Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man die Debatten verfolgt, kann man ganz klar feststellen, daß sich die Partner der heutigen Regierungskoalition bis vor ganz kurzer Zeit scharf bekämpft haben. Die Regierungserklärung enthält deshalb auch sehr viele Kompromisse, besonders auf wirtschaftspolitischem Gebiet. Wir von der FDP haben nicht den Eindruck, daß es sich um eine geschlossene Konzeption handelt. Wir befürchten, daß bei dieser — wie soll ich sagen — unklaren Ausrichtung der Regierungskoalition von der neuen Koalition kaum die richtigen Maßnahmen zu erwarten sind.
Man konnte drei divergierende Strömungen feststellen, nämlich die Außenpolitik der CSU, die Finanzpolitik der CDU und die Wirtschaftspolitik der SPD. Sie entstehen nämlich aus drei ganz verschiedenen Grundauffassungen zur Politik und auch zur Wirtschaft. Die seit fast 20 Jahren bewährte soziale Marktwirtschaft, die seinerzeit von der FDP mit Herrn Erhard durchgesetzt worden ist — womit ich aber der CDU nicht den Herrn Erhard stehlen will, wie vorhin jemand meinte —,
wird leider den planwirtschaftlichen Vorstellungen, die unsere Freunde von der SPD naturgemäß haben, bis zu einem gewissen Grade preisgegeben. Ich hoffe aber, daß die neuen Freunde Strauß und Schiller unsere Befürchtungen durch ihre Taten zerstreuen werden.
Wir werden jedenfalls sehr darauf achten, wie das Resultat dieser Arbeit aussehen wird.
Unsere Wirtschaft braucht eine klare Wirtschaftspolitik. Das hat der Herr Bundeskanzler gesagt. Wir vermissen aber, wie ich gesagt habe, die Konzeption, denn die neue Koalitionsregierung will das alte Rezept durchführen: Stabilität des Preisniveaus, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und forciertes Wachstum; und das, meine Damen und Herren, zur gleichen Zeit! Man spricht hier von einem magischen Viereck. Ich glaube, es ist auch ein magisches Vier-
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eck; denn es bedarf magischer Einflüsse — ich hoffe, daß die Kollegen Strauß und Schiller darüber verfügen —, um diese vier zum Teil sehr konträren Ziele ausrichten zu können.
Ich fürchte nämlich, daß das eine Ziel das andere stören könnte. Wenn die Regierung zwei Zielvorstellungen hat — forciertes Wachstum und Stabilität der Preise —, dann sind sie nicht zu gleicher Zeit zu verwirklichen. Man muß sich für ein Ziel entscheiden. Anscheinend will man das Wachstum vorrangig fördern. Wir von der FDP sind für ein Wachstum, das sich aus der Stabilität entwickelt,
während die Koalitionsregierung durch die Forcierung des Wachstums, ohne vorher den Bundeshaushalt in Ordnung gebracht zu haben, die bisherigen guten Ansätze für die Stabilität nach meiner Meinung aufs Spiel setzt.
— Die Hälfte ist auch ausreichend, Herr Kollege.
Obwohl die neuen Regierungsparteien vor der Koalitionsbildung versprachen, die Währung zu stabilisieren, sieht der Haushaltsvoranschlag für 1967 eine Erhöhung der Konsumausgaben um 8 % vor. Das ist kein Beitrag zur Stabilität! Statt die Ausgaben zu senken und den defizitären Haushalt auszugleichen, will die Koalitionsregierung gewissermaßen den angenehmen breiten Weg gehen, der nach der Bibel in die Hölle führt,
indem sie nämlich die Steuern erhöht und kräftig Schulden machen will.
Unser Kollege Möller hat allerdings ausgeführt, daß er das Defizit — er hat dafür scheinbar ein Geheimrezept — weder durch Erhöhung der Steuertarife noch durch Ausgabenkürzungen beseitigen will; sondern er meint, daß durch die Ankurbelung der Wirtschaft ein erhöhtes Steueraufkommen erzielt werden wird. Ich möchte ihm Recht geben. Wenn mehr Umsätze sind, gibt es mehr Steuern. Aber die Ankurbelung braucht erfahrungsgemäß ein halbes Jahr, bevor sie merkliche Auswirkungen hat. Eine weitere zwangsläufige Verzögerung tritt durch unser Steuererhebungsverfahren ein, so daß frühestens — wenn überhaupt — im Haushalt 1968 das Möllersche Ziel erreicht werden kann.
Ich sehe in dem forcierten Wachstum eine Umkehrung der bisherigen Politik der Stabilität. Während es die bisherige Bundesregierung aus gutem Grunde ängstlich vermieden hat, neue Anleihen zu placieren oder Kredite aufzunehmen, schlägt der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vor, 2,5 Milliarden DM — ich gebe zu, für an sich sehr wünschenswerte Investitionen — auf dem Kreditwege zu finanzieren. Wenn die neue Bundesregierung mit derart massiven Forderungen an den Kapitalmarkt herantritt, so kann die Wirtschaft nicht mehr die nötigen Mittel für die erforderlichen Investitionen der Produktionen bekommen.
Der Appell der neuen Koalition an die Bundesbank - und ich höre, daß Herr Schiller sich zur Zeit in Frankfurt befindet —, die Kreditrestriktionen zu lockern, wird eine sofortige Besserung des Kapitalmarktes nicht in dem Umfang herbeiführen, daß der Staat Milliardenkredite aufnehmen. kann. Die Krise am Kapitalmarkt ist doch nicht allein durch die Bundesbank entstanden. Sie ist daher auch nicht allein durch die Aufhebung der Restriktionen zu beheben. Es kommt auf die Reduzierung der Ausgaben der öffentlichen Hand und nicht auf deren Erhöhung an.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich mir auch die Bemerkung erlauben: Die Bundesbank muß auch von der neuen Bundesregierung als Hüterin der Währung respektiert werden. Das Bundesbankgesetz schreibt das ausdrücklich vor. Ich halte es daher nicht für richtig, daß die Regierungserklärung von der Bundesbank eine Änderung der bisherigen Restriktionspolitik verlangt. Das müßte verhandelt werden. Insofern begrüße ich es, daß Herr Schiller in Frankfurt ist.
— Herr Kollege, wenn Sie einen Einwurf machen wollen — ich kann Sie hier leider nicht hören —, dann lade ich Sie gerne dazu ein. — Eine solche Forderung sollte nicht in einer Regierungserklärung erhoben werden. Hier sehe ich einen Druck auf die Bundesbank. Das möchte ich im Interesse der Bundesbank hier gesagt haben.
Sie hat es bisher verstanden, zusammen mit der
Wirtschaft unsere Währung in Ordnung zu halten.
Meine Fraktion hat im Rahmen der vorigen Bundesregierung die rasche Verabschiedung des Stabilisierungsgesetzes gefordert, und zwar, um die Kreditaufnahme der öffentlichen Hand zu beschränken und um unsere D-Mark und die Wirtschaft in Ordnung zu halten. Die neue Bundesregierung hat den Gesetzentwurf in die Regierungserklärung übernommen, aber entscheidende Änderungen — im Gegensatz zur bisherigen Haltung unseres alten Koalitionspartners — angekündigt. Wie aus der Umbenennung des Gesetzestitels von „Stabilität" auf „Stabilität und Wachstum" zu erkennen ist und wie ich vorhin schon ausgeführt habe, hat sie das Wachstum in den Vordergrund gestellt. Ich glaube, daß unsere alten Kollegen ihre Grundsätze dabei aufgegeben und den Vorstellungen der SPD nachgegeben haben, die sie uns schon vor einigen Wochen vorgetragen hat.
So sehr wir das Wachstum der Wirtschaft wünschen, so sehr fürchten wir ein Abgleiten in die Instabilität. Da hat es mich besonders gefreut, daß einige meiner Vorredner aus der jetzigen Regierungskoalition derselben Ansicht sind wie ich und daß sie es hier freimütig gesagt haben.
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Ich halte die Meinung des Kollegen Arndt, daß die Bundesbank eine Deflationspolitik betrieben hat, nicht für ganz richtig. Der Kapitalmarkt war sicher ausgetrocknet. Aber durch wen? Durch die Anleihen der öffentlichen Hand, insbesondere der Gemeinden. Die Ansprüche an den Kapitalmarkt — das möchte ich bei dieser Gelegenheit einmal sagen — waren völlig übertrieben. Ich bin der Meinung — ich bin nicht der Vertreter der Bundesbank, damit kein Irrtum entsteht; wir von der FDP haben sie auch nicht übernommen —, daß sich die Bundesbank sehr große Verdienste erworben hat, indem sie die Augen der Öffentlichkeit darauf gerichtet hat, daß wir nicht einfach leben können — wie man früher so schön sagte — wie Gott in Frankreich.
- Genau, Sie meinen die Untergrundbahnen?
— Ich wohne nicht mehr in Düsseldorf. Das ist eine sehr schöne Stadt, Herr Mende. Ich muß wieder einmal hingehen.
Wie die Bundesbank mehrfach erklärt hat, sind neben der Ausgabenpolitik der öffentlichen Hand ohne Zweifel die ständig über den Produktivitätsfortschritt hinausgehenden Lohnkostensteigerungen eine Hauptursache für die inflationären Preistendenzen. Von 1960 bis 1966 stiegen die Lohnkosten pro Produktionseinheit real um fast ein Drittel. Dazu meinen die Sachverständigen in ihrem neuen Gutachten, daß es nicht mehr zu ertragen ist. Ich begrüße daher grundsätzlich den Vorschlag der Bundesregierung, den Tarifpartnern künftig Orientierungshilfen zu geben. Ich hoffe, daß die Daten für tragbare Lohnerhöhungen an dem realen Produktivitätszuwachs ausgerichtet werden. Wird dies aber der neuen Bundesregierung gelingen, wenn sie zugleich eine expansive Wirtschaftspolitik einleiten will? Das scheint mir fraglich. Ich fürchte, daß dann wieder übertriebene Lohnforderungen gestellt werden. Wir von der FDP werden als Opposition sehr sorgfältig beobachten, wie die neue Bundesregierung die Orientierungshilfen geben wird, ohne die Tarifhoheit anzutasten, und inwieweit es ihr gelingt, die Tarifpartner zu überzeugen. Diese Lohnleitlinien müssen so ausgerichtet sein, daß auch die mittelständischen Betriebe, die schwächeren Branchen und die lohnintensiven Dienstleistungsbetriebe sie ertragen können.
Nun möchte ich noch zu einem anderen Punkt kommen: Die Bundesregierung hat sich auch für die außenwirtschatfliche Absicherung unserer Währung ausgesprochen. Falls die Regierung beabsichtigt, die bisher bekannten Vorstellungen ihres neuen Koalitionspartners zu übernehmen, so möchte ich sie darauf aufmerksam machen, daß sie sich dann in einen Gegensatz zu den Äußerungen der Sachverständigen bei der öffentlichen Anhörung zum Stabilitätsgesetz im Wirtschaftsausschuß setzt. Die Sachverständigen haben damals übereinstimmend festgestellt, daß es zur Zeit keine sinnvollen Möglichkeiten für eine außenwirtschaftliche Absicherung gibt.