Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hoffe, daß ich die Reihe der Kurzredner beginne. In diesem Hause, in dem die parlamentarische Opposition klein geworden ist, besteht für uns die Gefahr, daß man die Zustimmung zur Regierungspolitik vielleicht etwas kleiner und etwaige kleine Bedenken etwas größer macht, damit das Ganze nach außen hin als ein normales Funktionieren unserer Spielregeln erscheint. Ich bin in der Tat schon diesmal in dieser Schwierigkeit. Da ist nämlich viel lebhafte Zustimmung und ein wenig an starken Bedenken zu dem zu sagen, was der Herr Bundeskanzler vorgestern hier an wirtschaftspolitischer Konzeption vorgetragen hat. Natürlich wird zwischen Konzeption und Ausführung später ein Unterschied sein; man möchte scherzhaft sagen: schon deshalb, weil wir in: die Durchführung, soweit sie legislative Maßnahmen erfordert, eingeschaltet sind. Aber die Konzeption der Regierung ist gut. Sie ist in der Tat gut, sie hört sich nicht nur gut an. Wir von der Wirtschaft vernehmen daraus mit Freude, daß Zusammenhänge wieder erkannt und festgestellt werden, die in Gefahr waren, nicht mehr gesehen zu werden.
Zunächst ein Wort zum Ernst der Lage. Die Bilanz, die die Regierungserklärung zieht, ist bitter. Für mich ist sie zu bitter, weil etwas, was wir in diesem Hause vor der Regierungsumbildung noch erlebt haben, nicht so ganz zum Ausdruck kommt, nämlich daß die Stabilitätspolitik der früheren Regierung und der übrigen Beteiligten schon wirksam geworden war und daß uns dieses Wirksamwerden bei unseren jetzigen Bemühungen schon zugute kommt.
Ein zweiter Vorteil ist, daß die Diskussion um die Stabilität schon viele Teilnehmer am Wirtschaftsprozeß wachsamer gemacht hat und daß wir zugleich mit dem Stabilitätsgesetz diesen Vorteil einheimsen werden.
Dem Stabilitätsgesetz möchte ich überhaupt eine noch größere Priorität zubilligen, als es die Regierungserklärung tut. Dabei schätze ich die Tatsache, daß wir dieses Gesetz haben werden und anwenden können, im Augenblick sogar höher ein als die sofortige Anwendung, die bekanntlich eine gewisse Problematik enthält. Inzwischen haben wir erneut gelernt, daß Stabilität nur durch täglichen Kampf zu erobern ist.
So sehe ich die Stabilitätsbemühungen der Bundesregierung mehr in einem harten täglichen Ringen als in einem formulierten Programm.
Ohne daß ich hier beanspruche, für die Wirtschaft zu sprechen, glaube ich, daß die Gesamtheit dessen, was der Herr Bundeskanzler für die neue Regierung vorgetragen hat, nicht nur in der großen Öffentlichkeit, sondern auch in den Entscheidungsräumen aller Wirtschaftsbeteiligten volle Zustimmung gefunden hat und eine Hoffnung darstellt. Wir werden ohne Vorbehalte und mit aller Kraft dabei sein, den neuen Kurs zu unterstützen.
Ein solches Wort vom neuen Kurs geht nicht leicht vom Mund. Wir haben inzwischen auch außerhalb der Regierungserklärung schon einiges zu dieser Marktwirtschaft mit Globalsteuerung gehört. Ich Labe diese Globalsteuerung, um deren Intensität und Instrumentarium es in der nächsten Zeit im wesentlichen gehen wird, für mich persönlich ganz leise, aber koalitionsgemäß eine intime und therapeutische „planification" genannt, intime deshalb, weil diese Orientierungshilfe vermutlich nicht des Holzhammers oder gar der Zwangsinstrumente bedarf, sondern sich mehr im Bereich der sanften Überzeugungskünste bewegen wird, und therapeutische, weil die Beeinflussung der Wirtschaft wohl ausschließlich prophylaktischen Charakters sein wird, nämlich so, daß die Triebkräfte der Wirtschaft und ihre Richtung nicht angegriffen und die Wachsamkeit der Unternehmer mit allgemeinen Hinweisen gesteigert werden.
In der Abgrenzung zwischen unserer bewährten sozialen Marktwirtschaft — die in der Regierungserklärung leider nicht so erwähnt worden ist —, die eine freiheitlich geordnete Marktwirtschaft ist, und der nicht bloß orientierenden, sondern bereits intervenierenden Wirtschaftspolitik liegt die Problematik der täglich neuen Regierungsarbeit. Ich kündige ausdrücklich für uns an, daß wir nicht milde werden, die Regierung bei Überschreitungen dieser Grenze mit allem Nachdruck an unsere bewährten Grundsätze, die ja auch Verfassungscharakter haben, zu erinnern. Aber es scheint, daß wir hierüber einig sind.
Die alte Wirtschaftspolitik, mit aktuellen Gedanken ausgestattet, wird das Verhältnis von wünschenswerter Stabilität zu notwendiger Expansion mit pragmatischer Beweglichkeit zu gestalten haben. Die Regierungserklärung stellt zu diesem Thema, über das nach meiner Ansicht nur Theoretiker sich allzu lang ereifern können, mit erfreulicher Klarheit fest, daß beides nötig ist: Festigkeit in den Grundlagen und Ausdehnung in den beweglichen Teilen. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Beweglichkeit darf nirgendwo galoppierend werden. Wir sind jetzt, glaube ich, mit einschlägigen Erfahrungen gesättigt und sollten die erhoffte Lockerung in den wirtschaftlichen Scharnieren ohne historische Angst und zum richtigen Zeitpunkt vollziehen können. Gegen eine tüchtige Portion Vorsicht bei diesem Vorgang wird die Wirtschaft nichts einzuwenden haben; denn was der Herr Bundeskanzler in der Regierungserklä-
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rung an flottmachender Expansion angekündigt hat, ist so viel, daß diese Dosis Vorsicht, die die Stabilität garantieren soll, niemals das Ziel gefährden kann. Ich vergesse dabei durchaus nicht, daß uns beide Dinge, mangelnde Stabilität und fehlende Expansion, in den Grundlagen unseres Wirtschaftsgefüges erschüttert haben.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang gerade auch an die Kreditfinanzierung der Investitionsausgaben denken. Sosehr ich die Aussichten begrüße, die die Regierungserklärung uns in der künftigen Leistung des Kapitalmarkts eröffnet, möchte ich die durch Konsumverzicht finanzierten Investitionen doch immer noch ein Stück höherstellen als die mit Kapitalmarktmitteln vorfinanzierten Investitionen.
Zur Notwendigkeit der Investitionen brauche ich keinen weiteren Beitrag zu leisten. Die Regierungserklärung gibt uns hier volle Genugtuung. Ohne öffentliche und private Investitionen sind wir sehr schnell in der Abstellkammer der Weltwirtschaft. Unsere Wirtschaft ist nämlich ohnehin durch ein Übergewicht der Konsumgüterproduktion in der Gesamtproduktion gekennzeichnet. Es liegt bei fast 50 %. In Frankreich hat de Gaulle diesen Anteil von 45 auf 39 % heruntergedrückt; in Amerika liegt er bei 35 %. Das bedeutet klar, daß diese Länder der Zukunft mehr Bedeutung beimessen als der Gegenwart.
Im öffentlichen Bereich sind die Investitionen zugleich unser regulierender und stabilisierender Faktor. Für die private Wirtschaft können wir sie je nach Lage dämpfen und besonders attraktiv machen. Aber befehlen können wir sie nicht. Deshalb möchte ich in noch schärferer Herausarbeitung des "Grundsatzes, der in der Regierungserklärung vertreten ist, sagen, daß alles darauf ankommt, die Voraussetzung für eine größere Investitionsneigung zu schaffen. Der Bremsweg der bekannten Restriktionen, der sich in den Investitionen, und zwar in den volkswirtschaftlich wertvollsten, am stärksten auswirkt, ist zu lang gewesen. Die Zahlen im Gutachten des Sachverständigenrates sind alarmierend. Hier muß mit harter Hand und — wenn ich das ohne Ironie sagen darf — global gesteuert werden, um zu verhindern, daß der erhoffte baldige Galopp nicht in die falsche Richtung geht.
Den Herrn Bundeswirtschaftsminister wird es nicht wundern, daß wir auf die Formulierung der Regierungserklärung zum erhofften Verhalten der Tarifpartner besonders gespannt waren. Es ist darin von einer engen freiwilligen Zusammenarbeit die Rede, und die Autonomie der Tarifpartner wird darin unterstrichen. Alles in Ordnung! In diesem Zusammenhang erscheinen dann die Orientierungsdaten, die die Bundesregierung den Tarifpartnern geben will. Wir erschrecken nicht mehr hiervor und handeln nach dem Satz, daß derjenige, dem ein guter Rat gegeben wird, ihn auch annehmen sollte. Nur möchte ich meinen — und ich sage das nicht ohne einen leichten Nachdruck —, daß es mit dem Überreichen von orientierenden Hinweisen auf gut gedrucktem Papier nicht sein Bewenden haben kann. Hier muß mehr getan werden, Herr Bundeskanzler und Herr Bundeswirtschaftsminister, ich möchte sagen, viel mehr, damit sich der Segen der Orientierung auch mit Sicherheit einstellt.
Inzwischen haben sich, wie man das im Verlauf der Kohlenkrise wieder gemerkt hat, auch andere Beteiligte in das Tarif-Geschehen eingeschaltet, so daß auch mit ihnen in der Klarheit, mit der eine so zusammengesetzte Regierung wie die Ihrige sprechen kann, geredet werden muß.
Vor den Vorgängen, die nur die weniger Braven eine Krise nennen dürfen, hätte niemand geglaubt, daß trotz der stärkeren Wachstumsdämpfung, die wir doch erlebt haben, der Preisauftrieb, der etwas matter geworden ist, aber keineswegs ganz nachgelassen hat, so verlaufen würde. Die Bundesregierung hat unseren vollen Beifall, wenn sie im Rahmen ihrer Stabilisierungsbemühungen diesem Faktor, der unseren ganzen Wettbewerb und damit unsere Wettbewerbsgrundlage gefährdet, nachgehen will. Unsereiner braucht nicht lange zu suchen, wenn es nicht gelingt, diesen Kostenfaktor einzuschränken, wird keine Stetigkeit im Auftragseingang und keine Stabilität in der Beschäftigung zu erreichen sein. Das ist auch letzten Endes der Grund, weshalb wir trotz aller fiskalischen Bedrängnisse an sich jede Steuererhöhung für ein Risiko und fast für einen Widerspruch halten und entschieden auf die letzte Stufe der Ausgleichsmöglichkeiten verweisen. Wenn jemand diese Ansicht nicht in dieser Schärfe teilen sollte, werden wir uns aber schnell darauf einigen, daß die Beseitigung des wachsenden Kostendrucks allem anderen vorangehen muß.
Mit der Subventionspolitik, wie in der Regierungserklärung angekündigt, werden Sie, Herr Bundeskanzler, bei der gewerblichen Wirtschaft keine Schwierigkeiten haben. Wer so entschlossen wie Sie den Wiederaufschwung der Wirtschaft, eine vernünftige Kreditrestriktionspolitik und in diesem Zusammenhang auch die Diskussionen über die Abschaffung der Kuponsteuer und die Koordinierung der nationalen und internationalen Politik zur Sicherung des Beschäftigungsstandes, eines angemessenen Wachstums und stabile Preise anstrebt, darf unserer vollen Unterstützung trotz dieser oder jener gegenteiligen Auffassung in einzelnen Fragen gewiß sein.
Ich hätte gern gesehen, daß Sie auch die Strukturpolitik und die Gesellschaftspolitik mit erwähnt hätten. Meine Kollegen Müller-Hermann und Orgaß werden hierzu noch im einzelnen Stellung nehmen.
Lassen Sie mich, bevor ich zu meinem wichtigen Schlußpunkt komme, nochmals zu der Feststellung zurückkehren: das Erfreulichste an der Regierungserklärung für die deutsche Wirtschaft war die terminologisch sichere und geistig sehr klare Bewertung der vielerlei Zusammenhänge des wirtschaftlichen Geschehens. Damit verbinde ich — viele werden es mit mir tun —, die Hoffnung, daß es unter dieser Regierung keine Einseitigkeit in der Betrachtung geben wird und daß unsere bewährte soziale Marktwirtschaft weder durch eine
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allzu harte monetäre Betrachtung noch durch außenwirtschaftliche Rücksichten noch durch das Überwuchern sozialer Gesichtspunkte von ihrem Kurs abkommt.
Genau genommen ist unsere Erkrankung jetzt 11/2 Jahre alt. Sie begann nicht bei der Wirtschaft, die nach wie vor ihr Bestes gegeben hat und insbesondere auch zum Zahlungsbilanzausgleich im letzten Jahr beigetragen hat. Deshalb, meine ich, sollte sie auch Anspruch auf eine gute Behandlung haben. Mit Recht stellt deshalb die Regierungserklärung fest, daß nur eine gut funktionierende Wirtschaft die Mittel aufbringen kann, deren der Staat für seine vielfältigen Aufgaben bedarf. Wir haben von dieser Regierungserklärung keine Wunder erwartet. Manches allzu abgerundete Wort wird noch seine Bewährung erbringen müssen. Vielleicht hilft uns auch der Schock der wirtschaftlichen Erschütterung, in der wir stehen, zu einem näheren Zusammenrücken. Ich hoffe es.
Was ich in dieser Hinsicht zum. Schluß sagen will, ist folgendes: Für diese Regierung wird die Beeinflussung der psychologischen Momente von entscheidender Bedeutung sein. Für die Wirtschaft gilt das ganz besonders. Ich glaube beispielsweise, ohne damit eine Bilanz ziehen zu wollen, daß wir die psychologischen Voraussetzungen für ein Gleichgewicht zwischen Expansion und Stabilität in der hinter uns liegenden Zeit unterschätzt haben.
Die Wirtschaft beansprucht mehr Psychologie, als sich aus Konjunkturausweisen, Börsenzetteln und Regierungsbekanntmachungen erkennen läßt. Arbeitnehmer und Arbeitgeber müssen bereit sein, die sichtbaren Fakten auch im Bereich ihrer eigenen Entschlüsse wirksam werden zu lassen.
Wie nachdrücklich haben wir in der vergangenen Zeit wieder einmal lernen müssen, daß beispielsweise die Entlassung oder Kurzarbeit von 600 Menschen an einer psychologischen Schlüsselstelle schockierender wirkte und eine stärkere Erkrankung auslöste als der stille Wegfall des Zehnfachen an Arbeitsplätzen in einem anderen Bereich. Bei dem sogenannten Krisengerede haben wir ebenso wie bei dem Antikrisengerede keine psychologischen Meisterleistungen vollbracht.
Was hier nötig ist, ist keine sogenannte Öffentlichkeitsarbeit wie die Herausgabe noch so eindrucksvoller Hinweise auf nüchterne Zahlen und tiefere Zusammenhänge; sie kann und sollte natürlich nicht unterbleiben. Das Fehlende ist die geeignete Ansprache an die Beteiligten, die Schaffung der Bereitschaft zum Anhören und zum Vertrauen.
Hier muß sich die neue Regierung mit anderen Methoden und Formen als bisher einschalten. Sie muß ihre persönliche Ausstrahlungsfähigkeit und damit ihren eigensten Kredit einsetzen. Das Ganze muß mit etwas mehr Phantasie einhergehen, als das bisher hierzulande üblich war. Ich möchte natürlich richtig verstanden werden. Was ich meine, ist nicht bloß eine andere Art von Appellen, sondern ein viel tieferes Engagement der neuen Regierung in ihren Haupteinflußbereichen mit komplementärer Autorität.
Ich will es an einem Beispiel verdeutlichen. Man muß spüren und wissen, daß dieser und jener Minister sein Geld auch nicht auf kurz, sondern auf lang bei der Bank hat, daß dieser Bundeskanzler nicht nur den Schneid hat, von notwendigen Opfern zu sprechen, sondern sie auch allen Interessenten abzutrotzen bereit ist, daß der Sparer ebenso wie der Unternehmer, der Kraftfahrer, der Steuerzahler, der Beamte und der öffentliche Angestellte unmittelbar angesprochen werden, zur Überwindung unserer gemeinsamen Schwierigkeiten gemeinsam beizutragen. Die psychologische Bereitschaft aller nach einer Zeit, die uns den Zusammenbruch vieler bisher integrierender Kräfte unseres Staatswesens bewußt werden ließ, zu wecken, ist eine der Hauptaufgaben der neuen Regierung. Gerade wir sind daran interessiert, daß ihre Lösung gelingt. Und der Sinn meiner Bemerkungen ist, auf die Wichtigkeit dieser psychologischen Faktoren nochmals hinzuweisen.
Der Vertrauensschwund, dem wir unterlegen sind, ist der gefährlichste Punkt in der Erfahrungsbilanz des letzten Jahres. Alle Kabinettsleistungen, die wir jetzt zu erwarten haben, nützen nichts, wenn nicht eine neue Verbindung zwischen Regierung und Regierten entsteht.