Rede von
Freiherr
Klaus
von
Mühlen
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Enthaltsamkeit ist bekanntlich kein Vergnügen, und ich glaube, daß es auch kein Vergnügen für meinen Kollegen Wischnewski war, heute hier Enthaltsamkeit üben zu müssen, zumal da er doch zu denjenigen Kollegen unseres Hohen Hauses gehört
— ja, und manchmal ist es auch ein Vergnügen an Dingen, welche wir nicht kriegen, hat Wilhelm Busch gesagt — ,zumal da doch Herr Kollege Wischnewski mit zudem Kreis von Kollegen gehört, die sich seit Jahren mit ganzer Kraft für eine gute, gesunde Entwicklungspolitik einsetzen. Soweit ich seinen Worten gefolgt bin, übte er auch keineswegs Kritik an dem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und erst recht nicht an dessen Minister. Wenn ich richtig überlege, ist es für diesen eigentlich eine sehr willkommene Schützenhilfe, um die Entwicklungspolitik 'der Bundesregierung im nächsten Jahr und für den nächsten Haushalt in die Form und in das Volumen zu bringen, die notwendig sind, um Entwicklungspolitik so treiben zu können, wie wir sie treiben müssen.
Herr Kollege Gewandt und Herr Wischnewski haben die jetzige Haushaltslage in sehr vielen Einzelheiten besprochen und gekennzeichnet. Ich möchte das nicht unter Heranziehung anderer Details, die dasselbe, was hier gesagt worden ist, nur von einer anderen Seite noch einmal beleuchten oder unterstreichen würden, wiederholen. Sicherlich, was den Zinssatz, die Steuergesetzgebung, die Organisation betrifft, stimme ich mit meinem Kollegen Gewandt überein, daß noch vieles zu tun übrigbleibt. Aber ich meine, Herr Bundesminister Scheel und sein Haus haben in den vergangenen Monaten eine stille und gute Arbeit geleistet. Ich glaube nicht, daß man unbedingt immer einen Krach provozieren muß, um nach außen hin zu dokumentieren, was man erreicht hat. Jetzt muß in weiterer Kleinarbeit das ausgefüllt werden, wofür der Rahmen gegeben ist.
Sie haben alle schon darauf hingewiesen, daß für den Haushalt 1965 nicht mehr sehr viel zu machen ist. Da ist, wie wir in Schwaben sagen, „die Katze den Baum hinauf". Ich möchte deshalb jetzt noch einige Gedanken in Erinnerung rufen, die wir bei der Aufstellung des Haushaltes für das kommende Haushaltsjahr berücksichtigen sollten.
Den Herrn Finanzminister möchte ich bitten, im kommenden Rechnungsjahr den Posten Entwicklungshilfe bei seinem Voranschlag vorrangig mit einzusetzen. Im diesjährigen Haushalt ist die Bindungsermächtigung bis zu einem kümmerlichen Häufchen zusammengestrichen. Sie wissen alle
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 167. Sitzung. Borin, Mittwoch, den 24. Februar 1965 8371
Freiherr von Mühlen
aber, daß die Bindungsermächtigung d a s Mittel für eine gezielt geplante und überlegte Entwicklungshilfe schlechthin ist. Wenn die Bundesregierung auf der Basis von 600 Millionen DM Bindungsermächtigungen Entwicklungspolitik betreiben soll, dann ist dies eine kaum lösbare Auflage. Von den 600 Millionen DM sind nur noch 200 Millionen DM für eine wirkliche Entwicklungspolitik frei. Die anderen 400 Millionen DM sind ja, wie die Kollegen Gewandt und Wischnewski bereits betont haben, gebunden und können nicht mehr in der Entwicklungspolitik frei angewandt werden. Es bleiben also nur 200 Millionen DM übrig, und das ist ein bemerkenswert niedriger Betrag für ein Land, das das drittgrößte Wirtschaftspotential der Erde repräsentiert und das als das zweitgrößte Handelsland gilt.
Es wurde schon darauf hingewiesen, daß wir dem Beschluß der Welthandelskonferenz zugestimmt haben, als Minimum 1 % des Sozialprodukts für die Entwicklungshilfe zu leisten. Diesen Satz von 1 % haben wir bis jetzt nur ein einziges Mal erreicht, nämlich im Jahre 1961. Seitdem sind wir unter diesem Niveau geblieben, ja noch mehr: Unsere Entwicklungshilfeleistung ist, am Sozialprodukt gemessen, ständig gefallen. Sie hat jetzt einen kaum mehr vertretbaren Tiefpunkt erreicht, nämlich etwa 0,6 % des Bruttosozialprodukts. Während aber unser Beitrag zur Lösung der sozialen Probleme in der Welt immer kleiner wird, hat unsere Wirtschaft eine bisher kaum erlebte Prosperität erreicht. Das Ganze grenzt etwas an Bewußtseinsspaltung. Wenn wir den Anspruch nicht aufgeben wollen, eine verantwortungsvolle Gesamtpolitik zu treiben, dann müssen wir jetzt und in Zukunft den Abwärtstrend unserer Entwicklungshilfeleistungen stoppen. Es muß also dafür gesorgt werden, daß wir nunmehr wirklich den Tiefpunkt erreicht halben.
Wir kommen doch, wenn wir die gesamte Lage übersehen, nicht mehr daran vorbei, daß Weltpolitik immer mehr mit weltweiter Wirtschaftspolitik identisch ist. Seitdem z. B. das militärische Potential einer Großmacht, ein Potential von unvorstellbarer Vernichtungskraft, sich als nicht mehr genügend erweist, mit einer vergleichsweise bescheidenen Zahl schlecht ausgerüsteter Guerillas fertig zu werden, seitdem im gleichen Augenblick ein Entwicklungsland wie Rotchina — und es ist ein Entwicklungsland — gezeigt hat, daß auch der wirtschaftlich nicht so starke fähig ist, sich seine Atombombe selbst zu bauen, dann ist es praktisch unmöglich geworden, Politik mit militärischen Mitteln treiben zu wollen. In dem gleichen Maße aber, wie militärische Mittel unbrauchbar werden, gewinnt die Entwicklungshilfe an Bedeutung.
Daß dies so ist, ist für uns zweifellos eine Chance. Denn der Westen ist ja der wirtschaftlich Stärkere und kann und wird den ökonomischen Kampf mit dem Osten absolut sicher gewinnen, wenn er nur bestrebt ist, seine Mittel richtig, zur rechten Zeit und am rechten Ort einzusetzen.
Gerade jetzt, wo die Sowjetunion, wo Rotchina und sogar die Sowjetzone zu einer großzügig angelegten Offensive in den Entwicklungsländern angetreten sind, stellen wir freiwillig unsere mühsam aufgebauten Positionen in Frage und sind — wenn man den Haushalt dieses Jahres betrachtet — auf dem besten Wege, uns den weiteren Weg zu verbauen.
Ich glaube deshalb, wir sollten alle Gewitterzonen, die augenblicklich am Horizont stehen — besonders was den Nahen Osten betrifft —, sehr sorgsam von der Entwicklungshilfe trennen. Wir sollten jetzt den Entschluß fassen, im kommenden Jahr und für den kommenden Haushalt die Entwicklungspolitik in dem Rahmen und unter Einsatz der Organisationsmöglichkeiten, die durch die KompetenzFlurbereinigung im 'Ministerium Scheel entstanden sind, auf eine breitere, gesündere und für uns nützlichere Basis zu stellen.
Den Herrn Bundesfinanzminister möchte ich dabei bitten — das theoretische Verständnis für die Notwendigkeit einer großzügig geplanten und wirksamen Entwicklungshilfe hat er immer gezeigt —, dieses Verständnis im nächsten Jahr seinem Kollegen vom Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu bewahren und in der Praxis dafür zu sorgen, daß wir auf dem weiteren Weg der Entwicklungshilfe im Jahre 1966 nicht in eine zu enge „Korfe" geraten, in der die Entwicklungshilfe stekkenbleiben könnte.