Rede von
Helmut
Schmidt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Lassen Sie mich noch einen Punkt anfügen, was den kurzfristigen Aspekt
2888 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — '59. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1966
Schmidt
unserer deutsch-amerikanischen Probleme angeht. Natürlich müssen auch wir dort Lösungen für das Devisenproblem anbieten. Es wäre gut, wenn dies, wie schon immer London gegenüber, in Zukunft nicht durch das deutsche Verteidigungsressort geschähe. Und mir scheint es notwendig zu sein, daß Lösungen von uns aus nicht nur 'auf militärischem Felde angeboten werden. Soweit aber in Zukunft auch das militärische Feld zum Devisenausgleich gebraucht wird, scheinen mir zwei deutsche Vorschläge denkbar zu sein, die auch unseren eigenen Sicherheitsinteressen nützen. Zum einen ist denkbar, daß die Bundesrepublik anbietet, amerikanische Airlift-Kapazität zu kaufen und sie dann den Vereinigten Staaten zur Verfügung zu stellen, 'damit jederzeit eine schnelle Rückverlegung amerikanischer Truppen nach Europa gewährleistet ist. Zum anderen ist es denkbar, daß wir amerikanische Waffen und Geräte kaufen und sie in Europa lagern, damit, wenn amerikanische Truppen schnell nach Europa zurücktransportiert werden müssen, sie ihre Waffen und Geräte hier vorfinden. Natürlich sind auch Kombinationen davon denkbar.
Um von diesem Exkurs zurückzukommen: Ich glaube nicht, daß wir bei den 'kurzfristigen .Problemen auf sehr viel Hilfe durch Großbritannien rechnen können. England ist auf absehbare Zeit mit sehr schweren eigenen Problemen okkupiert, die englische Tendenz zum Truppenabzug aus Europa ist noch stärker als die amerikanische. Im übrigen wird in England die Entspanntheit der europäischen Situation voraussichtlich immer stärker betont werden als in Washington. Meine tiefe persönliche Überzeugung ist, daß man sich im Falle der akuten Gefahr auf England immer ganz verlassen 'kann, daß aber in Perioden äußerlich friedlicher Entwicklung in England stets eine Tendenz da sein wird, die latenten Gefahren unterzubewerten.
Was Frankreich angeht: Frankreich 'hat unter de Gaulle durch seine außenpolitische Strategie nicht viel gewonnen, aber sehr viel Prestige gewonnen. Gleichzeitig hat dieser Mann Europa in den letzten drei Jahren stärker beeinflußt als irgendein anderer Mann. Die Auflockerungsstrategie de Gaulles gegenüber Osteuropa hat niemandem geschadet. Im Gegenteil. Seine militärische Doktrin .der nuklearen Vergeltung vis-à-vis Moskau hat auch nicht geschadet. Sie hat 'zwar kein Gewicht, aber sie hat auch nicht geschadet. Aber im Verhältnis zur NATO hat seine Strategie eine tiefgreifende Lähmung bewirkt. Da diese Lähmung, wenn wir eine friedliche Entwicklung voraussetzen — und das können wir —, Frankreich nicht zu gefährden 'scheint und da niemand Sanktionen gegenüber Frankreich in Betracht ziehen kann, so wird Frankreich seine auf 'wachsende Unabhängigkeit gerichtete Strategie fortsetzen. Der Gaullismus hat ähnliche Eigenschaften wie eine Epidemie, die an den Grenzen nicht haltmacht, über die Grenzen herüberschwappt, und ihre Einflüsse werden sich weit über die deutsche Regierungspartei hinaus auch in übrigen Teilen Europas geltend machen.