Ich habe gesagt: Das hat die Regierung verlangt. Was die Regierung verlangt, ausdrücklich, expressis verbis, ist ein unwürdiger Trick.
— Ein unwürdiger Trick! — Wer etwas von der Geschichte weiß, der hat auch ein Bewußtsein für die bildenden geschichtlichen Kräfte. Das sind nun einmal — das reicht tief in das vorige Jahrhundert zurück — die katholisch bestimmten politischen Kräfte, auch 1848 entstanden: erster Katholikentag in Mainz, Bildung der Pius-Vereine, daraus ist das Zentrum entstanden mit vielen Abwandlungen. Das ist eine politische Kraft. Sie haben in der Union versucht, eine neue Formung dafür zu finden. Da gibt es auch seit 1848 die Anfänge der Sozialdemokratischen Partei. — Die Sozialdemokratische Partei
— das fällt mir gerade ein, Herr Schmidt, wenn Sie noch einen Augenblick zuhören: wenn Sie verstehen wollen, daß wir 1949 nicht der Meinung waren, daß Sie koalitionsfähig waren, — die SPD hat 1948 noch Plakate angeschlagen mit dem Faksimiledruck des Kommunistischen Manifests aus dem Jahre 1848 mit der Forderung: 1948 muß es Wirklichkeit werden! Durchaus hervorragend, was Sie inzwischen geleistet haben! Der Prozeß der Entideologisierung: eine treffliche Sache! Und ich glaube, das Godesberger Programm ist noch kein Schlußpunkt, sondern wird noch weiter führen. Die dritte geistige Kraft ist die Liberalität.
Auf dem Kontinent gibt es nicht das Mehrheitswahlrecht als funktionsfähiges Wahlrecht. Das Mehrheitswahlrecht ist unter ganz anderen Voraussetzungen in England entstanden.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1966 3733
Dr. Dehler
Als es den Einfall des Sozialismus in Gestalt der
Labour Party noch nicht gab, da hat es funktioniert.
Jetzt, mit dem Hochkommen der Labour Party — —
— Denken Sie einmal zurück an das, was bei der ersten Nachkriegswahl 1945 geschehen ist, als ein Winston Churchill in die Wüste geschickt wurde, und nicht nur das: eine Labour-Regierung ans Ruder kam und die Wirtschafts und Gesellschaftsordnung umstülpte, die Grundstoffe, die Banken, den Verkehr, bis zur Chemie sozialisierte. Das Mehrheitswahlrecht in England funktioniert nicht mehr. Wo funktioniert es denn? Doch nur in den Vereinigten Staaten, und zwar deswegen, weil es dort die beiden Parteien, die sich hier in dieser Koalition zusammengefunden haben, nicht gibt. Kein Gedanke daran, sich mit dem Namen des Erlösers politisch organisieren zu wollen, keine Vorstellung von Sozialismus, sondern zwei zwar sehr mannigfaltige, aber im Grunde doch liberale Parteien. Dort funktioniert das Mehrheitswahlrecht.
— Neben der Präsidialdemokratie, die ich ja vergeblich erstrebt habe. Carlo Schmidt wird sich an meinen Antrag im Parlamentarischen Rat erinnern.
— So sind doch die Dinge. Diese Erklärung der Regierung zum Wahlrecht verrät einen Mangel an geschichtlichem und politischem Sinn, der mich tief betrübt.
Nun noch ein Wort zum Übergangswahlrecht, das man angekündigt hat. Auch da hat ein hervorragender Mann — es ist erstaunlich, wieviel gute Leute die Sozialdemokratie hervorgebracht hat —,
mein Kollege vom Parlamentarischen Rat und der spätere Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Rudolf Katz, in einem Beitrag zur Festgabe für Carlo Schmid, also mit gesteigerter Bedeutung und Wirkung, ausgeführt, was er von einer Änderung des Wahlrechtes hält. Es handelt sich um einen Beitrag „Zur Änderung des Wahlgesetzes, eine Anregung zu einer verfassungsrechtlichen Erschwerung". Er folgert, daß Änderungen von Wahlgesetzen frühestens bei der übernächsten Wahl 'in Kraft treten sollen, weil die Beständigkeit des Wahlrechts für die Konsolidierung der Demokratie weit wichtiger ist als seine Perfektionierung.
Soviel gegen den Versuch, für die Wahl von 1969 ein manipuliertes Übergangswahlrecht schaffen zu wollen. Lassen Sie die Hände von diesen Versuchen! Lesen Sie doch nach, was der Bericht der vom Bundesminister des Innern — ich glaube, es war damals der Kollege Heinemann — eingesetzten Wahlrechtskommission 1955 sagt:
Wahlgesetze sollten von opportunistischen Berechnungen der jeweiligen Mehrheit bestimmten Abänderungen entzogen sein.
Es ist also ein trüber Versuch, aber charakteristisch und für mich bedenklich, weil ich das Gefühl habe: Hier wird weit über die Wahltechnik hinaus versucht, eine geistige Haltung zu ersticken, die für unser Volk von größter Bedeutung ist.
Was war denn bisher wirksam? Wem verdanken wir das, meine Damen und Herren, was an Wertvollem in der Bundesrepublik entstanden ist?
— Nein, ich spreche einmal von geistigen Vorstellungen. Ich weiß, daß es Gott sei Dank auch verirrte, versprengte Liberale bei der SPD und selbst bei der CDU/CSU gibt.
Noch einmal: Ausschließlich unsere marktwirtschaftlichen Vorstellungen haben sich durchgesetzt.
Jetzt ein Wort an die Bayern, die eben „Ei!" geschrieen haben. Vor wenigen Tagen — ich glaube, es war der 1. Dezember — ist die 20. Wiederkehr des Tages der Annahme der Bayerischen Verfassung gefeiert worden. Mich hat man schon nicht mehr eingeladen; ich war ja auch ein leidenschaftlicher Gegner. Ich möchte Ihnen einmal raten, hier und da diese Verfassung herzunehmen, um zu erkennen, von welchen geistigen Vorstellungen die CSU ausgegangen ist.
Diese Bayerische Verfassung ist — ich will es nicht hart sagen — eine Vereinbarung zwischen CSU, dargestellt von Dr. Hundhammer, und SPD, dargestellt von Dr. Hoegner. Dr. Hoegner bekam die Sozialisierung, die Sozialisierung der Grundstoffe, die Bedarfsdeckungswirtschaft — der Staat leitet die Wirtschaft und deckt den Bedarf —, natürlich auch das Mitbestimmungsrecht in wirtschaftlichen Fragen usw. Und umgekehrt hat der Herr Hundhammer die weit über das Konkordat und über die Kirchenverträge hinausreichende, so gut wie ausschließliche Konfessionsschule erhalten. Das waren die geistigen Grundlagen der CSU.
— Das weiß ich, Herr Dittrich. Ich weiß es viel besser als Sie. Ich war dabei. Ich war Mitglied des Verfassungsausschusses und habe es mir wahrlich nicht leicht gemacht. Es ist weggeschwemmt.
Natürlich, Ludwig Erhard und die Freien Demokraten haben die wirtschaftlichen Irrtümer der bayerischen Verfassung beiseite geschoben, und der andere Irrtum wird hoffentlich — wenn Gott will, muß ich schon sagen — durch die Annahme unseres Volksbegehrens zur christlichen Gemeinschaftsschule als weiterer Regelschule neben der Konfessionsschule ebenfalls überwunden werden.
— Ich werde Ihnen ein Wort dazu sagen, Herr Dittrich: Das verführte, verdummte, von Ihnen — —
Was wir in diesem Wahlkampf erlebt haben — —
3734 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1966
Dr. Dehler
— Sie haben nur gegen uns gekämpft.
- Nur gegen uns! Sie haben nicht gegen die illiberalen und antidemokratischen Kräfte gekämpft, die ihr Haupt zu erheben wagen. Das haben Sie nicht getan. Ein politisierender Prälat in Würzburg hat es fertiggebracht, der Hoffnung Ausdruck zu geben, daß es der NPD gelingen möge, uns so zu dezimieren, daß wir nicht mehr in den Landtag kämen. Halten Sie das für einen guten Wahlkampf?
— Durch Sie weitgehend, ja!