Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Verabschiedung des Haushaltssicherungsgesetzes wird möglicherweise zu einem Wendepunkt in der Gesetzgebungsarbeit dieses Hohen Hauses und der Finanzpolitik überhaupt führen. Deshalb gestatten Sie mir namens meiner Fraktion einige grundsätzliche Bemerkungen.
Der Finanzminister der vorigen Legislaturperiode, Kollegen in diesem Hause, insbesondere Kollegen, die sich immer mit Haushalts- und Finanz-
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fragen beschäftigen mußten, haben schon seit längerem warnend ihre Stimme erhoben. Sie warnten immer wieder davor, neue Ausgaben zu beschließen und durch Gesetzesfestlegungen den Spielraum für eine aktive Haushaltspolitik, namentlich den Spielraum für eine aktive Konjunkturpolitik über den Haushalt des Bundes, zu verringern. Häufig wurden diese Warnungen in den Wind geschlagen. So kam es dazu, daß schließlich die Ausgaben des Bundes zu etwa 90 % durch rechtliche oder vertragliche Verpflichtungen von vornherein gebunden und der Disposition des Etatsgesetzgebers, nämlich dieses Parlaments, entsprechend den aktuellen Erfordernissen und Notwendigkeiten völlig entzogen wurden. Selbst der verbleibende Rest von 10 v. H. ist nur beschränkt einer Disposition zugänglich, weil daraus für unsere Zukunftsvorsorge so wichtige Aufgaben wie die Förderung von Wissenschaft und Forschung, die Umstrukturierung unserer Landwirtschaft, Ausbau des Gesundheitswesens und die Neuordnung unseres Verkehrswesens zu finanzieren sind, um nur die wichtigsten zu nennen. Die hierfür veranschlagten Mittel können nicht beliebig gekürzt werden, wenn nicht die künftigen Lebensgrundlagen unseres Volkes geschwächt werden sollen.
Die Gründe, weshalb in der Vergangenheit alle Warnungen in den Wind geschlagen wurden, waren vielfältig. Vielleicht ist manchmal zu schwarz gemalt worden; vielleicht hatten wir uns auch an die Tatsache gewöhnt, daß trotz aller Unkenrufe zum Schluß immer wieder ein Haushaltsausgleich gefunden werden konnte. Zum größten Teil sind aber die geäußerten Befürchtungen in der Vergangenheit nur deshalb nicht eingetroffen, weil der schnelle Anstieg des Sozialprodukts, der in der Aufbauzeit unserer Wirtschaft jede Erwartung übertroffen hat, zu einem entsprechenden Anstieg der öffentlichen Einnahmen geführt hat, der bislang die Finanzierung aller betroffenen Ausgaben ermöglichte. Diese Zeiten sind jedoch — das muß man angesichts der hier zu beratenden Gesetze in aller Deutlichkeit sagen — vorbei.
Bei konsequenter Weiterführung der Wirtschaftspolitik, die die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen dieses Hauses in der Vergangenheit vertreten haben, ist zwar auch künftig mit einer Steigerung der deutschen Wirtschaftskraft zu rechnen. Wir kennen in etwa die Größenordnung der durch Gesetze festgelegten Finanzmasse. Wir können uns auch ein ungefähres Bild vom zu erwartenden Umfang des Haushalts 1966 machen, und auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, können das. Wir wissen aber, daß die Zuwachsrate der Einnahmen nicht ausreichen wird, alle Aufgaben, darunter auch gesetzlich fixierte, zu erfüllen. Wir wissen auch, daß die öffentliche Hand für die Stabilität der Währung und die Stabilität der Wirtschaft eine erhebliche Verantwortung trägt. Deshalb ist die Beschränkung der öffentlichen Ausgaben und insbesondere der Investitionen eine der schwersten, aber der wichtigsten Aufgaben der nächsten Jahre.
Eine der Voraussetzungen, um zu dieser Beschränkung beim Bund zu kommen, ist das Haushaltssicherungsgesetz, das heute zur Verabschiedung vor uns liegt.
Die Bundesregierung und meine Fraktion haben mit Recht wesentliche Steuererhöhungen im Augenblick als Mittel zur Bewältigung dieser schwierigen haushalts- und finanzpolitischen Lage abgelehnt.
— Hören Sie doch hin! Ich habe gesagt: wesentliche. Die Gründe sind bekannt. Ich brauche sie im einzelnen nicht aufzuführen.
Eines aber muß festgestellt werden. Bei einer konjunkturorientierten Haushaltspolitik — und diese wollen wir; ich nehme an, auch die Sozialdemokraten — sind Einnahmeerhöhungen der öffentlichen Hand zur Deckung von beschlossenen Mehrausgaben nicht immer und überall das richtige Mittel zur Festigung der Finanzlage.
In der gegenwärtigen Wirtschaftslage ist es vielmehr vorrangige Aufgabe, die Ausgaben so zu begrenzen, daß die Gefahren gebannt werden, die der Stabilität von Währung und Preisen infolge überhöhter Anforderungen der öffentlichen Hand an die Wirtschaft drohen. In der harten politischen Wirklichkeit ist dabei jetzt und in diesem Augenblick die Verknappung der zur Verfügung stehenden Einnahmen immer noch das beste Mittel zur Eindämmung der Ausgabenflut,
die über alle öffentlichen Haushalte hinweggeht und die die Stabilität der Währung und Preise hinwegzuschwemmen droht. Unter dieser Blickrichtung ist das Einschränkungsprogramm der Bundesregierung, das eine Beschränkung des zu erwartenden Haushaltsvolumens bringen soll, der einzig bleibende Ausweg.
Es lohnt sich, meine Damen und Herren, die Frage zumindest in diesem Augenblick etwas zu vertiefen, wie es zu dieser Entwicklung gekommen ist, die zu den von der Bundesregierung vorgeschlagenen harten Maßnahmen führt und deren einer Teil die heute anstehende Beschlußfassung über das Haushaltssicherungsgesetz ist. Dabei genügt es nicht, sich gegenseitig, wie das in der Erklärung der Sozialdemokraten angeklungen ist, den Schwarzen Peter zuzuspielen und Überlegungen anzustellen, wer diese oder jene Vorlage eingebracht hat oder wer noch darüber hinausgehende Anträge gestellt oder gar durchgesetzt hat.
Meine Damen und Herren und Herr Möller, da würden wir von der CDU gar nicht so schlecht abschneiden, wenn wir es mit Ihren Anträgen vergleichen.
Eine solche Betrachtung kann nur dann einen vernünftigen Sinn haben — und ringen Sie sich endlich einmal durch, auch das anzuerkennen —, wenn sie
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fern aller parteipolitischen Polemik in größtmöglicher Sachlichkeit und Nüchternheit die Ursachen zu erkennen und daraus die Schlußfolgerungen für die Zukunft zu ziehen versucht. Es ist oft gesagt worden, daß die Überforderung der haushaltsmäßigen Möglichkeiten auf der Vielzahl der Gesetzgebungsbeschlüsse beruhe, die der letzte Bundestag gewissermaßen im Schlußgalopp verabschiedet habe. Auch Sie, Herr Möller, haben das gesagt. Sie haben nur nicht gesagt, daß Sie diese Gesetze mitbeschlossen haben.
Die Häufung von Gesetzgebungsbeschlüssen — und das ist die sachliche Betrachtung, meine Damen und Herren — in der Schlußphase einer Legislaturperiode, und zwar einer jeglichen Legislaturperiode, entspricht dem normalen Arbeitsrhythmus eines auf Zeit gewählten Parlaments. Es ist eine rein sachliche Feststellung, die für sich noch keine Wertung bedeutet. Zum Ende einer Legislaturperiode zeigt sich jeweils, wie viele Probleme noch unerledigt sind. Das ist dann der Zeitpunkt, in dem wir alle — auch Sie, meine Herren von der SPD — vor der Aufgabe stehen, bei der Wahl vor den Bürgern draußen im Lande Rechenschaft über das abzulegen, was wir auf Grund des von unseren Wählern erteilten Auftrags vollendet haben. Es ist in der menschlichen Natur begründet, daß wir alle — und darin nehme ich niemanden aus, weder die Mitglieder der Bundesregierung noch die Mitglieder meiner Fraktion noch die Mitglieder der Opposition — in diesem Zeitpunkt alles daransetzen, den von uns vertretenen politischen Zielen zum Erfolg zu verhelfen.
So kam es letztlich auch zu der Häufung von ausgabeerhöhenden Beschlüssen im letzten Jahr der 4. Legislaturperiode. Und, meine Damen und Herren, beigetragen haben dazu auch die Staatsbürger draußen — das ist gar kein Vorwurf —, die, in Gruppen organisiert, ihre Wünsche und Forderungen gerade zum Ende einer Legislaturperiode auch an uns, die Abgeordneten, verstärkt herangetragen haben.
Meine Damen und Herren von der Opposition, ich muß, weil Sie in diesem Zusammenhang Fragen an die Regierung gestellt haben, auch eine Frage an Sie stellen: Warum haben Sie durch Ihre Versprechungen die Begehrlichkeit unserer Staatsbürger über das Maß hinaus geweckt?
- Sie haben schon bessere Witze gemacht, Herr Erler.
Es ist aber nicht so, daß die Beschlüsse des letzten Jahres der 4. Legislaturperiode die alleinige Ursache für die finanziellen Schwierigkeiten bilden, die es jetzt zu meistern gilt. Die Auswirkungen dieser Beschlüsse, die zu einem wesentlichen Teil erstmalig im Haushalt 1966 voll zum Tragen kommen, treffen mit den ungeheuren Mehrbelastungen zusammen — das wurde hier auch nicht gesagt —, die sich aus der inneren Dynamik der großen Ausgabeblöcke ohnehin ergeben, wie z. B. der Steigerung der Zuschüsse an die Rentenversicherungsträger auf Grund der Dynamisierung der Renten, wie der Steigerung der Aufwendungen auf Grund der verschiedenen Sparförderungsmaßnahmen, wie der Anpassung der Besoldung im öffentlichen Dienst an die gesamtwirtschaftliche Entwicklung oder wie der wachsenden Belastung durch die Hilfen an die Entwicklungsländer infolge der in den Vorjahren eingegangenen Verpflichtungen.
Bundesbahn und Kapitalmarkt — ich brauche nur diese beiden Stichworte zu nennen — sind weitere Gründe, die in die Überlegungen hinsichtlich der finanzpolitischen Gestaltung unseres Haushaltswesens in den nächsten Jahren miteinbezogen werden müssen.
Meine politischen Freunde sind keineswegs der Auffassung, daß dieses Programm und das dazu vorgelegte Haushaltssicherungsgesetz bereits der Weisheit letzter Schluß sind.
— Ihre Vorschläge erwarten wir noch. Dieses Gesetz kann, wie es in der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Präambel heißt — sie wurde von Herrn Möller schon zitiert —, nichts anderes als ein „erster Schnitt" sein. Auf dem Gebiet der Finanzpolitik, die immer mehr eine zentrale Stellung in der deutschen Innenpolitik erhält, liegen vor uns noch große Aufgaben. Hierher gehört einmal — jetzt nenne ich Ihnen wiederholt einige Aufgaben, Herr Kollege Möller, weil Sie beanstandet haben, wir hätten nichts gesagt — die unbedingt erforderliche Durchforstung des Dickichts der Subventionen direkter und indirekter Art; hierher gehört die für die Finanzsituation aller Ebenen unseres Staates — Bund, Länder und Gemeinden — so ungeheuer wichtige Aufgabe der Finanzreform; und hierher gehört auch die Schaffung einer institutionellen Barriere gegen eine Wiederholung der Entwicklungen, wie wir sie in den Schlußphasen einer jeden Legislaturperiode zu beobachten haben. Ich glaube, über alle Parteien hinweg hat sich die Aufassung durchgesetzt, daß diese institutionelle Barriere geschaffen werden sollte. Wir werden uns, so schmerzlich das sein mag, wenn man als Parlamentarier den Drang zu eigener politischer Initiative hat, allen -Ernstes die Frage stellen müssen, ob nicht die weise Selbstbeschränkung des Parlaments zu einem Verzicht auf ausgabeerhöhende Initiativen einen Weg weist und verankert werden sollte. Zumindest aber müßten wir uns zu dem vom Kollegen Barzel namens meiner Fraktion bei der Aussprache über die Regierungserklärung geäußerten Vorschlag entschließen, ausgabeerhöhende Beschlüsse grundsätzlich nur im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Haushalts zu fassen, und zwar möglichst des Haushalts, in dem die Ausgaben auf Grund dieses Beschlusses erstmalig veranschlagt sind.
Das Haushaltssicherungsgesetz gewährt uns die notwendige Zeitspanne, meine Damen und Herren,
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die es zu nutzen gilt, um diese Vorschläge zu durchdenken und zu verwirklichen. Trotz des Zeitdrucks, unter dem das Gesetz von Regierung und Parlament beraten und verabschiedet werden mußte, werden darin, wie wir glauben, die Gewichte gerecht verteilt. Von vielen Gruppen unseres Volkes werden Verzichte verlangt, die manchen schmerzlich treffen werden. Als Abgeordnete des ganzen Volkes sind wir jedoch gehalten, über die Interessen der einzelnen Gruppen den Blick auf das Ganze zu richten, auf das, was ,dem Wohl der Gesamtheit dient.
Dabei muß es vorrangige Aufgabe sein, die Finanzlage des Bundes, wie es auch in der Präambel des Entwurfs des Haushaltssicherungsgesetzes heißt, „mit dem Ziele zu festigen, den Spielraum für eine aktive Konjunkturpolitik über einen ausgeglichenen Haushalt des Bundes zu gewährleisten und damit eine wesentliche Voraussetzung für die Stabilerhaltung von Währung und Kaufkraft bei Aufrechterhaltung optimaler Vollbeschäftigung sicherzustellen". Unter diesem Blickpunkt, meine Damen und Herren, nehmen es meine politischen Freunde — viele sicherlich mit großen Bedenken — auf sich, die mit dem Gesetz verbundenen Verzichte weiten Teilen unseres Volkes zuzumuten.
Die Verantwortung in diesem Hause tragen, wie wir bei der Aussprache über die Regierungserklärung — zwar nicht von allen Sprechern der Opposition, aber doch von wesentlichen Sprechern — gehört haben, nicht nur die Regierungsparteien, sondern auch die Opposition. Verantwortung der Opposition heißt aber nicht nur kritisieren, heißt nicht nur nein sagen, sondern heißt .mitgestalten. Wir warten auf diese Mitgestaltung. Unsere Verantwortung zwingt uns, diesem Gesetz zuzustimmen.