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    Deutscher Bundestag 7. Sitzung Bonn, den 29. November 1965 Inhalt: Überweisung an den Haushaltsausschuß . . 69 A Erweiterung der Tagesordnung . . . . . 69 B Abwicklung der Fragestunde . . . . . . 69 B Fragestunde (Drucksache V/38) Frage des Abg. Biechele: Versuche zur Vermeidung von Gesundheitsschäden durch Auspuffgase Grund, Staatssekretär . . . . . 69 D Biechele (CDU/CSU) 70 A Frage des Abg. Biechele: Versuche mit CO-Kontrollplaketten Grund, Staatssekretär 70 B Biechele (CDU/CSU) 70 C Fragen des Abg. Dr. Kliesing (Honnef) : Änderung der Regelung des § 14 Kraftfahrzeugsteuergesetz Grund, Staatssekretär 71 A Frage des Abg. Ertl: Verhandlungen über die Agrarfinanzierung in Brüssel Grund, Staatssekretär 71 B Ertl (FDP) 71 B Frage des Abg. Dr. Schmidt (Wuppertal) : Steuerrechtliche Gleichbehandlung der Bandweber mit Gewerbetreibenden Grund, Staatssekretär . . . . . . 71 C Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) 72 A Fragen des Abg. Folger: Erhebung der Sektsteuer Grund, Staatssekretär . . . . . . 72 B Felder (SPD) . . . . . . . . . 72 C Frage des Abg. Genscher: Bewertung von Halb- und Fertigfabrikaten 72 C Frage des Abg. Genscher: Anerkennung der Unterstellkosten für Kfz in Parkhäusern etc. in der Nähe des Arbeitsplatzes als Werbungskosten . . 72 C Fragen des Abg. Dr. Marx (Kaiserslautern): Schießplatz in Landstuhl, Kreis Kaiserslautern Grund, Staatssekretär . . . . . . 72 D Frage des Abg. Dr. Marx (Kaiserslautern): Entschädigung für Nutzungen von Forstflächen durch alliierte Streitkräfte 72 D II Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Montag, den 29. November 1965 Fragen des Abg. Dr. Wuermeling: Kürzung der Ausbildungszulage Grund, Staatssekretär . . . . . . 73 A Dr. Wuermeling (CDU/CSU) . . . . 73 C Dröscher (SPD) . . . . . . . 74 B Westphal (SPD) . . . . . . . . 74 C Frage des Abg. Sanger: Bericht über die Konzentration in der Wirtschaft Dr. Langer, Staatssekretär . . 74 D Sänger (SPD) 75 A Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . 75 C Fragen der Abg. Flämig und Dr. Tamblé: Maßnahmen zur Verhinderung eines durch längeren Stromausfall etwa entstehenden Chaos' Dr. Langer, Staatssekretär 76 A, 76 C Flämig (SPD) 76 B Fragen der Abg. Frau Schanzenbach:. Industrieansiedlungen im badischen Grenzland — Lieferbedingungen für neue Stromkraftwerke am Oberrhein . 76 D Frage des Abg. Dr. Müller-Hermann: Referenzpreise für Orangen Höcherl, Bundesminister 76 D Dr. Müller-Hermann (CDU/CSU) . 77 A Frage des Abg. Schmitt-Vockenhausen: Bekämpfung von Tierseuchen Höcherl, Bundesminister 77 C Fragen des Abg. Schwabe: Roggenmischbrot 77 C Frage des Abg. Dröscher: Beteiligung des Landes Rheinland-Pfalz an Mitteln aus dem Ausrichtungs- und Garantiefonds der EWG Höcherl, Bundesminister . . . . . 77 D Frage des Abg. Schmidt (Braunschweig) : Einfuhr von Zuckerschnitzeln Höcherl, Bundesminister . . . . . 77 D Fragen der Abg. Frau Dr. Krips: Verteuerung der Apfelsinen durch Referenzpreise Höcherl, Bundesminister . . . . . 78 A Frau Dr. Krips (SPD) . . . . . . 78 B Frage des Abg. Ertl: Verspätetes Erscheinen der Richtlinien für die landwirtschaftliche Anpassungshilfe Höcherl, Bundesminister . . . . 78 C Ertl (FDP) 78 C Frage des Abg. Ertl: Mittel für bauliche Maßnahmen in der Landwirtschaft Höcherl, Bundesminister 78 D Ertl (FDP) . . . . 78 D Fragen des Abg. Bading: Anpassungsbeihilfe für landwirtschaftliche Betriebsinhaber Höcherl, Bundesminister . 79 A, 79 B Bading (SPD) . . . . . . . . . 79 B Fragen des Abg. Leukert: Bindungsermächtigung in Höhe von 120 Mio DM für die ländliche Siedlung Höcherl, Bundesminister 79 D Leukert (CDU/CSU) . . . . . . 79 D Fragen des Abg. Reichmann: Ausformdaten für Butter Höcherl, Bundesminister 80 B Reichmann (FDP) . . . . . . . 80 B Fragen des Abg. Wächter: Notwendigkeit einer einheitlichen Regelung betr. Attestierung des Freiseins von Maul- und Klauenseuche bei der Einfuhr von Zucht- und Nutzvieh Höcherl, Bundesminister 80 C Wächter (FDP) . . . . . . . . . 81 A Fragen des Abg. Büttner: Moderne Mastmethoden bei Hühnern, Kälbern und Schweinen Höcherl, Bundesminister . 81 B, 81 D Büttner (SPD) . . . . . 81 B, 82 A Frage des Abg. Schmitt-Vockenhausen: Tierquälerische Methoden der fabrikmäßigen Aufzucht von Tieren Höcherl, Bundesminister 82 B Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . . 82 B Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Montag, den 29. November 1965 III Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung in Verbindung mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung des Haushaltsausgleichs (Haushaltssicherungsgesetz) (Drucksache V/58) Dr. Barzel (CDU/CSU) 82 C Erler (SPD) 91 C Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundeskanzler 106 C Freiherr von Kühlmann-Stumm (FDP) 110 D Dr. Althammer (CDU/CSU) . . . . 119 B Dr. Schiller (SPD) 127 C Nächste Sitzung 136 D Anlagen 137 A Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode 7. Sitzung. Bonn, Montag, den 29. November 1965 69 7. Sitzung Bonn, den 29. November 1965 Stenographischer Bericht Beginn: 14.03 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Dr. Arndt /Berlin /Köln 2. 12. Bäuerle 29. 11. Dr.-Ing. Balke 29. 11. Frau Berger-Heise 7. 12. Dr. Birrenbach 2. 12. Blachstein 30. 11. Dr. Czaja 29. 11. Deringer 29. 11. Diekmann 29. 11. Eisenmann 29. 11. Dr. Freiwald 29. 11. Fritz /Welsheim 29. 11. Dr. h. c. Güde 2. 12. Haar /Stuttgart 29. 11. Hilbert 2. 12. Hörmann /Freiburg 30. 11. Jaschke 2. 12. Dr. Koch 29. 11. Koenen /Lippstadt 31. 12. Kubitza 29. 11. Lemmer 29. 11. Lücker /München * 30. 11. Marquardt 2. 12. Mauk * 30. 11. Memmel 29. 11. Dr. h. c. Menne /Frankfurt 29. 11. Dr. h. c. Dr.-Ing. Möller 29. 11. Dr. Morgenstern 29. 11. Dr. Müthling 30. 11. Paul ** 29. 11. Peters /Norden 29. 11. Rawe 8. 12. Dr. Reischl 29. 11. Röhner 30. 11. Sander 29. 1.1. Frau Schanzenbach 31. 12. Frau Schimschok 31. 12. Schmidt /Würgendorf 2. 12. Schultz 2. 12. Seither 29. 11. Dr. Siemer 30. 11. Spillecke 2. 12. Spitzmüller 2. 12. Dr. Vogel 29. 11. Dr. Wahl ** 3. 12. Wienand 29, 11. Dr. Wörner 3. 12. Zerbe 2. 12. b) Urlaubsanträge Kriedemann 31. 12. * Für die Teilnahme an einer Ausschußsitzung des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an einer Ausschußsitzung des Europarats Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Schriftliche Ergänzung zu den mündlichen Ausführungen des Abgeordneten Dr. Walter Althammer Gesetzentwürfe und kostenwirksame Anträge aus der SPD-Fraktion in Mio DM IV /273 Gesetz über die Gewährung von Sparbeiträgen 360 IV /415 Gesetz über die Ausbildungsförderung 750 IV /468 Bundeskindergeldgesetz 220 IV /562 2. Gesetz zur Änderung und Verbesserung des Mutterschutzgesetzes . 590 IV /694 Flüchtlingsgesetz 900 IV /1850 3. Wohnungsbaugesetz 800 IV /1855 Europäisches Jugendwerk 50 IV /1947 3. Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Altershilfe für Landwirte 210 IV /2005 Änderung der Zuschußrichtlinien für Straßenbaumaßnahmen der Gemeinden 110 IV /2338 Kredit- und Bürgschaftsprogramm gegen Luftverschmutzung 15 IV /2575 Schiffbarmachung der Saar 48 IV /2608 Kindergeldgesetz - hier Wegfall der Einkommensgrenze - 780 IV /2626 Änderung des Gesetzes über Wohnbeihilfen 40 IV /2687 Änderung des Vermögensbildungsgesetzes 170 IV /2770 Änderung des Gesetzes über Weihnachtszuwendungen 90 IV /2782 Gesetz zur Änderung des Postverwaltungsgesetzes 820 IV /2822 Marktstrukturgesetz 600 IV /2751 Änderung des Bundesfernstraßengesetzes 40 IV /3605 Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz 500 dazu Einnahmeausfälle IV /64 Zuckersteuer 110 IV /65 Kaffeesteuer 1 000 IV /66 Teesteuer 32 IV /2047 EStG, erschwerte Haushaltsführung 273 IV /2687 Änderung des Vermögensbildungsgesetzes 170 IV /2782 Änderung des Postverwaltungsgesetzes 600 9 278 138 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 7. Sitzung. Bonn, Montag, den 29. November 1965 Abzusetzen Einnahmeerhöhungen entspresprechend den Anträgen IV /722, 1569, 1567 — 358 insgesamt 8 920 Bei den Anträgen IV /2687 und 2782 wurden Mehrkosten und Einnahmeausfälle getrennt aufgeführt. Mehrkosten nicht zu beziffern IV /358 Änderung des II. Vierjahresplanes zum Ausbau der Bundesfernstraßen (in 4 Jahren 3 Mrd. DM mehr) IV /406 Beseitigung sozialer Härten aus der Währungsreform IV /1347 Abzugsfähigkeit von Ausbildungskosten IV /1494 Förderung von Wissenschaft und Forschung IV /2332 16. Änderungsgesetz zum UStG
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rainer Barzel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Zum fünften Male beginnen wir hier unsere Arbeit, — wieder und immer noch in Bonn, nicht in Berlin, der deutschen Hauptstadt. So gilt unser erstes Wort dem deutschen Volk, das auf die Wiederherstellung seiner Einheit wartet. Für alle Deutsche handelnd, haben die Wähler in der Bundesrepublik Deutschland zum fünften Male uns die Führung in die Hand gegeben. Wir danken für dieses Vertrauen. Wir werden auch künftig alles tun, um den Pflichten zu entsprechen, die die Wähler uns übertragen haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Unser zweites Wort gilt dem ganzen Deutschen Bundestag. Uns allen hier, Koalition wie Opposition, wünschen wir den Geist möglichst weitgehender prinzipieller Übereinkunft und eine Praxis der Toleranz und loyaler Zusammenarbeit. Wir alle, Koalition wie Opposition, tragen Verantwortung für unser Volk.
    Wir haben eine Koalition mit der FDP gebildet. Meine Damen und Herren von der FDP: Wir wollen mit Ihnen zu einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit kommen, zu gemeinsamer Arbeit auf der Basis der Regierungserklärung und aus dem Geist des Vertrauens, der wechselseitigen Rücksicht und des Verstehens. Zu solcher Zusammenarbeit gehört die Bereitschaft zum Kompromiß wie auch die zum Klügerwerden nach gemeinsamer Beratung.

    (Vereinzelter Beifall bei der SPD.)

    — Ich danke herzlich für den Beifall von der linken Seite.
    Meine Damen und Herren von der Opposition: „Wir alle haben ein Mandat der Wähler. Wir zusammen vertreten das Volk." So formulierte Heinrich von Brentano vor vier Jahren in der gleichen Debatte an eben dieser Stelle. Das gilt weiter. Die Kooperation aller in den großen Lebensfragen bleibt eine Notwendigkeit.
    Wir wünschen der Opposition den Mut zu Alternativen. Wir erwarten, daß sie uns kritisiert. Wir
    Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 7 Sitzung. Bonn, Montag, den 29. November 1965 87
    Dr. Barzel
    erwarten zugleich, daß sie hier ihr Konzept für diese Periode dartut.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Wer regiert denn?!)

    Daß Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, gegen Erhard sind, wissen wir ohnehin. Uns interessiert mehr, wofür Sie sind. Nicht von uns, aus Ihren Reihen kam der kritische Zuruf — den wir nicht einmal überhören konnten, obwohl wir lautstark miteinander beschäftigt waren —, der Zuruf, die SPD-Politik richte sich zu sehr nach demoskopischen Erkenntnissen, wie auch der, einige in der SPD hielten das Godesberger Programm mehr für eine taktische Maxime.
    Hier ist der verantwortliche Ort des politischen, auch kontroversen Gesprächs.

    (Beifall in der Mitte. — Sehr richtig! bei der SPD.)

    — Ich freue mich, daß in diesen ersten Minuten des parlamentarischen Gesprächs Gemeinsamkeit in den parlamentarischen Grundauffassungen herrscht. — Permanenter Wahlkampf wäre ebenso abträglich wie die Verwechslung parlamentarischer Kontrolle mit der ständigen Anklage der Bundesregierung.
    Unser drittes Wort gilt der Bundesregierung. Wir freuen uns, Herr Bundeskanzler, daß Sie, so schnell wiederhergestellt, wieder ganz unter uns sind, und freuen uns über Ihre Teilnahme an der Debatte.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP.)

    Wir wünschen Ihnen und allen Mitgliedern der Regierung bei Ihrer Arbeit für Deutschland, für Europa und für den Frieden der Welt Glück, Segen und Erfolg.
    Unser Dank gilt den Kollegen, die in Ihrer letzten Regierung mitgearbeitet haben und nun ausgeschieden sind.
    Herr Bundeskanzler, wir werden Sie, Ihre Regierung und Ihre Politik nach Kräften unterstützen. Wir stimmen Ihrer Regierungserklärung zu. Wir bitten Sie, die Belebung des Parlaments sowie die — unabhängig von der Koalition notwendige — Kooperation aller in den großen Fragen zu erleichtern. Sie haben unsere volle Unterstützung, Herr Bundeskanzler, wenn Sie die Deutschlandfrage, die Finanzverfassungsreform und die Notstandsgesetzgebung — um nur diese drei Dinge zu nennen — von Anfang an so beraten und betreiben, daß die notwendigen breiten Mehrheiten auch durch die Methode der Beratung leichter erreichbar werden.
    Die Periode des Wiederaufbaus geht zu Ende. Diese Zeit hatte eigene Prioritäten. Solange es vorwiegend galt, Hunger und Wohnungsnot zu beseitigen, Arbeitsplätze zu schaffen, Vertriebene und Flüchtlinge einzugliedern, Anschluß an die freie Welt zu gewinnen, den kommunistischen Ansturm abzuwehren — ebensolange mußte manche Entscheidung getroffen werden ohne die volle Rücksicht auf Gebote normaler Zeiten.
    Im Ganzen ist der Wiederaufbau beendet. Nun müssen wir das Erreichte bewahren und weiterentwickeln. Vor uns steht, wie wir meinen, die Phase des sozialen Ausbaus, der kulturellen Gestaltung und der Stabilisierung bei stetigem Wachstum.
    Das sprunghafte wirtschaftliche Wachstum der Wiederaufbauphase wird sich wohl kaum wiederholen lassen. So werden wir alle miteinander mit spitzerem Bleistift rechnen, noch mehr Rücksicht aufeinander, auf das Ganze wie auf die Grenzen nehmen müssen, die das Mögliche setzt.
    Auch außenpolitisch wird es kaum leichter werden. Die großen Atommächte haben eigene Probleme gegen- wie miteinander. Die Welt beginnt, sich an Kommunismus, deutsche Spaltung, schwindende Solidarität der freien Welt zu gewöhnen, und mit dieser Ermüdung gegenüber der Wirklichkeit geht einher eine Erneuerung der Erinnerung an gestern. Wir gäben uns Illusionen hin, wenn wir dies nicht sähen.
    In fünf Punkten möchte ich unsere Auffassung dartun, wobei diese erste parlamentarische Stunde naturgemäß mehr dem Grundsätzlichen als dem Detail gewidmet ist; das kommt im Laufe der Debatte.
    Es gilt nach unserer Meinung, den Frieden zu erstreben, die Stabilität zu stärken, die Einheit der Deutschen zu erreichen, die Vereinigung Europas zu fördern und den sozialen Rechtsstaat auszubauen.
    Erstens: Es gilt, den Frieden zu erstreben. In unserer Hauptstadt trennt eine Mauer Deutsche von Deutschen. Quer durch unser Land gehen Todesstreifen und Stacheldraht. In einem Teil unseres Landes wird — 20 Jahre nach Kriegsende — Fremdherrschaft ausgeübt. Also haben wir keinen Frieden; also gilt es, Frieden zu erstreben.
    Der einzige Weg — und wir bekräftigen dies ganz vorn in der Debatte —, dauernden Frieden in Mitteleuropa zu gewährleisten, ist und bleibt die Einheit Deutschlands durch Selbstbestimmung.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Dies bleibt unser Ziel. Dieses Ziel wird nur erreicht werden, wenn die Freiheit der Bundesrepublik Deutschland gesichert ist.
    Die Sicherung unserer Freiheit bleibt — auch morgen — aus eigener Kraft nicht möglich. Nur zusammen mit Freunden, durch Bündnisse und ein hohes Maß an Gemeinsamkeit des Risikos, der Planung, der Ausrüstung, der Kommando-Strukturen wird es — auch morgen — gelingen, Sicherheit zu erhalten.
    Da 1969 die NATO zur Disposition steht, gebührt diesen Fragen besondere Aufmerksamkeit. Wir brauchen weiterhin unsere Bundeswehr, der unser Dank gilt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir sind bereit zu militärischer Arbeitsteilung im Bündnis. Wir sind nicht bereit zur Aufteilung des Risikos. Dies Bündnis ist so wirksam wie das wechselseitige Vertrauen, die Nicht-Diskriminierung aller Partner und die gemeinsame Abschreckung. Alle militärischen Fragen — auch die atomaren — sind für uns allein und ausschließlich Fragen der



    Dr. Barzel
    Sicherheit, nicht solche des Prestiges oder des Eigennutzes.
    Viele Probleme stellen sich zudem für das gespaltene Deutschland anders, als sie sich für ein in Freiheit wiedervereinigtes Deutschland stellen könnten. So kann die Bundesrepublik gegenüber der Sowjetunion, solange diese uns bedroht und unser Land spaltet, keine Verzichte erklären.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir haben — aus eigenem Entschluß — bedeutende militärische Beschränkungen auf uns genommen; und das gilt. Wir haben damit mehr getan als irgendein Land. Darüber hinaus werden wir nur gehen, wenn dies vereinbart und allgemein geschieht, wenn dies geschieht für eine Ordnung, die dem Frieden und der Menschlichkeit dient. Es liegt nicht an uns, daß die Hoffnung der Völker auf eine allgemeine kontrollierte Abrüstung ihrer Erfüllung so fern ist.
    Unsere Sicherheit erfordert — unbeschadet der besonderen Rechte der USA — die Teilhabe am nuklearen Entscheidungsprozeß und dessen Voraussetzungen. Wir bleiben bereit und interessiert, uns an einer relevanten atlantischen nuklearen Organisation zu beteiligen.
    Vieles wäre leichter, wenn die NATO-Staaten sich zu einer wirksamen Koordination ihrer Außenpolitik entschlössen. Das gilt insbesondere für den Bereich der Rüstungskontrollverhandlungen und für die Politik des Bündnisses in akuten Krisen. Die Regelung dieser Fragen sollte offen sein für Fortschritte der europäischen Einigung. Trotz aller Meinungsverschiedenheiten sollten wir auch hierüber mit unserem Nachbarn Frankreich sprechen.
    Wir Deutschen könnten zudem einen besonderen uns gemäßen Beitrag zur Stärkung der atlantischen Gemeinschaft leisten. Als ein gespaltenes Land, als ein Land ohne eigene Atomwaffen, als ein Land mit einer besonders qualifizierten Arbeiterschaft und mit einer für die Welt bedeutenden Wirtschaftskraft sollten wir unseren nationalen Ehrgeiz darin sehen, bedeutsam zu werden für die Menschheit durch Werke des Friedens! Indem wir durch konstruktive Taten helfen, den Frieden in aller Welt aufzubauen, wächst zugleich unserem Anspruch auf Frieden durch Menschenrechte in Deutschland moralisches Gewicht und damit mehr Durchsetzbarkeit zu.
    Das heißt praktisch: Militärisches Engagement außerhalb der NATO kann nicht unsere Sache sein; wir sind weder Groß- noch Atommacht. Dagegen darf keiner uns übertreffen im Engagement für die Menschenrechte und für Humanität.
    Auswärtige Kulturpolitik, Entwicklungshilfe und der freiwillige Dienst unserer jungen Menschen als Entwicklungshelfer bleiben besonders wichtig.
    Bisher sind mehr als 1000 freiwillige Entwicklungshelfer aus unserem Lande in aller Welt tätig geworden. Wir schulden, wie wir meinen, diesen jungen Menschen Dank und diesem Werk unseren Zuspruch.

    (Beifall bei der CDU/CSU.) Die humanitäre wie die politische Wirkung solcher Taten geht über die Zahl weit hinaus. Auch hier hat unsere Jugend ein Feld der Bewährung — der Bewährung vor sich und für dieses neue Deutschland.

    Nicht genug damit! Wir, die Deutschen, müssen drängen, aus der NATO mehr zu machen als einen militärischen Verband. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit in der atlantischen Gemeinschaft kann noch intensiver werden.
    Wir können aber noch mehr tun: Die einigende Klammer der gemeinsamen Angst ist durch Gewöhnung und Abschreckung gewichen. Wir brauchen eine neue Klammer, und wir meinen, es könnte sein die des konstruktiven, friedlichen, fortschrittlichen, gemeinsamen Tuns.
    Die Völker der atlantischen Gemeinschaft stehen doch alle vor ähnlichen gesellschaftspolitischen Problemen: vor Fragen der Bildung, der Ballung, des Verkehrs, des Städtebaus, der optimalen Sozial- und Wirtschaftsstruktur, vor Fragen des ökonomischen Wachstums, des verschmutzten Wassers, der unreinen Luft, des Lärms. Kurzum, wir alle stehen nicht nur gemeinsam vor der Frage, wie wir unsere Freiheit auch morgen miteinander sichern können; wir alle stehen zugleich vor der Chance, durch Gemeinsamkeit der Forschung, durch Austausch von Erfahrungen, durch Austausch auch von Menschen und Ideen enger zueinander und damit zugleich in unseren Ländern zu einem Mehr an Menschlichkeit und Rücksicht kommen zu können.
    Über die grundsätzliche Seite solcher Pläne haben Gespräche schon stattgefunden. Der Präsident der USA hat in einer Rede im September, die vielleicht der eine oder andere bei uns des Wahlkampfs wegen überhört hat, auch öffentlich erklärt, wie sehr er und sein Land bereit seien, durch praktisches Zusammenwirken die atlantische Gemeinschaft immer mehr zu einer Großen Gesellschaft zusammenwachsen zu lassen.
    Wir meinen, die Bundesregierung sollte diesen Faden aufnehmen und praktische Vorschläge entwickeln. Dies, meine Damen und Herren, täte der atlantischen Gemeinschaft gut, dies stünde uns Deutschen wohl an, und dies würde von Pankow bis Moskau auch verstanden und einiges Interesse wecken. Wir meinen, daß wir hier einen Beitrag leisten könnten für den Frieden ebenso wie für die Auflockerung von Fronten.
    Denn, meine Damen und Herren, wir werden Fortschritte an Humanität und Freiheit in ganz Deutschland und in ganz Europa nur erringen, wenn im Westen die Risse sichtbar verschwinden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Da ebendies zuerst unser Interesse ist, tun gerade uns Einfallsreichtum und Bereitschaft zu Gemeinsamkeit not!
    Mit unserem Nachbarn Frankreich verbindet uns vieles, vor allem die Unteilbarkeit unseres Schicksals. So ist uns weder Resignation noch enttäuschte Liebe erlaubt. Wir müssen weiter ringen um Gemeinsamkeit mit unserem Nachbarn. Frank-



    Dr. Barzel
    reich wird immer, auch in einer europäischen Friedensordnung, unser Nachbar bleiben. Aber eben dies gilt auch umgekehrt. Wir, Deutsche und Franzosen, brauchen uns gegenseitig. Dies so zu sehen ist einfach vernünftig.
    Gerade weil in vielem Dissonanzen entstanden sind — Meinungsverschiedenheiten, die sich weder verfestigen noch tiefer und breiter werden dürfen —, müssen wir noch intensiver miteinander sprechen. Ich weigere mich, denen zuzustimmen, die glauben sagen zu müssen, der deutsch-französische Vertrag sei tot. Auch Frankreich sollte ein Zeichen erneuter Bereitschaft geben. Auch Frankreich braucht Europa. Auch Frankreich kann weder ohne den atlantischen Rückhalt noch ohne ein sich einigendes Europa seine Existenz verteidigen und seine künftigen Ziele erreichen. Auch Frankreich braucht den deutschen Nachbarn.
    Wir wollen Freundschaft ebenso und zugleich mit allen Nachbarn, mit den USA und mit Großbritannien. Wir stehen gemeinsam in und für Berlin, und wir sind dankbar für diese Gemeinsamkeit und froh, mehr als einen Freund zu haben. Wir wollen die Aussöhnung auch mit dem jüdischen Volk.
    Die USA und uns verbindet so viel, daß es überflüssig ist, darüber weitere Worte zu machen. Wir sind Freunde. Die Rücksicht aufeinander wird diese Freundschaft ebenso festigen wie die Selbstverständlichkeit des Vertrauens und die Offenheit der Diskussion zweier mündiger, einander wichtiger Partner.
    Wir haben auch nie vergessen, daß Großbritannien mit uns in Berlin steht. Die Beziehungen haben sich wesentlich verbessert. Sie werden weiter verdichtet. Wir werden jeden Gedanken freundlich aufnehmen, der Großbritannien auch politisch-organisatorisch näher an das sich zusammenschließende Europa heranzubringen imstande ist. Die Verstärkung des Jugendaustausches war ein lebendiger Gedanke in der Zeit des Besuches der britischen Königin. Wir sind interessiert zu hören, wie es sich damit praktisch verhält.
    Unsere Politik des Friedens macht nicht halt vor der Sowjetunion — trotz der unbestreitbaren Fortdauer der sowjetischen Aggressivität gegen Deutschland. Wir wissen, daß Moskau ein Platz Europas ist, wir wissen, daß wir mit dem russischen Volk noch einiges zu begleichen haben. Natürlich haben wir nicht vergessen, was der Kommunismus ist und was er bedeutet, daß wir es nicht mit Rußland, sondern mit der Sowjetunion zu tun haben. Gleichwohl, die Moskauer sollten sich einmal vorbehaltlos fragen — und unsere Diplomaten sollten sie dabei unterstützen und sie dazu ermuntern —, ob ihre bisherige Deutschland-Politik wirklich ihren Interessen dient. Was wiegt mehr: Fortdauer der Fremdherrschaft in der SBZ oder friedliche Ordnung Mitteleuropas durch Selbstbestimmung für Deutschland? Dies ist die Frage.
    Die ideologischen Vulgär-Marxisten in Moskau werden sagen, die siegreiche Rote Armee habe die Weltrevolution bis an die Elbe gebracht, und das sei irreversibel. Aber sicher gibt es auch in Moskau einige, die ihren Marxismus besser kennen und bei Lenin auch über prinzipielle Taktik mehr gelesen haben. Die Lage in der SBZ ist doch so, daß es den Sowjets in diesen zwanzig Jahren weder gelang, die Arbeiter noch die Bauern auf ihre Seite zu ziehen. Die Lage in ganz Deutschland ist so, daß die Fortdauer der Besetzung durch die Rote Armee immer erneut die Fortdauer eines strengen Antikommunismus in ganz Deutschland begründet. Und das wirkt über Deutschland hinaus.
    Was also wiegt mehr, so ist zu fragen: die zu kostspielige Fremdherrschaft über einen Teil Deutschlands durch 400 000 sowjetrussische Soldaten oder Frieden und Sicherheit in Mitteleuropa durch Selbstbestimmung Deutschlands? Uns scheint, die Moskauer Deutschland-Politik basiert auf einem Irrtum. Auch Moskau hat Anlaß zu neuem Nachdenken.
    Wir sind bereit, über Deutschland als Ganzes zu sprechen, allen Nachbarn Sicherheit zu geben, den östlichen Völkern ökonomisch zu helfen und über vieles mit uns reden zu lassen. Die jüngere Generation, die allmählich in allen Bereichen Sowjetrußlands und in den anderen Ländern Mittel- und Osteuropas in die Verantwortung hineinwächst, muß wissen, daß nichts im Wege steht, wenn sie das Gespräch mit den Deutschen über Deutschland sucht. Wir wollen Selbstbestimmung, meine Damen und Herren, weil wir den Frieden wollen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Zum zweiten: Es gilt, die Stabilität zu stärken. Die deutschen Wähler haben durch ihre Wahlentscheidung zur Stärkung der politischen Stabilität wesentlich beigetragen, indem sie allen extremen Gruppen wie allen Splittergruppen eine eindeutige Absage erteilten. So können wir uns heute gleich der wirtschaftlichen Stabilität zuwenden.
    Meine Damen und Herren, ich nehme an, niemand in diesem Hause wird bestreiten, daß die Politik bisher wie das, was wir für morgen vorhaben, zwingend voraussetzt, daß unsere Wirtschaftskraft wächst. Unsere sozialen Leistungen, unsere kulturellen Vorhaben, unsere an der Selbstbestimmung Deutschlands orientiert, Außen- und VerteidigungsPolitik, unser Mühen um Erleichterungen in der Zone, — dies und vieles mehr erfordert eine dynamische Wirtschaft, verlangt überschüssige wirtschaftliche Kraft. Dieses Wachstum wollen wir bei Stabilität. Unser gutes deutsches Geld muß bleiben, was es ist: eine der stabilsten Währungen der Welt.
    Die Regierungserklärung hat unsere seit dem Sommer gewandelte wirtschaftliche Situation geschildert. Wir stimmen den Maßnahmen zu, die der Herr Bundeskanzler gefordert hat. Was wir brauchen — überall brauchen —, ist Besinnung auf das jetzt Mögliche.
    Die Haushaltspolitik der Bundesregierung stützt sich auf die Analyse der in diesem Jahr rasch gewandelten, veränderten ökonomischen Lage. Zugleich bemüht sie sich — und wir unterstützen und begrüßen dies —, den Einfluß zu nutzen, welchen der Bundeshaushalt auf das wirtschaftliche Gesamt-



    Dr. Barzel
    geschehen nehmen kann. Diese Haushaltspolitik kann nur ein Beginn, kann nur Teil einer Politik sein, welche der konstruktiven Stärkung unserer Wirtschaftskraft dient. Hierzu sollte die Bundesregierung ihre Gesamtpolitik sichtbar machen. Hierzu erwarten wir mit einiger Spannung auch die Vorschläge der Opposition.
    Die Lage der Bahn, der Post und der Kohle, die internationale Wettbewerbsfähigkeit und das Anwachsen des Anteiles der Dienstleistungen insgesamt an unserer Volkswirtschaft erfordern zwingend eine längerfristige Haushaltspolitik, Zurückhaltung der öffentlichen Hand, Durchforstung aller Subventionen und mehr Reverenz vor Kosten und Zusammenhängen. Bei aller Differenzierung in den Steuerzahler, den Verbraucher, den Sparer, den Sozialversicherten und so fort bleibt doch festzuhalten, daß am Schluß derselbe Mensch und dasselbe Volk stehen wie auch die Notwendigkeit, eben doch irgendwann und irgendwie den Kosten entsprechend zu zahlen.
    Herr Bundeskanzler, das deutsche Volk ist jeder vernünftigen Einsicht aufgeschlossen; sein Gemeinsinn ist ungebrochen. Und ich meine, Sie werden viel gutwillige Bereitschaft überall im Lande finden, wenn Sie — zu klaren Zielen — die Einsicht wecken und die Pflichten beleben. Unsere Fraktion ist bereit, mit Ihnen auch Durststrecken — scheinbare Durststrecken — zu einem noch besseren Morgen zu durchwandern.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir wissen, daß morgen nur dann noch Besseres möglich sein wird, wenn wir uns heute auf das Mögliche bescheiden, wenn wir alle — Bund, Länder, Gemeinden, Tarifpartner — uns objektiv orientieren, wenn wir ganz klar machen, daß nirgendwo die Bäume unbegrenzt in den Himmel wachsen, auch nicht bei uns.
    Unser Volk ist nicht von Natur aus reich. Was wir erreicht haben, ist durch gute Arbeit geschaffen, und deshalb unterstützen wir Ihren Appell, Herr Bundeskanzler, in einem Gespräch aller Verantwortlichen zu prüfen, ob nicht durch vermehrte Arbeit eine stärker wachsende Wohlfahrt aller möglich werden kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir müssen pfleglich umgehen mit der Quelle unseres Fortschritts, der menschlichen Arbeit. Zugleich müssen wir sorgsam behandeln das Wenige, was uns von Natur gegeben ist: die heimische Landwirtschaft, die Kohle und die Küsten. Es wäre töricht, etwas anderes zu tun, als die Ertragskraft wie die Wettbewerbsfähigkeit insbesondere der bäuerlichen Familienbetriebe zu stärken. Es wäre ebenso töricht, etwas anders zu tun, als der Kohle einen vernünftigen Anteil unseres Energieverbrauchs zu sichern, als Küsten und Schiffahrt zu fördern. Niemand soll uns mißverstehen. Wir haben nicht zu tun mit Sorgen aus Armut, sondern mit Sorgen um gesunden Fortschritt, mit Begleiterscheinungen der Wohlstandsgesellschaft und mit Strukturfragen, die aus der modernen Technik wie aus
    dem europäischen Zusammenschluß und der atlantischen Zusammenarbeit erwachsen und noch erwachsen werden. Vor allem aber, meine Damen und Herren — und dies geht das ganze Haus an —: Alle diese Sorgen sind überwindbar durch uns selbst.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich spreche offen aus: Es gehört mehr moralische und politische Führungskraft dazu, einzuhalten, erkannte Fehler nicht zu vollenden und den Kurs zu verbessern

    (Abg. Erler: Mehr!)

    — sehen Sie, Herr Kollege Erler, Sie haben den Text meiner Rede vorliegen; deshalb bin ich in einer gewissen Schwierigkeit, wenn Sie einen Zwischenruf machen; ich kenne den Text ganz, Sie kennen nur den einen Halbsatz —, als — aus falschem Prestige — das weniger Gute wider bessere Erkenntnis fortzusetzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, auch Sie sind hier angesprochen; denn sicher werden auch Ihre verschiedenen Finanzierungspläne und Erklärungen vor den Wahlen in dieser Debatte eine Rolle spielen.
    Ich will hier eine Frage herausgreifen: Bei Bahn und Post wird deutlich, was Dienstleistung für alle bedeutet, was sie kostet und wie Bereiche dastehen, für die die Formel Lohnzuwachs im Rahmen der Produktivitätsfortschritte erhält Stabilität fragwürdig ist. Hier wächst ein Strukturproblem heran, das über Bahn und Post hinaus bedeutsam ist.
    Meine Damen und Herren, hier stellt sich auch die Frage nach dem öffentlichen Dienst insgesamt. Wir verschließen uns nicht der Mahnung der Beamtenschaft, daß sie nicht hat Schritt halten können. Man hört es zwar nicht überall gern, wenn davon gesprochen wird. Aber hier geht es doch nicht nur um die Verpflichtung des Staates gegenüber den Beamten, sondern auch um die Sicherstellung einer hochqualifizierten Staatsverwaltung, wie sie das allgemeine Wohl zwingend erfordert.
    Meine Damen und Herren, wir wollen der Bundesbahn helfen, und wir hörten, Herr Kollege Schiller, daß Sie uns da unterstützen wollen. Wir freuen uns auf Ihre Unterstützung. Diese Bundesbahn verdient das, denn unsere Eisenbahner leisten gute Arbeit und sind nicht etwa die Produzenten des Defizits.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die nötigen Umstellungen sind möglich ohne soziale Härten.
    Neben der Gesundung der Bundesbahn werden wir gleichrangig die Probleme des innerstädtischen Verkehrs behandeln.
    Auch wir selbst — unsere parlamentarische Arbeitsweise — können zur besseren Lösung der anstehenden ökonomischen Probleme beitragen. Wir sind deshalb bereit — und freuen uns insoweit, in der Koalition eine Übereinstimmung zu haben, und vielleicht wird die Opposition sich hier anschließen —, erstens ausgabewirksame Beschlüsse prinzipiell nur einmal im Jahre und zusammen mit dem



    Dr. Barzel
    Haushalt zu fassen; zweitens den Haushaltsausschuß einzuschalten v o r Beendigung der Sachberatungen in den Fachausschüssen und drittens einen Finanzplan für die Kriegsfolgeleistungen in dieser Periode aufzustellen und einzuhalten.
    Meine Damen und Herren, diese ökonomische Besinnung scheint uns auch nötig, weil wir im Ringen um Deutschland — das ich an den Anfang dieser Rede gestellt habe — dieses zu verzeichnen haben: Die Kommunisten haben die SBZ als einen Faktor in die Weltpolitik eingeführt; das wurde z. B. in Kairo sichtbar. Unsere Landsleute in der SBZ sind nicht unbegabter als wir, und sie haben — trotz Kommunismus — einiges geleistet. Die Machthaber drüben enthalten aber unseren Landsleuten den verdienten Lohn wie den erarbeiteten Lebensstandard vor. Und alle diese durch erzwungenen Konsumverzicht verstärkte Kraft setzen die Kommunisten weltweit ein zum Kampf gegen uns, gegen die Wiedervereinigung, für die Anerkennung der Spaltung.
    Meine Damen und Herren, so stellt sich die Frage nach dem Grad unseres Gemeinsinns und unserer Opferbereitschaft auch im Interesse Deutschlands. Diese Frage wird sich doch nicht erst stellen, wenn der Tag der Einheit anbricht; sondern: um zu diesem Tag zu kommen, müssen wir heute eine Runde machen, die unsere Wirtschaftskraft stärkt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, wir brauchen ausreichende Mittel, um den weltweiten Kampf um unsere Selbstbestimmung zu gewinnen. Wir sollten darüber mit allen, die es angeht, ganz offen sprechen. Ich scheue mich nicht zu sagen: das freie Deutschland braucht Geld für Politik, sonst wird es nie zur Einheit des Landes kommen. Wenn unsere Wirtschaftskraft nachließe, würde zum Traum, was Möglichkeit bleibt, wenn wir alle den Blick auf das Maß und das Mögliche richten.
    Wegen dieser veränderten ökonomischen Daten unterstützen wir diese Haushaltspolitik; denn ohne diese veränderten Daten — z. B. der Außenhandels- und der Zahlungsbilanz — wäre auch eine andere Haushaltspolitik möglich gewesen. Wir erwarten auch hierzu eine Antwort der Opposition.

    (Lachen bei der SPD.)

    — Sie freuen sich auf Ihre Antwort. Wir sind gespannt. Wir kennen sie noch nicht. Hoffentlich haben wir hinterher gemeinsam etwas zu lachen, wenn Sie sie vorgetragen haben. —
    Es gilt zum dritten: Die Einheit der Deutschen zu erreichen. Zunächst einige Worte zur Lage in Deutschland. In der Bundesrepublik Deutschland ist der Wille zur Einheit lebendig und stark. Die Bereitschaft, hierfür Opfer zu bringen, wächst.
    Die Abneigung der mitteldeutschen Bevölkerung gegenüber den Zonenmachthabern ist nicht gesunken, sie ist gestiegen. Die Fluchtzahlen haben sich trotz verschärfter Sperrmaßnahmen gegenüber 1964 erhöht. 1964 flüchteten z. B. uniformierte Grenzwächter in Stärke von mehr als zwei Kompanien in die Bundesrepublik. Diese Zahl ist in den ersten neun Monaten dieses Jahres bereits übertroffen worden. Die Zahl der Zwischenfälle an der Mauer hat sich in diesem Jahr erhöht. Die Spalterpolitik des Zonenregimes hat sich verschärft. Die Sperrmaßnahmen durch Stacheldraht und Minenfelder wurden in den letzten Monaten durch die Errichtung von 500 Betonbunkern an der Demarkationslinie weiter verstärkt. Derartige Bunker gab es bisher nicht. Wir verzeichnen weiter: Schikanen im Berlin-Verkehr, Aufkündigung gesamtdeutscher Eisenbahntarife, Abschaffung der Schiffspermits im Berlin-Verkehr, Bruch der Vereinbarung über den Wiederaufbau der Autobahnbrücke bei Hof und so fort.
    Der Zusammenhalt unseres Volkes ist nicht geschwächt. So ist — um nur noch dieses hier zu nennen — die Zahl der im ersten Halbjahr 1965 in die Zone geschickten Päckchen und Pakete erheblich über die entsprechende Zahl des ersten Halbjahres 1964 gestiegen.
    Die Isolierung der SBZ nimmt zu mit dem sichtbar wachsenden Willen der osteuropäischen Völker, sich innerhalb der gegebenen Möglichkeiten im eigenen nationalen Interesse „freizuschwimmen". In dieser Lage sucht die SBZ ihr Heil in einer noch festeren Verklammerung der mitteldeutschen Wirtschaft mit der Sowjetunion — und dies, obwohl der Handel der SBZ mit der Sowjetunion für das Zonenregime keineswegs ein vorteilhaftes Geschäft ist. Alles dies kann auf die Dauer nicht gut gehen. Nichts ist so provisorisch wie diese SBZ.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    In dem Gebiet entlang der Zonengrenze sind durch die Spaltung unseres Landes besondere Probleme entstanden. Seit einiger Zeit wird diesen Problemen, für die der Bund nur zum Teil zuständig ist, vermehrte Aufmerksamkeit zugewendet. Wir werden mit dafür sorgen, daß das so bleibt.
    Unsere Wiedervereingungspolitik muß weiter die rechtlichen, moralischen und historischen Positionen verteidigen und halten, aber sie muß zugleich bemüht sein, in den Realitäten die Dinge aufzulockern und durch Einwirken zu unseren Gunsten zu verändern. Ohne Geschaftlhuberei und ohne Preisgabe von Positionen sollten wir uns bemühen, ein Mehr an Menschlichkeit in der Zone zu erreichen, menschliche Begegnungen zu ermöglichen und so fort. Dies wird um so leichter gelingen, je weniger wir alles an die große Glocke hängen.
    Zugleich sollten wir uns noch stärker um die Länder Mittel- und Osteuropas kümmern. Die Sowjetunion braucht schon jetzt die Verleumdung des freien Deutschland, um die Staaten Mittel- und Osteuropas von der übrigen europäischen Entwicklung fernzuhalten. Auch das sollte uns im eigenen Interesse veranlassen, ohne Beeinträchtigung unserer prinzipiellen Position in diesen Ländern präsent zu sein; es sollte uns veranlassen, diesen Völkern ein Bild des wirklichen Deutschland zu geben und ihnen unsere Friedfertigkeit wie unsere Humanität nahezubringen. Es sollte uns auch veranlassen — nicht laut —, nach Formen europäischer Zusammenarbeit zu suchen, die auch den Neutralen und den Unfreien zumindest Möglichkeiten der Anlehnung eröffnen.



    Dr. Barzel
    Hierher gehört ein Wort über den Osthandel. Er kann sehr nützlich sein. Aber wir sollten darauf achten, daß er nicht zu sehr an der Politik vorbei sich abspielt und eben deshalb bei steigendem Handel sinkende politische Beziehungen zu verzeichnen sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Unsere Freunde, insbesondere jene, die mit uns in und für Berlin stehen, sollten bereit sein zu einem prinzipiellen Gespräch mit uns wenigstens in Sachen Handel mit der SBZ. In dem Ausmaß, in dem die SBZ von westdeutschen Lieferungen unabhängig wird, schrumpfen die deutschen ökonomischen Möglichkeiten auch im Kampf um Berlin, und in eben diesem Ausmaß muß dann — früher und häufiger, als uns lieb ist — bei Krisen nach Konvois, nach Panzern, nach Flugzeugen gerufen werden. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung, der Herr Außenminister vor der Tagung der WEU hierzu klar und gut Stellung genommen. Eine falsche westliche Handels- und Kreditpolitik hilft der SBZ. Das Interesse der. freien Welt insgesamt verlangt, daß die SBZ nicht weltweit ein falsches Spiel mit dem deutschen Namen im Interesse der Kommunisten machen kann!

    (Beifall in der Mitte.)

    Die Idee, der deutschen Einheit wegen einen Friedensvertragsentwurf auszuarbeiten, ist von ihren Autoren fallengelassen worden. Es geht nämlich zunächst darum — entsprechend dem Art. 7 des Deutschlandvertrages —, den für diese Dinge zuständigen deutschen Sprecher zu legitimieren. Unter Führung der Bundesregierung sollten wir deshalb vertraulich unter uns wie mit den Alliierten sprechen über ein stetiges, gemeinsames Initiativ-Sein unserer Gesamtpolitik wie auch über eine besondere gemeinsame Initiative in der deutschen Frage. Indem wir dies tun, können wir zugleich die Gemeinsamkeit im Westen fördern. Das Dokument der Bundesregierung vom Februar 1962, die Vorschläge vom September 1963 und die Bereitschaft zu wirtschaftlichen Leistungen wie zu Sicherheitsgarantien, dies alles gibt Rahmen und Richtung für eine solche Initiative. Weil wir Vertrauen zu unseren Freunden haben, brauchen wir keine verbalen Pflichtübungen. Wir brauchen ein stetiges Bemühen, und wir brauchen dies: eine Initiative, die nach der Gemeinsamkeit der Beteiligten, nach ihrem Inhalt und nach der Wahl des Zeitpunktes das Mögliche versucht; eine Initiative, die Moskau, Peking und die Welt wenigstens zum Hinhören veranlaßt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Dieses Vorhaben wird uns bestimmt kaum den Ruf eintragen, besonders bequeme Partner zu sein. Das können wir auch nicht, solange wir geteilt sind. Niemand kann erwarten, daß wir uns durch Gewöhnung mit der Spaltung abfänden.
    Das alles heißt aber nun nicht, daß wir die verschiedenen Fäden, die zwischen Westen und Osten, zwischen Osten und Westen gesponnen werden, ständig mit unfruchtbarem Mißtrauen zu beobachten hätten. Damit kämen auch wir nicht weiter. Es liefe letzten Endes doch darauf hinaus, daß wir selbst die deutsche Position abwerteten und in Frage stellten. Besonders hier benötigen wir das politische Selbstbewußtsein, von dem der Herr Bundeskanzler gesprochen hat. Auch sollten wir nicht anderen verübeln, was wir selbst gerne täten.
    Indem wir uns weiter so verhalten, setzen wir ein weltpolitisch dringend nötiges dynamisches Element wider den Status quo; erinnern wir zugleich daran, daß Europa gespalten ist; machen wir deutlich, daß wir aus unserer Geschichte gelernt haben und uns nicht einfach mit Gewalt und Unrecht arrangieren. Wer seine Hoffnung darauf setzt, daß die Freiheit dem Kommunismus überlegen bleiben wird — ja wer auch nur hofft, daß hier ein Modus vivendi zu erreichen ist, der muß uns zustimmen, wenn wir sagen: Zuerst in unserer Hauptstadt Berlin wird ebendies möglich und sichtbar werden können.
    In diesen Zusammenhang gehört die entstandene Diskussion über die sogenannte Oder-Neiße-Linie. Wir wollen uns mit Freimut und in aller Ruhe dazu äußern. Wir wissen, daß wir die Erben des zweiten Weltkrieges sind. Wir wollen dessen Wunden für eine bessere Zukunft heilen. Wir wollen Frieden mit allen Völkern, gute Nachbarschaft mit allen Nachbarn, — auch mit denen im Osten. Unter guten Nachbarn darf nichts dem Grunde nach strittig sein. Weil wir dies wissen, impliziert unser Angebot die Bereitschaft zum Ausgleich.
    Eben dies muß aber auch beim anderen vorhanden sein. Unser Freund kann nicht sein, wer ja sagt zur Mauer in Berlin.

    (Beifall in der Mitte.)

    Unser Freund kann nicht sein, wer gegen die Selbstbestimmung aller Deutschen und für die Fremdherrschaft der Sowjetunion in einem Teil Deutschlands ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wer sich näherkommen will, muß den anderen verstehen: Wir kennen das Leid, das über Polen im Kriege kam, wie das, welches die Sowjetunion durch Vertreibung und neue östliche Grenzen unserem Nachbarn Polen zufügte. Andere müssen zeigen, daß sie das Leid und die Not unserer vertriebenen und geflüchteten deutschen Landsleute kennen.

    (Beifall in der Mitte.)

    Wer seine Heimat liebt, wird den anderen verstehen. Ohne diese Gesinnung wächst keine Nachbarschaft. Auch hier gilt: unsere Welt ist zu klein, unsere Welt ist zu gefährdet, als daß sie sich Inseln des Hasses leisten könnte!
    Wir sind weder Utopisten noch Fanatiker. Wir haben nicht vergessen, was alles nötig war, um geduldig zur Aussöhnung mit der freien Welt zu kommen. Ohne bescheidenen Beginn kommt man nie zum Ziel. Deshalb suchen wir Wege, Ansätze, besseres Klima. Aber einiges an wechselseitiger Bereitschaft muß eben doch schon am Anfang stehen, wenn es ein Weg zum richtigen Ziel sein soll. Polen kann nicht zugleich die SBZ als „DDR" anerkennen, mit dieser — wissend, daß die SBZ nicht für Deutschland sprechen kann — über Grenz-



    Dr. Barzel
    fragen Abmachungen treffen und von uns ähnliche Erklärungen verlangen.
    ,(Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wer, meine Damen und Herren, Grenzprobleme in Ordnung bringen will, muß zunächst einmal mithelfen, in Europa eine Ordnung zu schaffen, welche die Lösung auch von Grenzproblemen dauerhaft zu tragen vermag. Auf Spaltung und Unordnung kann man keine Ordnung von Grenzen aufrichten. Jeder, der uns mahnt, zu Grenzfragen Erklärungen abzugeben, anerkennt dem Grunde nach ein Stück unseres Alleinvertretungsrechts, unserer Befugnis, für alle Deutschen zu sprechen.
    Dies vorausgesetzt, stellen wir nachdrücklich fest — wie die Bundesregierung —: Nicht nur nach dem Willen der Deutschen, sondern auch nach internationalem Recht besteht Deutschland juristisch in den Grenzen von 1937 fort. Nur ein Friedensvertrag kann neues Recht schaffen. Der Weg zum Friedensvertrag ist in Art. 7 des Deutschlandvertrages verbindlich festgelegt: Erst eine aus gesamtdeutschen freien Wahlen hervorgegangene Nationalversammlung wird hierfür handlungsberechtigt sein.
    Aber dies ist nicht nur ein juristisches Problem, und darum sage ich noch dies: Glaubt jemand, wir würden durch Verletzung dieser Vorschriften ein Stück weiterkommen? Glaubt jemand, wir würden den runden Tisch von Friedensverhandlungen je durch Verzichte erreichen, welche das Interesse anderer am Zustandekommen dieses runden Tisches beseitigten? Glaubt jemand, wir würden unsere demokratische, rechtsstaatliche und humanitäre Gesinnung, diese Gesinnung des neuen Deutschland, beweisen, indem wir uns mit dem Unrecht abfänden oder arrangierten, wir würden unsere Pflicht zu historischer Wiedergutmachung an Mittel- und Osteuropa erfüllen, indem wir — statt die dynamischen Kräfte wider den Status quo zu stärken — durch eigenes Tun den Status quo verfestigten? Glaubt sich gar jemand berechtigt, unsere Wohlfahrt hier zu erkaufen, indem wir aus fremder Tasche zahlten? Eben dies täten wir, wenn wir hier uns durch Preisgabe von Rechten unserer Landsleute abfänden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir sind die Sachwalter der Menschenrechte aller Deutschen und bekennen uns erneut zu den vom Bundestag festgelegten Obhutspflichten. Unsere Freunde haben sich mit uns im Art. 7 des Deutschlandvertrages gebunden. Da wir aber auch die Dokumente von 1945 kennen, könnte es sein, daß sich unsere Freunde auf einer Friedenskonferenz in dieser Frage nicht ganz unseren Standpunkt zu eigen machen. Gleichwohl bleibt es hilfreich, wenn sie nicht v o r dem Friedensvertrag Festlegungen treffen, wenn wir miteinander an diesem Art. 7 und seinem Geist festhalten, und wir danken all denen, die sich so hilfreich verhielten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, wir sind weder Revisionisten noch Revanchisten. Wir haben feierlich auf Gewalt verzichtet. Dies gilt ebenso wie unser Wille nach Frieden durch Menschenrechte.
    Zum Vierten gilt es, die Vereinigung Europas zu fördern. Wenn wir von Europa sprechen — und es ist wichtig, das zum Eingang dieser vierjährigen Zusammenarbeit erneut zu betonen —, dann meinen wir dieses Europa nicht als eine „dritte Kraft", sondern als einen Partner unserer atlantischen Freunde wie auch aller Staaten, denen Freiheit etwas bedeutet. Wir Europäer enthalten uns den Rang, der uns in der Welt zukommt, allein selbst vor durch mangelnde Vereinigung.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Auch aus diesen Gründen, meine Damen und Herren, werden wir weiterhin unseren Beitrag zur guten Entwicklung der europäischen Gemeinschaft leisten. Wir wollen dieses Europa auf dem begonnenen Wege vereinigen. Unsere Kraft sollte sich mehr dem zielstrebigen Fortschritt zuwenden und sich dort engagieren als in der Diskussion immer neuer Methoden und immer neuer Projekte. Es kann im ganzen Europa durchaus verschiedene Grade der Integration, sich nicht deckende Kreise von Kooperation und auch unterschiedliche Formen des Miteinander geben wie auch abgestufte Zahlen von Mitgliedschaften einzelner Staaten in europäischen Gremien. Kurzum, wir müssen mehr darauf achten, daß wir weitere Fakten der Gemeinsamkeit, möglichst nicht mehr auflösbare Fakten der Gemeinsamkeit schaffen, als darauf, daß für alle alle Überschriften systemgerecht stimmen.
    Bedauerlicherweise ist die EWG in einer Krise. Wir möchten niemand darüber im unklaren lassen, daß wir enttäuscht sind; denn wir haben unseren Bauern wie unseren Steuerzahlern durch die Politik in der Getreidepreisfrage einiges zugemutet. Wir taten das für Europa. Aber auch wir haben Interessen und Wünsche. Wir ermuntern die Bundesregierung, auf gerechtem Ausgleich der Lasten wie der Vorteile des Gemeinsamen Marktes zu bestehen. Nur durch Geben und Nehmen, nur durch Miteinanderreden, nicht durch Befehlen und Gehorchen, wird Europa weiterkommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Der EWG-Vertrag selbst enthält alle Möglichkeiten, die EWG-Krise zu überwinden. Wir wissen, warum es für alle gut ist, Verträge getreulich zu erfüllen, und werden das unsere tun. Der Vorschlag der Gemeinschaft an Frankreich vom Oktober zeigt einen Weg, auf dem weitergekommen werden könnte.
    Es bleibt unser Wunsch wie unsere Bereitschaft zu einem großen europäischen Gespräch der Sechs. Es könnte in geziemenden Abstand von der Präsidentenwahl in Frankreich stattfinden, die Regierungschefs zusammenführen, die europäische Lage erörtern, keine Frage ausklammern und nach gemeinsamen Wegen für die Zukunft suchen. Ganz sicher, meine Damen und meine Herren, besteht ein Zusammenhang zwischen der Überwindung der EWG-Krise, dem Fortschritt Europas und den Aussichten auf eine gute NATO-Reform. Wer die Lage Europas in der Welt und vor dem Hintergrund der kommunistischen Realitäten sieht, der wird uns zustimmen, wenn wir sagen: Es ist immer höchste



    Dr. Barzel
    Zeit, Europa weiter . zu vereinigen. Unser europäischer Wille bleibt ungebrochen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Zum Fünften, meine Damen und Herren, gilt es, den Sozialen Rechtsstaat auszubauen. Wir können uns nicht einfach damit zufrieden geben, daß wir in den sozialen Leistungen an der Spitze der Welt stehen. Gewiß, wir können auf das Erreichte stolz sein, auch darauf, daß es hier Proletarität nicht mehr gibt, daß mit dem Erfolg der sozialen Marktwirtschaft die Demokratisierung unserer Gesellschaft einherging. Gleichwohl gibt es auch bei uns soziale Fragen, zum Teil neue und andere als früher, aber es gibt sie. Es ist einfach nicht wahr, wenn man sagt, daß bei uns die soziale Frage zu einer Art „Parkplatzfrage" zusammengeschrumpft sei.
    Die Lage der sozialen Berufe, der sozialen und karitativen Einrichtungen, der Hausfrauen, der Jugend, mancher Alleinstehenden und Alten wie das. Problem, das die Wissenschaft die „seelische Entproletarisierung" nennt, die Fragen der breiteren Eigentumsstreuung, des Familienlastenausgleichs, besserer Gesundheitsvorsorge, die besonderen Erfordernisse des Mittelstandes und der Landwirtschaft sowie die materiellen und auch die seelischen Probleme aller durch 'den Krieg in Mitleidenschaft Gezogenen, die Fragen des Wohnungsbaus, der Raumordnung und der regionalen Strukturpolitik, dies alles verpflichtet uns, den sozialen Rechtsstaat auszubauen.
    Wir sprachen bereits davon, aber hier gehört noch einmal die Feststellung hin, daß die Quelle allen Fortschritts, aller Wohlfahrt und aller Sicherheit heißt: Arbeit. Und die Sicherung aller Wohlfahrt bedingt: Verteidigungsbereitschaft. So gehört für uns die Notstandsverfassung eben auch zum Programm des Ausbaues unseres freiheitlichen, sozialen Rechtsstaates.
    Die Sozialenquete wird uns, wie wir zuversichtlich hoffen, nicht nur bessere Einblicke und Durchblicke vermitteln, sondern auch Wege zeigen, mit unserem Sozialaufwand zur höchstmöglichen Effizienz beim einzelnen zu kommen. Sie ist so rechtzeitig vom Herrn Bundeskanzler eingeleitet worden, daß wir im kommenden Jahr die Basis für eine längerfristige Planung erhalten werden. Dabei muß uns nicht nur aus finanziellen Gründen daran gelegen sein, daß die staatlichen Leistungen noch wirkungsvoller für den Empfänger werden und so noch besser der sozialen Gerechtigkeit dienen.
    Der Sachverständigenbericht zur Reform der Finanzverfassung wird uns auch vor Fragen der Neuverteilung der Kompetenzen, der Scheidung der Aufgaben wie vor Fragen verbesserter Durchsetzung der für die Gesamtheit und die Währung wesentlichen Gesichtspunkte in allen staatlichen Ebenen stellen. Darum wäre es gut, Herr Bundeskanzler, wenn Sie in naher Zukunft einige grundsätzliche Gespräche mit den Herren Ministerpräsidenten der Länder sowie mit den Sozialpartnern führten.

    (Beifall bei der CDU/CSU.) Die Enge einiger Kompetenzen des Bundes — die Enge, verglichen mit den Erwartungen der Öffentlichkeit und den Ansprüchen unserer Zeit — legt diesen Weg nahe.

    Wir müssen, meine Damen, meine Herren, -zu einem ständigen Dialog kommen zwischen Bund und Ländern wie zu dem zwischen uns, den Gewerkschaften und der Wirtschaft. Denn nur durch Zusammenwirken wird eis eine gute Entwicklung geben. Ich bin sicher, daß der Herr Bundesminister für Wirtschaft seine guten Vorstellungen hierzu in dieser Debatte entwickeln und konkretisieren wird.
    Mit den Herren Ministerpräsidenten, Herr Bundeskanzler, wären vor allem wohl die Fragen der Bildung, der Haushaltslage der öffentlichen Hand insgesamt, die Finanzverfassungsreform, die Verkehrspolitik und die Sorge um die Gesundheit unserer Bevölkerung zu erörtern.
    Zu dem zuerst genannten Punkt, den Fragen der Bildung, meinen wir, daß zwischen Bund und Ländern ein Mehr an Zusammenordnung in allen Fragen
    der Kulturpolitik nötig ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Man sollte hier zuvor miteinander sprechen, zunächst die Fakten und die Pläne auf den Tisch legen, nicht aber an den Beginn die Forderung nach Revision der Verfassung oder neuen Behörden stellen. Dieses Gespräch ist auch nötig, um unser Ziel, die Steigerung des Anteils Bildung am Sozialprodukt, zu erreichen, wie es in den Gutachten vorgesehen ist.
    Mit den Tarifpartnern, Herr Bundeskanzler, müßte wohl — unabhängig von aktuellen Tarifverhandlungen, also grundsätzlich — gesprochen werden über die wirtschaftliche und soziale Gesamtlage, auch über das Problem der Arbeitszeit und die Frage der Gastarbeiter.
    Uns scheint es wesentlich, die Sparkraft des deutschen Volkes verstärkt auch in dem Sinne zu nutzen, daß weiteste Schichten der Bevölkerung für die finanzielle Beteiligung auch an der Industrie gewonnen werden. Auf diese Weise könnte die Eigentumsstreuung verbreitert und die finanzielle Basis des ökonomischen Fortschritts verstärkt werden. Wir haben nicht den Eindruck, daß die insoweit in der hohen Sparrate unseres Volkes zum Ausdruck kommende Kraft schon voll ins Spiel gebracht wäre. Alles dies, meine Damen und Herren, verlangt, daß wir festhalten an den beiden prinzipiellen Entscheidungen, die uns bisher geleitet haben: der sozialen Marktwirtschaft und der sozialen Partnerschaft. Wir sehen — weiterhin — beides zugleich.
    Der Erfolg der sozialen Marktwirtschaft spricht für sich selbst. Unser partnerschaftliches Denken hat mit dazu beigetragen, den Klassenkampf in unserem Land zu überwinden, den Wiederaufbau zu beschleunigen und Streiks sehr weitgehend zu vermeiden. Dieses partnerschaftliche Denken hat in unserer Rechtsordnung mannigfach Niederschlag gefunden, von der Tarifvertragshoheit bis zu den Regelungen über Betriebsverfassung und Mitbestimmung.



    Dr. Barzel
    Als wir dies alles vor vielen Jahren — und wir waren es — grundsätzlich konzipierten — ich erinnere mich lebhaft der Gespräche mit Karl Arnold hierzu —, war uns klar, ein Stück Mitbestimmung durch Gesetz zu antizipieren, das im Laufe der Jahre durch Miteigentum zuwachsen sollte.
    Nun stehen wir vor dem Punkt, wo einem der Vorrang gebührt: Erweiterung der Mitbestimmung aus Gesetz oder Erweiterung von Mitbestimmung aus Miteigentum. Wir geben dem letzteren den Vorrang, meine Damen und meine Herren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP. — Unruhe bei der SPD.)

    — Endlich habe ich also einen Punkt erreicht, wo die Opposition schon durch Gemurmel zum Ausdruck bringt, daß sie anderer Meinung ist. Ich nehme an, Herr Kollege Erler, Sie werden das gleich artikulieren, damit wir darauf etwas sagen können.

    (Abg. Wehner: Irritiert Sie das?)

    Meine Damen und Herren, wir wollen Anreize schaffen, auch das Miteigentum breiter zu streuen und die Sparkraft unseres Volkes wirksamer werden zu lassen. Eine Ausdehnung der Mitbestimmung würde dem im Wege stehen. Ebenso würde eine etwaige Aushölung der Mitbestimmung dem Ganzen nicht dienen. Wir erstreben weiter Partnerschaft. Wir erstreben weiter Anerkennung der Arbeit und des Privateigentums. Da wir dieses Privateigentum immer breiter allen Bürgern zuteil werden lassen, hat dies Vorrang, auch in dieser
    Frage.
    Das Grundanliegen unserer Gesellschaftspolitik ist die Erhaltung der Selbstverantwortung und der Freiheit des Bürgers im Schutze der unentbehrlichen Institutionen: der Familie und des Privateigentums. Der sittliche Schutz und die materielle Förderung der Familie bleiben uns vorrangig wie die breite Streuung des Privateigentums.
    Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß.

    (Bravo! bei der SPD.)

    — Ich freue mich, daß Sie sich auch freuen, den Kollegen Erler zu hören. Ich werde sicher Gelegenheit haben, mich dann noch ein bißchen an der Debatte zu beteiligen.
    Die Väter des Grundgesetzes haben in der Präambel das Bewußtsein der „Verantwortung vor Gott und den Menschen" als erstes Motiv der verfassunggebenden Arbeit bezeichnet. In Art. 2 haben sie das hohe Gut der freien Entfaltung der Persönlichkeit an das Grundgesetz gebunden. So sind in unsere Verfassung die religiösen und sittlichen Überzeugungen eingegangen und haben den Wiederaufbau unseres Staates mitbestimmt. Gerade in der Zeit des Zusammenbruchs wie des Wiederaufbaus der staatlichen Ordnung sind Religion und Gewissen eine aktive Kraft in unserem Volk gewesen. Wer für die Zukunft unseres Volkes arbeitet, wird darauf achten, daß diese Kraft wirksam bleibt, daß unsere Jugend nicht nur körperlich gesund heranwächst.
    Der Geist weht, wo er will. Das soll so bleiben. Indem wir alle aber zugleich dem Gebot der Rücksicht, der Rücksicht vor dem, was dem anderen essentiell ist, was dem anderen heilig ist, als einem zwingenden Erfordernis mitbürgerlicher Bewährung entsprechen, werden wir auch insoweit zu einem Mehr an Menschlichkeit kommen.
    Vor uns stehen schwere Aufgaben. Vor uns steht die Notwendigkeit, uns zu bewähren, uns zu bewähren aneinander als demokratisch Verantwortliche, uns zu bewähren vor den Wählern, die uns hierher geschickt haben; uns zu bewähren vor der deutschen Geschichte, vor allem aber uns zu bewähren vor dem ganzen deutschen Vaterland.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU. — Beifall bei Abgeordneten der FDP.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Erler.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Fritz Erler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Barzel erwartet Kritik, kontroverses Gespräch und — da das lückenhafte Konzept der Regierungserklärung nicht Diskussionsstoff genug bietet — das Konzept der Opposition für diese Periode. Dem Manne wird geholfen werden.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

    Aber zur Debatte steht doch wohl zunächst die Erklärung der Regierung.

    (Sehr wahr! und Beifall bei der SPD.) S i e hat sich zu stellen.

    Die Bundesregierung behauptet, bei der Wahl ein überzeugendes Mandat erhalten zu haben.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU. — Lachen bei der SPD.)

    Dieses Mandat geht natürlich zu einem guten Teil auf eben jene Wahlgeschenke zurück, die Sie jetzt rückgängig machen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Abg. Sie haben das Doppelte versprochen!)