzesvorhaben, das in erster Lesung im Finanzausschuß damals schon beraten worden war, noch im 4. Deutschen Bundestage zu verabschieden, und wären heute auch außenwirtschaftlich in einer viel besseren Situation.
Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, wenn Sie, wie wir alle, mehr Wachstum wollen, so benutzen Sie doch bitte den sozialen Dialog, den Sie ja führen wollen, vor allem um zu verhindern, daß das physische Leistungspotential unserer Volkswirtschaft noch mehr künstlich beschnitten wird. Wir haben 1956 durchschnittlich 48 Wochenstunden an Arbeitszeit in der Volkswirtschaft gehabt. Jetzt sind es durchschnittlich 42 Wochenstunden, und außerdem haben wir verlängerte Urlaubszeiten. Obwohl von 1955 bis 1965 die Zahl der Industriearbeiter um 20 % angestiegen ist, ist die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden in der Industrie in diesen zehn Jahren nur um 1,4 % angestiegen. Ich glaube, diese Relation sollte uns auch zu denken geben. Im Lande der Kapitalknappheit, in der Bundesrepublik Deutschland, sind die Maschinenruhezeiten die längsten in der ganzen Welt. Wenn wir mehr Wachstum wollen, dann müssen wir uns in erster Linie mit diesem Problem befassen.
Nun, meine Damen und Herren, ich hoffe, daß durch meine Ausführungen das eine deutlich geworden ist: daß alle Probleme, mit denen wir heute zu tun haben, Wohlstandsprobleme und keine Notstandsprobleme sind. Minister Schmücker hat kürzlich einmal gesagt: Unsere Not von heute ist, mit dem Überschuß fertigzuwerden. Das erinnert mich an ein Wort Solons von Athen aus dem 6. Jahrhundert vor Christus, der gesagt hat: Für den Reichtum ist den Menschen kein Ziel gesetzt; wer könnte wohl alle sättigen? In der Vergangenheit haben sich Maßstäbe bei uns herausgebildet, die den Realitäten nicht entsprechen. Gelingt es der Regierung, das der Bevölkerung klarzumachen, dann sind alle Probleme in absehbarer Frist lösbar. Wir von der CDU/CSU-Fraktion sind gern bereit, allen Mitgliedern der Bundesregierung dabei zu helfen.