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    Deutscher Bundestag 30. Sitzung Bonn, den 16. März 1966 Inhalt: Überweisung von Vorlagen 1293 A Fragestunde (Drucksache V/426) Frage des Abg. Schmidt (Kempten) : Benachteiligung der Studenten privater Ingenieurschulen Dr. Neef, Staatssekretär 1294 C Schmidt (Kempten) (FDP) . . . 1294 D Frage des Abg. Fritz (Wiesbaden): Ortstarif für Telefongespräche zwischen Mainz und Wiesbaden . . . . 1294 D Fragen des Abg. Faller: Bau eines Fernsehumsetzers in Lörrach 1295 A Frage des Abg. Dr. Schmidt (Gellersen) : Nachforderung erhöhter Fernsprechgebühren Bornemann, Staatssekretär . . . . 1295 A Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) . . 1295 B Jahn (Marburg) (SPD) 1295 C Frage des Abg. Schmidt (Kempten) : Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz Dr. Nahm, Staatssekretär . . . . 1295 D Schmidt (Kempten) (FDP) . . . . 1296 A Frage der Abg. Frau Freyh: Studentenförderung — Verrechnung der Ausbildungszulagen mit Ausbildungs- und Erziehungsbeihilfen Dr. Barth, Staatssekretär 1296 B Frau Freyh (SPD) 1296 C Fragen des Abg. Müller (Mülheim) : Sitzverlegung der VEBA Dr. Dollinger, Bundesminister . . . 1296 D Fragen des Abg. Dr. Jahn (Braunschweig) : Auswechselbarkeit von unmittelbar der Forschung dienenden Titeln Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . . 1297 A Frage des Abg. Dr. Jahn (Braunschweig) : Anerkennung von Rechenmaschinen als wissenschaftliches Hilfsmittel Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . 1297 C Jahn (Marburg) (SPD) 1297 D Frage des Abg. Dröscher: Neuregelung der Umsatzsteuer — Austauschverfahren mit Kfz-Motoren und -Einzelteilen Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . 1297 D Dröscher (SPD) 1298 A II Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1966 Frage des Abg. Dröscher: Unterschiedliche Umsatzsteuerbelastung beim Kauf von Pkws Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . 1298 B Dröscher (SPD) 1298 C Frage des Abg. Schmitt-Vockenhausen: Finanzschwierigkeiten bei Beseitigung von Verkehrsmißständen an Kreuzungen zwischen kommunalen Straßen und Bahnstrecken Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . . 1298 D Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . . 1299 A Frage des Abg. Varelmann: Beitragssätze zu gesetzlichen Sozialversicherungen — Belastung der Arbeitgeber in der Lohnsumme Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . 1299 B Varelmann (CDU/CSU) 1299 C Frage des Abg. Varelmann: Aufbringung des Kindergeldes aus dem Steueraufkommen Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . 1299 D Varelmann (CDU/CSU) 1300 A Müller (Berlin) (CDU/CSU) . . . 1300 B Frage des Abg. Varelmann: Beeinflussung des Bundeshaushalts durch die Auswirkungen der Politik des NS-Regimes und durch den zweiten Weltkrieg Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . 1300 C Varelmann (CDU/CSU) 1300 D Frage des Abg. Dr. Müller-Emmert: Schadenersatz an Gemeinden im Lkr. Kusel für beschlagnahmte Gemeindewälder 1301 A Frage des Abg. Hirsch: Beschleunigte Verbescheidung der Ansprüche der Nationalgeschädigten gem. Art. VI des BEG-Schlußgesetzes Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . 1301 B Jahn (Marburg) (SPD) 1301 C Frage des Abg. Schmidt (Kempten) : Gleichstellung der Bediensteten von Stationierungsstreitkräften mit vergleichbaren Bediensteten im öffentlichen Dienst Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . . 1301 D Schmidt (Kempten) (FDP) . . . . 1302 A Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . . 1302 A Eschmann (SPD) . . . . . . . . 1302 B Müller (Berlin) (CDU/CSU) . . . . 1302 C Folger (SPD) 1302 D Fragen des Abg. Cramer: Starfighter-Fugzeuge — Lärmfilm . . 1302 D Fragen des Abg. Dorn: Ordensverleihung an Begleitpersonal des Bundespräsidenten auf Auslandsreisen Dr. Carstens, Staatssekretär . . . 1303 A Dorn (FDP) . . . . . . . . . 1303 B Schmidt (Kempten) (FDP) . . . . 1303 C Jahn (Marburg) (SPD) . . . . . . 1303 D Frage des Abg. Dr. Mommer: Äußerung Dr. Adenauers betr. heutige außenpolitische Lage der Bundesrepublik Dr. Carstens, Staatssekretär . . . 1304 A Dr. Mommer (SPD) . . . . . . . 1304 B Frage des Abg. Kahn-Ackermann: Errichtung einer Forschungsstelle für das Abrüstungsreferat im AA Dr. Carstens, Staatssekretär . . . 1304 C Kahn-Ackermann (SPD) . . . . . 1304 D Fragen des Abg. Flämig: Europatag — Europäisches Gemeinschaftsbewußtsein Dr. Carstens, Staatssekretär . . 1305 A Flämig (SPD) 1305 C Fragen des Abg. Dr. Martin: Errichtung einer Fernsehuniversität Dr. Schäfer, Staatssekretär . . . . 1306 B Frau Dr. Maxsein (CDU/CSU) . . . 1306 B Moersch (FDP) . . . . . . . . 1306 C Deutscher Bundestag - 5. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1966 III Fragen des Abg. Biechele: „Linksradikalismus an der Freien Universität Berlin" Dr. Schäfer, Staatssekretär . . . 1306 D Biechele (CDU/CSU) 1307 A Frau Dr. Maxsein (CDU/CSU) . . 1307 A Moersch (FDP) 1307 B Müller (Berlin) (CDU/CSU) . . . 1307 C Dr. Müller (München) (SPD) . . 1307 D Frage des Abg. Schmitt-Vockenhausen: Besoldung der Lehrkräfte im Fachschuldienst des Bundes . . . . . . 1308 A Große Anfrage betr. Situation der Kohle (CDU/CSU, FDP) (Drucksache V/ 201) in Verbindung mit Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Reichsknappschaftsgesetzes (SPD) (Drucksache V/390 — Erste Beratung — und mit Antrag betr. Maßnahmen zur Anpassung des Steinkohlenbergbaues und der Struktur der Steinkohlengebiete an die veränderte Lage auf dem Energiemarkt sowie soziale Anpassungshilfen für die Beschäftigten im Steinkohlenbergbau (SPD) (Drucksache V/391) Brand (CDU/CSU) 1308 B Schmücker, Bundesminister 1312 C, 1351 B Katzer, Bundesminister f322 B Dr. Meyers, Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen . . 1326 B Arendt (Wattenscheid) (SPD) . . 1328 B Kurlbaum (SPD) 1332 B Dr. Friderichs (FDP) . . . . . 1336 D Dr. Arndt (Berlin) (SPD) 1341 C Dr. Burgbacher (CDU/CSU) . . . 1345 C Frau Dr. Elsner (SPD) 1354 D Kienbaum, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen 1356 D Dr. Dr. h. c. Toussaint (CDU/CSU) 1358 B Dr. h. c. Menne (Frankfurt) (FDP) . 1362 B Wuwer (SPD) 1364 D Schmidhuber (CDU/CSU) 1367 B Ollesch (FDP) 1369 B Lemmer, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen 1371 C Hörmann (Freiburg) (SPD) . . . . 1372 A Russe (Bochum) (CDU/CSU) . . . . 1373 C Schriftliche Erklärungen: Dr. Müller-Hermann (CDU/CSU) . . 1381 C Dr.-Ing. Philipp (CDU/CSU) . . . . 1382 B Schmitt (Lockweiler) (CDU/CSU) . 1383 D Springorum (CDU/CSU) 1384 C Stein (Honrath) (CDU/CSU) . . . 1386 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (Abg. Frau Jacobi [Marl], Frau Wessel, Wächter und Gen.) (Drucksache V/359) — Erste Beratung — 1378 A Entwurf eines Bundeswasserstraßengesetzes (Drucksache V/352) — Erste Beratung — 1378 B Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 17. Dezember 1964 mit dem Königreich Belgien über die steuerliche Behandlung von Kraftfahrzeugen im deutschbelgischen Verkehr und im Durchgangsverkehr (Drucksache V/402) — Erste Beratung — 1378 B Entwurf eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 22. März 1965 über die Verlängerung des Internationalen Weizen-Übereinkommens 1962 (Drucksache V/403) — Erste Beratung — 1378 C Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. April 1965 mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Erleichterung von Rettungseinsätzen und Rücktransporten mit Luftfahrzeugen (Drucksache V/404) — Erste Beratung — . . . 1378 C Entwurf eines Gesetzes zu den Abkommen vom 31. Juli 1962 mit der Französischen Republik zur Regelung verschiedener Grenzfragen (Drucksache V/405 — Erste Beratung — 1378 D Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 8. April 1965 mit Sierra Leone über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksache V/415) — Erste Beratung — . . . . . 1378 D Entwurf eines Gesetzes zu der Sechsten Zusatzvereinbarung vom 24. Mai 1965 zum Abkommen mit dem Königreich der Niederlande über Sozialversicherung über die Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften über die Altershilfe für Landwirte (Drucksache V/416) — Erste Beratung — 1378 D Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Eignungsübungsgesetzes (Drucksache V/419) — Erste Beratung — . . . 1379 A IV Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1966 Entwurf eines Zweiten Gesetzes über Kreditermächtigungen aus Anlaß der Erhöhung der Beteiligungen der Bundesrepublik Deutschland an den Internationalen Währungsfonds und an der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (Drucksache V/244) ; Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen (Drucksache V/412) — Zweite und dritte Beratung — 1379 A Bericht des Ausschusses für Wirtschafts-und Mittelstandsfragen über die Siebente Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung (Drucksachen V/158, V/407) 1379 B Bericht des Ausschusses für Wirtschafts- und Mittelstandsfragen über die Dreiundzwanzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste (Drucksachen V/304, V/410) 1379 C Berichte des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen über die Zehnte Sechzehnte, Siebzehnte und Einundzwanzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1966 (Drucksachen V/258, V/287, V/408, V/288, V/409, V/346, V/411) 1379 C Nächste Sitzung 1379 D Anlagen 1381 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1966 1293 30. Sitzung Bonn, den 16. März 1966 Stenographischer Bericht Beginn: 9.02 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Adorno 16. 3. Dr. Arndt (Berlin/Köln) 19. 3. Baier 17. 3. Dr.-Ing. Balke 26. 3. Dr. Barzel 16. 3. Bauer (Würzburg) 16. 3. Blachstein 18. 3. Frau Blohm 31. 3. Blumenfeld 27. 3. Burger 10. 4. Cramer 18. 3. Diekmann 16. 3. Dr. Dittrich *) 18. 3. Felder 22. 3. Fritz (Wiesbaden) 31. 3. Dr. Furler 19. 3. Frau Geisendörfer 18. 3. Haar (Stuttgart) 18. 3. Hamacher 31. 3. Dr. Dr. Heinemann 18. 3. Dr. Hofmann (Mainz) 18. 3. Dr. Jungmann 31. 3. Kaffka 19. 3. Klein 18. 3. Frau Krappe 31. 3. Liedtke 15. 4. Dr. Martin 18. 3. Metzger 18. 3. Missbach 22. 3. Dr. Morgenstern 25. 3. Dr. h. c. Dr.-ing. Möller 18. 3. Rehs 16. 3. Riedel (Frankfurt) 19. 3. Frau Schimschok 18. 3. Dr. Schulz (Berlin) **) 16. 3. Frau Stommel 18. 3. Dr. Wilhelmi 17. 3. Wullenhaupt 16. 3. b) Urlaubsanträge Bauer (Wasserburg) 26. 3. Figgen 8. 4. Frieler 31. 3. Herberts 7. 4. Hirsch 25. 3. Dr. Schäfer 25. 3. Dr. Schiller 26. 3. Stahlberg 31. 3. Teriete 26. 3. *) Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments **) Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Beratenden Versammlung des Europarats Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr. Müller-Hermann für die Fraktion der CDU/CSU zu Punkt 2 der Tagesordnung (Drucksachen V/201, V/390 und V/391). Der Bundesregierung ist dafür zu danken, daß sie die Probleme des Steinkohlenbergbaus in den richtigen gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang gestellt hat. Unter diesem gesamtwirtschaftlichen Aspekt müssen auch die von der Bundesregierung angekündigten Maßnahmen im einzelnen geprüft werden. Es ist sicherzustellen, daß die jetzt zu treffenden Maßnahmen einer dauerhaften und volkswirtschaftlich sinnvollen Regelung des Energieproblems den Weg bereiten. Volkswirtschaftlich sinnvolle Entscheidungen kann man auf die Dauer nicht gegen den Markt treffen. Schließlich muß gewährleistet werden, daß eine regionale und sektorale Strukturpolitik nicht zu Lasten anderer Regionen und anderer Wirtschaftsbereiche geht. Bei der Diskussion um die Kohle fühle ich mich ständig an die Diskussion um die Bundesbahn erinnert. Beide - die Kohle wie die Eisenbahn - werden weiterhin gebraucht, aber eben in anderer Weise und in anderen Größenordnungen wie vor 50 oder 20 Jahren. Beide haben ihre Monopolstellung verloren und müssen sich auf einen immer härter werdenden Wettbewerb umstellen. Sie müssen beide ihr Leistungsangebot konzentrieren. Es ist demagogisch, bei diesem volkswirtschaftlich unvermeidbaren Umstellungsprozeß von „Demontage" und Ausverkauf zu sprechen. Strecken- bzw. Zechenstillegungen entsprechen, so bedauerlich sie im einzelnen sein mögen, einer Anpassung an die gegebenen Absatzmöglichkeiten, wie sie viele andere Wirtschaftsbereiche im Zuge der technischen Entwicklung gleichfalls haben vornehmen müssen. Wir erweisen nicht nur unserer Volkswirschaft, sondern auch der Kohle und der Bahn letzten Endes einen Dienst, wenn wir sie organisch und zielstrebig in den Wettbewerb hineinführen, statt sie - dann allerdings mit erheblich größerem öffentlichem Aufwand - künstlich und auf die Dauer gegenüber den Wettbewerbern abzuschirmen. Wie die Bahn der Zukunft brauchen wir auch den Bergbau der Zukunft. Aufgabe der Politik ist es, sicherzustellen, daß sich der Strukturwandel ohne soziale Härten vollzieht. Kein Zeitpunkt dürfte sich gerade dafür besser eignen als eine Periode der Vollbeschäftigung, ja der Überbeschäftigung, wie wir sie gerade erleben. Ich möchte sogar meinen, daß wir - gesamtwirtschaftlich gesehen - gerade heute in der Pflicht stehen, unsere knappen Arbeitskräfte dort hinzulenken, wo sie am produktivsten eingesetzt werden können. Das Programm der Bundesregierung verdient nicht zuletzt im Hinblick auf die sozialen Probleme volle Unterstützung. Ich freue mich, die Übereinstimmung mit der Bundesregierung auch in anderen Zielpunkten feststellen zu können, so, wenn sie eine bessere Produktivi- 1382 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1966 tät bei der Kohle selbst anstrebt, zugleich aber auch eine bessere volkswirtschaftliche Produktivität im regionalen Rahmen durch eine systematische Umstrukturierung des Ruhrgebiets. Sie werden verstehen, daß ich gerade aus der Sicht der revierfernen Gebiete und der Küste entscheidendes Gewicht auf eine preiswerte, d. h. preisgünstige Energieversorgung lege. Wir dürfen nicht vergessen, daß für einige Wirtschaftsbereiche die Energiekosten ein kardinales Problem darstellen, das man in unserer exportabhängigen Wirtschaft unter keinen Umständen bagatellisieren darf. Das Problem stellt sich im übrigen auch im Ruhrgebiet selbst. Die zunehmende Abwanderung etwa der Stahlindustrie zur Küste ist ein Beispiel. Leider kommt dieser Trend zur Küste nicht der deutschen Küste zugute, sondern anderen EWG-Ländern, wenn wir die nationalen Energiepreise aus dem Wettbewerb herausnehmen. Aus diesen Gründen lege ich Wert darauf, daß das Hohe Haus und die Bundesregierung in richtiger Einschätzung der gesamtwirtschaftlichen Erfordernisse in der Selbstbeschränkung der Mineralölindustrie, in Sondersteuern wie der Heizölsteuer und in der Kontingentierung der Importkohle keine Dauereinrichtungen sehen mögen! Ich weise darauf hin, daß z. B. die Importkohle, die 1958 noch 6,7 % Anteil am Primärenergieverbrauch hatte, 1965 nur noch einen Anteil von 2,3 % hatte. Sie scheidet damit praktisch als Preisregulator auf dem Energiemarkt aus. Es wäre nicht gut, wenn man darin Systematik erkennen müßte. Sie wollen aber aus diesen wenigen Zahlen ersehen, weiches Opfer die Küstenländer seit langem zugunsten der deutschen Kohleproduktion erbringen. Wenn ich als Abgeordneter der Küste meinen good-will gegenüber der Kohle und zu dem Programm der Bundesregierung zum Ausdruck bringe, dann in der Erwartung, daß auch die dem Kohlebergbau nahestehenden Kollegen den gleichen good-will zum gesamtwirtschaftlichen Denken aufbringen. Das Programm der Bundesregierung scheint mir geeignet zu sein, nicht nur ein Umdenken in der Energiepolitik, sondern vor allem auch ein Umdenken beim Steinkohlenbergbau voranzutreiben, das, wie mir scheint, seit langem fällig ist, und das wir zu einem guten praktischen Ergebnis führen wollen, zum Wohle der Kohle und zum Wohle unserer gesamten Volkswirtschaft. Anlage 3 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Dr.-Ing. Philipp für die Fraktion der CDU/CSU zu Punkt 2 der Tagesordnung (Drucksachen V/201, V/390 und V/391) Die bisherige, gegenwärtige und künftige Problematik unserer Energiewirtschaft ist letzten Endes nur die Frage einer zeitlichen Abstimmung des Einsatzes der verschiedenen Energieträger, die zur Befriedigung unseres steigenden Bedarfs verfügbar sind. Zweifellos wäre die Entwicklung in geordneten Bahnen und ohne die jetzigen Nöte für unsere Steinkohle verlaufen, wenn sich die Expansion des Heizöls weniger stürmisch vollzogen hätte. Und wir brauchten dann heute nicht wieder hier das leidige Thema zu behandeln, welches viel Beunruhigung im volkswirtschaftlichen und sozialen Raum aufkommen ließ. Die vom Herrn Bundeswirtschaftsminister dargelegten Maßnahme verdienen die Unterstützung des ganzen Hauses. Wir sind uns in diesem Hause alle darüber einig, daß nur die Anpassung von Förderung und Absatz die Probleme des Steinkohlenbergbaus lösen kann. Da die gegenwärtig geförderten Mengen nicht abgesetzt werden können, bleibt kein anderer Weg, als Kapazitäten im Umfange von 15 bis 20 Millionen Tonnen stillzulegen. Es ist in diesem Zusammenhang jedoch einmal mit Deutlichkeit darauf hinzuweisen, daß Stillegungsmaßnahmen allein nicht zu einer Gesundung des Steinkohlenbergbaus führen können. Mit dem Begriff „Gesundschrumpfen" des Bergbaus ist in den letzten Jahren ein großer Unfug getrieben worden. Während die bisherigen Zechenstillegungen der Rationalisierung des Bergbaus — also der Verlagerung der Kapazitäten auf bessere Anlagen — dienten, und in den nächsten 2 bis 3 Jahren noch 15 Millionen t so verlagert werden, sollen jetzt Zechen stillgelegt werden, deren Kapazitäten vernichtet werden. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß die Stillegung von 15 Millionen t im Wege der Rationalisierung und 20 Millionen t Kapazitätsvernichtung 35 Millionen t insgesamt in Mitleidenschaft ziehen. Das bedeutet die Stillegung von 35 Zechen und zwar von zur Zeit noch 107 an der Ruhr. Aber auch die Stillegungsmaßnahmen und die damit verursachten Kosten wären vertan, wenn es nicht gelänge, den Absatz zu stabilisieren. Wir würden sonst eine schiefe Ebene betreten, auf der es kein Halt geben würde, mit dem Ergebnis, daß die Menschen im Bergbau sich getäuscht vorkommen müßten. Wir hätten dann Jahr für Jahr gefahrvolle Auseinandersetzungen; denn es kann doch niemand glauben, daß wir etwa in den nächsten Jahren einfach in Permanenz Zechen schließen, ohne eine Auffanglinie erkennen zu lassen. Wir sind jetzt an dem entscheidenden Wendepunkt. Es würde auch ein schlechter Scherz sein, Anlagen mit hohem Kostenaufwand zunächst zu rationalisieren und dann nach zwei oder drei Jahren stillzulegen. Wer will das vor der Öffentlichkeit verantworten? Die schiefe Ebene kennzeichnet sich dadurch, daß seit 1963 die Kohle jährlich einen Absatzrückgang von fast 10 Millionen t hat. Das wird auch 1966 so sein. Deshalb werden in diesem Jahre nur 119 bis 122 Millionen t absetzbar sein, bei einer Förderung von 129 bis 131 Millionen t und einer vorhandenen Kapazität von etwa 140 Millionen t. Diese Entwicklung würde sich weiter in dieser Größenordnung nach unten fortsetzen, wenn nicht die Maßnahmen der Bundesregierung wirksam würden. Wir sollten immer im Gedächtnis behalten, daß auch bei Verwirklichung der komplexen Maßnahmen und trotz Durchführung aller anderen von der Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1966 1383 Bundesregierung vorgeschlagenen Maßnahmen der Kohleabsatz in den nächsten Jahren nicht etwa ansteigen, sondern nur etwa seinen heutigen Stand behalten wird. Entscheidend für die Konsolidierung des deutschen Energiemarktes ist das Verhältnis zwischen Kohle und Öl. Die Auseinandersetzung in den letzten Wochen hat gezeigt, daß die deutsche Öffentlichkeit die ständig wiederkehrenden Energiedebatten mit wachsendem Überdruß registriert. Wir sollten uns hier in diesem Hohen Hause die Wahrheit sagen und uns darüber im klaren sein, daß wir das Energieproblem nur dann lösen können, wenn wir wirksame Mittel finden, um das Verhältnis zwischen Kohle und Öl für einen längeren Zeitraum sinnvoll zu lösen. Die Vergangenheit hat gezeigt, daß die bisher angewandten Mittel nicht zu einer wirksamen Beruhigung des Energiemarktes geführt haben. Trotz der Selbstbeschränkungsabkommen liegt die Zuwachsrate der Erdölindustrie für 1965 bei leichtem Heizöl bei 20,7% und bei schwerem Heizöl bei 15,9 %, obwohl eine Zuwachsrate von 6 bis 8 % ausreichend gewesen wäre. Dieser Zuwachsrate steht ein Anstieg des Primärenergieverbrauchs von nur 3 °/o gegenüber. Nach der Prognose der Energie-Enquete aus dem Jahre 1961 sollten die Raffineriekapazitäten erst im Jahre 1975 die 100Millionen-Grenze überschreiten. Diese Grenze wird bereits am Ende dieses Jahres, also neun Jahre vorher, erreicht werden. Wenn .es nicht gelingt, die Selbstbeschränkung der Erdölindustrie dicht zu machen, werden wir uns in den nächsten Jahren immer wieder mit der Krisenlage des deutschen Energiemarktes auseinandersetzen müssen und große Geldsummen am falschen Fleck einsetzen. Es darf einfach nicht möglich sein, daß nach dem Selbstbeschränkungsabkommen für 1965 eine Zuwachsrate für schweres Heizöl von 8 % vereinbart worden ist, der tatsächliche Zuwachs aber viel höher liegt. Wenn dieser Marktanteil der Kohle erhalten geblieben wäre, wären im letzten Jahre mindestens die Haldenbestände nicht größer geworden. Jedenfalls sind so mindestens 6 bis 8 Millionen t Kohle vom Markt verdrängt worden. Zur Selbstbeschränkung des Heizöls lassen Sie mich an dieser Stelle noch ein offenes Wort sagen. Es ist durchaus nicht so, daß etwa für Heizöl Bezugscheine eingeführt werden müßten, wenn man Kontingente fordert. Wer nämlich bisher Heizöl erhielt, würde das auch weiterhin ohne Bezugschein erhalten. Allein, wer sich neu auf Heizöl umstellen will, müßte etwas zuwarten. Ich glaube, im Sinne des Timings würde auch der „Bäckermeister Müller" Verständnis aufbringen, wenn er statt am 1. 1. 1966 vielleicht erst am 1. 6. 67 seinen Betrieb auf Heizöl umstellen kann. Was nämlich auch in unserer Wirtschaftsgemeinschaft verlangt werden muß, ist eine geordnete Anpassung unserer Volkswirtschaft an einen sich wandelnden Markt. Es ist für die Erdölwirtschaft durchaus zumutbar, den Ausbau ihrer Kapazitäten nach einem Zeitplan vorzunehmen, der mit dem gesamtwirtschaftlichen Interesse abgestimmt ist. Eine Ordnung in der Strukturveränderung wird nur dann zu erreichen sein, wenn ein Zeitplan, der von allen Beteiligten einzuhalten ist, die Ausweitung der Erdölindustrie regelt. Wir sind inzwischen so weit gekommen, daß praktisch das internationale Öl bestimmt, wieviel Kapazitäten Kohle wir noch erhalten sollen. Das muß in Zusammenhang mit der Frage unserer Sicherheit gesehen werden. Wir sollten die Bundesregierung in ihren Bemühungen unterstützen, die Selbstbeschränkung der Mineralölindustrie zu einem wirksamen Instrument dafür zu gestalten, daß die Anpassungsvorgänge harmonisch verlaufen. Ich bitte, sich bei Beratung der von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzesvorlagen in den zuständigen Ausschüssen davon leiten zu lassen, daß nur ganze Maßnahmen zum Konsolidierungserfolg führen werden. Wenn im Ausschuß die Vorlagen in ihrer Effizienz verwässert würden. dann wird der Kohlenabsatz eine Entwicklung nach unten nehmen, und wir werden die von uns allen geforderte Konsolidierung nicht erhalten. Ich darf noch folgenden Punkt ansprechen. Im Rahmen des Haushalts des Bundesarbeitsministers hat der Bundestag wiederum über die Höhe der Leistungen des Bundes im Zusammenhang mit der Bergmannsprämienregelung zu entscheiden. Im Vorjahr hat der Bundestag wegen der besonderen Lage des Steinkohlen- und Eisenerzbergbaus beschlossen, den Erstattungsbetrag des Bundes auf 4 v. H. festzulegen. Die wirtschaftliche Lage hat sich seither wesentlich verschlechtert, so daß es gerechtfertigt erscheint, auch für 1966 den gleichen Vomhundertsatz zu beschließen. Eine enge Anlehnung des Erstattungsbetrages an die Bergmannsprämienaufwendungen widerspricht den montanrechtlichen Rücksichten und kann in der vom Haushaltsausschuß vorläufig festgesetzten Höhe auch keinesfalls die Aufwendungen der einzelnen Bergbauunternehmen decken. Ich möchte bitten, im Haushaltsausschuß zuzustimmen, daß der Vomhundertsatz der Leistungen des Bundes für den Steinkohlen- und Eisenerzbergbau wie im Vorjahr auf 4 v. H. der versicherungspflichtigen Lohn- und Gehaltssumme festgesetzt wird. Anlage 4 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Schmitt (Lockweiler) für die Fraktion der CDU/CSU zu Punkt 2 der Tagesordnung (Drucksachen V/201, V/390 und V/391). Ich will darauf hinweisen, daß in der Bundesrepublik nicht nur an der Ruhr, sondern auch an der Saar ein intensiver Kohlenabbau stattfindet. Es werden hier etwa 10 % der deutschen Steinkohlen gewonnen. Mit 15 % leistet der Steinkohlenbergbau an der Saar einen höheren Beitrag zum Sozialprodukt, als in irgendeinem anderen Bundesland. Schwierigkeiten im Bergbau sind Schwierigkeiten für das Land. Ich habe Verständnis dafür, daß die Bundesregierung und der Bundestag ihr Hauptaugenmerk auf das Ruhrrevier richten, offensichtlich in der Hoffnung, daß sich das Problem bei der klei- 1384 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1966 nen Quantität an der Saar hinterher von selbst regelt. Man übersieht dabei allzu leicht, daß die Voraussetzungen im Lande Nordrhein-Westfalen und im Saarland verschiedenartig sind. Das Saarland hat in den letzten 50 Jahren zweimal stellvertretend für das ganze Deutsche Reich als Reparationsobjekt wegen seiner Kohlen den Kopf hingehalten und hat dabei Schädigungen davongetragen, die bis heute nicht ausgemerzt werden konnten. Wenn wir erfreulicherweise alle der Meinung sind, daß die Kohlenkrise nicht auf dem Rücken der Bergleute ausgetragen werden darf, so muß das gleichermaßen für das Saarland gelten, das in seiner Aufbauphase durch die Kohlenkrise empfindlich gestört wird. Wenn seit Jahren das größte Unternehmen des Landes wegen der fehlenden Erträge keine Ertragsteuern zahlen kann, leuchtet ein, daß die Finanzkraft des Landes in keinem gesunden Verhältnis zur Wirtschaftskraft des Landes stehen kann. Trotz aller Schwierigkeiten haben wir an der Saar die Förderung um 18 % zurückgenommen, in der Hoffnung, für den Rest einen Markt zu finden. Durch die Überkapazitäten, die im vergangenen Herbst aufgetreten sind, konnten Aufhaldungen nicht vermieden werden, die nun zu Feierschichten und Haldenverlagerungen führen. Das kostet das Land 7,5 Millionen DM. Für das Saarland bedeutet das, den Landeshaushalt in die Relation zum Bundeshaushalt gesetzt, die Größenordnung von 500 Millionen DM. Das ist für ein Land, das ohnehin wegen der besonderen Situation vom Haushalt her gesehen sich auf einer finanziellen Gratwanderung befindet, viel Geld. Meine Bitte geht dahin, bei den Besprechungen der Bundesregierung die Vertreter der Saar in jeder Phase zu beteiligen, damit sichergestellt wird, daß die zu treffenden Maßnahmen auch den anders gearteten Verhältnissen an der Saar gerecht werden. Wir begrüßen es sehr, daß die Bundesregierung durch die angekündigten Maßnahmen uns neue Hoffnung gibt, das Problem der Kohlenkrise auch an der Saar lösen zu können. Wenn auch auf die akuten Schwierigkeiten heute hier keine vollständige Lösungsmöglichkeit aufgezeigt werden konnte, so ist doch klargeworden, daß Bundesregierung und Bundestag entschlossen sind, die Dinge fest in die Hand zu nehmen. Meine Damen und Herren, ich will Sie hier nicht mit Einzelheiten aufhalten. Aber gestatten Sie mir noch einen Hinweis. Wenn wir über die Saar sprechen, sprechen wir über kleine Quantitäten. Man sollte aber dabei nicht vergessen, daß dieses Hohe Haus bei der Rückkehr des Saarlandes in die Bundesrepublik zugesagt hat, die gleichen Verhältnisse an der Saar zu schaffen wie im übrigen Bundesgebiet. Wir sind der Bundesregierung für die vielfältigen Hilfen dankbar, die wir bis heute erhalten haben. Ich muß aber darauf hinweisen, daß der Umstellungsprozeß noch nicht beendet ist. Es ist nach meiner Meinung eine der vornehmsten Aufgaben für uns alle, darauf zu achten, daß dieses Land, das im Nachkriegseuropa aus einer Gebietsveränderung hervorgetreten ist, unter Beachtung des Selbstbestimmungsrechts der Bevölkerung zu einer ersten Wiedervereinigung unter Deutschen geführt hat und daß eine gesunde Entwicklung dieses Teiles unseres Vaterlandes Ausgangspunkt und Hoffnung für die Lösung des zentralen Problems der deutschen Politik sein kann: der Wiedervereinigung. Anlage 5 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Springorum für die Fraktion der CDU/CSU zu Punkt 2 der Tagesordnung (Drucksachen V/201, V/390 und V/391). Wir haben heute in einer langen Debatte die heutigen Probleme des Steinkohlenbergbaus gehört. Wir wissen aber nur das, was heute ist. Was morgen oder übermorgen sain wird, wissen wir nicht. Es ist einfach nicht zu übersehen, wie sich die Anlieferung von Mineralöl aus dem Nahen Osten in der Zukunft gestalten wird. Man muß daran denken, daß auch ohne Krise nur die Vereinigten Staaten die Einfuhren in größerem Umfange einströmen lassen könnten. Oder man denke an eine Krise in Nah-Ost. Wir wissen also nicht, wie lange dieses Öl im Überfluß zur Verfügung stehen wird. Wir wissen auch nicht, wie die Preisentwicklung sein wird. Zur Zeit liegen die Weltmarktpreise des Mineralöls mit etwa 22 DM unter den sogenannten „posted prices", also den Listenpreisen, zu denen mit den Konzessionsgebern, also den Ländern im Nahen Osten, abgerechnet wird. Hier wird sicher einmal eine Anpassung der Weltmarktpreise an die Listenpreise erfolgen, die ja nur Geltung haben, solange das Öl im Überfluß läuft. Die große Funde in NahOst haben merklich nachgelassen. In den letzten Jahren konnten nur noch in Libyen und im Iran große zusätzliche Funde gemacht werden. Aber heute schon zu übersehen, wann mit einer Angleichung von Absatz und Produktion zu rechnen ist, wäre verfrüht. Es wird soviel von der künftigen Kernenergie, von den Atomkraftwerken gesprochen. Wir wissen heute einfach noch nicht, wieviel Uran auf der Welt überhaupt vorhanden ist. Wir wissen auch nicht, wieviel Uran zu marktfähigen Preisen auf der Welt angeboten werden kann. Nach den bisherigen Berechnungen wäre bereits bei allen Vorhaben, die im Gespräch sind, 1980 die Hälfte der wirtschaftlich gewinnbaren Uranvorräte abgebaut. Also hier ist ebenfalls eine Grenze. Es wird weiter viel davon gesprochen, daß die Brutreaktoren hier einen Ausweg schaffen würden. Diese Brüter werden zweifelsohne entwickelt werden. Wir wissen aber heute noch nicht, ob solche Brutreaktoren in dicht besiedelten Gegenden werden errichtet werden dürfen. So weit sind wir heute jedenfalls noch nicht. Die Plasma-Forschung macht große Fortschritte. Wir können aber heute überhaupt nicht übersehen, ob die Kernfusion einmal möglich sein wird, um sie für friedliche Zwecke überhaupt ausnutzen zu können. Wir wissen auch noch nicht einmal, ob in den nächsten Jahren nicht doch vielleicht die Möglich- Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1966 1385 keit bestehen wird, elektrische Energie auf chemischem Wege unter Umgehung der Turbinen und Generatoren zu gewinnen. Das würde die Stromerzeugung erheblich verbilligen. Es wäre aber wieder nur möglich unter hohen Temperaturen, die von der Kernenergie nicht geliefert werden können. Man müßte wieder auf die altbewährte Kohle oder auf das Heizöl zurückgreifen. So gibt es in der künftigen Energie-Entwicklung so viel Zweifelsfragen, daß heute überhaupt nicht vorherzusagen ist, wie unsere Energieversorgung einmal sein wird. Persönlich bin ich der Auffassung, daß wir alle Energieträger zu irgendeinem Zeitpunkt dringendst brauchen werden und daß wir dankbar sein werden für jedes Kilo SKE, das wir im eigenen Lande haben. Wann eine Notsituation kommen wird, das ist heute noch nicht zu übersehen. Ein kurzes Wort noch an die bedingungslosen Anhänger eines freien Marktes. Ja, wir haben als Ordnungsfaktor für unsere Wirtschaft die Marktwirtschaft. Sie hat uns auch in den letzten Jahren große Erfolge gebracht. Aber wir müssen uns immer vor Augen halten, daß die Daten, die ein freier Markt auszusenden in der Lage ist, nur für die Gegenwart Gültigkeit haben. Für die Zukunft haben sie keine Aussagekraft. Ich möchte hierfür ein Beispiel nennen, stellvertretend für viele andere Dinge. Ende der fünfziger Jahre verlangte der Markt das Herausnehmen der deutschen Blei- und Zinkgruben aus diesem Markt, da sie nicht mehr rentierlich arbeiten konnten. Ein großer Teil der Gruben wurde stillgelegt. Heute sind wir froh und glücklich, daß wir noch einige dieser Gruben besitzen; denn sie sind das Rückgrat für die deutsche Blei- und Zinkversorgung, die sonst genauso deroutiert wäre wie der deutsche Kupfermarkt. Die neuen Maßnahmen der Bundesregierung werden dem Steinkohlenbergbau sicher helfen, Förderung und Absatz besser aufeinander abstimmen zu können, weil einfach in der Zukunft der Absatz besser wird überblickt werden können. Leider werden diese Maßnahmen aber Kosten verursachen. Ich höre schon all die Stimmen wieder, die der Bundesregierung vorwerfen, daß der Steinkohlenbergbau über jedes zuträgliche Maß hinaus subventioniert wird. Lassen Sie mich deshalb einige Worte zu den Subventionen sagen. Ja, der Bergbau erhält einige Subventionen in geringem Maße. Es gibt einige Millionen, die die Bundesregierung für die Rationalisierung des Bergbaus zahlt. Es handelt sich hier um 40 Millionen DM für Blockheizwerke. Sie können es auch als Subventionen bezeichnen, daß für revierferne Gebiete Frachtermäßigungen im Umfang von 85 Millionen DM gezahlt werden. Sie können vielleicht noch zu den Subventionen rechnen das eine Prozent, das die Krankenkasse als Zuschuß erhält. Darüber hinaus handelt es sich aber bei all den Ausgaben, die der Bund für soziale Tatbestände im Interesse der Bergleute zur Verfügung stellt, nicht um Subventionen, sondern um Ausgaben, die nicht dem Bergbau zugute kommen. Den größten Teil der Subventionen erhalten die Knappschaften. Hier handelt es sich um einen Betrag von mehr als 2 Milliarden DM. Dieser Betrag spielt in der Öffentlichkeit eine große Rolle. Aber sehen wir uns doch einmal diesen großen Betrag näher an. Noch 1957 waren die Knappschaften in ihrer Bilanz ausgeglichen. Die damalige Reform der Rentenversicherung beließ der Knappschaft die Eigenständigkeit, und es war damals in der Zeit des Kohlenmangels beim besten Willen nicht zu übersehen, daß der Kohlenbergbau eines Tages schrumpfen würde. Seitdem hat der gesamte Bergbau über 270 000 Mitarbeiter abgegeben; sie fehlen heute als Beitragszahler in der Knappschaft mit einem Beitragssatz von 2250 DM je Jahr und Mann. Diese Beiträge fließen nicht mehr der Knappschaft, sondern anderen Versicherungsträgern zu. Die Rentner aber sind bei uns geblieben, sie werden von der Knappschaft bezahlt. Wir haben heute aber ein Umlageverfahren, wenn auch in modifizierter Form. Bei einer Umlage kann eine Rentenversicherung einfach nicht existieren, wenn die Beitragszahler die Versicherung verlassen und die Rentner bleiben. Subventioniert wird heute im wirklichen Sinne des Wortes nicht etwa die Knappschaft, nicht etwa der Bergbau, sondern die anderen Sozialversicherungsträger, denen die Beitragszahler zufließen, während die Rentner bei der Knappschaft bleiben bzw. dann, wenn sie in Pension gehen, wieder zur Knappschaft zurückkommen. Das ist der wirkliche Grund für diese außerordentlich hohe Summe von mehr als 2 Milliarden Mark, die nun in der Zukunft, wenn hier nicht eine andere gesetzliche Regelung Platz greift, wesentlich größer werden wird, weil der Bergbau gezwungen ist, weiter zu schrumpfen, weiter Leute freizusetzen, die als Beitragszahler zu den anderen Versicherungsträgern gehen. Die Zahl der Rentner wird noch größer. Ich darf in diesem Zusammenhang noch auf eine andere Kostenentlastung für den Bergbau zu sprechen kommen, die ebenfalls viel Staub in der Öffentlichkeit aufgewirbelt hat, und zwar die Entlastung für unsere Bergbau-Berufsgenossenschaft. Hier geht die Altlast, die vor 1953 angefallen ist, zu Lasten aller Berufsgenossenschaften gemeinsam. Diese Entlastung nimmt uns fast die Hälfte der Kosten für die Berufsgenossenschaft, die ja beim Bergbau durch die Häufigkeit der Unfälle, aber auch durch die Belastung infolge der Berufskrankheiten außerordentlich hoch sind. Lassen Sie mich hierzu einige Worte sagen. Im Jahre 1945 lag die deutsche Volkswirtschaft danieder. Sie konnte nur dadurch wieder aufgebaut werden, 'daß ausreichend Energie zur Verfügung gestellt wurde. Der deutsche Bergmann mußte also vom ersten Tage an nach der Kapitulation an die Arbeit. Aber es stand kein Material zur Verfügung. Ich erinnere mich noch an die ersten Wochen nach dem Kriege, als ich aus der Gefangenschaft zurückkam. Wir haben damals mit Mühe versucht, Kohle in Zigarren und Zigarren wieder in Wasserdüsen zu tauschen, um in der Grube die gefährlichen Stäube zu beseitigen. Damals hat der deutsche Bergmann unter Vernachlässigung jeder Gesundheitsfürsorge gearbeitet, um der deutschen Wirtschaft ausreichend Kohle zur Verfügung zu stellen. Dies lag nicht im Interesse der Zechen. Eine Rendite warfen die Zechen — mit großer oder kleiner 1386 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1966 Förderung — sowieso nicht ab, und hierauf kam es auch nicht an. Aber der deutsche Bergmann hat sich damals in rücksichtsloser Pflichterfüllung gesundheitlich ruiniert. Wir sehen es am besten daran, daß gerade aus diesen Zeiten der Anfall an SilikoseErkrankungen außerordentlich hoch ist. Für die Jahre 1945 bis 1953 sind mehr als 65 % für Renten an Silikose-Erkrankte gezahlt worden. Diese Last, die der Bergbau und jeder einzelne Bergmann auf sich genommen hat, kann nicht allein vom Bergbau getragen werden. Der deutsche Steinkohlenbergbau steht für die Zukunft vor außerordentlich schwierigen Problemen. Ich denke hier vor allem an die kurzfristig zu ergreifenden Maßnahmen. Die Schrumpfung des Bergbaus auf die Höhe des Absatzes wird einfach aus sozialen Gründen in der Geschwindigkeit, die vielleicht der Anpassung wegen notwendig wäre, einfach nicht möglich sein. Er steht also tatsächlich vor der Notwendigkeit, Feierschichten einzulegen. Die Zahl der voraussichtlichen Feierschichten ist bekannt. Es werden wohl im ersten Halbjahr sieben und im zweiten Halbjahr elf Feierschichten verfahren werden müssen. Der Bergbau ist leider nicht in der Lage, unseren Bergleuten einen finanziellen Ausgleich für diese Einkommensverluste zu geben. Hier müßte die Bundesregierung tatsächlich helfen. Eine Bezahlung der restlichen Samstage würde für den Bergbau eine neue Zukunftsbelastung bedeuten. Die endgültige Lösung der Krise des Steinkohlenbergbaus ist aber nicht nur ein wirtschaftliches, nicht nur ein menschliches Problem, sie ist genauso gut ein technisches Problem. Der Bergbau wird aufgerufen sein, wenn er sich seinen künftigen Markt erhalten will, alles zu tun, um seine Kohlen so preisgünstig wie möglich zu liefern. Der Bergbau, insbesondere der Steinkohlenbergbau, ist mit keinem anderen Wirtschaftszweig zu vergleichen. Es gibt einfach keine Regelmäßigkeit wie in anderen Industrien. Jede einzelne Produktionsstätte ist anders. Sie unterscheidet sich durch die Lagerung des Flözes und die Mächtigkeit des Flözes, durch das Nebengestein und noch vieles andere mehr. Es wurde vorhin schon darauf hingewiesen, daß der deutsche Steinkohlenbergbau der leistungsfähigste in Europa ist. Dies wird am deutlichsten dadurch, daß die deutschen Abbauverfahren in der ganzen Welt Eingang gefunden haben. Sie sind Vorbild selbst für den Bergbau in den Vereinigten Staaten geworden. Deutsche Bergwerksmaschinen sind überall begehrt. Der Bergbau wird selbstverständlich noch weiter und noch mehr rationalisieren müssen. Ich möchte hier zwei Begriffe voneinander trennen, die überbetriebliche und zum anderen die innerbetriebliche Rationalisierung. Allein in den letzten Jahren seit Beginn der Krise sind 34 Schachtanlagen bereinigt worden, d. h. sie sind zu größeren Einheiten zusammengelegt worden. Diese Bereinigung wird fortgesetzt. Ich möchte hierzu einiges sagen, weil man immer wieder hört, daß diese Felderbereinigung die Ertragsfähigkeit des Bergbaus erheblich verbessere. Das ist ein Irrtum. Eine Bereinigung muß langfristig geplant und langfristig durchgeführt werden. Mit einer Entlastung von heute auf morgen ist bei einer Felderbereinigung nicht zu rechnen. Im Gegenteil, in den ersten Jahren bringt sie nur Belastungen, und ehe sie wirklich wirtschaftliche Vorteile bringt, wird manches Jahr ins Land gehen. Zur innerbetrieblichen Rationalisierung noch einige Worte. Der deutsche Bergbau ist in den letzten sechs bis sieben Jahren weitgehend mechanisiert worden. Diese sogenannten vollmechanischen Abbauverfahren werden weiter vervollkommnet werden. Der schreitende Ausbau, der hohe Investitionen fordert, wird sich immer mehr durchsetzen können. Die Leistung wird entsprechend weiter gesteigert werden können. Ich bin fest davon überzeugt, daß im nächsten oder übernächsten Jahr die 3-t-Grenze im Ruhrdurchschnitt überschritten werden wird, eine Zahl, die noch vor zehn Jahren als unerreichbar gegolten hat. Es deuten sich heute schon moderne und neuere Abbauverfahren an, die wahrscheinlich noch einmal einen weiteren Schritt nach vorne bringen können. Nur — ich sprach vorhin von der Verschiedenheit der natürlichen Gegebenheiten im Bergbau — ehe diese Verfahren tatsächlich Gemeingut geworden sein können, werden manche Jahre ins Land gehen. Solche Entwicklungen brauchen nicht nur bei uns Zeit. Der Bergbau ist sich darüber klar, daß die größte Leistung, seine Zukunft zu sichern, von ihm selbst verlangt wird. Wir dürfen nicht vergessen, daß der Bergbau, der nur in Ballungsgebieten zu Hause ist, durch seine Integration in der Gesamtwirtschaft nur mit Schaden für alle in einer Dauerkrise gehalten werden kann. Der Bergbau ist für die Bundesrepublik und für die Wirtschaft ein wesentlicher Faktor. Mehr als für 6 Milliarden DM werden jährlich mittelbar und unmittelbar durch ihn und von ihm exportiert. Deutsche Bergwerksanlagen, deutsche Bergbauverfahren, deutsche Bergmannskunst wer-.den in der ganzen Welt gesucht. Diese konkurrenzlose Stellung deutscher Erzeugnisse und deutschen Geistes draußen in der Welt sind aber nur zu erhalten, wenn wir hier bei uns über einen gesunden Bergbau verfügen, der mit berechtigten Hoffnungen in eine sichere Zukunft schauen kann. Hierfür zu sorgen ist eine Aufgabe der Politik der wir hier in diesem Hause verpflichtet sind. Anlage 6 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Stein (Honrath) für die Fraktion der CDU/CSU zu Punkt 2 der Tagesordnung (Drucksachen V/201, V/390 und V/391) Die Antwort der Bundesregierung und auch die Beiträge zur Debatte machen deutlich, daß der energiewirtschaftliche Strukturwandel und die sich daraus ergebenden energiepolitischen Aufgaben mit dem Begriff „Kohle/Öl" nicht mehr zutreffend bezeichnet sind. In den Debatten vergangener Jahre standen wir vor dem schwer überwindbaren Gegensatz der beiden großen Energieträger. Das Entscheidende heute ist eine neue Sicht der Dinge. Auf die Frage „Kohle oder Öl' kann die Antwort nur lau- Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1966 1387 ten: Kohle und Öl", weil wir zur Deckung unseres, Energiebedarfs auf keinen der beiden Energieträger verzichten können. Die Wirtschaftspolitik steht vor der Aufgabe, der alten und unverändert aktuellen Forderung einer „sicheren und preisgünstigen Versorgung" unter den heute gegebenen Voraussetzungen zu entsprechen. Aus dem Interesse einer möglichst sicheren Versorgung soll der heimischen Energie ein möglichst hoher Anteil zugesprochen werden, wobei nicht außer acht bleiben sollte, daß eine Versorgung aus heimischer Energie allein schon längst nicht mehr möglich ist. Es ist heute wiederholt dem Interesse an sicherer Versorgung die Notwendigkeit preisgünstiger Energie gegenübergestellt worden. Wir sind uns darin einig, daß die Energiekosten für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft von großer Bedeutung sind. Es ist deshalb sinnvoll, den Kohleverbrauch insbesondere in den Absatzbereichen zu fördern, wo die preisliche Unterlegenheit der Kohle gegenüber Substitutionsenergie noch am ehesten auszugleichen ist. Aus diesem Grunde sind die bisher getroffenen und die heute angekündigten zusätzlichen Maßnahmen zur Kohleverstromung besonders zu begrüßen. Es besteht Übereinstimmung, daß dennoch eine geordnete und zügige Verminderung der Steinkohlenförderung durch weitere Zechenstillegungen unvermeidlich ist. Wenn hier die Frage gestellt worden ist, welche Förderkapazität stillgelegt werden soll, möchte ich nicht allein auf die Absatzmöglichkeiten verweisen. In der Energiediskussion der letzten Monate sind in der Presse Vorschläge erwähnt worden, die nur noch eine Förderkapazität von 80 bis 90 Millionen t erhalten wollten. Selbst wenn sich solche Vorschläge von zutreffenden Kosten- und Preisvorstellungen leiten ließen, würde ich sie auch unter diesem Gesichtspunkt für falsch halten. Eine Verminderung der Förderkapazität in diesem Ausmaß wäre von Störungsfaktoren begleitet, die alle tatsächlichen oder vermeintlichen Kostenvorteile aufzehren würden. Die unerläßliche Verminderung der Förderkapazität muß sich — vor allem aus sozialpolitischen, aber ebenso aus wirtschaftspolitischen Gründen — möglichst störungsfrei vollziehen. Aus dieser, wie ich glaube, entscheidenden Betrachtungsweise halte ich es für realistisch, eine Kapazität von 120 bis 125 Millionen t anzusteuern. Den sozialen Aspekten gehört in diesem strukturpolitischen Prozeß der Vorrang. Wir können uns nicht damit beruhigen, daß seit 1958 die im Bergbau Beschäftigten von 600 000 auf 380 000 zurückgegangen sind, daß 220 000 Arbeitskräfte, davon rund 150 000 unter Tage eingesetzte Bergarbeiter ihren Arbeitsplatz aufgegeben haben, ohne daß dadurch soziale Schwierigkeiten entstanden sind. Ich sage, wir sollten uns auf diese positiven Erfahrungen der Vergangenheit nicht ausschließlich verlassen. Wir haben damit zu rechnen, daß in einem relativ kurzen Zeitraum von zwei, höchstens drei Jahren weitere 50- bis 60 000 Arbeitskräfte freigesetzt werden. Deshalb begrüßen wir die Absicherungsmaßnahmen, die die Bundesregierung in ihrer Antwort angekündigt hat. Die beste Lösung ist eine reibungslose Wiedereingliederung freiwerdender Arbeitskräfte. Darauf müssen unsere Bemühungen gerichtet sein. Die Tatsache, daß es zahlreiche freie Stellen gibt, genügt nicht. Wir müssen versuchen, möglichst an Ort und Stelle für neue Arbeitsplätze zu sorgen. Aber nicht nur unter diesen sozialen Aspekten sind neue Industrien an der Ruhr notwendig. Lassen Sie mich hierzu einige Zahlen über das Verhältnis der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung im Bundesgebiet zu der Entwicklung in Nordrhein-Westfalen anführen. Das Bruttoinlandsprodukt Westdeutschlands ist von 1950 bis 1964 insgesamt um 322 % gestiegen. Das Wirtschaftswachstum von Nordrhein-Westfalen liegt mit 288 % nicht unbedeutend unter dem Bundesdurchschnitt. Diese Feststellung erhält zusätzliche Aussagekraft, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß Nordrhein-Westfalen bis 1957 über dem Bundesdurchschnitt lag. Für die seitherige Entwicklung sind mehrere Gründe maßgebend: a) Der Wiederaufbau nach dem Kriege mit seinem hohen Materialeinsatz begünstigte die Schwerindustrie. b) Mit dem Jahre 1957 war in Deutschland die Vollbeschäftigung erreicht. Die Industrie folgte von nun an der Arbeitskraft und siedelte sich stärker in ländlichen Räumen an. c) Der internationale Wettbewerb belebte sich, nicht zuletzt durch den Gemeinsamen Markt (Aufbau neuer Stahlkapazitäten in Italien und Holland, Förderung der französischen Stahlindustrie durch die einzelnen Wirtschaftspläne). Dadurch entstand der heimischen Erzeugung neue Konkurrenz; ihr Anteil an der Versorgung des Gemeinsamen Marktes ging leicht zurück. In der Anpassung an den größeren Markt setzte eine Welle neuer Betriebsgründungen ein, nicht zuletzt auch seitens amerikanischer Produzenten. Neue Schwerpunkte bildeten sich, vor allem in Bayern und im Rhein-Main-Raum. Der verstärkte Warenaustausch der Industrieländer untereinander, ebenfalls eine Folge der EWG, begünstigte die Fertigerzeugnisse (vor allem Investitionsgüter) herstellenden Industrien. d) Schließlich förderte der steigende Wohlstand diejenigen Industriezweige, die Verbrauchsgüter und langlebige Gebrauchsgüter herstellen (Automobil-, Elektro-, EBM- und feinmechanische und optische Industrie, verbrauchsnahe Produktionen der chemischen Industrie etc.) Besonders nachteilig hat sich für Nordrhein-Westfalen der hohe Anteil von wachstumsschwachen Industrien ausgewirkt. Was das heißt, möchte ich noch an einigen Zahlen verdeutlichen. Die Industrie hat von 1950 bis 1964 einen durchschnittlichen Produktionszuwachs von 203 % zu verzeichnen. Der Anteil Nordrhein-Westfalens an der Gesamtproduktion im Bundesgebiet beträgt 37 %. Im Kohlenbergbau, desden Förderung zu 87 % in Nordrhein-Westfalen liegt, betrug von 1950 bis 1964 die Zunahme der Pro- 1388 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1966 duktion nur 26 %; in der eisenschaffenden Industrie, zu 75 % in Nordrhein-Westfalen, betrug die Zunahme 159 %. Zum Vergleich nenne ich die Zahlen aus der zuwachsstärkeren Investitionsgüterindustrie: Der Maschinenbau, zu 35 % in Nordrhein-Westfalen, zeigt eine Zunahme von 217 %; die Elektroindustrie, nur zu 27 % in Nordrhein-Westfalen, eine Zunahme von 439%; der Fahrzeugbau schließlich — seine Produktion liegt nur zu 16 % in Nordrhein-Westfalen —erreichte eine Zunahme von 536 %. Wir stehen vor dem strukturpolitisch bedenklichen Tatbestand, daß sich die wachstumsschwachen Industrien auf Nordrhein-Westfalen konzentrieren, während die expandierenden Branchen leider nur unterdurchschnittlich vertreten sind. Die von mir aufgezeigte Entwicklung hat im Kern von Nordrhein-Westfalen, dem eigentlichen Ruhrgebiet, ihre verstärkte Bedeutung und Auswirkung. Damit ist aber auch bereits die Aufgabe, die im Zusammenhang mit den Zechenstillegungen auf uns zukommt, klar umrissen. Die Aktionsgemeinschaft Ruhr, die heute bereits wiederholt erwähnt wurde, soll Gelände und verwertbare Gebäude stillgelegter Zechen möglichst schnell neuen Unternehmen zuführen. Es müssen im gesamtwirtschaftlichen Interesse die Lücken geschlossen werden; es handelt sich um eine Aufgabe, der sich die gesamte Wirtschaft annehmen muß und auch annehmen wird. Anlage 7 Schriftliche Antwort des Staatssekretärs Dr. Carstens vom 10. März 1966 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Kahn-Ackermann (Drucksache V/339 Frage XV/7) : Trifft es zu, daß — wie in der „Welt" vom 18. Februar 1966 berichtet wurde — der amerikanische Verteidigungsminister McNamara im Februar dieses Jahres vor dem amerikanischen Senat geäußert hat, seine Regierung beabsichtige, auf ein militärisches Engagement der Bundesrepublik außerhalb der NATO hinzuwirken? Der volle Wortlaut der in der Frage angesprochenen Äußerunggen des amerikanischen Verteidigungsministers McNamara vor dem amerikanischen Senat ist der Bundesregierung nicht bekannt. Die amerikanische Regierung hat gegenüber der Bundesregierung niemals angeregt, daß sich die Bundesrepublik Deutschland außerhalb der NATO militärisch engagieren solle. Anlage 8 Schriftliche Antwort des Bundesministers Dr. Bucher vom 10. März 1966 auf die Mündlichen Anfragen des Abgeordneten Weigl (Drucksache V/340 Fragen III/1 und III/2) : Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Soziale Wohnungsbau im Zonenrandgebiet oftmals darunter leidet, daß die finanzschwachen Gemeinden zur Erschließung von Baugelände kaum in der Lage sind? Kann die Bundesregierung Hilfsmaßnahmen zur Baulanderschließung im Zonenrandgebiet einleiten? Zu Frage 1: Die Schwierigkeiten der Gemeinden, Baugelände in ausreichendem Maße zu erschließen, sind der Bundesregierung bekannt. Diese Schwierigkeiten treten aber nicht nur bei den Gemeinden des Zonenrandgebietes auf, sie sind vielmehr auch bei Gemeinden in anderen Teilen der Bundesrepublik festzustellen. Der Bundesgesetzgeber hat daher in § 90 Abs. 3 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes bestimmt, daß einer Gemeinde auf Antrag öffentliche Mittel als Darlehen für die Vorfinanzierung der Erschließung geeigneter Flächen als Bauland für den öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau, insbesondere für Familienheime, bewilligt werden können. Über Anträge dieser Art entscheiden die obersten Landesbehörden. In Ergänzung hierzu bemüht sich die Bundesregierung seit Jahren, dem Mangel an erschlossenem Bauland abzuhelfen, indem sie im Rahmen einer besonderen Förderungsaktion Zinszuschüsse für Darlehen gewährt, die von Heimstättengesellschaften und anderen geeigneten Wohnungsunternehmen zur Baulandbeschaffung und -erschließung aufgenommen werden. Diese Maßnahmen kommen den Gemeinden allerdings nur mittelbar zugute und erstrecken sich über das ganze Bundesgebiet. Von 1959 bis einschließlich 1965 wurden für diese Zwecke rund 20,5 Millionen DM verausgabt. Mit Hilfe dieser Mittel konnten allein bis Ende 1964 Kredite von rund 380 Millionen DM zinsverbilligt werden. Die Länder, insbesondere auch die des Zonenrandgebiets, Bayern, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein, ergänzen die Bemühungen des Bundes, indem sie besondere Mittel zur Baulanderschließung den Gemeinden gewähren. Zu Frage 2: Unter besonderer Berücksichtigung der Finanzsituation der Gemeinden ist bereits erwogen worden, die Zinszuschußaktion des Bundes auf Gemeinden und Gemeindeverbände auszudehnen. Diesen Bemühungen mußte jedoch nicht nur wegen der bekannten Schwierigkeiten des Bundeshaushalts der Erfolg versagt bleiben, sondern auch finanzverfassungsrechtliche Gesichtspunkte sprechen dagegen. In erster Linie ist es Aufgabe der Länder, die Gemeinden so zu stellen, daß sie ihre Verpflichtungen erfüllen können. Im übrigen darf ich bemerken, daß sich die Bundesregierung auch dadurch um die Lösung der anstehenden Probleme bemüht, daß sie sich an der Deutschen Bauland- und Kreditgesellschaft mbH, Frankfurt/M., Fürstenberger Str. 27, gesellschaftsrechtlich beteiligt hat. Dieses Unternehmen ist Organ der staatlichen Wohnungspolitik und führt u. a. auch Baulanderschließungsaufträge der Gemeinden im gesamten Bundesgebiet durch. Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1966 1389 Anlage 9 Schriftliche Antwort des Staatssekretärs Dr. Schäfer vom 11. März 1966 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Kreutzmann (Drucksache V/386 Frage I) : Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die Zwangsenteignung landwirtschaftlicher Grundstücke grenzdurchschnittener Höfe, die sich im Eigentum von Bundesbürgern befinden, durch die sowjetzonalen Behörden zu verhindern? Es besteht bedauerlicherweise keine Möglichkeit, zu verhindern, daß jenseits der Demarkationslinie gelegene landwirtschaftliche Grundstücke, deren Eigentümer in der Bundesrepublik leben, enteignet werden. Die Bundesregierung gewährt jedoch seit Jahren im Rahmen des regionalen Förderungsprogrammes den Eigentümern solcher Grundstücke eine Nutzungsentschädigung für die Ausfälle, die ihnen dadurch entstehen, daß sie diese Grundstücke nicht bewirtschaften können. Anlage 10 Schriftliche Antwort des Staatssekretärs Dr. Carstens vom 11. März 1966 auf die Mündlichen Anfragen des Abgeordneten Dr. Jahn (Braunschweig) (Drucksache V/386 Fragen XI/1 und XI/2) : Ist die Bundesregierung in der Lage, die Zahl derjenigen deutschen Staatsbürger anzugeben, die in den Jahren 1964 und 1965 bei Geschäfts- oder touristischen Reisen nach Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien insgesamt dort inhaftiert und vor Gericht gestellt wurden? Wie viele der in Frage XI/1 bezeichneten Staatsbürger befinden sich noch in Haft? Amtliche Erklärungen oder Mitteilungen über die Zahl der in Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien inhaftierten und vor Gericht gestellten Ausländer werden durch die Regierungen dieser Länder nicht gegeben. Daher sind die Informationen der Bundesregierung ungenau und stützen sich auf ihr bekanntwerdende Einzelfälle. Soweit der Bundesregierung bekannt ist, sind in den Jahren 1964/65 bei geschäftlichen oder touristischen Reisen in den genannten Ländern insgesamt 62 deutsche Staatsangehörige verhaftet worden, und zwar in der Tschechoslowakei 24 in Polen 1 in Ungarn 19 in Rumänien 2 in Bulgarien 16. Davon befinden sich, soweit der Bundesregierung bekannt ist, noch 5 Deutsche in der Tschechoslowakei, 6 in Ungarn und 1 in Bulgarien in Haft. Anlage 11 Schriftliche Antwort des Staatssekretärs Dr. Schäfer vom 11. März 1966 auf die Mündlichen Anfragen des Abgeordneten Rollmann (Drucksache V/386 Fragen XII/3, XII/4 und XII/5) : Wie hat sich die Stärke des Bundesgrenzschutzes in den letzten Jahren entwickelt? Wie weit ist der Bundesgrenzschutz See wiederaufgebaut worden? Gelten die Grundsätze der Inneren Führung analog auch für den Bundesgrenzschutz? 1. Frage XII/3: Der Bundesgrenzschutz hat nach der Überführung eines großen Teiles seiner Beamten in die Bundeswehr im Jahre 1956 noch 6946 Beamte gezählt. Seine Stärke erhöhte sich bis zum 1. April 1962 nur sehr langsam auf 12 800 Beamte. Nachdem § 42 des Wehrpflichtgesetzes durch das Gesetz vom 25. Mai 1962 neu gefaßt worden war, stieg der Personalbestand sehr schnell auf den bisherigen Höchststand von 17 576 Beamten am 1. Juni 1964 an, fiel dann jedoch wieder langsam ab, weil ungewöhnlich viele Beamte ihre achtjährige Dienstzeit beendeten. Am 1. März dieses Jahres zählte der Bundesgrenzschutz 15 962 Beamte. Für Anfang April ist die Einstellung von über 1700 Bewerbern beabsichtigt. Der Bundesgrenzschutz wird dann voraussichtlich mehr als 17 000 Beamte haben. 2. Frage XII/4: Der Bundesgrenzschutz See ist zur Zeit mit vier von der Bundesmarine zur Verfügung gestellten Wachbooten ausgestattet. Einschließlich der erforderlichen Führungskräfte und Versorgungsdienste zählt er etwas mehr als 100 Bedienstete. Für 1966 und 1967 ist ein weiterer personeller und materieller Aufbau vorgesehen. Ab 1968 kann mit der Indienststellung moderner Bootstypen gerechnet werden. 3. Frage XII/5: Die Grenzschutztruppe ist eine Polizeitruppe, kein militärischer Verband. Die Grundsätze der inneren Führung in der Bundeswehr können daher nicht ohne weiteres auf den Bundesgrenzschutz übertragen werden. Die Bundesregierung hat jedoch seit Gründung des Bundesgrenzschutzes im Jahre 1951 mit Erfolg dahin gewirkt, daß dessen Beamte in einer Art und Weise geschult, ausgebildet und eingesetzt werden, die dem freiheitlich-demokratischen Geist des Grundgesetzes entspricht. Anlage 12 Schriftliche Antwort des Staatssekretärs Dr. Schäfer vom 11. März 1966 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Müller-Emmert (Drucksache V/386 Frage XII/8) : Welche Erfahrungen haben die Staatsanwaltschaften und die Ermittlungsbeamten der Polizei bisher mit der am 1. April 1965 in Kraft getretenen Strafprozeßrechtsnovelle hinsichtlich der Aufklärungsquote der strafbaren Handlungen und der Zahl der Beschuldigten, die in Untersuchungshaft genommen wurden, gemacht? Es läßt sich erst nach Ablauf einer längeren Zeit beurteilen, ob und wie sich die letzte Strafprozeßreform auf die Aufklärungsquote der strafbaren Handlungen ausgewirkt hat. Die neuen Vorschriften 1390 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1966 sind noch nicht einmal ein Jahr in Kraft. Auch die polizeiliche Kriminalstatistik für 1965 liegt noch nicht vor. Bei diesen Dingen spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, so daß man sich hüten sollte, aus einigen Einzelfällen voreilige Schlüsse auf die Auswirkung dieser Strafprozeßreform zu ziehen. Anlage 13 Schriftliche Antwort des Bundesministers Katzer vom 11. März 1966 auf die Mündlichen Anfragen des Abgeordneten Dr. Tamblé (Drucksache V/386 Fragen XVI/1 und XVI/2) : Ist der Bundesregierung bekannt, daß in bestimmten Fällen Deutsche, die in Mitteldeutschland als invalide anerkannt waren, in der Bundesrepublik wegen der enger gezogenen Bestimmungen keinen Rentenanspruch haben? Gedenkt die Bundesregierung, politische Schlußfolgerungen aus einem kürzlich ergangenen Urteil des Landessozialgerichts Schleswig zu ziehen, das die Invalidität einer aus Mitteldeutschland gekommenen Rentnerin nicht anerkennen konnte, aber gleichzeitig darauf hinwies, daß die Konsequenzen aus der gegebenen Rechtslage politisch unerwünscht seien? Zu 1: Die Versicherten, die aus der Sowjetzone in die Bundesrepublik zuwandern, sind den Versicherten in der Bundesrepublik in jeder Hinsicht gleichgestellt. Sie erhalten alle Leistungen der Rentenversicherung wie die Versicherten in der Bundesrepublik, müssen allerdings auch die dafür geforderten Voraussetzungen erfüllen. Diese Voraussetzungen müssen in jedem Einzelfall geprüft werden, auch dann, wenn bereits in der Sowjetunion Rente bezogen wurde. Die Voraussetzungen der Invalidität in der Sowjetzone sind wesentlich enger als die der Berufsunfähigkeit in der Bundesrepublik; die Invalidität in der Sowjetzone setzt eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um zwei Drittel, die Berufsunfähigkeit in der Bundesrepublik nur eine solche um die Hälfte voraus. Wer also nach sowjetzonalem Recht invalide ist, hat, sofern er die Wartezeit erfüllt hat, in der Bundesrepublik stets zumindest einen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit. Wenn ihm gleichwohl hier eine Rente nicht gewährt wird, so kann das m. E. nur daran liegen, daß die ärztliche Untersuchung in der Bundesrepublik zu einem anderen Ergebnis geführt hat als in der Sowjetzone. Derartige Divergenzen im Einzelfall können nie völlig ausgeschlossen werden. Zu 2: Politische Schlußfolgerungen 'brauchen nicht gezogen zu werden, da die Versicherten der Sowjetzone den Versicherten in der Bundesrepublik bereits gleichgestellt sind. In dem Urteil vom 12. November 1965, das Sie wohl meinen, hat das Landessozialgericht aufgrund der Untersuchungsergebnisse der medizinischen Sachverständigen festgestellt, daß die Klägerin noch nicht berufsunfähig sei. Die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin weicht somit von der in der Sowjetzone getroffenen offenbar wesentlich ab. Das Urteil enthält allerdings in dem von Ihnen genannten Zusammenhang auch die Bemerkung: „Wer invalide ist, muß nicht zugleich auch berufsunfähig sein und umgekehrt". Bei diesem Satz handelt es sich indessen um eine Ausführung, die die Entscheidung nicht trägt. Anlage 14 Schriftliche Antwort des Bundesministers Katzer vom 11. März 1966 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Michels (Drucksache V/386 Frage XVI/3) : Ist die Bundesregierung im Hinblick auf die strukturelle Entwicklung in der Eisen- und Stahlindustrie bereit, Richtlinien über die Gewährung von Beihilfen für Arbeitnehmer der Eisen- und Stahlindustrie, die von Maßnahmen im Sinne des Artikels 56 des Montanunion-Vertrages betroffen werden, mit der Hohen Behörde — unter Beteiligung des Arbeitgeberverbandes Eisen und Stahl und der Industriegewerkschaft Metall — zu vereinbaren, wie das für die Arbeitnehmer des Steinkohlenbergbaus mit den Abkommen vom 5. Januar 1962 und vom 1. Mai 1964 geschehen ist? Die Bundesregierung wendet im Einvernehmen mit der Hohen Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl die „Richtlinien über die Gewährung von Beihilfen für Arbeitnehmer des Steinkohlenbergbaus, die von Maßnahmen im Sinne des Artikels 56 § 2 des Montanunionsvertrages betroffen werden," sinngemäß auch für die Arbeitnehmer der Eisen- und Stahlindustrie, die von Stilllegungsmaßnahmen betroffen werden, an. Ausgenommen sind dabei nur solche Beihilfearten, die auf die Besonderheiten des Steinkohlenbergbaus abgestellt sind. Für Arbeitnehmer der Eisen- und Stahlindustrie sind in diesem Zusammenhang seit 1962 rd. 600 000 DM an Beihilfen gezahlt worden. Augenblicklich werden 8 genehmigte Anpassungsfälle der Eisen- und Stahlindustrie noch abgewickelt; ein weiterer Anpassungsfall wird der Hohen Behörde zur Zeit vorgelegt. Das von der Bundesregierung im Einvernehmen mit der Hohen Behörde geübte Verfahren hat sich bisher bewährt. Die Bundesregierung sieht keine Notwendigkeit, besondere Richtlinien für die Arbeitnehmer der Eisen- und Stahlindustrie zu erlassen. Anregungen der Sozialpartner dieser Art sind auch nicht an die Bundesregierung herangetragen worden. Anlage 15 Schriftliche Antwort des Bundesministers Katzer vom 11. März 1966 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Jahn (Braunschweig) (Drucksache V/386 Frage XVI/4) : Ist die Bundesregierung bereit, die mit einer Reihe europäischer Staaten abgeschlossenen Sozialabkommen, welche die Probleme der Sozialversicherungsansprüche ausländischer Staatsbürger regeln, auch mit Kanada und Australien abzuschließen? Die Frage ist mit „ja" zu beantworten. Bereits im vergangenen Monat haben zwischen deutschen und kanadischen Regierungsvertretern vorbereitende Gespräche über die Frage des Abschlusses eines Sozialversicherungsabkommens stattgefunden. Ihr Ergebnis läßt erwarten, daß auf der Grundlage der Gleichbehandlung der beiderseitigen Staatsangehörigen ein Gegenseitigkeitsabkommen für die Ge- Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 30. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 16. März 1966 1391 währung der Renten bei Alter, Invalidität und zugunsten der Hinterbliebenen geschlossen werden kann. Wenn die australische Regierung wegen eines Sozialversicherungsabkommens an die deutsche Seite herantritt, ist die Bundesregierung ebenfalls gern bereit, zu prüfen, ob und in welchem Umfang ein solches Abkommen möglich ist. Anlage 16 Schriftliche Antwort des Bundesministers Katzer vom 11. März 1966 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Felder (Drucksache V/386 Frage XVI/5) : Welche Haltung nimmt das zuständige Bundesministerium zu der Forderung des Grünen Kreuzes und der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin ein, die besagt, im Hinblick auf die steigende und nicht unerheblich durch Sehfehler verursachte Zahl der Arbeitsunfälle sollten Sehtests in den Betrieben eingeführt werden, die für jeden Mitarbeiter nur fünf Minuten Zeit kosten und von. Laien durchgeführt werden können? Solche Sehtests hält die Bundesregierung in einem bestimmten Umfang für nützlich. Sie begrüßt daher den Vorschlag des Grünen Kreuzes und der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin wie alle Anregungen, die geeignet sein können, die Arbeitssicherheit zu erhöhen. Die Unfallverhütung ist eine gesetzliche Aufgabe der Berufsgenossenschaften und der anderen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Ich kann Ihnen mitteilen, daß verschiedene gewerbliche Berufsgenossenschaften bei der Durchführung der Sehtests mitgewirkt haben.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Peter Wilhelm Brand


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Versorgung der Wirtschaft und der Bevölkerung mit ausreichender, billiger und sicherer Energie unter Wahrung der Interessen der heimischen Primärenergieträger ist zu einem weltweiten Problem geworden. Für die europäischen Staaten ist es schwieriger zu behandeln als für Länder, die über ausreichende Vorkommen aller wichtigen Energieträger verfügen, wie z. B. die Vereinigten Staaten von Nordamerika oder die Sowjetunion. Trotzdem behandeln auch diese Länder ihre Energievorkommen pfleglich und schonend. Während sich die genannten großen Weltmächte in ihrer Energieversorgung fast ganz auf die eigenen Reserven stützen können, ist Europa in ständig wachsendem Maße auf die Einfuhr von Energie angewiesen. Hinzu kommt, daß diese unumgängliche Einfuhr von Energie bei uns die heimischen Energieträger vor Wettbewerbsprobleme stellt, denen sie
    auf Grund der gegebenen natürlichen Bedingungen nicht gewachsen sind. Um so mehr gilt es für uns, in dem größeren Wirtschaftsraum Europa einen Ausgleich anzustreben, um die energiepolitischen Belange aller Partnerstaaten der EWG auf einer gemeinsamen Basis zu regeln.
    Meine Damen und Herren, ich beabsichtige nicht, mit einer verwirrenden Zahlenhäufung zu argumentieren. Doch gestatten Sie mir, einige Zahlen zu nennen, die mir eine Entwicklung zu kennzeichnen scheinen, vor deren Hintergrund die Große Anfrage der Koalition, die ich im Namen der CDU/CSU-und der FDP-Fraktion zu begründen die Ehre habe, zu sehen ist.
    In den Ländern der Montanunion ist die Steinkohlenförderung in den vergangenen fünf Jahren, also von 1960 bis 1965, um 6,5 %, in der Bundesrepublik um 5 % gefallen. Trotzdem sind in der Montanunion 1964 6 Millionen t und 1965 11,5 Millionen t auf Halde gelegt worden. Die Inlandnachfrage ist in den Ländern der Montanunion um 5,5 % gefallen. Der Anteil der Kohle am Energieverbrauch ist von 53 % auf 38 % gesunken, der des Erdöls von 28 % auf 45 % gestiegen.
    In England, das keine Kohle importiert, sind die Förderung um 3,5 % und die Inlandnachfrage um 6 % zurückgegangen. Der Anteil der Kohle am Energieverbrauch ist dort von 74% auf 63 % gesunken, gegenüber 38 % in der Montanunion.
    In den USA, wo der Anteil der Untertageförderung nicht mehr als 60 % beträgt, was vieles erklärt und die amerikanischen Verhältnisse mit den europäischen schwer vergleichbar macht, ist eine gegenläufige Entwicklung festzustellen. Die Förderung stieg in den letzten fünf Jahren um 20 %, die Zahl der Beschäftigten sank dabei von 188 000 auf 145 000 Mann. Die mittlere Leistung stieg von 11,3 t auf 16 t. Die Förderkosten zeigen seit zwölf Jahren keine Veränderung. Die Folge hiervon ist, daß dort die Preise der Kohle gegenüber denjenigen der anderen Energieträger konkurrenzfähig sind und eine steigende Verwendung der Kohle in den amerikanischen Kraftwerken gestatten, deren Kohleverbrauch sich in elf Jahren verdoppelt hat.
    Meine Damen und Herren, warum habe ich Ihnen diese Zahlen genannt? Sie ersehen daraus, daß es sich bei der augenblicklichen Kohlenabsatzkrise keineswegs um eine auf die Bundesrepublik beschränkte Erscheinung handelt, sondern um eine Entwicklung, von der auch die anderen Kohle produzierenden Länder der westlichen Welt außerhalb Amerikas ergriffen wurden.
    In der Bundesrepublik ist der Anteil des wichtigsten heimischen Energieträgers, der Steinkohle, seit 1957 von 70 % auf heute 43 % zurückgegangen und der Anteil des Mineralöls im gleichen Zeitraum von 11 % auf 40 % gestiegen, wobei das Heizöl allein seinen Anteil von 4 % auf 23 % verstärkt hat. Während 1955 die Bundesrepublik noch einen Energieausfuhrüberschuß von 3 Millionen t Steinkohleneinheiten hatte, überwog 1965 die Energieeinfuhr um etwa 85 Millionen t SKE, wenn auch die Energie-Importabhängigkeit der Bundesrepublik



    Brand
    mit 50 % heute noch wesentlich niedriger ist als die der anderen EWG-Staaten.
    Ich möchte jetzt nach diesen Vorbemerkungen die einzelnen Punkte der Großen Anfrage, ohne sie hier noch einmal vorzulesen, kommentieren.
    Zunächst stelle ich fest, daß die Bundesrepublik dank unserer bisherigen energiepolitischen Maßnahmen über ein ausreichendes und auch preisgünstiges Energieangebot verfügt, daß die Energieversorgung der revier- und seehafenfernen Gebiete beachtlich verbessert wurde und der Steinkohlenbergbau seinerseits bemerkenswerte Rationalisierungserfolge erzielte. Unbestreitbar ist, daß sich der Strukturwandel in den Bergbaugebieten bisher ruhig und geordnet vollzogen hat. Trotz Zechenstillegungen und umfangreichen Rationalisierungen zum Zwecke der Leistungssteigerung sind ernste soziale Schwierigkeiten bisher nicht entstanden. Das Jahr 1965 hat uns nun insofern vor eine neue Situation gestellt, als es im vergangenen Jahr erstmals nicht möglich war, die Förderung des deutschen Steinkohlenbergbaus bei 140 Millionen t zu halten. Alle Anstrengungen der Bundesregierung und des Bergbaus haben dafür nicht ausgereicht. Wer die Liste von Maßnahmen zugunsten des Bergbaus betrachtet, wird zugeben müssen, daß im Rahmen unserer Wirtschaftsordnung und im Rahmen unseres Leistungsvermögens große Anstrengungen für die Aufrechterhaltung des Steinkohlenbergbaus in der genannten Größenordnung gemacht worden sind. Die Einfuhr von Steinkohle aus Ländern außerhalb der europäischen Gemeinschaften ist kontingentiert und seit Jahren auf 6 Millionen t begrenzt. Der Verbrauch von Heizöl ist einer Sondersteuer unterworfen, die 1965 ein Aufkommen von rund 650 Millionen DM erbracht hat. Der Transport von Steinkohle wird durch eine jährliche Frachthilfe verbilligt. Hinzu kommen die steuerlichen Maßnahmen zur Förderung der Rationalisierung sowie die Hilfen für die Finanzierung notwendiger Stillegungen. Darüber hinaus wird der Bau von Blockheizwerken auf Steinkohlebasis sowie die Auslagerung von Kohle unterstützt. Als wichtigste Maßnahme ist schließlich die Förderung neuer Steinkohlenkraftwerke seit 1964 durch eine steuerliche Begünstigung zu nennen. Im Bereich der Sozialversicherung ist der Bergbau von großen Lasten befreit worden.
    Diese nur stichwortartige Aufzählung mag genügen, um die absurde Behauptung zu entkräften, die Regierung habe die Dinge einfach treiben lassen und es sei nur Unzulängliches für den Bergbau geschehen. Die Situation hat sich eben geändert und muß neu überdacht werden. Ich bin davon überzeugt, daß wir sie nach einiger Zeit wieder und erneut zu überdenken haben, wenn sich die energiepolitische Entwicklung in der Welt weiterhin so sprunghaft vollzieht wie in den vergangenen Jahren. Im Trend einer Verdrängungstendenz der Steinkohle durch andere Energieträger ist trotz der angeführten Maßnahmen eine Lage entstanden, .die von der Bundesregierung neue Entscheidungen verlangt. 16 Millionen t Steinkohle liegen auf Halde, obwohl zahlreiche Zechen stillgelegt wurden und die Förderung um 7 Millionen t gedrosselt wurde. Dieser Förderrückgang beruht nicht auf den Zechenschließungen im Rationalisierungsverband, sondern auf einer linearen Rücknahme der Förderung durch bezahlte Feierschichten — ein Verfahren, das die Wirtschaftlichkeit und die Ertragslage der Unternehmen in unerwünschter Weise verschlechtert und deshalb nicht fortgesetzt werden sollte. Durch die Tätigkeit des Rationalisierungsverbandes sind Gesamtkapazität und Förderung nicht gedrosselt, sondern durch Stillegung unrentabel arbeitender Zechen wirtschaftlicher gemacht worden. Diese Art von Einwirkungen hat aber ihre natürliche Grenze, jenseits der weitere Rationalisierungseffekte nur noch durch Leistungssteigerung in bestehenden Anlagen erzielt werden können.
    Eine wichtige Rolle beim Absatzrückgang der Kohle spielt der steigende Verbrauch von Heizöl. Die Verhältnisse auf dem internationalen Erdölmarkt haben sich in den vergangenen zehn Jahren ebenfalls geändert. Die großen Gesellschaften vermögen die Entwicklung ,auf dem Markt nicht mehr in dem Maße zu steuern wie früher. Das hat sich bei der Realisierung der Selbstbeschränkung negativ ausgewirkt. Auch die kooperativen Unternehmen sind heute besorgt, ob die weitere Expansion des Heizöls in dem erwünschten Rahmen gehalten werden kann. Wie vielschichtig das Problem ist, sieht man daran, daß z. B. der Preiseinbruch des Jahres 1964 die deutschen Erdölgesellschaften vor ernste Probleme gestellt hat und daß eine höhere Belastung der Mineralölwirtschaft auch zu einer Existenzfrage für unsere eigenen Erdölunternehmen werden kann.
    Vom Steinkohlenbergbau selbst müssen wir erwarten, daß er durch Flurbereinigung und Konzentration seiner Förderkapazitäten, die über die Unternehmensgrenze hinausgehen, in seinen eigenen Reihen alle Möglichkeiten der Selbsthilfe ausschöpft. Zügellose, die Regierung beleidigende Ausbrüche, wie wir sie heute in Nr. 50 des „Zechenkuriers" lesen, sind weder dazu geeignet, das Vertrauen in die Unternehmensleitungen des Bergbaus, noch dazu, die Hilfsbereitschaft für den Bergbau zu stärken.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die bisherigen Maßnahmen des Bergbaus zur positiven und negativen Rationalisierung haben zwar zu einer anerkennenswerten Leistungssteigerung geführt, sie haben die Marktstellung der Kohle jedoch nicht entscheidend zu verbessern vermocht. Leider hat die Entwicklung der letzten Jahre gezeigt, daß alle bisherigen Schutzmaßnahmen und finanziellen Hilfen nicht ausreichen, um die Absatzkrise des Bergbaus zu beheben.
    Meine Damen und Herren, es ist uns bewußt, daß den finanziellen Hilfen zur Stärkung der Wettbewerbskraft der Kohle im Haushalt klare Schranken gesetzt und auch der Belastbarkeit der Gesamtwirtschaft durch energiepolitische Schutzmaßnahmen zugunsten des Bergbaus Grenzen gezogen sind. Unbeschadet dieses Hinweises auf die Grenzen unserer Möglichkeiten macht es die Lage des deutschen Steinkohlenbergbaus doch erforderlich, schnell und wirksam zu handeln. Eine Politik des Laisser-faire



    Brand
    kommt nicht in Betracht, und zwar nicht etwa, weil wir im Bereich der Energiewirtschaft planwirtschaftliche Vorstellungen hätten, sondern weil die Ordnungsvorstellungen der sozialen Marktwirtschaft uns verpflichten, ungeachtet aller Schwierigkeiten auch im Energiebereich eine geordnete Entwicklung zu sichern.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Selbst diejenigen, welche Nutznießer einer völligen Liberalität im Energiebereich sein könnten, sind nicht für einen „Freistilringkampf" der Energieträger, da er ein Trümmerfeld hinterlassen würde. Auch der Mineralölmarkt verlangt nach Stabilität und Stetigkeit. Eine völlige Liberalität z. B. gegenüber der Einfuhr von Erdöl aus dem Ostblock oder gegenüber kurzfristigen Spekulationserscheinungen kann niemandem dienen, zu allerletzt dem Verbraucher, der sich dann auf kurzfristige extreme Preisschwankungen einrichten müßte.
    Wie sehr wir auch eine europäische Lösung für notwendig halten — ich habe das bereits im Anfang meiner Ausführungen angedeutet, und ich werde noch ausführlicher darauf zurückkommen —, so können wir darauf doch nicht warten.
    Diese Große Anfrage hat zum Ziel, eine Bestandsaufnahme der bisherigen Energiepolitik im Lichte der heutigen Situation des deutschen Steinkohlenbergbaus vorzunehmen. Sie soll der Regierung Gelegenheit geben, ihre energiepolitischen Vorstellungen für die nächsten Jahre darzulegen, und es soll hier der Bundesregierung der parlamentarische Rückhalt für ihre energiepolitischen Entscheidungen gegeben werden.
    Die engeriepolitische Situation der Welt, Europas und der Bundesrepublik ist permanenten Veränderungen ausgesetzt durch das nicht vorherzusehende Aufkommen neuer Energiequellen, wie in der Vergangenheit des Erdgases, durch Verbesserungen bei der Förderung und Ausnützung der konventionellen Energieträger, durch wissenschaftliche Entwicklungen z. B. auf dem Gebiete der Nuklearenergie, morgen vielleicht schon auf dem Gebiete der Brennstoffzellen oder der Ausnutzung kosmischer Strahlungsenergien; das alles sind Dinge, deren praktische Folgewirkungen im Stadium ihrer Durchforschung und Entwicklung nicht kalkulierbar vorausgesagt werden können. Der Aussagewert der verschiedenen Enqueten und Gutachten des vergangenen Jahrzehnts ist deshalb auch nicht allzu langlebig gewesen, konnte es auch gar nicht sein, womit angedeutet werden soll, daß weder den drei Weisen noch den verschiedenen Energiekommissionen hieraus irgendein Vorwurf gemacht werden soll oder kann.
    Angesichts dieser unbestreitbaren Tatsache würde es mir sinnlos erscheinen, hier „nachzukarten". Darunter verstehe ich, der Bundesregierung vorzuwerfen, entweder sie tue zuwenig für die Kohle und gewähre den anderen Energien zuviel Marktfreiheit oder umgekehrt, sie tue zuviel für die Kohle und enge die Freiheit der anderen Energieträger zu sehr ein. Die Bundesregierung und dieses Parlament, d. h. jeder von uns, wird sich in der Energiefrage immer wieder vor die Notwendigkeit gestellt sehen,
    einen Ausgleich zu suchen zwischen der Forderung nach ausreichender, billiger und sicherer Energie einerseits und der Notwendigkeit, die Strukturprobleme unserer heimischen Energieträger zu lösen. Die Bundesregierung hat immer gezeigt, daß sie sich dieser Aufgabe bewußt ist, daß sie sich dieser Aufgabe verpflichtet fühlt, und sie hat diese Aufgabe auch mit Erfolg angefaßt.
    Meine Damen und Herren, im Bergbau ist manches anders als in anderen Industrien. Im Bergbau muß sehr langfristig disponiert werden, personell, technisch und finanziell. Eine geordnete Fortführung der Betriebe macht es erforderlich, daß disponiert werden kann, rechtzeitig disponiert werden kann. Dafür muß man verläßlich wissen, welche Maßnahmen zur Absatzstabilisierung zur Verfügung stehen können. Wir erwarten von der Bundesregierung keine Patentlösung, weil wir wissen, daß es diese nicht gibt. Man wird Maßnahmen zu treffen haben, die den Unternehmungen des Bergbaus und den dort Beschäftigten für einen übersehbaren Zeitraum den Rahmen einer existentiellen Sicherung aufzeigen.
    Es liegt in der Natur der Sache, daß immer dort, wo entgegengesetzte Interessen aufeinanderprallen, nicht jeder befriedigt von dannen zieht. Wer eine einseitige, nicht auf Ausgleich gerichtete Konzeption vertritt, der sollte aber auch den Mut zur Konsequenz haben und gleichzeitig aufzeigen, wie er die zwangsläufigen Folgewirkungen seiner Vorschläge, seiner Vorstellungen zu bewältigen gedenkt.
    In der heutigen Debatte sollte eine klare energiepolitische Auffassung von Parlament und Regierung sichtbar werden. Die Große Anfrage soll dem Parlament Klarheit darüber verschaffen, wie die Regierung die Situation der Kohle beurteilt und welche Schritte sie für eine geordnete Fortsetzung ihrer Energiepolitik für notwendig hält. Die Debatte sollte aber auch zeigen, welchen Weg der Gesetzgeber in der Energiepolitik zu gehen bereit ist. Der damit verbundenen Verantwortung müssen wir uns alle bewußt sein. Die heutige Debatte wäre nutzlos, wenn sie sich darin erschöpfte, kritisch zu der bisherigen Energiepolitik Stellung zu nehmen oder die Schwierigkeiten der Situation zu beklagen. Es kommt heute entscheidend darauf an, daß dieses Hohe Haus entweder der Regierung volle Unterstützung ihrer energiepolitischen Vorschläge zuteil werden läßt oder sich der Aufgabe unterzieht, hier und heute einen besseren Weg aufzuzeigen. Die deutsche Öffentlichkeit und in besonderem Maße natürlich der Bergbau und die Bergleute müssen nach dieser Debatte Klarheit darüber haben, in welchem Rahmen der deutsche Steinkohlenbergbau in den kommenden Jahren seine weitere Entwicklung gestalten kann.
    In unserer Großen Anfrage haben wir auch die Sicherung des Sozialstatuts der Bergarbeiter angesprochen. Der Beruf des Bergmanns gehört zu den ältesten in der Menschheitsgeschichte, und man sollte nicht übersehen, daß die inneren Bindungen des Bergmanns an seinen Beruf stärker sind als in den meisten anderen Gewerben. Es ist eben doch ein Unterschied, ob man die Schätze des Bodens in
    Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 30. Sitzung: Bonn, Mittwoch, den 16. März 1966 1311
    Brand
    gefährlicher und anstrengender Arbeit birgt oder am Fließband Flaschen etikettiert. Das ist nicht Berufsromantik, sondern die Feststellung einer menschlich-geistigen Verwurzelung, auf die wir Rücksicht zu nehmen haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es wäre auch unbillig, diejenigen, die wir nach dem Kriege angehalten haben, unter Tage zu gehen, und die dem harten Beruf des Bergmanns treu geblieben sind, nach Stillegung einer Zeche einfach sich selbst zu überlassen.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Niemandem kann ein Arbeitsplatz für sein ganzes Leben garantiert werden, aber der Bergmann hat nun einmal innerhalb der Arbeitnehmerschaft immer eine Sonderstellung eingenommen, die durch das soziale Sicherheitssystem der Knappschaft honoriert wird. Es ist in der Vergangenheit vieles für die von der Stillegung betroffenen Bergleute getan worden, so daß wirkliche soziale Härten nicht aufgetreten sind. Das ist auch in Bergmannskreisen anerkannt worden. Wenn wir diese Frage trotzdem in unserer Großen Anfrage angesprochen haben, so deswegen, weil wir von der Vorstellung ausgegangen sind, daß es nicht nur darum geht, wirtschaftliche Not durch Anpassungshilfen abzuwenden, sondern auch darum, den sozialen Status der Bergleute so weit wie eben möglich zu erhalten.
    Nicht nur der Bergmann, auch die Zeche als Unternehmen nimmt in ihrem Wirtschaftsraum fast immer eine Sonderstellung ein. Meist hat sich um einen Zechenbetrieb herum ein selbständiger Ort oder Ortsteil gebildet, dessen Bewohner nicht nur mit der Zeche und den dort Beschäftigten verbunden, sondern in ihrer wirtschaftlichen Existenz von ihr abhängig sind. Das erklärt die tiefe Unruhe, von der die Bevölkerung der Bergbaugebiete erfaßt wird, sobald Gerüchte über weitere Stillegungen auftauchen. Auch das ist ein Grund, dafür zu sorgen, daß der deutsche Steinkohlenbergbau wieder ein sicheres und beständiges Fundament erhält.
    Heizöl und Erdgas befinden sich in einer stürmischen Expansion, wobei nicht übersehen werden sollte, daß die Ölgesellschaften beide Energiearten kontrollieren und deshalb Preis und Absatz beider Energien gemeinsam manipulieren können. Wenn diese Expansion in einem für die heimische Kohle lebensgefährlichen Ausmaß den Zuwachs des Gesamtenergieverbrauchs überschreitet, dann müssen wir von der Regierung wirksame Gegenmaßnahmen erwarten.
    Wir, meine Damen und Herren, d. h. Regierung und Parlament, müssen in enger Verbindung mit unserer Wirtschaft nach gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkten bestimmen, welche Kapazitäten unseres heimischen Energieträgers Steinkohle erhalten bleiben sollen. Wir haben darüber zu entscheiden, nicht aber die internationalen Ölgesellschaften.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Es wäre auch wirtschaftlich nicht zu verantworten,
    wenn wir Rationalisierungsinvestitionen bei Zechen
    anregten, die dann in einigen Jahren doch stillgelegt werden müßten.
    Wir erwarten deshalb von der Regierung, daß sie bei der Beantwortung unserer Großen Anfrage klar zu erkennen gibt, welche Möglichkeiten sie sieht, die Absatzverhältnisse zu stabilisieren. Es gibt zwei wesentliche Abnehmergruppen für die heimische Kohle, die Elektrizitätswerke und die Stahlindustrie. Es sollten Wege gefunden werden, die jetzige Höhe des Anteils der Kohle am Energieverbrauch dieser Industrien zu erhalten. Das ist, von der preislichen Seite her gesehen, bei der Elektrizitätswirtschaft durch das Anstreben eines Mischpreises sicherlich leichter als bei der Stahlindustrie, die im In- und Ausland dem rauhen Wind einer internationalen Konkurrenz ausgesetzt ist, einer Konkurrenz, die mit billigerer amerikanischer Kohle arbeitet. Aber auch hier sollten' Möglichkeiten gefunden werden, über die wir die Vorstellungen der Regierung hören möchten.
    Hier sind wir an einem Punkt, an dem sich die Gedanken wieder, ich möchte sagen, zwangsläufig auf die Notwendigkeit einer europäischen Lösung richten. Es hat in der Vergangenheit nicht an Vorschlägen für eine gemeinsame europäische Energiepolitik gefehlt, doch haben sie nicht die notwendige Unterstützung aller Partner gefunden. Inzwischen haben wir einen Punkt erreicht, der gebieterisch Initiativen verlangt, die vom Willen aller Partnerstaaten zur Zusammenarbeit in den Fragen der Energieversorgung getragen werden. Es muß eine Antwort auf die Frage gefunden werden, welche Rolle den Energiequellen der Gemeinschaft bei der Versorgung der europäischen Wirtschaft in den nächsten Jahren zugedacht sein soll.
    Hierbei spielt auch eine entscheidende Rolle, in welchem Maße und auf welche Weise die heimischen Energieträger die Sicherheit der Versorgung gewährleisten können. Wenn ich hier von Sicher-. heit spreche, dann denke ich dabei weniger an eine kriegerische Verwicklung unseres Landes oder Zentraleuropas, als vielmehr an die Gefahr wirtschaftlicher Störungen und Störungen des Weltverkehrs, wie wir sie zur Zeit der Suez-Krise erlebt haben. Zwischen Europa einerseits, den Öllieferländern und dem Kohlelieferant Amerika andererseits liegt der Atlantik; die eigene Tonnage, über die wir im Krisenfalle selbst verfügen können, ist klein.
    Die Preisentwicklung der europäischen Energie dürfte vom Ausmaß unserer Importabhängigkeit auch nicht unbeeinflußt bleiben. Wir brauchen aber nicht nur eine sichere, sondern auch eine preisgünstige Energie, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und europäischen Industrie zu erhalten. Hier möge der Hinweis genügen, daß die stromintensiven Industrien mit direkten Energiekosten von mehr als 10 % einen Anteil von 24 % am Export der EWG haben.
    Den mit wachsenden Energieimporten steigenden Devisenbedarf sollte man auch nicht so einfach als eine quantité negligeable abtun. Die jüngste Entwicklung unserer Zahlungsbilanz dürfte uns hierauf hingewiesen haben.



    Brand
    Das sind nur einige der Gesichtspunkte — und ich habe diese nur andeutungsweise vorgetragen —, die zu einer europäischen Lösung drängen.
    In diesem Zusammenhang muß daran erinnert werden, daß bei Abschluß des Römischen Vertrages das Gutachten der drei Weisen Pate gestanden hat, das der Gemeinschaft eine wachsende Energielücke voraussagt. Unter dieser Energiemangelkonzeption ist es dann zu der liberalen Energieimportpolitik und zur Gründung der Atomgemeinschaft gekommen. Der Montanvertrag beinhaltet eine Lieferverpflichtung der Kohleländer, aber keine Abnahmeverpflichtung der Kohle importierenden Länder. Auch diese Abmachung ist unter der Annahme einer sich über Jahrzehnte hinziehenden Kohlenmangellage getroffen worden und bedürfte heute unter dem umgekehrten Vorzeichen einer Kohleabsatzkrise der Revision im Sinne der Ergänzung durch eine Abnahmeverpflichtung oder eines finanziellen Beitrages für die Bereithaltung von Kohlekapazitäten.
    Wir begrüßen deshalb die Ansprache des Herrn Bundeswirtschaftsministers vor dem Ministerrat der EWG am 7. März in Luxemburg. Wir begrüßen und unterstützen jede weitere Initiative der Bundesregierung, die in diese Richtung zielt.
    Die Fusion der drei Exekutiven muß eine zügige Behandlung der Energiefragen in der Gemeinschaft bewirken. Darauf müssen wir drängen, nachdem wir selbst eine klare Konzeption unserer eigenen Vorstellungen von einer europäischen Energiepolitik erarbeitet haben.
    Wir fragen deshalb die Regierung in der Großen Anfrage, wie sie die Aussichten für eine europäische Lösung des Kohleproblems beurteilt.
    Zum Schluß möchte ich zusammenfassend folgendes sagen. Bei der heutigen durch unsere Große Anfrage ausgelösten Aussprache handelt es sich um mehr als um das Regionalproblem eines Landes, in ,dem die Bergwerke beheimatet sind, sosehr Nordrhein-Westfalen auch vordergründig davon betroffen wird. Es handelt sich nicht einmal ausschließlich um ein Kohleproblem, sondern darum: Wie wird in den kommenden Jahren die Wirtschaft und die Bevölkerung Europas mit ausreichender, preisgünstiger und sicherer Energie versorgt werden können, und zwar unter Stabilisierung und Erhaltung der heimischen Energieträger in ausreichendem Umfang? Die deutsche Industrie hat über alle Sonderinteressen hinweg eine anerkennenswerte solidarische Haltung gezeigt, indem sie in der Aktionsgemeinschaft Ruhr einen bedeutenden organisatorischen und finanziellen Beitrag zur Strukturbereinigung an der Ruhr zu leisten sich bereit erklärt hat. Das scheint uns ein gutes Omen für die heutige Debatte zu sein, die uns vereinen sollte in dem Willen, eine den heutigen Erfordernissen angepaßte energiepolitische Konzeption nicht nur zu finden und einzuleiten, sondern auch mit allen Kräften und auf allen Ebenen durchzustehen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Thomas Dehler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Die Große Anfrage wird von dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft und von dem Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung beantwortet. Zunächst hat das Wort der Herr Bundeswirtschaftsminister.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Kurt Schmücker


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt die Große Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP zur Kohlesituation. Sie hofft, daß die durch diese Anfrage ausgelöste Debatte Klarheit in die heftigen energiepolitischen Diskussionen bringen wird. Diese Diskussionen mit teilweise überzogenen Standpunkten haben seit einigen Monaten eine bis dahin nicht gekannte Publizität und Intensität erreicht. Es ist dringend erforderlich, diese Debatte wieder in die richtigen Bahnen zu lenken.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    In den Diskussionen hat es eine Vielzahl von Vorschlägen gegeben. Oft war die Berichterstattung verwirrend. Angesichts der Vielzahl der Meinungsäußerungen konnte eine Richtigstellung falscher Informationen nur noch in besonders eklatanten Fällen erfolgen. Mir ist heute morgen eine Nummer des „Zechen-Kuriers" mit einem Artikel, der der „Politischen Welt" entnommen worden ist, auf den Tisch gelegt worden. Ich habe jedes Verständnis dafür, wenn diese Debatten leidenschaftlich geführt werden, aber ohne ein Minimum an Sachlichkeit geht es nicht.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Dieser Artikel liegt unterhalb jeden Niveaus, und der Verfasser hat sich meiner Meinung nach als Gesprächspartner disqualifiziert.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Im übrigen habe ich mich bemüht, die für die Erarbeitung eines energiepolitischen Programms nun einmal notwendigen eingehenden Vorbereitungen und Gespräche ohne Störungen durchzuführen. Wenn den meisten Mitteilungen heute der Reiz der Neuigkeit fehlt, mag das bedauerlich sein. Mir kommt es aber nicht darauf an, publizistische Effekte zu erzielen, sondern in der Sache selbst voranzukommen.
    Gestatten Sie mir, daß ich vor der Beantwortung der einzelnen Fragen zwei grundsätzliche Vorbemerkungen mache.
    Erstens. In der Kohlepolitik geht es der Bundesregierung — und ich bin sicher, auch dem Parlament — in erster Linie um die darin liegenden sozialen und soziologischen Fragen. Diese Fragen müssen auch von demjenigen beantwortet werden, der sonst jeden staatlichen Eingriff in die wirtschaftliche Seite ablehnt. Wer auch die sozialen und soziologischen Probleme unbeeinflußt lassen will, ist für die Bundesregierung kein Gesprächspartner.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Bundesregierung gibt also der sozialen Problematik in der Kohlefrage den absoluten Vorrang.



    Bundesminister Schmücker
    Zweitens. Jegliche Energiepolitik in unserem Lande muß auf zwei grundlegende Realitäten Rücksicht nehmen, einmal auf die Notwendigkeit der Versorgung unserer Wirtschaft, unserer Energieverbraucher mit billiger Energie und zum anderen die Existenz eines gewichtigen und unverzichtbaren Steinkohlenbergbaus, der sich in einem harten strukturellen Anpassungsprozeß befindet. Jede Energiepolitik — auch in Europa — muß diesen Realitäten Rechnung tragen. Die Energiepolitik kann dabei nicht ein Entweder-oder sein, sondern sie muß ein Sowohl-als-auch anstreben.
    Die Wirtschaftspolitik eines exportorientierten Industrielandes, wie wir es sind, muß der Notwendigkeit Rechnung tragen, daß die exportierenden Industrien um ihrer Wettbewerbsfähigkeit willen auf billige Energie angewiesen sind. Wir müssen schon heute mit Sorge beobachten, daß für bestimmte Industrien der Energiepreis ein Grund ist, sich einen außerdeutschen Standort zu überlegen. Auf der anderen Seite können wir nicht einfach so tun, als ginge uns das Schicksal des Steinkohlenbergbaus, der einmal die Industrialisierung Deutschland einleitete und der heute unter ungünstigen Verhältnissen arbeitet, nichts an. Wir können ihn nicht seinem Schicksal überlassen. Wir müssen sehen, .daß dieser Steinkohlenbergbau eine der wesentlichen Grundlagen des Nachkriegswiederaufbaus unserer Wirtschaft gewesen ist, und wir müssen auch sehen, daß dieser Steinkohlenbergbau auch heute noch und auf absehbare Zukunft einer der wichtigsten Faktoren für die Stabilität und Preisbildung unserer Energieversorgung ist.
    Die heftige Diskussion der letzten Monate hat gezeigt, daß diese beiden unausweichlichen Tatsachen nicht immer und überall gesehen werden. Auf der einen Seite werde ich immer wieder gefragt: Wann will diese Bundesregierung endlich begreifen, daß Energie so billig wie möglich sein muß und daß im übrigen Subventionen, die ohnehin von Übel sind, vergebliche Mühen darstellen? Die andere, genauso extreme Fragestellung an mich lautet: Wann will die Bundesregierung endlich begreifen, daß die einzig richtige Energiepolitik die Erhaltung unseres Steinkohlenbergbaus und seines Anteils an der Energieversorgung um jeden Preis sichern muß?
    Ich möchte an dieser Stelle ganz deutlich sagen: die Bundesregierung sieht sowohl die Notwendigkeit billiger Energie; sie sieht aber auch die Strukturschwierigkeiten eines Wirtschaftszweiges, der für die Wirtschaftskraft unseres Landes Unschätzbares geleistet hat und nach unserer Überzeugung auch in der Zukunft leisten wird.
    Wenn man dieses Verständnis hat und hier berechtigte Belange der Betroffenen sieht, dann muß man aber auch den Mut zur Konsequenz haben; dann kann man nicht gleichzeitig jegliche Intervention zugunsten des Bergbaus als fluchwürdigen Verstoß gegen den Geist der Marktwirtschaft geißeln. Mit Liebeserklärungen und sentimentalen Beteuerungen ist nichts getan. Hier muß eine echte Hilfe gegeben werden, und die kostet Geld und kostet Verzichte.
    Mein Wunsch zu dieser Debatte ist es, daß sie sich deutlich von den halb durchdachten, fast feuilletonistischen energiepolitischen Diskussionen und Betrachtungen absetzt. Sie muß das Verständnis des ganzen Volkes für beide Seiten des Problems wecken: das Verständnis der Menschen in ganz Deutschland — auch in den revierfernen Gebieten — für die Probleme an der Ruhr und an der Saar, für die Probleme der Bergarbeiter und für die Probleme der Unternehmen des Steinkohlenbergbaus, aber auch das Verständnis der Menschen an Ruhr und Saar für die Unausweichlichkeit des strukturellen Anpassungsprozesses, der im Interesse der Erhaltung unserer Wirtschaftskraft in Ordnung vollzogen werden muß.
    Es sollte ganz klar gesagt werden, daß derjenige, der einseitig jeden — vielleicht nur kurzfristigen — Preisvorteil am Weltmarkt mitnehmen will, als Konsequenz in Kauf nehmen muß erstens ein ungeregeltes Tempo von Zechenstillegungen, zweitens ein ungeregeltes Schicksal für die Bevölkerung in den Revieren, drittens gefährliche Auswirkungen für die betroffenen Gemeinden, viertens unabsehbare Folgen für die Existenz großer Unternehmen in unserem Land und fünftens den Verzicht auf einen der wesentlichen Faktoren für die Stabilität unserer Energieversorgung.
    Auf der anderen Seite: Wer eine Unterstützung des Bergbaus um jeden Preis fordert, wer letztlich den strukturellen Anpassungsprozeß, der sich in Zechenstillegungen, in einer Verminderung der Belegschaftszahl und jetzt auch in der Unvermeidbarkeit einer Rücknahme der Förderung konkret äußert, unter allen Umständen vermieden sehen will, muß auch sehen, daß dies zu Lasten der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft insgesamt und damit zu Lasten unseres allgemeinen Wirtschaftswachstums gehen muß. Ich behaupte sogar, dies würde die Kraft der deutschen Wirtschaft übersteigen.
    Wir — Bundestag und Bundesregierung — waren uns immer darüber im klaren, daß eine sinnvolle Lösung für das politische und ökonomische Problem des Bergbaus notwendig ist. Wir waren uns auch darüber im klaren, daß dies Konsequenzen hat. Wir wußten, daß jede Intervention des Staates zugunsten des Bergbaus Geld kostet, und waren bereit, diese Konsequenzen zu tragen. Ich hoffe, daß dies auch heute so sein wird.
    Nun zu den einzelnen Fragen! Frage 1:
    Wie beurteilt die Bundesregierung die gegenwärtige energiepolitische Situation und die Wirkung der im Laufe des Jahres 1965 getroffenen energiepolitischen Maßnahmen?
    Bei der Beantwortung dieser Frage, meine Damen und Herren, möchte ich mich kurz fassen. Ich habe Ihnen eine Zusammenstellung der wichtigen Daten vorab zugestellt. Ich möchte hier nur die wesentlichen Fakten hervorheben.
    Die energiewirtschaftliche Situation des Jahres 1965 ist gekennzeichnet durch einen verlangsamten Anstieg des Gesamtenergieverbrauchs um etwa 3%



    Bundesminister Schmücker
    gegenüber 6,9, 7,6 und 4% in den Vorjahren, durch einen Rückgang des Steinkohlenexports von 26 auf 24 Millionen t, durch einen weiteren starken Zuwachs des Heizölverbrauchs, der über die im Rahmen der Selbstbeschränkung veranschlagten Zuwachsraten beträchtlich hinausging und bei leichtem Heizöl rund 20% sowie bei schwerem Heizöl rund 16% erreichte.
    Das alles hat zusammen mit anderen Faktoren zu einem außergewöhnlichen Ansteigen der Halden von 8 auf 16 Millionen t Steinkohle geführt, obwohl die Steinkohlenförderung 1965 erstmalig von 142 Millionen t auf 135 Millionen t zurückgenommen worden ist. Es ist in den Halden ein Kapital von rund 1 Milliarde DM gebunden. Diese Lage hat zu einer neuen starken Belastung der Unternehmen des Steinkohlenbergbaus und zu einer erheblichen Beunruhigung der Bergarbeiterschaft und der Menschen an der Ruhr und im Saarland geführt. Die Möglichkeiten zu weiteren Aufhaldungen werden geringer. Die Unternehmen stehen vor der Entscheidung, Feierschichten fahren zu müssen.
    Diese Entwicklung ist eingetreten, obgleich Bundestag und Bundesregierung im Jahre 1965 erhebliche Anstrengungen und Maßnahmen zugunsten des Steinkohlenbergbaus unternommen bzw. getroffen haben. Im einzelnen handelt es sich dabei um folgendes.
    1. Das Gesetz zur Förderung der Verwendung von Steinkohle in Kraftwerken vom 12. August 1965, mit dem ein steuerlicher Anreiz für die Verstromung der Kohle geschaffen worden ist. Die Bundesregierung ist nach wie vor der Meinung, daß von diesem Gesetz eine wirksame Absatzförderung für die Steinkohle schon ausgegangen ist und weiterhin ausgehen wird. Allerdings ist einzuräumen, daß angesichts der gegenwärtigen Preisverhältnisse der Wirkungsbereich räumlich eingeschränkt ist. Wesentliche Impulse für den Kohlenverbrauch sind jedoch bei günstigen Transportentfernungen zu erwarten. Eine durchschlagende kurzfristige Auswirkung bereits im Jahre 1965 war
    nicht möglich.
    2. Die Einführung einer Meldepflicht für Raffinerie und Rohrleitungsbauten sowie die Lizenzierung der Mineralöleinfuhren. Diese beiden Maßnahmen sind zunächst darauf ausgerichtet, eine bessere Markttransparenz zu gewährleisten und verläßlichere Unterlagen über Einfuhrumfang und über Raffinerie- und Rohrleitungsplanungen zu gewinnen. Trotz der erst relativ kurzen Geltungsdauer der beiden Maßnahmen läßt sich feststellen, daß dieser Zielsetzung entsprochen ist, da die Bundesregierung in der Tat heute über eine schnellere und exaktere Information in diesem Bereich verfügt.
    3. Die Begründung einer Revorratungspflicht für Mineralöl durch Gesetz. Die durch das Gesetz über Vorräte an Mineralöl und Mineralölerzeugnissen begründete Vorratshaltungspflicht ist erstmalig am 1. Januar dieses Jahres wirksam geworden. In dem Gesetz ist eine Aufbauphase von vier Jahren vorgesehen, aus der die Bundesregierung eine Erhöhung
    der Versorgungssicherheit im Minerölbereich erwartet.
    4. Die Selbstbeschränkung beim Mineralöl. Zur Selbstbeschränkung der Mineralölfirmen bei der Ausweitung ihres Heizölabsatzes ist festzustellen, daß die effektiven Zuwachsraten die zu Beginn zugrunde gelegten Raten beträchtlich überschritten haben. Gleichwohl möchte ich feststellen, daß bei den meisten Mineralölfirmen die Bereitschaft zu einer wirksamen Selbstbeschränkung vorhanden ist. Daß eine volle Wirksamkeit im Jahre 1965 noch nicht eintreten konnte, liegt zum Teil daran, daß die Selbstbeschränkung konkret erst verhältnismäßig spät eingeleitet werden konnte — im Februar für schweres Heizöl und im April für leichtes Heizöl —und daß im Laufe des Jahres 1964 in beträchtlichem Umfang langjährige Verträge abgeschlossen worden waren, in die nicht eingegriffen werden konnte. Für das Jahr 1966 haben die Unternehmen der Mineralölwirtschaft für den gesamten Heizölverbrauch eine Zuwachsrate von 8 % in Aussicht genommen. Im einzelnen komme ich auf diesen Themenkreis bei Beantwortung der Frage 5 zurück.
    5. Schließlich ist die Lagerhaltungsaktion zu erwähnen, die die Bundesregierung im Sommer des vergangenen Jahres beschlossen hat, um zu einer kurzfristigen Neutralisierung des Haldenproblems zu kommen. Es ging dabei darum, angesichts der sehr angespannten Situation soziale Schwierigkeiten für die Bergleute kurzfristig zu vermeiden. Dieser Zielsetzung ist die Maßnahme gerecht geworden. Sie hat es den Unternehmen ermöglicht, durch vier von ihnen bezahlte Feierschichten die Förderung um rund 2 Millionen t herabzudrücken, und sie hat gleichzeitig eine Entlastung der Liquiditäts- und Haldensituation gebracht. Natürlich hat diese Aktion das Kohleproblem nicht gelöst. Das kann ich den Kritikern der Maßnahme uneingeschränkt bestätigen. Aber darum ging es ja auch gar nicht. Es handelte sich vielmehr um eine Aktion, die angesichts der starken Absatzverluste der Kohle kurzfristig Entlastung und eine Erleichterung für Bergarbeiter und Unternehmer bringen sollte, um so die für die Erarbeitung eines energiepolitischen Konsolidierungsprogramms nun einmal notwendige Zeit zu gewinnen. Diesen Zweck hat die Aktion durchaus erfüllt.
    Zusammenfassend ist zur energiewirtschaftlichen Gesamtsituation festzustellen: Die Entwicklung der letzten Jahre und die dabei eingetretenen strukturellen Änderungen haben positive und negative Wirkungen ausgelöst. So sind insbesondere die revierfernen Gebiete — vor allem Bayern und Baden-Württemberg — begünstigt worden, deren Energiepreisniveau sich dem des übrigen Bundesgebietes weitgehend angenähert hat. Dadurch sind dort die industriellen Standortbedingungen nachhaltig verbessert worden; durch Frachtverbilligungen und Tarifmaßnahmen sind in diesen Gebieten auch die Kohlepreise für Großverbraucher zurückgegangen.
    Diesen positiven Feststellungen stehen allerdings gestiegene Schwierigkeiten beim Steinkohlenbergbau gegenüber, der trotz der bereits ergriffenen Maßnahmen der Bundesregierung und trotz der er-



    Bundesminister Schmücker
    heblichen Rationalisierungserfolge beträchtliche Absatzverluste hinnehmen mußte. Die unausweichlich notwendige Leistungssteigerung führt zwangsläufig der Tendenz nach zu einer Mehrförderung und wirkt damit der gegenwärtig ebenfalls notwendigen Fördereinschränkung entgegen. Beide Dinge — Leistungssteigerung und Fördereinschränkung — sind aber erforderlich, sie gehören zusammen, so schwer sie für die Unternehmen zu bewältigen sein werden.
    Frage 2:
    Welche Auswirkungen ergeben sich daraus für die Situation des deutschen Steinkohlenbergbaus? Hält die Bundesregierung eine Ergänzung der bisherigen energiepolitischen Maßnahmen für eine Konsolidierung der Verhältnisse im Steinkohlenbergbau für erforderlich, und welche Zielsetzung hat das vom Bundesminister für Wirtschaft angekündigte energiepolitische Programm?
    Das Jahr 1965 hat für die Steinkohle Absatzverluste in nahezu allen Verbrauchssektoren gebracht. Die extrem niedrigen Heizölpreise des Jahres 1964 führten in verstärktem Maße zu Umstellungen der Verbraucher. Aber der Hauptgrund für die Umstellung ist die angespannte Arbeitsmarktlage und der daraus folgende Zwang zur Rationalisierung. Das gilt für die privaten Haushalte in gleicher Weise wie für die Industrie. Hinzu kam die verhältnismäßig ausgeglichene Witterung. Die sehr hohe Wasserdarbietung der Natur führte für 1965 selbst im Elektrizitätsbereich zu einem erheblichen Rückgang des Steinkohlenverbrauchs. Die Verbraucherbestände wurden abgebaut, die Exporte gingen bec. trächtlich zurück.
    Diese Absatzentwicklung erzwang erstmals eine Einschränkung der Steinkohlenförderung von 142 auf 135 Millionen t. Diese Fördereinschränkung ist zum größten Teil durch eine lineare Verringerung der Produktion herbeigeführt worden. Daß dies für die Unternehmen und für die Volkswirtschaft die teuerste Methode einer Fördereinschränkung ist, muß offen gesagt werden und sollte bei weiteren Überlegungen stärker bedacht werden.
    Die harte, aber unabweisbare Konsequenz aus dieser Entwicklung ist, daß die Steinkohlenförderung durch Schließung weiterer Schachtanlagen zurückgenommen werden muß und daß die gut gelagerten Zechen weiter rationalisiert werden müssen. Ich brauche hier nicht besonders zu betonen, daß die Notwendigkeit der Stillegungen weder vom Steinkohlenbergbau noch von der Bundesregierung begrüßt wird. Aber wir müssen mit der nun einmal gegebenen Situation fertig werden und sollten nicht versuchen, ihr mit unrealistischen Vorstellungen auszuweichen.
    Ich habe bereits bei der Debatte über die Regierungserklärung deutlich zum Ausdruck gebracht, daß es sich bei der Zahl von 140 Millionen t niemals um eine Absatzgarantie gehandelt hat. Die öffentliche Diskussion hat dieser Zahl eine Art magische Bedeutung gegeben. So ist das nun einmal, wenn man mit Zahlen operiert. Die einen verdächtigen den Bergbau, hiermit einen rein quantitativen Besitzstand um jeden Preis zu verteidigen, andere versuchen, den Erfolg der Energiepolitik der Bundesregierung allein an der Frage zu messen, ob — unabhängig von den Gegebenheiten des Marktes, unabhängig von den Frachtraten, unabhängig von kaltem oder warmem Wetter, unabhängig von der Konzern- und Syndikatspolitik — in diesem Lande 140 Millionen t Kohle produziert und abgesetzt werden können. Die als Zielvorstellung gemeinte 140Millionen-t-Zahl wurde zu einer Fessel für alle Beteiligten. Niemand konnte wagen, an der Zahl zu rütteln, wenn er nicht der Treulosigkeit oder des wirtschaftspolitischen Versagens bezichtigt werden wollte.
    Die Bundesregierung ist der Meinung, daß es unvernünftig wäre, die Zahl von 140 Millionen t durch eine andere Zahl zu ersetzen, da diese dann wieder Fehlinterpretationen ausgesetzt sein würde. Nach ihrer Überzeugung ist auch dem Bergbau mit einer neuen Zahl nicht gedient. Wichtiger ist für den Bergbau vielmehr, daß ihm die öffentliche Hand jede Unterstützung zuteil werden läßt, die ihm Rahmen der Leistungskraft unserer Volkswirtschaft möglich ist. Wichtig ist, daß energiepolitische Daten gesetzt werden, an denen die Unternehmen des Bergbaus selbst ihre Marktchancen messen und ihre Entscheidungen ausrichten können.
    In diesem Sinne stellen sich für die heutige Debatte folgende politisch zu entscheidenden Fragen:
    1. Ist auch dieses Hohe Haus der Meinung, daß die Lage des Bergbaus neue zusätzliche Hilfen zur Verbesserung seiner Lage rechtfertigt, und ist der Bundestag bereit, im gleichen Augenblick, in dem er die Notwendigkeit solcher Dinge diskutiert, anzuerkennen, daß dies erhebliche Opfer erfordert?
    2. Wie können derartige Hilfen unter den Gesichtspunkten der Struktur-, der Regional-, der Energie- und der Sozialpolitik so wirkungsvoll wie möglich gestaltet werden?
    Ich habe vorhin bereits gesagt, daß es für den Steinkohlenbergbau darauf ankommt, energiepolitische Daten zu erhalten, auf die er sich einrichten kann. Zu den bisher bestehenden Daten gehören:
    Kohlezoll und Kohlekontingent zur Abschirmung gegenüber der Importkohle;
    Heizölsteuer und Selbstbeschränkung, wobei eine wirksamere Ausgestaltung der Selbstbeschränkung durch eine verwaltungsmäßige Abstützung erforderlich ist;
    die Frachthilfen zugunsten der Kohle; die Unterstützung der Rationalisierung;
    die steuerlichen Vergünstigungen bei der Errichtung von Elektrizitätswerken auf Steinkohlenbasis.
    Die Bundesregierung hält eine Ergänzung dieser Maßnahmen für notwendig. Sie schlägt hierfür außer der soeben genannten Verbesserung der Selbstbeschränkung im Heizölsektor folgendes Programm vor:
    1. eine Rücknahme der Förderung durch eine geordnete Durchführung weiterer Stillegungen bei gleichzeitiger Unterstützung strukturpolitischer Ziel-



    Bundesminister Schmücker
    setzungen des Bundes, des Landes Nordrhein-Westfalen und des Saarlandes; dazu gehört insbesondere die Nutzbarmachung von Grundstücken und Gebäuden für die Ansiedlung neuer, vor allem moderner Industrien;
    2. eine zusätzliche Absicherung für den Steinkohlenbergbau in den Hauptabsatzbereichen, vor allem in der Elektrizitätswirtschaft;
    3. die Verbesserung der sozialen Sicherungen für die vom Strukturwandel betroffenen Bergleute;
    4. eine neue Initiative für eine europäische Lösung des Steinkohlenproblems, da es nicht vertretbar ist, das Kohleproblem aus der fortschreitenden Integration auszuschließen. — Schließlich hält die Bundesregierung
    5. ein Rohrleitungsgesetz für Mineralöl- und Erdgasleitungen für erforderlich, das die Möglichkeit geben soll, ungünstigen Entwicklungen in der Marktstruktur der Mineralöl- und Erdgaswirtschaft und insbesondere der Gefahr monopolartiger Entwicklungen vorzubeugen. Dieser letzte Punkt steht allerdings nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit diesem Problem.
    Frage 3:
    Welche Maßnahmen hält die Bundesregierung zur Sicherung des sozialen Status der Bergarbeiter für notwendig?
    Die Bundesregierung ist sich darüber im klaren, daß alles getan werden muß, damit der Strukturwandel sich nicht zu Lasten des Bergarbeiters und der im Bergbau Beschäftigten vollzieht. Es muß jedoch darauf hingewiesen werden, daß der beste Schutz nach wie vor in einem gesicherten Arbeitsplatz liegt, sei es nun im angestammten Beruf oder in einem neuen Tätigkeitsbereich. Viele unserer Landsleute kennen das Schicksal, den erlernten Beruf, ihren Besitz und den heimatlichen Wohnort aufgeben zu müssen. Dies ist einer der härtesten Schläge, die einen Menschen treffen können. Was dabei verlorengeht, kann mit Geld allein nicht abgegolten werden.
    Wir sollten gerade heute daran erinnern, was die Bergleute, als wir weder ausreichend Hausbrand- noch Industriekohle hatten, zur Überwindung unserer Not geleistet haben. Viele Mitbürger sind damals, vom Staate dazu aufgefordert oder unterstützt, in den Bergbau gegangen, weil sie hier die Chance einer neuen, sicheren Existenz sahen. Sie folgten einer Aufforderung — ich wiederhole das —, die vom Staat ausgesprochen wurde. Wir alle sind dem Bergmann Dank schuldig.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und des Abg. Kurlbaum.)

    Darum soll er auch eine Hilfe erhalten, die anderen Mitbürgern, die ähnliches wie er erleben, nicht gegeben wird.
    Wir müssen aber auch gegen alle Demagogie und wirtschaftlichen Unverstand auf die wirtschaftlichen Realitäten hinweisen, die man auch bei Anerkennung aller Leistungen nicht außer Kraft setzen kann. Wer wirklich helfen will, muß die Wahrheit
    sagen, Verständnis haben und jede mögliche soziale Hilfe leisten. Aber er muß auch in der Sache selbst das wirtschaftlich unerbittlich Notwendige tun. Die Freiheit der Konsumwahl, die jedem Verbraucher in unserem Lande zusteht, hat nun einmal zur Konsequenz, daß Strukturwandlungen rascher ausgelöst werden als in einer Zuteilungswirtschaft, die nicht vom Markt, sondern von der Produktion bestimmt wird. Wenn wir die Marktwirtschaft wollen, müssen wir uns auch ihren unangenehmeren Konsequenzen beugen, d. h. wir müssen die Unausweichlichkeit des Strukturwandels anerkennen und politisch versuchen, den Strukturwandel ordnend zu beeinflussen.

    (Abg. Frau Brauksiepe: Sehr richtig!)

    Dazu gehören in erster Linie soziale Überbrükkungsmaßnahmen. Es besteht bereits heute ein umfassender Katalog von Hilfsmaßnahmen zugunsten der von Stillegungen betroffenen Bergarbeiter. Diese Maßnahmen werden gemeinsam mit der Hohen Behörde praktiziert. Sie haben dazu geführt, daß nachhaltige Schwierigkeiten in den bisherigen Fällen von Stillegungen verhindert werden konnten. Allein im Jahre 1965 sind erneut 21 000 Bergleute aus dem Bergbau ausgeschieden, ohne daß es zu großen sozialen Härten gekommen wäre. Es muß schließlich betont werden, daß auch die soziale Alterssicherung des Bergmanns im Rahmen der knappschaftlichen Versicherung den Besonderheiten dieses schweren Berufes durch ein eigenes Leistungssystem Rechnung trägt.
    Für den einzelnen Bergmann und die betroffenen Familien ergeben sich aus einer Zechenstillegung und einem Wechsel des Arbeitsplatzes und insbesondere auch des Berufes eine Vielfalt von Sorgen. Aber es kann heute niemandem, auch dem Bergmann nicht, ein bestimmter Arbeitsplatz auf Lebenszeit garantiert werden. Die Wirtschaftspolitik kann wohl dafür sorgen, daß jedem Bürger ein Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Für die Politik kommt es darauf an, die Übergänge zu erleichtern und die sozialen Härten zu mildern.
    Die Bundesregierung hat erneut die bestehenden sozialen Sicherungen des Bergmanns überprüft. Sie schlägt zusätzlich folgende Maßnahmen vor.
    1. Das System der Anpassungsbeihilfen nach Art. 56 des Montanvertrages soll verbessert werden. Die Bemessungsgrenze für die Lohnbeihilfe und für Wartegeld wind erhöht und der jeweiligen Lohnentwicklung angepaßt werden. Die Leistungsdauer für Trennungsentschädigung und Familienheimfahrten soll von jetzt einem Jahr auf drei Jahre, die für Übergangsbeihilfen von drei auf vier Jahre verlängert werden, die Übergangsbeihilfe soll erhöht werden. Außerdem sollen die Voraussetzungen für den Bezug von Abfindungen erleichtert werden. Die Bundesregierung wird sich darum bemühen, daß die Beihilfen sowohl für unmittelbar wie für mittelbar Betroffene gewährt werden. Die für die Durchführung dieser Verbesserungen notwendigen Verhandlungen mit der Hohen Behörde sind aufgenommen.
    Im Rahmen der Anpassungsbeihilfen wird auch dafür gesorgt werden, daß den über fünfzigjährigen



    Bundesminister Schmücker
    Bergleuten, die noch nicht die Voraussetzungen für den Bezug der Bergmannsrente erfüllen und ihren Arbeitsplatz im Bergbau verlieren, kein unzumutbarer Schaden entsteht.
    2. Für ältere Bergleute, die erfahrungsgemäß in besondere Schwierigkeiten geraten, wird eine Änderung der Voraussetzungen für die Gewährung der Knappschaftsausgleichsleistung vorgenommen werden. Es soll allen Bergleuten, die 55 Jahre alt sind und die Voraussetzungen für die Gewährung von Altersruhegeld mit Vollendung des 60. Lebensjahres erfüllen, ermöglicht werden, auch auf eigenen Wunsch aus dem Bergbau auszuscheiden und dann die Knappschaftsausgleichsleistung zu beziehen.
    3. Schließlich hat die Bundesregierung eine Änderung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vorgesehen, um die Gewährung des Arbeitslosengeldes, die nach der heutigen Regelung nur für 26 Wochen möglich ist, auf 52 Wochen auszudehnen. Es wird kein Unterschied mehr zwischen der beitragsfreien Beschäftigung knappschaftlich Versicherter und einer beitragspflichtigen Beschäftigung in anderen Wirtschaftszweigen gemacht werden.
    4. Um den infolge von Rationalisierungsmaßnahmen aus dem Kohlenbergbau ausgeschiedenen Bergarbeitern die Wohnberechtigung in Bergarbeiterwohnungen zu erhalten, wurde auf Grund eines interfraktionellen Initiativantrages und bei gleichgerichteten Bestrebungen der Bundesregierung das Dritte Gesetz zur Änderung des Bergarbeiterwohnungsbaugesetzes vom 24. August 1965 erlassen. Zur Durchführung dieser Neuregelung wird eine Rechtsverordnung verabschiedet.
    Die Bundesregierung glaubt, daß mit einer derartigen Vervollständigung der Maßnahmen für die soziale Sicherung des Bergmanns ein weiterer erheblicher Schutz gegeben wird, der die Durchführung wirtschaftlich unvermeidbarer Maßnahmen erleichtert. Die Bundesregierung erwartet, daß darüber hinaus die Unternehmen des Steinkohlenbergbaus sich wie bisher ihrer sozialen Verpflichtung gegenüber ihren Arbeitnehmern bewußt bleiben und auch im Rahmen ihrer Möglichkeiten dazu beitragen, den unvermeidbaren Anpassungsprozeß in seinen sozialen Auswirkungen erträglich zu gestalten. Bund und Länder werden ihre finanzielle Unterstützung jedenfalls davon abhängig machen, daß von den stillegenden Unternehmen die notwendigen Sozialpläne vorgelegt werden.
    Frage 4:
    Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung für eine Verbesserung der wirtschaftlichen Struktur in den Bergbaugebieten?
    Meine Damen und Herren! Die in allen Teilen der Bergbaureviere bestehende Monostruktur macht diese Gebiete in ihrer gesamten Wirtschaftstätigkeit besonders anfällig. Dies ist von der Bundesregierung, aber auch von den beteiligten Landesregierungen stets gesehen worden. Vieles ist für die Auflockerung ,der Struktur dieser Gebiete bereits getan. Ich erinnere an das Strukturprogramm des Landes
    Nordrhein-Westfalen, an den Gesamtplan der SaarBergwerke und an die Ansiedlung neuer Werke in Bochum. Daneben gibt es viele nicht so stark ins Auge fallende Aktivitäten, die bereits heute der einseitigen Wirtschaftsgliederung in den Bergbaurevieren entgegenwirken.
    Gleichwohl sind die Bundesregierung und die Regierungen des Landes Nordrhein-Westfalen und des Saarlandes der Auffassung, daß die Bemühungen um die Lösung dieses Problems intensiviert werden müssen. Es kommt darauf an, ein Instrument zu schaffen, das drei Aufgaben übernimmt, nämlich für eine geordnete Durchführung der unausweichlichen Stillegungen zu sorgen, die Neuansiedlung von Ersatzindustrien aktiv zu betreiben und beides so aufeinander abzustimmen, daß Nachteile für das wirtschaftliche Wachstum und für die Bevölkerung in diesen Gebieten vermieden werden.
    Um dieser Aufgabenstellung zu entsprechen, soll eine privatrechtliche Gesellschaft gegründet werden. Gesellschafter sollen in erster Linie die Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft sein. Die für die Lösung der Aufgabe eingesetzten Maßnahmen und Mittel müssen auf die verschiedenartige Zielsetzung zugeschnitten, aber so koordiniert werden, daß im ganzen ein optimales Ergebnis erzielt wird.
    Für die geordnete Durchführung der Stillegungen wird die öffentliche Hand einen maßvoll bemessenen Betrag je Tonne stillzulegender Förderkapazität als verlorenen Zuschuß und als Anreiz für die Stilllegung zur Verfügung stellen. In Aussicht genommen ist ein Betrag von 15 DM je Tonne Kapazität. Die Gewährung einer höheren Prämie ist angesichts der Situation der öffentlichen Haushalte und der Notwendigkeit einer Beschränkung der öffentlichen Ausgaben nicht möglich. Im übrigen wird von der öffentlichen Hand auch für die neuen Stillegungsfälle — wie bereits im Rahmen des Rationalisierungsverbandes — die Lastenausgleichsabgabe abgelöst werden müssen. Der hierfür erforderliche Betrag variiert von Fall zu Fall. Er beträgt im Durchschnitt 8 DM je Tonne Kapazität.
    Es isst notwendig, die bei den Zechenstillegungen freiwerdenden Grundstücke zu mobilisieren und der strukturellen Aufgabe, der Neuansiedlung von Industriebetrieben, nutzbar zu machen. Die hierfür erforderlichen Mittel sollen von der Aktionsgemeinschaft selbst aufgebracht werden. Die Aktionsgemeinschaft soll auch aktiv um die Neuansiedlung von Betrieben und um die Auflockerung der Monostruktur der Kohlenreviere bemüht sein. Es ist vor allem an die Gründung von Werken gedacht, die zu einer modernen Industrie gehören und in unserem Lande noch nicht oder zu schwach vertreten sind. Es hat sich also nicht nur die Solidarität der deutschen Wirtschaft zu bewähren, sondern auch ihr vorwärtsdrängender Pioniergeist.
    Ein besonderes Problem, das von der Landesregierung Nordrhein-Westfalens im Rahmen ihrer regionalpolitischen Verantwortung besonders intensiv verfolgt wird, liegt in der Frage des Bergschadensrisikos. Das Bergschadensrisiko ist dann für den ansiedlungswilligen Betrieb häufig ein entscheidendes Hindernis, das eine ungestörte Betriebsführung



    Bundesminister Schmücker
    erheblich belastet. Im Rahmen der Aktionsgemeinschaft wird auch für dieses Problem eine Lösung gefunden werden müssen.
    Im Interesse einer straffen Durchführung der gesamten Aktion sollen alle Faktoren des dargestellten Programms einheitlich behandelt werden. Das bedeutet, daß das stillegungswillige Bergwerksunternehmen ein auf der Basis dieser Faktoren berechnetes einheitliches Angebot für die Durchführung der Stillegung einerseits und für den Verkauf der nicht mehr benötigten Grundstücke andererseits erhält.
    Die Bundesregierung hat es sehr begrüßt, daß maßgebliche Vertreter unserer Industrie sich vor einer Woche im Grundsatz bereit erklärt haben, sich an einer derartigen Aktion zu beteiligen und sie aktiv und finanziell zu unterstützen. Ich bin überzeugt, daß auf diesem Wege ein unkompliziertes und unbürokratisch arbeitendes Instrument geschaffen wird, daß sowohl eine geordnete Durchführung der nun einmal notwendigen Stillegungen als auch eine Belebung der industriellen Aktivität in den betroffenen Gebieten ermöglicht.
    Durch diese Aktion, meine Damen und Herren, wird der Beweis erbracht, daß die deutsche Wirtschaft fähig ist, in eigener Zuständigkeit große, kostspielige Gemeinschaftsaufgaben zu übernehmen. Die hierin bewiesene Solidarität, die ein Teil der unternehmerischen Verantwortung ist, steht höher als die mißmutigen Vorschläge, die in der Sozialisierung der Bergwerke den einzigen Ausweg sehen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich möchte dem Präsidium des Bundesverbandes der Industrie und allen Beteiligten aus der Wirtschaft für das gute Beispiel, das sie geben, und für die bewiesene Verantwortungsbereitschaft besonders danken.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Frage 5:
    Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß von der Selbstbeschränkung der Mineralölwirtschaft im Jahre 1966 wirksame Ergebnisse zu erwarten sind?
    Die Entwicklung des Heizölabsatzes im Jahre 1965 hat gezeigt, daß die Mineralölwirtschaft insgesamt gesehen zur Mitwirkung bei der Selbstbeschränkung bereit ist. Konkretere Vorstellungen über die Selbstbeschränkung konnten erst Anfang des Jahres 1965 entwickelt werden. Vor allem aus diesem Grunde dürfte der effektive Heizölzuwachs über die für das Jahr 1965 im Rahmen der Selbstbeschränkung zugrunde gelegten Raten hinausgegangen sein. Er belief sich beim leichten Heizöl auf rund 20 %. Vergleichsweise betrugen die Zuwachsraten des Inlandsabsatzes bei leichtem Heizöl 1962 49 %, 1963 30 % und 1964 13,3 %. Die aus dem Rahmen fallende geringe Nachfragesteigerung des Jahres 1964 in Höhe von 13,3 % war vor allem eine Folgewirkung der höheren freiwilligen Vorratshaltung, die nach den Versorgungsschwierigkeiten des kalten Winters 1962/63 eintrat. Bei
    schwerem Heizöl betrug der tatsächliche Zuwachs des Inlandabsatzes im Jahre 1965 etwa 16 %. Dagegen betrugen die vergleichbaren Zuwachsraten 1962 20,5 %, 1963 19 % und 1964 19,8 %.
    Zusammenfassend ist also - verglichen mit der langfristigen Entwicklungstendenz der Zuwachsraten — festzustellen, daß die Selbstbeschränkung schon im Anlaufjahr 1965 mengenmäßige Auswirkungen gehabt hat. Einen vollen Erfolg konnte sie 1965 jedoch nicht erziehlen.
    Für das Jahr 1966 sind bei der Selbstbeschränkung globale Zuwachsraten von je 8 % in Aussicht genommen, die vom Kohlenbergbau für zu hoch, von der Mineralölwirtschaft für zu niedrig gehalten werden. Die Hauptschwierigkeit bei der Einhaltung dieser Zuwachsraten liegt vor allem beim schweren Heizöl. Falls es nicht gelingt, im Jahre 1966 durch freiwillige oder gesetzliche Regelung etwa 1,2 Millionen t, die von der Mineralölwirtschaft über die Lieferungen des Jahres 1965 hinaus von der Elektrizitätswirschaft angefordert sind, aus dem Markt zu nehmen, muß damit gerechnet werden, daß die Zuwachsrate von .8 % bei schwerem Heizöl 1966 tatsächlich nicht eingehalten werden könnte.
    Die Entwicklung des Heizölabsatzes im Rahmen der Selbstbeschränkung wird in diesem Jahre von der Bundesregierung auf Grund der gewonnenen Erfahrungen des Jahres 1965 sehr sorgfältig beobachtet. Ich möchte nicht verhehlen, daß ich wegen des Verhaltens einiger Firmen und bei den geringen Zuwachsraten eine gewisse Besorgnis über das reibungslose Funktionieren der Selbstbeschränkung in diesem Jahre habe. Ich möchte daher keinen Zweifel daran lassen, daß angesichts der ernsten Schwierigkeiten auf dem Kohlenmarkt zusätzliche Störungen des Energiemarktes durch eine Überschreitung der Selbstbeschränkungsrate von der Bundesregierung nicht hingenommen werden würden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Bundesregierung hat sich vor allem wegen des Verhaltens einiger weniger Unternehmen veranlaßt gesehen, das verwaltungsmäßige Verfahren zu ändern, mit dem die Lizenzierung der Mineralöleinfuhren bisher gehandhabt wurde. Sie hat vorgeschlagen, die Gültigkeitsdauer der Einfuhrgenehmigungen von bisher sechs Monaten auf drei Monate herabzusetzen, um eine bessere Überschaubarkeit der gestellten Einfuhranträge zu ermöglichen. Sie hat weiter die Möglichkeit geschaffen, die statistische Überprüfung der Einfuhranträge sorgfältiger als bisher zu gestalten, um jederzeit feststellen zu können, in welchem Ausmaß die Selbstbeschränkung von den einzelnen Unternehmen tatsächlich eingehalten wird.

    (Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Sehr gut!) Frage 6:

    Mißt die Bundesregierung dem Gesichtspunkt der Versorgungssicherheit besondere Bedeutung bei? Ist sie bereit, insbesondere im Bereich der Elektrizitätswirtschaft dafür zu sorgen, daß hier ein angemessener Steinkohlenanteil erhalten bleibt?



    Bundesminister Schmücker
    Die Energiepolitik der Bundesregierung ist darauf ausgerichtet, sowohl dem Gesichtspunkt der preisgünstigen als auch dem Gesichtspunkt der sicheren Energie Rechnung zu tragen. In diesem Zusammenhang ist dem deutschen Steinkohlenbergbau schon immer eine besondere Rolle zugekommen, die sich einfach aus der Tatsache ergibt, daß er auch heute noch - und das sollte man nicht vergessen — die Grundlage der deutschen Energieversorgung ist. Zwar hat das Mineralöl heute in der Gesamtenergiebilanz einen nahezu gleichen Anteil wie die Kohle erreicht. Klammert man aber die Treibstoffe aus, so steht im Jahre 1965 auf dem Markt für Wärmeenergie einem Steinkohlenverbrauch von 115 Millionen t ein Heizölverbrauch von 62 Millionen t Steinkohleneinheiten gegenüber.
    Auch in der Gesamtenergiebilanz ist Deutschland innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft noch immer das Land, das am wenigsten von Energieeinfuhren abhängig ist. Die Bundesregierung begrüßt dies. Wir müssen uns aber darüber im klaren sein, daß auch Deutschland in zunehmendem Maße auf die Einfuhr von Energie angewiesen sein wird.
    Die in der Fragestellung gesondert angesprochene Elektrizitätswirtschaft ist in ganz besonderem Maße auf eine kontinuierliche, störungsfreie Versorgung mit Einsatzenergien angewiesen, da die ungestörte Versorgung mit Elektrizität von ausschlaggebender Bedeutung für den gesamten Wirtschaftsablauf, aber auch für die privaten Haushalte ist. Es muß anerkannt werden, daß die Elektrizitätswirtschaft dieser Notwendigkeit in der Vergangenheit bereits in hohem Maße Rechnung getragen hat. Sie ist der beständigste Bezieher der deutschen Steinkohle.
    Die Bundesregierung hat bereits mit der Vorlage des Gesetzes über die steuerliche Förderung der Verwendung von Steinkohle in Kraftwerken diese Gesichtspunkte anerkannt. Der Steinkohlenanteil bei der Elektrizitätserzeugung liegt heute bei etwa 50 %, davon 3 % Importkohle. Die Bundesregierung ist der Meinung, daß dieser Anteil weiterhin gehalten werden sollte. Angesichts der Preisunterschiede zwischen heimischer Steinkohle und schwerem Heizöl sind für die Erreichung dieser Zielsetzung zusätzliche Maßnahmen notwendig. Die Bundesregierung hat daher einen Gesetzesvorschlag beschlossen, der sowohl die Verbilligung des Mehrverbrauchs von Steinkohle in Kraftwerken regelt als auch Vorsorge dagegen trifft, daß der heute erreichte Anteil des Steinkohleneinsatzes in der Elektrizitätswirtschaft durch Umstellungen vermindert wird. Hierfür wird eine gesetzliche Verwendungsbeschränkung mit Genehmigungsvorbehalt notwendig sein.
    In einem Gespräch mit maßgeblichen Vertretern der Elekrizitätswirtschaft ist der Bundesregierung zugesagt worden, daß die Elektrizitätswirtschaft in ihrer Investitionsplanung die Zielsetzung der Bundesregierung, 50 % der Stromerzeugung bei der Steinkohle zu halten, unterstützen wird. Auch an dieser Zusage, meine Damen und Herren, wird deutlich, zu welchen Anstrengungen die deutsche Wirtschaft zugunsten der Kohle bereit ist. Eine derartige Aktion kann aber nur dann ohne Auswirkungen auf
    die Strompreise durchgeführt werden, wenn die erforderlichen Mittel über die Heizölsteuer aufgebracht werden. Die Bundesregierung ist der Meinung, daß ein Durchschlagen auf die Strompreise vermieden werden soll. Sie glaubt trotz der angespannten Haushaltssituation eine Finanzierung aus öffentlichen Mitteln vorziehen zu sollen. Die erforderlichen Mittel werden im nächsten Jahr auf 30 Millionen DM geschätzt und steigen an. Der Bedarf dürfte schließlich im Jahre 1970 bei 150 Millionen DM jährlich liegen.
    Frage 7:
    Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussichten einer europäischen energiepolitischen Konzeption und insbesondere die Möglichkeiten einer europäischen Lösung des Kohleproblems?
    Die Bundesregierung hält auch für die Energiepolitik europäische Lösungen für notwendig. Es geht nicht an, daß gerade dieser Bereich aus der fortschreitenden Integration ausgeklammert wird, da dann gravierende, wettbewerbsverzerrende Einflüsse für den gesamten Intregrationsprozeß in allen Bereichen entstehen könnten.
    Im übrigen drängen die Verhältnisse im Steinkohlenbergbau der Gemeinschaft zu baldigem Handeln; andernfalls muß ein weiteres Auseinanderfallen der nationalen kohlepolitischen Maßnahmen befürchtet werden.
    Der bisherige Verlauf der Verhandlungen und Diskussionen um eine europäische Energiepolitik ist behindert gewesen durch die organisatorische und materielle Aufsplitterung der Zuständigkeit für Energiefragen auf drei Behörden und in drei Verträgen und die sehr divergierenden Interessen der einzelnen Mitgliedsländer sowie die von ihnen angewandten sehr unterschiedlichen energiepolitischen Methoden.
    Wir hoffen, daß die bevorstehende Fusion der Organe der Gemeinschaften ein neuer Ansatzpunkt zu gemeinsamem Handeln sein wird. Spätestens aber mit der Verschmelzung der Verträge, die als Verhandlungsziel ja bereits anerkannt ist, werden die noch offenen Fragen klargestellt und entschieden werden müssen.
    Sehr viel dringender, meine Damen und Herren, ist ein gemeinsames Vorgehen in den Fragen der Kohlepolitik. Hier muß sofort gehandelt werden. Alle Produktionsländer befinden sich in großen Schwierigkeiten. Wenn jeder sich auf seine nationalen Bedürfnisse einrichtet und sich nicht um die Belange der Gemeinschaft kümmert, wird die Montanunion um ihren Sinn betrogen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das gilt in gleicher Weise auch für die Verbraucherländer. Wenn sie harmlos darauf hoffen, auf Grund des Art. 59 bei Mangellagen beliefert zu werden, so täuschen sie sich selbst. Entweder gibt es eine Gemeinschaft für Kohle und Stahl, dann muß man die Sorgen der Kohleproduktion gemeinsam tragen, oder es gibt sie nicht, dann werden die einzelnen Staaten mit diesen Sorgen selber fertig wer-



    Bundesminister Schmücker
    den müssen, aber in Zeiten der Mangellage die Verbraucherländer nicht berücksichtigen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und Abgeordneten der SPD.)

    Meine Damen und Herren, dies ist keine Drohung, sondern ganz einfach die Aufforderung zu einer echten Gegenseitigkeit oder, wie es in der europäischen Sprache heißt, zum kommunitären Handeln. Die unterschiedliche Verwendung von Drittlandskohle in den einzelnen Industriezweigen der Gemeinschaft — vor allem in der Stahlindustrie — hat bereits zu Wettbewerbsverzerrungen geführt, die das Funktionieren des gemeinsamen Marktes glatt in Frage stellen.
    Die Bundesregierung hat deshalb in der Ministerratssitzung am 7. März 1966 auf die Notwendigkeit eines gemeinsamen Vorgehens in der Kohlepolitik nachdrücklich hingewiesen. Sie hat insbesondere deutlich gemacht, daß es hier um Probleme geht, die nicht nur die kohleproduzierenden Länder angehen, sondern daß es um ein Thema geht, bei dem die Gemeinschaft als Ganzes angesprochen ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Hohe Behörde hat die bestehenden Gefahren klar erkannt und hat diese Linie der Bundesregierung, für viele überraschend, deutlich unterstützt.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Der Präsident der Hohen Behörde, Herr Del Bo, ist bei seiner Beurteilung der Kohlesituation in der Gemeinschaft zu einer ähnlichen Würdigung gekommen. Er hat festgestellt, daß die Kohlesituation in der Gemeinschaft sich so verschärft hat, daß es sich um ein echtes Gemeinschaftsproblem handelt, dessen Lösung einen festen Beitrag aller — aller! — Mitgliedsländer erfordert. Die Hohe Behörde hat daher dem Ministerrat empfohlen, sofort eine gründliche Untersuchung der Lage vorzunehmen, um fest umrissene, nicht aufschiebbare Lösungen zu erarbeiten. Die Bundesregierung hat also mit ihrer Initiative eine neue Verhandlungsphase einleiten können. Wir haben damit auch Resonanz bei unseren Partnern und der Hohen Behörde gefunden. Es ist ein Sonderausschuß eingesetzt worden, der unter Vorsitz der Hohen Behörde schon bis zur nächsten Sitzung des Ministerrates am 3. Mai 1966 eine Analyse der gegebenen Situation, aber auch konkrete Lösungsvorschläge erarbeiten soll.
    Meine Damen und Herren, damit habe ich die gestellten Fragen beantwortet. Die Stellungnahme der Bundesregierung wäre aber unvollständig, wenn sie nicht auf die akuten Probleme einginge. Die Unternehmen des Steinkohlenbergbaues haben angekündigt, daß sie ab sofort Feierschichten einlegen müßten. Man spricht von 18 bis 20 Tagen. Wenn diese Feierschichten wahr werden, entstehen für den Bergmann erhebliche Lohneinbußen. Die Absatzlage der Kohle ist aber so schwierig, daß eine weitere Aufhaldung nicht in Frage kommt. Auf der Suche nach einer Lösung hat sich die Bundesregierung gegenüber der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie und dem Unternehmensverband Ruhrbergbau
    bereit erklärt, dem Bundestag eine vertretbare finanzielle Hilfe vorzuschlagen.
    Von interessierter Seite sind mehrere Vorschläge gemacht worden. Der erste richtet sich auf einen bezahlten zusätzlichen Urlaub. Die Bundesregierung glaubt nicht, hierzu eine finanzielle Unterstützung geben zu können. Der zweite schlägt eine Regelung nach dem Beispiel des Schlechtwettergeldes vor, d. h. wenn die Kohle nicht verkauft werden kann, sollen die Bergarbeiter ähnlich wie die Bauarbeiter bei schlechtem Wetter entlohnt werden. Auch dieser Vorschlag wird von der Bundesregierng nicht akzeptiert. Der dritte Weg, Feierschichten auf die Bundeskasse zu übernehmen, findet wenig Sympathie.
    Dagegen erscheint es der Bundesregierung erwägenswert, einer Anregung der IG Bergbau und Energie zu folgen. Im Bergbau gilt als Arbeitszeitregelung, daß Feiertage am Samstag nachgeholt werden müssen. Dies ist eine an sich sehr vernünftige Regelung. Würde sie dort gelten, wo Arbeitskräfte knapp sind, kämen wir über manche Schwierigkeiten hinweg.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Daß sie aber im Gegensatz dazu ausgerechnet in den Bereichen gilt, wo wir staatlich eine Rücknahme der Produktion unterstützen, erscheint mir nicht ganz sinnvoll. Wer nüchtern die Entwicklung betrachtet, kann sich außerdem ausrechnen, wann diese Sonderregelungen fallen. Es handelt sich um 11 Nachholschichten im Jahre. Wenn man auf sie verzichtete, wäre das Problem der Feierschichten nicht ganz gelöst, aber doch erträglich gestaltet.
    Ich wiederhole: die Bundesregierung wäre bereit, falls die Tarifpartner sich verständigen, dem Hohen Hause eine entsprechende Hilfe vorzuschlagen. Das Land Nordrhein-Westfalen hat erklärt, daß es sich an dieser Hilfe wie an allen anderen Maßnahmen zu einem Drittel beteiligen will. Der Unternehmensverband hat sich aber zu diesem Vorschlag bisher ablehnend geäußert.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Ich möchte es vermeiden, Tariffragen hier im Bundestag anzuschneiden. Ich will darum darauf verzichten, alle Argumente zu behandeln. Bemerkenswert scheint mir der Hinweis zu sein, daß diese Arbeitszeitverkürzung auch diejenigen Zechen treffen würde, die an einer Arbeitszeitverkürzung nicht interessiert sind. Ich kenne die Zahl dieser Zechen, denen es wirtschaftlich gut geht, nicht, und alle Anstrengungen meines Hauses, diese Zahl zu ermitteln, sind bisher erfolglos geblieben.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU und bei der SPD.)

    Aber ich muß wiederholen, daß dieser Hinweis recht bemerkenswert ist.
    Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß die Sozialpartner zu einer befriedigenden Lösung kommen. Sollte dies nicht der Fall sein, so wird die Bundesregierung keinesfalls eine Hilfe für Feierschichten über die Unternehmen leiten, sondern vorschlagen, daß ähnlich der Regelung von 1959 vorgegangen



    Bundesminister Schmücker
    wird und Maßnahmen nur unmittelbar für die Bergarbeiter getroffen werden.
    Alle Beteiligten sollen sich aber darüber im klaren sein, daß auch die Erfüllung des langfristigen Programms von einer befriedigenden Regelung der kurzfristigen Probleme abhängig ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das große Entgegenkommen, das die öffentliche Hand den Arbeitnehmern und den Eigentümern anbietet, ist geknüpft an ein sozial vernünftiges Verhalten aller Beteiligten.

    (Beifall in der Mitte.)

    Ich vertraue darauf, daß die öffentliche Meinung gerade in diesem Punkte wachsam jeden Vorgang beobachtet.
    Bevor ich das energiepolitische Programm noch einmal sehr kurz zusammenfasse, möchte ich noch ein Wort zum Ablauf der Entwicklung sagen. Im Auftrag des Herrn Bundeskanzlers habe ich sogleich nach der Bildung der neuen Bundesregierung mit der Ausarbeitung der Vorschläge zur Festigung der Lage im Steinkohlenbergbau begonnen. Die zuständigen Beamten aller beteiligten Ministerien übernahmen eine Arbeitslast, die weit über das Maß ihrer dienstlichen Pflichten hinausgeht, und sie lösten ihre Aufgaben in bestmöglicher Form. Ich habe mich bemüht, in der Gesamtwirtschaft die Bereitschaft zur solidarischen Hilfe zu stärken, und dies ist einschließlich derjenigen Bereiche gelungen, die mit der Kohle in Konkurrenz stehen. Natürlich können schneller Berichte geschrieben, Forderungen erhoben und Protestaktionen organisiert werden, als man positive Maßnahmen erarbeiten und absichern kann. Einen Wettlauf dieser Art kann eine verantwortungsbewußte Regierung niemals gewinnen. Der auf die Sache ausgerichtete Beobachter sollte dies bedenken; er sollte es bedenken bei der Beurteilung dessen, was heute die Bundesregierung mitteilt, und er sollte es auch in Rechnung stellen bei der Meinungsbildung über alles, was an Nachrichten über das Problem des Steinkohlenbergbaus, insbesondere aus dem Ruhrgebiet, gebracht wird. Er sollte es auch bedenken bei der oft genauso heftigen Reaktion in den revierfernen Gebieten, denen das Ausmaß der dem Steinkohlenbergbau zur Verfügung gestellten Hilfe sehr leicht zuviel wird.
    Diese Debatte muß ohne Rücksicht auf Drohungen und Verlockungen geführt werden. Wenn sie dicht vor den Wahlen in Nordrhein-Westfalen liegt, ist das kein Grund, unangenehme Dinge zu verschweigen oder harte Konsequenzen zu vertagen. Ich wehre mich gegen die Verdächtigung, jede Regierung sei nach Zeiten eines Desinteresses vor Wahlen wieder geneigt, mit neuen Versprechungen zu kommen. Die Logik dieser Verdächtigung ist zu kurz, um ernst genommen zu werden. Alle Parteien sollten sich gegen eine derartige Taktik, die gegen sie insgesamt gerichtet ist, zur Wehr setzen, und wenn sie das schon nicht tun, sollten sie sich auf ein solches Spiel wenigstens nicht einlassen.
    Leider ist es wahr, daß schwerwiegende Maßnahmen mit hohen Kosten sich nur bei einem gewissen Grad der Anspannung der Lage durchsetzen lassen. Die Unzulänglichkeit zu überwinden, ist eine wichtige Sache der gemeinsamen Politik. Was wir heute in der Kohle erleben, ist ein Akt der Modernisierung der Wirtschaft. Diese Modernisierung bringt hundertfache Vorteile, aber sie ist nicht frei von Erschütterungen. Wir können den Ablauf mildern, aber verhindern können wir ihn nicht. Darum sollten wir es auch nicht versuchen. Wer solches von einer Regierung verlangt, muß um eines vermeintlichen Vorteils willen wichtige Gesetze, nämlich Freiheit und wirtschaftliches Wachstum, in Gefahr bringen. Man kann in der sozialen Marktwirtschaft, wenn man ihre Freiheit will, nicht dann nach der Regierung rufen, wenn es nicht administrativ, sondern unternehmerisch und gewerkschaftlich um Kernfragen geht.
    Diese Regierung jedenfalls meint es ernst mit ihrer marktwirtschaftlichen Konzeption. Sie gibt jede Hilfe, aber sie greift nicht über in die ureigenen Zuständigkeiten von Unternehmen und Gewerkschaften. Sie wird das nicht tun, auch wenn es noch so laut oder noch so harmlos gefordert werden sollte. Sie erwartet, daß alle bei dem hohen Maß an Hilfe, das sie erhalten, sich ihrer eigenen Funktion bewußt bleiben und diese auch voll wahrnehmen. Darauf haben die in der Kohle arbeitenden Menschen einen Anspruch. Das müssen aber auch alle diejenigen in gleicher Weise erwarten, die —angehalten von der Bundesregierung oder gezwungen durch Gesetz — für die Kohle Geld geben oder Verzichte leisten. Hier geht es um eine Gemeinschaftslösung, bei der jeder an seinem Platze das Bestmögliche tun muß. Die Bundesregierung erklärt, daß sie bereit ist, auf der Basis der Gegenseitigkeit auch in Zukunft weiterzuarbeiten.
    Ich habe bei der Beantwortung der Großen Anfrage das energiepolitische Programm der Bundesregierung dargestellt. Ich fasse es in Stichworten zusammen. Es handelt sich um folgende Punkte:
    1. Die Verbesserung der Maßnahmen für die soziale Sicherung der Bergarbeiter,
    2. die Gewährung einer Stillegungsprämie zur geordneten Anpassung der Förderung an die Absatzverhältnisse,
    3. in Verbindung damit die Gründung einer Aktionsgemeinschaft, um die Bemühungen um die Umstrukturierung, insbesondere des Ruhrgebiets und .des Saarlands, zu intensivieren,
    4. eine zusätzliche Stabilisierung des Absatzes der Steinkohle im Elektrizitätsbereich mit dem Ziel, den gegenwärtigen Steinkohlenanteil zu halten,
    5. eine Verbesserung der verwaltungsmäßigen Handhabung der Selbstbeschränkung bei der Ausweitung des Heizölabsatzes,
    6. die Initiative für eine europäische Lösung des Kohleproblems,
    7. ein Rohrleitungsgesetz für Mineralöl- und Erdgasleitungen.



    Bundesminister Schmücker
    Ich habe zu Beginn der Beantwortung der Großen Anfrage deutlich gemacht, daß man nicht Maßnahmen zur Verbesserung der Situation unseres Steinkohlenbergbaus vorschlagen kann, wenn man nicht gleichzeitig darauf hinweist, daß diese Maßnahmen Geld kosten und Verzichte verlangen. Die Bundesregierung hat deshalb beschlossen, dem Parlament vorzuschlagen, die für die Zeit vom 1. Mai 1967 bis zum 30. April 1969 vorgesehene Degression der Heizölsteuer zu beseitigen und die Geltung des Heizölsteuergesetzes um zwei Jahre zu verlängern. Aus der Beseitigung der Steuerdegression allein sind Mehreinnahmen für den Bundeshaushalt in der Größenordnung von 800 Millionen DM zu erwarten. Das gesamte Mehraufkommen wird auf über 2,5 Milliarden DM geschätzt.
    Die Gesetzesvorlage im sozialen Bereich ist dem Bundesrat bereits zugeleitet. Die Gesetzesvorlagen zum Kohleeinsatz in der Elektrizitätswirtschaft sowie zur Heizölsteuer sind von der Bundesregierung gestern verabschiedet worden. Die Bundesregierung glaubt, daß mit diesem Programm eine Konsolidierung unseres Energiemarktes und insbesondere der Lage im Steinkohlenbergbau möglich ist. Wir wissen, daß das nicht von heute auf morgen geht, weil es kein Patentrezept für die Lösung derartiger Fragen gibt. Wir wissen auch, daß die Anstrengungen aller Beteiligten notwendig sind, um die Programme zum Erfolg zu bringen. Vom Steinkohlenbergbau erwartet die Bundesregierung, daß er sich auf die so gesetzten energiepolitischen Daten unternehmerisch einrichtet, seine Förderung den danach gegebenen Absatzchancen anpaßt und das Programm voll unterstützt.
    Mein Wunsch an diese Debatte ist es, daß sie sich möglichst konkret mit diesen Vorschlägen auseinandersetzt und daß man dabei den beiden Realitäten des Energieproblems — den Strukturschwierigkeiten unseres Steinkohlenbergbaus und der Notwendigkeit der Versorgung unserer Wirtschaft mit billiger Energie — Rechnung trägt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)