Herr Schultz, es ist gar kein Zweifel, mit dieser Minderheit meine ich Ihre Fraktion.
Die nächste Sorge, die in der Regierungserklärung vom Herrn Bundeskanzler angesprochen worden ist, ist die Haushaltssanierung. Sie muß nicht nur rasch, sondern auch wirksam und nicht nur für den Augenblick, sondern schon für die kommenden Jahre erfolgen. Das ist zweifellos eine ungewöhnlich schwierige Aufgabe, meine Damen und Herren, sicher eine der schwierigsten, der sich eine Regierung und der zuständige Minister jemals gegenübergestellt sahen. Sie erfordert einen Mann mit ungewöhnlicher Tatkraft und klarem Blick in die finanziellen und wirtschaftlichen Zusammenhänge. Wir begrüßen deshalb ganz besonders, daß diese Regierung den Vorsitzenden der CSU, unseren Freund Franz Josef Strauß, mit dieser schwierigen Aufgabe betraut hat.
Wir lassen es nicht dabei bewenden, ihm dafür — und das sollte das ganze Haus tun — alles Gute zu wünschen, wir versprechen ihm auch unsere stete Mithilfe und Mitwirkung. Wir werden uns dabei nicht davon abbringen lassen, auch mit ihm den einen oder anderen Strauß auszufechten, aber stets in Freundschaft und in der gemeinsamen Sorge und in der Verantwortung für das Ganze.
Wir möchten ihn ermuntern und ihm sagen, er solle nicht nur hart bleiben, sondern auch ein ganzes Werk tun. Nicht halbe Maßnahmen, nicht Rücksicht auf dieses oder jenes können jetzt helfen. Wir können uns nicht jedes Jahr und nach jedem Haushalt neue Sanierungsversuche leisten. Jetzt, und zwar rasch, muß das Schwerste getan werden; denn dann ist das Folgende leichter.
Wir wünschen, daß der Bundesfinanzminister auch mit der Modernisierung des Haushaltsrechts und mit der mittelfristigen Planung Erfolg hat und daß es ihm gelingt, die stets ausgezeichnete Mannschaft des Finanzministeriums zu derartigen Leistungen anzuspornen. Wenn er sich den ersten Finanzminister, Fritz Schäffer, der auch aus der CSU-Landesgruppe gekommen ist und der heute wohl von allen Seiten als einer der ausgezeichnetsten Finanzminister anerkannt wird,
zum Vorbild nimmt, dann wird er sich seiner Aufgabe nach unserer Auffassung in großartiger Weise entledigen.
Meine Damen und Herren, viel ist in jüngster Zeit von Voraussicht und Vorausschau die Rede. Auch der Herr Bundeskanzler hat das mehrmals angesprochen. Wir möchten klarstellen, daß Voraussicht und Vorausschau nicht etwa Dirigismus, geschweige denn Planwirtschaft oder gar Steuerung in diesem Sinne bedeuten. Auch weiterhin sollen für uns die Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft die Grundlage bilden, angepaßt allerdings jeweils den augenblicklichen Notwendigkeiten.
Wir sind uns bewußt, daß die Regierung dieses schwierige Werk nicht allein vollbringen kann. Sie braucht dazu die Unterstützung dieses Hohen Hauses. Sie bedarf insbesondere der Unterstützung der ganzen deutschen Öffentlichkeit. Eine ganz besondere Aufgabe kommt dabei, so scheint es mir, der deutschen Publizistik in all ihren Bereichen, in Presse, Rundfunk und Fernsehen, zu.
Nur mit ihrer Hilfe wird es gelingen, unser Volk stets rechtzeitig und vollständig zu unterrichten, ihm die meist komplizierten Zusammenhänge klarzumachen und übertriebene Sorge oder gar Panik in einer solchen Zeit von ihm fernzuhalten.
Natürlich, meine Damen und Herren, muß das in voller Meinungsfreiheit vor sich gehen. Selbstverständlich bedarf auch diese Regierung und diese Große Koalition der Kritik, der harten Kritik, wenn Sie wollen, durch die Massenmedien. Aber eines sollte uns doch gemeinsam sein: die Zielsetzung, uns gegenseitig zu helfen. Darum sollte diese Kritik stets wohl fundiert sein, nicht zersetzend, sondern anregen, von hoher Ethik getragen, auf gültigen Wertmaßstäben aufbauend. Nur so läßt sich auch Stabilität im öffentlichen Leben wiederherstellen. Ich bin überzeugt, daß die gute deutsche Publizistik ihre Ehre darein setzen wird, mit ihren gewaltigen Mög-
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lichkeiten zu dieser Art der Stabilisierung ihren Beitrag zu leisten.
Mit Recht hat der Bundeskanzler davon gesprochen, daß ein kooperativer Föderalismus eine gerechte und fruchtbare Ordnung in den Bereichen des Bundes, der Länder und der Gemeinden herbeiführen soll. Daß wir von der Christlich-Sozialen Union diese Aussage ganz besonders begrüßen, ist selbstverständlich. Die CSU hält den Förderalismus für ein gesundes Gestaltungsprinzip im öffentlichen Leben. Wir meinen damit nicht etwa den Föderalismus aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts, sondern einen Föderalismus, der den heutigen Verhältnissen angepaßt ist, der die gesunden Kräfte überall dort, wo sie bereit sind, mitwirken läßt und ihnen die Möglichkeit zur Mitgestaltung gibt, also einen kooperativen Föderalismus, der nicht nur das Verhältnis Bund-Länder regeln soll, sondern auch das Verhältnis der Länder zueinander ebenso wie das Verhältnis der Gemeinden zum Land und der verschiedenen Selbstverwaltungseinrichtungen untereinander. Die modernen wirtschaftlichen Verhältnisse bringen es mit sich, daß die Entwicklung nicht überall gleichmäßig verläuft. Es gibt immer wieder Umstellungen, Verzögerungen, ein Vorauseilen und unterschiedliche Hemmnisse. Einmal wird dieser und einmal wird jener der Hilfe bedürfen, und in vielen, vielen Fragen bedarf es wohl des Zusammenstehens aller, die hier angesprochen sind. Den Willen, meine Damen und Herren, das zu berücksichtigen, den Willen, auf allen Ebenen zusammenzuwirken und zusammenzuarbeiten, um gemeinsam die besten Lösungen zu finden, diesen Willen bezeichnen wir als den modernen kooperativen Föderalismus. Er ist nicht etwa nur ein Prinzip des Forderns oder des Abwehrens, er ist ein Prinzip des Zusammenbauens und des Ausgleichens. Ausgleich ist aber nicht nur für den Bundeshaushalt, sonder für alle Haushalte erforderlich. Er ist darüber hinaus erforderlich, um unser Wirtschaftsgefüge in Gang zu setzen.
Dieser kooperative Föderalismus ist auch ein Gestaltungsprinzip für die Verwirklichung des angestrebten vereinigten Europas. Vor der Integration muß die Kooperation und die Föderation stehen. Mit solchen Zielsetzungen können wir auch unsere junge Generation für das konkrete Gestalten eines solchen gemeinsamen Europas begeistern. Mit diesem Prinzip können wir mancher Streitfrage aus dem Wege gehen, die sich bei der unmittelbaren Forderung nach Integration ergeben könnte. Wie wären wir aber imstande, durch kooperativen Föderalismus Europa zu schaffen und zu bauen, wenn wir diesen nicht im eigenen Lande erfolgreich zu verwirklichen trachteten?
Meine Damen und Herren, wenn ich schon dabei bin, von einem Ausgleich der Lasten zu sprechen, so möchte ich das Wort der Regierungserklärung aufnehmen, daß die notwendigen Belastungen möglichst gleichmäßig auf die Gruppen und Schichten des Volkes verteilt werden sollen. Wir stimmen dieser Aussage vorbehaltlos zu. Wir möchten sie weiterführen und ergänzen. Es gibt nichts Schrecklicheres als die Gleichmacherei, nichts Ungerechteres als eine scheinbare bis ins letzte regulierende sogenannte Gerechtigkeit. Diese fälschliche so genannte Gerechtigkeit ist nichts anderes als eine geisttötende Prinzipienreiterei und eine Beckmesserei. Daher ist es erforderlich, daß die Lastenverteilung den einzelnen Bedürfnissen angepaßt wird, soweit das möglich ist. Der Schwache, der Kranke, der Arme muß geschont, der Starke und Vermögende mehr herangezogen werden. Manchmal allerdings hat man bei uns den Eindruck, als hätten weite Kreise unseres Volkes das gesunde Prinzip der Selbsthilfe völlig vergessen. Man will alles und jedes, das geringste Risiko und das kleinste Mißgeschick auf den abstrakten Staat abwälzen. Wir sind sehr gern bereit, zuzugestehen, daß der Staat selbstverständlich die Aufgabe hat, den Menschen zu helfen, aber den Menschen in ihrer Gesamtheit, dem gesamten Volke. Er hat für das allgemeine Wohl zu sorgen. Darum gilt es, meine Damen und Herren, dieses Prinzip der Selbsthilfe wieder da zum .Tragen kommen zu lassen, wo die Kräfte dafür vorhanden sind. Aus Bequemlichkeit oder falscher Gleichmacherei zu schematisieren heißt nur, unnötig Steuergelder auszugeben. Vielleicht haben wir bei der stürmischen Entwicklung der beiden letzten Jahrzehnte manchmal zu sehr in die natürlichen und gewachsenen Gegebenheiten eingegriffen. Hier Korrekturen anzusetzen, meine Damen und Herren, ist nicht sozialer Abbau, sondern, wie ich meine, die Wiederherstellung einer natürlichen und gesunden Ordnung.
Das in Gang befindliche Anpassungsverfahren gilt für unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik nach innen ebenso wie für die Wirtschafts- und Finanzpolitik nach außen. Wir sind aus einem verständlichen Optimismus heraus Verpflichtungen eingegangen, die uns jetzt schwer drücken. Der Grundsatz, daß Verträge erfüllt und gehalten werden müssen, wird auch von uns anerkannt. Wir hoffen aber auch, Verständnis zu finden, wenn wir mit unseren Partnern darüber verhandeln wollen, was wir bei zeitlicher Begrenzung in Zukunft noch zu leisten vermögen. Stationierungskosten in der bisherigen Höhe und im bisherigen Verhältnis gehen über die Kräfte der kommenden Jahre ganz sicherlich hinaus. Die Regierung wird Mittel und Wege ersinnen müssen, wie sie mit geringeren Mitteln gleiche Wirkungen erzielen kann.
Meine Damen und Herren, um hier Mißverständnissen vorzubeugen: Ich rede nicht etwa einer einseitigen militärischen Verdünnung oder einer Demontage der Verteidigung das Wort. Schwächungen zur Unzeit auf diesem Gebiet wären alles andere als eine konsequente und wirksame Friedenspolitik, von der der Herr Bundeskanzler so leidenschaftlich gesprochen hat. Aber wir müssen mit unseren Bundesgenossen überlegen, wie wir die gemeinsam gestelllten Verteidigungsaufgaben bewältigen können, ohne die Stabilität nach innen zu gefährden.
Ebenso müssen wir um Verständnis bitten, wenn wir uns Gedanken über die Entwicklungshilfe, die
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wir bisher geleistet haben, machen. Selbstverständlich erachten wir es auch in der Zukunft als eine Pflicht und als einen Beitrag des deutschen Volkes, weiterhin Entwicklungshilfe zu leisten. Aber sie muß unserer Haushaltslage angepaßt werden. Ich meine auch, daß weder Qualität noch Quantität unserer Entwicklungshilfe Not zu leiden brauchen, wenn dem Ausbau der menschlichen und technischen Hilfe mehr Gewicht zugemessen wird als in der Vergangenheit.
Ich denke voller Respekt an die erfreuliche Tätigkeit der Entwicklungshelfer, die im Verhältnis zu ihrer Wirksamkeit viel weniger kosten, die sich aber in manchen Ländern, insbesondere auf lange Frist gesehen, bereits als eine gewaltige Hilfe erwiesen haben.
Dabei dürfen freilich die deutsche Wirtschaft und der deutsche Export nicht leiden. Besonders möchte ich durch diesen Hinweis, wenn ich von Export und Wirtschaft spreche, mithelfen, etwas die Sorgen in der deutschen Arbeitnehmerschaft um den Arbeitsplatz zu vermindern. Es ist selbstverständlich für uns, daß wir bei den auftretenden Restriktionen in erster Linie an die Sicherung des Arbeitsplatzes unserer deutschen Arbeiter denken müssen.
Wir sind den Gastarbeitern zu großem Dank verpflichtet. Sie haben uns wacker geholfen, unsere Wirtschaft aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Mit allen Wirtschaftssachverständigen bin ich darüber einig, daß wir ihrer Hilfe auch in der Zukunft noch bedürfen werden. Aber Zahl und Einsatz der Gastarbeiter müssen der jeweiligen Wirtschaftslage angepaßt werden. Unter keinen Umständen darf gerade jetzt etwa der Eindruck entstehen, daß der Gastarbeiter besser gestellt ist, sowohl was die Sicherung des Arbeitsplatzes wie auch die soziale Sicherheit anlangt.
Herr Bundeskanzler, Sie haben davon gesprochen, daß der schwierige Anpassungsprozeß, der sich in den Steinkohlengebieten vollzieht, wohlgezielte Maßnahmen verlangt, um eine dauernde Heilung zu erreichen. Wir stimmen Ihnen zu. Kohle und Stahl werden die besondere Aufmerksamkeit der Bundesregierung erfordern.
Es gibt aber auch noch andere Strukturprobleme — ich bin sicher, es wird noch von weiteren gesprochen werden —, die für unser Volk von entscheidender Bedeutung sind. Gestatten Sie mir, daß ich in diesem Zusammenhang darauf hinweise, daß die Bewahrung einer gesunden und leistungsfähigen Landwirtschaft auch ein solches Strukturproblem ist, das uns und dieser Regierung und dieser Koalition ein ernstes Anliegen sein muß.
In diesem Bemühen ist in der Vergangenheit bereits Vieles und Gutes geschehen. Ich möchte gerade an die jüngste Zeit erinnern, an die erfolgreiche Tätigkeit des Herrn Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Er war nicht nur bemüht, nachteilige Wirkungen der EWG zu vermeiden, sondern er hat gleichermaßen mutig auch auf die Chancen des Gemeinsamen Marktes für unsere Landwirtschaft aufmerksam gemacht und sich bemüht, diese uns nutzbar zu machen.
Wir sind ihm dafür ganz besonders dankbar. Wir haben, was unsere eigenen Hilfsmöglichkeiten anbelangt, Herr Bundesminister, nur den einen Wunsch, daß Sie Sich bei knappen Haushaltsmitteln in Zukunft noch mehr als bisher darum bemühen, diese Mittel noch stärker gezielt im Sinne der Aussagen des Grünen Berichts einzusetzen.
Meine Damen und Herren, wenn wir den Herrn Bundeskanzler recht verstehen, ist auch er der Auffassung, daß die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft immer mehr und stärker zusammenwachsen muß, daß die dafür aufzubringenden Mittel und ihr methodischer Einsatz wohldurchdacht und laufend überprüft werden müssen. Die neue Regierung wird in der Wirtschaftsgemeinschaft bald wichtige Entscheidungen für das Verhandlungsmandat in der Kennedy-Runde zu treffen haben. Herr Bundeskanzler, hier gibt es Sorgen besonders auch im Bereich der Landwirtschaft. Wir hoffen, daß durch diese Entscheidungen, die wohl im Januar fällig werden, nicht neue strukturelle Fehlentwicklungen eingeleitet werden, die dann wieder für den eigenen Haushalt bitter und hart wären und die wir wohl in einer sehr schwierigen Zeit kaum auszugleichen vermögen.
Ihre Regierungserklärung, Herr Bundeskanzler, enthält eine Vielzahl von Aussagen über die wirtschaftliche Entwicklung. Es wird Aufgabe der Fachleute sein, sich dazu im einzelnen zu äußern.
Ich möchte zu einer Klarstellung beitragen. Oberstes Gebot all unserer Überlegungen muß die Erhaltung der Stabilität unseres guten Geldes, der D-Mark sein.
Die Grenzen der sicherlich ebenso erwünschten wie notwendigen Expansion liegen für uns dort, wo dieses Prizip gefährdet wird.
Das Gleichgewicht in den optimalen Zielen jeder Wirtschaftspolitik ist der sicherste Schutz für den sozial und wirtschaftlich schwächeren Teil unseres Volkes. In seinem Interesse liegt es daher, extreme Entwicklungen jeder Art, die harte Eingriffe in den Wirtschaftsablauf erforderlich machen, zu vermeiden. Damit ist ein Teil jener Vorstellungen angesprochen, die der jetzige Wirtschaftsminister Professor Schiller — ich sehe ihn hier leider nicht — in seiner Sprache als „konzertierte Aktion" bezeichnet hat. Es wird sicherlich viel davon abhängen, ob es dem Herrn Minister Schiller gelingt, die „Orchestergemeinschaft der deutschen Wirtschaft" zu einer einheitlichen Melodie zusammenzubringen.
Das gilt insbesondere auch für die außerhalb dieses Hauses mitwirkenden und mitgestaltenden Kräfte, ich sage es ganz deutlich, für die Sozialpartner, deren Mitverantwortung für die Weiterentwicklung
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unserer Wirtschaft nicht genug unterstrichen werden kann.
Wir wünschen dem Minister, der für diesen Bereich die Verantwortung trägt, viel Erfolg bei diesem Versuch, den er angekündigt hat.
Alle Maßnahmen und Aktionen sollten uns aber nicht vergessen lassen, daß die Freiheit des Unternehmers, die gestaltende Kraft des unangetasteten Eigentums und eine gesunde Entwicklung breiter Mittelschichten in unserem Volk in der Vergangenheit die erfolgreichsten Antriebskräfte für unsere Wirtschaftsentwicklung waren und es auch in Zukunft bleiben müssen.
Werden diese Grundsätze beachtet und steht, wie es unsere Auffassung ist, der Mensch auch künftig im Mittelpunkt allen politischen und wirtschaftlichen Überlegens, so ist es verhältnismäßig einfach — ich sage verhältnismäßig einfach —, auch unsere Familien heil zu erhalten. Wer mit uns der Auffassung ist, daß der Staat und jede menschliche Gemeinschaft so fest, so stark und so gesund ist wie ihre Familien, der wird uns zustimmen, wenn wir fordern, daß bei allen noch so notwendigen finanz-
und wirtschaftspolitischen Maßnahmen immer auch die Auswirkung auf die Familie mitbedacht werden muß.
Meine Damen und Herren, bei den außenpolitischen Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers haben wir mit besonderer Freude zur Kenntnis genommen, daß er der Entwicklung des deutsch-französischen Verhältnisses die entscheidende Rolle für die Zukunft Europas zugesprochen hat. Auch wir sind der Überzeugung, daß ohne ein enges und vertrauensvolles Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich die erhoffte europäische Friedensordnung nicht denkbar ist. Der deutsch-französische Vertrag ist dafür nach wie vor zweifellos die geeignete Grundlage und ein guter Anfang. Wir freuen uns, daß die Regierung diesen Vertrag mit konkreten Maßnahmen fortführen will. Wir sind der Auffassung, Herr Bundeskanzler, daß eine gewisse Staatsverdrossenheit, die sich in der Vergangenheit in manche Schichten unseres Volkes eingeschlichen hat, besonders in die junge Generation, beseitigt werden kann, wenn unser Bemühen um die Zusammenarbeit sichtbarer wird und aus ihr schließlich eine politische Ordnung in Europa entsteht.
Wir bitten deshalb die Bundesregierung, mit aller Kraft dafür zu sorgen, daß dies ermöglicht wird und gleichzeitig darauf zu achten, daß nicht auf Nebengleisen und durch Hintertüren das Erreichte und Angestrebte wieder vereitelt wird.
Wir sind sicher, daß das französische Volk es begrüßen wird, wenn seine Staatsführung den guten Willen der neuen Bundesregierung anerkennt und davon Kenntnis nimmt, welch breite Mehrheit unseres Volkes hinter diesem guten Willen und hinter den Absichten dieser Regierung steht. Nicht nur Frankreich, sondern unsere Verbündeten insgesamt und das Ausland überhaupt werden erkennen müssen, daß diese Koalition aus den beiden großen Parteien einen neuen Anlauf in unserer Außenpolitik bedeutet, dessen Erfolg oder Mißerfolg nicht ohne Rückwirkung auf die innenpolitische Entwicklung und Stabilität in diesem unserem Lande sein wird.
Meine Damen und Herren, für uns ist es eine Selbstverständlichkeit, daß die Bundesrepublik die legitime Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches ist. Wir haben alle Verpflichtungen aus dieser Tatsache übernommen, darum müssen wir uns auch alle Rechte daraus vorbehalten. Daher ergibt sich auch unsere Einstellung zum Münchner Abkommen. Wir stimmen mit der Bundesregierung darin überein, daß man aus ihm keine territorialen Forderungen ableitet. Wir sind aber der Meinung, daß man staats- und völkerrechtliche Fakten, die seinerzeit in einem von allen Beteiligten anerkannten Verfahren geschaffen wurden, nicht nachträglich annullieren kann.
Man kann Millionen von Menschen, die unter dem Zwang dieser Fakten — ohne selbst gefragt zu sein — Rechte und Pflichten übernahmen, nicht nachträglich ihrer Staatsbürgerschaft und anderer Ansprüche berauben, die sich daraus ergeben. Das verbieten -- so meinen wir — schon die Prinzipien der allgemeinen Menschenrechte, die für alle Völker gelten sollen. Diese Feststellung ist nicht aggressiv gedacht; sie basiert auf dem Gedanken der Freiheit aller Menschen, auf dem Selbstbestimmungsrecht der Völker und auf der geschichtlichen Entwicklung des deutschen Volkes.
Selbstverständlich werden wir versuchen, alles zu tun, um unseren Landsleuten, die in der Unfreiheit leben, das Leben zu erleichtern. Aber es wäre ebenso ihr wie unser Untergang — lassen Sie mich auch das sagen, damit die Rangordnung wiederhergestellt und das klargestellt wird —, würden wir dabei den Vorrang der Freiheit preisgeben oder um irgendeines augenblicklichen Vorteils willen auch nur gefährden oder einschränken lassen.
Meine Damen und Herren, es ist unser Ziel, unser Land und mit ihm ganz Europa stets so attraktiv zu gestalten, daß es ständig ein Vorbild der Freiheit, ein Hort der Kultur und ein Ausdruck sozialer Gerechtigkeit ist. Deswegen bitten wir Sie, Herr Bundeskanzler, weiterhin auch Ihr Augenmerk auf jene Gebiete zu lenken, die immer und auch angesichts und trotz des Eisernen Vorhangs das Schaufenster dieser Bundesrepublik sind, die Zonenrand- und die Grenzgebiete.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich schließen. Diese Regierung, diese Große Koalition ist aus politischer Notwendigkeit geboren. Die Wiederherstellung stabiler politischer Verhältnisse, die Anpassung des Grundgesetzes an die Erfordernisse einer zwanzigjährigen Entwicklung, die Verhinderung jedweder Unstabilität durch politische Minderheiten und schließlich die akute Bereinigung der Schwierigkeiten der jetzigen Übergangsphase von einem stür-
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mischen politischen und wirtschaftlichen Aufbau zu einer konsequenten und normalen Entwicklung muß Sinn und Zweck einer solchen Koalition sein.
Es ist nicht eine neue Politik, die wir betreiben wollen, es ist die Forderung nach der Fortsetzung der bisherigen Politik, aber neu ausgedrückt durch den Willen dieser beiden Partner, die neun Zehntel der deutschen Wählerschaft repräsentieren. Gelingt es den Bemühungen der Bundesregierung und dieses Hohen Hauses, diese erwähnten Ziele zu erreichen, so hat diese Koalition einmal ihren geschichtlichen Sinn erfüllt. In diesem Sinne wünschen wir Ihnen, Herr Bundeskanzler, und Ihrer Regierung Glück und Erfolg.