Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich will die Frage in zwei Teilen beantworten: Erstens haben wir heute noch nicht die Situation des Jahres 1930, ganz ohne Zweifel. Zweitens wäre damals die deutsche Reichsbank gut beraten gewesen, wenn sie schon 1928 die Kreditbremsen gelockert hätte. — Das sind die beiden Antworten darauf.
Meine Damen und Herren, wir werden — der Bundesfinanzminister ist um diese Aufgabe nicht zu beneiden — bei einer Finanzpolitik, die versucht, die Deckungslücken des Tages auf kontraktivem Wege zu schließen durch Ausgabenkürzung und durch Steuererhöhungen —, möglicherweise erleben, daß das gar nicht geht, daß sich die Schätzungen für unsere Basiseinnahmen an Steuern bei einem derartigen Manöver von Monat zu Monat verschlechtern werden.
Herr Dr. Möller hat darauf hingewiesen, daß die Institute bereits im Oktober eine pessimistischere Schätzung hatten als die damalige Bundesregierung. Dem Bundestag ist allerdings nur von der Schätzung der damaligen Regierung berichtet worden, die auf minus 1,1 Milliarden DM hinauslief und nicht auf minus 1,9 Milliarden DM. Aber die Institute würden wahrscheinlich bei der Schätzung, die sie das nächste Mal machen werden, für das Bundesfinanzministerium noch zu weit pessimistischeren Annahmen kommen müssen.
Wenn wir versuchten — das muß leider erörtert werden —, das Defizit, dieses Riesenloch im Bundeshaushalt, durch Steuererhöhungen und Ausgabekürzungen zu bekämpfen, würden wir nur erleben, daß nachher in den effektiven Zahlen das Defizit wiederkommt, und dann, Herr Dr. Schmidt, muß es ja auch finanziert werden. Darüber ist sich, glaube ich, sogar die Bundesbank klar, daß sie die Fehler der damaligen Reichsbank, eine Deflationspolitik sogar noch in einem sehr fortgeschrittenen Stadium zu betreiben, nicht machen wird.
— Ja, doch, wir machen eine. Denn antizyklische
Politik, Herr Dr. Schmidt, hätte geheißen, daß im
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1966 3771
Dr. Arndt
Jahre 1965 in Zeiten der Hochkonjunktur der Ausgabenstoß bei den Staatsausgaben hätte unterbleiben müssen und die Steuersenkung ebenfalls, und antizyklische Politik am Ende des Jahres 1966 — ich würde meinen, schon zur Jahresmitte 1966 — muß heißen, die Staatsausgaben nicht weiter zu drosseln und die Nachfrageentwicklung — man kann von einem regelrechten Zusammenbruch der Entwicklung der Binnennachfrage reden; bei den Exporten ist es anders — rechtzeitig zu stützen. Mit jedem Monat, für den das unterbleibt, wird die Situation für uns und für die Menschen draußen immer schwieriger werden. Jeder in diesem Hause wird — davon bin ich überzeugt — die Situation im Frühjahr auch mit diesen Mitteln bekämpfen wollen. Da wird es aber viel schwieriger sein.
Im Grunde genommen ist das, was von der Bundesbank erwartet wird, etwas ganz Selbstverständliches: Die Bundesbank soll situationsbezogen reagieren. Das heißt im Augenblick, sie soll die Liquidität der Banken so weit stärken, wie notwendig, damit die Banken z. B. Wertpapiere kaufen können, der Kapitalmarkt sich belebt und auch die öffentliche Hand nach einer gewissen Schonfrist an den Kapitalmarkt herantreten und die zusätzlichen Investitionen finanzieren kann, die halt notwendig sind, um die Wirtschaftsentwicklung zu stabilisieren. Denn es geht ja nicht nur darum, ob wir einen Monat mehr oder weniger Wachstumsverluste haben. Das könnte verschmerzt werden. Aber während dieses einen Monats überschreiten wiederum Menschen die politische Grenzlinie zum Radikalismus, und dieser Prozeß ist nicht so leicht reversibel wie der andere.
Antizyklische Politik heißt, ein halbes Jahr oder vielleicht noch länger vorher den Kurs zu ändern, also den Kurs zu einer Zeit zu ändern, wo das öffentliche Bewußtsein noch auf einer ganz anderen Situation ruht, auf dem der Überhitzung oder im anderen Fall auf der der Flaute. Das ist die schwierige Führungsaufgabe, die auch von dieser Regierung erwartet wird, die einer jeden bisher schon gestellt war: Bescheid zu wissen über die nächste Zukunft, um die Öffentlichkeit informieren zu können und um Verständnis zu wecken für die Maßnahmen der nächsten Zukunft. Das scheint mir im wirtschaftspolitischen Programm der Regierung hinreichend geschehen zu sein.
Es schadet nichts, wenn man genau weiß, daß wir durch ein Tal hindurch müssen, daß aber die Tiefe des Tals und seine Breite davon abhängen werden, wie schnell sich dieses Haus und wie schnell sich auch die bewußte Institution in Frankfurt am Main zu einer antizyklischen Politik — und das ist im Moment expansive Politik, das kann im nächsten Winter wiederum eine kontraktive sein — durchringen. Dafür wollte ich mit meinen Worten nur um Verständnis werben und die Regierungserklärung in diesem Punkte begrüßen.
Es geht hier nicht um Prioritäten zwischen Stabilität und Wachstum. Das sind gleichrangige Ziele. Aber wir haben gesehen, man kann Wachstum verlieren, ohne Stabilität zu gewinnen. Wenn aber mit dem Stabilitätsprogramm, das in der Regierungserklärung niedergelegt ist, ernst gemacht wird — was allerdings heißt, daß man die Gruppen in voller Information und in ihrem Interesse zu gleichgerichteten Aktionen zu gewinnen sucht —, kann man mit diesem Programm Wachstum und Stabilität haben. Zwar wird dies keine Preisindexsteigerung von Null sein, aber doch eine Preisstabilität, die weit besser ist als die, die in den letzten fünf Jahren durch Treibenlassen und prozyklisches Handeln — und wahrscheinlich beides nur aus einem Mangel an Bescheidwissen — entstanden ist.