Rede von
Dr.
Emmy
Diemer-Nicolaus
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Sehen Sie, das war eben so kurz. Mir war die andere, eingehendere Besprechung, die wir ohne Drucksache hatten, viel besser in Erinnerung.
Wenn wir nun zunächst diese materiellen strafrechtlichen Bestimmungen reformiert haben, sollten wir überlegen, ob nicht wenigstens einige Bestimmungen unseres Strafverfahrensrechts vordringlich geändert werden müssen. Ich denke hier besonders an den „geheimen Zeugen". Ich denke weiter an die Alleinzuständigkeit des Bundesgerichtshofs bei schweren politischen Straftaten. Wir haben diese Frage in unserer Anfrage angeschnitten. Mit Ihrer Antwort, Herr Bundesjustizminister — das dürfen Sie mir nicht übelnehmen —, kann ich mich nicht zufriedengeben. Eine Verschiebung dieser Reform bis zur Verabschiedung der großen Strafverfahrensreform — hoffentlich ist es bis dahin so weit, daß wir weitere Staatsschutzbestimumngen überhaupt nicht mehr brauchen — sieht mir doch zu sehr nach einer Verschiebung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag aus.
Sie hatten auf eine Denkschrift aus dem Jahre 1951 hingewiesen. Ich gehörte damals dem Hohen Hause nicht an. In dieser Denkschrift wurde schon um diese Probleme gerungen. Ich muß mir die Denkschrift erst besorgen. In den Weihnachtsferien konnte ich sie zu Hause natürlich nicht erhalten.
Sie sagten selbst, in der Antwort auf unsere Kleine Anfrage, daß darin verschiedene Lösungsvorschläge aufgezeigt waren. Wir sollten sie uns, um in allen Verfahren zu einer zweiten Instanz zu kommen, sehr genau überlegen und sollten sehr genau überprüfen, ob wir eine Verfahrensreform nicht im Anschluß an die materielle Reform vornehmen sollten.
Ich habe gesagt, man müsse aus dem Strafbaren zuerst einmal alles aussondern, was strafrechtlich nicht unbedingt notwendig ist. Soweit danach Strafbestimmungen übrigbleiben oder -bleiben müssen, muß eine Präzisierung nach dem Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 GG vorgenommen werden.
Ich teile aber die Auffassung, die seitens der Regierung und von Herrn Kollegen Dr. Wörner geäußert wurde, daß trotzdem infolge unserer politischen
Situation Fälle bleiben, bei denen wir um eine Lockerung des Verfolgungszwangs wohl nicht herumkommen können. Es wird sich dadurch, daß zuerst die Einschränkung erfolgt, nur um einen ganz kleinen Kreis handeln. Wir werden uns im Ausschuß sehr eingehend darüber unterhalten müssen.
Ich muß Ihnen ganz ehrlich gestehen: Ich habe mich sehr schwer zu dieser Erkenntnis durchgerungen. Ich habe mich aber leider dazu durchringen müssen. Es war für mich nämlich einer der Grundsätze, die ich noch aus dem Studium kannte, daß das Legalitätsprinzip eng verbunden sei mit dem Rechtsstaatsprinzip.
Aber, meine Damen und Herren, Herr Kollege Wörner hat darauf hingewiesen, daß der absolute Verfolgungszwang auch in staatsschutzstrafrechtlichen Verfahren tatsächlich nur in Deutschland, in Osterreich und der Türkei besteht. Ich kann Ländern wie der Schweiz und England deshalb nicht die Rechtsstaatlichkeit absprechen, weil sie nicht diesen absoluten Verfolgungszwang haben. Worauf es ankommt, ist, daß eine richtige Lösung gefunden wird, indem man einen ganz eng begrenzten Kreis von Straftaten erfaßt, und die Entscheidung hierüber durch eine Stelle erfolgt, die politisch verantwortlich ist.
Das sind die Grundsätze, nach denen wir Freien Demokraten bei den Beratungen im Sonderausschuß „Strafrecht" an die Reform herangehen wollen. Über die Einzelheiten, wie die Beratungen stattfinden, werden wir uns morgen früh im Ausschuß eingehend unterhalten.
Uns liegt daran, mit dieser Reform in einer Novelle möglichst bald eine Anpassung auch dieser staatsschutzrechtlichen Bestimmungen an unsere Außenpolitik erreichen. Uns liegt daran, daß überall die Grundrechte beachtet werden, daß gerade Art. 5, der die Meinungs- und Pressefreiheit garantiert, in vollem Umfang zum Zuge kommt. Uns liegt daran, alle Barrieren auch auf rechtlichem Gebiet zu beseitigen, die menschlichen Begegnungen von Deutschen im Westen mit Deutschen in der sowjetisch besetzten Zone auf kulturellem, sportlichem und politischem Gebiet entgegenstehen.