Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch wir hätten es begrüßt, wenn bei dieser wichtigen Beratung, die Bund und Länder entscheidend berührt, die Bundesregierung etwas repräsentativer vertreten gewesen wäre. Wir kennen bei einigen Kabinettsmitgliedern zwar die Gründe, warum es nicht möglich war. Aber wir hätten es dennoch begrüßt, wenn hier auch der Optik etwas mehr Rechnung getragen worden wäre. Lassen Sie mich ohne jede Schärfe und ohne jede Polemik eines hinzufügen: Wir beraten in diesem Hause öfters Gesetze, die für Bund und Länder gleichermaßen wichtig sind. Wir haben es dann auch oft schmerzlich bedauert, wenn die Bundesratsbank sehr dünn besetzt war.
Wir wissen, daß dann sicher ebenso gute Gründe geltend gemacht werden konnten. Wir sollten auch darauf verzichten, gegenseitig aufzurechnen. Aber ich glaube, es würde dem Stil und der Atmosphäre dieses Hauses und dieses Bundesstaates ein wenig dienen, wenn man auch auf diese Dinge etwas mehr achtete.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schlägt der Bundesrat vor, die Leistungen aus dem Länderfinanzausgleich an alle fünf ausgleichsberechtigten Länder einmalig für das Haushaltsjahr 1966 durch Ergänzungszuweisungen des Bundes nach Art. 107 Abs. 2 zu verbessern. Zu der rechtlichen Problematik dieser Vorlage wird mein Kollege Dr. Abelein gleich noch etwas sagen. Meine politischen Freunde kennen die Schwierigkeiten einiger finanzschwacher, steuerschwacher Länder gerade für das Jahr 1966. Sie kennen auch die Gründe, die dazu geführt haben. Wir sind der Meinung, daß diesen Ländern, und zwar rasch, geholfen werden muß. Wir sind der Meinung, daß man sie nicht auf einen Finanzausgleich, auf eine Änderung des Bund-Länder-Verhältnisses in einer mehr oder weniger fernen Zukunft verweisen kann.
Die Hilfe muß aber — auch das muß zu sagen gestattet sein — dort ihre Grenzen haben, wo der Bundeshaushalt 1966 selbst in Gefahr gerät. Der Haushaltsausschuß hat den Entwurf des Bundeshaushalts 1966 in wochenlangen und gründlichen Beratungen geprüft, und er steht kurz vor dem Abschluß seiner Beratungen. Nur zwei Einzelpläne, nämlich die der Bundesschuld und der allgemeinen Finanzverwaltung, sind noch nicht abschließend beraten worden. Aber schon heute läßt sich übersehen, .daß sich die optimistische Vorstellung mancher Kollegen auf allen Seiten des Hauses, dieser Haushalt enthalte Reserven in der Größenordnung von Milliarden, nicht realisieren wird. Auch die Hoffnung, man werde durch globale lineare Streichungen bei den Subventionen wesentliche Beträge frei machen können, hat sich — ich möchte hinzufügen: erwartungsgemäß — nicht erfüllt. Bisher konnten im Haushaltsausschuß Kürzungsmöglichkeiten in einer Größenordnung von rund 350 Millionen DM aufgezeigt werden. Selbst wenn in den Einzelplänen 32 und 60 noch Ausgaben in Höhe von vielleicht 140 Millionen DM gekürzt werden sollten, wird der Betrag nicht zur Erfüllung aller Wünsche ausreichen.
Den voraussichtlichen Kürzungen stehen beträchtliche unabweisbare Mehrausgaben gegenüber, wie sie teilweise schon in der ersten Lesung des Bundeshaushalts aufgezeigt wurden. Es sind dies, um nur einige Beispiele zu nennen, Mehrausgaben für die Maßnahmen im Steinkohlenbergbau, für humanitäre Hilfsmaßnahmen in Vietnam, für die Aufstokkung der Berlin-Hilfe und nicht zuletzt für die Verstärkung der Mittel für die Wissenschaft. Dabei ist ein Betrag für die finanzschwachen Länder noch nicht berücksichtigt.
Nach den Vorstellungen des Bundesrates sollen die Ergänzungszuweisungen des Bundes auf der Grundlage der Steuereinnahmen berechnet werden, also nach der Steuerkraft, nicht nach dem echten Finanzbedarf der finanzschwachen Länder. Insofern ist der Ausgangspunkt des Gesetzes höchst bedenklich. Hier werden Bedürfnisfragen, die bei der Beurteilung der Notwendigkeit von Ergänzungszuweisungen nach Art. 107 GG im Vordergrund stehen müßten, mit Fragen des horizontalen Finanzausgleichs vermengt, der in erster Linie dem Ausgleich der unterschiedlichen Steuerkraft der Länder untereinander dienen sollte.
Bei dem Gesetzentwurf ist im übrigen noch gar nicht berücksichtigt, daß Länder und Gemeinden nach einer neuen Steuerschätzung — Herr Minister Lemmer hat darauf hingewiesen —, die Ende April im Einvernehmen mit den Ländervertretern erfolgt ist, in ihrer Gesamtheit im laufenden Jahr Steuereinnahmen von über 300 Millionen DM zu erwarten haben, mit denen sie bisher nicht rechnen konnten. Es trifft sicher zu, daß diese Steuermehreinnahmen nicht dort oder jedenfalls nicht proportional dort anfallen, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Es sollte aber eigentlich selbstverständlich sein, daß auch diese Mehreinnahmen bei der Beurteilung der Bedürfnisfrage berücksichtigt werden. Es mag sein, daß diese Mehreinnahmen sich in erster Linie bei den leistungsfähigeren — ich will nicht sagen: finanzstarken, denn das ist ein sehr relativer Begriff — Ländern konzentrieren. Ich meine, es geht nicht an, daß diese leistungsfähigeren Länder die Mehreinnahmen ungeschmälert behalten, der Bund dagegen zur Entlastung der leistungsfähigen Länder
1720 Deutscher Bundestag — .5. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. Mai 1966
Windelen
Ergänzungszuweisungen an finanzschwache Länder zahlt. Dies ist aus der Gesamtschau auch insofern schwer vertretbar, als die Steuereinnahmen der Länder nach den neuesten Schätzungen für die Zukunft, nachdem wir dieses Tal überwunden haben, ohnehin stärker steigen werden als beim Bund, und zwar bei der Ländergesamtheit. Auch hier müssen wir eben wieder differenzieren. Bei der Ländergesamtheit werden sie um ungefähr 10,5 % steigen, beim Bund um 9,1 %. Die Entwicklung des Vorjahres, wo infolge der Auswirkungen des Steueränderungsgesetzes ausnahmsweise die Steuereinnahmen des Bundes stärker gestiegen sind als bei den Ländern, wird sich also mit Sicherheit nicht wiederholen.
Ich habe bereits erklärt, daß meine politischen Freunde trotz der durch das Haushaltssicherungsgesetz gekennzeichneten Enge des Bundeshaushalts 1966 bereit sind, der Ausnahmesituation einzelner finanzschwacher Länder, die sich im wesentlichen aus der Einnahmeentwicklung des Jahres 1965 ergeben hat, Rechnung zu tragen, allerdings nur in einem Rahmen entsprechend dem echten Bedarf.
Der Bundesrat hat die Höhe der Ergänzungszuweisungen, die sich aus dem Gesetz ergeben, mit 251 Millionen DM beziffert. Dieser Betrag ist aber auf der Grundlage des Steueraufkommens von 1965 und nicht von 1966 errechnet. Eine Nachrechnung ergibt, daß der Gesetzentwurf tatsächlich zu Ergänzungszuweisungen von mehr als 280 Millionen DM führen würde. Dieser Betrag ist bei leidenschaftsloser Abwägung der finanziellen Situation von Bund und Ländern sicherlich übersetzt. Im Haushalt des Bundes für 1966 jedenfalls wird ein Betrag von 250 oder gar von 280 Millionen DM nicht gefunden werden können.
Wir werden uns aber dafür einsetzen, daß über die Barzuweisungen hinaus, die wir für diesen Zweck schon in diesem Haushalt einsetzen wollen, in diesem Jahr ausnahmsweise die Haushaltslage der finanzschwachen Länder durch gezielte Einzelmaßnahmen erleichtert wird. Das kann unter anderem durch eine Lockerung gewisser Selbstbeteiligungsauflagen und durch Stundung von Schuldendienstleistungen geschehen. Die Einzelheiten wären im Rahmen der weiteren Beratung zeitnah festzulegen, da dadurch dem echten Bedarf am besten entsprochen werden kann. Wir jedenfalls — und damit lassen Sie mich schließen — werden dafür sorgen, daß den finanzschwachen Ländern im Rahmen der Haushaltsberatungen in angemessener Weise und möglichst rasch geholfen wird.