Rede von
Eugen
Glombig
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Namen der SPD-Fraktion möchte ich zur dritten Lesung des Dritten Neuordnungsgesetzes zum Kriegsopferrecht folgende Erklärung abgeben:
Wir sind glücklich, dem Dritten Neuordnungsgesetz, das ein Finanzvolumen von 880 Millionen DM umfaßt, im Interesse der Kriegsopfer noch vor Weihnachten in der zweiten und dritten Lesung zustimmen zu können. Der Ausschuß für Kriegs- und Verfolgungsschäden hat die Beratung des Gesetzentwurfs in einem fast atemberaubenden Tempo durchgeführt und abgeschlossen. Das Ergebnis liegt vor uns. Wenn es auch nicht in allen Teilen restlos befriedigt — uns lag daran, den Gesetzentwurf so schnell wie möglich zu verabschieden, damit die Kriegsopfer so schnell wie möglich in den Genuß der erhöhten Leistungen kommen —, es kann sich sehen lassen. Mancher von uns — auch aus den Reihen der Kriegsopfer — hat sich in den letzten Wochen die bange Frage gestellt, ob das von der damaligen Bundesregierung am 12. Mai 1965 — also kurz vor der Bundestagswahl — abgegebene Versprechen überhaupt noch erfüllt werden könne. Dieses Ziel konnte tatsächlich nicht mehr erreicht werden. Das sollte allen politischen Kräften in unserem Lande eine Mahnung sein und sie veranlassen, gerade den Kriegsopfern und den ehemaligen Angehörigen der Bundeswehr gegenüber, die die schwersten Schäden, nämlich Schäden an Leib und Leben, zu tragen haben, verantwortlich zu handeln und nur das zu versprechen, was sie tatsächlich auch halten wollen oder halten können. Und doch: Trotz der Regierungskrise, die Gott sei Dank inzwischen überwunden werden konnte, trotz bestehender Finanzkrise und trotz beginnender Wirtschaftskrise, die wir hoffen auch bald zu überwinden, kann dieses Werk bestehen.
In der Diskussion über eine Verbesserung der Grundrenten im Rahmen eines Dritten Neuordnungsgesetzes wird seitens der Öffentlichkeit immer wieder die Frage nach der Berechtigung der Erhöhung der Grundrenten gestellt und seitens der Kriegsopfer vielfach auf andere gesetzliche Regelungen verwiesen, die sich mit der Abgeltung körperlicher Schäden befassen. Ich meine, es ist gut,auch hierzu, zu diesem Zeitpunkt und an dieser Stelle ein Wort zu sagen.
Von besonderer Bedeutung sind hier die zu Recht gewährten Leistungen — ich betone: die zu Recht gewährten Leistungen — nach dem Bundesentschädigungsgesetz und aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Gewiß sind Vergleiche mit Regelungen anderer Rechtsgebiete immer fragwürdig, weil sie sich meist nur auf Teilgebiete erstrecken können und die Gesetze in ihrer Gesamtheit keine stichhaltigen Vergleiche zulassen. Im Verhältnis zur Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz können daher nur Mindestrenten- oder Festrentenbestimmungen nach anderen Gesetzen vergleichsweise gegenübergestellt werden.
Im Bundesentschädigungsgesetz gelten ab 1. Oktober 1964 für Renten wegen Schäden an Körper oder Gesundheit z. B. folgende Mindestbeträge: bei einer Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit von 25 % bis 39 % 147 DM, von 40 % bis 49 % 187 DM. Die Renten nach dem Bundesentschädigungsgesetz werden überwiegend ins Ausland gezahlt.
Die Verletztenrenten in der gesetzlichen Unfallversicherung sind Festrenten, die vom Jahresarbeitsverdienst abgeleitet werden. Als Jahresarbeitsverdienst gilt das Arbeitseinkommen des Verletzten im Jahre vor dem Arbeitsunfall. Sie sind mit der Grundrente nur dann vergleichbar, wenn der Verletzte neben seiner Rente noch sein normales Erwerbseinkommen bezieht. Dies ist häufig der Fall. Bei einem Jahreseinkommen eines Hilfsarbeiters in der Industrie im Jahre 1965 — das sind 9100 DM — wären u. a. folgende Verletztenrenten zu zahlen: bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 % 152 DM, von 40 % 202 DM. Die Witwenrente für Witwen unter 45 Jahren beträgt 228 DM.
Bei der Gegenüberstellung mit den Grundrenten nach dem Bundesversorgungsgesetz im jetzigen Recht ergibt sich u. a. folgendes Bild: bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 % 45 DM, von 40 % 60 DM. Die Witwenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz beträgt 120 DM.
Weshalb, meine Damen und Herren, sage ich das auch in dieser Schlußerklärung noch einmal? Zwar hat man sich immer bemüht, diese unterschiedliche Rechtsgestaltung durch politische oder rechtliche Argumentation zu rechtfertigen; doch muß man sich darüber klar sein, daß solche Argumente die Betroffenen selbst nie überzeugt haben und auch nicht überzeugen können. Dabei soll nichts gegen die Rechtmäßigkeit der Leistungen in den anderen Bereichen des sozialen Rechts gesagt werden. Im Gegenteil, diese Zahlen sprechen gegen das Leistungsrecht in der Kriegsopferversorgung.
Im Hinblick auf die Renten der Schwer- und Schwerstbeschädigten kann nur festgestellt werden, daß das Bundesversorgungsgesetz durch seine zusätzlichen individuellen Leistungen — wie z. B. Ausgleichsrente und Berufsschadensausgleich — einem Vergleich mit anderen Gesetzen einigermaßen standhalten kann, wenn keine oder nur geringe anderweitige Einkünfte vorhanden sind. Bezüglich der Be-
3690 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1966
Glombig
schädigten mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 % und 40 % wird ein Leistungsvergleich immer zuungunsten des Bundesversorgungsgesetzes ausfallen, weil sie nur eine relativ geringe Grundrente erhalten.
Nun noch ein Wort dazu, was eine 30- oder 40%ige Erwerbsminderung nach dem Bundesversorgungsgesetz bedeutet. Sie bedeutet z. B.: die Versteifung des Schultergelenks in ungünstiger Stellung oder Verlust eines Unterschenkels bei günstigem Stumpf oder Absetzung eines Fußes oder Verlust einer Niere oder Magenresektion oder Wirbelbruch oder schwere Funktionsstörung der Zunge oder Kieferklemme mit Notwendigkeit der Aufnahme nur flüssiger Nahrung oder Verlust beider Ohrmuscheln oder hochgradige doppelseitige Schwerhörigkeit. Ich habe den Eindruck, daß das mitunter nicht gewußt wird, daß es aber gewußt werden muß, wenn man über die Frage der Grundrenten und ihrer Berechtigung nicht nur in diesem Hause, sondern auch draußen in der Offentlichkeit spricht.
Wir denken nicht daran, dem Gedanken der entschädigungslosen Enteignung des Grundrechts der körperlichen Unversehrtheit das Wort zu reden. Die Kriegsopfer, die auf ihre Grundrente wegen ihrer gehobenen sozialen Stellung verzichten können, haben die Möglichkeit, auf die Auszahlung der Grundrente durch eine entsprechende Willenserklärung tatsächlich zu verzichten. Sie sollen nicht soviel gegen diesen Anspruch reden, sie sollen handeln und damit zeigen, daß sie wirklich darauf verzichten..
Die SPD-Fraktion jedenfalls wird sich auch in Zukunft ihrer Verpflichtung gegenüber den Kriegsopfern in vollem Umfange bewußt sein und stimmt diesem Gesetzentwurf aus voller Überzeugung zu.