Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine neue Regierung mit einer neuen Politik — das war die Forderung der Öffentlichkeit, seitdem in den vergangenen Monaten die Parteikrise der CDU/CSU augenfällig geworden ist. Niemand wird bestreiten können, daß die Forderung der Öffentlichkeit berechtigt war. Die offenen Gegensätze in der Partei des alten und des neuen Bundeskanzlers haben die Regierung Erhards dazu geführt, daß sie gelähmt wurde. Sie haben am Ende zu der Krise geführt, die zu einer Neubildung der Bundesregierung zwang. Der Bundeskanzler hat mit Recht in seiner Regierungserklärung auf die Ursachenkette hingewiesen, daß nämlich neben den innen- und außenpolitischen Problemen nicht zuletzt die innerparteilichen Auseinandersetzungen.
eine schwere Last für die Arbeit der Regierung Erhard gewesen sind.
Wenn Sie schon alles vergessen haben —, ich habe es nicht vergessen und viele draußen im Lande auch nicht.
Und wer hätte auch schon vergessen, wie viele versteckte und offene Angriffe auf den damaligen Bundeskanzler und auf einzelne seiner Minister aus den Reihen Ihrer Partei, aus den Reihen der Unionsparteien registriert werden mußten.
Wer hätte vergessen, daß die Bündnispolitik des damaligen Außenministers und des heutigen Verteidigungsministers Zielscheibe unablässiger Angriffe aus den Reihen der eigenen Fraktion und aus den Reihen der eigenen Partei gewesen ist.
Wer wollte vergessen, daß Politiker der Unionsparteien immer wieder die Politik attackiert haben, die den Haushaltsausgleich durch grundlegende wirksame Maßnahmen erreichen wollte, damit auf die gefährlichen und untauglichen Mittel
der zeitweisen Defizitüberbrückung durch Steuererhöhungen verzichtet werden konnte. Sie haben doch die Steuererhöhung erzwungen, nicht wir!
Die Exponenten mächtiger Interessengruppen in der CDU/CSU haben den Bundeskanzler immer wieder zu innerparteilicher Rücksichtnahme veranlaßt. Sie haben damit eine Aufweichung der Richtlinienkompetenz erzwungen und so am Ende die dringend notwendigen politischen Entscheidungen für den Haushalt nicht mehr möglich gemacht.
3700 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1966
Mischnick
Der Versuch gar, eine realistische Außen- und
Verteidigungspolitik durchzusetzen, wurde immer
wieder aus Ihren Reihen diffamiert und verketzert.
Auch auf der neuen Regierung liegen diese Schatten, wenn der Streit im Koalitionslager um die Frage geht, ob diese Regierung eine neue Politik will oder ob sie das fortsetzen soll, was Sprecher der CDU/CSU rasch und oft gedankenlos als bewährte Politik der Vergangenheit bezeichnen.
Der Herr Bundeskanzler hat vorgestern harte Worte über die Politik der Vergangenheit gefunden, für eine Politik also, die der Vorsitzende seiner Partei als Bundeskanzler
und die der Vorgänger dieses Parteivorsitzenden und Bundeskanzlers in eben diesen beiden Ämtern zu verantworten hatten. Wer bestimmte denn die Richtlinien der Politik? Sie legten doch Wert darauf, daß Ihr Bundeskanzler die Richtlinien der Politik bestimmte. Wir haben sie doch nicht bestimmt! Das wissen Sie doch ganz genau.
Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung mit tadelnden Worten vom Ressortegoismus gesprochen, und er hat auf die notwendige Zusammenarbeit von Regierungstätigkeit und parlamentarischer Arbeit verwiesen. Es wird sich nun zeigen müssen, ob diese Hinweise nützen, ob sie geeignet sind, die Geschäftigkeit und Aktivität derjenigen in die rechten Bahnen zu lenken, deren Tatendrang — oder muß ich sagen: „Untatendrang"? — der vergangenen Regierung die Arbeit erschwert, ja sogar in manchen Bereichen unmöglich gemacht hat.
Die Angriffe aus den eigenen Reihen, die der Bundeskanzler und Parteivorsitzende der CDU auszuhalten hatte, hatten ihren ersten entscheidenden Höhepunkt, als der engste Mitarbeiter Bundeskanzler Erhards, Bundesminister Westrick, um seine Entlassung bat. Das geschah zu einem besonders kritischen Zeitpunkt, während hier eine schwere Debatte und eine schwierige Stunde für die damalige Regierung war. Damit war ein Zeichen für die Entwicklung gesetzt, die mindestens ein halbes Dutzend einflußreicher Politiker in der CDU/CSU schon lange herbeigesehnt hatten. Die verschiedenen Gruppierungen in der CDU/CSU formierten sich von diesem Zeitpunkt an für den Kampf um die Nachfolge im Palais Schaumburg und für den Kampf um den passenden Zeitpunkt für die für sie richtige Koalition.
Das Ergebnis dieser Koalitionsverhandlungen stand von Anbeginn an fest. Der Herr Bundeskanzler selbst hat erklärt, daß er von der Übernahme seines Auftrags an nur diese Koalition und keine andere wollte. Er hat sie nahezu als eine geschichtliche Notwendigkeit hingestellt. In verschiedenen Interviews ist wörtlich zitiert worden — —
— Dann lesen Sie nach, was Herr Kempski über ein persönliches Gespräch mit dem Herrn Bundeskanzler bei der Fahrt hier in Bonn, wenn ich mich recht erinnere, schreibt!
— Er hat es selbst geschrieben. Lesen Sie es doch nach!
Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Herbert Wehner hat erklärt, in dieser Zeit brauche unser Volk diese Koalition. Das ist Ihre Überzeugung, meine Damen und Herren.
Wir Freien Demokraten wollen sie gar nicht bestreiten.
Sie allein haben sie natürlich auch zu verantworten.
Diese Klarstellung ist gerade an dieser Stelle dringend notwendig, um jene Nebelwand von Legenden aufzureißen, mit der die Entscheidung für die neue Koalition verbrämt wurde.
Die Urheber dieser Koalition haben nämlich immer wieder versucht und versuchen es auch heute noch, in der eigenen Partei und vor der Öffentlichkeit die schwarz-rote Koalition als etwas Zwangsläufiges, am Ende sogar von der FDP Verursachtes, keinesfalls aber um Gottes willen selbst Gewolltes erscheinen zu lassen. Wer eine Koalition eingeht, muß auch bereit sein, sie voll zu verantworten. Er soll die Verantwortung nicht auf andere übertragen wollen, noch soll er seine Verantwortung dadurch vermindern wollen, daß er beständig den Eindruck erweckt, als sei hier eine Schar von Heiligen zur Sünde auf Zeit gezwungen worden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Regierungserklärung ist in mehrfacher Hinsicht ein bemerkenswertes Dokument. Sie mischt Argumente, Scheinargumente in bunter Folge.