Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte in diese Debatte, jedenfalls bei dieser Station, nicht eingegriffen, wenn nicht Kollege Starke eine Frage gestellt hätte, auf die ich mit einigen Worten eingehen will. Er hat sich auf eine Äußerung im „Industrie-Kurier" vom Samstag, dem 10. Dezember 1966, berufen und hat diese Äußerung korrekt zitiert. Ich bin zwar nicht der Meinung, daß Interviews oder Zeitungsartikel das Hauptausdrucksinstrument einer Bundesregierung sind. Ich weiß aber auch genau wie Sie, Herr Kollege Starke, aus eigener Amtserfahrung, daß man Äußerungen auf diesem Wege nicht einfach ausschließen kann. Ich bin hier bei Übernahme des Amtes um ein Wort an die Wirtschaft gebeten worden. Die wesentlichen Sätze daraus sind — und ich bitte Sie, mir zu erlauben, hier auch den Zusammenhang darstellen zu dürfen —:
Stabilität und Wachstum sind die wichtigsten Richtpunkte der Finanzpolitik.
Ich habe mit der Wahl dieser Reihenfolge Stabilität und Wachstum die Leitsterne ausdrücken wollen, die die Finanzpolitik auch der Zukunft bewegen müssen. Es heißt dort weiter:
Die Haushaltspolitik muß so gestaltet werden, daß sie wirtschaftliche Schwankungen ausgleicht, d.h. antizyklisch wirkt.
3764 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1966
Bundesminister Dr. h. c. Strauß
Ich bekenne mich damit zur Auffassung, daß es eine völlig neutrale Finanzpolitik, die das Wirtschaftsgeschehen in keiner Weise beeinflußt, sondern sich selbst überläßt, heute nicht mehr gibt.
Ich bin ein überzeugter Anhänger der sozialen Marktwirtschaft, und zwar durch die Einwirkung des damaligen Direktors der Verwaltung für Wirtschaft, Professor Ludwig Erhard. Ich unterstelle hier niemandem, daß er ein Anhänger einer — lassen Sie mich sagen — Manchester-kapitalistischen Marktwirtschaft ist. Wir haben dieses Konzept — das darf ich gerade an die Adresse der Freien Demokraten sagen — im Jahre 1948 gemeinsam durchgesetzt und über viele Jahre gemeinsam getragen.
Ich bin auch der Meinung, daß es absolut richtig war — wenn ich mich damit an Bundeskanzler Professor Erhard wenden darf —, in den ersten Jahren, in der ersten Phase der deutschen Nachkriegspolitik das deutsche Wirtschaftsgeschehen weder durch Einzeldirigismus noch durch Globalsteuerung allzusehr zu beeinflussen. In der ersten Phase war eine weitgehende Laissez-faire-laissez-aller-Politik durchaus richtig. Aber zum Begriff und zur Praxis der sozialen Marktwirtschaft gehört für mich auch eine gewisse Steuerung, wenn die Umstände und die Wandlungen der Zeit es erfordern, nicht auf dem Wege der Plan- oder Verwaltungswirtschaft, sondern auf dem Wege der Einsetzung eines gewissen Instrumentariums, wie bereits von Ihnen, Herr Professor Erhard, geschehen.
Heute ist in diesem Hause ein parteipolitischer Streit mit zum Teil bösen Akzenten ausgebrochen, als das Wort von der „Koalitionswürdigkeit" der Sozialdemokratischen Partei vom Kollegen Dr. Dehler ausgesprochen wurde. Das Wort „würdig" enthält immer so eine moralische oder moralinhafte Wertung, die in dem Zusammenhang keinen Sinn hat.
Ich darf ganz offen meine Position von 1949 zu diesem Thema darstellen. Ich war im Jahre 1948 — und bin es bis heute geblieben, wie bereits erwähnt — ein überzeugter Anhänger der sozialen Marktwirtschaft. Der Kampf für oder gegen das Erhardsche Wirtschaftskonzept stand im Mittelpunkt der Bundestagswahlen von 1949.
Das Wahlergebnis von 1949 ist bekannt. Ich war damals gegen die Große Koalition, nicht weil ich die Sozialdemokratie nicht für grundsätzlich koalitionswürdig gehalten hätte, sondern deshalb, weil ich der Meinung war, daß die Anhänger der sozialen Marktwirtschaft beweisen mußten, ob sie mit ihren Vorstellungen zum Erfolg kommen können oder nicht. Denn Teilerfolge werden dann von beiden Koalitionspartnern in Anspruch genommen; der Mißerfolg wird jeweils von einem dem anderen zugeschoben.
Ich war damals der Meinung, daß man dem Bundeswirtschaftsminister und seinem Kanzler — wenn ich mich so ausdrücken darf — angesichts der damaligen wirtschaftspolitischen Konfrontierung der beiden großen Parteien die Chance geben mußte, zu beweisen, daß es damit besser geht, schneller geht und leichter geht als auf dem damals von ,der SPD vertretenen Wege. Das enthält keine moralische oder charakterliche Wertung oder eine solche Wertung, die irgendwie falsche Maßstäbe setzen soll, sondern die Grundvorstellung, daß man dann, wenn sich die zwei großen Parteien in einer wesentlichen Frage — und damals sagten wir: die Wirtschaft ist unser Schicksal — so diametral gegenüberstehen, zunächst dem Volk die Entscheidung überlassen muß, welcher der beiden Richtungen es die Mehrheit gibt, und daß 'die, die dann die Mehrheit bekommen, auch den Mut und die Chance haben müssen, zu zeigen, ob sie durchkommen und das Risiko auf sich nehmen, zu-scheitern.
Ich habe, Herr Kollege Starke, in dem gleichen Zusammenhang gesagt:
Die Steuerpolitik hat in der gleichen Zielsetzung das stetige Wachstum der Wirtschaft zu fördern. Ohne ein gesichertes wirtschaftliches Wachstum würde es auf die Dauer keine Stabilität unserer Währung geben können. Eine Finanzpolitik, die der Stabilität einseitigen Vorrang einräumen würde, die also auch Stagnation Rezession in Kauf nehmen würde,
— hier heißt es: auch um den Preis einer wirtschaftlichen Stagnation oder gar Rezession —
wäre zum Scheitern verurteilt. Denn nur wenn es uns gelingt, unsere Leistungsfähigkeit immer weiter zu steigern, können wir auf den künftigen Märkten der Welt wettbewerbsfähig bleiben.
Es heißt weiter:
Die gegenwärtige wirtschaftliche Lage ist durch
eine starke Verlangsamung der Wirtschaftstätigkeit gekennzeichnet. Zugleich haben wir in den letzten Monaten das Ziel der Preisstabilität fast vollständig erreicht. Es ist an der Zeit, jetzt wieder ein schnelleres wirtschaftliches Wachstum anzulegen. Selbstverständlich bedarf es dazu eines engen Zusammenwirkens aller, die auf das wirtschaftliche Geschehen Einfluß haben. Für die Bundesregierung bedeutet das besonders eine ganz enge Zusammenarbeit zwischen Wirtschaftsminister und Finanzminister. Selbstverständlich
— heißt es weiter —
muß die Bundesregierung ihrerseits mit der Bundesbank sich abstimmen. Aber auch die Tarifpartner haben in der Lohnpolitik auf die gesamtwirtschaftliche Lage Rücksicht zu nehmen.
Ich will damit die Zitierung beenden und nur wenige Sätze zur Begründung sagen.
Ich erhebe damit nicht den Vorwurf, Herr Kollege Starke, daß die bisherige Finanzpolitik das Ziel der
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Bundesminister Dr. h. c. Strauß
Stagnation verfolgt hat. Aber ohne Zweifel haben die kontraktiven Entwicklungen der Wirtschaftspolitik der letzten Zeit, wie sie nicht so sehr von der Finanzpolitik verursacht worden sind als von der Bundesbank unter ganz gewissem Zwang, unter dem sie stand, eingeleitet worden sind, eine starke Verlangsamung des Wachstums mit sich gebracht und damit die Gefahr heraufbeschworen, daß wir Stabilität wollen und Stagnation erreichen, ohne das Ziel der Stabilität wirklich zu bewältigen.
Ich habe mich zu diesen Bemerkungen auch deshalb veranlaßt gesehen, weil nach meiner Erinnerung — ich konnte es jetzt im Augenblick nicht mehr nachprüfen — in der Sozialenquete steht, daß das gegenwärtige Sozialsystem der Bundesrepublik nur mit einer permanenten Wachstumsrate der Wirtschaft von 4,5 % jährlich aufrechterhalten werden kann, bei Unterschreitung dieser Wachstumsrate also zusammenbricht.
Ich bin nicht der Meinung, daß man alles so lassen kann, wie es ist. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung ganz bestimmte Richtlinien erteilt, er hat ganz bestimmte Ziele genannt, er hat ganz bestimmte Methoden damit angekündigt.