Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir erwarten — und sind gern bereit, uns auch rechtzeitig an den Gesprächen zu beteiligen — die Vorschläge zum Haushaltsausgleich. Wir werden uns, so meinen wir, miteinander an und mit dem Rotstift in der Hand zu bewähren haben; denn nur ein ausgeglichener Haushalt ermöglicht Stabilität und ein sinnvolles Wachstum. Darum noch einmal — und dies auch an Ihre Adresse, Herr Mischnick —: Zuerst Einsparungen, dann Abbau von Steuervorteilen und Vergünstigungen, und erst notfalls Erhöhung von Verbrauchsteuern. Dies bleibt unsere Reihenfolge. Wenn unser Volk ein Gesamtprogramm erkennt, wenn es einsieht und weiß, wozu Einschränkungen und Zurückstellen von Wünschen gefordert werden, wenn es spürt, hier wird vernünftig, sozialgerecht zu klaren Zielen geführt, dann wird unser Volk auch bereitwillig mithelfen.
Hier bleibt noch anzumerken: Wenn unsere finanzpolitischen Probleme jetzt, neben der Wirtschaftslage und neben den auswärtigen Verpflichtungen, ihre Ursache in Entscheidungen der Vergangenheit haben, dann kann sich von eben dieser Vergangenheit keiner hier ausnehmen, keiner im Bund, keiner im Land und kein Tarifpartner. Aber dieser Hinweis auf andere, etwa auch auf vergleichbare Länder außerhalb unserer Grenzen, könnte uns zwar ein Trost sein, darf uns aber nicht in unserer Pflicht schmälern, jetzt das Unsere zu tun: die Stärkung unserer Wirtschaft.
Zum zweiten: die großen Reformen. Hierzu gehören nicht nur die Änderungen des Grundgesetzes. Hierzu gehören auch die Reform der Haushaltspolitik einschließlich der mittelfristigen Planung; die Neufestsetzung der Prioritäten für die Zukunft und als deren Mitvoraussetzung der Abbau von Vorteilen, die mit Prioritäten der Wiederaufbauphase früher einmal wohl begründet waren, sowie die stärkere Betonung der Investitionen, wie sie von der Regierung gefordert wird, im Rahmen aller öffentlichen Ausgaben. Wir wollen ein modernes Land bleiben und deshalb dafür sorgen, daß wir auch insoweit umschalten und jetzt für kommende Generationen Starthilfen sichern.
Meine Damen und Herren, die Reform des Grundgesetzes ist unerläßlich. Es hat sich bewährt, aber schon die jüngere Vergangenheit zeigt, daß es an einigen Stellen zu eng ist und daß es für die Zukunft ergänzungsbedürftig ist. Wir brauchen: das verbesserte wirtschaftspolitische Instrumentarium nach dem Stabilitätsgesetz, einschließlich der einschneidenden Verfassungsergänzung; die unerläßliche Reform der Finanzverfassung; die Neuordnung der Gemeindefinanzen; die Reform des Haushaltsrechts; die Wiederherstellung der Besoldungseinheit in Bund
3710 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, ,den 15. Dezember 1966
Dr. Barzel
und Ländern; eine Wahlrechtsreform; das Parteiengesetz und schließlich die Notstandsverfassung.
Es wäre gut und von uns dringend erwünscht, an dieser alle Deutschen fundamental angehenden Reformgesetzgebung in geeigneter Weise alle interessierten Staatsbürger zu beteiligen, die breite öffentliche Diskussion bewußt zu suchen und sorgsam um die innere, dem Geist des Grundgesetzes gerechte Ausgewogenheit und Entsprechung aller Einzelnormen zum Ganzen besonders bemüht zu sein. Darum wird es, nicht nur technisch, erforderlich sein, daß alle diese Vorlagen miteinander sichtbar gemacht und möglichst als Ganzes vorgelegt werden:,
Zum dritten, meine Damen und Herren, die Selbstbesinnung und die Selbstbestimmung der Deutschen. Die Phase des Wiederaufbaus ist zu Ende. An diesem Ende sind wir — ein schöner Erfolg — in der Produktion der dritte, im Handel der zweite und in den Sozialleistungen der erste Staat der Welt. Wir brauchen also unseren Erfolg ebensowenig zu verstecken wie unsere Verpflichtung.
Zugleich geht — und davon wollen wir jetzt handeln — eine nationale Besinnung durch unser Land. Wer, wo immer in der Welt, glaubt, sich Sorgen machen zu müssen um das erneuerte Deutschland, kann dem am besten abhelfen, indem er gebührend würdigt, was ist. Wir wissen, daß Hitler war, und wir haben nicht vergessen, was war. Wir wissen aber auch, was Deutschland heute ist: ein um Redlichkeit und Humanität bemühter freiheitlicher und sozialer Rechtsstaat. Dies anzuerkennen und, vor allem unsere Jugend, nicht heimlich mit neuen Stempeln wegen einer endgültig gewesenen Vergangenheit zu belasten, dies ist unsere Bitte an die Welt.
Wer dem entspricht, leistet einen wirksamen Dienst gegen die wenigen auch bei uns, welche aus Motiven wie immer den Weg in die nationalistische Übertreibung suchen, also den Weg rückwärts. Wir alle hier wollen unbeirrt vorwärts. Wir lieben unser Land, aber wir wollen unseren Patriotismus und unsere Kraft wie bisher zuwenden unserem großen Ziel, einem vereinten Europa, in dem wir als Deutsche Heimat haben. Allein dies ist modern, allein dies ist zukunftwirkend.
Meine Damen und Herren, so geartete Selbstbesinnung bleibt — und dies ist ersatzlos — die Voraussetzung für die Chance auf Selbstbestimmung aller Deutschen. Wer diese Wechselbezogenheit zwischen der Wirklichkeit unserer Demokratie und unserer außenpolitischen Glaubhaftigkeit, ja, der Chance für die Wiedervereinigung nicht sieht und ihr nicht entspricht, der nützt nicht, sondern der schadet, allem voran dem ganzen Deutschland.
Meine Damen und Herren, die Regierungserklärung war besonders nüchtern in der Frage der Einheit der Deutschen. Der reale Weg zur Selbstbestimmung aller Deutschen ist wohl zur Zeit niemandem sichtbar. Aber das Ziel bleibt, und wir müssen den Weg dazu freischaufeln.
Hierzu gehört erstens, daß wir unser Haus in Ordnung halten. Unsere demokratische Wirklichkeit ist und bleibt die beste Werbung für unseren Anspruch auf Einheit unseres Volkes.
Hierzu gehört zweitens, daß wir militärische Fragen allein als solche der Sicherheit begreifen und unseren nationalen Ehrgeiz darin sehen, für die Menschheit bedeutsam zu werden durch Werke des Friedens.
Hierzu gehört drittens, daß wir dazu beitragen, die Risse im Westen zu überwinden; viertens, daß wir der Sowjetunion stetig und unbeirrt und, ich meine, auch in Würde immer wieder klarmachen, daß wir gesprächsbereit sind und daß die Spaltung Deutschlands auch nicht in ihrem Interesse liegt. Ich nehme ein Wort des Bundeskanzlers Erhard auf, der früher hier sagte: „Die sowjetische Deutschlandpolitik beruht auf einem Irrtum."
Hierzu gehört fünftens, daß wir aktiv in Mittel- und Osteuropa tätig sind; sechstens, daß wir im menschlichen Bereich Erleichterungen in ganz Deutschland erwirken; siebentes, daß wir nichts von unseren moralischen, rechtlichen und politischen Positionen und Prinzipien verschenken.
Ich möchte mich im Hinblick auf die Zeit hier nur zu einem der Punkte äußern, zu dem sechsten, zu den menschlichen Erleichterungen. Ich möchte aus gutem Grund die Themen nennen, die hier zur Debatte stehen: Aufhebung des Schießbefehls; Erleichterung bzw. Ermöglichung der Familienzusammenführung, der Kinderrückführung und der Besuchsreisen aus der SBZ; Aufhebung der Medikamentenverordnung und der Geschenkpaketverordnung; Nachbarschaftsverkehr entlang der Demarkationslinie; Öffnung weiterer Übergänge; Wiederherstellung des Telefonverkehrs in Berlin, besserer Telefonverkehr zwischen beiden Teilen Deutschlands; Einbeziehung Westberlins in den gesamtdeutschen Sportverkehr; Reisemöglichkeiten für alle Westberliner nach Ostberlin und in die SBZ; Wiederherstellung gesamtdeutscher Gesellschaften auf dem kulturellen Gebiet; Zeitungs- und Redneraustausch.
Wir halten es für nötig, diese Themen hier festzuhalten. Auch wenn sich die Machthaber in der SBZ zur Zeit in all diesen Fragen hinter Verleumdungen verstecken, sich in Angriffen auf diese neue Koalition überbieten und Unmögliches von uns fordern, so bleiben doch alle diese Dinge auf der Tagesordnung.
Meine Damen und Herren, den Status quo in diesen Fragen zu ändern, wäre ein Gewinn, menschlich wie politisch. Jede menschliche Erleichterung hat einen Wert in sich. Jeder Fortschritt insoweit ist aber zugleich ein politischer Fortschritt und ein Schritt zum Frieden. Jede im kommunistischen Herrschaftsbereich zugunsten der Humanität veränderte Alltagswirklichkeit ist auch politisch ein Status quo plus. Alles dies bewirkt nicht direkt die Einheit Deutschlands, erleichtert aber doch nicht nur die Gegenwart für die Menschen, sondern fördert auch die politische Entwicklung.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1966 3711
Dr. Barzel
Wir begrüßen und unterstreichen besonders die Feststellung in der Regierungserklärung, es dürfe und es werde nichts geschehen, was völkerrechtlich oder faktisch in der Weltmeinung als ein Abrücken von unseren Grundsätzen der Nichtanerkennung der SBZ als eines zweiten deutschen Staates gedeutet werden müßte. Meine Damen und Herren, es liegt die Nachricht vor, daß am 13., also vorgestern, in der UNO eine wichtige Entscheidung zu unseren Gunsten gefallen ist. Unsere Freunde dort haben erneut gesagt: die SBZ ist kein Staat. — Wir sollten unseren Freunden — sie haben sich durchgesetzt — diese Haltung auch durch die eigene Sprache erleichtern.
Das, was drüben ist, ist nach dem Willen der Bevölkerung kein Staat, sondern SBZ. Sowjetisch besetzte Zone Deutschlands sagt aus, was wirklich ist. Dies ist kein Formalismus, sondern das Wort sagt, was wirklich ist, meine Damen und Herren.
Man braucht dies nicht jeden Tag zu betonen, aber es muß doch gelegentlich klargestellt werden.
Wir begrüßen, daß die Bundesregierung es vermieden hat, von „Ebenen der Begegnung" und ähnlichem zu sprechen, denn wir denken — und ich glaube, dies wird Herrn Mischnick beruhigen —, daß man alle diese Fragen in vertraulichen Gesprächen, also auch in neuen Deutschland-Gesprächen aller Verantwortlichen einschließlich der Opposition erörtern sollte. Wir dürfen einander nicht etwa — erlauben Sie mir den Ausdruck — einfach hochschaukeln, so daß Herr Ulbricht zum lachenden Dritten wird.
Hierzu gehört noch ein Hinweis, der Hinweis nämlich, daß es nicht unser Interesse sein kann und darf, etwa unsere westlichen Freunde vom Mitengagement in den Fragen der Humanität im ganzen Deutschland zu entbinden. Sicher, wir können einiges allein. Aber es ist besser, auch in diesem Bereich der menschlichen Erleichterungen miteinander zu arbeiten. Es wäre auch ein Vorteil, wenn wir über diese praktischen humanitären Fragen unsere westlichen Freunde in der deutschen Sache wieder an einen Tisch brächten.
Meine Damen und Herren, wir alle wissen — und ich bin sicher, der neue Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen weiß dies besonders —, was alles unserem Wunsch nach Selbstbestimmung entgegensteht. Aber die Welt soll wissen, daß wir zäh und geduldig und notfalls auch unbequem an diesem Ziel festhalten, ja festhalten müssen, denn es geht um die Wiederherstellung des Rechts in ganz Deutschland, und, meine Damen und Herren, wer in der Welt Frieden will, muß Menschenrechte wollen.
Zum vierten: Europa. Wir stellen, Herr Bundeskanzler, erfreut fest: Der europäische Elan der Deutschen ist durch die Regierungserklärung gekräftigt. Hier in Europa liegt unsere Zukunft! Von einem festen Kern aus wollen und müssen wir die europäische Politik vorantreiben. Die EWG war und ist ein Erfolg. Sie muß sich kraftvoll entwickeln. Wir begrüßen den Brückenschlag zu den anderen freien Nationen Europas.
Meine Damen und Herren, der Hinweis der Regierungserklärung, daß dieses Zusammenwachsen des freien Europas sich wohltuend auf das ganze Europa auswirken wird, ist unsere Meinung seit geraumer Zeit. Ich möchte hier aus dem letzten Kommuniqué über die Gespräche zwischen Präsident Johnson und Bundeskanzler Erhard zitieren. Es heißt dort, „daß die Einheit des Westens zum Verständnis zwischen Ost und West beitragen wird und daß die Integration Westeuropas und die atlantische Solidarität den Weg zu einer umfassenderen Zusammenarbeit bei der Förderung der Sicherheit und des Wohlergehens Gesamteuropas eröffnen kann". Dies bleibt festzuhalten: Die politische
— auch die politische — Einigung der Staaten des Gemeinsamen Marktes mit offener Tür für den Beitritt anderer Staaten zu gleichen Bedingungen ist
— und wir wiederholen dies, weil es wichtig ist — die Voraussetzung für die Lösung der großen Lebensfragen des europäischen Kontinents und eine Vorbedingung für seine politische, wissenschaftliche, technische und wirtschaftliche Stellung in der Zukunft. Es gibt — dies fügen wir an — keine bessere europäische Sicherheitspolitik als die konsequente Arbeit für die Einheit Europas.
Wir müssen die Kraft des freien Europa entwikkeln. Dies geht nur mit Frankreich. Wir begrüßen, was die Erklärung der Bundesregierung hierzu sagt. Wir begrüßen Ihre Absicht, Herr Bundeskanzler, erneut zwischen Paris und Bonn aufeinander zuzugehen, und wir werden das Unsere dazu tun. Weder die Frage der Einigung Europas noch die der Sicherheit auf Dauer noch die der europäischen Friedenspolitik, auch nicht die der deutschen Einheit, wird sich ohne oder gegen Frankreich lösen lassen, übrigens — und dies muß man auch einmal sagen — wird alles dies sich auch nicht ohne oder gegen uns lösen lassen.
Wir unterstreichen: Großbritannien gehört zu Europa. Dort wächst der Wille, sich in Brüssel zu engagieren. Wir wollen dies nach Kräften fördern.
Meine Damen und Herren, immer mehr richten wir unseren Blick auf das ganze Europa. Wir begrüßen besonders, daß auch die Bundesregierung dies tut, wie es in der Regierungserklärung erfreulich zum Ausdruck kommt. Wir unterstützen die Absicht, in den Ländern Ost- und Mitteleuropas noch besser präsent zu sein. Auch dort ist von Land zu Land vieles zu unterscheiden und vieles zu verschiedenen Zeitpunkten in anderer Weise zu erreichen.
Auch dazu nicht allzuviel laut, meine Damen und _ Herren, aber laut dieses: Die Menschen, vor allem
3712 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1966
Dr. Barzel
die jungen Menschen, in Polen, in der Tschechoslowakei, in Ungarn, in Bulgarien, in Rumänien wie auch die in der Sowjetunion, sie sollen wissen: an uns liegt es nicht, wenn kein Friede ist in Europa. Wir sind zur Aussöhnung bereit. Unsere Hand ist ausgestreckt. An uns liegt es nicht. Wir sind bereit zu einem Frieden des Rechtes und der Dauer in ganz Europa.
Meine Damen und Herren, damit komme ich zum fünften Punkt: Bündnis und Frieden. Die deutsche Politik stand und steht unter dem zentralen Gesichtspunkt des Friedens. Wir bemühen uns, dem Vernünftigen zugleich von Sicherheit durch Abschreckung und Entspannung zu entsprechen. Die Friedensnote machte dies weltweit sichtbar. Da für uns, meine Damen und Herren — und wir legen Wert darauf, dies zu betonen —, Frieden und Menschenrechte zwei Seiten derselben Medaille sind, meinen wir immer zugleich Freiheit, wenn wir Frieden sagen.
Die Voraussetzung unserer Entspannungspolitik bleibt unsere Sicherheit. So bleiben wir vital interessiert am Bündnis, und so sind wir unserer Bundeswehr dankbar, der wir vertrauen, deren Auftrag bleibt: im Bündnis Frieden sichern. Sie braucht sich und darf sich in keiner Weise in Frage gestellt sehen, und wo sie Fragen hat, sind wir bereit, zu hören und zu antworten.
Ohne die USA gibt es für uns keine Sicherheit. Unsere Freundschaft zu den USA ist ungebrochen. Aber Freundschaft heißt: einander verstehen, Rücksich aufeinander nehmen, heißt Geben und Nehmen. Die USA stehen hier für uns, zugleich stehen auch wir hier für sie.
Wir waren und bleiben dankbar für den Schutz durch die USA, für die Anwesenheit ihrer Truppen, und wir würden gern dem Präsidenten der USA bei einem Deutschlandbesuch im nächsten Jahr ebendies unvergeßlich zeigen.
Meine Damen und Herren, das Bündnis kann also weiter auf uns zählen. Unser Platz in der Freien Welt ist endgültig gewählt. Wir stimmen — und dies sagen wir allen unseren Freunden in Europa und in der Welt, weil es dies vereinfacht — erneut der Gemeinsamen Erklärung des Aktionskomitees für die Vereinigten Staaten von Europa, des sogenannten Monnet-Komitees, vom 9. Mai 1965 zu, auch und ausdrücklich dem, was dort über atlantische Partnerschaft, über atomare Lösungen und über Entspannung gesagt ist.
Meine Damen und Herren, ich möchte auf weitere Ausführungen verzichten und noch einmal auf das Bezug nehmen, was wir früher zur inneren Ausgestaltung des Bündnisses, zu den Möglichkeiten auch der zivilen Zusammenarbeit gesagt haben. Dies bleibt, und wir haben es oft genug ausgeführt; aber an dieser Stelle wollen wir eines anfügen. Wenn, wie die Bundesregierung es wünscht und wir alle es wünschen, Entspannung um sich greifen soll, muß auch Moskau aufhören, in der Sprache des „Kalten Krieges" zu reden und statt Verständigung den Haß zu predigen.
Die Bundesrepublik Deutschland führt nichts Böses im Schilde. Wir haben uns mit unseren westlichen Nachbarn ausgesöhnt. Nicht weniger liegt uns daran, uns auch mit unseren östlichen Nachbarn auszusöhnen. Auch wir sprechen mit großer Hochachtung von den enormen wissenschaftlichen, technischen und ökonomischen Fortschritten der Sowjetunion. Wie viel könnte, nicht nur für die europäische Völkerfamilie, sondern für die ganze Menschheitsfamilie, diese Sowjetunion leisten, wenn auch sie sich verantwortlich fühlte, durch Werke der Gerechtigkeit einen Friedenszustand herzustellen, dem die Welt vertrauen kann! Im Augenblick scheint es, als sei die Sowjetunion nicht interessiert, mit uns politische Gespräche zu führen. Sie sollte, so meinen wir, nun ihre Haltung überprüfen. Sie muß wissen: wir bleiben bereit zu einer dauerhaften und friedlichen Ordnung in Mitteleuropa, zu einem Frieden der gegenseitigen Achtung, im wechselseitigen Interesse und zu einem Frieden des Rechts.
Um hier Mißverständnissen vorzubeugen, möchte ich noch zwei Dinge an dieser Stelle anfügen.
Einmal dies: Wir nehmen Bezug und erneuern unsere Zustimmung zu einer Erklärung, welche der unvergessene Heinrich von Brentano am 28. Juni 1956 hier von dieser Stelle in aller Form abgegeben hat. Er sagte für die Regierung:
Das Recht auf Heimat und das Selbstbestimmungsrecht sind unabdingbare Voraussetzungen des Schicksals der in der Vertreibung oder in der Unfreiheit lebenden Menschen und Völker.
Wer vom ganzen Europa spricht und das friedlich meint, der muß ein gesichertes und wirksames Volksgruppenrecht herbeiführen. Am 28. August hat der Kollege Wehner dazu gesprochen. Ich bin sicher, daß der Minister Wehner eben dies im Auge behält.
Das 4. Protokoll zur Europäischen Konvention der Menschenrechte und Grundfreiheiten verbietet, irgend jemandem den berechtigt innegehabten Wohnsitz zu entziehen oder kollektive Ausweisungen und Bevölkerungsverschiebungen zu vollziehen, und es bezeichnet dieses Verbot als bereits lange bestehenden Inhalt des Völkerrechts. Wir werden, wie wir hören, bald Gelegenheit haben, eben dies hier zur Ratifikation vorzubereiten.
Meine Damen und Herren, wir sind hier nicht, um Politik als „l'art pour l'art" zu betreiben, sondern um sachgerecht die Probleme für unser Volk zu lösen und das Beste zu bewirken.
Wenn wir von Deutschland sprechen — dies muß am Schluß noch einmal betont werden — oder wenn wir vom deutschen Volk sprechen, so meinen wir das ganze, meinen wir auch die Deutschen jenseits der Mauer und des Stacheldrahtes.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1966 3713
Dr. Barzel
Alles, was wir hier tun oder unterlassen, muß bestehen vor der vorrangigen Pflicht des Grundgesetzes, „in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden".
Wir danken für ein paar Worte in der Regierungserklärung gerade hierzu, und wir unterstreichen sie. Denn wir sind nicht die Gouvernanten der Menschen in der Zone. Uns ziemt eher mehr Verständnis und Mitsorge, als etwa erhobener Zeigefinger oder die Haltung des „reichen Onkels".
Wir wissen, was die Deutschen drüben leisten und leiden, und wir wissen, daß dort ein besonderes Gefühl der Verbundenheit durch gemeinsames Schicksal und harte Arbeit entstanden ist. Um so mehr ist es unsere Pflicht, nicht nur politisch für die Einheit zu arbeiten, sondern im menschlichen Bereich Erleichterungen zu erwirken und auch so die Verbundenheit des Ganzen zu stärken.
Zum Schluß: Ihnen, Herr Bundeskanzler, und allen Mitgliedern Ihrer Regierung wünschen wir Segen, Glück und Erfolg für Ihren Dienst an unserem Land und für unser gemeinsames Werk. Wir wollen in gemeinsamer Arbeit und in stetigem Gespräch miteinander helfen und nach Kräften dazu beitragen, daß die Ziele, die Sie nannten, denen wir zustimmen, erreicht werden. Wir wollen nach Kräften dafür sorgen, daß die Menschen in unserem Lande spüren und sehen: Die in Bonn wissen, was sie wollen, und was sie wollen, ist vernünftig und ist gerecht, und auch wie sie miteinander umgehen, auch das kann man gelten lassen.
Unser Volk weiß — wir sagen dies bewußt noch einmal am Schluß, Herr Bundeskanzler —, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Seine Opferbereitschaft und sein Gemeinsinn sind ungebrochen. Es weiß, daß allein Arbeit die Quelle unseres Wohlstandes wie der sozialen Sicherheit ist und bleibt. Dieses Volk wird dem danken, der ihm klar und wahrhaft sagt, was ist, und daraus ebenso zügig und entschieden die entsprechenden Konsequenzen zieht. Wir sagen dies nicht nur, Herr Bundeskanzler, um Ihre Zuversicht und Ihre Absicht insoweit zu stärken, sondern auch, um uns erneut hier vor dem Hause auf die Bereitschaft festzulegen, auch „Durststrecken" des scheinbar Unpopulären mit Ihnen zu durchwandern.
Meine Damen und Herren, wir haben, ähnlich wie der Herr Bundeskanzler, hier nichts zu versprechen als dies: redlich unsere Pflicht zu tun — jedermannes Recht, niemandes Interesse, allein dem Gemeinwohl verpflichtet.