Rede von
Dr.
Wolfgang
Pohle
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dem großen Echo der Öffentlichkeit auf die Regierungserklärung dieser Koalition gibt es neben vielen treffenden Überlegungen auch manchen falschen Zungenschlag. Besonders befremdlich sind Spekulationen, nun sei es ja wohl mit der Marktwirtschaft vorbei. Deshalb will ich gleich am Anfang einen Irrtum ausräumen, bevor er sich richtig festsetzen kann. Das Konzept der von den Fraktionen CDU/CSU und SPD getragenen neuen Regierung ist ein marktwirtschaftliches Konzept. Wer Marktwirtschaft, wer soziale Marktwirtschaft, die wir trotz der Ausführungen des verehrten Kollegen Dr. Thomas Dehler als soziale Marktwirtschaft und nicht als liberale Marktwirtschaft bezeichnen,
mit Planlosigkeit gleichsetzt, wird freilich nicht auf seine Rechnung kommen.
Die künftige Wirtschaftspolitik wird in hohem Maße die Erkenntnisse der Wirtschaftswissenschaft berücksichtigen, und zwar sowohl in der Vorausschau als auch im Instrumentarium. Aber es gibt keinen Zweifel daran, daß die Marktwirtschaft, die alle Deutschen binnen weniger Jahre vom Chaos zum Wohlstand geführt hat, auch in Zukunft -die Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland bestimmen wird. Meine Freunde von der CDU/CSU-Fraktion und ich wissen, daß kein anderes Wirtschaftssystem jemals irgendwo auch nur einen annähernd ähnlichen Erfolg zu verzeichnen hatte. Auch unsere Kollegen in der neuen Koalition haben dies ja offenbar, wie ihr Programm und ihr Verhalten zeigt, seit einigen Jahren voll erkannt.
Diese neue Koalition, der zur Zeit noch manche skeptisch gegenüberstehen mögen, hat aus modernem marktwirtschaftlichem Denken heraus bereits innerhalb weniger Tage ihre erste Bewährungsprobe bestanden. Sie hat nämlich das Finanzplanungsgesetz, das Steueränderungsgesetz und die
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1966 3745
Dr. Pohle
Ergänzung zum Steueränderungsgesetz verabschiedet. Meine Damen und Herren, der politische Erfolg wiegt schwer; denn hier ging es nicht um Bagatellen, sondern hier ging es um tiefgreifende Eingriffe auf der Einnahmen- und auf der Ausgabenseite. Harte, aber erfreulich klare und sachliche Gespräche beider Fraktionen gingen dem voraus. Es erwies sich dabei als nützlich, daß beide Partner diese Koalition aus sachlichen Überlegungen heraus begründet haben. So konnte überall, selbst bei der Änderung der Regierungsvorlage, eine einheitliche Auffassung erarbeitet werden. Die Entscheidungen fielen im übergeordneten Interesse der Stabilität von Staat und Wirtschaft. Erfreuliche Übereinstimmung besteht über die Notwendigkeit, Entscheidungen von Dauer zu fällen und sich nicht nur auf Augenblickslösungen zu beschränken. Was nottut, ist eine Lösung der Spannungsursachen und nicht der Symptome.
Wir stehen deshalb hinter der Regierungserklärung, die wir billigen. Die Regierung hat deutlich gemacht, was sie will. Sie beschönigt die Fehler der Vergangenheit nicht, und sie gibt konkrete Richtlinien für die Zukunft. Gemeinsam mit der auf breiter Front gebildeten Regierung werden wir der gegenwärtigen Schwierigkeiten Herr zu werden versuchen.
Meine Damen und Herren, das bedeutet keineswegs, daß wir oder jeder von uns mit allen Einzelheiten der im Gesamtkonzept richtigen Regierungserklärung übereinstimmen. Ich möchte einige Akzente heute etwas anders setzen, als die Regierungserklärung sie vorsieht, und ich möchte mich bei diesen Akzenten auch nicht der pessimistischen Auffassung anschließen, die mein verehrter Kollege und Freund Möller soeben hat anklingen lassen.
Die Lösung der gegenwärtigen konjunktur- und finanzwirtschaftlichen Fragen ist natürlich nicht in einem Anlauf zu schaffen. Ungeduld wäre daher ein schlechter Berater. Wir sind uns auch angesichts der gegenwärtigen Schwierigkeiten der Tatsache bewußt, daß wir an zahlreiche Vorarbeiten der vorherigen Bundesregierungen anknüpfen können. Wir sind uns weiter voll der Tatsache bewußt, daß wir auf einem soliden Fundament einer erfolgreichen Politik der letzten 18 Jahre weiterarbeiten können.
Die Regierungserklärung bezeichnet an verschiedenen Stellen die Sicherung der Stabilität der Währung neben dem Wachstum der Wirtschaft als eine ihrer Hauptaufgaben. Der Herr Bundeskanzler hat ausgeführt, daß unsere Politik den Boden unter den Füßen verlieren würde, wenn das Wachstum der Wirtschaft die Stabilität der Währung gefährdete. Dem stimmen wir voll zu. Folgt doch daraus, daß auch nach Ansicht der Bundesregierung zwischen Stabilität und Wachstum ein logischer, ein innerer Zusammenhang besteht und daß beide Begriffe sich durchaus nicht auszuschließen brauchen. Bei einer Wachstumsrate des realen Bruttosozialprodukts von 4 % kann dem Gesichtspunkt der Stabilität voll Rechnung getragen werden.
Indes, meine Damen und Herren, es fällt auf, daß die Regierungserklärung offensichtlich stärkere Akzente auf Expansion setzt.
— Ja, mir fällt das ebenso auf wie Ihnen, Herr Starke. Ich kann es ja auch sagen. Glauben Sie, daß Sie der einzige sind, der die Regierungserklärung hört und liest?
Oder ist es ein Zufall, daß die Regierungserklärung das sogenannte Stabilitätsgesetz jetzt „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft" nennt, während es dem Parlament seinerzeit unter der alleinigen Firma „Gesetz zur Förderung der Stabilität" vorgelegt wurde?
Natürlich, meine Damen und Herren, das ist eine Binsenwahrheit: Wenn das wirtschaftliche Wachstum stockt, können sich Rückwirkungen ergeben. Einige Branchen — den in einer Strukturkrise befindlichen Steinkohlenbergbau und die ganzen Strukturfragen der Landwirtschaft nicht mitgerechnet — befinden sich in einer schwierigen Lage oder in einer Stagnation. Um nur einige Biespiele zu nennen — Herr Möller hat es im einzelnen ausgeführt —: Verlangsamung oder gar Stillstand der Zuwachsraten, Stahl, Fahrzeugbau und Bauwirtschaft zeigen rückläufige oder stagnierende Ziffern. Die Erträge sind, wie auch die rückläufigen Steuer- oder Steuerzuwachszahlen ausweisen, abgebröckelt.
Dennoch, so meine ich, sollte uns, meine Damen und Herren, die Sorge um die Stabilität unserer Währung vordringlich sein.
Sie gehört nun einmal zu den ökonomischen Grundlagen unserer Existenz. Darauf sollten wir uns stets besinnen. Es kommt jetzt in der Tagespraxis darauf an, in der Balance zwischen Wachstum und Stabilität Einseitigkeiten zu vermeiden. Das wird in unmittelbarer Zukunft eine der wichtigsten Aufgaben der Fraktionen im Deutschen Bundestag sein. Gewiß, die gleiche Notwendigkeit stellt sich heute jedem, der in Bund, Ländern und Gemeinden, in der Wirtschaft und in den Verbänden an verantwortlicher Stelle wirkt. Aber uns, meine Damen und Herren, den Vertretern des Volkes in diesem unserem Staat, der Bundesrepublik Deutschland, wird hier für unsere Beratungs- und Gesetzgebungsarbeit eine besondere und sicherlich oft schwierige Verantwortung zuteil. Wir sollten uns, meine ich, für unsere wirtschaftspolitischen Entscheidungen zur Richtschnur dienen lassen: Stabilitätspolitik allein bringt die Gefahren der Stagnation und Rezession, aber Wachstumspolitik allein verführt nun einmal zu leichtem Gelde und zu inflatorischem Aufwind. Dieser Zustand — darüber seien wir uns klar — hat unsere gegenwärtige Misere herbeigeführt, und er darf sich nicht wiederholen.
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Dr. Pohle
Nicht Wachstum oder Stabilität, sondern Stabilität ohne Stagnation muß nach wie vor unsere Losung sein.
Natürlich, meine Damen und Herren, ist das leichter gesagt als getan. Aber das Ziel und die Lösung dieses vorhandenen oder vermeintlichen Zielkonflikts müssen wir uns bei allen Detailüberlegungen stets vor Augen halten. Sie werden uns zweifellos auch untereinander in verschiedenen Punkten in dieser oder jener Beziehung Meinungsverschiedenheiten bringen, nicht nur zwischen uns — vielleicht stimmen wir auch überein —, Herr Starke.
Für dieses Ziel, das man auch als Wachstum auf stabiler Basis definieren kann, dürfen wir uns von Anfang an nicht auf Überbrückungen oder Augenblickslösungen beschränken. Was nottut, ist nicht ein Herumkurieren an Symptomen, sondern die Behebung der Spannungsursachen. Ich komme darauf zurück.
Meine Damen und Herren, was ist zu tun? Vor uns steht in erster Linie der Ausgleich des Bundeshaushalts, dem sowohl die erste gesetzgeberische Maßnahme als auch ein wesentlicher Teil der Regierungserklärung galt. Mit großer Klarheit hat der Bundeskanzler Fehler aufgezeigt, die wir alle miteinander mit zu verantworten haben. Ich will mich bemühen, auch an dieser Stelle nicht in Einseitigkeit zu verfallen. Wir sollten uns durchaus der Tatsache bewußt bleiben, daß wir auf vielen Gebieten auf dem soliden Fundament einer erfolgreichen Politik der letzten 18 Jahre weiterbauen können. Aber es gilt ebenso, jetzt ohne Verzug Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. Dazu müssen wir zunächst die Aufgaben sehen, die wir sofort und auf längere Sicht lösen müssen. Es sind dies die Ordnung der öffentlichen Finanzen und damit des Kapitalmarktes, die Sicherung des Geldwertes und dadurch die Ermöglichung eines weiteren und echten Wirtschaftswachstums.
— Sie waren damals doch in der Regierung, Sie stellten ja damals den Finanzminister.
— Aber Sie haben doch seit Jahr und Tag den Finanzminister gestellt.
— Ich kann aber so argumentieren, daß Sie sich jetzt nicht plötzlich um die damalige Regierungsverantwortung drücken können. —
Die Regierungserklärung ist nicht so weit gegangen wie das geltende Recht in England und Frankreich. Das hat gute Gründe.