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    Deutscher Bundestag 59. Sitzung Bonn, den 23. September 1966 Inhalt: Begrüßung des 5 000 000. Besuchers des Bundestages Abg. Roß tritt in den Bundestag ein . . . 2881 A Schriftliche Berichte des Ausschusses für Wirtschafts- und Mittelstandsfragen über die Einundfünfzigste, Sechsundfünfzigste, Siebenundfünfzigste und Einundsechzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1966 (Zollkontingente für gewerbliche Waren — 2. Halbjahr 1966, Zollkontingente für Seidengarne und Schappeseidengarne —3. Quartal 1966, Waren der EGKS —2. Halbjahr 1966, Zollaussetzung für HET-Säure) (Drucksachen V/901, V/ 902, V/903, V/904, V/935, V/936, V/937, V/938) 2881 C Große Anfrage betr. Vorschläge zur Rüstungsbegrenzung und Sicherung des Friedens (SPD) (Drucksache V/775) Schmidt (Hamburg) (SPD) . 2882 B, 2920 C Dr. Schröder, Bundesminister 2891 D, 2908 B Dr. Birrenbach (CDU/CSU) . . . . 2898 C Wehner (SPD) . . . . . . . . . 2904 B Freiherr von Kühlmann-Stumm (FDP) 2910 C Freiherr von und zu Guttenberg (CDU/CSU) 2913 A Genscher (FDP) 2918 B Dr. Schulze-Vorberg (CDU/CSU) . 2923 A Nächste Sitzung 2924 Anlagen 2925 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. September 1966 2881 59. Sitzung Bonn, den 23. September 1937 Stenographischer Bericht Beginn: 8.59 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Abelein 4. 10. Dr. Achenbach *) 13. 10. Dr. Adenauer 5. 10. Adorno 23. 9. Dr. Aigner *) 24. 9. Dr. Althammer 23. 9. Dr. Apel*) 24. 9. Arendt (Wattenscheid) *) 24.9. Dr. Arndt (Berlin /Köln) 23. 9. Dr. Artzinger 5. 10. Bading *) 24. 9. Dr.-Ing. Dr. h. c. Balke 23.9. Bäuerle 31. 10. 'Bauknecht 23. 9. Berendsen 24. 9. Bergmann *) 24.9. Berkhan *) 24.9. Berlin 20. 10. Dr. Besold 23.9. Beuster 23.9. Blachstein 10. 10. Blöcker 23. 9. Blumenfeld 24. 9. Borm 23.9. Frau Brauksiepe 30.9. Brese 23. 9. Dr. Burgbacher *) 24. 9. Burgemeister 23.9. Busse (Herford) 26.9. Dr. Conring 23. 9. Corterier *) 24. 9. Dr. Dehler 23. 9. Deringer *) 24. 9. Dr. Dichgans *) 24.9. Diekmann 23. 9. Dr. Dittrich*) 24. 9. Draeger * 24.9. Dröscher * 24.9. Ehnes 23. 9. Eisenmann 24. 9. Frau Dr. Elsner *) 24.9. Dr. Eppler 7. 10. Erler 30.9. Erpenbeck 23.9. Ertl 23. 9. Faller*) 24. 9. Fellermaier 23. 9. Flämig *) 24. 9. Frehsee 30.9. Fritz (Wiesbaden) 23.9. Frau Funcke 23. 9. Dr. Furler 5) 24. 9. Gerlach * 24.9. Glombig 24.9. Glüsing (Dithmarschen) 23.9. *) Für die Teilnahme an einer gemeinsamen Sitzung Europarat/ Europäisches Parlament Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Götz * 26. 9. Graaff 23. 9. Haage (München) 23. 9. Hahn (Bielefeld) 24. 9. Dr. Hauser (Sasbach) 23. 9. Dr. Dr. Heinemann 28. 9. Dr. Hellige *) 24. 9. Frau Herklotz *) 24. 9. Herold *) 24. 9. Hilbert 24. 9. Hirsch 23. 9. Hösl 24. 9. Dr. Huys 5. 10. Illerhaus *) 24. 9. Dr. Ils 23. 9. Iven 26. 9. Dr. Jaeger 23. 9. Dr. Jungmann 24. 9. Kahn-Ackermann 6. 10. Dr. Kempfler 23. 9. Frau Klee 23. 9. Dr. Kliesing (Honnef) 23. 9. Klinker*) 24. 9. Dr. Kopf 4. 10. Frau Korspeter 30. 9. Krammig 23. 9. Kriedemann *) 24. 9. Krug 23. 9. Dr. Kübler 30. 9. Kühn (Hildesheim) 23. 9. Kulawig *) 24. 9. Lemmer 23. 9. Lemmrich 23. 9. Lenz (Brühl) *) 24. 9. Lenz (Trossingen) 30. 9. Lenze (Attendorn) *) 24. 9. Leukert 23. 9. Dr. Löhr *) 24. 9. Lücker (München) *) 24. 9. Dr. Martin 6. 10. Dr. Marx (Kaiserslautern) 29. 9. Mauk *) 24. 9. Frau Dr. Maxsein*) 24. 9. Dr. Meinecke 23. 9. Memmel *) 24. 9. Dr. von Merkatz 23. 9. Merten *) 24. 9. Metzger *) 24. 9. Michels 30. 9. Missbach 23. 9. Dr. Mommer 23. 9. Müller (Aachen-Land) *) 24. 9. Dr. Müller (München) 23. 9. Dr. Müller-Hermann 23. 9. Ott 23. 9. Frau Pitz-Savelsberg 30. 9. Pöhler *) 24. 9. Prochazka 23. 9. Raffert 6. 10. Richarts *) 24. 9. Riedel (Frankfurt) *) 24. 9. Dr. Rinderspacher *) 24. 9. Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich Rock 2. 10. Rösing 23. 9. Dr. Rutschke *) 24. 9. Saam 7. 10. Sander 23. 9. Prinz zu Sayn-WittgensteinHohenstein 23. 9. Schlee 5. 10. Dr. Schmid (Frankfurt) *) 24. 9. Schmidt (Hamburg) *) 24. 9. Schmidt (Kempten) 23. 9. Dr. Schmidt (Offenbach) 23. 9. Frau Schroeder (Detmold) 23. 9. Schulhoff 23. 9. Schultz (Gau-Bischofsheim) 23. 9. Dr. Schulz (Berlin) 5) 24. 9. Seibert 23. 9. Seifriz *) 24. 9. Dr. Serres 5) 24. 9. Seuffert*) 24. 9. Spitzmüller 24. 9. Dr. Springorum *) 24. 9. Dr. Süsterhenn 23. 9. Dr. Starke (Franken) *) 24. 9. Steinhoff 25. 9. Stingl 25. 9. Strauß 23. 9. Strohmayr 23. 9. Frau Strobel 5) 12. 10. Teriete 20. 10. Dr. Dr. h. c. Toussaint 25. 9. Unertl 23. 9. Dr. Verbeek 23. 9. Dr. Freiherr von VittinghoffSchell *) 24. 9. Vogt *) 24. 9. Wächter 8. 10. *) Für die Teilnahme an einer gemeinsamen Sitzung Europarat/ Europäisches Parlament Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Wagner 23.9. Dr. Wahl *) 23.9. Weimer 5. 10. Windelen 23.9. Dr. Wörner 30.9. Baron von Wrangel 15. 10. Zerbe 23.9. Dr. Zimmermann 23.9. Anlage 2 Umdruck 99 Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP zur Großen Anfrage der Fraktion der SPD betr. Vorschläge zur Rüstungsbegrenzung und Sicherung des Friedens - Drucksache V/775 Der Bundestag wolle beschließen: Der Deutsche Bundestag wünscht eine kontrollierte, dem Frieden dienende Abrüstung. Er dankt der Bundesregierung für die Friedensnote und fordert sie auf, in diesem Sinne unbeirrt weiterzuwirken. Der Deutsche Bundestag würde es dankbar begrüßen, wenn außer der Bundesrepublik Deutschland weitere Staaten auf die Herstellung atomarer, biologischer und chemischer Waffen ausdrücklich verzichten und sich - wie wir - einer entsprechenden Kontrolle unterwerfen würden. Das deutsche Volk weiß sich in seiner Friedenssehnsucht einig mit allen Nachbarvölkern in Ost und West. Bonn, den 23. September 1966 Dr. Barzel und Fraktion Freiherr von Kühlmann-Stumm und Fraktion
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Helmut Schmidt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach der Sommerpause dieses Jahres hat sich unser Haus bisher mit zwei großen innenpolitischen Problemen befaßt, die die deutsche Öffentlichkeit beunruhigen: mit der Wirtschaftslage und vorgestern mit der Krise im Bundesministerium der Verteidigung. Im ersten Fall hat die Koalition die Debatte gewollt. Sie wollte gern über die Krise unserer Konjunktur sprechen, — wahrscheinlich weil gerade dieses Gebiet die wenigen Aspekte des Bundeskanzlers zur Geltung bringt, die ihn als sachkundig ausweisen. Die zweite Debatte hat die Koalition nicht gewollt, und auch der Kanzler hat ja vorgestern — und nicht nur vorgestern, sondern in den ganzen vier Wochen der Entwicklung seit dem Rücktritt der Generale — nicht gerade eine sehr überzeugende Rolle gespielt. Ich glaube auch — ich sehe Herrn Dr. Barzel noch nicht hier —, daß das etwas wehleidige Argument des Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU am Schluß vorgestern abend, daß jene Debatte die bevorstehende lebenswichtige Reise — so waren seine Worte — des Kanzlers nach Washington gefährde, wohl niemanden überzeugt hat. Im Gegenteil, ich glaube, daß die Geschlossenheit dieses Hauses, was das Verhältnis von Staat und Armee angeht, gewiß überall im Ausland die Sorgen gemildert hat, wenn nicht gar vollends beseitigt hat, denen des Kanzlers eigene Osloer Bemerkung zunächst Nahrung gegeben hat. Ich glaube, daß die vorgestrige Debatte im Effekt eine Stärkung der deutschen Position nach außen bewirkt hat und somit auch eine Stärkung der
    Position des Kanzlers bei seinen bevorstehenden Gesprächen mit dem Präsidenten Johnson. Natürlich ist es die eigene Sache des Kanzlers, zu diesen Gesprächen einen unverteidigten Verteidigungsminister und einen schon zurückgetretenen weiteren Minister mitzunehmen.
    Auch die heutige Debatte hat die Koalition nicht gewollt. Sie haben sich große Mühe gegeben, die heutige Debatte zu verschieben, obwohl unsere Große Anfrage schon seit einem Vierteljahr auf dem Tisch liegt. Ich höre schon jetzt, Herr Rasner, die eindrucksvollen staatsmännischen Argumente, mit denen entweder Sie oder Herr Barzel im Laufe des Tages vortragen möchten, daß es am Vorabend einer für unser Volk lebenswichtigen Begegnung darauf ankäme, nichts zu zerreden, sondern größte Entschlossenheit zu demonstrieren. Das wird sicherlich bis heute mittag noch gesagt werden. Deshalb will ich die Antwort gleich vorwegnehmen: Wenn überhaupt jemand aus diesem Hause dazu beigetragen hat, daß die gemeinsame deutsche Position nach außen unklar wurde, dann waren das die Reden der Abgeordneten Barzel, Gerstenmaier und Strauß über die Deutschlandpolitik.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Diese drei Reden hatten allerdings zwei Dinge miteinander gemeinsam. Erstens wurden sie alle in ausländischen Hauptstädten gehalten, und zweitens waren sie alle gleich weit, nämlich meilenweit, von Professor Erhards Regierungserklärung entfernt.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Ich muß danach wohl nicht noch ausdrücklich auf den großen Aufsatz abheben, den der Bundesminister des Auswärtigen Krone

    (Abg. Rasner: Ist er noch nicht!)

    vor fünf Tagen in der „Welt", ausschließlich den bevorstehenden Washingtoner Gesprächsthemen gewidmet, veröffentlicht hat. Wenn es möglich ist, daß der Bundesminister des Auswärtigen Krone in der „Welt" sich drei Spalten lang ausdrücklich mit den Themen, die in Washington zu behandeln sind, auseinandersetzt, dann können wir wohl verlangen, daß sich der Bundesaußenminister Schröder hier vor diesem Hause mit diesen Themen beschäftigt.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Wir werden heute mit unseren Meinungen gewiß nicht hinter dem Berg halten; aber was die bevorstehenden Gespräche in Washington angeht, so wird der sozialdemokratische Vortrag heute morgen unserer Regierung in zwei Punkten den Rücken stärken.
    Die Behandlung der Großen, Anfrage vom 29. Juni zur Rüstungsbegrenzung und zur Sicherung des Friedens weist nach den beiden vorgestern und vorige Woche behandelten innenpolitischen Themen auf ein drittes Thema hin, das die deutsche Öffentlichkeit in den letzten Monaten immer stärker bewegt, nämlich auf die Stagnation unserer Außenpolitik und auf die Ungewißheit über die Zukunft unserer Sicherheitspolitik. Bundesaußenminister Schröder hat am 20. Mai 1966 vor dem evangelischen



    Schmidt (Hamburg)

    Arbeitskreis seiner Partei gesagt, die Lage in der Welt sei dabei, sich zu verändern; gewandelt habe sich bei einigen Nationen vor allem die Einschätzung der Lage, die Einschätzung ihrer eigenen Kräfte, ihrer politischen Möglichkeiten, und geändert hätten sich dementsprechend ihre Ziele. Und Herr Schröder fügte hinzu: „Damit haben diese Länder neue Fakten geschaffen." Schon ein Jahr vorher hat derselbe Sprecher gesagt — ich glaube, vor demselben Arbeitskreis —, daß sich heute in der Welt das beherrschende und allgemeine Interesse der Friedenssicherung, der Friedenserhaltung vor das Teilinteresse der Wiedervereinigung Deutschlands geschoben habe; es bestehe zwar noch Übereinstimmung im Ziel, aber für die deutsche Außenpolitik sei es schwieriger geworden.
    Ich stimme zunächst einmal beiden dieser Äußerungen zu, sowohl derjenigen aus diesem Frühjahr als auch derjenigen aus dem vorigen Jahr. Das ist alles richtig, was der Außenminister dort gesagt hat. Es ist schon seit einer Reihe von Jahren erkennbar; es war nicht zum erstenmal im vorigen Frühjahr erkennbar. Seit einer Reihe von Jahren haben wir deshalb — ich erinnere Sie an die Rede von Herbert Wehner im Juni 1960 — immer wieder verlangt: Laßt uns doch diese neu entstehende Lage prüfen, laßt uns doch eine Inventur machen, laßt uns den Bestand aufnehmen, was eigentlich von den alten Ideen noch möglich ist und welche Möglichkeiten sich für neue anbieten. Wir haben in diesem Jahr —— fünf oder sechs Jahre später — den ersten, ziemlich schüchternen Ansatz in Form der sogenannten
    I) Deutschlandgespräche beim Bundeskanzler erlebt. Sie haben sich leider bisher mehr mit Tagesfragen als mit langfristigen Analysen beschäftigt.
    Nun sind im Regierungslager offenbar die Meinungen über den künftigen Weg Deutschlands ziemlich geteilt. Wir haben in der jüngsten Zeit z. B. die Äußerung des Altbundeskanzlers, daß die Sowjetunion eine friedliche Nation sei, wir haben die Äußerung des Abgeordneten Gerstenmaier, wir haben die Äußerung des Verteidigungsministers von Hassel, der in einer Beantwortung einer sozialdemokratischen Kleinen Anfrage vom 11. Juli 1966 u. a. über den — in seinen Worten — „eindeutig offensiven Charakter der Gruppe der sowjetischen Truppen in Deutschland" spricht. Das steht in ziemlichem Widerspruch zu dem, was Dr. Adenauer gesagt hat.
    Wir haben uns vorgenommen, heute und in den Debatten in den nächsten Monaten in diesem Hause eine Gesamtdiskussion über die deutsche Außen-, Sicherheits- und Wiedervereinigungspolitik zu führen. Wir wollen dazu helfen, daß aus den bisherigen einzelnen Schritten der Bundesregierung eine Gesamtvorstellung für die neue Lage wird, welche die deutsche Politik der in Bewegung geratenen Weltpolitik anpaßt und aus dieser Bewegung Nutzen zieht. Bisher ist allerdings eine dynamische Konzeption kaum zu erkennen. Die Aufrechterhaltung unserer Rechtsstandpunkte bleibt sicher notwendig und wichtig; aber das allein ist noch keine Politik, die aus der gegenwärtigen weltpolitischen Situation das Beste herausholen und aus der Bewegung für uns etwas gewinnen könnte.
    Lassen Sie mich die Frage aufwerfen, was eigentlich die Kennzeichen dieser neuen Situation sind. Man kann sie, wie ich meine, in groben Zügen für den ganzen weiteren Rest dieses Jahrzehnts skizzieren. Zunächst einmal hat das wechselseitige Patt der beiden in Europa wirkenden, auf Europa einwirkenden Weltmächte die Aktionsfähigkeit dieser beiden Weltmächte im Verhältnis zueinander auf diesem europäischen Schauplatz ganz wesentlich eingeschränkt. Beide Weltmächte sind sich der Einschränkung ihrer Aktionsfähigkeit gegeneinander hier in Europa sehr bewußt. Infolgedessen ist beider Strategie auf Bewahrung und auf Konsolidierung der von ihnen erreichten Einflußsphären gerichtet. Beide schauen sie mit großer Besorgnis auf die sich entwickelnde, unvermeidlich emporsteigende dritte Weltmacht China, und beide schauen sie mit größerem Interesse und mit größerer Besorgnis dort hin als etwa auf Europa oder auf Deutschland.
    Es mag sein, daß sich die sowjetische Führung über die vietnamesische Streitfrage mit Amerika einigen würde, wenn es eben China nicht gäbe. Die Existenz der aufsteigenden Weltmacht China unmittelbar an diesem südostasiatischen Spannungsherd macht das für die Sowjetunion unmöglich, solange sie gegenüber dem ganzen Kommunismus in der Welt ihr Gesicht wahren muß. Moskau wird nur im Notfall an mehr als einem Punkt zugleich riskante Spannungen auf sich nehmen. Da die Spannung gegenüber China wachsen wird, bleibt es für die Sowjetunion in Europa zunächst bei der konservativen Strategie, die sie heute verfolgt. Der Erfolg dieser konservativen sowjetischen Strategie in Europa wird allerdings dadurch beeinträchtigt, daß die ehemaligen Satellitenstaaten — man kann sie wohl heute nicht mehr so nennen, jedenfalls keineswegs alle — an Handlungsspielraum gegenüber der Sowjetunion gewinnen. Selbst die Isolierungstaktik der Sowjetunion uns, der Bundesrepublik Deutschland, gegenüber wird gegenwärtig nicht mehr gleichmäßig von allen Partnern des Warschauer Paktes befolgt. Man kann, wenn man die Bukarester Erklärung der Warschauer Paktstaaten analysiert, deutlich sehen, daß es sich hier nur noch um einen mühsam erreichten Kompromiß handelt, der in sich nicht durchgehend konsistent ist.
    Die sowjetische Führung weiß, daß die soziale und wirtschaftliche Entwicklung ihres eigenen Landes vieler, vieler Jahre friedlicher Entwicklung bedarf. Wenn einer hier der sowjetischen Führung die geheime Absicht zum. Angriff auf Westeuropa unterstellt, dann schätzt er sicherlich die Situation sehr falsch ein und führt sich selbst in die Irre. Sogar im Punkte Berlin — so scheint es mir — hat die sowjetische Führung die Absicht, vorsichtig zu bleiben. Die Erfahrung mit der Berlinkrise von November 1958 bis Oktober 1961 sind dieser Führung sehr bewußt. Ich glaube, Moskau wäre wohl froh, wenn der Zustand Europas möglichst unverändert gehalten werden könnte. Aber man weiß drüben, daß auch die kleineren und die mittleren Staaten dieses Kontinents an Selbständigkeit gewinnen. Deshalb wird die Sowjetunion zunächst wohl auch ganz gern ihre Truppen überall hier stehen-



    Schmidt (Hamburg)

    lassen, in der sogenannten DDR, in Polen, in Ungarn, wenn auch z. B. die Ungarn diese Truppen sehr gern abziehen sähen; ich meine damit auch die ungarische Regierung.
    Ich glaube nicht, daß die sowjetischen Truppen hier aus Angst vor der Bundeswehr als einem möglichen Gegner stehen; aber ich will auch hinzufügen, daß es in Moskau Sorge gibt vor einer möglichen Krisen- und Kriegsauslösung durch die deutsche Politik. Das ist sicherlich — von uns aus gesehen -eine völlig irreale Sorge. Aber ich referiere einmal die Lage, wie sie sich in deren Köpfen darstellt. Diese Sorge ist — von der Sowjetunion aus gesehen — der eine Grund dafür, der Bundesrepublik den Zugang zu nuklearen Waffen zu verweigern. Der andere Grund liegt in der Voraussicht, daß die sowjetischen Bündnispartner dem Bonner Beispiel würden folgen wollen. Insgesamt ist also der Wunsch Moskaus, die Ausbreitung nuklearer Waffen zu verhindern, genauso originär und ursprünglich wie der Wunsch Washingtons und entspringt letztlich Motiven, die in die gleichen Kategorien gehören. In Moskau denkt man nicht an die Wiedervereinigung Deutschlands. Man sieht sich schon mit dem kommunistisch beherrschten kleineren Teil Deutschlands ausreichenden Komplikationen ausgesetzt. Da sind die Schwierigkeiten schon groß genug.
    Lassen Sie mich das zusammenfassen, indem ich sage: Die Sowjetunion ist heute und auf absehbare Zeit — was Europa angeht — eine Macht, die den Status quo erhalten möchte, eine Macht, die weiß, daß sie den Frieden braucht, und die weiß, daß das Risiko eines Krieges mit den Vereinigtne Staaten für sie ein Existenzwagnis wäre. Trotz alledem geht von der Sowjetunion eine Gefahr aus. Moskau hat es beispielsweise einstweilen keineswegs nötig, sich mit dem Westen oder mit Teilen des Westens gegen die erst aufsteigende Weltmacht China zu verbünden. Daran ändern auch westliche Wunschträume à la Starlinger oder à la Fucks überhaupt nichts. Die Konkurrenz mit China um den Einfluß in Vietnam und damit in Südostasien kann — entgegen Moskaus eigenen Wünschen — Moskau zu einem stärkeren Engagement in Vietnam zwingen. Dieses stärkere Engagement in Vietnam, das schon aus geographischen Gründen für die Sowjets nicht an Ort und Stelle vollzogen werden kann, kann dann sogar die Moskauer Führung zu dem Ausweg führen, an anderer Stelle eine neue Spannungsfront zur Entlastung zu errichten. Deswegen sage ich: auch kurzfristig gehen von der Sowjetunion Gefahren aus. Berlin könnte sich der sowjetischen Führung z. B. •dafür anbieten, auch wenn man das im Grunde nicht möchte.
    Wenn Rumänien und die CSSR mit ihrem Streben nach größerer Autonomie Erfolg haben, so kann man sich vorstellen, daß Ungarn und Bulgarien dem Beispiel folgen. In all diesen Fällen — was die osteuropäischen und südosteuropäischen Staaten angeht — mischen sich nationale Prestigemotive mit solchen der Außenwirtschaftspolitik. Der Gegensatz zwischen diesen Staaten Südosteuropas und der sogenannten DDR wird wahrscheinlich zunächst wachsen, und die Entwicklung kann dabei etwa der
    CSSR eine Schlüsselrolle zuspielen, Wenn es der tschechischen kommunistischen Partei gelänge, sich in ähnlicher Weise — sicherlich in engen Grenzen, aber doch in ähnlicher Weise — freizuschwimmen, wie das der rumänischen KP gelungen ist, dann ist Herr Ulbricht in Pankow darauf angewiesen, auf jeden Fall eng mit Moskau und Warschau in Übereinstimmung zu bleiben. Falls aber die CSSR durch die Entwicklung in diesem — sagen wir — „harten Kern" des Warschauer Pakts verbleibt, so nehme ich an, daß, vornehmlich aus Gründen der überlegenen ökonomischen Leistungs- und Lieferfähigkeit, das Gewicht Pankows im Osten zunimmt.
    Was Polen angeht: Polen ist ein Staat, der östlich wie westlich von sowjetischen Armeen umklammert ist. Die früheren Initiativen Polens zur regionalen Rüstungskontrolle, zu denen sich die gegenwärtige Regierung auch heute immer noch bekennt, sind von diesem Faktum her zu begreifen. Niemand in Polen liebt die Sowjetunion; allerdings liebt auch niemand in Polen Deutschland, weder das kommunistische Deutschland noch das demokratische Deutschland. Die Zustimmung Pankows zu der sogenannten Friedensgrenze von Potsdam ist ja den Pankower Machthabern oktroyiert worden; die haben das nicht von sich aus gewollt; sie ist ihnen aufgezwungen worden. Die Wegnahme Stettins beispielsweise ging über Potsdam noch hinaus. Das ist den Kommunisten in der SBZ auch aufgezwungen worden.
    Viele Polen haben wirkliche Angst vor Deutschland, ich nehme an, auch der etwas sture Ideologe Gomulka, den man sich wohl anders vorstellen muß, als man sich vor 10 Jahren, 1956, von ihm ein Bild gemacht hat. Auch 'er hat wirklich Angst vor Deutschland. Auf der anderen Seite behindert der Zweikampf, den er in der polnischen Innenpolitik mit dem Kardinal Wyszynski, mit der ganzen katholischen Kirche ausfechten muß — Polen ist ja das einzige Ostblockland, in dem die Religiosität und die katholische Kirche eine wirklich große innere Rolle spielen —, die außenpolitische Manövrierfähigkeit des Regimes und der Partei. Die Vorstellung, die die Kommunisten in Polen haben und die die Führungsschicht in Polen hat, daß sie die nach 1945 wiedergewonnenen — wie sie es nennen — Westgebiete — wie sie es nennen — verteidigen müßten gegen unseren Angriff — so denken sie sich das —, zwingt allerdings die Warschauer Kommunisten an die Seite Moskaus, und zwar ob mit oder ohne deutsche Anerkennung der Oder-Neiße-Linie. Deswegen glaube ich, daß, was Polen angeht, trotz des deutlichen Nationalstolzes auch 'gegenüber der Sowjetunion, einstweilen eine Aufrechterhaltung dieser politischen Achse, die von Moskau über Warschau nach Pankow geht, wahrscheinlich ist.
    Ich sagte vorhin, daß die Bukarester Erklärung ein Schlaglicht auf die zunehmende Differenzierung innerhalb des Ostblocks wirft. Ein besonderes Schlaglicht war übrigens darin gelegen, daß es zunächst in Moskau, später in Bukarestselber, 10, 14 Tage an Konferenzen bedurft hat, ehe man sich auf diese gemeinsame Erklärung einigen konnte. Zunächst hat man geglaubt, mit wenigen Tagen auskommen zu



    Schmidt (Hamburg)

    können. Es spricht nichts dafür, daß dieser Differenzierungsprozeß im Osten aus inneren Gründen gestoppt werden wird. Allerdings 'könnte er dann zum Ende kommen, wenn die beteiligten Staaten außenpolitisch — und das heißt insbesondere: außenwirtschaftlich — sähen, daß sie nichts davon haben, 'daß sie 'damit nichts erreichen. Oder anders ausgedrückt: wenn dieser Prozeß vom Westen her nicht honoriert würde, dann müßte man wohl damit rechnen, daß er zum Stillstand gebracht wird.
    Meine Damen und Herren, wir wissen — und wir sind davon 'bedrückt —, daß innerhalb des westlichen Lagers ein noch weitergehender Differenzierungsprozeß im Gange ist. Wir wissen, daß der Aktionsspielraum der mittleren und kleineren Staaten 'im Westen von Anfang ,an immer viel größer als derjenige der östlichen Bündnispartner Moskaus war. Wir wissen, daß z. B. Frankreich sehr viel weiter innerhalb des Westens gegangen ist als Rumänien innerhalb des Ostens, und wir wissen, daß in unserem Bündnissystem die Krise der Strategie nicht nur eine psychologische ist, nicht nur die Außenpolitik erfaßt hat, sondern auch — und das im Gegensatz zum Ostblock — voll den militärischen Bereich der Strategie erfaßt hat.
    Das große Konzept von John Kennedy von der atlantischen Gemeinschaft, die auf zwei großen Tragpfeilern ruhen sollte, ist ein Papier geblieben; die zweite Säule ist nicht zustande gekommen. Kennedys Nachfolger hat bisher keine amerikanische Europakonzeption entwickelt.

    (Abg. Wehner: Leider wahr!)

    Er hat auch keine Vorstellungen von einer eigenen amerikanischen Europa-Politik. Der Präsident beschränkt sich darauf, soweit wie möglich dem entgegenzutreten, was er als französische Destruktionspolitik ansieht, und bemüht sich, soweit wie möglich die Substanz der Organisation des Westens zu bewahren. Wenn Europa nicht von neuen Ost-West- Spannungen ergriffen wird — und es sieht im Augenblick ja 'wirklich nicht danach aus —, dann bleibt Paris gegenüber Washington bei diesem Konzept taktisch und psychologisch in der Vorhand, und das kann sogar auch dann der Fall sein, wenn es doch zu neuen zusätzlichen Ost-West-Spannungen käme, die etwa aus der Vietnam-Krise erwachsen könnten. Was Vietnam angeht, so ist in den Ländern Europas gegenüber dem vietnamesischen Konflikt eine natürliche Tendenz zum Neutralismus zu erwarten, die der Politik der Franzosen in die Hände spielen kann.
    Die strategischen Sorgen der USA müssen sich in zunehmendem Maße Asien zuwenden, und der Vietnam-Krieg erzeugt in den Vereinigten Staaten innenpolitisch psychologische Zwangsläufigkeiten, die das Interesse des amerikanischen Senats und der öffentlichen 'Meinung 'auf Asien konzentrieren. Der relativ friedfertige Eindruck, 'den der europäische Schauplatz auf die amerikanische Öffentlichkeit macht, muß dann zusätzlich noch 'die Tendenzen zum Abbau der militärischen Präsenz der Amerikaner in Europa verstärken, dies um so 'mehr, als der gegenwärtige Präsident in Amerika sich sehr stark von den Schwankungen der öffentlichen Meinung abhängig gemacht hat.
    Ich meine, Washington muß gegenüber den Staaten Europas den Übergang vom Patronat zur wirklichen partnerschaftlichen Kooperation finden. Das hat Kennedy schon gewollt und gesagt; aber wenn man die Reden liest, wie sie etwa der amerikanische Verteidigungsminister hält, hat man nicht das Gefühl, daß dieser Übergang gegenwärtig schon vollzogen sei. Natürlich ist man sich in Washington der zunehmenden Handlungsfähigkeit all seiner europäischen Partner durchaus 'bewußt, und der Versuch, diese europäischen Partner 'mit Hilfe des MLF-Projektes gemeinsam anzubinden und zusammenzubinden, hat leider den gegenteiligen Effekt herbeigeführt. Er wurde halben Herzens 'begonnen und halben Herzens wieder aufgegeben.
    Ich möchte noch einmal auf den Minister für Verteidigung in den Vereinigten Staaten zurückkommen und sagen: Seine strategischen Vorstellungen für Europa scheinen mir nicht immer konsequent zu sein. Zwar wird er — und sicherlich auch die ganze Regierung in Amerika mit ihm — seine militärstrategische Vorstellung von der Notwendigkeit des flexible response nicht aufgeben; sie werden sich nie wieder ein für allemal auf eine ganz bestimmte, unausweichlich fixierte Strategie festlegen, sondern sie werden die bewegliche Erwiderung, die Vielfalt der Möglichkeiten der Erwiderung als ihre eigentliche Grundkonzeption behalten. Aber gleichzeitig muß man sehen, daß MacNamara z. B. den deutschen Luftwaffengeschwadern ihre nukleare Hilfsrolle nehmen will, daß er auf der anderen Seite gleichzeitig öffentlich immer wieder erklärt, wieviele zusätzliche nukleare Sprengköpfe er in Europa im Laufe der letzten Zeit zur Verfügung gestellt hat; allein im letzten Jahr soll eine Vermehrung um 20 % stattgefunden haben. Wie das zusammenpaßt, ist mir persönlich unklar. Ich weiß auch nicht, ob man wirklich annehmen kann, daß die Vermehrung amerikanischer nuklearer Sprengköpfe in Europa den wachsenden Vertrauensschwund bei jenen Europäern ausgleichen kann, die nicht mehr an eine automatische Verwirklichung der amerikanischen Nuklear-Garantie glauben. Die amerikanische Führung weiß ganz genau, daß eine nukleare Automatik gegenüber der Sowjetunion nicht mehr in Betracht kommen kann. Es gibt in Europa manche, die das noch nicht wissen und nicht glauben wollen; die werden das auch noch merken.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Denn auch Washington und nicht nur Moskau hat die Lektion aus der Kuba-Krise gelernt.
    Eine der Lektionen der Kuba-Krise war, daß keiner von beiden sich einer nuklearen Automatik anheimfallen lassen darf. Washington wird deshalb, je mehr die Zeit fortschreitet, um so weniger — und keineswegs nach 1969 — irgendeiner verbündeten Regierung die Möglichkeit bieten, gegen den Willen Washingtons die USA in einem atomaren Konflikt zu engagieren. Im Gegenteil! Mit dem sehr richtigen Argument, daß ohne Aussöhnung und ohne Einvernehmen mit unseren östlichen Nach-



    Schmidt (Hamburg)

    barn eine Wiedervereinigung Deutschlands nicht möglich sein wird, mit diesem Argument, das sicherlich richtig ist, wird Washington einen zunehmenden Druck und eine zunehmende Ermunterung auf uns ausüben, die innereuropäische Entspannung für eine Normalisierung der Beziehungen zu den Staaten Osteuropas zu nutzen. Und wenn wir hier in Bonn aus unserer eigenen Beurteilung der Lage diesen Weg gehen sollten, so wird auf lange Sicht das Einvernehmen zwischen den Vereinigten Staaten und uns nicht ernstlich gestört werden können. Es beruht auf zwei fundamentalen gemeinsamen Interessen. Das eine ist das Sicherheitsinteresse, und von dem anderen sprach ich gerade eben. Ein kritischer Punkt wird erst dann erreicht werden, wenn einmal die Oder-Neiße-Frage ins Spiel kommt. Denn die amerikanische Führungselite glaubt nicht an eine Reversibilität dieser Linie, und die bisherigen Lippenbekenntnisse werden in Amerika seltener werden. Aber das ist jetzt schon ein sehr langfristiger Aspekt.
    Ich will hier einen Exkurs einschieben zu den kurzfristigen Aspekten deutsch-amerikanischer Beziehungen. In Amerika bereitet man sich darauf vor, von der Klausel abzurücken, die bisher eines der Haupthindernisse für eine Einigung über den Nonproliferationsvertrag war. Die Amerikaner sind dabei, die Klausel, die auf eine Gemeinschaftslösung in der Allianz hinauslaufen sollte, auf eine reine Konsultativklausel einzuschränken. Sie sind dabei, ihren alten Standpunkt in dieser Sache zu desavourieren. Und wenn wir noch lange warten, dann bekommen wir für einen deutschen Verzicht auf eine solche Klausel auch von den Amerikanern überhaupt nichts mehr. Weil das so ist, kriegen wir von Sowjets ohnehin nichts dafür, und auch Paris ist nicht bereit, für den Verzicht auf diese Klausel auch nur einen Sou zu geben. Es ist deshalb nicht klug, wenn unsere Regierung diese Frage noch weiterhin auf Eis legt. Wenn sie noch lange auf Eis gelegt wird, werden wir nicht einmal eine Institutionalisierung der sogenannten McNamara-Lösung bekommen; denn es gibt auf diesem Felde keine Trümpfe, die uns durch Ablauf der Zeit zuwüchsen. Ganz im Gegenteil! Trümpfe könnten wir uns dann beschaffen, wenn wir zum Beispiel durch eigene Initiativen auf anderen Feldern unsere Position verbreiterten. Das bloße Beharren auf alten Positionen führt dazu, daß wir letzten Endes ohne Karten in der Hand am Tisch sitzen werden.
    Einer der „Türöffner" für eine Institutionalisierung gemeinsamer strategischer Planung im Westen ist die Forderung nach einem deutschen Veto-Recht, das mit dem Existenzinteresse des deutschen Volkes begründet ist. Ich brauche die Forderung in den Einzelheiten nicht noch einmal näher zu definieren; das Haus ist damit vertraut. Die Forderung auf ein deutsches Veto-Recht ist auch moralisch überhaupt nicht anzugreifen. Es kann kein amerikanischer Senator mit moralischen Gründen dagegen auftreten. Niemand kann mit Grund behaupten, daß ein deutsches Veto-Recht oder, anders ausgedrückt, ein negatives deutsches Mitbestimmungsrecht die Gefahr nuklearer Auslösung vergrößern würde. Im Gegenteil, jeder muß wissen: je mehr Finger es am
    Sicherungshebel gibt, je mehr Finger weggenommen werden müssen, um ihn freizugeben — wenn also auch ein deutscher Finger daran ist —, desto geringer wird die Möglichkeit, daß einer den Abzug betätigt. Noch anders ausgedrückt: ein deutsches VetoRecht kann nur gesehen werden als eine zusätzliche Sicherung gegen vorzeitige nukleare Auslösung.
    Nun besteht sicherlich die Gefahr, daß, ich will nicht sagen: durch stillschweigende Verständigung, wohl aber durch konkludentes Nichthandeln zwischen den beiden quasi-europäischen Großmächten Sowjetunion und Amerika eine Art von Verständigung über den gegenwärtigen Status Zentraleuropas zustande kommt. Das liegt in der Interessensituation dieser beiden Weltmächte. Ich sagte schon: es liegt auch im gegenseitigen Patt der beiden Weltmächte. Für uns Deutsche kommt es also darauf an, unsere eigene Einwirkungsmöglichkeit, soweit es irgend geht, zu vergrößern, zu verbreitern, wenn sich überhaupt etwas in Europa bewegen soll. Dadurch, daß wir diese Möglichkeiten nur fordern, werden wir sie nicht bekommen. Man muß sie aushandeln. Man muß etwas zu geben bereit sein, damit man etwas bekommt; und zwar etwas, was wir aufgeben können, weil wir es sowieso vielleicht nur noch ein paar Monate in der Hand haben — der Bundeskanzler wird es merken, wenn er mit Johnson spricht —, um etwas dafür zu fordern. Das ist eben diese sogenannte hardware-Lösung. Diese Forderung auf Mitbesitz oder auch auf Mitbestimmung, wie sie von Herrn von Hassel und auch von Herrn Dr. Schröder immer wieder aufgestellt worden ist, können wir aufgeben. Niemand wird sie akzeptieren. Es ist eine Spielerei von einem Teil des State Departments in Washington, uns zu Gefallen so zu tun, als ob das wirklich noch eine Möglichkeit wäre. In Wirklichkeit ist es völlig ausgeschlossen, daß der amerikanische Senat jemals einer solchen Lösung mit Mehrheit zustimmt. Amerika ist nämlich auch eine Demokratie. Auch dort wird zu solchen Verträgen das Parlament gebraucht.
    Mit einem solchen Tauschangebot würde sich aber Ihre morgige Reise nach Washington wesentlich leichter gestalten lassen, Herr Bundeskanzler.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die wären nämlich froh, wenn Sie mit diesem Tauschangebot kämen; die überlegen sich seit Monaten, ob sie das von Ihnen nicht erzwingen sollen. Und dann nehmen sie wieder Rücksicht auf Ihre Position hier in Bonn — die ist ja auch wirklich angeschlagen — und sagen: Na, wir wollen ihn noch einmal davonkommen lassen. In Wirklichkeit kommt das auf Sie zu, und wenn Sie es von sich aus anbieten und sagen: Ich gebe es nicht for nothing, sondern ich möchte dafür die Institutionalisierung deutscher Mitwirkung in der Planung im Bündnis und das deutsche Vetorecht haben, dann können Sie einen Erfolg erzielen.
    Lassen Sie mich hinzufügen, daß die Bundesregierung bei ihren Verhandlungen in Washington ganz sicherlich von dem Standpunkt ausgehen muß: Das, was vereinbart ist, muß auch eingehalten werden. Das gilt für beide Seiten, also auch für die



    Schmidt (Hamburg)

    Bundesrepublik Deutschland. Wenn die Bundesregierung sich durch Herrn von Hassel — der damals die Konsequenzen nicht richtig hat übersehen können — verpflichtet hat, innerhalb von zwei Jahren einen Devisenausgleich von 5,4 Milliarden zu leisten, so müssen wir diesen Devisenausgleich auch wirklich aufbringen. Ich sage nicht: obwohl der Bundestag an dieser Verpflichtung keinen Anteil hatte — der ist da ja nicht gefragt worden —; aber es ist zweifellos so, daß unser Land sich verpflichtet hat. Wir müssen das leisten, auch wenn wir es nur mit Verspätung und mit Modifikationen tun können.
    Allerdings ist ebenso klar, Herr Bundeskanzler, daß Sie für die Zeit nach diesem Zeitraum von zwei Jahren — er läuft ja am 30. Juni nächsten Jahres ab — keineswegs dieses Land auf gleich hohe Forderungen oder Verpflichtungen festlegen können, einfach deshalb nicht, weil Sie wissen — und jeder in diesem Hause weiß das —, daß wir sie nicht leisten können.

    (Beifall bei der SPD.)

    Sie dürfen sich auch nicht wieder auf die Abnahme von so großen Quantitäten militärischen Geräts und militärischer Waffen festlegen lassen — wie das damals dem Herrn von Hassel unterlaufen ist —, die wir der Anzahl nach nicht benötigen und die unsere Bundeswehr nicht verdauen kann.
    Jeder von uns weiß, daß dieses Problem mindestens dem Anschein nach — wenn man die amerikanische Presse liest — von Amerika aus verknüpft zu sein scheint mit dem eventuellen Abzug amerikanischer Truppen aus Europa. Für die sozialdemokratische Fraktion möchte ich hier den Punkt unterstreichen, von dem ich aus der Presse sehe, daß es wohl auch Ihr Punkt ist, Herr Bundeskanzler: die Frage der Verminderung amerikanischer Truppen in Europa kann nur eine Folge der politischen Bewertung der strategischen Situation in Asien und in Europa sein. Truppenverminderungen, die ohne Rücksicht auf die politische Bewertung der strategischen Situation erfolgen und die damit eine Kettenreaktion auslösen, verändern durch sich selbst, eo ipso, diese strategische Situation und würden durch diese Veränderung der strategischen Situation dazu zwingen, die politische Bewertung der Situation neu vorzunehmen, und zwar nicht nur jenseits, sondern auch diesseits des Atlantik. Ich meine, das sollten Sie in aller Freundschaft, aber auch in aller Klarheit und mit allem Ernst unseren amerikanischen Freunden sagen. Daran darf Sie auch das Verkaufstalent des amerikanischen Verteidigungsministers nicht hindern.


Rede von Dr. Maria Probst
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Abgeordneter Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Majonica? —

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Ernst Majonica


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Kollege Schmidt, Sie werden mit Recht sogleich eine detaillierte Antwort auf Ihre sehr diffizilen Fragen in der Großen Anfrage, die Sie eingebracht haben, von der Bundesregierung erwarten können. Bisher haben Sie nicht einen einzigen Ton zur Begründung dieser Großen Anfrage gesagt. Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie das täten. Und wenn Sie das nicht tun: halten Sie das für einen guten parlamentarischen Stil?