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ID0501417700

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    Deutscher Bundestag 14. Sitzung Bonn, den 13. Januar 1966 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung . . . . . 529 A Überweisung von Vorlagen . . . . . . 529 A Wahl der Schriftführer (Drucksache V/87) . 529 C Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen über die Dreiunddreißigste, Fünfunddreißigste, Sechsunddreißigste, Achtunddreißigste und Neununddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 (Drucksachen V/15, V/44, V/45, V/22, V/23, V/177) . . 529 D Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen über die Vierunddreißigste und Siebenunddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 (Drucksachen V/43, V/46, V/178) 530 A Fragestunde (Drucksache V/161) Frage des Abg. Schmitt-Vockenhausen: Zahlen über die Haushaltslage der Län- der 530 C Fragen des Abg. Dr. Wörner: Umstellung des Schuljahres Dr. Ernst, Staatssekretär . . . . . 530 D Dr. Wörner (CDU/CSU) . . . . . 530 D Fragen des Abg. Josten: Taubstumme schulpflichtige Kinder . . 531 A Frage des Abg. Dorn: Panorama-Sendung vom 13. 12. 1965 . 531 B Fragen des Abg. Bühling: Ausübung von Verwaltungsaufgaben durch Richter 531 B Frage des Abg. Haehser: Munitionslager der französischen Stationierungsstreitkräfte bei Hasborn Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . . 531 D Haehser (SPD) . . . . . . . . . 531 D Holkenbrink (CDU/CSU) . . . . . 532 A Frage des Abg. Genscher: Reichsabgabenordnung 532 C Fragen des Abg. Weigl: Kostenersatz für die Stadt Eschenbach (Oberpfalz) Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . . 532 C Frage des Abg. Dröscher: Finanzhilfe des Bundes in Katastrophenfallen Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . 533 A Dröscher (SPD) 533 A II Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Januar 1966 Frage des Abg. Felder: Bewertung von Trunkenheitsdelikten und Fahrerflucht bei Kraftfahrzeugunfällen Dr. Jaeger, Bundesminister . . . . 533 C Felder (SPD) . . . . . . . . . 533 D Fellermaier (SPD) . . . . . . 534 C Opitz (FDP) 534 D Dröscher (SPD) 535 A Frage des Abg. Sanger: Wettbewerbsverhältnisse bei Presse, Rundfunk, Film und Fernsehen Dr. Neef, Staatssekretär . . . . 535 B Sänger (SPD) 535 C Frage des Abg. Haase (Kassel) : Schädigung der tabakverarbeitenden Industrie durch das Einfuhrverbot für rhodesische Tabake Dr. Neef, Staatssekretär . . . . . 535 D Frage des Abg. Haase (Kassel) : Exportverluste der deutschen Wirtschaft infolge Boykotts deutscher Waren durch Rhodesien Dr. Neef, Staatssekretär . . . . . 536 A Haase (Kassel) (CDU/CSU) . . . . 536 A Frage des Abg. Langebeck: Unterschiede bezüglich elektrotechnischer Sicherheit zwischen Stadt und Land Dr. Neef, Staatssekretär . . . . 536 B Langebeck (SPD) 536 B Frage des Abg. Langebeck: Energiewirtschaftsgesetz Dr. Neef, Staatssekretär . . . . . 537 A Langebeck (SPD) . . . . . . . . 537 B Fragen des Abg. Opitz: Fortführung der Bauarbeiten im Winter Katzer, Bundesminister . . . . 537 C Opitz (FDP) 538 A Gerlach (SPD) 538 B Frage des Abg. Weigl: Versicherungspflichtgrenzen Katzer, Bundesminister 538 D Weigl (CDU/CSU) 539 A Frage des Abg. Dr. Marx (Kaiserslautern) : Verteidigungsetat der Sowjetunion . . 539 A Frage des Abg. Dr. Tamblé: Heizungskostenzuschüsse 539 B Frage des Abg. Dr. Hamm (Kaiserslautern) : Gesunderhaltung und körperliche Ertüchtigung der Jugend Gumbel, Staatssekretär 539 B Dr. Hamm (Kaiserslautern) (FDP) . 539 C Frage des Abg. Felder: Warnleuchten für marschierende Bundeswehrtrupps bei Nacht Gumbel, Staatssekretär 539 D Felder (SPD) 540 A Frage des Abg. Felder: Strafsache des Luftwaffen-Oberleutnants Manfred Jurgan Gumbel, Staatssekretär 540 B Felder (SPD) 540 C Frage des Abg. Josten: Gesundheitsbefund der Musterungsuntersuchungen zur Bundeswehr . . . 540 D Fragen des Abg. Lemmrich: Militärflughafen Neuburg — Absiedlung in der Gemeinde Zell Gumbel, Staatssekretär 540 D Lemmrich (CDU/CSU) 541 C Frage des Abg. Dröscher: Gefahren bei Überfliegen der Grenzen des eigenen Landes und der NATO-Partner Gumbel, Staatssekretär 542 C Dröscher (SPD) . . . . . . . 542 D Fragen des Abg. Dr. Huys: Eisenbahnstrecke Wittingen—Rühen . . 543 B Frage des Abg. Ramms: Fest- und Margentarife für die Binnenschiffahrt im innerdeutschen Verkehr Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 543 D Frage der Abg. Frau Funcke: Verkehrsunfallhilfe des ADAC Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 544 A Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Januar 1966 III Fragen der Abg. Eisenmann und Dröscher: Zwischenuntersuchungen durch KfzHandwerksstätten Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 544 A Genscher (FDP) . . . . . . . 544 B Dröscher (SPD) 544 D Sammelübersicht 1 des Petitionsausschusses über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen und systematische Ubersicht über die Zeit vom 17. 10. 1961 bis 17. 10. 1965 (Drucksache V/132) 545 B Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung (SPD) (Drucksache V/170) — Erste Beratung — Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) . . 545 C Entwurf eines Strafgesetzbuches (Abg. Frau Dr. Diemer-Nicolaus, Dr. h. c. Güde, Dr. Dehler, Dr. Wilhelmi u. Gen.) (Drucksache V/32) — Erste Beratung — Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) . . 545 D Dr. Jaeger, Bundesminister . . . . 552 A Dr. h. c. Güde (CDU/CSU) . . . . 557 B Dr. Müller-Emmert (SPD) . . . . . 563 D Schlee (CDU/CSU) . . . . . . . 569 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches (SPD) (Drucksache V/102) — Erste Beratung — Dr. Dr. Heinemann (SPD) . . . . . 573 B Dr. Jaeger, Bundesminister . . . . 577 C Dr. Worner (CDU/CSU) . . . . . 583 B Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) . . 585 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Dritten Überleitungsgesetzes (Abg. Rollmann, Hauser [Bad Godesberg], Dr. Hammans, Dr. Klepsch u. Gen.) (Drucksache V/70) — Erste Beratung — 588 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung (Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal], Bading, Dr. Hamm [Kaiserslautern] u. Gen.) (Drucksache V/81) — Erste Beratung — Dr. Hamm (Kaiserslautern) (FDP) . . 589 A Frau Dr. Hubert (SPD) 589 B Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 3. März 1964 mit der Republik der Philippinen über die Förderung und den Schutz von Kapitalanlagen (Drucksache V/140) — Erste Beratung — 589 C Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Juli 1962 mit Regierung des Staates Israel zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Einkommen und bei der Gewerbesteuer (Drucksache V/142) — Erste Beratung — 589 D Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 17. Dezember 1962 über die Haftung der Gastwirte für die von ihren Gästen eingebrachten Sachen (Drucksache V/146) — Erste Beratung — 589 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Einbringung von Sachen bei Gastwirten (Drucksache V/147) — Erste Beratung — 589 D Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung einer Teilfläche der ehem. Herwarth-von-Bittenfeld-Kaserne in Münster (Westfalen) an die Stadt Münster (Drucksache V/82) 590 A Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung einer Teilfläche des Grundstücks in Berlin-Kreuzberg, Mehringdamm 20-30, Ecke Obentrautstraße 1-21, an das Land Berlin (Drucksache V/134) 590 A Einundvierzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 (Drucksache V/139) . . . . . . . . . . 590 C Nächste Sitzung 590 C Anlage 591 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Januar 1966 529 14. Sitzung Bonn, den 13. Januar 1966 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr
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    Berichtigung Es ist zu lesen: 13. Sitzung Seite 512 A Zeile 3 von unten statt „des Ministerrats" : der Kommission Anlage zum Stenographischen Bericht Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Beurlaubungen Dr. Abelein 14. 1. Adorno 14. 1. Bading * 14. 1. Bauer (Wasserburg) 14. 1. Berger 14. 1. Frau Berger-Heise 18. 2. Berlin 19. 2. Dr. Birrenbach 14. 1. Burger 10. 4. Frau Blohm 14. 1. Dr. Dehler 14. 1. Dr. Effertz 13. 1. Eisenmann 14. 1. Erler 15. 2. Faller 14. 1. Frau Funcke 14. 1. Dr. Furler * 13. 1. Dr. Hesberg 13. 1. Hirsch 15. 1. Illerhaus * 13. 1. Dr. Jahn-Braunschweig 14. 1. Josten 19.2. Junghans '7. 2. Kaffka 14. 1. Kahn-Ackermann 13. 1. Kiep 20. 1. Krammig 15. 1. Frau Krappe 28. 2. Frau Dr. Krips 22. 1. Kuntscher 14. 1. Leber 14. 1. Dr. Lenz (Bergstraße) 15. 1. Majonica 22. 1. Mauk * 14. 1. Merten * 13. 1. Metzger * 14. 1. Michels 13. 1. Missbach 14. 1. Moersch 13. 1. Dr. Morgenstern 28. 1. Orgaß 14. 1. Frau Pitz-Savelsberg 21.1. Rasner 13. 1. Frau Schanzenbach 3. 2. Schlager 14. 1. Dr. Stecker 13. 1. Frau Strobel* 13. 1. Dr. Frhr. v. Vittinghoff-Schell 18. 1. * Für die Teilnahme an einer Ausschuß-Sitzung des Europäischen Parlaments
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Emmy Diemer-Nicolaus


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident, ich bitte sehr um Entschuldigung für mein Versehen vorhin. So kann es einem gehen

    (Abg. Jahn [Marburg] : Warum immer so stürmisch, Frau Kollegin?)

    — das ist halt Temperamentssache, Herr Kollege Jahn! —, wenn man die Tagesordnung nicht vor sich hat. Ich wurde dadurch irritiert, daß gefragt wurde, ob begründet werden solle. Wir waren uns interfraktionell einig geworden, daß wir zu diesem erneut — zwar als Initiativgesetzentwurf — vorgelegten, aber schon früher, und zwar im vierten Bundestag im April 1963, vom damaligen Justizminister Bucher eingehend begründeten Entwurf — im dritten Bundestag war er nur zur Diskussion gestellt worden — diesmal auf eine Begründung verzichten und seitens der Parteien gleich zu den



    Frau Dr. Diemer-Nicolaus
    Problemen der Strafrechtsreform als solchen Stellung nehmen wollten.
    Angesichts der Tatsache, daß der Entwurf nunmehr zum dritten Mal eingebracht wird, können Sie natürlich mit Recht fragen: „Was haben denn die zwei vorhergehenden Bundestage getan, daß diese Aufgabe noch nicht abgeschlossen ist?" Nun, meine Damen und Herren, über eines war man sich klar: daß eine Legislaturperiode für die Beratung eines derart umfangreichen Gesetzentwurfes außerordentlich kurz ist. Ich möchte Sie — vor allem die neuen Kollegen und Kolleginnen, das sind ja immerhin etwa 140, wenn ich die Zahl recht im Kopf habe — um eines bitten, wenn Sie sich mit der allgemeinen Begründung zu diesen sehr vielschichtigen Problemen vertraut machen wollen, sich das Protokoll der 70. Sitzung des 4. Bundestages zu besorgen, und ich verweise außerdem auf den Bericht des Sonderausschusses Strafrecht, der am Schluß der letzten Legislaturperiode mit Datum vom 30. Juni 1965 verteilt wurde. Dort finden Sie die Grundsätze, nach denen die Strafrechtsreform gestaltet werden soll, und Sie finden in dem Bericht vor allen Dingen auch die Arbeit des Sonderausschusses Strafrecht. Sie werden dann feststellen, daß der 4. Bundestag keineswegs diese Aufgabe vernachlässigt hat, sondern daß die Reform doch mit Ernst und mit großem Fleiß in Angriff genommen wurde, daß auch schon erhebliche Teile des Allgemeinen Teils beraten wurden. Meine Hoffnung war gewesen, daß in der letzten Legislaturperiode wenigstens dieser Allgemeine Teil des Strafrechts abgeschlossen werden könnte. Daß dies nicht möglich war, ist wohl mit darauf zurückzuführen, daß, nachdem der Sonderausschuß Strafrecht gebildet war, wir uns nicht immer nur mit dieser Strafrechtsreform befassen konnten. Es mußte das Sprengstoffgesetz, das dringend reformbedürftig war, geändert werden. Es mußte ein so hochpolitisches Gesetz wie das Vereinsgesetz — unter diesem so harmlos klingenden Namen verbirgt sich ja auch ein Teil unseres Staatsschutzrechts, über das wir heute mittag sprechen wollen — geändert werden. Wir mußten uns auch mit dem Wehrersatzdienstgesetz befassen. Wir mußten uns mit den Straftatbeständen der Aktienrechtsreform befassen. Es gab also eine Fülle von Aufgaben, die außerdem noch zu erledigen waren!
    Damit komme ich gleich zu einer Kritik und auch zu einer Skepsis, die ich jetzt schon wieder gehört habe, zu der Skepsis: Wird denn diese Legislaturperiode ausreichen, um dieses Gesetzeswerk zu vollenden? Das erinnert mich an die Skepsis gegenüber einem anderen großen Reformgesetz in der letzten Legislaturperiode: der Aktienrechtsreform. Auch die Aktienrechtsreform konnte nicht in einer Legislaturperiode erledigt werden; aber sie ist doch in der letzten Legislaturperiode erfolgt, woran damals auch niemand mehr geglaubt hatte — vor allem wenn ich an die Presse im Frühjahr vorigen Jahres denke. Das gleiche gilt für die Urheberrechtsreform.
    Eines der großen Reformwerke in dieser Legislaturperiode ist nun einmal die Strafrechtsreform. Damit aber keine Zeit verlorengeht, war es nach Auffassung von Abgeordneten der Regierungskoalition notwendig, daß der Entwurf sofort wieder im Bundestag eingebracht wurde. Wir haben nun den Entwurf 1962 zunächst einmal unverändert eingebracht, auch wenn er durch die Beratungen im Sonderausschuß Strafrecht in seinem Allgemeinen Teil doch schon mancherlei Abänderungen erfahren hat. Aber diese Beratungen über den Allgemeinen Teil waren ja praktisch erst die erste Lesung, und es ist sehr wohl erwogen, daß wir nicht nur hier im Plenum drei Lesungen der Gesetze haben, sondern daß wir auch in den Ausschüssen bei wichtigen Gesetzen zwei Lesungen vornehmen. Gerade bei diesem Allgemeinen Teil des Strafrechts wird es sehr notwendig sein, daß wir im Ausschuß zwei Lesungen durchführen. Die Beratungen im Sonderausschuß haben doch jetzt schon ergeben, daß zwischen dem Allgemeinen Teil und dem Besonderen Teil, in dem dann die einzelnen Straftatbestände aufgeführt sind, sehr starke Zusammenhänge bestehen. Ich könnte mir denken — das möchte ich hier mit aller Offenheit sagen —, daß wir nach der Beratung des Besonderen Teils bei der zweiten Lesung des Allgemienen Teils auch noch einmal die eine oder andere Änderung im Allgemeinen Teil vornehmen.
    Wenn wir den Entwurf 1962 unverändert eingebracht haben, so bedeutet das für uns als Freie Demokraten keineswegs, daß wir mit allem, was darin steht, einverstanden sind. Es ist Kritik an diesem Entwurf geübt worden. Er wurde als konservativ bezeichnet, und es wurden einzelne Bestimmungen vor allen Dingen des Besonderen Teils herausgegriffen, um zu zeigen, daß der Geist, in dem der Entwurf gestaltet ist, nicht der richtige sei. Ich habe den Eindruck, daß diese Kritik über das Ziel hinausschießt. Bei der berechtigten Kritik, die an Einzelbestimmungen geübt werden kann, wird übersehen, daß, vorbereitet durch die Große Strafrechtskommission in ihren ganz hervorragenden Beratungen von bedeutenden Strafrechtslehrern und maßgeblichen Richtern unter ganz wichtiger Mitarbeit der sehr qualifizierten Herren unseres Justizministeriums, auch unter Beteiligung der Länder — nachher noch einmal in der besonderen Länderkommission — ein Gesetzentwurf vorgelegt wurde, der nach grundsätzlichen Gesichtspunkten gestaltet ist.
    Ich brauche Sie nur an die Fragestunde vorhin zu erinnern, als der Herr Justizminister gefragt wurde, wie es mit dem Fall Kreuzer sei und wie man zu einheitlichen Bestrafungen kommen könne. Das ist eines der Probleme, die mit der Reform gelöst werden sollen. Das jetzige Strafrecht, das schon 1851 geschaffen und vom Deutschen Reich im Jahre 1871 übernommen wurde, wurde mit über 60 Novellen zu modernisieren versucht. Der Zusammenhang, die tragende Linie ist dabei verlorengegangen. Heute haben wir gerade bei den Strafrahmen sehr unterschiedliche Bewertungen vorliegen. Unserer modernen Zeit wurde dabei nicht entsprechend Rechnung getragen. Ein Anliegen dieser Reform war es, die Straftatbestände in den Strafrahmen ihrem Unrechtsgehalt entsprechend einheitlicher zu gestalten und insoweit vorhandene Spannungen zu beseitigen.
    Es wurde weiterhin gerade bei den Beratungen der Großen Strafrechtskommission immer wieder



    Frau Dr. Diemer-Nicolaus
    auf die verbindliche Kraft des Grundgesetzes abgehoben. Unsere rechtsstaatliche Demokratie besteht jetzt seit 20 Jahren. Wenn wir uns die politische Vergangenheit der letzten 50 Jahre vor Augen führen, müssen wir doch sagen, daß sich dieses Grundgesetz, das nur eine vorläufige Verfassung sein sollte und sein kann, bewährt hat, vor allen Dingen in seinen Grundrechten. Wir haben einen liberalen Rechtsstaat, in dem die freiheitlichen Grundrechte unmittelbar Anwendung finden und all unsere Gesetze nach diesen freiheitlichen Grundrechten ausgerichtet werden müssen, Diese Grundrechte waren auch bestimmend für die Reformarbeiten der Großen Strafrechtskommission. Es ist auch für uns möglich, an Hand dieser bestimmenden Kraft unseres Grundgesetzes nach einheitlichen Grundsätzen zu einer Strafrechtsreform zu kommen, die rechtsstaatlich und freiheitlich, aber auch modern und zeitnah ist.
    Es wird dazu allerdings notwendig sein, daß so wie in der Vergangenheit bei den Beratungen eine enge Zusammenarbeit mit der Wissenschaft stattfindet. Es ist nicht zu verkennen, daß seit dem Abschluß der Reformarbeiten im Jahre 1959 die Wissenschaft schon wieder fortgeschritten ist. Das trifft nicht nur für die Geisteswissenschaften zu, vor allen Dingen für die Strafrechtslehre. Das trifft genauso für die gesamten Gesellschaftswissenschaften zu, und das trifft erst recht für die Naturwissenschaften zu.
    Daß die Naturwissenschaften auch für die Strafrechtsreform von ganz großer Bedeutung sind, mögen Sie daran erkennen, daß für die Frage der Schuldfähigkeit, der Schuldunfähigkeit, der verminderten Zurechnungsfähigkeit natürlich die neuesten Erkenntnisse der Biologie, der Psychologie, der Psychiatrie von ausschlaggebender Bedeutung sind.
    Zu berücksichtigen ist nicht nur, was sich in dieser Hinsicht innerhalb unserer Bundesrepublik ereignet hat, sondern wir müssen über die Grenzen hinaussehen. Wir müssen erkennen, daß auch durch die Annahme der Menschenrechtskonvention, die seit 1953 auch bei uns übernationales Recht ist, verbindliche Maßstäbe gesetzt werden. Wir müssen der internationalen Entwicklung bei der Reform Rechnung tragen. Wir haben uns schon bisher bei den Beratungen nicht darauf beschränkt, nur in Deutschland zu bleiben.
    Der enge Zusammenhang zwischen Strafrecht und Strafvollzug und der möglichen Resozialisierung ist eines der Kernprobleme. Wenn es darum geht, das Verbrechen zu bestrafen, müssen wir alles tun, daß diejenigen, die gegen Strafgesetze verstoßen haben, nach Möglichkeit wieder in ein geordnetes Leben zurückgeführt werden, daß sie, wie es heißt, resozialisiert werden. Dazu gehört ein moderner, aufgeschlossener Strafvollzug.
    Deshalb hat die Kommission Reisen unternommen, wenige Reisen. Es war notwendig, daß wir wenigstens in den skandinavischen Ländern und auch in der Schweiz den Strafvollzug kennenlernten. Ich bin nicht sicher, ob die bisherigen Reisen ausreichen. Wir haben dabei festgestellt, daß die Zeiten, in denen wir einen autoritären Staat hatten — ich will nicht auf den Strafvollzug und auf die Rechtsprechung von damals eingehen —, uns gegenüber der internationalen Entwicklung im Vollzug zurückgeworfen haben und daß wir aufholen müssen, wo andere Staaten schon Erfahrungen gesammelt haben. Wir sollten uns aber diese Erfahrungen zunutze machen.
    Nur ist folgendes zu beachten. In den Jahren, während deren uns der Entwurf schon vorliegt, sind leider die Probleme nicht geringer geworden, sondern es geht wie überall: wenn man ein Problem gelöst zu haben glaubt, tauchen immer wieder neue auf. Nur mit einem können wir zufrieden sein: das Interesse der Allgemeinheit an dem, was im Strafrecht vorgeht, ist außerordentlich rege. Ich möchte darauf hinweisen, daß selbst das Fernsehen dazu beiträgt, das Strafrecht der Allgemeinheit nahezu-bringen, nämlich durch seine Fernsehgerichte.
    Heute kommt ein ganz anderer Teil der Bevölkerung als früher mit dem Strafrecht in Berührung. Durch die Technisierung, insbesondere aber auch durch den Verkehr sind heute Fahrlässigkeitsdelikte in einem Umfang vorhanden, wie ,das früher nicht der Fall war. Aus den Statistiken können wir ,entnehmen, daß über 45 % der gesamten Strafverfahren Verkehrsdelikte zum Gegenstand haben. Das zeigt doch, daß wir es heute mit einem Kreis von Tätern zu tun haben, die nicht zu den Asozialen gehören. Eine moderne Strafrechtsreform muß dem Rechnung tragen, und zwar schon im Strafensystem.
    In der 1. Lesung wurden eingehende Ausführungen dazu gemacht, ob das Schuldstrafrecht gelten solle, nach dem jeder seiner persönlichen Schuld entsprechend zu 'bestrafen ist, oder ob unser Strafrecht nach den Grundsätzen der „soziologischen Schule", der „Défense sociale" gestaltet werden soll.
    Vor der ersten Lesung und vor den Ausschußberatungen über die Strafrechtsreform war ich mir nicht sicher, wie die SPD zu diesen Grundprinzipien stehen würde. Insofern habe ich mich gefreut, daß die Beratungen im Sonderausschuß doch ergeben haben, daß alle drei Parteien einheitlich von dem Schuldstrafrecht ausgehen. Im Schuldstrafrecht wird betont, daß der einzelne die Entscheidungsmöglichkeit über Gut und Böse hat. Damit wird doch der Freiheit der Persönlichkeit Rechnung getragen. Jeder trägt grundsätzlich die Verantwortung für sein Tun und sein Handeln. Der einzelne isst nicht nur das Produkt seiner Umgebung, nicht nur das Produkt seiner Erziehung, sondern er selbst ist für seine Lebensführung verantwortlich. Diese Freiheit der Entscheidung zwischen Gut und Böse entspricht auch unserem christlichen Glauben, unabhängig von den Konfessionen. Das ist die gemeinschaftliche Grundlage für die Reform. Außerdem haben der Entwurf und erst recht die Beratungen im Sonderausschuß der „soziologischen Schule" Rechnung getragen und unser Strafensystem durch eine Fülle von Bestimmungen über Maßregeln der Sicherung und Besserung ergänzt, die insbesondere der Resozialisierung dienen, die dazu dienen, den Menschen, der einmal gestrauchelt ist, in ein geordnetes Leben zurückzuführen.



    Frau Dr. Diemer-Nicolaus
    Einigkeit bestand im Sonderausschuß auch darüber, daß die Übertretungen nicht mehr in das Strafgesetzbuch gehören. Das ist ein ganz wesentlicher Fortschritt gegenüber dem jetzt bestehenden Strafrecht. Nur wird es — dessen bin ich sicher — bei der Beratung des Besonderen Teils noch zu erheblichen Auseinandersetzungen und Diskussionen darüber kommen, inwieweit es richtig war, das, was bisher Übertretungen waren, jetzt zu Vergehen aufzuwerten; es ist allerdings nur der kleinere Teil der Übertretungen. Ich spreche damit beispielsweise von einer Gruppe von Menschen, bei denen sich die Problematik zeigt. Wir wissen, daß es, weil wir eben Menschen sind, leider Gute und Böse und auch solche gibt, die im Strafrecht als die Gemeinlästigen — das ist die Gruppe der Bettler, der Landstreicher, der leichten Mädchen — bezeichnet werden. Was bisher bei ihnen als Übertretung bestraft wurde, soll jetzt kriminelles Unrecht sein. Bei der Beratung des Allgemeinen Teils ist die Frage ihrer Unterbringung im Arbeitshaus zurückgestellt worden, bis die Entscheidung darüber bei der Beratung des Besonderen Teils gefallen ist. Man sollte jedoch sehr vorsichtig sein, eine Gemeinlästigkeit, die ein wirklich freiheitlicher Rechtsstaat nur einmal ertragen muß, zum kriminellen Unrecht aufzuwerten, vorausgesetzt, daß es sich dabei nur um eine echte Gemeinlästigkeit handelt.
    Was nun Bettler und Landstreicher anlangt: Von den Landsteichrern hören wir immer durch die Nichtseßhaftenfürsorge. Die Bettler sind schon viel weniger aktuell. Dafür haben wir heute die „Gammler". In der nächsten Woche sind wir wieder in Berlin. Infolge der Kälte werden wir diesmal wahrscheinlich keine Gammler auf dem Kurfürstendann sehen. Sicher sind sie für uns keine erfreuliche Erscheinung. Gegebenenfalls müssen die im Bundessozialhilfegesetz vorgesehenen Maßnahmen getroffen werden. Aber bei der Schaffung neuer krimineller Tatbestände ist Vorsicht geboten.
    Wie gesagt, wir haben uns auf das Schulprinzip geeinigt. In der Betonung, daß jeder nur nach seiner persönlichen Schuld bestraft werden soll, war der Ausschuß sogar konsequenter als der Entwurf. Das bedeutet, daß die sogenannten durch den Erfolg qualifizierten Delikte nicht beibehalten werden können. Die Bestrafung darf nicht von dem jeweiligen Erfolg, sondern nur von der persönlichen Schuld abhängig sein.
    Über eins bin ich mir ganz klar: wenn das jetzt sehr konsequent durchgeführt und deshalb der Besondere Teil noch einmal sehr genau daraufhin überprüft werden soll, wo noch Erfolgsqualifikationen vorhanden sind, so wird es nicht so leicht sein, den Grundsatz in der Praxis zu verwirklichen. Die Bevölkerung denkt anders. Seien wir doch einmal ganz ehrlich: wenn eine leichte Fahrlässigkeit eine schwere Folge hat, wenn z. B. eine Schranke nicht geschlossen wurde und es dadurch zu einem schweren Unfall kam oder wenn eine leichte Fahrlässigkeit des Autofahrers zu einem schweren Verkehrsunfall führt — wir alle wissen doch, daß jedem bei aller Sorgfalt doch einmal eine leichte Fahrlässigkeit unterlaufen kann —, wenn also diese leichte Fahrlässigkeit zu einem schweren Schaden, ja zu Verlust von Menschenleben führt, dann neigt man doch sowohl bei den Gerichten als auch erst recht in der Bevölkerung dazu, die Strafe mehr an dem Erfolg als an der persönlichen Schuld zu messen. Aber schuldangemessen ist das nicht.
    Die Rechtsordnung als solche muß sich bewähren. Das ist die allgemeine Aufgabe des Strafrechts. Aber natürlich gilt es auch, künftige Straftaten zu verhüten. Das Prinzip lautet: Abschreckung des Gelegenheitstäters, Besserung des Neigungstäters und dann die Sicherung der Allgemeinheit vor dem Gewohnheitstäter. Aus Gründen der Generalprävention darf aber nie eine Strafe ausgesprochen werden, die das Maß der Schuld überschreitet.
    Bei dem Strafensystem waren wir uns im Sonderausschuß nicht einig. Die SPD hat die Einheitsstrafe verfochten. Herr Müller-Emmert wird dazu sicher noch Stellung nehmen. Ist es nun richtig, noch an einer Unterscheidung zwischen Zuchthausstrafe und Gefängnisstrafe bzw. Strafhaft festzuhalten? Gefängnis und Strafhaft waren nicht umstritten, wenn auch die kurzfristige Freiheitsstrafe problematisch ist. Aber entspricht diese Zweiteilung in Gefängnis- und Zuchthausstrafe einem modernen Strafrecht? Wie überall gibt es Gründe dafür und dagegen. Die Gründe, die gegen eine Aufrechterhaltung der Zuchthausstrafe sprechen, kommen einmal vom Strafvollzug her. Es sind gerade die Praktiker des Strafvollzuges, die sagen, daß ein Unterschied im Strafvollzug nicht besteht und auch schwer möglich ist. Sie treten auf Grund ihrer praktischen Erfahrungen im Strafvollzug für die Einheitsstrafe ein. Ein viel schwerer wiegendes Argument gegen die Beibehaltung der Zuchthausstrafe ist, daß eine Resozialisierung sehr erschwert werde, weil der Täter nach seiner Entlassung aus dem Zuchthaus als Zuchthäusler nur schwierig eine Arbeitsstelle finden könne. Ich darf an das anknüpfen, was ich schon bei der ersten Lesung im letzten Bundestag gesagt habe, nämlich insofern bestehe auch eine Verpflichtung für die Allgemeinheit. Wenn ein Täter verurteilt wurde, seine Strafe verbüßt hat und dann wieder in die Freiheit entlassen wird, dann ist es unsere Verpflichtung, ihm die Rückkehr ins geordnete Leben zu ermöglichen und ihm die Strafe nicht zeitlebens nachzutragen. Das erste, was nötig ist, ist natürlich, daß er eine Arbeitsstelle bekommt. Dann darf es nicht sein — es kommt leider immer wieder vor —, daß in dem Augenblick, in dem bekannt wird, daß der Betreffende eine schwere Freiheitsstrafe, insbesondere Zuchthaus, verbüßt hat, andere sich weigern, mit ihm zusammen zu arbeiten, und daß der Arbeitgeber zwar Verständnis für den Bestraften hat, aber um des Betriebsfriedens willen ihm dann kündigt.
    Die Resozialisierung betrachte ich als das schwierigste Problem bei der Frage der Aufrechterhaltung der Zuchthausstrafe. Trotzdem habe ich mich entschlossen, nicht für die Einheitsstrafe zu stimmen, und zwar aus folgendem Grund. Jede Strafe ist ein soziales Unwerturteil. Dabei kommt es nicht nur auf die Höhe des Strafmaßes, sondern auch darauf an, welche Strafart ausgesprochen wird. Deswegen soll ja auch bei kurzfristigen Freiheitsstrafen zwischen



    Frau Dr. Diemer-Nicolaus
    Strafhaft und Gefängnisstrafe unterschieden werden, damit der soziale Unwert der Straftat dabei zum Ausdruck kommt. Bei Zuchthaus wird der hochkriminelle Charakter der Tat gekennzeichnet, die sich der Betreffende hat zuschulden kommen lassen.
    Man darf diese Frage auch nicht unabhängig von der Ausgestaltung des Besonderen Teils sehen. Heute sind sehr viele Delikte noch mit Zuchthaus bedroht; aber die Gerichte verurteilen überwiegend dann statt zu Zuchthaus doch zu einer Gefängnisstrafe. Warum? Weil die Zuchthausstrafe im Hinblick auf den sozialen Unwert der Tat zu hart ist. Deswegen will die Reform die Zuchthausstrafen auf die echte Hochkriminalität beschränken.
    Ich bin allerdings der Auffassung, es sollte insofern noch über den Entwurf hinausgegangen werden. Ich habe den Eindruck — ob er richtig ist, wird erst die Einzelberatung ergeben —, daß auch jetzt noch zu viel Zuchthaus angedroht wird. Die zuchthauswürdigen Taten sollten sich auf ganz schwere hochkriminelle Fälle beschränken. Damit ergibt sich dann vielleicht auch die Möglichkeit, im Ausschuß uns darauf zu einigen, diese Trennung aufrechtzuerhalten, zumal es auch die Todesstrafe nicht mehr gibt. Es widerstrebt einem doch — denken Sie nur an den Fall, der sich kürzlich in Köln zugetragen hat, wo zwei 16jährige Mädchen auf scheußliche Art und Weise ermordet wurden —, bei einem derartigen Mord die gleiche Strafart anzudrohen wie bei einem leichteren Diebstahl, wobei lediglich in der Strafhöhe sich der Unwert zeigt.
    Eine weitere Frage des Strafensystems, die der Sonderausschuß schon einmütig und wohl zufriedenstellend gelöst hat, ist die der Regelung der Geldstrafen. Aus Statistiken ist zu ersehen, daß immer noch der größte Teil unserer Straftaten mit Geldstrafen gesühnt wird. Es handelt sich also um kleinere Delikte. Der Sonderausschuß hat einmütig das Tagesbußensystem übernommen, wie es in den skandinavischen Ländern eingeführt ist. Nach diesem System wird zuerst nur festgelegt, wieviel Tagesbußen jemand zu zahlen hat. Die Höhe der Tagesbuße wird dagegen abhängig gemacht von den persönlichen Verhältnissen des Täters, von seinem Einkommen, seinem Vermögen, den Unterhaltsverpflichtungen, die er zu erfüllen hat. Dadurch wird vermieden — was an dem geltenden System mit Recht kritisiert wird -, daß bei der Festlegung absoluter Beträge der sehr gut Verdienende, der Vermögende besser wegkommt als der Arme. Für einen Reichen sind 100 DM wesentlich leichter zu zahlen als für einen Hilfsarbeiter.
    Nun hat es aber schon wieder Schlagzeilen gegeben, und zwar wegen der Höhe der Tagesbußen. Im Entwurf betrug der Höchstsatz 500 DM. Der Ausschuß ist bis 1000 DM gegangen. Wegen einer Straftat können bis zu 360 Tagesbußen verhängt werden, bei einer Gesamtstrafe his 720 Tagesbußen. Wenn man den Höchstsatz von 1000 DM nimmt, kann man also tatsächlich unter Umständen auf 360 000 DM oder 720 000 DM kommen. Das waren dann auch die Schlagzeilen in der Presse. Das müßte schon ein ganz exorbitanter Fall sein, wo eine solche Geldstrafe ausgesprochen würde. Denn auch bei diesem System gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
    Die kurzfristigen Freiheitsstrafen sind ein sehr schwieriges Problem. Insofern bestehen zwischen den Auffassungen der SPD und der Regierungskoalition Unterschiede. Von seiten deis Strafvollzugs wird eingewendet: eine Resozialisierung ist bei einer kurzfristigen Freiheitsstrafe nicht möglich; für den Strafvollzug selbst sind sie eine außerordentlich starke Belastung. Ich hatte mich noch bei der ersten Lesung und auch im Ausschuß für die kurzfristige Freiheitsstrafe ausgesprochen, weil ich der Auffassung war, daß eine auch nur kurze Freiheitsstrafe gerade auf Täter, die nicht wegen ihrer Persönlichkeit resozialisiert werden müssen — also Fahrlässigkeitstäter, die an und für sich Persönlichkeiten in durchaus geordneten Verhältnissen. sind —, eine erheblich abschreckende Wirkung hat.
    Ich habe in der Zwischenzeit vom Strafvollzug erfahren, daß das leider nicht in dem Umfang zutrifft, wie ich das angenommen habe, sondern daß es heute schon Verkehrssünder gibt, die eine kurzfristige Freiheitsstrafe als ein mit dem Autofahren verbundenes Risiko, das man eben nicht vermeiden kann, hinnehmen und in diesem Geiste die kurzfristige Freiheitsstrafe abbüßen. Das ist natürlich nicht der Sinn dieser Strafe. Deshalb bin ich bei aller Betonung des Wunsches nach Einheitlichkeit der Rechtsprechung — nach Möglichkeit auch im Strafmaß — der Auffassung, daß der Richter in Zukunft einfallsreicher sein sollte. Die Möglichkeit, die Strafe zur Bewährung auszusetzen und bestimmte Weisungen und Auflagen zu erteilen, läßt es zu, daß er der individuellen Täterpersönlichkeit Rechnung trägt, um zu erreichen, daß aus der Erkenntnis seiner Schuld, auch wenn es nur eine leichtere ist, der Täter sich bessert und aus dieser Einsicht sich in Zukunft sorgfältiger verhält.
    Im Ausschuß wurde auch über eine Ersatzfreiheitsstrafe, z. B. einen Dienst in Krankenhäusern usw., beraten. Wir sollten bei der zweiten Lesung dieses Thema doch noch einmal behandeln. Wir sollten uns von den Strafvollzugspraktikern über die bis dahin bestehenden Erfahrungen mit kurzfristigen Freiheitsstrafen Auskunft geben lassen. Ich glaube, gerade bei Verkehrssündern kann der Eindruck, den sie von Verletzten in einem Unfallkrankenhaus erhalten, wenn sie die schweren gesundheitlichen Schäden sehen, vielleicht manchmal nachhaltiger sein, als wenn sie eine kurzfristige Freiheitsstrafe in einem Gefängnis oder in Strafhaft abbüßen. Das ist eine Frage der Täterpersönlichkeit. Beim Jugendstrafrecht ist man schon vorbildlich vorgegangen. Ich weise auf meinen Studienkollegen Holzapfel hin, der zuerst mit seinen Urteilen und dann vor allem mit seinen Auflagen und Weisungen, die ganz auf die Tat und den jeweiligen Täter abgestellt waren, in der ganzen Bundesrepublik bekannt wurde. Wenn ich mich recht erinnere, hat auch Herr Kohlhaas bei Verkehrssündern statt einer kurzfristigen Freiheitsstrafe gegebenenfalls eine derartige freiwillige Arbeitsleistung in Unfallkrankenhäusern befürwortet.



    Frau Dr. Diemer-Nicolaus
    Im Gegensatz zu der SPD bin ich allerdings der Auffassung, daß wir auch dann auf die kurzfristige Freiheitsstrafe nicht werden verzichten können. Der Richter braucht sie, wenn er den Eindruck gewinnt, daß bei dem betreffenden Täter eine wirksame Abschreckung nur durch Verbüßung einer kurzfristigen Freiheitsstrafe erreicht werden kann.
    Bei den Maßregeln der Sicherung und Besserung handelt es sich um den Schutz der Allgemeinheit und um die Resozialisierung des Täters. Über die Bedeutung der Resozialisierung habe ich schon gesprochen. Es muß ein Ziel auch dieser Reform sein, schon heute die Weichen so zu stellen, daß nach dem Urteil durch einen sinnvollen Strafvollzug die Möglichkeit der Resozialisierung verstärkt wird. Es liegt im Interesse der Allgemeinheit und im Interesse der Bekämpfung des Verbrechens, daß weniger Täter als heute rückfällig werden. Ich bin mir dabei durchaus bewußt, daß es Kriminelle gibt, die auch durch den besten Strafvollzug nicht gebessert werden. Sie werden wieder rückfällig. Es bleibt dann nichts anderes übrig, als bei schweren Verbrechen gegebenenfalls die Sicherungsverwahrung anzuordnen, um die Allgemeinheit zu schützen.
    Ich halte es für richtig, daß von dieser Sicherungsverwahrung bisher so sparsam Gebrauch gemacht wurde. Wenn jemand, nachdem eine Strafe verbüßt ist, trotzdem nicht die Freiheit zurück erhält, ist das ein sehr schweres und hartes Schicksal. Deshalb darf diese äußerste Maßregel nur getroffen werden, wenn es zur Sicherung der Allgemeinheit vor einem Hangtäter unbedingt erforderlich ist.
    Der Sonderausschuß hat sich sehr eingehend mit der Resozialisierung von Jugendlichen befaßt. Ich halte es für problematisch, einen Achtzehnjährigen eventuell schon voll zur Verantwortung zu ziehen wie einen Erwachsenen. Wir sollten das richtige Strafalter noch einmal mit Wissenschaftlern sehr eingehend erörtern. Wir wissen doch, unsere Jugend ist äußerlich erwachsen, aber geistig nicht. Sie ist sich der Tragweite und der Folgen ihres Tuns oft gar nicht genügend bewußt. Ein Vierzigjähriger ist ganz anders verantwortlich als ein Jugendlicher zwischen 18 und 21 Jahren, ja — ich gehe noch weiter - als jemand in den zwanziger Jahren.
    Unsere Reise in die Schweiz, wo wir gesehen haben, wie man sich bemüht, gerade auch jugendliche Täter, die über 18 oder 21 Jahre alt sind, zu bessern, um sie in ein geordnetes Leben zurückzuführen, war nach meiner Auffassung sehr erfolgreich. Wir konnten uns hier von dem Wert der Erziehungsverwahrung überzeugen. Wir ziehen diese der im Entwurf vorgesehenen vorbeugenden Verwahrung vor.
    Unsere Kinder vor Sittlichkeitsverbrechern zu bewahren ist eine der wichtigsten Aufgaben. Deshalb sind die psychiatrischen Fürsorgeanstalten notwendig, die wir bisher noch nicht haben. Diese Anstalten sind gedacht für Abartige, Neurotiker und Psychopathen, die weder in den Strafvollzug noch in psychiatrische Krankenanstalten gehören. Ich erinnere an den Fall, daß eine Frau, die vermindert zurechnungsfähig war, vor einigen Jahren in eine psychiatrische Krankenanstalt eingewiesen wurde und, um aus diesem Milieu herauszukommen, ganz bewußt einen Mord beging, um wenigstens in ein Zuchthaus zu kommen. Von den guten Ergebnissen in diesen Anstalten konnte der Landesausschuß sich auf der Reise nach Skandinavien überzeugen. Wir wissen dies auch von Holland. Wir sollten dieses Gute übernehmen.
    Ich kann und will nicht alle Probleme des allgemeinen Teils behandeln. Sie können jedoch schon diesen Bemerkungen entnehmen, daß es in vieler Hinsicht gelungen ist, im Ausschuß zu gemeinsamen Ergebnissen zu kommen.
    Nur zu dem problematischen Arbeitshaus möchte ich noch sprechen. Die Kolleginnen und Kollegen wissen, daß ich mich im Sonderausschuß Strafrecht dagegen ausgesprochen habe. Der Grund ist, daß das Arbeitshaus im Entwurf unter bestimmten Voraussetzungen für geringere Kriminalität vorgesehen ist. Das ist neu. Diese Ausdehnung halte ich nicht für richtig. Schon die Anwendung auf nur Gemeinlästige ist sehr fragwürdig.
    Denken Sie bitte an das, was ich zur Sicherungsverwahrung gesagt habe! Ich kann jemandem, der eine kurze Freiheitsstrafe verbüßt hat, weil diese schuldangemessen war, nachher nicht über eine Maßregel jahrelang die Freiheit vorenthalten, wenn nicht ganz wichtige Rechtsgüter der Allgemeinheit auf dem Spiele stehen. Das ist bei dieser kleineren Kriminalität aber doch nicht der Fall.
    Ich bin mit meiner Ansicht unterlegen. Natürlich muß ich mich zunächst einmal demokratisch fügen. Aber wir werden uns mit der Problematik des Arbeitshauses in der zweiten Lesung noch befassen.

    (Erstmalige Übernahme des Vorsitzes durch Vizepräsident Frau Dr. Probst. — Beifall im ganzen Hause.)

    Ich habe mir nochmals das Protokoll von der 70. Sitzung des letzten Bundestages durchgesehen und festgestellt, daß damals vor allem Teile des Besonderen Teils kritisiert wurden. Dabei wurde nicht berücksichtigt, daß große Teile dieses Besonderen Teils Straftatbestände sind, die wahrscheinlich auch im Sonderausschuß gar nicht strittig sein werden. Es hat sich einmal darum gehandelt, auf Grund der Rechtsprechung gemäß Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes Straftatbestände bestimmter zu fassen.
    Aber es geht nicht nur darum, Rechtsprechung einfach zu übernehmen, sondern sie vorher auf ihre rechtspolitische Richtigkeit zu überprüfen. Bei der Beratung des Besonderen Teils geht es weiterhin auch darum, auf kriminalpolitisch unnötige Straftatbestände zu verzichten. Daß zu viel bestraft werden soll, wurde mit Recht kritisiert. Insbesondere wurde geltend gemacht, daß die sittenprägende Kraft der Strafgesetze überbewertet wurde. Es setzte die Kritik ein, daß damit an unserem tatsächlichen gesellschaftlichen Geschehen vorbeigegangen ist, daß Verhalten strafbar gemacht werden soll, das im Bewußtsein der Bevölkerung nicht als kriminelles Unrecht angesehen wird. Sie haben den Entwurf vorliegen. Nehmen Sie einmal die Fragwürdigkeit



    Frau Dr. Diemer-Nicolaus
    des § 220 betreffend jugendgefährdende Schriften. Wir werden diese Bestimmung sehr genau an Hand des Art. 5 des Grundgesetzes überprüfen müssen. Ich sage das auch wegen gewisser politischer Initiativen, die regelmäßig vor Wahlen erfolgen, um gegebenenfalls eine Einschränkung des Art. 5 entgegen dem Geist unseres Grundgesetzes vorzunehmen. In Art. 5 Abs. i heißt es:
    Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.
    Und Abs. 3 Satz 1 lautet:
    Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.
    Das darf man auch im Zusammenhang mit § 220 nicht übersehen. Ich halte deshalb mindestens eine nochmalige Überarbeitung dieser Bestimmung für notwendig, dagegen § 220 a, den sogenannten „Striptease-Paragraph", für gänzlich überflüssig. Zu entscheiden, wo die Grenze zwischen kriminellem Unrecht und dem sittlich Verwerflichen zu ziehen ist, wird eine der schwierigsten Aufgaben sein.
    Die Diskussion hatte sich daran entzündet, daß die ethische Indikation, entgegen den Vorschlägen der Großen Strafrechtskommission, im Entwurf nicht enthalten ist. Ich will das Problem heute nicht vertiefen. Wir Freien Demokraten haben uns von Anfang an mit aller Eindeutigkeit dazu bekannt, daß wohl auf der einen Seite der Schutz des werdenden Lebens steht. Wenn aber auf der anderen Seite die Ursache ein schweres Verbrechen — vielleicht noch an einem Kind — gewesen ist, dann kann man eine Frau oder ein Mädchen nicht durch Strafgesetze zwingen, ein derartiges Kind auszutragen. Wir haben volles Verständnis und die größte Hochachtung, wenn auf Grund religiöser Bindungen eine Frau oder ein Mädchen ein solches Schicksal als von Gott gegeben hinnimmt. Wir sollten für diese Frauen und Mädchen alles tun, um ihr Schicksal zu erleichtern. Aber eine moralisch-sittlich derart hochstehende Haltung können Sie nicht mit Strafgesetzen erzwingen.
    Ich habe vorhin gesagt, daß eine Beschränkung auf das wirklich Strafbare erfolgen muß. Besonders fragwürdig ist auch die Strafbarkeit der künstlichen Insemination. Die Begründung des Entwurfs wird von mir, wie auch die Herren des Justizministeriums wissen, hoch geschätzt. Es war eine außerordentlich schwierige Arbeit, die umfangreichen, bändefüllenden Verhandlungen der Großen Strafrechtskommission und Länderkommission auf das Wesentliche zu konzentrieren und in der Begründung eine Darstellung zu geben, die dennoch alle wichtigen Gesichtspunkte berücksichtigt. Aber nehmen Sie es mir nicht übel: bei der Begründung zu diesem Tatbestand sind Sie in dem, was Sie als Folgen befürchten, doch sehr an der menschlichen Natur vorbeigegangen.
    Auch bezüglich der umstrittenen Strafbarkeit der einfachen Homosexualität sollten wir über unsere Grenzen schauen und sehen, welche Regelungen andere Länder getroffen haben. Wir müssen dem Gesichtspunkt Rechnung tragen, daß in die persönlichste Lebenssphäre nicht mehr als unbedingt notwendig eingegriffen werden darf. Der Schutz der Jugend muß natürlich gewährleistet bleiben.
    Umstritten ist auch die Strafbarkeit des Ehebruchs.
    Ein neues Problem ist die freiwillige Sterilisation: strafbar, nicht strafbar, in welcher Form zulässig? Mit dieser Frage werden wir uns eingehend befassen müssen. Ich habe Verständnis dafür, daß die Ärzte sagen: Wir wollen vom Gesetzgeber wissen, was wir tun dürfen und was wir nicht tun dürfen. — Wir müssen uns vor allem davor hüten, das als kriminelles Unrecht zu bewerten, was internationale Organisationen, denen wir angehören, Entwicklungsländern als Maßnahme empfehlen, um zu erreichen, daß die positiven Auswirkungen des Wachsens des Sozialprodukts für die Bevölkerung nicht durch das zu starke Bevölkerungswachstum verhindert werden. Dieses Problem zeigt, wie vorsichtig diese Dinge angefaßt werden müssen.
    Wir müssen ferner erreichen, daß der modernen technischen Entwicklung Rechnung getragen wird. Das gilt z. B. auch für den Schutz der Intimsphäre. Die Verwendung von Tonbandgeräten usw. ist im Entwurf geregelt; aber die technische Entwicklung ist inzwischen weitergegangen. Man kann heute abhören, ohne eine Leitung anzapfen zu müssen. Wir müssen dafür Sorge tragen, daß ein ausreichender Schutz der Intimsphäre vor derartigen Indiskretionen gewährleistet ist.
    Ich habe gesagt, daß wir ein fortschrittliches Strafrecht schaffen müssen und daß wir uns vor dem Zuviel-Strafen hüten müssen. Wir müssen auch den Mut haben, gerade auf dem Gebiet des Sittlichen dann, wenn kein unbedingtes kriminalpolitisches Bedürfnis besteht, von Strafbestimmungen abzusehen. Wir dürfen solche Bestimmungen nicht einfach nur deshalb übernehmen, weil sie bisher im deutschen Strafrecht enthalten waren. Aus der Streichung sol cher Strafbestimmungen können Mißdeutungen dann nicht entstehen, wenn die Gründe hierfür in der Öffentlichkeit ausreichend dargestellt werden, wenn wir der Bevölkerung eindringlich nahebringen, daß nur etwas wirklich Gemeinschaftsschädliches kriminelles Unrecht sein kann. Daß der soziale Unwert einer strafbaren Handlung voll erkannt wird, erreichen wir nur, wenn wir keine Kluft aufreißen zwischen dem, was von der Bevölkerung selbst als kriminelles Unrecht empfunden wird, und dem, was nach dem Gesetz strafbar ist. Das bedeutet, daß die strafbaren Tatbestände auf das kriminalpolitisch Notwendige beschränkt werden müssen.
    Zum Schluß noch eine Bitte an die Damen und Herren der Sozialdemokratischen Partei; ich hoffe, daß ich sie unnötigerweise ausspreche. Bitte, gehen Sie an diese Arbeit nicht mit der Einstellung heran, eine umfassende Reform könne man auch mit einzelnen Novellen erreichen. Ein Strafgesetz nach einheitlichen Grundsätzen ist nur bei einer Verabschiedung des ganzen Reformgesetzes möglich. Einzelne Novellen sollten nur ergehen, wenn sie wirklich unaufschiebbar sind. Bezüglich des politischen Strafrechts — über das wir heute mittag sprechen — habe ich mich schon für eine vordringliche Verabschiedung ausgesprochen. Bejaht kann dies auch werden für die psychiatrischen Fürsorgeanstalten,



    Frau Dr. Diemer-Nicolaus
    die von den Ländern eingerichtet werden müssen. Aber unser Ziel muß es sein, diesmal die gesamte Reform zu verabschieden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Maria Probst
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz Dr. Jaeger.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Richard Jaeger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mein Beitrag zur ersten Lesung des Ihnen vorliegenden Entwurfs eines Strafgesetzbuchs unterscheidet sich von den Reden, die meine Amtsvorgänger Dr. Stammberger und Dr. Bucher in den Jahren 1962 und 1963 bei der Einbringung des gleichen Entwurfs vor Bundesrat und Bundestag gehalten haben. Ging es damals um die Begründung eines von der Bundesregierung vorgelegten Entwurfs, so handelt es sich heute um eine Initiative aus der Mitte dieses Hauses. Ich möchte deshalb an erster Stelle den Unterzeichnern des vorliegenden Antrags dafür danken, daß sie den Fortgang der Gesetzgebungsarbeit auf dem Gebiete des materiellen Strafrechts durch ihre Initiative gefördert haben. Der Weg, den ein neuer Entwurf der Bundesregierung nach der Verfassung hätte nehmen müssen, wurde verkürzt und damit Zeit gewonnen. Wird der Entwurf dem Sonderausschuß für die Strafrechtsreform überwiesen, so ist dieser in der Lage, den Stand der Dinge vom Ende der letzten Wahlperiode wiederherzustellen. Wie wichtig dies für den Fortgang der Strafrechtsreform ist, braucht nicht betont zu werden. Da die Vierjahresfrist einer Wahlperiode für große Gesetzgebungswerke knapp bemessen ist, ist jede Zeitersparnis von großer Bedeutung. Mit dem Dank an die Unterzeichner des Initiativantrages verbinden sich meine Hoffnung und meine Bitte, die Arbeit an dem Entwurf möchte in dem zuständigen Ausschuß dieses Hohen Hauses so nachdrücklich gefördert werden, daß das neue Strafgesetzbuch in dieser Wahlperiode wirklich verabschiedet werden kann. Denn der seit langem verfolgte Plan einer umfassenden Reform des materiellen Strafrechts muß endlich in vollem Umfang verwirklicht werden.
    Wie Ihnen bekannt ist, meine Damen und Herren, hat es in der Geschichte der großen Strafrechtsreform immer wieder Rückschläge gegeben. Umfassende Vorarbeiten harren darauf, nutzbar gemacht zu werden. Lassen Sie uns darum das große Werk in dieser Wahlperiode zu Ende bringen!
    Ich brauche die Vorgeschichte des Ihnen vorliegenden Entwurfs nur kurz zu streifen. In der Debatte des Jahres 1963 hat mein Amtsvorgänger Dr. Bucher die Geschichte der deutschen Strafrechtsreform bis zum Entwurf 1962 ausführlich dargestellt. Mehr als 60 Jahre sind vergangen, seitdem die ersten vorbereitenden Arbeiten unternommen worden sind. Die ersten Entwürfe, nämlich der Vorentwurf des Jahres 1909, der Gegenentwurf deutscher Universitätslehrer von 1911 und der amtliche Entwurf von 1913, stammen aus einer Zeit, die weit hinter uns liegt, die aber auf dem Felde der Kriminalpolitik schon von den modernen Strömungen, für die hier nur der Name des deutschen Professors v. Liszt stehen mag, und von den ersten Erfahrungen mit den Gegebenheiten 1 der industriellen Massengesellschaft gekennzeichnet war. Es folgten die Versuche während der Zeit der Weimarer Republik. Hier knüpfte der Entwurf 1919 noch unmittelbar an die älteren Reformarbeiten an. Von besonderer Bedeutung war der im Jahre 1922 entstandene Entwurf, der mit dem Namen des Reichsjustizministers Professor Radbruch eng verbunden bleibt. Dieser Entwurf hat die späteren Arbeiten nachhaltig beeinflußt. Das gilt auch für den Entwurf, der Ihnen heute vorliegt. In den Ausschußberatungen wird noch die Rede davon sein, daß manche in letzter Zeit besonders heftig angegriffenen Bestimmungen dieses Entwurfs gerade auf Formulierungen des Entwurfs Radbruch fußen. Auf diesen Entwurf folgten dann die amtlichen Entwürfe von 1925 und 1927. Der letzte Entwurf der Weimarer Zeit, der Entwurf 1930, ist ebenso wie der Ihnen vorliegende Entwurf aus der Mitte des Parlaments vorgelegt worden. Er gab die Fassung wieder, die der von der Reichsregierung vorgelegte Entwurf 1927 in den Beratungen des Strafrechtsausschusses des Reichstages erhalten hatte; er wurde zu Beginn einer neuen Wahlperiode eingebracht und trägt den Namen des um die deutsche Strafrechtsreform hochverdienten Vorsitzenden des damaligen Strafrechtsausschusses, des Abgeordneten Professor Dr. Kahl.
    Wie Sie wissen, ist keiner der in der Weimarer Zeit vorgelegten Entwürfe Gesetz geworden. Die Arbeiten am Entwurf Kahl sind durch die politischen Wirren der beginnenden 30er Jahre unterbrochen worden. Sogenannte Reformversuche der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft führten — wir dürfen heute sagen: glücklicherweise — nicht zum Erfolg.
    Nach der Gründung der Bundesrepublik ist schon in der 1. Wahlperiode des Deutschen Bundestages die Notwendigkeit erkannt worden, die Arbeiten wiederaufzunehmen. Die Vorarbeiten wurden mit jener Gründlichkeit betrieben, die auch die früheren Stadien der deutschen Strafrechtsreform gekennzeichnet hatte. Umfassende rechtsvergleichende Untersuchungen wurden im Freiburger Institut für ausländisches und internationales Strafrecht angefertigt. Diesen Umstand sollten die Kritiker berücksichtigen, die meinen, die deutschen Reformarbeiten nähmen keine Kenntnis von der internationalen Entwicklung.
    Im Jahre 1954 ist dann die Große Strafrechtskommission — eine Arbeitsgruppe aus Abgeordneten dieses Hohen Hauses, Professoren, Richtern, Staatsanwälten, Rechtsanwälten und Vertretern der Landesjustizverwaltungen — zu ihren fünf Jahre dauernden regelmäßigen Sitzungen zusammengetreten. Sowohl nach ihrer Zusammensetzung als auch im Hinblick auf die Dauer und Intensität ihrer Beratungen steht die Große Strafrechtskommission ohne Parallele in der Praxis der deutschen Gesetzgebungsarbeit da. Auch ausländische Beobachter haben die besonders gründliche und wissenschaftliche Arbeitsweise der Kommission hervorgehoben. Von den Mitgliedern, die sich der aufopfernden Tätigkeit in der Großen Strafrechtskommission gewidmet haben, darf ich hier nur den Namen meines



    Bundesminister Dr. Jaeger
    verehrten Amtsvorgängers Neumayer nennen. Er hat den Vorsitz in der Großen Strafrechtskommission auch nach seinem Ausscheiden aus der Bundesregierung bis zum Abschluß der Arbeiten beibehalten. Von den Beamten des Bundesjustizministeriums, die mit mannigfachen Beiträgen die Arbeit der Kommission unterstützt haben, lassen Sie mich heute nur den heutigen Richter am Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, den damaligen Staatssekretär Dr. Walter Strauß namentlich nennen.
    Auf die Beratungen der Großen Strafrechtskommission folgte nach mehreren Zwischenentwürfen schließlich im Jahre 1960 der erste Entwurf eines Strafgesetzbuches, den die Bundesregierung den gesetzgebenden Körperschaften vorgelegt hat. Es handelte sich um den Entwurf, den mein verehrter Amtsvorgänger Staatsrat Schäffer vor diesem Hohen Hause begründet hat. Der Entwurf hatte damals am Ende der 3. Wahlperiode keine Aussicht, noch vor dem Zusammentritt des neuen Bundestages verabschiedet zu werden. Er sollte vielmehr dazu dienen, die öffentliche Diskussion zu vertiefen. Überhaupt ist die Bundesregierung immer der Auffassung gewesen, daß ein so tief in die Gesamtheit der sozialen Beziehungen eingreifendes Gesetz wie das Strafgesetzbuch einer denkbar umfassenden Erörterung in allen Teilen der Öffentlichkeit bedarf. Deshalb sind alle wesentlichen Unterlagen für die große Strafrechtsreform, u. a. 13 Bände Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, veröffentlicht worden.
    Im Bundesjustizministerium begrüßen wir es dankbar, daß sich die deutschen Strafrechtswissenschaftler, und zwar auch die Universitätslehrer, die nicht zur Großen Strafrechtskommission gehört haben, in den letzten Jahren stärker an der Diskussion um das neue Strafgesetzbuch beteiligt haben. Wir wären dankbar, wenn die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Gesetzgebungspraxis in Zukunft noch enger und noch konstruktiver gestaltet werden könnte.
    An der kritischen Würdigung des Entwurfs 1960 hatten die Landesjustizverwaltungen der deutschen Bundesländer einen besonderen Anteil. Um ihnen die Möglichkeit zu geben, den Entwurf ohne Zeitdruck in aller Gründlichkeit zu beraten, ist im Jahre 1959 eine Länderkommission gebildet worden, deren verdienstvoller Vorsitzender der Staatssekretär im Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, Dr Krille, gewesen ist. Die Arbeiten dieser Kommission haben sich zumal auf die Gestaltung des Besonderen Teils des Entwurfs von 1962 fruchtbar ausgewirkt.
    Dem Entwurf 1962, den die Bundesregierung während der 4. Wahlperiode den gesetzgebenden Körperschaften zugeleitet hat, entspricht der Ihnen vorliegende Entwurf. Ich darf daran erinnern, daß der Bundestag am 28. März 1963 in erster Lesung über diesen Entwurf beraten hat.
    Wenn ich hoffe, daß die Strafrechtsreform in dieser, der 5. Wahlperiode das Deutschen Bundestages verabschiedet werden wird, so ermutigt mich zu einer solchen Hoffnung nicht zuletzt die Arbeit, die der Sonderausschuß „Strafrecht" in der vergangenen Wahlperiode geleistet hat. Unter seinem Vorsitzenden, Herrn Kollegen Dr. Güde, und seinem stellvertretenden Vorsitzenden, Herrn Kollegen Dr. MüllerEmmert, hat dieser Ausschuß eine sehr intensive und erfolgreiche Arbeit geleistet, und zwar in einer Atmosphäre sachlicher Zusammenarbeit. Trotz vieler gegensätzlicher Auffassungen ist niemals das gemeinsame Anliegen verlorengegangen. Ein Blick in die Niederschriften über die 56 Sitzungen des Sonderausschusses „Strafrecht" genügt, um festzustellen, wie mit sachlichem Ernst und Nüchternheit um die bestmöglichen Lösungen gerungen worden ist.
    Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, die Gelegenheit benutzen, um Mißverständnisse aufzuhellen, die anscheinend im Hinblick auf die Niederschriften des Sonderausschusses entstanden sind. Wie Herr Kollege Benda vor diesem Hohen Hause schon am 1. Dezember 1965 dankenswerterweise klargestellt hat, hat der Deutsche Bundestag die Niederschriften des Sonderausschusses „Strafrecht" drucken lassen und allen Interessenten aus den Bereichen der Politik, der Justiz und der Wissenschaft zugänglich gemacht, und zwar in einem Umfang, der bei keinem Ausschuß dieses Hohen Hauses erreicht worden ist. Überdies kann jedermann, der einen ,geringen Geldbetrag aufwenden will, die Niederschriften durch den Buchhandel käuflich erwerben. Auch hierauf hat Herr Kollege Benda schon hingewiesen.
    Mir bleibt nachzutragen, daß das Bundesministerium der Justiz nicht in die Herstellung der Niederschriften eingeschaltet gewesen ist. Die Beamten meines Hauses haben nur die Niederschriften über ihre eigenen Äußerungen korrigiert. Diese Möglichkeit hatten in gleichem Maße hinsichtlich ihrer Beiträge auch die Mitglieder des Sonderausschusses und die anderen Personen, die zu seinen Beratungen hinzugezogen worden sind.

    (Abg. Dr. Dr. Heinemann: Das stimmt nicht!)

    Soweit Äußerungen in indirekter Rede wiedergegeben worden sind, ist die Redaktion der Niederschrift von den hierfür zuständigen Beamten des Bundestages — nicht des Justizministeriums — vorgenommen worden, nicht anders, als dies auch bei den sonstigen Niederschriften über Ausschußberatungen geschieht, z. B. im Verteidigungsausschuß, als dessen Vorsitzender ich 12 Jahre lang die gleiche Praxis der Stenographen verfolgen konnte.
    Wenn im übrigen in der Aussprache dieses Hohen Hauses vom 1. Dezember 1965 die Auffassung geäußert worden ist, daß die Öffentlichkeit in verstärktem Maße über die Ausschußarbeiten am neuen Strafgesetzbuch unterrichtet werden müsse, so deckt sich das ganz mit meiner Überzeugung, daß eine umfassende Unterrichtung der Öffentlichkeit im Interesse der Sache liegt. Ich darf Ihnen jede Unterstützung des Bundesjustizministeriums bei Bemühungen um eine gründliche Unterrichtung der Öffentlichkeit zusichern. Es geht hier um ein gemeinsames Interesse nicht nur des Parlaments und der Regierung, sondern der gesamten Öffentlichkeit.



    Bundesminister Dr. Jaeger
    Auf Einzelfragen einer zweckmäßigen Informationspolitik möchte ich hier nicht eingehen. Bei dem jetzigen Stand der Gesetzgebungsarbeit liegt die Verantwortung hierfür weitgehend bei diesem Hause.
    Das gilt besonders für die am 1. Dezember 1965 aufgeworfene Frage, ob Pressevertreter zu Sitzungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform zugelassen werden sollen. Hier handelt es sich um die Auslegung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages und überdies um eine Problematik, die nicht allein den Sonderausschuß für die Strafrechtsreform, sondern die gesamte Ausschußarbeit dieses Hauses angeht. Immerhin darf ich bemerken, daß mir die Anwesenheit von Pressevertretern bei einer Anhörung von Sachverständigen vor dem Ausschuß in gewissen Fällen durchaus wünschenswert erscheint, auch wenn ihre Anwesenheit in den Sitzungen nach unserer Geschäftsordnung die Ausnahme bilden dürfte.
    Es wird Sie übrigens interessieren, daß der Ausschuß des Deutschen Reichstages, der sich während der Weimarer Zeit mit dem Entwurf eines Strafgesetzbuches befaßte, im September 1927 die Frage einer Zulassung von Pressevertretern zu seinen Sitzungen eingehend erörtert hat. Nachdem damals Reichstagspräsident Löbe vor dem Ausschuß die Ansicht vertreten hatte, daß die Geschäftsordnung regelmäßig die Anwesenheit von Pressevertretern ausschließe, hat die Mehrheit des Ausschusses einen Antrag abgelehnt, wonach jeder Fraktion das Recht zur Zuziehung eines Pressevertreters eingeräumt werden sollte.
    Neben der Sachlichkeit und Gründlichkeit, die die Arbeit des Sonderausschusses „Strafrecht" ausgezeichnet hat, ist noch ein anderes Merkmal seiner Beratungen hervorzuheben: Der Ausschuß ist sich über die tragenden Entscheidungen, die dem Entwurf eines Strafgesetzbuches zugrunde liegen, im wesentlichen einig gewesen. Auch auf diesen Umstand gründet sich meine Hoffnung, daß diese Wahlperiode den Abschluß der parlamentarischen Beratungen über das neue Strafgesetzbuch bringen wird. Denn die vom Sonderausschuß „Strafrecht" gezeigte Einmütigkeit in Grundfragen erfüllte eine wesentliche Voraussetzung für jede fruchtbare Gesetzgebungsarbeit auf dem Gebiet des Strafrechts. Es liegt zwar in der Natur eines solchen Werks, das den ganzen Bereich des menschlichen Zusammenlebens berührt, daß unterschiedliche Auffassungen in vielen einzelnen Fragen bestehen. Wenn die gesetzgebenden Körperschaften trotzdem in den Grundfragen zu einmütigen Entscheidungen gelangen, so wird das maßgeblich dazu beitragen, daß das neue Strafgesetzbuch von der gesamten Bevölkerung als ein angemessener Rahmen ihres Zusammenlebens in der freiheitlichen demokratischen Ordnung bejaht wird.
    Ein solches Ziel kann nur erreicht werden, wenn auf allen Seiten die Bereitschaft zu sachlichem Entgegenkommen besteht. Das ganze Haus, alle Abgeordneten und alle Fraktionen, müssen den Mut zu notwendigen und tragbaren Kompromissen aufbringen. Ich wende mich ausdrücklich nicht weniger an die Opposition als an die Regierungsparteien.
    Gewiß ist ein Strafgesetzbuch kein Verfassungsgesetz, und es bedarf zu seiner Annahme keiner qualifizierten Mehrheit. Aber es ist ein Gesetz, das für unsere tatsächliche gesellschaftliche Verfassung von höchster Wichtigkeit ist und große Bedeutung für das Leben eines jeden Staatsbürgers hat. Es ist zugleich ein Gesetz, das nicht nur eine lange Entwicklung in Wissenschaft und Praxis zum Abschluß bringt, sondern zugleich auf Jahrzehnte hinaus Geltung erhalten soll. Unsere Kinder und vielleicht noch unsere Enkel werden sich an seinen Normen zu orientieren haben.
    Ich würde es deshalb für einen höchst bedauerlichen Vorgang halten, wenn ein solches bedeutsames Gesetz nur mit der Mehrheit einiger weniger Stimmen in Bundestag und Bundesrat verabschiedet würde. Eine möglichst breite Mehrheit sollte einem neuen Strafgesetzbuch gerade wegen seiner rechtlichen und moralischen Wirkung in der Zukunft sicher sein. Ich betrachte deshalb die Arbeit an diesem Gesetzentwurf nicht als eine solche der Koalition allein, sondern als eine Angelegenheit des ganzen Hauses. Ich weiß, daß dies die Bereitschaft zum Brückenschlag notwendig macht, um vermittelnde Lösungen zu erzielen. Die Bundesregierung ist bereit, hierbei mitzuhelfen, und hofft auf eine positive Antwort auf allen Seiten dieses Hauses.
    Die Aussicht, vermittelnde und trotzdem lebensfähige Lösungen für schwierige Probleme zu finden, mag vom einen optimistisch, vom anderen skeptisch beurteilt werden. Meine persönliche parlamentarische Erfahrung berechtigt mich zu einer optimistischen Betrachtung dieser Frage. Im Verteidigungsausschuß dieses Hauses standen wir vor zehn Jahren vor einem nicht minder bedeutsamen, politisch sogar noch schwierigeren Problem bei der Beratung der sogenannten Wehrverfassung. Obwohl es das erste Mal in der deutschen Geschichte war, daß der Versuch unternommen wurde, die bewaffnete Macht in den freiheitlichen Rechtsstaat zu integrieren, obwohl dieser Versuch psychologisch auf den verschiedensten Seiten schweren Belastungen ausgesetzt war und gleichzeitig eine heftige öffentliche Auseinandersetzung um Notwendigkeit und Art des deutschen Verteidigungsbeitrages zur NATO stattfand, ist es mir in den Gesprächen mit den maßgebenden Männern der Fraktionen, in erster Linie den Herren Kollegen Erler, Dr. Kliesing und Dr. Mende, und mit dem gesamten Ausschuß gelungen, eine Lösung zu erarbeiten, die schließlich vom Deutschen Bundestag mit überwältigender Mehrheit verabschiedet wurde.
    Ich hoffe deshalb zuversichtlich, daß wir in den kommenden vier Jahren in dem gemeinsamen Bekenntnis zum freiheitlichen und sozialen Rechtsstaat auch für das Strafgesetzbuch Lösungen finden, die, von Einseitigkeiten frei, von allen Seiten verantwortet werden können. Meine Bereitschaft, mit meinem Hause nach besten Kräften dabei mitzuwirken, darf ich wiederholen.
    Ich glaube, daß der Ihnen vorliegende Entwurf eine gute Grundlage für solche Bemühungen bietet. Das Strafgesetzbuch legt die Grundlinien der Kriminalpolitik im sozialen Rechtsstaat fest. Der soziale



    Bundesminister Dr. Jaeger
    Einschlag des im Grundgesetz verankerten Rechtsstaatsgedankens zwingt dazu, die Einrichtungen des neuen Strafrechts so auszubilden, daß die Wiedereingliederung des straffällig gewordenen Mitbürgers in die Gesellschaft erleichtert wird. Gleichzeitig darf der Schutz der Gesellschaft nicht vernachlässigt werden, sind es doch auch und gerade ihre schwächsten Glieder, die dieses Schutzes bedürfen.
    Der Ihnen vorliegende Entwurf trägt dem sozialen Aspekt unseres Rechtsstaates Rechnung. Hiervon zeugt unter anderem das weit gefächerte System der bessernden und sichernden Maßregeln. Ich möchte auch auf das neue Tagessatzsystem bei den Geldstrafen hinweisen, das schon meine verehrte Vorrednerin erwähnt hat. Das bisherige Institut der Geldstrafe, das leider nicht frei von unsozialen Zügen ist, soll gründlich reformiert werden. In Zukunft wir die Geldstrafe nicht nur besser an die finanzielle Leistungsfähigkeit des Verurteilten angepaßt werden; ihre Verhängung in Tagessätzen wird es auch möglich machen, aus der Höhe der Strafe Rückschlüsse auf die Schuld des Täters zu ziehen.
    Neben dem sozialen Aspekt dürfen die anderen Anforderungen nicht übersehen werden, die unsere rechtsstaatliche Verfassungsordnung an ein modernes Strafgesetzbuch stellt: der Mensch muß auch im Strafrecht im Mittelpunkt stehen. Der Entwurf 1962, der Ihnen in unveränderter Fassung vorliegt, sucht dieser Forderung vor allem durch das Schuldprinzip Rechnung zu tragen: die Schuld des Täters ist die Richtschnur für die strafrechtliche Reaktion auf sein Verhalten. Das Schuldprinzip stellt sicher, daß die Tat und die Reaktion in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen.
    Zu der Forderung, daß Tat und staatliche Reaktion in einem angemessenen Verhältnis stehen müssen, führen zwar auch schon allgemeine rechtsstaatliche Überlegungen. Sie sind bei den Maßregeln der Besserung und Sicherung vom Sonderausschuß „Strafrecht" in einer besonderen Vorschrift, dem neuen § 81 a, niedergelegt worden; danach darf eine Maßregel nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der begangenen oder zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der vom Täter ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht. Bei der Schuldstrafe gewinnt jedoch dieser rechtsstaatliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine zusätzliche Bedeutung. Es handelt sich hier um den spezifisch menschlichen Zug der Strafe. Die Schuld, nach der sich die Strafe zu richten hat, setzt bei dem Täter persönliche Verantwortung voraus. Die philosophische und theologische Problematik, ob oder inwieweit der Mensch frei ist, können und wollen wir hier nicht lösen; auch dem Sonderausschuß des Bundestags wird das nicht gelingen. Aber es geht auch gar nicht um die Lösung dieser Frage, sondern um eine praktische Maxime unseres Zusammenlebens und um das Menschenbild unseres Grundgesetzes. Das Schuldstrafrecht setzt ein Menschenbild voraus, das unserer freiheitlichen Verfassungsordnung zugrunde liegt. Die persönlichen Freiheitsrechte, die das Grundgesetz dem einzelnen zuspricht, gewinnen dadurch ihr besonderes Gewicht, daß sie den Status eines verantwortlichen
    Gliedes der Gemeinschaft definieren und sichern. Als freien Bürger, der Rechte gegen den Staat und seine Mitbürger hat, können wir nur denjenigen respektieren, der sich auch seiner Pflichten bewußt ist und sich insbesondere dafür verantwortlich fühlt, daß er seine Freiheit und seine Rechte nicht zum Nachteil anderer mißbraucht.
    So steht die Grundkonzeption, die dem Entwurf eines Strafgesetzbuchs zugrunde liegt, in engem Zusammenhang mit unserer Verfassungsordnung. Sie soll den sozialen Rechtsstaat sichern und sich an dem vom Grundgesetz vorausgesetzten Bild des Menschen orientieren. In diesem Sinne sollen die Grundlagen des Entwurfs verstanden werden. Für die Bundesregierung ist das Schuldprinzip im besonderen eine Garantie dagegen, daß ein sich allmächtig gebärdender Staat den Menschen zum bloßen Objekt eines kriminalpolitischen Kalküls macht. Darin, daß man solchen Tendenzen wehren muß, sind wir uns in diesem Hohen Hause sicher einig.
    Demzufolge bestand in der letzten Wahlperiode im Sonderausschuß „Strafrecht" Einmütigkeit über das Prinzip des Schuldstrafrechts. Niemand hat dort die Unterscheidung zwischen der schuldangemessenen Strafe und den bessernden oder sichernden Maßregeln in Frage gestellt. Auch in zahlreichen Einzelfragen bestand Einmütigkeit über die kriminalpolitische Linie. Mit Ausnahme des umstritten gebliebenen Arbeitshauses und des innerhalb des Strafgesetzbuchs gestrichenen Verbots der Tierhaltung haben alle im Entwurf 1962 vorgesehenen Maßregeln der Besserung und Sicherung die grundsätzliche Zustimmung des Ausschusses erhalten. Ich hebe noch besonders die neuen Maßregeln der psychiatrischen Fürsorgeanstalt — im Entwurf als „Bewahrungsanstalt" bezeichnet —, ferner die Erziehungsverwahrung — früher als „vorbeugende Verwahrung" bezeichnet — hervor. Außerdem ist die Sicherungsaufsicht zu nennen. Sie unterscheidet sich von der bisherigen Polizeiaufsicht und entspricht der modernen Tendenz zur ambulanten Behandlung Straffälliger, wie sie auch vielfach im Ausland hervortritt. Die Sicherungsaufsicht wird eine besondere Bedeutung bei der Verhütung von Sittlichkeitsverbrechen gewinnen.
    Bemerkenswert ist auch, daß das in der Wissenschaft umstrittene zeitliche Verhältnis von Strafe und Maßregel durch den 'Sonderausschuß „Strafrecht" in einer Weise geregelt worden ist, die modernen Überlegungen entspricht. Freilich ist die Frage, ob die Sicherungsverwahrung ebenso wie die anderen freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung in diese Regelung einbezogen werden soll, im Sonderausschuß umstritten geblieben. Hier handelt es sich um eine Einzelfrage, deren Bedeutung nicht überschätzt werden sollte. Immerhin darf schon jetzt festgehalten werden, daß im übrigen auch im Hinblick auf die Sicherungsverwahrung eine gemeinsame Basis im Sonderausschuß vorhanden war. Man war sich insbesondere darüber einig, daß diese im Ausland zum Teil umstrittene Maßregel der Sicherung beibehalten werden soll.



    Bundesminister Dr. Jaeger
    Auch in anderen Fragen konnte immer wieder Einmütigkeit in bezug auf die grundsätzlichen Fragen beobachtet werden. So gab es bei der Strafaussetzung zur Bewährung zwar manche Meinungsverschiedenheiten im einzelnen, etwa im Hinblick auf die Höhe der für die Aussetzung in Betracht kommenden Strafe; über die Grundsatzfrage, daß die Strafaussetzung im Sinne der kontinentaleuropäischen Überlieferung als Aussetzung des Vollzuges einer verhängten Strafe und nicht nach dem Vorbild der englischen „probation" ausgestaltet werden soll, gab es jedoch keinen Streit. Einmütigkeit herrschte auch darüber, daß diese Einrichtung im unteren Bereich der Kriminalität durch zusätzliche Regelungen, z. B. im Sinne einer Verwarnung mit Strafvorbehalt, ergänzt werden soll. Schließlich hat auch der Plan, die Übertretungstatbestände aus dem Strafgesetzbuch zu entfernen und in ihrer Mehrheit in das Recht der Ordnungswidrigkeiten zu überführen, die einstimmige Billigung der Mitglieder des Sonderausschusses gefunden.
    In vielen Grundentscheidungen entspricht der vorliegende Entwurf der internationalen Entwicklung auf dem Gebiet der Kriminalpolitik. Es ist versucht worden, einen tiefgehenden Gegensatz zwischen unserem Entwurf und den maßgebenden Richtungen der Kriminalpolitik in den anderen freiheitlichen Staaten des Westens zu konstruieren. Solchen Darstellungen haftet — wie vielen öffentlichen Erörterungen in Rechtsfragen — etwas Klischeehaftes an. Vielfach liegt ihnen entweder eine unrichtige Interpretation des deutschen Entwurfs oder eine falsche Sicht der ausländischen Verhältnisse zugrunde. Gewiß gibt es in einer Reihe von Einzelfragen verschiedene Auffassungen diesseits und jenseits der Grenzen. In der grundsätzlichen Beurteilung der Strafzwecke und des Schuldgedankens sind jedoch die freiheitlichen europäischen Staaten weniger weit voneinander entfernt, als es gelegentlich dargestellt wird. Das gilt auch für das jüngste europäische Strafgesetz, das zu Anfang des letzten Jahres in Kraft getretene schwedische Kriminalgesetzbuch; es hat einem radikaleren Vorentwurf in vielen wichtigen Punkten keine Folge geleistet. Die angelsächsische Praxis denkt nicht daran, den Begriff der Strafe zugunsten eines rein fürsorgerisch verstandenen Maßregelsystems aufzugeben. Die deutsche Strafrechtsreform steht gemeinsam mit den meisten neueren europäischen Strafgesetzen in jener großen Tradition moderner Kriminalpolitik, zu der die deutsche Wissenschaft gerade am Anfang wesentlich beigetragen hat. In der Bundesrepublik gilt es ebenso wie in den anderen Ländern des Westens, diese kriminalpolitischen Grundlagen an die Gegebenheiten der veränderten sozialen Situation anzupassen. Zugleich müssen wir das Erfahrungswissen nutzbar machen, das wir seit den Anfängen der modernen Kriminalpolitik in einer wechselvollen Geschichte erworben haben — einer Geschichte, die uns allerdings manche Zweifel an dem Fortschrittsoptimismus v. Liszts und seiner Zeitgenossen gelehrt hat.
    Aus dem Ausland hat es denn auch neben mancher Kritik an Stimmen der Anerkennung des Entwurfs eines neuen deutschen Strafgesetzbuchs nicht gefehlt. Es ist mir eine besondere Freude, hier zwei bedeutende englische Wissenschaftler zu nennen, die beide in der Weimarer Republik die deutsche Strafrechtswissenschaft bereichert haben, bevor sie der nationalsozialistische Rassenwahn vertrieben hat. Der leider kürzlich verstorbene Professor Grünhut aus Oxford hat sich sowohl in literarischen Arbeiten als auch in Vorträgen auf einer Arbeitstagung des Bundeskriminalamtes und bei einem internationalen Kolloquium über Kriminologie und Strafrechtsreform positiv über die deutschen Reformarbeiten ausgesprochen. Professor Mannheim in London — vor 1933 Richter und Universitätsprofessor in Berlin, heute einer der führenden Kräfte der britischen Forschung auf dem Gebiet der Kriminologie — hat im Jahre 1960 ein ganzes Buch mit eingehenden Betrachtungen zur deutschen Strafrechtsreform veröffentlicht. Ich darf in diesem Zusammenhang noch die schweizerischen Universitätsprofessoren Frey und Graven nennen. Letzterer hat die deutschen Vorstellungen über die Maßregeln der Besserung und Sicherung in einem Vortrag als „im besten Sinne des Wortes sozial" bezeichnet, die Rechtsstaatlichkeit der beabsichtigten Lösungen hervorgehoben und über andere Bestimmungen gesagt, in ihnen offenbare „sich das Bemühen um Gerechtigkeit, menschliches Verständnis und eine liberale Haltung, die dieses ,Straf gesetz beherrschen, das jedoch ersichtlich ebenfalls einen ,bessernden' und ,resozialisierenden Charakter besitzt". Ich kann noch hinzufügen, daß der von der Bundesregierung im Jahre 1962 vorgelegte Entwurf, der Ihnen heute wieder vorgelegt worden ist, schon in die japanische Sprache übersetzt worden ist und daß die New York University in nächster Zeit eine unter Leitung des amerikanischen Strafrechtsprofessors Mueller angefertigte Übersetzung veröffentlichen wird.
    Ich meine nach all dem, daß sowohl der Inhalt des Entwurfs als auch der Verlauf der Beratungen in der letzten Wahlperiode gute Vorausetzungen für einen erfolgreichen Abschluß der parlamentarischen Arbeiten in den vor uns liegenden vier Jahren bieten. Ich darf Sie noch einmal bitten, sich vor Augen zu führen, daß die zur Verfügung stehende Zeit knapp bemessen ist. Es gilt, schnell ans Werk zu gehen. Die Bundesregierung würde es deshalb begrüßen, wenn die Ergebnisse, die der Sonderausschuß „Strafrecht" des Deutschen Bundestages in der letzten Wahlperiode erzielt hat, weitgehend auch für die Arbeiten in dieser Wahlperiode nutzbar gemacht werden könnten.
    Es gibt noch einen anderen Grund, der zur Eile mahnt: Mit der Verabschiedung des Strafgesetzbuchs wird das Programm der Strafrechtsreform nicht erledigt sein. Ich darf nur an die Notwendigkeit einer Strafprozeßreform und einer Strafvollzugsreform erinnern. Der 4. Deutsche Bundestag hat gerade die Strafprozeßreform für besonders dringlich erachtet und die Einberufung einer großen Strafverfahrenskommission nach dem Muster der Großen Strafrechtskommission gefordert. Ich beabsichtige, diesem Wunsch des Parlaments alsbald nachzukommen, erbitte aber, wie ich bei dieser Gelegenheit be-



    Bundesminister Dr. Jaeger
    merken darf, Ihre Unterstützung dadurch, daß Sie meinem Haus die hierfür notwendigen Planstellen im neuen Haushalt genehmigen.

    (Abg. Jahn Ich muß aber noch bemerken, daß außer den beiden zuletzt genannten Reformen es auch noch eines weiteren bedeutenden und umfangreichen Gesetzes bedarf, nämlich des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch. Hier handelt es sich um eine höchst komplizierte Aufgabe. In allen Rechtsgebieten finden sich Vorschriften, die an das neue Strafgesetzbuch angepaßt werden müssen. Viele Bestimmungen des Strafgesetzbuchs müssen durch Vorschriften im Verfahrensrecht und im Nebenstrafrecht ergänzt werden. Über 400 Nebengesetze bedürfen der Anpassung. Die Arbeiten an diesem schwierigen Werk sind im Bundesjustizministerium seit langem im Gange. Alle diese Aufgaben können nicht zu Ende gebracht werden, solange der Bundestag und das Bundesjustizministerium mit den Aufgaben belastet sind, die sich aus der parlamentarischen Beratung des Strafgesetzbuchs ergeben. Auch dieser Gesichtspunkt gibt mir Anlaß, meine Bitte noch einmal zu wiederholen: Wir dürfen keine Zeit verlieren! Die Zeit drängt! Der Anfang ist bereits gemacht. Lassen Sie mich deshalb mit einem Wort des Präsidenten Johnson aus seiner Botschaft über die Lage der Nation aus dem Jahre 1964 schließen: „Laßt uns fortfahren!" Ich danke dem Herrn Bundesminister der Justiz und erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. Güde. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach so klugen — ich meine natürlich Sie, Frau Kollegin Dr. Diemer-Nicolaus — und autorativen Worten werden ich mir Mühe geben, nicht zu wiederholen, was schon ausgesprochen ist. Denn es gibt zwar Leute, die optimistisch sind — und Sie sind ja eine Optimistin, Frau Dr. Diemer-Nicolaus — und aus dem Interesse am „Fernsehgericht" auf ein Interesse am Strafrecht und an der Strafrechtsrefom schließen. Diesen Optimismus teile ich nicht. Die Besetzung des Hauses stört mich schon etwas in diesem Optimismus. Wenn ich mir überlege, was von außen her über den Weg unserer Strafrechtsreform geschrieben worden ist, dann erinnere ich mich, daß z. B. der Zürcher Professor Bader geschrieben hat, eigentlich müsse die breite deutsche Öffentlichkeit ein brennendes Interesse dafür haben, wie ein Strafgesetz der Zukunft die persönliche Freiheit beschränken, wie es der Kriminalität Halt gebieten werde, ohne den freien Raum persönlicher Verantwortung unerträglich einzuengen. Das ist in der Tat das Thema eines Strafrechts. Und der Freiburger Professor Jescheck hat im selben Zusammenhang in einem Vortrag gesagt, dieser Bundestag sei mit der Strafrechtsreform vor eine Aufgabe gestellt, die an Gewicht der Schaffung des Grundgesetzes kaum nachstehe. Ist das übertrieben, meine Damen und Herren? Worin liegt die besondere Bedeutung des Strafrechts? Ich habe vor ein paar Tagen in der „Neuen Zürcher Zeitung" einen Vortrag von dem Baseler Professor Stratenwerth wiedergegeben gesehen, der sich mit dem Verkehrsstrafrecht befaßte. Das Verkehrsstrafrecht macht ja etwa die Hälfte unserer derzeitigen Kriminalität aus — ich werde Ihnen nachher noch die genaue Zahl sagen — und kann also in seiner Bedeutung gar nicht überschätzt werden. Herr Professor Stratenwerth hat in Zusammenhang mit dem Verkehrsstrafrecht gesagt, die stärkste Wirkung der Strafe liege im sozialethischen Werturteil, das sich mit der Strafe verbinde. Das Verkehrsstrafrecht z. B., sagte er, solle vor allem einer richtigen Verkehrsmoral zum Durchbruch verhelfen. Was Professor Stratenwerth am Beispiel des Verkehrsstrafrechts gesagt hat, das gilt selbstverständlich für das Strafrecht überhaupt. Sittennormen, Verhaltensnormen kommen nicht aus dem Nichts. Man kann sie auch nicht aus dem Nichts schaffen. Sie unterliegen einem langen Entwicklungsprozeß, und das Strafrecht nimmt maßgebenden Einfluß auf diese Entstehung von Verhaltensnormen. Man kann daher wohl sagen: das Strafrecht gestaltet die Lebensgesetze eines Volkes, und umgekehrt: die gelebten Gesetze eines Volkes gestalten sein Strafrecht. Aber wie es mit dem brennenden Interesse der breiten Öffentlichkeit wirklich steht? Ich antworte ohne Illusionen: die Strafrechtsreform ist nicht populär. Wenn sie die Bedeutung hat, die ihr in der einen oder anderen Äußerung, die ich soeben zitiert habe, zugeschrieben wird, dann bedarf es wahrhaftig einer intensiven Öffentlichkeitsarbeit, um nicht nur um das Interesse der Öffentlichkeit, der öffentlichen Meinung zu werben, sondern auch um ihr Mitdenken und Mitentscheiden. Ein so breiter, in das Leben der Nation so tief eingreifender Gesetzentwurf kann nicht in einem kleinen Ausschuß allein geschaffen werden. Der Sonderausschuß „Strafrecht" wird jede Möglichkeit benutzen, die ihm die Geschäftsordnung des Hauses bietet und läßt, um die Öffentlichkeit so breit als möglich zu beteiligen und auch zu informieren. Herr Kollege Heinemann, ich nehme Ihre Anregung, die Sie kürzlich dazu vorgebracht haben, durchaus auf, aber ich sage: im Rahmen der Geschäftsordnung dieses Hauses. Es liegt dem Haus ein von dem Herrn Kollegen Dr. Schmidt Dr. h. c. Güde werfen, werden Sie das sehen. Ich bin aber bereit, jeder Anregung des Ausschusses darin zu folgen. Herr Dr. Güde, haben Sie kein Verständnis dafür, daß ich nichts protokollarisch unter meinem Namen gern herausgegeben sehe, was ich nicht vorher gelesen habe? Mir ist kein Protokoll vorher zur Durchsicht mitgeteilt worden. Ich kann für mich sagen, mir sind sie immer vorgelegt worden, und ich glaube, eine ganze Reihe von Kollegen wird bestätigen, daß sie zur Durchsicht vorgelegt werden. Das wäre bei Ihnen also ein Fehler in der Regie gewesen. Aber ich kann mir das gar nicht vorstellen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige allgemeine Dinge sagen. Ich will gar nicht auf viele Einzelheiten eingehen, die schon angesprochen worden sind. Der Herr Justizminister hat die Initiatoren dieses Wiederbringungsantrags gelobt. Ich möchte vorweg sagen, ich will in diesem Augenblick den Mitgliedern des Sonderausschusses „Strafrecht" in der vergangenen Legislaturperiode danken — und zwar ohne jeden Unterschied — für die sachliche Atmophäre, in der die Beratungen des Sonderausschusses vor sich gegangen sind. Ich will danken den Herren des Justizministeriums, die mit ihrer bekannten Tüchtigkeit immer an diesen Beratungen teilgenommen und wertvolle Beiträge geleistet haben. Ich will — weil sie durch Sie, Herr Kollege Dr. Heinemann, eigentlich in ein schiefes Licht gekommen sind — danken den Stenographen des Hauses, die diese Verhandlungen mit einer besonderen Sorgfalt stenographiert und bearbeitet haben. Ich hoffe, daß die Atmosphäre in dem Sonderausschuß dieses Bundestages, dieser Legislaturperiode dieselbe sein wird. Aber lassen Sie mich zunächst eines sagen, die Wiedereinbringung ist ein Koalitionsantrag. Ich bedaure das ein wenig. Ich hätte es lieber gesehen, wenn die SPD dieses Werk, das nun doch ein gemeinsames Werk werden muß, wenn es werden soll, mit eingebracht hätte, auch wenn sie sich von Teilen dieses Entwurfs und dieses Vorhabens distanziert. Ich glaube, wenn wir das ein wenig sorgfältiger versucht hätten, wäre es nicht ausgeschlossen gewesen, daß Ihre Fraktion, Herr Kollege Jahn — Sie haben ja das Nein gesagt —, nun doch auch gesagt hätte: Wir müssen an diesem Entwurf gemeinsam arbeiten; wollen wir ihn auch gemeinsam einbringen! Denn er war zwar ein Entwurf der Regierung, aber im Grunde ist er ein Entwurf der Großen Strafrechtskommission, in der nicht nur Ihre Kollegen während der Dauer der Beratung mitgearbeitet haben, sondern unabhängig von Regierung und Koalition Gelehrte, Professoren, Praktiker des Strafrechts, einer unabhängigen Kommission, die ihren Rang durch ihre Leistung und nicht durch ihre Einsetzung von seiten der Regierung hat. (Abg. Jahn [Marburg] : Wir nehmen die Selbstkritik, die Sie an Ihrem Verhalten üben, gern zur Kenntnis!)


    (Beifall bei den Regierungsparteien.)