Rede von
Dr.
R. Martin
Schmidt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich fange ja gerade erst an, Herr Präsident! Es wird noch genügend Gelegenheit zu Fragen sein.
Ich sprach also von einer Politik, die nun am 30. November nach schwerer Agonie für immer dahingegangen ist.
Das Ende dieser Politik war schon seit langem vorauszusehen. Aber noch am Grabe pflanzten Sie neue Hoffnungen auf,
und jeden, der nicht Ihrer Meinung war, schimpften Sie einen Verleumder, einen Feind unserer Landwirtschaft und womöglich noch einen Feind Europas. Und als Ihre schöne Politik eingesargt war, da taten Sie so — wie soeben Herr Struve —, als habe sie niemals existiert, und wenn es nach Ihnen gegangen wäre, hätte es noch nicht einmal eine Leichenrede gegeben.
Indes, Herr Kollege Struve, gebietet es die Pietät, daß man von einem so schönen Kinde nicht ohne ergriffenes Gedenken Abschied nimmt.
Herr Kollege Struve, mir wird unvergeßlich sein, wie in diesen Tagen zwischen dem 30. November und dem 1. Dezember die Agrarpolitiker der CDU/ CSU und der FDP mit düsteren Gesichtern und in Weltuntergangsstimmung der Ohnmacht nahe waren.
— Warten Sie ab, Herr Mauk! Es kommt noch faustdick. Ich kann Ihnen heute nichts ersparen.
Noch wenige Wochen vorher, am 15. Oktober, hatte der damals noch amtierende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Herr Dr. Barzel, von dieser Stelle aus erklärt:
Wir unterstreichen erneut: Wir bekennen uns
zu der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers
vom 19. März 1964, die das Festhalten am deutschen Getreidepreis zum Inhalt hat.
Aber wie ein Naturwunder brachen bei Herrn Dr. Barzel wenig später die europäischen Frühlingsgefühle durch,
und alles, was er vorher einmal gesagt hatte, war nicht mehr wahr. Mit europäischer Lyrik hat er diesen Sinneswandel zu überdecken versucht.
Herrn Struve schließe ich in diese Bemerkung ein. Er ist seinem Meister heute in glänzender Weise gefolgt; er setzt sich eifrig von gestern ab.
Und Herr Zoglmann, der amtierende Vorsitzende der FDP-Fraktion, hatte am gleichen 15. Oktober ausgeführt:
Ein geeintes Europa wird nur dann gesund und
funktionsfähig sein, wenn es in allen Bereichen
und in allen Teilen gesund ist. •Das gilt auch
für die deutsche Landwirtschaft. Deshalb be-
grüßen wir es, daß die Bundesregierung am
deutschen Getreidepreis festhalten will. Wenige Wochen später sprach dann sein Fraktionskollege Dr. Starke — anscheinend der neue Agrarsprecher der FDP — von dem Opfer der Landwirtschaft für die Einigung Europas. Die von ihm entworfene und am 24. November laut angekündigte Große Anfrage unterblieb und mußte in den Papierkorb wandern. Dieser Canossagang hat ihn anscheinend arg mitgenommen; er ist gar nicht anwesend.
Alles mehr als peinlich! Die Hoffnung der Freien Demokraten, die große Bauernpartei der Bundesrepublik zu werden, ist nun auch dahin, nachdem klar geworden ist, daß es mit ihrer Bauerntreue nicht weit her ist.
Ihre soeben eingebrachte Entschließung wird daran nichts ändern.
Meine Herren von der Koalition! Meine politischen Freunde und ich machen Ihnen nicht zum Vorwurf, daß Sie endlich einer Harmonisierung der Getreidepreise im Gemeinsamen Markt zugestimmt haben.
Sie konnten ja gar nicht anders handeln; denn die Bundesregierung war am 14. Januar 1963, am 23. Dezember 1963 und im Sommer dieses Jahres im EWG-Ministerrat ganz konkrete Verpflichtungen eingegangen. Wir machen Ihnen aber zum Vorwurf, daß Sie fast drei Jahre lang die Öffentlichkeit und vor allem die deutsche Landwirtschaft in bedenkenloser Weise über die Konsequenzen dieser Entscheidung in Brüssel getäuscht haben.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1964 7545
Dr. Schmidt
Dieser fleißige Berufsstand hat es einfach nicht verdient, so behandelt zu werden.
Man kann doch nicht mit diesem Berufsstand Schindluder treiben, um sich politisch an der Krippe zu halten.
Sie haben meine politischen Freunde und mich jahrelang verdächtigt, die deutsche Landwirtschaft der EWG zu opfern. Und was tun Sie heute?
Wir machen Ihnen zum Vorwurf, daß Sie es versäumt haben, eine neue agrarpolitische Konzeption für den Fall einer Getreidepreissenkung zu entwickeln, und wir werfen Ihnen schließlich vor, daß Sie auch heute noch der Landwirtschaft und der Öffentlichkeit vorgaukeln, in Wirklichkeit passiere den Bauern überhaupt nichts, denn sie erhielten einen dauerhaften und vollwertigen Ausgleich für die Erlösminderung und obendrein noch eine Kompensation für die sogenannten Wettbewerbsverzerrungen. Das ist nicht nur unzutreffend, sondern das läuft wiederum auf eine bewußte Täuschung hinaus.
Obendrein fehlt nur noch die fortgesetzte Behauptung, die Entschließung des CDU-Parteitages und der Koalition hier in diesem Hause vom 19. März hätten noch ihre volle Gültigkeit.
Seit Beginn dieser Legislaturperiode hat die Agrarpolitik der Bundesrepublik allein aus dem hundertfach bekräftigten Schwur bestanden, am Getreidepreis sei nicht zu rütteln. Der Exponent dieser Politik war Herr Ernährungsminister Schwarz, der noch vor seinem Amtsantritt feierlich erklärt hatte, er würde im Falle einer Senkung dieser Preise aus dem Kabinett ausscheiden, damit man von ihm nicht sagen könne, er sei ein zweiter Caprivi. Später modifizierte Herr Schwarz diesen Schwur durch die Erklärung, die Bundesregierung werde am Getreidepreis festhalten, bis ein vollständiger und dauerhafter Verlustausgleich gewährleistet sei. Ich werde im weiteren Verlauf meiner Ausführungen den Nachweis erbringen, daß das eben nicht der Fall ist. Zunächst gilt es festzuhalten, daß Herr Schwarz sich noch nicht von seinem Amte getrennt hat.
Meine Damen und Herren, ich möchte es mir versagen, aus der unübersehbaren Fülle der Entschließungen, der flammenden Appelle der CDU/CSU und der FDP, der feierlichen Erklärung des Herrn Bundeskanzlers und des Herrn Bundesministers Schwarz auch nur die wichtigsten zu zitieren; denn damit würde ich sicherlich meine Redezeit überschreiten und das Hohe Haus bis zur späten Nachtstunde hier festhalten.
Ich müßte dabei beginnen mit der Regierungserklärung des damaligen Vizekanzlers Professor Erhard vom 30. Juni 1961, ich müßte fortfahren mit den ungezählten Reden und Rundfunkvorträgen des damaligen und heutigen Bundesernährungsministers, ich dürfte nicht die Ausführungen des Staatssekretärs Hüttebräuker vergessen und natürlich auch nicht die Parolen des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU, des Kollegen Struve, der wegen des Getreidepreises sogar den EWG-Vertrag ändern wollte. Soeben aber hat der gleiche Struve den Knoten weggeworfen. Ich müßte auch an die Kollegen in Ihren Reihen erinnern, die im Falle eines Beschlusses der Preisangleichung ihr Mandat niederlegen wollten. Ich sehe, sie sitzen alle noch hier in diesem Raum.
Und ich müßte schließlich erwähnen, daß der agrarpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, der Kollege Dr. Effertz, noch am 3. November dieses Jahres vor Wirtschaftsjournalisten erklärt hat, es dürfe kein Zweifel bestehen, daß die FDP eine Änderung der Haltung der Bundesregierung in der Getreidepreisfrage zu einer Koalitionsfrage machen würde.
Dieser Zitatenschatz ist überaus umfangreich, und es wäre zweifellos reizvoll, ihn hier auszubreiten. Ich bedauere, daß ich auf dieses Vergnügen verzichten und mich auf ein einziges Zitat beschränken muß, auf ein Zitat, das die Lage, vor der wir heute stehen, sicherlich am besten beleuchtet. Es handelt sich um eine Erklärung, die Herr Minister Schwarz vor der Delegiertenversammlung des Schleswig-Holsteinischen Bauernverbandes in Rendsburg vor einiger Zeit abgegeben hat. Dort hat er wörtlich ausgeführt:
Wir wollen unter allen Umständen uns nicht in Fragen aufsplittern, was könnte vielleicht einmal später eintreten, sondern wir wollen nur an dem festhalten: Wir gehen von unseren Getreidepreisen nicht runter.