Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mir — was Sie verstehen werden — besonders die Ausführungen der beiden Herren angehört, die für die Opposition gesprochen haben. Wenn ich die Notizen betrachte, die ich mir gemacht habe, dann kann ich nur sagen: Schade!
Ich hatte von beiden Herren — das sage ich hier offen, ehrlich und aufrichtig — wirklich etwas mehr erwartet.
Herr Kollege Dr. Möller, die Lautstärke macht es auch nicht.
Ich will einige Ungereimtheiten zeigen, um deutlich zu machen, was ich meine.
Herr Kollege Schoettle hat von der „hektischen Betriebsamkeit" der Bundesregierung gesprochen. Bisher habe ich von der Opposition immer nur gehört, daß wir lahm und schlapp seien.
— Ja, Herr Kollege, wir kommen auch noch einmal aneinander.
— Genau — im Wahlkampf, der nach dem, was hier produziert worden ist, offenbar schon in diesen Saal hineingetragen werden soll.
Herr Kollege Schoettle hat der Bundesregierung vorgehalten, sie habe den Verteidigungshaushalt mit Zähnen und Klauen verteidigt. Er hat vergessen zu erwähnen, daß sich das jetzt offenbar umgekehrt hat — Herr Leicht hat es erwähnt —, daß jetzt die SPD den Verteidigungshaushalt mit Zähnen und Klauen zu verteidigen gewillt ist. So kommen wir nicht weiter, meine Damen und Herren.
Ich bewundere auch, meine Damen und Herren, die hellseherischen Qualitäten der Opposition. Ich habe das Wort „Hellseher" hier vor ganz kurzer Zeit einmal gebraucht. Dabei erinnere ich mich nicht, bei welcher Gelegenheit; ich glaube, es war bei der Postdebatte oder bei der ersten Lesung des Haushalts. Damals habe ich einmal darzustellen versucht, daß man mit der Finanzpolitik wirklich fast hellseherische Qualitäten haben muß. Wenn man nämlich bedenkt, daß 500 Millionen DM eine gewaltige Summe Geldes sind, und wenn — so rechnen wir in diesem Jahr 1964 — ein solcher Betrag an Steuern mehr hereinkommt, dann könnte man auf die Idee kommen, wir hätten uns gewaltig verschätzt. Wenn man aber diese Summe mit den 56 bzw. 60 Milliarden DM in Beziehung setzt, um die es wirklich geht, wird man feststellen, daß die Verschätzungsquote unter 1% liegt; und damals hatte ich gesagt: „Das grenzt an Hellsehen."
Wenn aber Herr Kollege Schoettle fast jede der Ausgaben dieses Nachtraghaushalts für die SPD okkupieren möchte, +indem er sagt: „Das habt ihr uns im Frühjahr abgelehnt", so ist dazu folgendes zu sagen: es kam, Herr Kollege Dr. Möller, das ist bisher wohl unbestritten, nicht auf das Wetter im Januar 1964 an, sondern — nach den Forderungen des Bundesverkehrsministers nach Abschluß seiner Herbstbereisung — auf das Wetter im Herbst 1964.
Wenn Sie das vorausgesehen haben und voraussehen konnten, dann finde ich das großartig; aber ich muß Ihnen sagen, Herr Dr. Möller: Ich glaube nicht daran.
Herr Kollege Dr. Möller bringt hier — das habe ich schon bei früheren Gelegenheiten, wenn wir diskutierten, hin und wieder beanstandet — häufig ein Zahlenbild, ohne gleichzeitig das weitere dazugehörige Zahlenbild zu bringen. Sie brachten das nette Beispiel mit den Siamesischen Zwillingen.
Die eine Hälfte fehlt bei Ihnen so oft.
Ich möchte Ihnen also z. B. sagen, daß der Bund von dem im Haushalt 1964 veranschlagten Anleihebedarf von 2,2 Milliarden DM bis jetzt immerhin 1,5 Milliarden DM — annähernd 1,6 Milliarden DM — aufgenommen hat. Wenn Sie jetzt die Länder, deren gestiegene Verschuldung von Ihnen so häufig beklagt wird, betrachten, dann stellen Sie fest, daß sie im Jahre 1963 2,1 Milliarden DM veranschlagt und nur 522 Millionen DM aufgenommen haben, das heißt etwa 25 %. Herr Dr. Möller, erklären Sie mir einmal, wo die Länder den Fehlbetrag hergekriegt haben.
Den Fehlbetrag haben die Länder nämlich mehr eingenommen! Im Jahre 1964 haben sie 2,8 Milliarden DM — also erheblich mehr als 1963 — veranschlagt, und davon hatten sie — ich habe allerdings die Zahlen nur bis August 1964 — bis zum August immerhin erst etwa 25 % aufgenommen.
Das muß man natürlich, wenn man hier auf die Verschuldung der Länder hinweist, auch mitteilen, insbesondere dann, wenn man diese Verschuldungs-
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Bundesminister Dr. Dahlgrün
zahlen und Kreditaufnahmen mit der Situation des Bundes in Verbindung setzt.
Herr Kollege Schoettle hat behauptet, die zu erwartenden Mehreinnahmen an Steuern im Jahre 1964 — ich habe sie in der vorigen Woche hier vor dem Hohen Hause auch schon erwähnt, allerdings mit dem sehr betrüblichen Zusatz, daß sie schon verbraucht sind —, hätte ich in den Haushalt „hineingebuttert". Herr Schoettle wie Herr Möller haben übersehen, daß ein Etatrahmen auch durch Mehreinnahmen überschritten wird, und nicht nur dann, wenn ich mehr Geld ausgebe. Das heißt also: wenn ich nicht, was finanzpolitisch richtig ist, die etwa 500 Millionen oder 600 Millionen, was weiß ich, Mehreinnahmen zur Deckung von Mindereinnahmen im außerordentlichen Haushalt benutze, wird der Etatrahmen nicht gehalten. Ich verletze dann nicht nur die Regel, die wir uns alle — einschließlich der Opposition— für das Jahr 1964 gesetzt hatten, sondern ich verletze auch Regeln der Finanzpolitik, die wir einhalten sollten und Gott sei Dank im Jahre 1964 einhalten können; ich hoffe, daß das Jahr 1964 gut zu Ende läuft. Daß Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, sich darüber vielleicht etwas ärgern, kann ich nicht ändern. Jedenfalls von „Hineinbuttern" von Steuermehreinnahmen kann gar keine Rede sein.
Herr Kollege Leicht hat schon erwähnt, daß von der sozialdemokratischen Opposition in den Ausschüssen und im Plenum eine Fülle von Anträgen —I in Gestalt von Initiativgesetzen — gestellt worden ist, deren Durchführung Beträge im Umfange von Milliarden erfordern würde.
Ich spreche die beiden Koalitionsparteien keineswegs davon frei, daß auch sie Pläne in solcher Richtung haben. Deshalb — das sage ich Ihnen allen ganz offen — haben der Vorsitzende des Finanzausschusses des Bundesrates, Herr Kollege Dr. Weichmann, und ich vor dem Bundesrat das gesamte Parlament, die Opposition und die Regierungskoalition, gemeint, als wir vor einer Überspannung des Bogens gewarnt haben.
Aber was ist dem Finanzausschuß bei dem letzten Gesetz, um das es ging und bei dem er dem Bundesrat die Ablehnung empfohlen hatte, im eigenen Hause passiert? Sämtliche Länderregierungen einschließlich des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg haben ihre Finanzminister im Stich gelassen und haben ihre Zustimmung gegeben.
— Das 312-DM-Gesetz, Herr Dr. Möller. Auch dazu haben Herr Dr. Weichmann und ich im Bundesrat referiert. Aber wir haben alle zur Kenntnis nehmen müssen, daß der Finanzausschuß des Bundesrates, der aus finanzpolitischen Erwägungen gewarnt hatte
— wie ich auch —, einfach nicht zu Gehör gekommen ist. Herr Kollege Möller meint nun, das alles
allein auf die Regierungsparteien legen zu sollen. Ich versichere Sie: Herr Professor Weichmann und ich haben nicht nur die Regierungskoalition, sondern alle gemeint.
— Die hatte ich eingangs bereits erwähnt, Herr Kollege Conring.
Ich möchte jetzt auf die sachliche Seite der Debatte zurückkommen, weil ich das aus meiner Sicht für viel wichtiger halte als alles andere. Hier möchte ich einen Gesichtspunkt hervorheben — ich glaube, er ist schon erwähnt worden —, der mir wichtig erscheint. Wenn ich die Mehrausgaben dieses Nachtragshaushaltes werte, dann komme ich darauf, daß über die Hälfte der 1,8 Milliarden DM Mehrausgaben, die sich herausgestellt haben, dem Geldkreislauf entzogen wird, also wirksam geeignet ist, zur Dämpfung aufgetretener Überhitzungserscheinungen in einigen Bereichen der Volkswirtschaft beizutragen und die Schuldenlast des Bundes zu vermindern. Mit diesem Nachtragshaushalt — da geht kein Weg nebenher — hat die Bundesregierung ihre Pflicht erfüllen können. Sie hat etwa 500 Millionen DM Steuern
— in Form von Mindereinnahmen des außerordentlichen Haushalts — und über 900 Millionen DM — das Defizit 1963 und die 400 Millionen DM Nachkriegswirtschaftshilfe an die Deutsche Bundesbank
— in wirklich konjunkturneutraler Weise untergebracht.
Das bestreitet die Opposition ja auch gar nicht. Die Kritik vom Herrn Kollegen Schoettle hat sich an der Deckungsfrage entzündet. Auch da — ich habe es schon erwähnt — ist alles gut gelaufen. Die 60,3 Milliarden DM, das Volumen des Bundeshaushalts 1964, werden durch diesen Nachtrag nicht überschritten. Schon aus diesem Grunde hat — auch das sagte ich schon — der Gedanke auszuscheiden, die Ausgaben teilweise durch Steuermehreinnahmen zu decken. Das hätte eine Ausweitung des Volumens zur Folge gehabt.
Deshalb kommen für die Deckung nur Minderausgaben in Betracht. Aus der Sicht von heute und nach den Betriebsmittelzuweisungen für Dezember 1964 ist damit zu rechnen, daß auch nach Berücksichtigung der veranschlagten globalen Minderausgaben von 528 Millionen DM — das ist noch gar nicht erwähnt worden — zum Schluß des Haushaltsjahres im gesamten Haushalt insgesamt Minderausgaben in einer Höhe verbleiben, die zur Deckung des Nachtragshaushalts von 1,8 Milliarden DM ausreichen.
An dieser Stelle muß ich auf das eingehen, was Herr Dr. Möller über die Steuermehreinnahmen im Zusammenhang mit den höher geschätzten Zuwachsraten des Bruttosozialprodukts gesagt hat. Herr Dr. Möller hat auch hier wieder nur halb recht. Es ist richtig, daß diese Steuermehreinnahmen im wesentlichen aus der Umsatzsteuer, aus der Mineralölsteuer kommt. Aber bei allen anderen Steuern richtet sich die Lage nicht nach der Zuwachsrate im laufenden Jahr 1964, sondern nach einem früheren Präferenzzeitraum, sagen wir einmal 1962/63. Der ist Grundlage für das, was heute hereinkommt.
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Bundesminister Dr. Dahlgrün
Schon in der Postdebatte habe ich erklärt, daß wir Ende August noch Hunderte von Millionen Mindereinnahmen gegenüber dem Soll hatten. Erst der Steuertermin vom 10. September brachte die Wende. Ich kann Sie davon unterrichten, daß noch vorgestern — heute ist ja einer der großen Steuertermine — das Soll des Jahres 1964 nicht erreicht war. Wir richten uns hier so ein bißchen nach dem Genossen „Trend", den die SPD ja so gut kennen will.
Das Schwergewicht im Verteidigungssektor! Ich wundere mich sehr über das, was Herr Kollege Schoettle und Herr Dr. Möller hier an ernsthaften Bedenken vorgetragen haben. Nach der Lautstärke sollte man meinen: Alles ist ganz schlimm. Gestern im Haushaltsausschuß haben wir uns jedoch ganz sachlich unterhalten. Ich habe alle Fragen beantwortet. Es kommt darauf an — darüber hat, glaube ich, im Haushaltsausschuß Einigkeit bestanden —, den Abschluß auf den 31. Dezember 1964 dem Haushaltsausschuß so schnell wie überhaupt nur möglich zur Verfügung zu stellen, damit nach Abschluß der ersten Lesung, nachdem .der Haushaltsausschuß sich den ersten gründlichen Überblick verschafft hat, im Zusammenhang mit den Abschlußzahlen des Jahres 1964 eine Beurteilung des Jahres 1965 erfolgen kann.
Es ist ja auch nicht so, wie Herr Dr. Möller es dargestellt hat, daß die Bundesregierung jetzt am Zuge wäre. Nein, wir haben das Haushaltsgesetz 1965 eingebracht. Es liegt im Haushaltsausschuß.
3) Praktisch könnte ich in der Sache überhaupt nichts ändern, wenn ich mir nicht den Vorwurf zuziehen will, daß ich das Parlament und — was ganz schlimm ist — den Bundesrat ausschalte. Ich müßte ja miteinem „Nachtrag" des Haushalts 1965, der noch gar nicht fertig ist, den Gesetzgebungsweg beschreiten. Sie werden mir zugeben: Das klingt 'sehr gut, wenn man kritisiert, aber in der Praxis läßt sich nichts anderes tun ,als das, was wir gestern im Haushaltsausschuß gemeinsam verabredet haben.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß ich nicht mehr allzuviel zu sagen brauche. Die erste Lesung des Nachtragshaushalts war am 2. Dezember, also vor wenigen Tagen. Durch das verständnisvolle Zusammenwirken aller Beteiligten — Bundestag, Bundesrat, nicht zuletzt des Haushaltsausschusses unter dem Vorsitz von Herrn Kollegen Schoettle —ist es dahin gekommen, •daß nur eine Woche später der Nachtragshaushalt 1964 in zweiter und dritter Lesung heute verabschiedet werden soll. Ich hoffe, daß das geschieht.
Die Zeitplanung stellt damit — und das ist wichtig — die rechtzeitige Feststellung des Rechnungsabschlusses 1964 sicher, auf der dann der Haushalt 1965 aufzubauen ist.
Ich möchte die Gelegenheit, daß ich hier zum Nachtragshaushalt 1964 etwas sage, nicht vorübergehen lassen, ohne allen, die sich darum bemüht haben, meinen besonderen Dank auszusprechen.