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ID0505902900

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 59. Sitzung Bonn, den 23. September 1966 Inhalt: Begrüßung des 5 000 000. Besuchers des Bundestages Abg. Roß tritt in den Bundestag ein . . . 2881 A Schriftliche Berichte des Ausschusses für Wirtschafts- und Mittelstandsfragen über die Einundfünfzigste, Sechsundfünfzigste, Siebenundfünfzigste und Einundsechzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1966 (Zollkontingente für gewerbliche Waren — 2. Halbjahr 1966, Zollkontingente für Seidengarne und Schappeseidengarne —3. Quartal 1966, Waren der EGKS —2. Halbjahr 1966, Zollaussetzung für HET-Säure) (Drucksachen V/901, V/ 902, V/903, V/904, V/935, V/936, V/937, V/938) 2881 C Große Anfrage betr. Vorschläge zur Rüstungsbegrenzung und Sicherung des Friedens (SPD) (Drucksache V/775) Schmidt (Hamburg) (SPD) . 2882 B, 2920 C Dr. Schröder, Bundesminister 2891 D, 2908 B Dr. Birrenbach (CDU/CSU) . . . . 2898 C Wehner (SPD) . . . . . . . . . 2904 B Freiherr von Kühlmann-Stumm (FDP) 2910 C Freiherr von und zu Guttenberg (CDU/CSU) 2913 A Genscher (FDP) 2918 B Dr. Schulze-Vorberg (CDU/CSU) . 2923 A Nächste Sitzung 2924 Anlagen 2925 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1966 2881 59. Sitzung Bonn, den 23. September 1937 Stenographischer Bericht Beginn: 8.59 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Abelein 4. 10. Dr. Achenbach *) 13. 10. Dr. Adenauer 5. 10. Adorno 23. 9. Dr. Aigner *) 24. 9. Dr. Althammer 23. 9. Dr. Apel*) 24. 9. Arendt (Wattenscheid) *) 24.9. Dr. Arndt (Berlin /Köln) 23. 9. Dr. Artzinger 5. 10. Bading *) 24. 9. Dr.-Ing. Dr. h. c. Balke 23.9. Bäuerle 31. 10. 'Bauknecht 23. 9. Berendsen 24. 9. Bergmann *) 24.9. Berkhan *) 24.9. Berlin 20. 10. Dr. Besold 23.9. Beuster 23.9. Blachstein 10. 10. Blöcker 23. 9. Blumenfeld 24. 9. Borm 23.9. Frau Brauksiepe 30.9. Brese 23. 9. Dr. Burgbacher *) 24. 9. Burgemeister 23.9. Busse (Herford) 26.9. Dr. Conring 23. 9. Corterier *) 24. 9. Dr. Dehler 23. 9. Deringer *) 24. 9. Dr. Dichgans *) 24.9. Diekmann 23. 9. Dr. Dittrich*) 24. 9. Draeger * 24.9. Dröscher * 24.9. Ehnes 23. 9. Eisenmann 24. 9. Frau Dr. Elsner *) 24.9. Dr. Eppler 7. 10. Erler 30.9. Erpenbeck 23.9. Ertl 23. 9. Faller*) 24. 9. Fellermaier 23. 9. Flämig *) 24. 9. Frehsee 30.9. Fritz (Wiesbaden) 23.9. Frau Funcke 23. 9. Dr. Furler 5) 24. 9. Gerlach * 24.9. Glombig 24.9. Glüsing (Dithmarschen) 23.9. *) Für die Teilnahme an einer gemeinsamen Sitzung Europarat/ Europäisches Parlament Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Götz * 26. 9. Graaff 23. 9. Haage (München) 23. 9. Hahn (Bielefeld) 24. 9. Dr. Hauser (Sasbach) 23. 9. Dr. Dr. Heinemann 28. 9. Dr. Hellige *) 24. 9. Frau Herklotz *) 24. 9. Herold *) 24. 9. Hilbert 24. 9. Hirsch 23. 9. Hösl 24. 9. Dr. Huys 5. 10. Illerhaus *) 24. 9. Dr. Ils 23. 9. Iven 26. 9. Dr. Jaeger 23. 9. Dr. Jungmann 24. 9. Kahn-Ackermann 6. 10. Dr. Kempfler 23. 9. Frau Klee 23. 9. Dr. Kliesing (Honnef) 23. 9. Klinker*) 24. 9. Dr. Kopf 4. 10. Frau Korspeter 30. 9. Krammig 23. 9. Kriedemann *) 24. 9. Krug 23. 9. Dr. Kübler 30. 9. Kühn (Hildesheim) 23. 9. Kulawig *) 24. 9. Lemmer 23. 9. Lemmrich 23. 9. Lenz (Brühl) *) 24. 9. Lenz (Trossingen) 30. 9. Lenze (Attendorn) *) 24. 9. Leukert 23. 9. Dr. Löhr *) 24. 9. Lücker (München) *) 24. 9. Dr. Martin 6. 10. Dr. Marx (Kaiserslautern) 29. 9. Mauk *) 24. 9. Frau Dr. Maxsein*) 24. 9. Dr. Meinecke 23. 9. Memmel *) 24. 9. Dr. von Merkatz 23. 9. Merten *) 24. 9. Metzger *) 24. 9. Michels 30. 9. Missbach 23. 9. Dr. Mommer 23. 9. Müller (Aachen-Land) *) 24. 9. Dr. Müller (München) 23. 9. Dr. Müller-Hermann 23. 9. Ott 23. 9. Frau Pitz-Savelsberg 30. 9. Pöhler *) 24. 9. Prochazka 23. 9. Raffert 6. 10. Richarts *) 24. 9. Riedel (Frankfurt) *) 24. 9. Dr. Rinderspacher *) 24. 9. Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich Rock 2. 10. Rösing 23. 9. Dr. Rutschke *) 24. 9. Saam 7. 10. Sander 23. 9. Prinz zu Sayn-WittgensteinHohenstein 23. 9. Schlee 5. 10. Dr. Schmid (Frankfurt) *) 24. 9. Schmidt (Hamburg) *) 24. 9. Schmidt (Kempten) 23. 9. Dr. Schmidt (Offenbach) 23. 9. Frau Schroeder (Detmold) 23. 9. Schulhoff 23. 9. Schultz (Gau-Bischofsheim) 23. 9. Dr. Schulz (Berlin) 5) 24. 9. Seibert 23. 9. Seifriz *) 24. 9. Dr. Serres 5) 24. 9. Seuffert*) 24. 9. Spitzmüller 24. 9. Dr. Springorum *) 24. 9. Dr. Süsterhenn 23. 9. Dr. Starke (Franken) *) 24. 9. Steinhoff 25. 9. Stingl 25. 9. Strauß 23. 9. Strohmayr 23. 9. Frau Strobel 5) 12. 10. Teriete 20. 10. Dr. Dr. h. c. Toussaint 25. 9. Unertl 23. 9. Dr. Verbeek 23. 9. Dr. Freiherr von VittinghoffSchell *) 24. 9. Vogt *) 24. 9. Wächter 8. 10. *) Für die Teilnahme an einer gemeinsamen Sitzung Europarat/ Europäisches Parlament Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Wagner 23.9. Dr. Wahl *) 23.9. Weimer 5. 10. Windelen 23.9. Dr. Wörner 30.9. Baron von Wrangel 15. 10. Zerbe 23.9. Dr. Zimmermann 23.9. Anlage 2 Umdruck 99 Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP zur Großen Anfrage der Fraktion der SPD betr. Vorschläge zur Rüstungsbegrenzung und Sicherung des Friedens - Drucksache V/775 Der Bundestag wolle beschließen: Der Deutsche Bundestag wünscht eine kontrollierte, dem Frieden dienende Abrüstung. Er dankt der Bundesregierung für die Friedensnote und fordert sie auf, in diesem Sinne unbeirrt weiterzuwirken. Der Deutsche Bundestag würde es dankbar begrüßen, wenn außer der Bundesrepublik Deutschland weitere Staaten auf die Herstellung atomarer, biologischer und chemischer Waffen ausdrücklich verzichten und sich - wie wir - einer entsprechenden Kontrolle unterwerfen würden. Das deutsche Volk weiß sich in seiner Friedenssehnsucht einig mit allen Nachbarvölkern in Ost und West. Bonn, den 23. September 1966 Dr. Barzel und Fraktion Freiherr von Kühlmann-Stumm und Fraktion
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Freiherr Karl Theodor von und zu Guttenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte es für bedauerlich, daß diese Debatte vor einem derart leeren Hause stattfindet, — dies nicht deshalb, weil der Redner, der hier steht, sich damit abzufinden hal, sondern einfach deshalb, weil die Öffentlichkeit eine solche Debatte mithört und weil hier der Eindruck aufkommen könnte, als ob die Schicksalsfragen, um die es in einer solchen Debatte geht, in unserem Hause nicht die Beachtung fänden, die sie verdienen.
    Meine Damen und Herren, ich habe nicht vor, Ihnen eine lange Rede zu halten. Ich möchte aber doch zu einigen Punkten Stellung nehmen, die in den Reden der Sprecher der Fraktionen berührt wurden.
    Ich darf einen Satz zu dem sagen, was soeben der Herr Vorsitzende der Koalitionsfraktion der FDP gesagt hat. Er hat den Gedanken aufgebracht; eine allgemeine Erklärung der Bundesregierung zur Frage des Alleinvertretungsrechts an eine große Zahl von Staaten zu schicken, um auf diese Weise — so drückte er sich aus — die Handlungsfreiheit der Bundesregierung zu erweitern. Gewiß, man sollte über diesen Vorschlag nachdenken. Das Nachdenken, das ich bis zu diesem Zeitpunkt hier vollzogen habe, führt mich zu folgendem Ergebnis: Ich glaube, wenn man tatsächlich der Ansicht wäre, durch eine solche generelle Erklärung Handlungsfreiheit auf diesem Felde schaffen oder erweitern zu können, dann nähme man damit an, daß eine völkerrechtliche Erklärung mehr Gewicht besitze als tatsächliche, konkrete Handlungen. Ich fürchte daher, daß eine solche Erklärung, die man nach dem römischen Recht dann vielleicht eine protestatio facto contraria" nennen müßte, sogar dazu führen könnte, daß die Glaubwürdigkeit des Alleinvertretungsrechts eingeschränkt wird.
    Ich möchte auch noch einen Satz zu dem sagen, was Herr Kollege Wehner im Zusammenhang mit dem Vorschlag eines Austausches von Gewaltverzichtserklärungen gesagt hat. Herr Kollege Wehner, es ist doch nicht zu bestreiten, daß es bei dem Gedanken eines derartigen Austausches von Gewaltverzichtserklärungen mit osteuropäischen Regierungen das Problem der Zone gibt. Es ist doch auch nicht zu bestreiten, daß es von drüben den konkreten und täglich vorgetragenen Willen gibt, uns zu einer Aufwertung und Anerkennung der SBZ zu zwingen, so daß wir uns hier also in dem Dilemma befinden, einerseits zum x-ten Male deutlich zu machen, daß wir selbstverständlich keine Absichten der Gewaltanwendung der Zone gegenüber haben, andererseits aber eine Form zu finden, die nirgends in der Welt als ein Element der Stabilisierung dieser Zone verstanden werden kann.
    Erlauben Sie mir, auf das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern zurückzukommen, das Sie, Herr Kollege Wehner, hier zitiert haben. Sie sagten, es könnte sich eines Tages herausstellen, daß die deutsche Politik, die Bundesregierung nichts mehr vorzuzeigen habe, daß sie also nackt dastehe. Ich bin hier anderer Meinung, Herr Kollege Wehner, ich glaube, daß die Freiheitsforderung der deutschen Politik das Gewand all unserer politischen Schritte ist, und ich behaupte, daß diese Freiheitsforderung eine starke Karte unserer Politik ist. Wäre sie das nicht, würde die Sowjetunion nicht alles daransetzen, uns dieser Karte und dieses Kleides zu berauben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Daher glaube ich, daß wir uns auch in einem solchen Falle wie dem des Austausches von Gewaltverzichtserklärungen sehr wohl ernsthaft Gedanken darüber machen müssen, wie man dieses Problem einer Vermeidung der Auswertung oder Hinnahme der Zone in unschädlicher Weise lösen kann.
    Ganz gewiß müßte es die Möglichkeit geben, hier einen Kompromiß zu finden. Nach meiner Meinung könnte diese Möglichkeit vielleicht dadurch gefunden werden, daß wir uns überlegen, der Sowjetunion — aber nur der Sowjetunion — einen solchen Austausch von Gewaltverzichtserklärungen hinsichtlich auch des Territoriums der Zone vorzuschlagen. Denn die Sowjetunion ist für die Zone zuständig. Wer wollte uns, wenn wir einen solchen Vorschlag machen, ob er dann durchgeführt wird oder nicht, noch verdächtigen?
    Meine Damen und Herren, mir scheint, daß diese Debatte heute eine große Aktualität besitzt. Der Herr Minister sagte — und damit hat er sicher recht —, daß es sich bei den Gesprächen, die die Bundesregierung dieser Tage in Washington zu führen hat, um die turnusmäßige Abwicklung solcher Besuche handelt. Ich glaube jedoch, daß von der Bundesregierung in Washington Stellungnahmen erwartet werden, die den Rahmen der Tagespolitik sprengen. Daher halte ich es für gut und nützlich, daß diese Debatte heute die Möglichkeit gibt, uns mit Freimut und mit Ernst zu diesem Thema zu äußern, weil unsere Regierung wissen muß, was das Parlament von ihr erwartet, aber auch nicht minder deshalb, weil ja das Wort der Sprecher dieses Hauses auch nach draußen wirksam ist.
    Ich fürchte, daß der Bundeskanzler keinen leichten Gang nach Washington zu gehen hat. Er wird dort zäh um deutsche Interessen ringen müssen. Daran, meine ich, kann niemand zweifeln, der die Entwicklungen der letzten Monate mit offenen Augen verfolgt hat.
    Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie mich anschließen: Die Ehrlichkeit gebietet die Feststellung, daß es nicht die Willkür eines Partners, sondern vor allem anderen die objektive Veränderung der Lage ist, die die Behauptung der deutschen Interessen schwieriger und schwieriger macht.
    Was ist nun diese Lage? Wenn Sie diese Frage heute der deutschen Öffentlichkeit stellen, dann



    Freiherr von und zu Guttenberg
    werden die meisten Befragten damit antworten, daß sie befriedigt auf eine gewisse Entspannung hinweisen, die seit Kuba und seit Berlin in Europa eingetreten ist; und sie werden gleichzeitig konstatieren, daß es manche hoffnungsvolle Entwicklung im östlichen Europa gibt. Ich wäre der letzte, der diese Fakten nicht bestätigte oder gar, wie so manche unfreundliche Zeitgenossen dies einem manchmal unterstellen, den heimlichen Wunsch hätte, zum kalten Krieg zurückkehren zu wollen.
    Nur, so begrüßenswert es ist, daß uns gegenwärtig in Europa keine akute Krise mehr in Atem hält, so falsch wäre es meines Erachtens andererseits, zu glauben, daß die eingetretene Beruhigung etwa unsere Probleme erleichtern oder gar bereits einen Weg zu ihrer Lösung eröffnen könne; und dies aus zwei auf der Hand liegenden Gründen: einmal deshalb, weil die Windstille in Europa die Kehrseite des Sturmes ist, der derzeit in Asien weht, und zum anderen, weil der eigentliche Quell unserer Sorge, nämlich die Macht und die politische Zielsetzung der Sowjetunion uns gegenüber, unverändert fortbesteht.
    Man soll daher zwei Dinge nicht verwechseln, nämlich einmal die gegenwärtig herrschende, von niemand bestrittene tatsächliche Entspannung und zum anderen das, was unter der Devise sogenannter Entspannungspolitik aktiv von da und dort betrieben wird. Das erste ist ein erfreulicher Sachverhalt. Das zweite erfordert jedoch die kritische Prüfung des jeweils realen Inhalts eines Schrittes oder Vorschlages, von dem der jeweilige Urheber sagt, daß er der Entspannung diene.
    Ich bestreite nicht, daß es Bereiche gibt, in denen östliches und westliches Interesse zusammenfallen. Das gilt vor allem dort, wo beide Giganten Vorsorge treffen wollen gegen einen nuklearen Krieg. Aber ich behaupte, daß der Kern aller sowjetischen Entspannungsvorschläge letztlich etwas anderes ist als wirkliche, reale und dauerhafte Entspannung. Es ist die Konsolidierung, die Fixierung und Legitimierung des sowjetischen Besitzstandes in Europa.
    Daher ist dies die Gretchenfrage an die deutsche Politik: Können wir, die Deutschen, einer sogenannten Entspannung zustimmen, die um den Preis der Hinnahme des Status quo gewonnen werden soll? Es gibt solche, die dies sagen, auch hier bei uns in Deutschland. Und es gibt viele, die so denken. Meine Meinung ist anders. Ein Deutschland, ja ein Europa, das sich mit dem Status quo der Teilung abfinden wollte, hätte sich selbst preisgegeben. Das ist nicht Theorie, das ist auch nicht blutleere theoretische Moral, das ist Wirklichkeit. Die Folge solcher Politik wäre nicht Entspannung und wäre nicht, wie viele hoffen, eine automatische Liberalisierung im kommunistischen Bereich, sondern sie wäre die sich langsam vollziehende weltgeschichtliche Niederlage des freien Westens in Europa.
    Denn, meine Damen und Herren, die sowjetische Politik ist doch nur scheinbar defensiv, nur scheinbar mit dem Status quo zufrieden. Ich sage das an die Adresse des Kollegen Helmut Schmidt, der heute früh gesagt hat, daß die sowjetische Politik am Status quo interessiert sei. Die Sowjetunion ist doch nur scheinbar lediglich um Stabilität bemüht. Nicht daß Moskau etwa geradewegs ein kommunistisches Gesamtdeutschland ansteuerte — das ist eine Primitivvorstellung —, sondern das sowjetische Ziel ist offensiv in einem anderen, in einem viel realistischeren Sinn. Es ist die Sanktionierung und Verankerung eines Unrechtstatbestandes durch die freie Welt,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    und das heißt in der Logik der Geschichte und der Geographie der Teilung Deutschlands.
    In der Tat, meine Damen und Herren, wäre es doch eine entscheidende Veränderung des Status quo zugunsten Moskaus, wäre es doch eine Niederlage des Westens, wenn es der Sowjetunion gelänge, uns Deutsche davon abzubringen, diesen Status quo weiterhin konkret und aktiv in Frage zu stellen.
    Mit anderen Worten: Das offensive Ziel der sowjetischen Europapolitik ist die Entaktualisierung des deutschen Wiedervereinigungsverlangens. Es ist die praktische Anerkennung — die praktische, sage ich, nicht die rechtliche — des zweiten und dritten deutschen Staates, wie sie drüben sagen. Dieses Ziel ist offensiv, weil es erstens die Sowjetunion selbst vom Druck der deutschen Freiheitsforderung befreien und weil es zweitens dazu dienen soll, die Bundesrepublik und ihre Partner zu entzweien. Das ist der harte Kern aller sowjetischen Entspannungs- und Koexistenzpolitik. Die SBZ, das SBZ-Regime soll eine „res extra commercium", eine undiskutable Sache werden.
    Meine Damen und Herren, in dieses Bild einer geschickten und erfolgreich verschleierten politischen Offensive fügt sich nahtlos ein, daß hinter der äußeren Kulisse der eingetretenen Entspannung die sowjetische Militärmacht zügig und kräftig verstärkt und gesteigert wurde. Ich brauche Ihnen die diesbezüglichen Zahlen und Fakten nicht zu wiederholen; sie sind bekannt, und sie sind leider nur allzu eindrucksvoll.
    Das alles bedeutet natürlich nicht, daß die deutsche Ostpolitik etwa zum Nichtstun, zum „Schotten dicht" verurteilt sei und daß sie keine Chance zum Handeln habe. Im Gegenteil! Nur dies: Man sollte endlich aufhören, den deutschen „Immobilismus" zu beklagen. Sehr wahr, es gibt eine, eine einzige und leider überaus mächtige Quelle des Immobilismus in Europa, nämlich das absolute, das uneingeschränkte, das harte, verbissene Nein der Sowjetunion, über Veränderungen, die wir von ihr wünschen, auch nur zu reden.
    Ich weiß, daß es nicht populär ist und daß es nicht dem sogenannten Trend — wie dieses schöne neue deutsche Wort heißt — der öffentlichen Meinung bei uns entspricht, all dies hier ungeschminkt zu sagen. Aber, meine Damen und Herren, was um Himmels willen ist die Pflicht des Parlaments? Sich einem solchen Trend zu beugen, von dem man weiß, daß er bedrohlich ist, nur deshalb, weil er Mode ist, weil er dem Wunsch entspricht, den andere uns gegenüber aussprechen?



    Freiherr von und zu Guttenberg
    Unsere Partner müssen wissen, daß die Stabilität des freien Deutschland nicht ungemessener Belastung auszusetzen ist. Wenn wir das sagen — das möchte ich mit allem Nachdruck unterstreichen —, dann tun wir dies aus einem Grunde, nämlich um zu warnen. Wir erwarten, daß man unter Alliierten zu unterscheiden weiß zwischen der Sorge derer, die da warnen, und den Wahnideen derer, die da glauben, drohen oder gar erpressen zu können. Man kann, ja, man muß von den Deutschen Geduld erwarten. Dagegen stemmt sich niemand, und davon ist auch nicht die Rede.
    Was man hingegen von den Deutschen nicht erwarten kann, wäre ein stilles und ein sozusagen gottergeben frommes Sichschicken in eine Situation, deren wesentliche Elemente die folgenden wären: der praktische Verzicht auf die deutsche Wiedervereinigung, die Stagnation des hoffnungsvollsten Beginnens unserer Politik: der Einigung Europas, die schleichende Korrosion des atlantischen Bündnisses und ein beginnendes militärisches Desengagement der Vereinigten Staaten von Europa.
    Ich behaupte nicht, daß all dies schon auf dem Wege sei. Ja, ich sage im Gegenteil, daß sich derart bedrohliche potentielle Entwicklungen zwar fraglos heute vor unseren Augen abzeichnen, daß sie jedoch durch eine kluge und tatkräftige deutsche Politik weitgehend aufgehalten, geändert und auf andere Wege geleitet werden können. Ich habe die Zuversicht — und ich glaube, wir alle sollten sie teilen —, daß sich ein Alliierter, wie immer er heißt, von uns vor die konkrete Frage gestellt, zwischen Lebensrechten des Freundes und den Interessen des Gegners zu wählen, im Zweifel für seinen Alliierten entscheiden wird.
    Die gegenwärtige Situation, das unbestreitbar eingetretene Dilemma der deutschen Politik ist ja nicht von ungefähr entstanden. Es ist vor unseren Augen herangereift. Heute besteht es nach meiner Meinung erstens darin, daß die Vereinigten Staaten nicht mehr zur Verfügung stehen und — ich erkläre das mit Nachdruck — derzeit nicht zur Verfügung stehen können für eine konkrete, aktive und kontinuierliche Politik der Infragestellung des Status quo, der Konfrontation der Sowjetunion mit der deutschen Frage. Und dieses Dilemma besteht zweitens darin, daß das Interesse der Vereinigten Staaten ständig gewachsen ist, gewisse Brücken zum sowjetischen Gegner zu bauen, Brücken, deren Fundament die Maxime des „quieta non movere" und deren Bausteine amerikanisch-sowjetische Gemeinsamkeiten sind, die zwar dem amerikanischen, nicht aber in jedem Falle dem deutschen und dem europäischen Interesse entsprechen. Drittens, meine Damen und Herren, besteht dieses Dilemma in der Tatsache, daß es bisher nicht gelungen ist, aus der offenen Krise der NATO und aus der schleichenden Krise der europäischen Einigungspolitik den Weg nach vorn zu finden.
    Meine Damen und Herren, zu diesem dritten Punkt ein — aus Zeitgründen kurzes — Wort. Herr Kissinger, ein angesehener amerikanischer Denker, ein guter Freund der NATO und der deutsch-amerikanischen Allianz, hat letzthin den beherzigenswerten Satz geschrieben:
    Was in der Außenpolitik nicht als neuer Anfang genützt wird, das erweist sich schnell als der Beginn des Niedergangs.
    Mir scheint, daß dieser Satz uneingeschränkt und mit geradezu gebieterischer Eindringlichkeit für unsere Stellungnahme zur NATO und zur politischen Einigung Europas gilt. Es wäre ungenügend, ja, meine Damen und Herren, es wäre — um mit Kissinger zu sprechen — der Beginn wirklichen Niedergangs, wollten wir uns damit begnügen, starr und immobil an den alten Maximen und Dogmen festzuhalen, die Eigenmächtigkeit der Franzosen zu beklagen, wollten wir uns damit begnügen, den Stuhl für die Franzosen freizuhalten, den sie jeweils — zu unserem Bedauern! — verlassen haben, und im übrigen vielleicht Einflüsterungen unterliegen, die uns nichts anderes zu raten wissen, als sich eben bedauernd von einem französischen Partner abzuwenden, mit dem nichts, aber auch gar nichts zu machen sei.
    Nach meiner Meinung ist es anders. Ich glaube, daß wir erkennen und daß wir die Erkenntnis praktizieren sollten, daß jeder unserer Partner im Bündnis seinen eigenen, seinen spezifischen und seinen ihm gemäßen Wert für die deutsche Politik besitzt. Der Wert Amerikas ist jedem in diesem Hause bewußt: es ist der Wert einer unersetzlichen, unverzichtbaren Garantiemacht für die deutsche Sicherheit. Also ist der Wert der Vereinigten Staaten in diesem Bündnissystem für uns militärischer und politischer Natur, mit dem Akzent allerdings auf dem Thema Sicherheit, auf dem Thema Bündnis. Der spezifische Wert des französischen Nachbarn ist erst in zweiter Linie militärisch. Vor allem besteht er in der Rolle unseres politischen Partners auf der europäischen Bühne; in der Rolle des -- erlauben Sie mir das Wort — Bürgen für das neue Deutschland, dessen also, der ja doch — nicht anders als die Sowjetunion, nicht anders als Polen, als die Tschechoslowakei, als Ungarn — unter der Vergewaltigung durch ein vergangenes Deutschland gelitten und dennoch und ostentativ die Versöhnung vollzogen hat. Der Wert dieses französischen Partners besteht weiterhin darin, daß es eine weitgehende, objektive Identität der Interessen zwischen Frankreich und Deutschland gibt, die genützt werden kann; trotz oder wegen de Gaulle, wie immer der einzelne dies beurteilen mag.
    Der Weg nach vorn, der neue Anfang, von dem Kissinger gesprochen hat, er ist nach meiner Meinung — ich sage das rundheraus — nicht anders zu gehen als in wachsender Gemeinsamkeit zwischen Deutschland und Frankreich. Ich bin dankbar, auch aus den Reihen der Sozialdemokratie die Aufforderung zu hören, sich um Verzahnung mit Frankreich und um die Realisierung solchen Weges zu bemühen. Dabei wissen wir alle, daß solche Gemeinsamkeit nicht leicht und nicht um die nächste Ecke herum zu verwirklichen ist, daß man sie nicht sozusagen nur durch einen Entschluß bereits herbeiführen kann. Das gewiß nicht. Aber wer wollte denn bestreiten, daß angesichts der weltpolitischen Ver-



    Freiherr von und zu Guttenberg
    änderungen das Gewicht und der Wert der deutschfranzösischen Solidarität in wachsendem Maße offenkundig, deutlich und unbestreitbar geworden ist?
    Herr Kissinger hat in dem gleichen Zusammenhang noch einen anderen Satz geschrieben; er lautet wörtlich:
    Ein größeres Maß an politischer und militärischer Selbständigkeit Europas ist essentiell für den Zusammenhalt des Westens und ist daher im Interesse Amerikas.
    Der Satz trifft den Kern der Dinge. Europa muß zusammenwachsen, nicht, weil es sich von Amerika zu trennen, sondern, weil es das Bündnis mit Amerika zu festigen gilt.
    Ich nehme auf, was Herr Helmut Schmidt heute vormittag gesagt hat, als er davon sprach, daß die Struktur der amerikanischen Allianz sich ändern müsse, daß aus dem Patronat Amerikas über Europa eine Partnerschaft zwischen Amerika und Europa entstehen solle. Früher haben das andere gesagt; die hat man dann als antiamerikanisch verschrien, nicht wahr, Herr Kollege Schmidt!? Ich bin dankbar, daß es heute anders tönt. Wir haben, meine ich, eigentlich nur die Frage — was heißt „nur"? —, die große Frage zu beantworten: Wie soll Europa zusammenfinden? Diese Frage zu beantworten, heißt doch: es wird nur dann ein gemeinsames Europa geben, wenn es Frankreich und Deutschland gelingt, geeinte Wege zu gehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wer denn in aller Welt, im Osten oder im Westen, würde es uns Deutschen honorieren, wenn wir es unterlassen wollten, jeden, aber auch jeden Versuch zu unternehmen, konkret, aktiv und hartnäckig die Zusammenarbeit mit Frankreich zu verwirklichen? Niemand — wohlgemerkt niemand! — plädiert hier in diesem Hause dafür, sich an die Rockschöße des französischen Generals zu hängen. Erlauben Sie mir aber hinzuzusetzen, daß dies in gleichem Maße falsch wäre, wie man es andererseits paradox nennen müßte, wollten wir etwa, an den Rockschößen des amerikanischen Präsidenten hängend, aus Gründen unserer Sicherheit Plänen zustimmen, die unserer Sicherheit zuwiderlaufen. Worauf es ankommt, ist eine stetige deutsche Politik, die es versteht, in der Interessenlage der anderen die eigene Chance jeweils zu erkennen und zu nützen.
    Ich habe gesagt, daß von den Vereinigten Staaten gegenwärtig nicht erwartet werden könne, die Sowjetunion mit deutschen Fragen zu bedrängen. Deshalb, vor allem deshalb, aber auch aus einer Reihe von anderen Gründen, sollten wir ein Wort begrüßen, das vor geraumer Zeit einmal das Hohe Haus beschäftigt und zu kontroverser Diskussion geführt hat. Ich rede von dem Wort de Gaulles von der „Europäisierung der Deutschland-Frage". Sie, meine Damen und Herren von der Linken haben seinerzeit durch Ihren Sprecher erklärt, mit dieser Formel strebe Frankreich möglicherweise an, die Vereinigten Staaten von der Mitwirkung an der
    Lösung der deutschen Frage auszuschließen. Ich habe den Eindruck — vielleicht irre ich mich —, daß diese Interpretation heute auch bei Ihnen einer neuen Sicht zu weichen beginnt. In der Tat, gibt es nicht heute allen Anlaß, die deutsche Frage als eine Sache zu begreifen, die in erster Linie in der Hand der Europäer liegen muß? Sollte man nicht auch auf diesem Felde endlich lernen, statt in künstlichen Alternativen in jenen natürlichen Prioritäten zu denken, die Geographie und Geschichte den Handelnden jeweils setzen?
    Europäisierung der Deutschland-Frage! Haben wir nicht bereits damals mit dieser Sache begonnen, als wir die ersten Schritte zur Einigung Europas taten? Ist es nicht heute eine sozusagen unbestrittene Maxime, oder mindestens eine beinahe unbestrittene Maxime, daß Gemeinsamer Markt und Politische Union Europas als Stationen zur Wiedervereinigung Europas und damit zur Wiedervereinigung Deutschlands begriffen werden müssen?
    Lassen Sie mich ein paar Sätze auch zur Frage Osteuropa sagen. Ich bin der Meinung, daß die Europäisierung der Deutschland-Frage selbstverständlich so, wie sie diesen westlichen Aspekt besitzt, den ich eben geschildert habe, auch einen östlichen Aspekt besitzt. Hierbei geht es darum, zu begreifen, daß die Wiedervereinigung eines freien Deutschlands nicht ohne eine Änderung auch der osteuropäischen Landschaft vorzustellen ist. Deshalb muß eine solche Europäisierung der DeutschlandFrage von uns auch ostpolitische Aktion verlangen. Aber wer könnte denn übersehen, daß die Teilung unseres Landes ein effektiv bestehendes Handikap für unsere Handlungsfreiheit gegenüber Osteuropa ist? Vielleicht könnte man sich vorstellen — wenn Sie mir gestatten, sozusagen laut zu denken —, daß solche Handlungsfreiheit sich erweitern ließe, wenn man ein gemeinsames französisch-deutsches Aktionsprogramm auf dem Hintergrunde einer gleichfalls mit Frankreich gemeinsam erarbeiteten und erklärten Deutschlandpolitik vereinbaren könnte? So etwas besteht noch nicht, und so haben wir die Chancen und Risiken unserer Europapolitik heute allein zu bedenken, allein zu nutzen und allein zu tragen.
    Meine Damen und Herren, was heißt aktive Osteuropapolitik? Das heißt doch vor allem und in erster Linie, die Polen, die Tschechen, die Ungarn, die Rumänen, die Jugoslawen und die Bulgaren langsam und Schritt für Schritt für unsere Sache zu gewinnen. Nicht, daß diese Völker etwa noch nicht wüßten, daß das neue Deutschland nichts mehr mit dem Zerrbild Deutschlands unter Hitler zu tun hat. Es gibt ja kaum einen Reisenden, der aus dieser Region nicht die Erkenntnis zurückbringt, daß die Bundesrepublik dort generell und in der Regel einen guten Namen hat. Dennoch sollten wir nach Kräften menschliche Kontakte, kulturellen Austausch und touristisches Kennenlernen fördern, und wir sollten politisch klugen Gebrauch — Gebrauch sage ich — von den stetig wachsenden Handelsbeziehungen zwischen uns und diesen Ländern machen. Auf diese Weise können wir hoffen, ein Kapital des „Goodwill" einzusammeln, das eines Tages zu Buche schlagen wird.



    Freiherr von und zu Guttenberg
    Herr Kollege Helmut Schmidt, Sie haben heute morgng nicht gerade dazen mit Blick auf Polen etwas gesagt, was nach meiner Meinuu dienlich war, einen solchen Good will in Polen zu erwecken. Sie sagten den Satz: In Polen liebt keiner die Deutschen.
    Nun, ich möchte in diesem Zusammenhang nicht die Frage untersuchen, wer heute allzu „zackig" hier gesprochen hat. Ich will Ihnen, Herr Kollege Helmut Schmidt, nur dies antworten: Ist dieses Wort, das Sie hier so in die Welt gesetzt haben, die rechte Antwort auf die Tatsache, daß sich die Bischöfe Polens ,durch eine öffentliche Erklärung, daß sie die Versöhnung mit den Deutschen wünschen, schwere Sorgen aufgeladen haben?

    (Beifall bei der CDU/CSU.)



Rede von Dr. Maria Probst
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

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    Rede von Freiherr Karl Theodor von und zu Guttenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Bitte!