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    1. tocInhaltsverzeichnis
      Deutscher Bundestag 14. Sitzung Bonn, den 13. Januar 1966 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung . . . . . 529 A Überweisung von Vorlagen . . . . . . 529 A Wahl der Schriftführer (Drucksache V/87) . 529 C Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen über die Dreiunddreißigste, Fünfunddreißigste, Sechsunddreißigste, Achtunddreißigste und Neununddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 (Drucksachen V/15, V/44, V/45, V/22, V/23, V/177) . . 529 D Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen über die Vierunddreißigste und Siebenunddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 (Drucksachen V/43, V/46, V/178) 530 A Fragestunde (Drucksache V/161) Frage des Abg. Schmitt-Vockenhausen: Zahlen über die Haushaltslage der Län- der 530 C Fragen des Abg. Dr. Wörner: Umstellung des Schuljahres Dr. Ernst, Staatssekretär . . . . . 530 D Dr. Wörner (CDU/CSU) . . . . . 530 D Fragen des Abg. Josten: Taubstumme schulpflichtige Kinder . . 531 A Frage des Abg. Dorn: Panorama-Sendung vom 13. 12. 1965 . 531 B Fragen des Abg. Bühling: Ausübung von Verwaltungsaufgaben durch Richter 531 B Frage des Abg. Haehser: Munitionslager der französischen Stationierungsstreitkräfte bei Hasborn Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . . 531 D Haehser (SPD) . . . . . . . . . 531 D Holkenbrink (CDU/CSU) . . . . . 532 A Frage des Abg. Genscher: Reichsabgabenordnung 532 C Fragen des Abg. Weigl: Kostenersatz für die Stadt Eschenbach (Oberpfalz) Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . . 532 C Frage des Abg. Dröscher: Finanzhilfe des Bundes in Katastrophenfallen Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . 533 A Dröscher (SPD) 533 A II Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Januar 1966 Frage des Abg. Felder: Bewertung von Trunkenheitsdelikten und Fahrerflucht bei Kraftfahrzeugunfällen Dr. Jaeger, Bundesminister . . . . 533 C Felder (SPD) . . . . . . . . . 533 D Fellermaier (SPD) . . . . . . 534 C Opitz (FDP) 534 D Dröscher (SPD) 535 A Frage des Abg. Sanger: Wettbewerbsverhältnisse bei Presse, Rundfunk, Film und Fernsehen Dr. Neef, Staatssekretär . . . . 535 B Sänger (SPD) 535 C Frage des Abg. Haase (Kassel) : Schädigung der tabakverarbeitenden Industrie durch das Einfuhrverbot für rhodesische Tabake Dr. Neef, Staatssekretär . . . . . 535 D Frage des Abg. Haase (Kassel) : Exportverluste der deutschen Wirtschaft infolge Boykotts deutscher Waren durch Rhodesien Dr. Neef, Staatssekretär . . . . . 536 A Haase (Kassel) (CDU/CSU) . . . . 536 A Frage des Abg. Langebeck: Unterschiede bezüglich elektrotechnischer Sicherheit zwischen Stadt und Land Dr. Neef, Staatssekretär . . . . 536 B Langebeck (SPD) 536 B Frage des Abg. Langebeck: Energiewirtschaftsgesetz Dr. Neef, Staatssekretär . . . . . 537 A Langebeck (SPD) . . . . . . . . 537 B Fragen des Abg. Opitz: Fortführung der Bauarbeiten im Winter Katzer, Bundesminister . . . . 537 C Opitz (FDP) 538 A Gerlach (SPD) 538 B Frage des Abg. Weigl: Versicherungspflichtgrenzen Katzer, Bundesminister 538 D Weigl (CDU/CSU) 539 A Frage des Abg. Dr. Marx (Kaiserslautern) : Verteidigungsetat der Sowjetunion . . 539 A Frage des Abg. Dr. Tamblé: Heizungskostenzuschüsse 539 B Frage des Abg. Dr. Hamm (Kaiserslautern) : Gesunderhaltung und körperliche Ertüchtigung der Jugend Gumbel, Staatssekretär 539 B Dr. Hamm (Kaiserslautern) (FDP) . 539 C Frage des Abg. Felder: Warnleuchten für marschierende Bundeswehrtrupps bei Nacht Gumbel, Staatssekretär 539 D Felder (SPD) 540 A Frage des Abg. Felder: Strafsache des Luftwaffen-Oberleutnants Manfred Jurgan Gumbel, Staatssekretär 540 B Felder (SPD) 540 C Frage des Abg. Josten: Gesundheitsbefund der Musterungsuntersuchungen zur Bundeswehr . . . 540 D Fragen des Abg. Lemmrich: Militärflughafen Neuburg — Absiedlung in der Gemeinde Zell Gumbel, Staatssekretär 540 D Lemmrich (CDU/CSU) 541 C Frage des Abg. Dröscher: Gefahren bei Überfliegen der Grenzen des eigenen Landes und der NATO-Partner Gumbel, Staatssekretär 542 C Dröscher (SPD) . . . . . . . 542 D Fragen des Abg. Dr. Huys: Eisenbahnstrecke Wittingen—Rühen . . 543 B Frage des Abg. Ramms: Fest- und Margentarife für die Binnenschiffahrt im innerdeutschen Verkehr Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 543 D Frage der Abg. Frau Funcke: Verkehrsunfallhilfe des ADAC Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 544 A Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Januar 1966 III Fragen der Abg. Eisenmann und Dröscher: Zwischenuntersuchungen durch KfzHandwerksstätten Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 544 A Genscher (FDP) . . . . . . . 544 B Dröscher (SPD) 544 D Sammelübersicht 1 des Petitionsausschusses über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen und systematische Ubersicht über die Zeit vom 17. 10. 1961 bis 17. 10. 1965 (Drucksache V/132) 545 B Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung (SPD) (Drucksache V/170) — Erste Beratung — Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) . . 545 C Entwurf eines Strafgesetzbuches (Abg. Frau Dr. Diemer-Nicolaus, Dr. h. c. Güde, Dr. Dehler, Dr. Wilhelmi u. Gen.) (Drucksache V/32) — Erste Beratung — Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) . . 545 D Dr. Jaeger, Bundesminister . . . . 552 A Dr. h. c. Güde (CDU/CSU) . . . . 557 B Dr. Müller-Emmert (SPD) . . . . . 563 D Schlee (CDU/CSU) . . . . . . . 569 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches (SPD) (Drucksache V/102) — Erste Beratung — Dr. Dr. Heinemann (SPD) . . . . . 573 B Dr. Jaeger, Bundesminister . . . . 577 C Dr. Worner (CDU/CSU) . . . . . 583 B Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) . . 585 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Dritten Überleitungsgesetzes (Abg. Rollmann, Hauser [Bad Godesberg], Dr. Hammans, Dr. Klepsch u. Gen.) (Drucksache V/70) — Erste Beratung — 588 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung (Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal], Bading, Dr. Hamm [Kaiserslautern] u. Gen.) (Drucksache V/81) — Erste Beratung — Dr. Hamm (Kaiserslautern) (FDP) . . 589 A Frau Dr. Hubert (SPD) 589 B Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 3. März 1964 mit der Republik der Philippinen über die Förderung und den Schutz von Kapitalanlagen (Drucksache V/140) — Erste Beratung — 589 C Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Juli 1962 mit Regierung des Staates Israel zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Einkommen und bei der Gewerbesteuer (Drucksache V/142) — Erste Beratung — 589 D Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 17. Dezember 1962 über die Haftung der Gastwirte für die von ihren Gästen eingebrachten Sachen (Drucksache V/146) — Erste Beratung — 589 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Einbringung von Sachen bei Gastwirten (Drucksache V/147) — Erste Beratung — 589 D Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung einer Teilfläche der ehem. Herwarth-von-Bittenfeld-Kaserne in Münster (Westfalen) an die Stadt Münster (Drucksache V/82) 590 A Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung einer Teilfläche des Grundstücks in Berlin-Kreuzberg, Mehringdamm 20-30, Ecke Obentrautstraße 1-21, an das Land Berlin (Drucksache V/134) 590 A Einundvierzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 (Drucksache V/139) . . . . . . . . . . 590 C Nächste Sitzung 590 C Anlage 591 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Januar 1966 529 14. Sitzung Bonn, den 13. Januar 1966 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr
    2. folderAnlagen
      Berichtigung Es ist zu lesen: 13. Sitzung Seite 512 A Zeile 3 von unten statt „des Ministerrats" : der Kommission Anlage zum Stenographischen Bericht Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Beurlaubungen Dr. Abelein 14. 1. Adorno 14. 1. Bading * 14. 1. Bauer (Wasserburg) 14. 1. Berger 14. 1. Frau Berger-Heise 18. 2. Berlin 19. 2. Dr. Birrenbach 14. 1. Burger 10. 4. Frau Blohm 14. 1. Dr. Dehler 14. 1. Dr. Effertz 13. 1. Eisenmann 14. 1. Erler 15. 2. Faller 14. 1. Frau Funcke 14. 1. Dr. Furler * 13. 1. Dr. Hesberg 13. 1. Hirsch 15. 1. Illerhaus * 13. 1. Dr. Jahn-Braunschweig 14. 1. Josten 19.2. Junghans '7. 2. Kaffka 14. 1. Kahn-Ackermann 13. 1. Kiep 20. 1. Krammig 15. 1. Frau Krappe 28. 2. Frau Dr. Krips 22. 1. Kuntscher 14. 1. Leber 14. 1. Dr. Lenz (Bergstraße) 15. 1. Majonica 22. 1. Mauk * 14. 1. Merten * 13. 1. Metzger * 14. 1. Michels 13. 1. Missbach 14. 1. Moersch 13. 1. Dr. Morgenstern 28. 1. Orgaß 14. 1. Frau Pitz-Savelsberg 21.1. Rasner 13. 1. Frau Schanzenbach 3. 2. Schlager 14. 1. Dr. Stecker 13. 1. Frau Strobel* 13. 1. Dr. Frhr. v. Vittinghoff-Schell 18. 1. * Für die Teilnahme an einer Ausschuß-Sitzung des Europäischen Parlaments
    • insert_commentVorherige Rede als Kontext
      Rede von Dr. Gustav W. Heinemann


      • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
      • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

      Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Gesetzentwurf Drucksache V/102 zielt auf eine Reform des politischen Strafrechts ab. Dieses politische Strafrecht ist sehr jungen Datums, nämlich von 1951. Selten hat aber eine Materie so schnell ein so intensives und allgemeines Unbehagen ausgelöst wie dieses politische Strafrecht von 1951. Dieses Unbehagen rührt nicht daher, daß es überhaupt einen strafrechtlichen Staats- und Freiheitsschutz gibt. Der ist in gutem Rahmen notwendig und wird jederzeit auch unsere positive Mitarbeit finden. Das Unbehagen an dem Strafrecht, so wie es 1951 formuliert worden ist, liegt begründet in den Übertreibungen, in den ungenauen Formulierungen und auch in der Handhabung. Man hat darüber gestritten, ob der Gesetzgeber oder die Justiz mehr schuldig sei an dem Unbehagen, das wir alle bei dieser Materie empfinden. Nun, ich bin der Meinung, daß überwiegend wohl der Gesetzgeber derjenige ist, der hier, wenn es um Verantwortung gehen soll, anzusprechen wäre.
      Unbestreitbar ist doch z. B. die Übertreibung des § 94, die als zu Lasten des Gesetzgebers gehend angesehen werden muß. Durch diesen § 94 werden die Strafrahmen einer Vielzahl von allgemeinen Delikten einfach erhöht, wenn diese Delikte aus verfassungsfeindlicher Absicht begangen worden sind. Infolgedessen rechnen zu den mit Zuchthaus bedrohten Verbrechen nun auch leichte Körperverletzungen oder eine Sachbeschädigung wie etwa unerlaubtes Plakatieren, wenn eine verfassungsfeindliche Absicht darin zum Ausdruck kommt. Das hat zur Folge, daß auch wegen Geringfügigkeit nicht eingestellt werden kann und daß die Voraussetzungen für den Haftbefehl erleichtert sind.
      Unbestreitbar kommt die Übertreibung des § 100 d Abs. 2 zu Lasten des Gesetzgebers. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung, verehrte Damen und Herren, kann jeder Angehörige der SED oder einer anderen politischen Organisation in der DDR schon wegen seiner Mitgliedschaft strafbar werden, wenn er hier in der Bundesrepublik auftaucht; er braucht sich hier überhaupt nicht zu betätigen. Mit anderen Worten, jeder Rentner, der hier auf Besuch kommt, aber drüben Mitglied der SED ist, wäre nach dem Wortlaut des § 100 d Abs. 2 strafbar, wenn hier nicht die Justiz, nämlich der Bundesgerichtshof, schon korrigierend eingegriffen hätte, indem er gegen den Wortlaut des Gesetzes gesagt hat, daß das doch eigentlich wohl nicht gewollt sein konnte.
      Zu Lasten des Gesetzgebers geht auch der § 93, in dem von den staatsgefährdenden Schriften die Rede ist. Er kollidiert weithin mit der Informationsfreiheit, also mit einem Grundrecht. Wir erinnern uns daran, daß der einmal diskutierte Zeitungsaustausch sich in den Maschen dieses § 93 verfing und daß Dokumentationen auf strafrechtliche Schwierigkeiten stoßen. Als der amtierende verehrte Bundestagspräsident Dr. Gerstenmaier den 4. Bundestag 1961 eröffnete, erinnerte er daran, daß zur gleichen Zeit ein Parteitag der russischen Kommunistischen Partei im Kreml tagte, und er meinte, wir sollten doch beobachten und zur Kenntnis nehmen, was auf jenem Parteitag in Moskau herauskommen würde; er empfahl das Studium dessen, was dort produziert würde. Nun, verehrte Damen und Herren, als ein Düsseldorfer Verlag alsbald darauf das neue sowjetisch-kommunistische Parteiprogramm und die offiziellen Reden Chruschtschows, die auf diesem Parteitag gehalten worden waren, in Drucksache zur Verfügung stellte, verfing sich dieser Verlag in den Maschen des § 93, er kriegte ein Strafverfahren an den Hals, Haussuchungen fanden statt. Hier muß also doch offenbar sauberer abgegrenzt werden.



      Dr. Dr. Heinemann
      Zu Lasten des Gesetzgebers geht auch der § 92, in dem von dem verfassungsfeindlichen Nachrichtendienst die Rede ist. Die hier in Bonn von Korrespondenten offen ausgeübte journalistische Tätigkeit für Zeitungen im Osten, sei es Ost-Berlin, sei es Warschau, sei es Moskau, kann mit dem § 92 als verfassungsfeindlicher Nachrichtendienst attackiert werden. Nun, es ist klar, welchen Gegenmaßnahmen wir uns damit aussetzen würden.
      Zu Lasten des Gesetzgebers gingen auch die Übertreibungen in § 90 a und in § 129, die das Bundesverfassungsgericht mittlerweile korrigieren mußte. Nach § 90 a Abs. 3 war es so, daß ein früheres Mitglied der Kommunistischen Partei für eine normale Betätigung in dieser Partei, die bis zum Verbot stattgefunden hatte, nach dem Verbot, also rückwirkend bestraft werden konnte. Das hat das Bundesverfassungsgericht im März 1961 für unzulässig erklärt.
      Oder: Der § 129, der in neuer Fassung 1951 ins Gesetz kam, will die kriminellen Untergrundorganisationen treffen, die altberühmten oder -berüchtigten Berliner Ringvereine „Immertreu" und wie sie alle so schön hießen. Aber nach dem Wortlaut des § 129 ist auch die gesamte Mitgliedschaft der ehemaligen KPD strafbar, auch ohne kriminelle Betätigung des einzelnen, nur weil man der Organisation, also der Partei, irgendwelche strafbaren Handlungen wie z. B. politische Beleidigungen anlasten konnte. Das Bundesverfassungsgericht hat im Oktober 1963 daraufhin entschieden, daß politische Parteien nicht unter den § 129 gerechnet werden dürfen.
      Das sind einige Beispiele dafür, daß der Gesetzgeber 1951 eine schlechte Grundlage schuf. Aber nun hat natürlich auch die Justiz noch manches Unvernünftige hinzugefügt, immerhin allerdings auf der Grundlage des Gesetzes. Was ist nicht alles als Ersatzorganisation der KPD angesprochen worden! In einer Anklageschrift einer Staatsanwaltschaft steht schmucklos und einfach zu lesen, daß der Deutschland-Sender in Ostberlin Ersatzorganisation der KPD sei.
      Oder was ist nicht alles als verfassungsfeindlicher Nachrichtendienst betrachtet worden! Wenn ein Funktionär aus Ostberlin in den Westen herüberkommt, um jemand zu besuchen — einen Gewerkschaftler, ein Betriebsratsmitglied, einen Politiker —, und nach Hause zurückmelden soll, ob er empfangen worden ist, dann ist das verfassungsfeindlicher Nachrichtendienst. Oder wenn ein Brief hier abgegeben und nach drüben zurückberichtet werden soll, ob der Brief angenommen worden ist, dann ist das verfassungsfeindlicher Nachrichtendienst. Denken Sie an den Vorgang beim Kongreß des DGB, wo man diesen Briefträger im übrigen freundlich zur Tür hinauskomplimentierte, ehe er den Brief abgab; aber er wurde deswegen belangt. Oder verfassungsfeindlicher Nachrichtendienst sollte auch die Bekanntgabe der Personalien von Kindern sein, die in einem Transport im Sonderzug der Bundesbahn in die DDR in ein Ferienlager hinüberfuhren. — Auch die Justiz hat also manches an Übertreibungen hinzugefügt.
      Verehrte Damen und Herren, ich denke, daß diese wenigen Hinweise genügen, um die Reformbedürftigkeit des politischen Strafrechts zu begründen. Die Praktiker aller Sparten, die mit diesem politischen Strafrecht zu tun haben, haben schon früh und vielfältig ihre kritische Stimme dagegen erhoben.
      Aus dem Bereich der Staatsanwaltschaft nenne ich Herrn Dr. Güde, der überhaupt einer der ersten war, die dieses politische Strafrecht attackierten, und der 1957 in einer Broschüre über die „Probleme des politischen Strafrechts" einiges aufhellte, was immer noch lesenswert ist. Er beklagte insbesondere die riesige Variationsbreite vieler der Bestimmungen und sagte in seiner Broschüre von 1957 u. a. wörtlich: „Eine Durchführung aller Verfahren, die nach dem derzeitigen Recht möglich wären, würde die Staatsanwaltschaften und die Gerichte ersticken."
      Naheliegend ist, daß besonders viele Einwände aus der Rechtsanwaltschaft kamen. Ich nenne hier nur die eine Stimme des sehr erfahrenen Strafverteidigers Dr. Posser , der 1961 in einer genau belegten Darstellung die „Politische Strafjustiz aus der Sicht der Verteidiger" kritisierte und sie vieler Unklarheiten, Unhaltbarkeiten und Unmöglichkeiten überführte.
      Aus der Richterschaft nenne ich den Bundesrichter Wilms, der selber lange Zeit dem politischen 3. Strafsenat angehörte und 1962 eine Broschüre „Staatsschutz im Geiste der Verfassung" herausgab, die ebenfalls vielfältige Kritik an dieser Materie übt.
      Aber, verehrte Damen und Herren, all diese und viele andere Kritik brachte nichts in Bewegung. Es mußten erst noch einige besonders aufrüttelnde Fälle passieren, um die Kritik vollends laut werden zu lassen. Und hinterher ist dann bis jetzt immer noch nichts passiert. Dazu gehört vor allen Dingen der „Spiegel"-Fall von 1962, hier speziell unter dem Gesichtspunkt, ob die journalistische Erörterung militärischer Fragen Landesverrat werden kann. § 99 in der derzeitigen Fassung wirft bekanntlich alles in einen Topf, die Spionage zwecks Begünstigung einer fremden Macht mit der publizistischen Preisgabe von Staatsgeheimnissen aus Fahrlässigkeit.
      1963 passierte der aufregende Graßnick-Fall, der Fall des Chefredakteurs des Ostberliner Rundfunks Dr. Graßnick, der gelegentlich eines Aufenthalts hier in der Bundesrepublik verhaftet wurde. Ihm wurde vorgeworfen Fortsetzung der KPD, Geheimbündelei und staatsgefährdenden Nachrichtendienst betrieben zu haben und Rädelsführer einer verfassungsfeindlichen Vereinigung zu sein, alles das mit seinem Ostberliner Sender. Nun, die Bundesregierung sah sich damals in beträchtliche Bedrängnisse versetzt ob der Komplikationen, die über diesem Fall Graßnick heraufzogen und sich insbesondere an der Sektorengrenze in Berlin schon zu reichlich dramatischen Entwicklungen steigerten. Auf nichts war man so gespannt, auch hier bei der Regierung in Bonn, wie darauf, ob die Justiz diesen Mann noch gerade rechtzeitig freigeben werde, um all diese Repressalien abzuwenden, die sich damals abzeichneten. Man hat damals hinsichtlich des Falles Graßnick der Justiz viele Vorwürfe erhoben; es



      Dr. Dr. Heinemann
      sei unvernünftig gewesen, diesen Mann zu verhaften. Nun, ich habe damals schon gesagt: die Justiz ist nicht die richtige Adresse, an die Vorwürfe gerichtet werden könnten. Die richtige Adresse ist der Gesetzgeber; der muß endlich seine Gesetzgebung von 1951 bereinigen.
      1964 machte der Braunschweiger Fall Aufsehen. Da kamen einige Beauftragte aus Ostberlin hier herüber, um Einladungen zu einem Pfingsttreffen der FDJ zu überbringen und nach Hause zu melden, wie die Adressaten hier auf diese Einladungen reagiert hätten. Sie wurden wegen versuchten staatsgefährdenden Nachrichtendienstes verhaftet und angeklagt, und dann stellte das Braunschweiger Landgericht das Verfahren wegen Geringfügigkeit ein. Damit blieb also völlig offen, ob jene Leute einreisen durften. Damit blieb völlig offen, ob die Grenzbeamten der Bundesrepublik ihre Pflicht verletzt hatten, als sie diese Leute einreisen ließen, die von vornherein beim Grenzübergang gesagt hatten, weshalb sie kamen, was sie in der Tasche hatten und wie sie hinwollten.
      Was soll also alles Gerede von innerdeutschen Beziehungen, wenn ein so simpler Vorgang wie der in Braunschweig im Ungewissen hängen bleibt, im Ungewissen, ob nun etwas Strafbares geschah oder nicht geschah? Verehrte Damen und Herren, die Ostberliner Machthaber können ja je nach Bedarf einen hohen Funktionär wie Graßnick oder kleine Marschierer von der FDJ jederzeit in die fragwürdigen Maschen unseres politischen Strafrechts hineinschicken. Solange sie sich dann hier darin verfangen und festgehalten werden, kann man drüben riesige Protestveranstaltungen machen. Kommt dann der Betreffende hier aus dem Gefängnis heraus, dann kann man das als einen Sieg der kommunistischen Solidarität, als eine Niederlage der Revanchisten in der Bundesrepublik deklarieren. So einfach machen wir das denen da drüben,

      (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

      indem wir hier mit Bestimmungen umgehen, die wir selber für fragwürdig halten. Wir machen der Justiz Vorwürfe, wenn sie sie anwendet, statt daran zu denken, daß wir als Gesetzgeber gerufen sind, hier endlich Ordnung zu schaffen.

      (Erneuter Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

      Auch die Bundesregierung kennt längst die Mängel dieses politischen Strafrechts. Nicht erst jetzt mit dem in diesem 5. Bundestag wieder produzierten Entwurf zum Strafrecht kommt das auf. Im 4. Bundestag kam es auf, und im 3. Bundestag kam es auf. In der Begründung der Regierung zu der ersten Fassung des Entwurfs eines neuen Strafgesetzbuches von 1960 lasen wir bereits, daß die Normen über die Staatsgefährdung auf Grund der Erfahrungen erheblich eingeschränkt werden müßten. Das war schon 1960 die Erkenntnis der Bundesregierung.
      Der Gesamtdeutsche Ausschuß dieses Parlaments hatte Anlaß, sich mit der Materie zu befassen, das Kuratorium Unteilbares Deutschland hat es getan, auf Akademien aller Art ist darüber geredet worden.
      Herr Kollege Jahn und ich haben namens der SPD- Fraktion im Sommer 1963 den damals amtierenden Bundesjustizminister, wenn ich so sagen darf, hoch offiziell aufgesucht auf der schönen Rosenburg. Herr Dr. Bucher regierte damals. Wir haben ihm namens der SPD vorgetragen, daß nun endlich etwas geschehen müßte. Der Ertrag war, daß aus dem Bundesjustizministerium im Mai eine sogenannte Formulierungshilfe mit Vorschlägen zur Lockerung des Verfolgungszwanges hervorkam, aber nichts an Vorschlägen für die Bereinigung des materiellen Rechts.
      Jetzt hat Dr. Jaeger als nunmehriger Bundesjustizminister in der Drucksache V/136 an die FDP geantwortet, die da gefragt hatte, wie es denn nun mit dem politischen Strafrecht werden solle:
      Die Bundesregierung beabsichtigt, so bald wie möglich einen Gesetzentwurf zur Erneuerung des Staatsschutzstrafrechts einzubringen. Dieser Entwurf wird auch Vorschläge zur Lockerung des Verfolgungszwanges bei gewissen Staatsschutzdelikten enthalten.
      Nun, was das letzte anlangt, so kennen wir die Handschrift. Man will wieder darauf hinaus, mit der Lockerung des Verfolgungszwanges die Dinge in Ordnung zu bringen. Aber die tröstliche Versicherung — jetzt im 5. Bundestag —, das Bundesjustizministerium oder die Bundesregierung „beabsichtigt, so bald wie möglich" einen Gesetzentwurf zur Änderung des politischen Strafrechts einzubringen, kann uns nicht beruhigen.
      Ich gebe zu, daß mit dem Vereinsgesetz von 1964 einige Verbesserungen am politischen Strafrecht geschaffen worden sind. Damals hat man vor allen Dingen den Umkreis der Organisationsdelikte besser geregelt. Das ist gut. Aber die Gesamtregelung ist bis auf den heutigen Tag ausgeblieben, und wir sollen immer noch auf eine Vorlage der Bundesregierung warten. Nein, verehrte Damen und Herren, jetzt ist eine Vorlage da, unsere Vorlage, — zurückgehend auf das, was ich als Mitglied der damaligen sogenannten Regierungsmannschaft der Sozialdemokratischen Partei schon im Juli vorigen Jahres vorgetragen habe und was in dem Text unserer Vorlage schon damals der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wurde, auch den Behörden der Bundesregierung, den Strafrechtslehrern an den deutschen Universitäten usw. Eine Vorlage ist jetzt da, und über die wollen wir jetzt, so meine ich, miteinander umgehen, um endlich weiterzukommen.
      Zum Inhalt unserer Vorlage brauche ich gar nicht viel zu sagen. Aus der Kritik an dem alten Strafrecht, die ich vorgetragen habe, ergibt sich, daß wir etliches der 51 er-Normen gestrichen sehen wollen, daß wir andere Normen präziser gefaßt sehen wollen. Schöne Lobreden sind hier von meinen Vorrednern darüber gehalten worden, daß die Tatbestände des Strafrechts klar und eindeutig sein müßten, so daß jeder wissen könne, wessen er sich zu versehen hat, wenn er dies oder das tut. Es ist dringend notwendig, endlich nach diesen schönen Grundsätzen zu praktizieren. Beim Landesverrat geht es, jetzt ganz grob gesagt, um die Sonderung eines publizistischen Geheimnisverrats ohne Zusammenspiel mit einer fremden Macht von der Spionage.



      Dr. Dr. Heinemann
      Um mit dem letzten gleich anzufangen, weise ich darauf hin, daß wir auch schon äußerlich die Spionage und das, was wir den publizistischen Landesverrat zu nennen gewohnt sind, in zwei verschiedenen Paragraphen darstellen, in den §§ 99 und 100 unserer Vorlage. Wir haben uns Mühe gegeben, präziser zu definieren, was Staatsgeheimnis sein soll, und sagen:
      Staatsgeheimnisse sind Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die für die Landesverteidigung oder die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu einer fremden Macht von Bedeutung sind und deren Kenntnis auf einen bestimmten Kreis von Kenntnisbefugten beschränkbar und durch Sicherungsmaßnahmen beschränkt ist und die vor dem Mitwissen einer fremden Macht zu schützen im öffentlichen Allgemeininteresse unerläßlich ist.
      Wer solche Staatsgeheimnisse verrät, und zwar zum Nachteil der Bundesrepublik und zur Begünstigung einer fremden Macht, der ist Landesverräter, der treibt Landesverrat mit der Konsequenz, daß er dann, wenn sich eine schwere Schädigung der Bundesrepublik ergibt, nach unseren Vorstellungen mit lebenslangem Zuchthaus bestraft werden kann.
      Verehrte Damen und Herren, wir wollen durch die detaillierte Bestimmung dessen, was Staatsgeheimnis ist, einmal erreichen, daß den Gerichten Maßstäbe für eine eigene Feststellung an die Hand gegeben werden können, ob etwas Staatsgeheimnis ist, damit sie unabhängiger werden von den sogenannten Sachverständigen. Wir lesen gerade heute in den Zeitungen, daß nun ein Sachverständiger für den Bundesgerichtshof in Karlsruhe attestiert haben soll — bitte sehr, ich sage: soll —, daß „Der Spiegel" 1962 mit einem bestimmten Artikel keinen Staatsgeheimnisverrat beging. Der Sachverständige hat also drei oder dreieinhalb Jahre lang daran gearbeitet. Der BGH selbst hat ja in dem, was bis heute im Strafgesetzbuch darüber steht, was ein Staatsgeheimnis sein soll, viel zuwenig Anknüpfungsmomente, viel zuwenig umgrenzende Maßstäbe. Wir also wollen sie mit diesem unserem Vorschlag verfügbar machen. Wir wollen zum zweiten durch diese Begriffsbestimmung auch zu einer klaren Scheidung zwischen Staatsgeheimnis einerseits und bloßem Regierungsgeheimnis andererseits beitragen. Was eine Regierung lediglich der Opposition oder der Bevölkerung gegenüber vertuschen will, das ist kein Staatsgeheimnis.

      (Zustimmung bei der SPD.)

      Staatsgeheimnis kann nur sein, was einer fremden Macht gegenüber aus — wie wir es ausgedrückt haben — öffentlichem Allgemeininteresse nicht Bekanntwerden darf.
      Als Geheimnispreisgabe, wenn Sie so wollen, also als fahrlässige publizistische Geheimnispreisgabe bleibt dann übrig, was wir in § 100 darzustellen uns bemüht haben, also die Aufdeckung eines Staatsgeheimnisses, ohne daß man eine fremde Macht begünstigen wollte oder will, wie das gerade beim journalistischen Handwerk passieren kann.
      Nun aber noch ein besonderes Wort zu Abs. 5 in dem von uns vorgeschlagenen Landesverratsparagraphen. Da sagen wir:
      Staatsgeheimnisse sind nicht Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die zur verfassungsmäßigen Ordnung des Bundes oder eines Landes in Widerspruch stehen.
      Was gegen die Verfassung verstößt, das kann, das darf nicht Staatsgeheimnis sein. Wir legen entscheidenden Wert darauf, daß das im Gesetz deutlich klargestellt wird.
      Verehrte Damen und Herren von den Regierungsparteien, Sie werben sonderlich um Vertrauen für Ihre Notstandsabsichten. Bitte, hier gilt es, einen praktischen Beitrag zu dem Vertrauen zu liefern, das in unserem Volk in bezug auf staatliche Ordnung und Verfassungsfragen bestehen soll. Nehmen Sie bitte nicht das Vertrauen des Volkes für verfassungswidrige Staatsgeheimnisse in Anspruch. Wir wollen keinen neuen Fall „Ossietzky" erleben.

      (Beifall bei der SPD.)

      Aus den alten Staatsgefährdungsbestimmungen von 1951 — wir wollen ja viele davon gestrichen sehen — präsentieren wir neue Formulierungen für die §§ 91 und 92, um eben damit die hier nun schon so oft angesprochene Garantiefunktion des objektiven Strafrechts wiederherzustellen. Insbesondere sollen wertneutrale Handlungen nur bei einer klaren Absicht der Untergrabung unserer Ordnung strafbar sein. Das ist ein dringendes Erfordernis aus der Situation der Spaltung unseres Volkes.
      Im ganzen wollen wir diesem Abschnitt eine andere Überschrift gegeben wissen. Bis jetzt lautet sie: Staatsgefährdung. Das ist gar nicht das Thema, sondern das Thema ist Gefährdung der freiheitlichen Ordnung. Der Staat geht nicht zugrunde über dem, was da unter der bisherigen alten Überschrift behandelt wird. Aber unsere freiheitliche Ordnung könnte zugrunde gehen, und deshalb ist die angemessene Bezeichnung für diesen Teilabschnitt des Strafgesetzbuchs „Gefährdung der freiheitlichen Ordnung". Damit wollen wir der Auslegung dieser Bestimmungen in der Justiz, in der Praxis und wo auch immer eine weisende Hilfe zuteil werden lassen.
      Das ist in großen Zügen der Inhalt unserer Vorlage, die viel Zustimmung bei denen gefunden hat, denen wir sie im vergangenen Halbjahr zugänglich gemacht haben, insbesondere auch bei Lehrern des Strafrechts an Hochschulen. Wir hoffen, daß wir diese Zustimmung auch bei Ihnen finden. Alles einzelne wird natürlich der Ausschuß gründlich unter die Lupe nehmen.
      Lassen Sie mich hier in aller Offenheit eins aussprechen: ich befürchte, daß ein grundsätzlicher Streit die Arbeit an dieser Materie erschweren könnte. Wie gesagt, schon 1964 zeigte das Bundesjustizministerium eine Neigung, dieser Sache durch Auflockerung oder Durchbrechung des Verfolgungszwangs beizukommen, und diese Handschrift kehrt in der Antwort wieder, die Herr Justizminister Dr. Jaeger der FDP in der Drucksache V/136 gibt. Verehrte Damen und Herren, wir wehren uns nach-



      Dr. Dr. Heinemann
      drücklich dagegen, daß mit einer Durchbrechung des Verfolgungszwangs der Staatsanwaltschaften hier sozusagen Luft geschaffen wird.

      (Abg. Jahn Die Bestrafung oder Nichtbestrafung kann nicht, soll nicht nach Maßstäben der politischen Zweckmäßigkeit erfolgen. Das paßt nicht in unsere Ordnung. Wenn die Vergehen gegen die Freiheitsordnung der Bundesrepublik kriminelles Unrecht sein sollen, dann müssen alle Vergehen verfolgt werden. So wie es keine Strafe ohne Gesetz geben darf, so darf es auch keine Straffreiheit bei Verstoß gegen das Gesetz geben. Das verlangt die Gleichheit aller vor dem Gesetz, das verlangt unsere Rechtsüberlieferung, das allein gibt der Exekutive klare Grundlagen. Die Exekutive muß doch handeln können, sie muß schnell handeln können. Sie muß wissen, was sie darf; sie muß wissen, was sie tun soll. Wenn das aber immer erst abhängig gemacht wird von Ermessensentscheidungen — ja nun, man kann sich vielerlei Personen denken, denen man das dann zuschanzen will —, so ist die Exekutive in ihrer Handlungsfähigkeit schwer beeinträchtigt. Wenn wir in einem Bereich von der überkommenen Auflage an die Anklagebehörden abweichen, jegliches Vergehen zu verfolgen, wissen wir nicht, wo das endet. Ich habe vorhin aus der Literatur zum politischen Strafrecht die Broschüre des Bundesrichters Willms unter dem Titel „Staatsschutz im Geiste der Verfassung" von 1962 zitiert und lese jetzt einen Satz daraus wörtlich vor: Nicht in der Aushöhlung der Legalität, — also des Verfolgungszwangs — sondern in der Zurückführung der strafrechtlichen Tatbestände auf jenes Maß, welches die Wahrung des Prinzips der Legalität nicht gefährdet, liegt die Lösung beschlossen, welche den vollen Einklang des Staatsschutzes mit dem Geist der Demokratie und des Rechtsstaates herstellt, Die sozialdemokratische Fraktion steht geschlossen gegen die Auflockerung des Verfolgungszwangs. Wir haben die Hoffnung, daß sich in den Reihen der Regierungsparteien genug Gleichgesinnte finden, um das Bundesjustizministerium wirklich an die Aufgabe heranzuzwingen, das materielle Strafrecht mit uns gemeinsam schnellstens zu verbessern und gar nicht lange darüber zu philosophieren, wie man durch Durchbrechung des Verfolgungszwangs an Fällen wie Graßnick oder ähnlichen künftig vorbeikommen könnte. Diese Arbeit der materiellen Bereinigung muß eingeleitet werden. Die Vorlage ist da. Wir hoffen, daß Sie sich alle beteiligen und nicht ablenken lassen durch Bemühungen in Richtung auf Durchbrechung des Verfolgungszwangs. Wir erwarten, daß der Sonderausschuß „Strafrecht" diese Materie sofort in Angriff nimmt. Sie kann nicht mehr zurückgestellt werden bis zu einem Abschluß der Gesamtreform. Wir wollen auch nicht gewartet wissen, bis das Bundesjustizministerium mit irgendeiner Vorlage demnächst nachkleckern wird. Wir wollen, daß diese Sache auf Grund der Vorlage, die wir hierfür bieten, jetzt angefaßt wird, und wir erwarten, daß der Sonderausschuß „Strafrecht" Sachkenner der Praxis und Lehrer des Strafrechtes anhören wird, um sich zu bestmöglichen Lösungen allseitig helfen zu lassen. Wir haben es hier nicht — und das lassen Sie mich als letztes sagen — mit einem Thema zu tun, das nur die Juristen anginge. Hier geht es um eine Thematik von hohem politischem Rang. Wir sollen und wollen Rechtsstaat sein. Alle unsere Bemühungen um eine staatliche Gemeinschaft unseres ganzen Volkes, um eine gerechte Friedensordnung sind auch Rechtskampf. Das erfordert die Vorbildlichkeit der Rechtsordnung unter uns selbst sowie im Verhältnis zu denen, die unsere freiheitliche Ordnung angreifen. Lassen Sie uns schnell und gründlich ans Werk gehen. Es ist hohe Zeit mittlerweile. Das Wort hat der Bundesminister der Justiz. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Recht des strafrechtlichen Staatsschutzes ist nach Errichtung der Bundesrepublik Deutschland durch das Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. August 1951 neu geregelt worden. Die Neugestaltung dieses Rechtsgebietes, das für den Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung nach innen und außen gleichermaßen bedeutsam ist, fiel in eine politisch gefahrvolle Zeit, die im Zeichen der Korea-Krise stand. Vor dem Gesetzgeber lag eine äußerst schwierige Aufgabe. Neben der Neuregelung der Staatsschutzvorschriften mit langer Tradition, nämlich der Bestimmungen über Hochund Landesverrat, war ein ganz neues System von Rechtsvorschriften zu schaffen, das die modernen Methoden der organisierten Unterwühlung und des gewaltlosen Umsturzes treffen sollte, deren sich die Feinde einer freiheitlichen demokratischen Ordnung heute allenthalben bedienen und deren Gefährlichkeit die vorangegangenen und die damals gegenwärtigen geschichtlichen Ereignisse augenscheinlich gemacht hatten. Den vielfältigen praktischen Erscheinungsformen dieses permanenten, auf Unterwühlung der Verfassungstreue hinzielenden politischen Kampfes mußte durch völlig neuartige Bestimmungen strafrechtlich begegnet werden. Gleichzeitig war aber darauf zu achten, daß die Prinzipien der freiheitlichen Ordnung, um deren Schutz es ging, nicht durch zu starke Eingriffe des Gesetzgebers selbst verletzt würden. Vorbilder aus der Gesetzgebung des Auslandes entsprachen vielfach nicht dem bei uns heute besonders ausgeprägten Bedürfnis nach rechtsstaatlicher Bestimmtheit der Tatbestände. Das durch gemeinsames Bemühen der verfassungstreuen Parteien schließlich zustande gekommene Werk wurde mit einer breiten parlamentarischen Mehrheit, von der sich lediglich die Kommunisten und die Rechtsradikalen ausschlossen, verabschiedet. Dieses gesetzgeberische Werk nachträglich abwertend als Experiment zu bezeichnen, wäre verfehlt. Bundesminister Dr. Jaeger Immerhin war damit strafrechtliches Neuland betreten worden, und eine Erprobung des Gesetzes in der Praxis mußte abgewartet werden. Wenn man diese Ausgangslage bedenkt, so kann man sagen, daß die Arbeit des Gesetzgebers von 1951 sich in weitem Umfang bewährt hat. Ich meine also, daß kein Anlaß besteht, auf dieses Werk im Zorn zurückzublicken. Daß es — mit allen seinen Einzelheiten! — für die Ewigkeit gemacht sei, hatte von vornherein kein Einsichtiger angenommen. Wie kaum ein anderes Gesetz, so mußte dieses der Bewährung im Rechtsleben ausgesetzt werden, um erkennen zu können, inwieweit es den praktischen Bedürfnissen entsprechen würde, wo Spannungen aufträten, wo es etwas zu ergänzen, wo etwas abzubauen gelte, um einerseits der Vielfalt der Erscheinungen, den wechselnden Methoden eines mit einem reichen Arsenal von Kampfmitteln arbeitenden Verfassungsfeindes gerecht zu werden, anderseits aber die vom Grundgesetz gewährleisteten Grundfreiheiten nicht weiter einzuschränken, als es um des Schutzes der Grundlagen dieser Freiheit unerläßlich ist. Nicht oder doch nicht voll vorauszusehen waren die von den Feinden unserer freiheitlichen Staatsordnung angewandten Methoden des politischen Kampfes und das Maß ihrer Beweglichkeit und Einfallsgabe. Nicht zu übersehen war, wie die Rechtsprechung die neuen Gesetzesbegriffe auslegen, zu welcher konkreten Gestalt sie das zunächst aus einem Gerüst abstrakter Begriffe bestehende neue Staatsschutzstrafrecht ausbilden würde. Dabei ist zu bedenken — ich meine, man muß dies besonders betonen —, daß die Teilung Deutschlands Probleme von einer Besonderheit und Schwierigkeit aufwarf, wie sie im Bereich des Rechts des strafrechtlichen Staatsschutzes dem Gesetzgeber und der Rechtsprechung vorher noch nicht zu lösen aufgegeben waren. Noch etwas darf nicht unerwähnt bleiben. Die Normen des Staatsschutzstrafrechts haben ihren Sitz in einem besonders starken Spannungsfeld zwischen zwei Polen, nämlich auf der einen Seite dem Erfordernis, die Verfassung und ihre Grundlagen vor feindlichen Angriffen zu schützen, und auf der anderen Seite dem Ziel einer von staatlichem Eingriff möglichst ungestörten, freien Entfaltung der Grundrechte. Möglichkeiten und Grenzen eines wirkungsvollen Staatsschutzstrafrechts werden daher wesentlich mitbestimmt von den Normen der Verfassung. Das Grundgesetz war bei Erlaß des Ersten Strafrechtsänderungsgesetzes erst zwei Jahre alt, die Auslegung seiner Vorschriften noch weitgehend ungesichert. Das Bundesverfassungsgericht, von dessen Rechtsprechung fortschreitende Klärung zu erwarten war, sollte erst einen Monat nach Verkündung des Strafrechtsänderungsgesetzes eröffnet werden. Wer die Wechselwirkung zwischen dem Recht und den in steter Bewegung begriffenen Erscheinungen des politisch-gesellschaftlichen Lebens kennt und von der nicht minder lebendigen Wechselbeziehung von Gesetz und Rechtsprechung weiß, den nimmt es nicht wunder, daß im Laufe der Jahre Korrekturen durch den Gesetzgeber erforderlich wurden und auch heute wieder erforderlich sind. Das konnte, bei den Besonderheiten der Rechtsmaterie und der Entstehungsgeschichte des Gesetzes nicht ausbleiben. So hat insbesondere das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz 1953 den § 93 über Einfuhr verfassungsfeindlicher Schriften zu einer allgemeinen Vorschrift gegen verfassungsfeindliche Propaganda durch Schrift und Bild erweitert, hat das Vierte Strafrechtsänderungsgesetz 1957 gewisse Änderungen im Bereich der Staatsgefährdungsvorschriften gebracht und hat das Sechste Strafrechtsänderungsgesetz 1960 den § 130 über Volksverhetzung neu gefaßt, insbesondere mit dem Ziel, die antisemitische Hetze wirkungsvoller zu erfassen. Die bedeutsamste Änderung erfuhr das Staatsgefährdungsrecht 1964 durch das Vereinsgesetz, das — nach dem von der Großen Strafrechtskommission im Rahmen der Strafrechtsreform erarbeiteten Vorbild — das Recht der sogenannten Organisationsdelikte weitgehend neu geregelt hat. Darin liegt ein besonderes Verdienst des 4. Deutschen Bundestages. Trotz solcher weitreichender Anpassungen des Gesetzes an neu gewonnene Erfahrungen und Erkenntnisse ist die Kritik am geltenden Staatsschutzstrafrecht nicht verstummt. Es wird geltend gemacht, die Tatbestände seien nicht klar genug abgegrenzt und ließen daher die in der Voraussehbarkeit der strafrechtlichen Reaktion liegende Garantiefunktion des Strafgesetzes vermissen, die Rechtsprechung habe sich auf der Grundlage solcher Tatbestände zu einer gegenüber den Intentionen des Gesetzgebers zu stark ausdehnenden Auslegung entwickeln können. Es wird auf eine ungenügende Abgrenzung der Tatbestände zu den Grundrechten, insbesondere zu dem Grundrecht der Meinungsfreiheit, hingewiesen; ja der Vorwurf des Gesinnungsstrafrechts ist vereinzelt laut geworden. Schwierigkeiten bei der Durchführung eines Zeitungsaustausches — der vorübergehend einmal aktuell schien und gelegentlich wieder aktuell werden könnte — wurden und werden auf eine unangebrachte Ausweitung des materiellen Staatsschutzstrafrechts zurückgeführt; desgleichen manche Schwierigkeiten für Kontakte mit Publizisten, Sportlern und anderen Besuchern aus der Zone. Schließlich hat die Problematik des publizistischen Landesverrats dem Ruf nach Reform des geltenden Rechts zu besonderer Aktualität verholfen. Manches an dieser Kritik ist berechtigt, manches dagegen nicht. Sicherlich unberechtigt ist der Vorwurf, daß man in der Bundesrepublik ein Gesinnungsstrafrecht betreibe. Dies möchte ich mit allem Nachdruck betonen. Von einem Strafrecht, das eine bestimmte politische Meinung oder Gesinnung zum Ansatzpunkt und zur wesentlichen Grundlage dei Strafbarkeit macht, kann keine Rede sein. Ein solcher Vorwurf kann weder die Intentionen des Gesetzgebers noch die aus sich heraus verstandenen Straftatbestände noch schließlich die Rechtsprechung treffen. Der Vorwurf setzt bei der Staatsgefährdung an. Aber das Leitbild, nach dem gerade auch diese Vorschriften geschaffen sind, ist der aktive Angriff gegen die Verfassung, der sich bestimmter typisches Mittel bedient. Zwar möchte auch ich nicht behaupten, daß dieses Leitbild in idealer Weise verwirklicht sei. Daher hat auch die Große Strafrechtskommission und auf der Grundlage ihrer Arbeit die Bundesminister Dr. Jaeger Bundesregierung bei der Ausarbeitung des Entwurfs eines Strafgesetzbuches 1962 sich darum bemüht, den Tatbeständen noch schärfere Kontur zu geben. Von Gesinnungsstrafrecht sollte man aber auch gegenüber dem geltenden Recht nicht sprechen. Der Entwurf 1962 sieht einen Titel über Hochverrat und Staatsgefährdung und einen Titel über Landesverrat vor. Mit den darin enthaltenen Vorschriften wurde in erster Linie das soeben erwähnte Ziel verfolgt, die Straftatbestände, soweit dies bei der Natur der Sache möglich ist, klarer abzugrenzen und dadurch die Garantiefunktion dieser Tatbestände zu verbessern. Es wurden darüber hinaus manche Tatbestände, zum Teil erheblich, eingeschränkt, auf der anderen Seite einzelne Lücken des geltenden Rechts geschlossen. Ich habe dem Hohen Hause in Beantwortung einer Kleinen Anfrage von Abgeordneten der Freien Demokratischen Partei bereits den Entschluß der Bundesregierung bekanntgegeben, so bald wie möglich einen eigenen Entwurf zur Erneuerung des Rechts des strafrechtlichen Staatsschutzes einzubringen, weil auch nach meiner Auffassung, die von der Bundesregierung geteilt wird, die inzwischen gewonnenen Erkenntnisse manche Änderungen erheischen, die über die Vorschläge in dem Entwurf 1962 hinausgehen, der auf Beschlüsse der Großen Strafrechtskommission zurückgeht, die immerhin schon vor mehr als sieben Jahren gefaßt wurden. Unter diesen Umständen kann ich es mir versagen, im einzelnen auf die einschlägigen Vorschriften des Entwurfs 1962 einzugehen. Ich möchte nur hervorheben, daß ein wesentlicher Punkt der darin vorgesehenen Reform, nämlich die konsequente Ausgestaltung der sogenannten Organisationstatbestände zu Ungehorsamsdelikten, die erst nach dem Verbot einer Partei oder einer Vereinigung begangen werden können, bereits durch das Vereinsgesetz vorweggenommen worden ist. Nicht unerwähnt möchte ich auch lassen, daß der Entwurf im Gegensatz zum geltenden Recht, das hier nur die Zuchthausstrafe kennt, für minder schwere Fälle von Landesverrat — zu denen der sogenannte publizistische Landesverrat in der Regel gehören dürfte — lediglich Gefängnisstrafe vorsah. Diese Problematik soll jetzt in dem in Angriff :genommenen Entwurf der Bundesregierung durch Ausformung differenzierender Tatbestände berücksichtigt werden. Meine Damen und Herren, zu dem vorliegenden Entwurf der SPD-Fraktion kann ich nach alledem zunächst sagen, daß ich die damit ergriffene Initiative durchaus begrüße. Es kann die Aussprache im Ausschuß nur befruchten, wenn dem Entwurf der Bundesregierung auch ein Entwurf der Opposition gegenübersteht. Dieser Entwurf enthält auch zweifellos manche wertvolle Anregung. Andererseits bestehen gegen einige seiner Vorschriften gravierende juristische Bedenken, über die im einzelnen im Ausschuß zu reden sein wird. In seinem Bemühen, das geltende Staatsschutzstrafrecht von allen Vorschriften zu befreien, die nicht unbedingt erforderlich sind, führt er zu Ergebnissen, die den Verfassern des Entwurfs vermutlich ferngelegen haben; so schießt er vielfach über das Ziel hinaus. Diesen Eindruck gewinnt man schon, wenn man sich die Zahl der Vorschriften des geltenden Rechts vor Augen hält, die — meist ersatzlos — gestrichen werden sollen. Dabei handelt es sich um § 90 über staatsgefährdende Sabotage, um § 92 über staatsgefährdenden Nachrichtendienst, § 93 über verfassungsfeindliche Propaganda, § 94 über Strafschärfung bei staatsgefährdender Absicht, § 100 d Abs. 3 über staatsgefährdende Lügenpropaganda, §.128 über Geheimbündelei, um den vorsätzlichen Landesverrat ohne Begünstigungsund Benachteiligungsabsicht, den § 100 c Abs. 2 über fahrlässige Bekanntgabe von Staatsgeheimnissen und um § 100 f über landesverräterische Untreue. Nun liegt es mir allerdings fern, den Entwurf mit der Elle gestrichener Paragraphen messen zu wollen. Aber auch eine weniger auf die Zahl als auf die Substanz der Änderungswünsche eingehende Betrachtung zeigt, daß die meisten Vorschläge zu weit gehen, weil sie einige für einen effektiven Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung und der äußeren Sicherheit wesentliche Gesichtspunkte nicht berücksichtigen. Ich möchte das an einigen Beispielen verdeutlichen. Von einer Streichung des § 93 StGB über die verfassungsfeindliche Propaganda verspricht sich der Entwurf der SPD die Freigabe des linksradikalen, also des kommunistischen Schrifttums. Der Entwurf übersieht dabei, daß das kommunistische Schrifttum weitgehend die illegale KPD unterstützt oder für sie wirbt und damit gegen den in der vergangenen Wahlperiode neu gefaßten § 90 a StGB verstößt, dem damals auch die SPD zugestimmt hat und den sie daher auch in ihrem Entwurf unangetastet läßt. Der angestrebte Erfolg, über den man natürlich schon politisch streiten kann, wird also praktisch nicht erreicht. Erreicht wird aber etwas anderes: nach einer Streichung des § 93 könnte das rechtsradikale Schrifttum, könnten neonazistische Schriften, Schallplatten und ähnliche Propagandamittel, die altes nationalsozialistisches Gedankengut wieder lebendig machen wollen, mit denen die parlamentarische Demokratie verhöhnt, das Führerprinzip verherrlicht und die tragenden Grundsätze unserer Verfassung angegriffen werden, strafrechtlich nicht mehr erfaßt werden. Damit wäre auch keine Möglichkeit mehr gegeben, solche Propagandamittel einzuziehen und ihrer Einfuhr aus dem Ausland einen Riegel vorzuschieben. Wir kennen alle aus der bisherigen Praxis gefährliche Machwerke dieser Art. Nach allem, was hinter uns liegt, halte ich es für unerträglich, wenn wir dem Ausbreiten einer neonazistischen Literatur untätig zusehen müßten. Das aber wäre die unvermeidliche Folge einer Streichung des § 93. (Abg. Jahn [Marburg] : Unvermeidliche, Herr Minister?)


      (Beifall bei der SPD.)


    Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
    • insert_commentNächste Rede als Kontext
      Rede von Dr. Richard Jaeger


      • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
      • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)








      (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Schmid.)

      — Ich komme noch genauer darauf.

      (Abg. Jahn [Marburg] : Die von Ihnen angenommene!)




      Bundesminister Dr. Jaeger
      — Die von mir für unvermeidlich gehaltene. Wahrscheinlich werde ich Sie im Ausschuß davon überzeugen, daß sie unvermeidlich ist.
      Nun ist es zwar richtig, daß rechtsradikale Schriften, die zugleich antisemitisch sind, in einem gewissen Umfang noch durch § 130 StGB über Volksverhetzung erfaßt werden könnten. Es wäre aber ein gefährlicher Irrtum, anzunehmen, daß damit jede antisemitische Hetze strafrechtlich erfaßt werden könnte. Gerade unter antisemitischen Schriften, gegen die wir nach dem Unheil, das der Nationalsozialismus über die Juden gebracht hat, besonders allergisch sind, gibt es raffinierte Machwerke, die mit dieser Strafbestimmung nicht erfaßt werden können, weil sie nur die Hetze gegen Teile der Bevölkerung, d. h. gegen die inländischen Juden, trifft und weil auch die übrigen Merkmale dieses Tatbestandes, der dem allgemeinen Schutz des öffentlichen Friedens dient, nicht so weit gefaßt sind und auch nicht so weit gefaßt werden können, wie es für den besonderen Schutz vor den Gefahren eines wieder auflebenden Antisemitismus erforderlich ist. Es kommt hinzu, daß zwar § 93, nicht aber § 130 des Strafgesetzbuches die Handhabe bietet, aus dem Ausland kommende antisemitische Schriften mit Hilfe des Überwachungsgesetzes von 1961 schon an der Grenze abzustoppen.
      Andere Vorschriften, auf welche die Begründung des Entwurfs der SPD hinweist, können den § 93 StGB nicht ersetzen. Die Strafvorschriften über die Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens und über fahrlässige Verbreitung hochverräterischer Propagandamittel werden fast nie, diejenigen über Mißachtung von Staat und Flagge, Verunglimpfung von Staatsorganen und Beleidigung werden nur selten eine Handhabe für eine Bestrafung des Täters und für die Einziehung solcher Propagandamittel bieten. Tätern gegenüber, die Lücken der Strafbarkeit zielsicher ausnützen, versagen diese Vorschriften völlig. Das Vereinsgesetz mit seinen Verbotsvorschriften bietet nur eine Handhabe gegenüber dem nachweisbar organisierten Verfassungsfeind. Gerade an dieser Voraussetzung fehlt es aber im Bereich rechtsradikaler und antisemitischer Schriften in aller Regel. Durch das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht nach Art. 18 des Grundgesetzes, das den Ausspruch der Verwirkung bestimmter Grundrechte bei Mißbrauch zum Ziel hat, kann die Lücke des erforderlichen strafrechtlichen Schutzes nicht geschlossen werden. Kein Kenner der Materie wird das bezweifeln.
      Der Vorschlag der SPD, auf § 93 zu verzichten, verfolgt schließlich noch ein weiteres Ziel, das sich aber ebenfalls auf diesem Wege nicht erreichen läßt. Die Annahme, ein innerdeutscher Zeitungsaustausch würde durch eine Streichung des § 93 ermöglicht, trifft nicht zu. Für die Verhinderung der Einfuhr verfassungsfeindlichen Schrifttums hat § 93 in der Praxis hauptsächlich Bedeutung als Anknüpfungspunkt für die Anwendung des Überwachungsgesetzes von 1961 und für die darin vorgesehenen Kontrollbefugnisse der Zollbeamten. Der Inhalt der für einen Austausch in Betracht kommenden sowjetzonalen Zeitschriften und Zeitungen, wie das „Neue
      Deutschland", verstößt nun keineswegs nur gegen § 93, sondern, wie ich schon betonte, regelmäßig gegen eine Reihe weiterer Strafvorschriften, insbesondere gegen das Verbot der Werbung für eine verbotene Partei, gegen § 91 StGB, gegen Beleidigungs- und Verunglimpfungstatbestände des Strafgesetzbuchs, wie die §§ 95, 96 und 97.

      (Abg. Jahn [Marburg] : Also müssen wir noch mehr streichen, Herr Minister!)

      — Wenn wir das alles streichen, werden Sie selber sehen, daß unser Staat gefährdet wäre.
      Die Streichung des § 93 des Strafgesetzbuchs würde daher die Kontrolle von Massensendungen mit gezielter verfassungsfeindlicher Propaganda, die bei den Erwägungen über einen Austausch ohnehin ausscheiden, erheblich erschweren, den Zeitungsaustausch selbst aber noch nicht ermöglichen. Für einen solchen Austausch müßten daher, wenn er akut werden sollte, ganz andere gesetzliche Maßnahmen ergriffen werden, die übrigens in meinem Hause im Zusammenwirken mit den anderen beteiligten Bundesressorts im Entwurf bereits vor der Fertigstellung stehen. So viel zum Vorschlag, § 93 des Strafgesetzbuchs zu streichen.
      Auf dem Gebiet des Landesverrats sieht der Enwurf in dem Bestreben, die Problematik des sogenannten publizistischen Landesverrats zu lösen, Einschränkungen der Strafbarkeit vor, deren Auswirkungen nicht alle hingenommen werden können. So wird der eigentliche Landesverrat auf den Fall beschränkt, daß er Täter mit der Offenbarung eines Staatsgeheimnisses die doppelte Absicht verfolgt, der Bundesrepublik Deutschland einen Nachteil zuzufügen und eine feindliche Macht zu begünstigen. Daneben soll lediglich noch die sogenannte fahrlässige Geheimnispreisgabe mit Strafe bedroht werden, d. h. vorsätzliches Offenbaren in Verbindung mit nur fahrlässiger Gefährdung des Wohls der Bundesrepublik. Der Entwurf verkennt dabei einmal, daß der gemeine Spion, den der vorgeschlagene § 99 Abs. 1 treffen soll, durchaus nicht immer die hier verlangte Absicht verfolgt. Gerade dem bezahlten Agenten, dem es nur auf das Geld ankommt, kann die mit der Offenbarung des Staatsgeheimnisses verbundene Machtverschiebung zwischen den Staaten völlig gleichgültig sein. Er nimmt diese Folge, wie wir Juristen sagen, billigend in Kauf, handelt also nur mit Eventualvorsatz. Aber selbst wenn er mit direktem Vorsatz handelt, kommt es ihm nicht darauf an, daß die Bundesrepublik benachteiligt und ihr Wohl gefährdet wird. Es fehlt also an der im Entwurf geforderten Absicht; zum mindestens ist es fraglich, ob die Rechtsprechung hier in der Lage wäre zu helfen.
      Der Entwurf übersieht weiter, daß zwischen seinem absichtlichen Landesverrat und seiner fahrlässigen Geheimnispreisgabe eine Lücke der Straflosigkeit klafft, die nicht offenbleiben darf. Der Täter nämlich, der ohne die in § 99 des Entwurfs geforderte Absicht ein Staatsgeheimnis vorsätzlich verrät und das Wohl der Bundesrepublik nicht nur fahrlässig, sondern vorsätzlich gefährdet, wird von keinem der beiden Tatbestände erfaßt.



      Bundesminister Dr. Jaeger
      Auf der anderen Seite, möchte ich betonen, daß der Entwurf bei dem Versuch, die Belange der Organe der Publizistik zu berücksichtigen, einen wichtigen Gesichtspunkt für eine sachgemäße Abgrenzung richtig erkannt hat, nämlich den der verschiedenen subjektiven Einstellung des Täters. Ähnliche Unterscheidungen, die aber der Ergänzung durch weitere Gesichtspunkte bedürfen, werden seit längerem in meinem Hause erwogen und dürften zu einer auch für die Presse befriedigenden Lösung führen.
      Bevor ich auf die vorgeschlagene Neugestaltung des Staatsgeheimnisbegriffs mit seinen Folgerungen zu sprechen komme, sei noch — des Zusammenhangs wegen — die vorgeschlagene Streichung des § 100 c Abs. 2 StGB über den fahrlässigen Landesverrat durch Geheimnisträger erwähnt. Dieser Vorschlag wird damit begründet, daß die Vorschrift keine praktische Bedeutung gewonnen habe und an ihrer Stelle in strafwürdigen Fällen die §§ 353 b und 353 c über die Verletzung der Amtsverschwiegenheit und die Mitteilung amtlicher Schriftstücke eingriffen. Auch ich bin der Auffassung, daß eine sorgfältige Prüfung geboten ist, ob ein Bedürfnis für eine Strafvorschrift besteht, zu deren Anwendung es nur selten gekommen ist. Diese Prüfung führt aber hier zur Anerkennung eines solchen Bedürfnisses. Der Fall des Beamten, der die Aktentasche mit einem wichtigen Geheimdokument leichtfertig liegen läßt, ist nicht erfunden. Er kann sich so oder ähnlich jeden Tag wiederholen. Solchen Fällen mit einer Strafsanktion begegnen zu können, ist ein berechtigtes Bedürfnis. Die §§ 353 b und c können hier nicht helfen, da sie nur vorsätzliches Handeln mit Strafe bedrohen. Bei Geheimnisträgern, die nicht im öffentlichen Dienst stehen — man denke an Personen in Rüstungsbetrieben -, bestände nicht einmal die Möglichkeit einer disziplinaren Ahndung, wenn man § 100 c Abs. 2 streichen wollte.
      Von praktisch ungleich größerer Bedeutung ist der Vorschlag des Entwurfs, den geltenden materiellen Staatsgeheimnisbegriff, wie es in der Begründung heißt, durch eine Kombination des materiellen Begriffs mit dem formellen zu ersetzen. Nach dem materiellen Staatsgeheimnisbegriff ist ein Gegenstand dann ein Staatsgeheimnis, wenn er seiner Natur nach geheimhaltungsbedürftig ist, weil seine Offenbarung gegenüber einer fremden Regierung die Machtposition der Bundesrepublik gegenüber anderen Staaten gefährden würde. Nach dem formellen Staatsgeheimnisbegriff ist ein Gegenstand dann ein Staatsgeheimnis, wenn er durch besondere Sicherheitsmaßnahmen zum Geheimnis erklärt worden, also gewissermaßen unter Verschluß genommen ist. Der Entwurf will beide Begriffe kombinieren. Sein erklärtes Ziel ist es, damit die Anwendbarkeit der sogenannten Mosaiktheorie auszuschalten und die Voraussehbarkeit, ob die Offenbarung eines bestimmten Sachverhalts strafbar ist, dadurch zu erhöhen, daß dem Staatsgeheimnis eine sichtbare Warnfunktion verliehen wird. Ob es kriminalpolitisch vertretbar ist, auf die vielfach mißverstandene Mosaiktheorie zu verzichten, nach der unter bestimmten Voraussetzungen eine aus zahlreichen offenen Einzeltatsachen gewonnene neue
      Erkenntnis ein Staatsgeheimnis sein kann, erscheint fraglich. Das Problem bedarf eingehender Prüfung im Ausschuß. Zu dem gibt es materielle Staatsgeheimnisse, die ihrer Art nach nicht mit einem Geheimstempel versehen oder sonst erkennbar etikettiert werden können. Eine bedeutende wehrtechnische Erfindung beispielsweise, deren Geheimhaltung im elementaren Interesse des Landes steht, wäre so lange frei verfügbar, bis die Staatsorgane von ihr Kenntnis erhalten und sie durch förmliche Maßnahmen in ihren Schutz genommen hätten. Um die so entstehende Lücke auszufüllen, müßten neue Bestimmungen über eine Meldepflicht für verteidigungswichtige Erfindungen geschaffen werden, deren Verletzung wiederum mit Strafe zu bedrohen wäre, ohne daß auf diese Weise ein hinreichender Strafschutz gewährleistet werden könnte.
      Vor allem aber ist folgendes zu bedenken. Die formellen Schutzmaßnahmen nicht nur einer vorsichtigen Staatsverwaltung, sondern auch in den Bereichen der Wirtschaft, die mit sicherheitsbedeutsamen Forschungs- und Entwicklungsaufgaben befaßt sind, würden zweifellos erheblich zunehmen. Mit anderen Worten, vom Geheimstempel würde sehr viel mehr Gebrauch gemacht werden, noch viel mehr als bisher. Damit würde nicht nur die Schwerfälligkeit des technischen Arbeitsablaufs gefördert werden. Vor allem würde den Organen der Publizistik, insbesondere den Journalisten, ein Bärendienst erwiesen, weil sie mit Sicherheitsmaßnahmen auch da rechnen müßten, wo es sich in Wahrheit gar nicht um echte Staatsgeheimnisse handelt. Der Journalist, der in der Annahme, ein Staatsgeheimnis liege materiell nicht vor, eine Sicherheitsmaßnahme durchbrochen hat, wird, wenn er das Opfer falscher Beurteilung war, den Verdacht, vorsätzlich gehandelt zu haben, schwerer abwenden können als heute. Die Hauptproblematik läge nach wie vor bei der Schwierigkeit der Abwägung, ob etwas materiell ein Staatsgeheimnis ist oder nicht.
      Mit dieser Kritik an dem Bemühen des Entwurfs, den Begriff des Staatsgeheimnisses einzuschränken, soll nicht gesagt werden, daß die geltende Gesetzesdefinition erhalten bleiben müßte. Es wird vielmehr versucht werden müssen, auf der Grundlage des materiellen Staatsgeheimnisbegriffs die bisherige Definition zu präzisieren und ihr festere Konturen zu geben. Mein Haus ist darum bemüht, einen entsprechenden Vorschlag auszuarbeiten. Jeder Kenner der Materie weiß, wie schwierig diese Aufgabe ist.
      Meine Damen und Herren, zu dem Entwurf der SPD-Fraktion ließe sich noch manches sagen, Zustimmendes, Kritisches und Abwägendes. Ich meine, es kann nicht Aufgabe dieser ersten Lesung sein, auf zu viele Einzelheiten einzugehen. Ich möchte mich daher auf die von mir gemachten Ausführungen zu einigen wichtigen Punkten beschränken, zumal sich die Stellungnahme der Bundesregierung im einzelnen aus den positiven Vorschlägen des Regierungsentwurfs ergeben wird. Lasen Sie mich statt dessen über das bisher Gesagte hinaus noch etwas Allgemeines sagen, was gleichzeitig als ein Programm meines Hauses für den Regierungsentwurf gelten mag.



      Bundesminister Dr. Jaeger
      Auch ich bin der Auffassung, daß die Straftatbestände so klar wie möglich abgegrenzt werden müssen, damit voraussehbar ist, wer und was unter die Strafdrohung fällt. Daß diese Forderung im Bereich des strafrechtlichen Staatsschutzes schwerer zu erfüllen ist als auf anderen Gebieten des Strafrechts, liegt in der Natur der Sache.
      Ein besonders wichtiger Gesichtspunkt ist bei der Ausgestaltung der Staatsgefährdungsvorschriften zu beachten. Es muß sichergestellt werden, daß Kontakte zwischen Deutschen in der sowjetisch besetzten Zone und Deutschen im Bundesgebiet nur insoweit in den Bereich des Strafrechts gerückt werden, wie der Schutz der freiheitlichen Ordnung vor den gefährlichen Unterwühlungsmethoden der Zonenmachthaber es erfordert. Der offenen Diskussion der Standpunkte soll kein Riegel vorgeschoben werden.
      Der Entwurf der SPD macht auch hierzu Vorschläge, die sich zum Teil an die Konzeption des Entwurfs 1962 anlehnen, zum Teil einen darüber hinausgehenden Abbau von Strafvorschriften vorsehen. Von besonderer praktischer Bedeutung in dem hier angeschnittenen Zusammenhang ist der Vorschlag, den § 92 des geltenden Strafgesetzbuchs über den staatsgefährdenden Nachrichtendienst, von dem auch der Entwurf 1962 nur noch einen Ausschnitt enthält, durch eine Vorschrift mit anderem Inhalt zu ersetzen.
      Wie weit man bei dem Abbau von Strafvorschriften im einzelnen gehen kann, wird sich erst nach sehr eingehender Prüfung und Abwägung aller Gesichtspunkte endgültig sagen lassen. Jedenfalls verfolgt auch das Bundesjustizministerium das Ziel, bei der Formulierung des materiellen Rechts den Rahmen des Strafbaren auf das für den Schutz unserer Verfassung notwendige Maß zu beschränken.
      Wenn mit dem angekündigten Gesetzentwurf der Bundesregierung auch — unter anderem, wie ich betonen möchte — das Ziel einer Lockerung des Verfolgungszwangs angestrebt wird, dann nicht, um tatbestandliche Einschränkungen des materiellen Strafrechts zu vermeiden. Mit einer Lockerung des Verfolgungszwangs soll für Fälle besonderer Art in denen dem Interesse an der Strafverfolgung überwiegende andere öffentliche Interessen entgegenstehen, die Möglichkeit einer rechtlich einwandfreien Lösung geschaffen werden. Wir haben dabei Fälle im Auge, die sich durch eine Änderung des materiellen Rechts nicht lösen lassen und die auch dann ungelöst bleiben würden, wenn man dem Entwurf der SPD-Fraktion in vollem Umfang folgen wollte.
      Ich stimme, wie gesagt, mit dem Anliegen der Fraktion der SPD grundsätzlich darin überein, daß Strafvorschriften, deren es zum Schutz unserer freiheitlichen Staats- und Gesellschaftsordnung und zum Schutz der äußeren Sicherheit nicht bedarf, nicht geschaffen oder gegebenenfalls abgeschafft bzw. dem wirklichen Bedürfnis entsprechend eingeschränkt werden sollten. Dieser Gesichtspunkt wird auch von der Bundesregierung beachtet werden. Ich möchte nur vor einem warnen, nämlich vor der Gefahr einer Gelegenheitsgesetzgebung, einer Gesetzgebung, die Taten von erheblicher Gefährlichkeit außer acht läßt, weil sie zur Zeit nicht oder nur selten vorkommen. Wenn sie in einer anderen Zeit und unter anderen Verhältnissen doch und vielleicht in größerer Zahl begangen werden, müßte man die Gesetzgebungsmaschine ad hoc in Bewegung setzen, weil Straflosigkeit — auch in der Öffentlichkeit — als unerträglich empfunden würde. Man wird die Straftatbestände, deren Streichung oder wesentliche Einschränkung zu erwägen ist, auch unter diesem Gesichtspunkt sorgfältig zu prüfen haben.
      Wie Sie aus meinen bisherigen Ausführungen erkennen können, halte auch ich das Recht des strafrechtlichen Staatsschutzes für reformbedürftig. Mein Ziel ist es, eine Ordnung dieses Rechtsgebiets zu erreichen, die die Schlagkraft dieses wichtigen Instruments zur Verteidigung von Freiheit und Sicherheit unseres Gemeinwesens erhält und sich dabei auf das zum Schutz dieser Freiheit Notwendige beschränkt. Man hat das Strafgesetzbuch im allgemeinen und das Recht des strafrechtlichen Staatsschutzes im besonderen gelegentlich als ein Ausführungsgesetz zum Grundgesetz bezeichnet. Ich folge dem Gedanken gern und lege großen Wert darauf, daß es unseren gemeinsamen Bemühungen gelingen wird, Lösungen zu finden, denen eine breite Mehrheit im Bundestag zustimmen kann. Ich vertraue darauf, daß uns bei dieser Arbeit die gleichen Ziele leiten. Schon in der 1. Wahlperiode hat die Fraktion der SPD mit ihrem Entwurf eines Gesetzes gegen die Feinde der Demokratie gezeigt, daß ihr ein wirkungsvoller Schutz der freiheitlichen Ordnung und der Sicherheit unseres Staates am Herzen liegt. Was auf dem Weg zu dem gemeinsamen Ziel liegt, das sind nüchterne Sachfragen, um deren Lösung wir miteinander werden ringen müssen, unpolemisch, mit, ich möchte sagen, kühler Leidenschaft der Sache gewidmet und deshalb aufgeschlossen gegenüber jedem sachlichen Argument. Möge diese gemeinsame Haltung zu einer fruchtbaren Arbeit führen!
      Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, aber noch ein Wort zur Prozedur sagen. Ich hoffe, daß das Hohe Haus mit mir darin übereinstimmt, daß die Reform des Staatsschutzstrafrechts, deren Bedeutung niemand in diesem Hause verkennt, auf der Grundlage sowohl des heute eingebrachten Entwurfs als auch des angekündigten Regierungsentwurfs beraten werden muß, um zu abgewogenen Ergebnissen zu kommen. Das bedeutet für die Bundesregierung die Verpflichtung, ihren Entwurf so bald wie möglich vorzulegen. Ich werde dieser Verpflichtung nachkommen. Nachkommen heißt nicht nachkleckern. Ich kann es mir nicht ganz so leicht machen wie hier der Herr Kollege Dr. Heinemann. Die Arbeit in meinem Hause an der Erstellung eines neuen Regierungsentwurfs ist in vollem Gange. Einige Bundesressorts sind bereits in die Mitarbeit eingeschaltet. Sodann werden die Landesjustizverwaltungen beteiligt werden. Schließlich muß auch die Sachkenntnis anderer Stellen, insbesondere die des Bundesgerichtshofs und der Bundesanwaltschaft, dieser



      Bundesminister Dr. Jaeger
      Arbeit zugute kommen. Sie wird wertvoll genug sein, um sie im Interesse der Sache auch für die Beratung des vorliegenden Entwurfs fruchtbar zu machen. Bis der Regierungsentwurf dem Hohen Hause vorliegt, wäre es wünschenswert, wenn der Sonderausschuß den Allgemeinen Teil des Entwurfs eines Strafgesetzbuches zu Ende beraten würde. Im Anschluß daran könnte die Beratung des Besonderen Teils mit den Titeln Hochverrat, Staatsgefährdung und Landesverrat beginnen und mit der Beratung des Initiativgesetzentwurfs der SPD-Fraktion und der des neuen Regierungsentwurfs verbunden werden. Als Ergebnis dieser Arbeit im Rahmen der Strafrechtsreform könnte dann ohne besondere Zeitversäumnis eine Novelle zum geltenden Strafgesetzbuch beschlossen und in Kraft gesetzt werden. Mit diesem Vorziehen eines so wichtigen Teils stimme ich mit einigen meiner sozialdemokratischen Vorredner überein. Damit wäre sowohl der Strafrechtsreform gedient als auch der Wunsch nach einer vorweggenommenen Reform des Staatsschutzstrafrechts erfüllt.
      Wollte man umgekehrt verfahren und schon jetzt im Sonderausschuß mit der Beratung des Entwurfs der SPD beginnen, so könnten daraus schwere Nachteile entstehen. Entweder müßte man die Beratungen ohne Rücksicht auf den Entwurf der Bundesregierung durchführen oder aber sie nach der Einbringung dieses Entwurfs neu überprüfen. Beide Wege wären wohl kaum als gute Arbeitsmethode zu bezeichnen und könnten keine optimalen Ergebnisse versprechen. Außerdem geriete die Arbeit am Gesamtentwurf des neuen Strafgesetzbuches wieder ins Hintertreffen, deren Vollendung in dieser Wahlperiode uns allen, wie die Debatte des heutigen Vormittags ergeben hat, am Herzen liegt. Die Ausschußarbeiten der letzten Periode haben gezeigt, daß die vier Jahre, die zur Verfügung stehen, von Anfang an und aufs äußerste ausgenutzt werden müssen, wenn ein Werk von den Ausmaßen dieses Gesetzgebungswerkes gelingen soll. So wichtig die Reform des Staatsschutzstrafrechts auch ist — ich selbst habe ihre Wichtigkeit betont —, zum Scheitern der Gesamtreform darf sie nicht führen.

      (Beifall bei den Regierungsparteien.)