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    1. tocInhaltsverzeichnis
      Deutscher Bundestag 14. Sitzung Bonn, den 13. Januar 1966 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung . . . . . 529 A Überweisung von Vorlagen . . . . . . 529 A Wahl der Schriftführer (Drucksache V/87) . 529 C Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen über die Dreiunddreißigste, Fünfunddreißigste, Sechsunddreißigste, Achtunddreißigste und Neununddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 (Drucksachen V/15, V/44, V/45, V/22, V/23, V/177) . . 529 D Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen über die Vierunddreißigste und Siebenunddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 (Drucksachen V/43, V/46, V/178) 530 A Fragestunde (Drucksache V/161) Frage des Abg. Schmitt-Vockenhausen: Zahlen über die Haushaltslage der Län- der 530 C Fragen des Abg. Dr. Wörner: Umstellung des Schuljahres Dr. Ernst, Staatssekretär . . . . . 530 D Dr. Wörner (CDU/CSU) . . . . . 530 D Fragen des Abg. Josten: Taubstumme schulpflichtige Kinder . . 531 A Frage des Abg. Dorn: Panorama-Sendung vom 13. 12. 1965 . 531 B Fragen des Abg. Bühling: Ausübung von Verwaltungsaufgaben durch Richter 531 B Frage des Abg. Haehser: Munitionslager der französischen Stationierungsstreitkräfte bei Hasborn Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . . 531 D Haehser (SPD) . . . . . . . . . 531 D Holkenbrink (CDU/CSU) . . . . . 532 A Frage des Abg. Genscher: Reichsabgabenordnung 532 C Fragen des Abg. Weigl: Kostenersatz für die Stadt Eschenbach (Oberpfalz) Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . . 532 C Frage des Abg. Dröscher: Finanzhilfe des Bundes in Katastrophenfallen Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . 533 A Dröscher (SPD) 533 A II Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Januar 1966 Frage des Abg. Felder: Bewertung von Trunkenheitsdelikten und Fahrerflucht bei Kraftfahrzeugunfällen Dr. Jaeger, Bundesminister . . . . 533 C Felder (SPD) . . . . . . . . . 533 D Fellermaier (SPD) . . . . . . 534 C Opitz (FDP) 534 D Dröscher (SPD) 535 A Frage des Abg. Sanger: Wettbewerbsverhältnisse bei Presse, Rundfunk, Film und Fernsehen Dr. Neef, Staatssekretär . . . . 535 B Sänger (SPD) 535 C Frage des Abg. Haase (Kassel) : Schädigung der tabakverarbeitenden Industrie durch das Einfuhrverbot für rhodesische Tabake Dr. Neef, Staatssekretär . . . . . 535 D Frage des Abg. Haase (Kassel) : Exportverluste der deutschen Wirtschaft infolge Boykotts deutscher Waren durch Rhodesien Dr. Neef, Staatssekretär . . . . . 536 A Haase (Kassel) (CDU/CSU) . . . . 536 A Frage des Abg. Langebeck: Unterschiede bezüglich elektrotechnischer Sicherheit zwischen Stadt und Land Dr. Neef, Staatssekretär . . . . 536 B Langebeck (SPD) 536 B Frage des Abg. Langebeck: Energiewirtschaftsgesetz Dr. Neef, Staatssekretär . . . . . 537 A Langebeck (SPD) . . . . . . . . 537 B Fragen des Abg. Opitz: Fortführung der Bauarbeiten im Winter Katzer, Bundesminister . . . . 537 C Opitz (FDP) 538 A Gerlach (SPD) 538 B Frage des Abg. Weigl: Versicherungspflichtgrenzen Katzer, Bundesminister 538 D Weigl (CDU/CSU) 539 A Frage des Abg. Dr. Marx (Kaiserslautern) : Verteidigungsetat der Sowjetunion . . 539 A Frage des Abg. Dr. Tamblé: Heizungskostenzuschüsse 539 B Frage des Abg. Dr. Hamm (Kaiserslautern) : Gesunderhaltung und körperliche Ertüchtigung der Jugend Gumbel, Staatssekretär 539 B Dr. Hamm (Kaiserslautern) (FDP) . 539 C Frage des Abg. Felder: Warnleuchten für marschierende Bundeswehrtrupps bei Nacht Gumbel, Staatssekretär 539 D Felder (SPD) 540 A Frage des Abg. Felder: Strafsache des Luftwaffen-Oberleutnants Manfred Jurgan Gumbel, Staatssekretär 540 B Felder (SPD) 540 C Frage des Abg. Josten: Gesundheitsbefund der Musterungsuntersuchungen zur Bundeswehr . . . 540 D Fragen des Abg. Lemmrich: Militärflughafen Neuburg — Absiedlung in der Gemeinde Zell Gumbel, Staatssekretär 540 D Lemmrich (CDU/CSU) 541 C Frage des Abg. Dröscher: Gefahren bei Überfliegen der Grenzen des eigenen Landes und der NATO-Partner Gumbel, Staatssekretär 542 C Dröscher (SPD) . . . . . . . 542 D Fragen des Abg. Dr. Huys: Eisenbahnstrecke Wittingen—Rühen . . 543 B Frage des Abg. Ramms: Fest- und Margentarife für die Binnenschiffahrt im innerdeutschen Verkehr Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 543 D Frage der Abg. Frau Funcke: Verkehrsunfallhilfe des ADAC Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 544 A Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Januar 1966 III Fragen der Abg. Eisenmann und Dröscher: Zwischenuntersuchungen durch KfzHandwerksstätten Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 544 A Genscher (FDP) . . . . . . . 544 B Dröscher (SPD) 544 D Sammelübersicht 1 des Petitionsausschusses über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen und systematische Ubersicht über die Zeit vom 17. 10. 1961 bis 17. 10. 1965 (Drucksache V/132) 545 B Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung (SPD) (Drucksache V/170) — Erste Beratung — Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) . . 545 C Entwurf eines Strafgesetzbuches (Abg. Frau Dr. Diemer-Nicolaus, Dr. h. c. Güde, Dr. Dehler, Dr. Wilhelmi u. Gen.) (Drucksache V/32) — Erste Beratung — Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) . . 545 D Dr. Jaeger, Bundesminister . . . . 552 A Dr. h. c. Güde (CDU/CSU) . . . . 557 B Dr. Müller-Emmert (SPD) . . . . . 563 D Schlee (CDU/CSU) . . . . . . . 569 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches (SPD) (Drucksache V/102) — Erste Beratung — Dr. Dr. Heinemann (SPD) . . . . . 573 B Dr. Jaeger, Bundesminister . . . . 577 C Dr. Worner (CDU/CSU) . . . . . 583 B Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) . . 585 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Dritten Überleitungsgesetzes (Abg. Rollmann, Hauser [Bad Godesberg], Dr. Hammans, Dr. Klepsch u. Gen.) (Drucksache V/70) — Erste Beratung — 588 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung (Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal], Bading, Dr. Hamm [Kaiserslautern] u. Gen.) (Drucksache V/81) — Erste Beratung — Dr. Hamm (Kaiserslautern) (FDP) . . 589 A Frau Dr. Hubert (SPD) 589 B Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 3. März 1964 mit der Republik der Philippinen über die Förderung und den Schutz von Kapitalanlagen (Drucksache V/140) — Erste Beratung — 589 C Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Juli 1962 mit Regierung des Staates Israel zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Einkommen und bei der Gewerbesteuer (Drucksache V/142) — Erste Beratung — 589 D Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 17. Dezember 1962 über die Haftung der Gastwirte für die von ihren Gästen eingebrachten Sachen (Drucksache V/146) — Erste Beratung — 589 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Einbringung von Sachen bei Gastwirten (Drucksache V/147) — Erste Beratung — 589 D Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung einer Teilfläche der ehem. Herwarth-von-Bittenfeld-Kaserne in Münster (Westfalen) an die Stadt Münster (Drucksache V/82) 590 A Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung einer Teilfläche des Grundstücks in Berlin-Kreuzberg, Mehringdamm 20-30, Ecke Obentrautstraße 1-21, an das Land Berlin (Drucksache V/134) 590 A Einundvierzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 (Drucksache V/139) . . . . . . . . . . 590 C Nächste Sitzung 590 C Anlage 591 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Januar 1966 529 14. Sitzung Bonn, den 13. Januar 1966 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr
    2. folderAnlagen
      Berichtigung Es ist zu lesen: 13. Sitzung Seite 512 A Zeile 3 von unten statt „des Ministerrats" : der Kommission Anlage zum Stenographischen Bericht Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Beurlaubungen Dr. Abelein 14. 1. Adorno 14. 1. Bading * 14. 1. Bauer (Wasserburg) 14. 1. Berger 14. 1. Frau Berger-Heise 18. 2. Berlin 19. 2. Dr. Birrenbach 14. 1. Burger 10. 4. Frau Blohm 14. 1. Dr. Dehler 14. 1. Dr. Effertz 13. 1. Eisenmann 14. 1. Erler 15. 2. Faller 14. 1. Frau Funcke 14. 1. Dr. Furler * 13. 1. Dr. Hesberg 13. 1. Hirsch 15. 1. Illerhaus * 13. 1. Dr. Jahn-Braunschweig 14. 1. Josten 19.2. Junghans '7. 2. Kaffka 14. 1. Kahn-Ackermann 13. 1. Kiep 20. 1. Krammig 15. 1. Frau Krappe 28. 2. Frau Dr. Krips 22. 1. Kuntscher 14. 1. Leber 14. 1. Dr. Lenz (Bergstraße) 15. 1. Majonica 22. 1. Mauk * 14. 1. Merten * 13. 1. Metzger * 14. 1. Michels 13. 1. Missbach 14. 1. Moersch 13. 1. Dr. Morgenstern 28. 1. Orgaß 14. 1. Frau Pitz-Savelsberg 21.1. Rasner 13. 1. Frau Schanzenbach 3. 2. Schlager 14. 1. Dr. Stecker 13. 1. Frau Strobel* 13. 1. Dr. Frhr. v. Vittinghoff-Schell 18. 1. * Für die Teilnahme an einer Ausschuß-Sitzung des Europäischen Parlaments
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      Rede von Dr. Max Güde


      • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
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    Rede von Dr. Gustav W. Heinemann
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      Rede von Dr. Max Güde


      • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
      • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

      — Herr Kollege Jahn, ich stelle fest, ich habe Sie gefragt, ob Ihre Fraktion bereit sei, mit zu unterzeichnen. Sie haben nein gesagt. Ich habe das sehr bedauert. Aber das ,ging nun in der Eile des Dezember. Ich habe es bereut, nicht mehr insistiert zu haben. Ich möchte nur festhalten, wir wollen aus dieser Distanzierung nicht schließen — meine Fraktion und ich persönlich -, daß Sie sich von der Sache distanzieren.
      Wenn ich heute etwas zusätzlich zu dem, was meine Vorredner schon gesagt haben, für meine Fraktion sagen darf und sagen will, dann soll es durchweg in der Richtung sein: Ich glaube an die Möglichkeit, die Strafrechtsreform zu verwirklichen. Ich glaube daran, daß wir uns einigen können, wie es notwendig ist bei einem so großen Werk, über dieses ganze Haus hin, nicht über jede Einzelfrage, aber so einigen können, daß das Werk am Schluß doch von einer breiten Mehrheit durch das ganze Haus hindurch akzeptiert werden kann.
      Natürlich, meine Damen und Herren, kann man sich fragen — und so ist ja die Skepsis, die über uns allen liegt —, ob unsere Zeit und unsere Gesellschaft, wie man von alters her bei uns nach einer berühmten Schrift Savignys sagt, den Beruf zur Gesetzgebung hat, ob sie zu einem Gesetzgebungswerk von so überragender Bedeutung berufen ist. Die Antwort lautet vielfach skeptisch und vielfach: nein. Man muß in ein paar Sätzen sagen, warum dieses Nein. Da steht einmal vor uns die Gleichgültigkeit der deutschen öffentlichen Meinung gegenüber dem Recht überhaupt, man kann sagen: eine Rechtsfremdheit, eine Rechtsfremdheit, die sich durchaus oft verbindet mit einem gereizten Rechtsgefühl, mit einem empfindlichen Rechtsgefühl der öffentlichen Meinung, einem Rechtsgefühl, das dabei doch unsicher ist, oft schnell wechselt, von keiner Überlieferung geführt 'und nicht an klaren Maßstäben orientiert ist.
      Und ein Zweites mischt sich da ein — ich gebe es offen zu —: das Mißtrauen und die Abneigung der Juristen gegen jede Änderung und Neuerung des Rechts, die die Sicherheit eingefahrener Bahnen, wie man negativ sagen kann, aufgibt, wobei zu den eingefahrenen Bahnen auch das gehört, was man positiv beurteilen kann: die Beständigkeit einer, wie man sagt, „gesicherten Rechtsprechung". Schließlich gehört dazu, meine Damen und Herren, das Zurückschrecken vor der in allen Lagern — bei uns wie bei Ihnen — befürchteten Konfrontierung mit weltanschaulichen Problemen und Gegensätzen, von denen man sagt, darüber gebe es in einer pluralistischen Gesellschaft keine Einigung.
      Ich sage, man muß den Mut haben, sich über all diese Bedenken und Hemmungen hinweg zur Berufung zu diesem Reformwerk zu bekennen. Wenn Ihnen „Berufung" ein zu hoch gegriffenes Wort ist, dann sage ich eben: zur Verpflichtung zu diesem Reformwerk. — Wenn das Wort auch hart klingen mag: Eine eher dürftige Zeit wie die unsere, dürftig an Substanz und großen Ideen, wird kaum die Kraft zu großer rechtlicher Neuschöpfung haben. Eine im Fluß, in der Entwicklung befindliche Gesellschaft kann sich kaum vornehmen, Jahrhun-



      Dr. h. c. Güde
      derte oder auch nur ein Jahrhundert im Recht zu fixieren. Ich sage da durchaus, was Prof. Bader gesagt hat: „Ein Jahrhundertgesetz, ein großes Wort mit reichlicher Prophetie! Man sollte sich damit begnügen, ein Gesetz zu schaffen, das vor der Gegenwart bestehen kann." — Gut, bescheiden wir uns also! Aber auch diese Einsicht entbindet nicht von der Verpflichtung, unser Strafgesetz, das aus einem anderen Jahrhundert und aus einer völlig anderen Gesellschaft kommt, den Verhältnissen und Anschauungen unserer Zeit anzupassen. Das ist ein bescheidenes, aber immer noch verpflichtendes Programm. Vielleicht haben wir uns also damit zu bescheiden, daß es sich nicht um die Verwirklichung epochaler neuer Rechtgedanken handelt, sondern eher um das mühselige Einbringen einer Ernte aus nun über sechs Jahrzehnten, die sowohl die politische wie die Geistesgeschichte unseres Volkes mit all ihren Brüchen widerspiegeln, auch im Recht.
      Aber auch wer die Dinge so sieht, muß sich zu der Aufgabe bekennen, das Strafrecht zurückzuführen zu der Gerechtigkeit, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, die beeinträchtigt ist, einmal durch die jahrzehntelange Reformbewegung. Diese bedeutet selbstverständlich eine Anzweiflung des geltenden Rechts in vieler Beziehung, eines Rechts, das nie aus einem Plan und Gesichtspunkt an die gesellschaftlichen Veränderungen angepaßt worden ist und das durch all die Entscheidungen, die seit 1870 in völlig verschiedenen Situationen auf Grund desselben Strafgesetzbuches ergangen sind, nun im ganzen doch unsicher und unklar geworden ist. Wir müssen es zur Gerechtigkeit, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zurückführen. Wir sind uns dieses Stück Selbstdarstellung des deutschen Volkes schuldig, sowohl nach innen wie nach außen. Das wurde schon angesprochen. Ich will es nur in ein paar Sätzen wiederholen.
      Die Reformbewegung im deutschen Strafrecht ist ein Stück einer Reformbewegung in der europäischen Rechtsfamilie, einer gesamteuropäischen Reformbewegung, die wesentliche Beiträge von Deutschland gehabt hat, einer Gesamtreform, die sowohl Schweden wie die Schweiz, wie Österreich und Deutschland umfaßt hat. In Schweden und der Schweiz ist die Reform beendet, allerdings auf eine Weise, die wohl den Reformwerken dieses Jahrhunderts eigen sein wird, daß nämlich nicht mit der Vorstellung der Ewigkeit reformiert worden ist. Wir sehen vielmehr ebensowohl in der Schweiz wie in Schweden, daß nach verhältnismäßig kurzer Zeit, nach wenigen Jahren die Reformbewegung ihren Fortgang nimmt. Das wird uns auch nicht anders gehen. Mit Österreich ziehen wir ungefähr im gleichen Zug einer Vollendung der Reform entgegen. Ich sage, Deutschland ist nicht nur sich selbst, sondern der großen europäischen Rechtsfamilie schuldig, daß es nun endlich seinen Beitrag zu einer europäischen Reform, zur Vollendung eines europäischen Gesamtreformwerks leistet, einen Beitrag, den es zu der geistigen Bewegung so vielfach geleistet hat.
      Deutschland schuldet die Reform aber auch sich selbst. Eine Gesellschaft, die straft, weil eine jede Gesellschaft strafen muß, kann sich nicht für unfähig und unwillig erklären, die Gedanken, Prinzipien und
      Regeln, nach denen sie straft, zu überprüfen und der Zeit anzupassen. Der Gesetzgeber muß seinen Teil Verantwortung auf sich nehmen, um Uneinheitlichkeit, Unklarheit und Lückenhaftigkeit im Strafrecht zu überwinden. So ist es — das Beispiel ist auch schon angesprochen, aber es ist mir noch von der Fragestunde heute morgen her in den Ohren — ein wesentliches Anliegen der Großen Strafrechtsreform, eine größere Gleichmäßigkeit in der Anwendung des Strafrechts, d. h. vor allem in der Strafzumessung, zu erreichen. Es wird wohl so sein — geben wir uns das zu —, daß die große, manchmal schwer erträgliche Schwankungsbreite in der Strafanwendung und in der Strafzumessung, die wir sowohl in den Jahrzehnten, die hinter uns liegen, selbst erlebt haben, als auch in der Breite der gegenwärtigen deutschen Rechtsprechung erleben, wohl auf einer Unsicherheit in den Prinzipien und Wertungen beruht. Immer wieder zeigt sich die öffentliche Meinung durch eine wirkliche oder vermeintliche Ungleichmäßigkeit im Strafmaß schockiert. Wenn — ich sage das ganz offen — dann mit diesem Anliegen die Justizverwaltungen angegangen werden und diese mit Weisungen an die Staatsanwaltschaften reagieren, so ist das nach meiner Auffassung ein unzulänglicher Weg, ein unzulänglicher und gar nicht zu begrüßender Ausweg. Die Zumessung der Strafe muß unverrückbar der Entscheidung des Richters und zwangsläufig seinem unabhängigen Ermessen überlassen und anvertraut bleiben. Sache des Gesetzgebers — nicht der Justizverwaltung — ist es, die Grenzen dieses Ermessens abzustecken und auf Grund einer verbindlichen Wertetafel der Rechtsgüter die Richtlinien in Form von Gesetzen an die Hand zu geben, an denen das richterliche Ermessen sich zu orientieren hat, und nicht anders.
      Das, meine Damen und Herren, ist nur ein — allerdings nicht unbedeutendes — Beispiel für das, was auf den Gesetzgeber an Aufgaben und Verantwortung zukommt. Der Gesetzgeber muß sein Teil Verantwortung auf sich nehmen. Im Zusammenhang mit einem Einzelfall, mit dem Fall Dohrn, hat ein deutscher Strafrechtslehrer, Herr Professor Engisch, kürzlich geschrieben, der Gesetzgeber habe zu sprechen, der in einem demokratischen Staat „die Berufung besitzt, mit parlamentarischer Mehrheit sittliche Forderungen zum Rechtsprinzip zu erheben, auch wenn sie nicht allgemein gebilligt werden sollten." „Nicht dem Richter", sagt Engisch, „wohl aber dem Gesetzgeber steht die Befugnis zur Majorisierung zu." Eine klare und nach meiner Ansicht richtige Verteilung der Verantwortung zwischen dem Gesetzgeber und der Justiz.
      Das gilt nicht nur in jenen Fällen, wo — wie im Falle Dohrn — der Begriff der Sittenwidrigkeit als Tatbestandsmerkmal zur Anwendung stand, sondern es gilt weit darüber hinaus: überall dort, wo grundlegende Wertungen die Anwendung des Strafrechts nach Art und Maß bestimmen. Dieser Aufgabe kann sich der Gesetzgeber nicht mit der Behauptung entziehen, daß eine Einigung über weltanschaulich bedingte Wertungen im parlamentarischen Raum nicht möglich sei. Das ist eine Leugnung der Aufgabe des Parlaments. Wenn das wahr wäre, wenn der Gesetzgeber selber zu einer Entscheidung in wesentlichen



      Dr. h. c. Güde
      Wertungsfragen nicht imstande wäre, auf welcher Grundlage könnte dann der Richter überhaupt entscheiden? Der Richter wäre dann offensichtlich überfordert, weil von ihm eine Entscheidung erwartet würde, die er nur unter Berufung auf sich selbst, auf seine Einsicht, nicht mehr unter Berufung auf das Gesetz, erlassen könnte. Aber es ist doch unbestreitbar so: Das Gesetz muß den Richterspruch legitimieren, und nur von der Autorität eines gültigen und unangezweifelten Gesetzes kann der Richterspruch Autorität haben, so daß er dem Vorwurf entgeht, der Richter habe nur aus seiner privaten Meinung, seiner privaten Weltanschauung — oder wie Sie sagen wollen — geurteilt. Diesen Vorwurf hören wir doch heute immer wieder. Auch der Gesetzgeber einer pluralistischen Gesellschaft muß die unentbehrlichen Entscheidungen treffen, wenn er von seinen Richtern Entscheidungen erwartet, die die friedenstiftende Funktion des Richters erfüllen können.
      Ich habe gestern zufällig im Januar-Heft der „Gewerkschaftlichen Monatshefte" ein Zitat aus einer Veröffentlichung des französischen Klubs Jean Moulin gelesen, wo es heißt: „Die Justiz soll ein Organ werden, welches das friedliche Miteinander widerstrebender wirtschaftlicher, sozialer und politischer Kräfte sichert." Das ist für mich ein wenig skeptisch formuliert, aber im Prinzip sage ich: Einverstanden!
      Dabei ist es wahr, daß die Rechtsprechung bei uns
      — vielleicht auch anderswo —, wie Weinkauff gesagt hat, „nicht aus einem Schatz unbezweifelter und unbezweifelbarer letzter gemeinsamer Rechtsüberzeugungen des Volkes schöpfen kann". Nein, zugegeben. Aber trifft, werden Sie sagen, diese Aporie, diese Ratlosigkeit nicht auch den Gesetzgeber, nicht auch das Parlament? Wird nicht jedes Parlament angesichts der gestellten Fragen in Weltanschauungsgruppen auseinanderfallen? Das müssen wir ja bei dieser großen Vorlage in der Tat fürchten. Deswegen
      — vielleicht finden Sie es übertrieben — starre ich geradezu auf dieses Problem, über unsere Differenzen hinwegzukommen. Wird nicht auch der Gesetzgeber überfordert? An welchen Sternen sollen wir, das Parlament, uns orientieren? Nun, die Antwort ist schon ein paarmal angeklungen; sie kann für uns in unserer Gesamtheit nur lauten: am Grundgesetz.
      Die Idee der Humanität und der Gerechtigkeit, die im Grundgesetz Gestalt gewonnen hat, muß für die ganze Rechtserneuerung und erst recht für die Strafrechtserneuerung das Maß bilden. Die dem Grundgesetz zugrunde liegende Entscheidung für eine auf der Idee der Verantwortung und des Rechts beruhende Ordnung des Gemeinschaftslebens ist eine tragfähige Grundlage, um über alle Differenzen hinweg Einigung zu finden. Das Bekenntnis zur Würde der menschlichen Person als das verpflichtende Kernstück des Grundgesetzes ist auch Grundlage und Richtpunkt der Strafrechtsreform. Von diesem Richtpunkt aus erweist sich z. B. — die Äußerung stammt (Zur SPD) aus Ihren Kreisen, aber ich hänge sie Ihnen wahrhaftig nicht an — eine Auffassung, für die das Strafrecht der Bekämpfung der Seuchen oder der Regelung des Gas- und Wasserwesens näher steht als dem, was gemeinhin als Ethik oder Moral bezeichnet wird — Sie wissen, von wem sie stammt —, als inhuman und auf jeden Fall in ihrer Einstellung als grundgesetzwidrig.
      Nun, das ist bloß eine etwas vulgäre Formulierung für eine Auffassung, die in der Tat durch das ganze Jahrhundert hindurchging und noch vertreten wird von Wissenschaftlern, Pädagogen, die den Verbrecher als Kranken, als im Grunde Unverantwortlichen bezeichnen und ansehen. Aber bei all diesen Dingen tritt ja klar zutage, daß hier der gesunde Verbrecher nicht unterschieden wird von dem kranken, daß nicht unterschieden wird derjenige, der als Gesunder für seine Tat einstehen muß, von dem, der als Kranker und Unverantwortlicher einer Behandlung, wie einer vergleichsweise ärztlichen, unterzogen werden darf. Es gibt gute Gründe dafür, zu sagen, daß das Menschenbild, das einer solchen Konzeption des Strafens zugrunde liegt, wissenschaftlich überholt ist. Auf jeden Fall ist es nicht mit dem Menschenbild des Grundgesetzes vereinbar. Vom Grundgesetz her steht das Strafrecht — und die Strafrechtsreform —, anders als Gas- und Wasserversorgung und Seuchenbekämpfung, unter dem doppelten Gebot von Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit. In der Anerkennung dieser beiden Gebote, von denen weder das eine noch das andere allein gesehen, verabsolutiert werden darf, liegt für uns — ich meine uns alle — eine Chance für eine Einigung über alle Differenzen hinweg.
      Auf der Grundlage der grundgesetzlichen Wertung und in der Ausrichtung an den Geboten der Gerechtigkeit und der Zweckmäßigkeit lassen sich doch wesentliche Prinzipien aufzeigen, über die eine breite Einigung unter uns allen möglich sein müßte, und ich bin überzeugt: möglich wird.
      In diesem Lichte gewinnt doch auch die These vom Schuldstrafrecht die richtige Bedeutung. Nicht nur die schuldvergeltende Strafe, sondern ebenso die präventive, der Persönlichkeit des Täters angepaßte Maßregel der Besserung und Sicherung bestimmen die ganze strafrechtliche Konzeption, wie sie uns allen vorschwebt, das Ganze in einem ausgewogenen Maß von Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit.
      Fassen wir es doch richtig auf: Schuldvergeltung und Besserung und Sicherung durchdringen und begrenzen sich gegenseitig. Eberhard Schmidt hat völlig recht, wenn er den Schuldgedanken als das rechtsstaatlich notwendige Komplementärelement zu allen kriminalpolitisch orientierten Zweckmäßigkeitsgedanken bezeichnet. Das Schuldstrafrecht bedeutet, wenn es richtig verstanden und angewendet wird, eine Beschränkung des Strafrechts, eine Sicherung des Strafrechts gegen die gefährliche Verabsolutierung des Zweckgedankens nach Art von Gas- und Wasserversorgung und Seuchenbekämpfung.
      Schon lange sind wir weithin darüber einig, daß eine Beschränkung des Strafrechts und des Strafens geboten ist. Das kommt im Entwurf schon dadurch zum Ausdruck, daß die Übertretungstatbestände ausgeschieden worden sind. Ob dieser Gedanke, der auch dem Kommissionsentwurf und dem Regierungsentwurf zugrunde lag, schon hinreichend verwirklicht ist, das zu prüfen wird Aufgabe des Ausschusses sein. Auf jeden Fall werden Sie uns hinsichtlich des



      Dr. h. c. Güde
      Grundsatzes zur Einigung bereit finden. Eine am Grundgesetz orientierte freiheitliche Konzeption wird die Strafbarkeit grundsätzlich auf das für das Gemeinwohl unbedingt Notwendige beschränken und nicht darüber hinausgehen. Gerade jetzt im Dezemberheft des „Hochland" hat Schöllgen, ein katholischer Moraltheologe von Rang und Namen — ich zitiere ihn, um zu zeigen, daß ich in diesem Punkt nicht nur eine persönliche Meinung oder eine politische Meinung vortrage, sondern wie weit die Einigung in diesem Grundsatz geht —, dargelegt, daß nach Thomas von Aquin und demnach nach katholischer Morallehre nur jene schweren Verbrechen grundsätzlich verboten werden sollten, bei denen Aussicht besteht, die Mehrheit von ihnen abzuhalten, und hier wieder vor allem solche Gesetzwidrigkeiten, die anderen Menschen Schaden zufügen. Ja, Thomas bestimmt ein abgrenzendes Kriterium für strafgesetzliche Verbote: sie sollen so fundamental sein, daß ohne das Verbot die menschliche Gesellschaft nicht bestehen könnte. Das ist ein Prinzip, ein Maßstab, an Hand dessen man wohl eine Einigung über Vorstellungen finden könnte, die das Strafrecht weiter einschränken wollen, als es der Entwurf vorsieht. Das bedeutet Beschränkung der Pönalisierung auf die Gebote der einfachen Sittlichkeit. Ich könnte hier Jescheck zitieren, der sagt: auf die Handlungen, „die nach den Anschauungen einer elementaren, allen Rechtsgenossen gemeinsamem oder wenigstens verstehbaren Sittlichkeit für die Gemeinschaft unerträglich sind". Ich könnte auch Arthur Kaufmann zitieren, um zu zeigen, daß wir auch eine breite wissenschaftliche Grundlage dafür haben, das Strafrecht auf das zu beschränken, „was gegen die Grundgebote des Gemeinschaftslebens verstößt, die Grundgebote, die nicht beliebig wechselnd in der Geschichte auftreten, sondern ein Allgemeinmenschliches zum Ausdruck bingen".
      Wenn wir uns zu solchen Prinzipien bekennen — die übrigens auch schon dem Entwurf zugrunde liegen —, geben wir uns nicht der Hoffnung hin, alle Differenzen, die zwischen uns möglich sind, ausgeräumt zu haben. Aber die Differenzen werden auf ein übersehbares Feld zurückgeführt, und die Auseinandersetzungen um die verbleibenden Probleme sind auf das Feld rationaler Argumente verwiesen. Selbstverständlich reicht der Grund sozialethischer Wertungen, sozialethischer Prinzipien, auf denen das Strafrecht beruht, für mich und für viele in den Bereich des Glaubens und der geglaubten Wahrheiten. Aber hindert das diejenigen, die unseren Glauben nicht teilen, sich mit uns in praktischen Positionen zu treffen?
      Ich für mein Teil — und ich sage das in diesem Augenblick ausdrücklich nur für mich — werde die Sterilisation außerhalb der medizinischen Indikation in der Tat aus geglaubten Überzeugungen ablehnen. Aber auch wer das nicht mit mir vollzieht, könnte sich doch mit mir darüber unterhalten und vielleicht einigen, daß mißbräuchliche Sterilisationen, die willkürlich, unverantwortlich und — setzen wir einmal die Möglichkeit — gemeinschädlich sind, zum Schutz der Volksgesundheit, zum Schutz der Frau in einem beschränkten Maße doch pönalisiert werden können. Ich werfe diese Frage nur als Beispiel auf, um zu zeigen, wie rational unsere Auseinandersetzung sein kann. Lassen wir uns doch auf allen Seiten nicht durch Vorurteile von sachlichen und rationalen Diskussionen abhalten.
      Aber ich habe den Eindruck, meine Damen und Herren, daß das Vorurteil mehr auf seiten der Kritiker als auf unserer Seite besteht. Die Vorurteile auf seiten der Kritiker — ich will jetzt gar nicht in bestimmte Richtungen schauen — bestehen darin, daß man uns unterschiebt, wir seien überhaupt nicht in der Lage, rational zu argumentieren, während wir in Wirklichkeit völlig offen und frei darin sind, über alle Streitfragen rational, nämlich am Bild des kriminalpolitisch Notwendigen, zu diskutieren und uns zu einigen, soweit uns das verantwortbar erscheint.
      Es ist das Stichwort „Resozialisierung" gefallen. Natürlich verpflichtet das Menschenbild des Grundgesetzes uns alle dazu, die Resozialisierung des Verbrechers als ein wesentliches Ziel der Strafrechtspflege zu sehen und ernst zu nehmen, ernster zu nehmen, als das früher geschehen ist, zugegeben; als ein wesentliches Ziel, sage ich, aber nicht als das einzige. Am Ziel der Resozialisierung wird sich gewiß die Strafvollzugsreform maßgeblich orientieren müssen. Ich werde an dieser Stelle nicht versäumen, zu sagen, daß auch nach unserer Auffassung möglichst gleichzeitig mit der großen Strafrechtsreform auch eine Strafvollzugsreform in Kraft treten sollte, über der durchaus die Devise, die ich in den skandinavischen Ländern gehört und gelernt habe, stehen könnte: So viel Humanität im Strafvollzug, als der Zweck der Verbrechensbekämpfung zuläßt. Einverstanden, akzeptiert.
      Ich will auch gar nicht das Wort des Leiters einer Jugendstrafanstalt vergessen — warum sollte ich verschweigen, wer es war; es war der Leiter der Jugendstrafanstalt in Wiesbaden —, das mich sehr beeindruckt hat. Er sagte: Niemand soll diese Anstalt schlechter verlassen, als er in sie hineingekommen ist. Das ist ein Minimalziel eines Strafvollzugs, zu dem jeder nur ja sagen kann, weil er ja sagen muß aus rechtlicher und aus Gewissensverpflichtung.
      Für das Strafrecht selbst und seine Anwendung kann der Gesetzgeber nicht einseitig und ausschließlich auf das Ziel der Resozialisierung schauen. Selbst in der skandinavischen Konzeption, die dort maßgeblich unter den Gedanken des Gesellschaftsschutzes gestellt ist, spricht man davon, daß man in dieser Zwecksetzung Rücksicht zu nehmen habe auf die Rechtstreue der Allgemeinheit. Selbst da also wird die Versuchung zur einseitigen Zweckmäßigkeit, zur alleinigen Ausrichtung an dem Gesichtspunkt der zweckmäßigen Resozialisierung durch das Gebot der Gerechtigkeit beschränkt und korrigiert, wenn auch formuliert als Berücksichtigung der Gerechtigkeitserwartung der Menschen, der Bürger.
      Der Züricher Professor Frey hat vor zwei Jahren gesagt, es komme in diesem Punkte ein Veto auf uns zu, und zwar von einer Seite, um die sich die Strafrechtstheoretiker und Strafrechtsreformer auf-



      Dr. h. c. Güde
      fällig wenig gekümmert haben, das Veto nämlich der im Volke herrschenden Überzeugung, daß die verbrecherische Tat Sühne, das Verbrechen als solches einen Ausgleich verlangt. Er warnt davor, diese Gerechtigkeitserwartung einfach unbeachtet zu lassen, wenn wir nicht riskieren wollen, sagt er, daß sich die Strafjustiz immer mehr von den Kräften, die sie letztlich tragen, entfremdet. Evidentermaßen ist es uns nicht erlaubt, eine schwere Verbrechertat unbestraft oder unangemessen mild bestraft zu lassen mit der Begründung, daß ein Einwirken auf den Täter mit dem Ziel der Besserung, der Resozialisierung im konkreten Fall unnötig oder unmöglich sei. Die Wahrheit dieses Satzes ist uns doch allen durch das unabweisbare Bedürfnis bewußt gemacht worden, schwere nationalsozialistische Mordtaten nach mehr als 20 Jahren zu sühnen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob die Täter der Resozialisierung bedürfen.
      Zwischen dem Ziel der Resozialisierung und dem Gebot der Gerechtigkeit werden wir an manchen, an verhältnismäßig vielen Stellen abzuwägen haben. Wir werden dem Ziel der Resozialisierung nicht von vornherein den absoluten Vorrang einräumen dürfen, wenn wir das objektive Ziel der Strafrechtspflege nicht verfehlen wollen, das objektive Ziel, das zweifellos heißt: Wahrung und Bewährung des Rechtsfriedens in der Allgemeinheit, die Stärkung des Vertrauens in die Rechtsordnung und die Erfüllung der berechtigten Gerechtigkeitserwartung der Bürger. In diesem Abwägen zwischen Resozialisierung und Gerechtigkeit, zwischen Zweckmäßigkeit und Gerechtigkeit werden wir schwierige Fragen zu beantworten haben, sogenannte Fragen weltanschaulicher Art, in Wirklichkeit nicht weltanschaulicher Art. Vielmehr reichen die Fragen für den einen in den weltanschaulichen Bereich, für den anderen nur in den kriminalpolitischen und kriminologischen Bereich, und dort werden wir uns treffen und miteinander diskutieren.
      Meine Damen und Herren, erwarten Sie von mir nicht, daß ich nun die Fragen, die zum großen Teil schon erwähnt worden sind, im einzelnen aufzähle und jetzt schon zu ihnen Stellung nehme. Denn ich lege weder mich noch meine Fraktion in irgendeiner Frage jetzt schon fest. Um mit allem Nachdruck zu sagen: Bitte, tun Sie dasselbe! Seien Sie bereit zu einer rationalen Diskussion über alle Fragen, so wie wir bereit sind, unbeschadet unseres grundsätzlichen Standpunktes über alle Fragen zu diskutieren. Versuchen wir also, auf dieser Grundlage eine Plattform von Gemeinsamkeiten für diese Beratungen zu schaffen. Sagen wir es ganz nüchtern: Bei der Strafrechtsreform geht es — entgegen vielen Vulgärvorstellungen — nicht um weltanschauliche Auseinandersetzungen, sondern um das Verbrechen und seine Bekämpfung, um die gerechten und wirksamen Methoden der Verbrechensbekämpfung. Diese Methoden hängen selbstverständlich von dem Kriminalitätsbefund ab. Wir reden viel zu viel über allgemeine Dinge und versäumen es, uns einmal klarzumachen, wie es eigentlich mit der Kriminalität steht. Dazu möchte ich einige kurze Feststellungen vortragen, die auf Grund der Kriminalstatistik getroffen worden sind.
      Das Ausmaß unserer heutigen Kriminalität, meine Damen und Herren, ist nicht so erschreckend, wie es uns die Vulgärdarstellungen gelegentlich — ich möchte fast sagen: sehr oft — nahelegen. Die grundlegende Verschiebung in der Gesamtkriminalität — ich habe das vorhin schon erwähnt und hole die Zahl jetzt nach — besteht darin, daß nahezu die Hälfte der Kriminalitätsdelikte — bei der letzten Zählung von 1962 waren es 46 %; wahrscheinlich sind es jetzt schon 50 oder mehr Prozent — in Verkehrskriminalität besteht, und dabei sind die Verkehrsübertretungen nicht mitgezählt. Das ist eine so elementare Verschiebung des Gesamtbildes der Kriminalität, daß der Gesetzgeber gar nicht daran vorbeigehen darf, wenn er sich das einmal klar macht. Wenn man die Verkehrskriminalität aus dem Bild der Gesamtkriminalität ausklammert, dann ergibt sich, daß die Gesamtkriminalität — soweit sie die allgemeine Kriminalität nach den Delikten des Strafgesetzbuchs betrifft — anders ist, als man sich vorstellt. Die Gesamtkriminalität abzüglich der Verkehrskriminalität hat gegenüber der Zeit vor dem 1. Weltkrieg abgenommen; sie hat auch gegenüber der Zeit zwischen den Weltkriegen abgenommen, und sie hat im ganzen abgenommen. Das trifft nicht gleichmäßig für alle Delikte zu.
      Ich will nur diejenigen Delikte herausheben, die zugenommen haben, weil diese die Öffentlichkeit so sehr beschäftigen. Zugenommen hat die Raubkriminalität, die schwere Raubkriminalität. Es hat auch zugenommen die Diebstahls- und Unterschlagungskriminalität. In den letzten Jahren hat die Kriminalität in allen Sparten etwas abgenommen, während man im ganzen sagen muß, daß die Gesamtkriminalität — abgesehen von der Verkehrskriminalität — gegenüber dem Stand vor dem 1. Weltkrieg um 40 % und gegenüber der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen um 25 % geringer geworden ist. Wenn man dieses Ergebnis allerdings nach Straftaten und nach Altersgruppen aufgliedert, dann sieht man etwas, was nicht als günstig bezeichnet werden kann. Die Kriminalität ist zurückgegangen bei den Vollerwachsenen. Demgegenüber liegt die Verurteilungsziffer bei den Jugendlichen, auch wenn man die Verkehrsdelikte ausscheidet, ganz erheblich über den entsprechenden Ziffern früherer Jahre. Für das Jahr 1963 beträgt sie 1064,1. Für das Jahr 1932 ist dieselbe Ziffer — wenn ich sie vergleiche — nur 623, also annähernd nur die Hälfte. Diese Entwicklung der Jugendkriminalität, zu der auch die der Heranwachsenden und der sogenannten Jungtäter zwischen 21 und 25 Jahren zu zählen ist, kann nicht ernst genug genommen werden, da nach den Ergebnissen der kriminologischen Forschung rund 70 % der Rückfalls- und Berufsverbrecher ihre kriminelle Laufbahn schon vor Vollendung des 21. Lebensjahres beginnen. Bedenklich ist durchaus, daß entgegen früheren kriminologischen Anschauungen die von Jahr zu Jahr steigende wirtschaftliche Hochkonjunktur nicht bei allen Deliktsgruppen zu einer wesentlichen Verringerung der Kriminalität geführt hat. Die Diebstahls- und Unterschlagungsfälle haben von 1954 bis 1961 bei den Jugendlichen und bis 1962 bei den Heranwachsenden ständig zugenom-



      Dr. h. c. Güde
      men. Gestiegen ist von 1954 bis ins Jahr 1963 vor allem auch die Raub- und Erpressungskriminalität. Bei den Jugendlichen war bis 1960 und bei den Heranwachsenden und den Jungerwachsenen bis ins Jahr 1962 eine Zunahme zu beobachten, bei den beiden letzteren Gruppen auch eine Zunahme der gemeingefährlichen Delikte. Bei den Heranwachsenden hat diese Tendenz zu gemeingefährlichen Delikten auch im Jahre 1963 noch angehalten.
      Angesichts dieser Zusammenballung der Kriminalität auf Gruppen von Schwer- und Schwerstkriminalität bei rückläufiger Gesamtentwicklung der Zahlen bedarf es ganz offensichtlich einer Verbesserung der kriminalpolitischen Bekämpfungsmöglichkeiten, sagen wir, einer gezielteren Anwendung der Verbrechenbekämpfungsmethoden auf die Hoch- und Schwerkriminalität. Daß der Entwurf, daß unser Reformdenken gerade da nach neuen Wegen sucht, werden Sie ohne weiteres zugeben. Ich erinnere an die angestrebte Verfeinerung der Maßnahmen der Besserung und Sicherung, an die Einführung der Sicherungsaufsicht, an die Möglichkeit, gerade abwegige Triebverbrecher sachgemäß in psychiatrischen Anstalten zu versorgen, an die Einführung der Jugendverwahrung, die nach den letzten Beschlüssen des Sonderausschusses Erziehungsverwahrung heißen soll. Darüber wird noch zu reden sein.
      Der Entwurf beschäftigt sich mit dem Problem der kurzen Freiheitsstrafe. Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit werden auch da ein unentbehrlicher Maßstab sein. Wir werden darüber reden müssen. Ich glaube, daß die kurze Freiheitsstrafe nicht zu entbehren sein wird. Sie ist nirgends völlig zu entbehren, auch in keinem anderen Staat. Wenn uns jemand einen Ausweg zeigt, wie wir sie ersetzen können, wollen wir gern diesen Ausweg gehen.
      Das Problem der Zuchthausstrafe, das mit dem Problem der Resozialisierung zusammenhängt, ist immer noch offen. Wir sind uns sicher darüber einig, daß die Zuchthausstrafe, wenn sie beibehalten wird, unter dem Gesichtspunkt der Resozialisierungsfreundlichkeit auf ein Mindestmaß beschränkt werden sollte.
      Die umstrittenen neuen Tatbestände habe ich schon erwähnt: die Insemination, die ethische Indikation, die freiwillige Sterilisation, ferner den Grundtatbestand der Homosexualität, die Strafbarkeit des Ehebruchs und die Strafbarkeit der Gotteslästerung, wobei jedermann weiß, daß es dabei nicht um den Schutz Gottes, sondern um den Schutz des religiösen Friedens geht. Jedermann in einem weltlichen Staat weiß, daß Gott nicht des Schutzes dieses Staates bedarf. Vielleicht aber bedarf der religiöse Friede dieses Schutzes. Zu all diesen Fragen, zu denen ich noch den Versuch, einen Contempt of Court einzuführen, die verbotene Mitteilung über Gerichtsverhandlungen, die öffentliche Erörterung fremder Privatangelegenheiten sowie die Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes zählen könnte, möchte ich nur sagen, wir sind bereit, nach den Prinzipien, die ich Ihnen dargelegt habe, offen und rational zu diskutieren. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, die Sie den Antrag nicht mit unterschrieben haben, nichtsdestoweniger willig mitzuarbeiten; willig heißt: mit dem Willen zur Einigung.
      Ich habe gestern mit einer gewissen Bewegung nachgelesen, was der alte Professor und Geheimrat Kahl im Jahre 1927 in der Sitzung des Rechtsausschusses des Reichstages in einer ähnlichen Situation gesagt hat: Die Meinungsverschiedenheiten über den Entwurf sollten keine Trennungsstriche zwischen Ausschuß und Regierungen — Regierungen im alten Reich — darstellen, sondern sie seien nur die verschiedenen Versuche, die großen Grundprinzipien des Strafrechts, Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit, in gesetzgeberisch möglichst vollendeter Weise zu gestalten. Um das Verbrechen und seine Bekämpfung geht es, um ein höchst verantwortungsvolles Ziel, an dessen Erreichung mitzuarbeiten ich Sie lalle bitte. Es geht um eine Besserung unserer Rechtsordnung; wenn Sie es ganz bescheiden sagen wollen: um ein kleines Stück Gerechtigkeit mehr. Und auch ein kleines Stück Gerechtigkeit mehr in dieser Zeit ist der Mühe wert.

      (Beifall bei den Regierungsparteien.)