Herr Kollege Conring, soweit ich mich erinnere, ist die dritte Lesung des Haushalts 1964 Mitte April erfolgt. Es hätte also keine prophetische Begabung für irgendeine Fraktion dazu gehört, zu wissen, was für eine Wetterlage wir im Januar 1964 gehabt haben.
Nun, meine Damen und Herren, der Regierungsentwurf zum Haushalt 1964 sah bei einem Anteil von 40 % an der Einkommen- und Körperschaftsteuer einem Sollansatz von 53,47 Milliarden DM vor. Aus der Vorlage des Bundesfinanzministeriums vom 4. März dieses Jahres ergeben sich bei einem Bundesanteil von 39% nach den vom Bundesfinanzministerium verwendeten Konjunkturdaten vom Herbst 1963 53,078 Milliarden DM und nach den Konjunkturdaten vom Frühjahr 1964 53,24 Milliarden DM. Auf Grund des Bundestagsbeschlusses vom 16. April 1964 haben wir im Haushaltsplan 1964 ein Soll von 53,245 Milliarden DM. Zum Nachtragshaushaltsgesetz wurden keine neuen Zahlen in der Regierungsvorlage, wo sie hingehören, genannt. Wenn wir von der Bundestagsrede des Bundesfinanzministers am 4. Dezember ausgehen, rechnet man mit Steuermehreinnahmen in Höhe von 500 Millionen DM. Das würde also 53,745 Milliarden DM ergeben. Ich habe schon in der Haushaltsdebatte am 9. Januar 1964, siehe Protokoll Seite 4852, erklärt, daß der Bund bei einem Bundesanteil von 39 % mit einer Steuereinnahme von mindestens 53,56 Milliarden DM rechnen müsse.
Diese Zahlen beweisen, daß der Bundesfinanzminister und die Vertreter der Koalitionsparteien keine Berechtigung haben, sich in diesem Punkt mit
Kollegen meiner Fraktion rechthaberisch auseinanderzusetzen. Sie hätten vielmehr allen Anlaß, endlich einzusehen, wie seriös und verantwortungsvoll die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ohne den Apparat der Bundesregierung auch bei diesen zugegebenermaßen recht schwierigen Vorausschätzungen vorging.
— Das hat nichts mit Rechthaberei zu tun, sondern das sind Zahlen, die Sie nicht wegwischen können, und diese Zahlen lesen Sie bitte noch mal im Protokoll nach! Ich anerkenne Ihre Objektivität aus den Beratungen im Finanzausschuß. Ich bin überzeugt davon, daß Sie dann bedauern, diesen Zwischenruf gemacht zu haben.
Wenn, wie weiter gesagt worden ist, am 15. September der Arbeitskreis für gesamtwirtschaftliche Vorausschätzung erneut die für den Nachtragshaushalt notwendigen Zahlen ermittelt hat, so bin ich offenbar falsch unterrichtet worden, als man mir mitteilte, daß der Arbeitskreis für Steuervorausschätzung beim Bundesfinanzministerium das letzte Mal im Mai dieses Jahres getagt habe.
Nicht die Tatsache, daß man einen Nachtragshaushalt vorlegt, gibt Anlaß zur Kritik. Entscheidend bleibt das Wie, das sich ganz besonders auf die globalen Umschichtungskunststücke bezieht, die nicht endgültig zu einem neuen, aber schlechten Prinzip der Haushaltspolitik dieser Bundesregierung werden dürfen. Das jedenfalls ist der Standpunkt der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion.
Nun der zweite Fakt. Bei der Beratung des Nachtrags ist im Bundesrat auf den unmittelbaren Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt 1965 hingewiesen worden, wobei der Berichterstatter des Finanzausschusses darauf aufmerksam machte, daß sich zu Lasten des Rechnungsjahres 1965 Einnahmeausfälle von mehr als 3,5 Milliarden DM bei Bund, Ländern und Gemeinden in der Diskussion befinden. Das war am 20. November dieses Jahres. Inzwischen hat sich, wie Sie wissen, einiges geändert. Außerdem wird die Ausgabenseite in den kommenden Monaten ebenfalls in verschiedenen Positionen andere, und zwar höhere Beträge aufweisen. Diese Gesamtsumme von 5 Milliarden DM hat nun doch wohl mit dem Wahltermin zu tun. Der Berichterstatter des Finanzausschusses des Bundesrates erklärte:
Man mag einzelne Maßnahmen als solche in ihrer sachlichen oder zeitlichen Notwendigkeit für diskussionsfähig halten. In ihrer Häufung und Verschiedenartigkeit stellen sie aber ganz gewiß nicht das Produkt einer systematischen Finanzplanung dar.
Nach Pressemeldungen vom 24. November soll Herr Kollege Dr. Stoltenberg mitgeteilt haben, daß die Koalitionsfraktionen Streichungen in der Größenordnung von mehreren hundert Millionen D-Mark im Entwurf des Bundeshaushalts 1965 vornehmen wollen, um den von der Bundesregierung festgesetzten Etatrahmen von 63,9 Milliarden DM
7534 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1964
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
nicht zu sprengen. Meiner Meinung nach hätte die Bundesregierung diese ihr natürlich unbequeme Aufgabe zu lösen, zumal da die kritische Durchleuchtung ihres Haushaltsentwurfs die Zweifelhaftigkeit der festgesetzten Obergrenze ergibt,
diese Grenze, die Sie bisher immer als die „magische Grenze" bezeichnet haben. — Herr Kollege Conring, hier ist hinzuzufügen, daß es bei konjunkturstabilisierenden Maßnahmen einer Haushaltspolitik nicht nur auf die Verteidigung eines bestimmten, und zwar realistischen Haushaltsvolumens ankommt — es müßte realistisch sein —, sondern in erster Linie auf das Verhältnis der Einnahmen aus Steuern zu den Ausgaben im Inland. Wenn Sie das vielleicht freundlicherweise in Ihren künftigen Diskussionsbeiträgen beachteten, würde uns das manches erleichtern; dann kriegen wir nämlich ganz andere Zahlen.
Ich gebe auch Herrn Staatssekretär Grund recht, der kürzlich in einem Vortrag auf die schwierige Problematik hinwies, die sich daraus ergibt, daß auf der Ausgabenseite die reale Wachstumsrate zugrunde gelegt werden soll, daß dagegen bei den Schätzungen auf der Einnahmenseite die nominelle Wachstumsrate eine Rolle spielt. Herr Staatssekretär Grund hat auf die Schere zwischen der Einnahmen- und der Ausgabenseite hingewiesen und zugegeben, daß diese Scherenentwicklung in der Tat im Haushalt 1965 gewisse Sorgen bereite.
Nun der dritte Fakt! Das alles hätte aber sicher nicht ausgereicht, um, wie ich vorhin zitiert habe, von einer „drohenden finanzpolitischen Anarchie" zu sprechen. Unabhängig von den bisher in der Diskussion befindlichen Beträgen, für die im nächsten Bundeshaushalt Deckung gefunden werden muß, hat die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers zur Agrarpolitik am 2. Dezember ergeben, daß für 1965 840 Millionen DM und später mindestens 1,1 Milliarden DM zusätzliche Mittel für die Landwirtschaft bereitgestellt werden sollen. Bei der Getreidepreisfrage soll es sich tatsächlich um eine Richtlinienentscheidung des Bundeskanzlers handeln, ohne daß aber der Bundeskanzler in diese Entscheidung die Beantwortung der ihm offensichtlich unbequemen Deckungsfrage eingeschlossen hat.
Das Bundespresseamt meint in einer Mitteilung, Lösungen wegen der Umgestaltung des Bundeshaushalts 1965 seien nicht vor Mitte Januar möglich, und alle Berichte über Deckung und Kürzungsvorschläge trügen rein spekulativen Charakter.
Nun kam eben der typische Zwischenruf: „Das hören Sie noch von uns!" Wenn das so ist, dann sollten wir die Etatberatung aussetzen, weil sie nicht auf einer realistischen Basis geführt wird.
Aber ich habe noch ein Weiteres hinzuzufügen. Der von dem Herrn Bundeskanzler gefundene Betrag, also 840 Millionen DM 1965, dann 1,1 Milliarde DM in den folgenden Etatjahren, muß doch — oder wollen Sie das auch bestreiten? — in einem realistischen Verhältnis zu den Möglichkeiten des Bundeshaushalts stehen. Denn sonst kann man den Betrag nicht nennen. Oder nennen Sie mir bitte den Grund, warum es für 1965 genau 840 Millionen DM, aufgeteilt in die Sparten, die wir kennen, und dann 1,1 Milliarden DM sein müssen, wenn nicht zu gleicher Zeit der Herr Bundeskanzler sich darüber hat informieren lassen, daß es möglich ist, im Bundeshaushalt die notwendige Deckung herbeizuführen. Diese Deckung gehört dazu. Der Vorschlag und die Dekkung dieser Ausgaben von 840 Millionen DM bzw. 1,1 Milliarden DM sind Siamesische Zwillinge.
Ich möchte einmal wissen, was Sie sagen würden, wenn wir hier in derselben Frage nun ganz plötzlich
mit einem solchen Vorschlag hervorgetreten wären! Da hätte es nichts genutzt, wenn wir auf einige unserer Vorschläge verwiesen hätten, wie die entsprechenden Steuermehreinnahmen erzielt werden können, die also echte Deckungsvorschläge gewesen wären. Sie hätten sich glatt darüber hinweggesetzt und geglaubt, uns anprangern zu müssen, wenn wir mit solchen finanziellen Vorschlägen gekommen wären, ohne zum gleichen Zeitpunkt das Notwendige über die Deckung vor diesem Hohen Hause auszusagen.
Wie auch andere angesehene Zeitungen, die der SPD in keiner Weise nahestehen, so äußert sich z. B. der „Mannheimer Morgen" wie folgt:
Das dicke Ende kommt zweifellos nach. Bundesfinanzminister Rolf Dahlgrün weiß bis zur Stunde noch nicht, wie er die Milliarden-Hilfe für die Landwirtschaft aufbringen soll, ohne den Grundsatz zu verletzen, daß die Bundesausgaben des nächsten Jahres die Summe von 63,9 Milliarden DM nicht übersteigen dürfen.
Dann kommt ein Satz, den ich nicht zitieren möchte. Es heißt weiter:
Statt dessen zieht es Dahlgrün offenbar vor, dem Bundeskanzler und dem Parlament die Verantwortung zu überlassen. Wie auch immer der Haushaltsausgleich vollzogen werden soll, das Ergebnis kann nur peinlich ausfallen.
So, meine Damen und Herren, schreiben heute Zeitungen, die sich immer als treue Anhänger der Bonner Regierungspolitik ausgewiesen haben.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Dezember 1964 7535
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
— Ja, dann werden Sie aber einmal den Zeitpunkt erleben, wo Sie die Laterne des Diogenes brauchen, um noch Zeitungen zu finden, die als seriös gelten und die diese Art von Regierungs- und Koalitionspolitik vertreten möchten.
Der Bundesregierung und ihrer Koalition empfehlen wir mit Ernst und Nachdruck: Ersetzen Sie die Hilflosigkeit der Maßhalte-Appelle an die SPD durch eigenen konstruktive, der Lage Rechnung tragende harte Arbeit, bei der Sie Ihre immer wieder behauptete politische Kraft durch Mut zu Entscheidungen beweisen können.
Meine Damen und Herren, falls Sie heute in der Debatte noch einmal auf unsere politischen Vorstellungen zurückkommen möchten, die wir in unserem Regierungsprogramm vor der Wahl dieses Bundestages entwickelt oder die wir auf unserem Karlsruher Parteitag erneut in diese Zeit hineingestellt haben, dann sind wir bereit, mit Ihnen auch darüber ein ernstes Wort zu sprechen. Aber denken Sie daran, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition: Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen.