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    1. tocInhaltsverzeichnis
      Deutscher Bundestag 137. Sitzung Bonn, den 15. Oktober 1964 Inhalt: Glückwünsche zum 70. Geburtstag des Herrn Bundespräsidenten 6761 A Erweiterung der Tagesordnung 6761 A Wahl des Abg. Dr. Achenbach zum Mitglied des Europäischen Parlamentes . . . . 6763 A Wahl des Abg. Dr. Hellige zum ordentlichen Mitglied der Beratenden Versammlung des Europarates und der Versammlung der Westeuropäischen Union 6763 A Wahl des Abg. von Mühlen zum Stellvertretenden Mitglied der Beratenden Versammlung des Europarates und der Versammlung der Westeuropäischen Union 6763 A Fragestunde (Drucksachen IV/2586, IV/2599) Fragen des Abg. Wächter: Viehschädigungen durch Düsenjägerlärm — Äußerungen des Generals Panitzki betr. einen zweiten „Grünen Plan" von Hassel, Bundesminister . . . 6764 B Wächter (FDP) . . . . . . . . 6765 A Frage des Abg. Kaffka: Äußerung des Generals Panitzki betr. Opferbereitschaft des deutschen Volkes von Hassel, Bundesminister . . 6765 B, C, D, 6766 B Kaffka (SPD) 6765 C Cramer (SPD) 6765 C, D Gerlach (SPD) . . . . . . . 6765 D Frau Dr. Flitz (FDP) 6766 A Wächter (FDP) . . . . . . . 6766 B Frage des Abg. Dr. Müller-Emmert: Umgehungsstraße der B 270 . . . . 6766 C Frage des Abg. Schwabe: Mittel für den Straßenbau 1964 . . . 6766 D Frage des Abg. Schwabe: Kapazität des deutschen Straßenbaugewerbes 6766 D, 6767 A Frage des Abg. Schwabe: Sofort-Maßnahmen zur Behebung des Straßenbaunotstandes . . 6766 D, 6767 A Frage des Abg. Bading: Bundesstraße 253 . . . . . . . . 6767 A II Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Oktober 1964 Frage des Abg. Flämig: Verkehrsverhältnisse an der Einmündung der Bundesstraße 43 in die Bundesstraße 8 6767 B Frage des Abg. Flämig: Straßenbrücke über den Main mit Anschluß an die Bundesbahnstraßen bei Hanau 6767 C Frage des Abg. Flämig: Ausbau der Bundesstraße 40 im Land- kreis Gelnhausen 6767 D Frage des Abg. Peiter: Teilstück der Lahntalstraße DiezLaurenburg 6767 D Frage des Abg. Josten: Straßentunnel der B 267 bei Altenahr Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister 6768 A, B Josten (CDU/CSU) 6768 B Frage des Abg. Dr. Luda: Entgiftung der Auspuffgase Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister 6768 C, D, 6769 A Dr. Luda (CDU/CSU) 6768 D Büttner (SPD) . . . . . 6768 D, 6769 A Frage des Abg. Dr. Kohut: Umgehungsstraße im Zuge des MainNeckar-Schnellweges Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 6769 B Dr. Kohut (FDP) 6769 B Frage des Abg. Dr. Kohut: Ost-Tangente von der B 8 über den Main bei Groß- und Klein-Auheim Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister 6769 C, D Dr. Kohut (FDP) 6769 C Frage des Abg. Dr. Imle: Ausbau der B 76 von Flensburg nach Schleswig Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 6769 D, 6770 A Dr. Imle (FDP) 6770 A Frage des Abg. Moersch: Bauzaun an der Saale-Brücke Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 6770 B Frage des Abg. Dr. Schmidt (Wuppertal) : Auswirkungen des Personenkraftverkehrs auf die öffentlichen Verkehrsmittel Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 6770 C, 6771 A, B, C Dr. Müller-Hermann (CDU/CSU) . . 6770 D Geiger (SPD) . . . . . . . 6771 B, C Frage des Abg. Kaffka: Bundesstraße 10 Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister 6771 C, D, 6772 A Kaffka (SPD) . . . . . 6771 D, 6772 A Frage des Abg. Lemper: Schienenbusse im Kreis Bergheim Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister 6772 A, C Lemper (SPD) . . . . . . . . . 6772 B Frage des Abg. Lemper: Personenbeförderung im Kreis Bergheim Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 6772 C Frage des Abg. Lemper: Bundesbahnbusse im Kreis Bergheim Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister 6772 D, 6333 B, C, D Lemper (SPD) 6773 A Dr. Kohut (FDP) 6773 A Ritzel (SPD) 6773 B, C Frage des Abg. Hilbert: Wohnungsmieten in bundesbahneigenen Gebäuden Dr.-Ing. Seebohm,' Bundesminister 6773 D Hilbert (CDU/CSU) 6774 B Geiger (SPD) 6774 B Dröscher (SPD) 6774 C Frage des Abg. Hilbert: Tragbare Wohnungsmieten in bundesbahneigenen Wohnungen Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister 6774 D Geiger (SPD) 6774 D Frage des Abg. Anders: Finanziell geförderte Wohnungen — Mieterhöhungen Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 6775 A Anders (SPD) . . . . . . . . . 6775 A Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Oktober 1964 III Fragen des Abg. Eisenmann: Bauzustand der Ufer des Nord-OstseeKanals Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 6775 C Frage des Abg. Müller (Erbendorf) : Ausbau der Bundesstraße 15 Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 6776 A Müller (Erbendorf) (SPD) . . . . 6776 B Frage des Abg. Folger: Schülermonatskarten für Praktikanten Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister 6776 C Folger (SPD) 6776 C Frage des Abg. Schmitt-Vockenhausen: Schleuse Kostheim am Main Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 6776 D Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . . 6777 A Frage des Abg. Dröscher: Handhabung des Grundstücksverkehrsgesetzes Schwarz, Bundesminister . . . 6777 A Dröscher (SPD) 6777 C Frage des Abg. Dröscher: Unterstützung der Forstwirtschaft Schwarz, Bundesminister . . . . 6777 D Dräscher (SPD) . . . . . . . . 6778 B Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1965 (Haushaltsgesetz 1965) (Drucksache IV/2500) — Erste Beratung —; in Verbindung mit Entgegennahme einer Erklärung des Bundeskanzlers Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundeskanzler . 6778 C Dr. Barzel (CDU/CSU) 6788 C Erler (SPD) . . . . . . . . 6794 C Zoglmann (FDP) 6810 A Dr. h. c. Strauß (CDU/CSU) . . . 6816 A Frau Strobel (SPD) 6831 A Scheel, Bundesminister . . . . 6835 D Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . 6836 B Dr. Carstens, Staatssekretär . . 6840 A Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister . . . . . . 6843 A Leber (SPD) 6844 B Katzer (CDU/CSU) . . . . . . 6849 D Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . 6851 D Riedel (Frankfurt) (CDU/CSU) . . 6855 C Mündlicher Bericht des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Durchführung der Verordnung Nr. 13/64/EWG (Milch- und Milcherzeugnisse) des Rats der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Durchführungsgesetz EWG Milch und Milcherzeugnisse) (Drucksachen IV/2260, IV/2387, IV/2457, IV/2603) und Mündlicher Bericht des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Durchführung der Verordnung Nr. 14/64/EWG (Rindfleisch) des Rats der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Durchführungsgesetz EWG Rindfleisch) (Drucksachen IV/2254, IV/2366, IV/2458, IV/2604) Brand (CDU/CSU) . . . . . . 6809 B Nächste Sitzung 6856 D Anlage 6857 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Oktober 1964 6761 137. Sitzung Bonn, den 15. Oktober 1964 Stenographischer Bericht Beginn: 9.01 Uhr
    2. folderAnlagen
      Anlage zum Stenographischen Bericht Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Dr. Aigner* 16. 10. Frau Albertz 16. 10. Dr. Aschoff 16. 10. Dr.-Ing. Balke 16. 10. Frau Berger-Heise 16. 10. Frau Brauksiepe 16. 10. Dr. von Brentano 15. 11. Dopatka 17. 10. Ehren 14. 11. Faller* 16. 10. Flämig 16. 10. Dr. Dr. h. c. Friedensburg* 16. 10. Dr. Furler* 16. 10. Gehring 23. 10. Gräfin vom Hagen 31. 10. Hahn (Bielefeld)* 16. 10. Dr. Hahn (Heidelberg) 16. 10. Hammersen 16. 10. Heiland 18. 10. Dr. Dr. Heinemann 16. 10. Heix 23. 10. Hellenbrock 16. 10. Frau Dr. Heuser 20. 10. Holkenbrink 15. 10. Illerhaus* 16. 10. Jacobi (Köln) 16. 10. Kahn-Ackermann 20. 11. Kalbitzer 16. 10. Klinker* 16. 10. Könen (Düsseldorf) 16. 10. Koenen (Lippstadt) 16. 10. Kraus 31. 10. Kubitza 31. 10. Freiherr von Kühlmann-Stumm 4. 11. Lenz (Bremerhaven) 15. 10. Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Lenz (Brühl)* 16. 10. Liehr 31. 10. Dr. Löhr* 16. 10. Lücke (Bensberg) 16. 10. Lücker (München)* 16. 10. Frau Meermann 16. 10. Memmel 31. 10. Dr. von Merkatz 16. 10. Michels 15. 10. Mick 16. 10. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller 18. 11. Murr 16. 10. Peters (Norden) 31. 10. Peters (Poppenbüll) 16. 10. Dr.-Ing. Philipp * 16. 10. Pöhler 16. 10. Rademacher 16. 10. Rauhaus 23. 10. Reichhardt 31. 10. Rollmann 31. 10. Ruf 16. 10. Seidel (Fürth) 24. 10. Seidl (München) 16. 10. Dr. Serres 16. 10. Spies 16. 10. Spitzmüller 15. 10. Stein 16. 10. Wehking 15. 10. Weinkamm ** 16. 10. Dr. Willeke 23. 10. Dr. Zimmer 16. 10. Frau Zimmermann (Brackwede) 15. 10. b) Urlaubsanträge Börner 23. 10. *) Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments.

    Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
    • insert_commentNächste Rede als Kontext
      Rede von Dr. Ludwig Erhard


      • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
      • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


      (Beifall bei den Regierungsparteien.)


      (Sehr wahr! und Beifall bei den Regierungsparteien.)





      (Beifall bei den Regierungsparteien.)


      (Beifall bei den Regierungsparteien.)


      (Sehr richtig! in der Mitte.)


      (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)


      (Beifall bei den Regierungsparteien.)


      (Beifall bei den Regierungsparteien.)


      (Sehr gut! bei der CDU/CSU)


      (Beifall bei den Regierungsparteien.)


      (Beifall bei den Regierungsparteien.)


      (Beifall bei den Regierungsparteien.)


      (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)





      (Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)


      (Beifall bei den Regierungsparteien.)


      (Beifall bei den Regierungsparteien)


      (Zuruf von der SPD: Maßhalten!) merkwürdig genug anmutet,


      (Zurufe von der SPD)


      (Beifall bei den Regierungsparteien.)


      (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)


      (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)


      (Beifall bei den Reagierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)

      — Schwören Sie nicht wieder ab, meine Damen und Herren, werden Sie nicht rückfällig!

      (Beifall bei der CDU/CSU.),

      Bei Jailer Zufriedenheit mit dem Erreichten kommt es heute vor allem darauf an, den hohen Leistungsstand unserer Wirtschaft und die finanzielle Leistungskraft als Voraussetzung jedes weiteren sozialen Fortschritts zu erhalten und zu mehren. Die Bundesregierung hat daher im Interesse der Sicherung der Stabilität von Wirtschaft und Währung die Zuwachsraten der Bundeshaushalte für 1964 und 1965 auf den realen Zuwachs des Bruttosozialprodukts begrenzt.
      Seien Sie überzeugt, daß es der Bundesregierung nicht immer leicht gefallen ist, manche berechtigten oder verständlichen Wünsche zurückstellen zu müssen. Sie ist indessen unbeirrt der Überzeugung, daß die Stabilerhaltung unserer Währung oberstes Gebot für alle sein muß,

      (Beifall bei den Regierungsparteien)

      wenn dann auch nicht alle Anliegen gleichzeitig erfüllt wenden können. Es ist ein Selbstbetrug, zu glauben, daß die Überforderung der Volkswirtschaft, die überall als die entscheidende Quelle von Preissteigerungen anzusehen ist, einem Volke nützen kann. Das Gegenteil ist der Fall.
      Ich kann im übrigen mit Genugtuung feststellen, daß sich auch fast alle Länder dem disziplinierten Verhalten der Bundesregierung angeschlossen und die Steigerung ihrer Haushalte ebenfalls an der realen Zuwachsrate des Bruttosozialprodukts orientiert haben. Mit Sorge betrachte ich allerdings, daß sich die Erkenntnis von der Notwendigkeit einer konjunkturgerechten Ausgabenpolitik bei den Gemeinden offenbar nicht im gleichen Maße durchgesetzt hat.

      (Zurufe von der SPD.)

      — Eine objektive Tatsache, meine Damen und Herren.

      (Abg. Wehner: Sie sind selber eine Tatsache, das ist klar!)

      Ich möchte mit dem Finanzminister das Hohe Haus,
      d. h. alle Fraktionen, dringend bitten, dieser Politik
      derStabilität die Gefolgschaft nicht zu versagen.
      Mit der Entscheidung über diesen Haushalt tragen
      Regierung und Bundestag eine hohe Verantwortung
      für die Erhaltung der Kaufkraft unserer Währung.
      Wir wissen, die Wirtschaftsentwicklung war zu
      Beginn dieses Jahres überschattet von der Sorge um
      die Erhaltung der Preisstabilität. Gefahren drohten
      vor allem von inflationären Entwicklungen in einigen europäischen Nachbarländern. Der von der
      Übernachfrage im europäischen Raum ausgelöste
      Sog nach preiswerten deutschen Waren sowie die
      durch den Preisanstieg im Ausland bedingte Abschwächung der deutschen Importe ließen unsere
      Ausfuhrüberschüsse um die Jahreswende 1963/64



      Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
      extrem ansteigen. Hinzu kam ein starker Zustrom von ausländischem Kapital. Die Besorgnis war berechtigt, daß die Bundesrepublik in den Strudel jener inflationären Bewegungen hineingezogen werden könnte, ja vielleicht sogar müßte, wenn nicht rasch wirksame Abwehrmaßnahmen ergriffen wurden.
      In erster Linie galt es, die EWG-Partner von der Notwendigkeit einer energischen Politik der Inflationsbekämpfung zu überzeugen. Das auf deutsche Initiative zustande gekommene Stabilisierungsprogramm der EWG vom April dieses Jahres war ein bedeutsamer Erfolg in dieser Richtung. Gleichzeitig bereitete die Bundesregierung Maßnahmen zur Abwehr des unerwünschten Kapitalzustroms und zur Förderung des Kapitalexports vor. Daneben hat die Bundesbank in enger Fühlungnnahme mit der Regierung auf dem Gebiet der Währungs- und Kreditpolitik eine Reihe von ergänzenden Regelungen getroffen. Auf dem Felde der Handelspolitik nutzte die Bundesregierung den ihr noch verbliebenen Spielraum autonomen Handelns weitgehend aus, indem sie dem Hohen Hause eine Senkung des. EWG-Binnentarifs um 50 % und eine Herabsetzung der noch über dem Gemeinsamen Zolltarif der EWG liegenden deutschen Außenzollsätze vorschlug. Außerdem ergriff die Bundesregierung eine Initiative zur Senkung der Außenzölle der EWG. Sie wird auch weiterhin alles tun, um den Gemeinsamen Markt stärker zu öffnen.
      Der Bundesregierung wurde für ihre Stabilisierungsbemühungen von der Kommission der EWG besonderes Lob gezollt. Es ist großenteils der Aktivität der Bundesregierung zuzuschreiben, daß wir das güterwirtschaftliche und monetäre Gleichgewicht im ganzen recht gut bewahren konnten. Bei einem internationalen Vergleich des Anstiegs der Verbraucherpreise seit 1950 zeigt sich, daß die Bundesrepublik für die rückliegenden 14 Jahre zu jenen Ländern des freien Westens gehört, die, etwa auf gleicher Höhe mit Belgien, Schweiz, USA und Kanada, den geringsten Preisauftrieb zu verzeichnen haben. Die Erhöhungen schwanken in diesen Ländern, 1950 = 100 % gesetzt, um 30 bis 35 %. Vergleichsweise steht der Index, auf gleicher Basis umgerechnet, für Dänemark auf +69 %, Italien +72 %, Großbritannien +70 %, Schweden +78 %, Norwegen +84 %.

      (Zuruf von der CDU/CSU: Nach Norden schauen!)

      Andere Länder weisen noch höhere Sätze aus. Die Bundesrepublik hat sich also tatsächlich als eine Insel wirtschaftlicher Stabilität erwiesen und mit ihrem Verhalten zugleich einen stabilisierenden Einfluß auf die übrigen westeuropäischen Länder ausgeübt.

      (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP.)

      Ein halbes Jahr nach den eingeleiteten konjunkturpolitischen Maßnahmen können wir mit Befriedigung eine nachhaltige Entspannung der außenwirtschaftlichen Situation feststellen. Seit dem Frühjahr dieses Jahres geht der Handelsbilanz-Überschuß von
      Monat zu Monat kontinuierlich zurück. Der Zustrom von Auslandskapital hat Ende März aufgehört und wurde sogar von einem Netto-Abfluß abgelöst. Seit der Jahresmitte bahnt sich allerdings beim langfristigen Kapitalverkehr mit dem Ausland wieder ein Überschuß an, der die Notwendigkeit einer alsbaldigen Verabschiedung des Gesetzes zur Einführung der Kapitalertragsteuer besonders unterstreicht. Käme dieses Gesetz nicht zustande, so wäre fast mit Sicherheit zu erwarten, daß wir bald wieder vor ähnlichen Problemen wie zu Beginn dieses Jahres stehen.
      Sowohl beim Staatsverbrauch als auch bei den öffentlichen Investitionen ist immerhin eine Verlangsamung der Expansion festzustellen. Nicht zuletzt aber verdanken wir es dem vernünftigen Verhalten der Konsumenten, daß wir von einer schädlichen Konjunkturüberhitzung verschont blieben. Die Ersparnisse der privaten Haushalte haben im ersten Halbjahr 1964 mit 22 % weit stärker als die Einkommen zugenommen; die Sparquote erreichte mit gut 101/2 % eine Rekordhöhe.
      Die Preisentwicklung selbst zeigt zwar, daß wir gewiß noch nicht aller konjunkturpolitischen Sorgen ledig sind; immerhin blieb der Anstieg der Verbraucherpreise von Januar bis August 1964 mit 1,4 % niedriger als in der entsprechenden Vorjahrszeit mit 1,6 %. Zu den Ursachen, die eine völlige Preisstabilität erschwerten, gehört neben den notwendigen Preisanpassungen in den öffentlich reglementierten Bereichen eine in diesem Jahr besonders starke Verteuerung auf den Weltrohstoffmärkten.
      Die Bundesregierung zieht aus den konjunkturpolitischen Erfahrungen dieses Jahres vor allem die Schlußfolgerung, daß bei dem gegenwärtigen Stand der Integration alles getan werden muß, um die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Konjunktur- und Währungspolitik wesentlich zu verstärken. Sie wird auch im Rahmen ihrer EuropaInitiative hierzu neue Vorschläge unterbreiten.
      Nach dem Zusammenbruch haben wir ein System der sozialen Sicherheit geschaffen, das es auch den alten und arbeitsunfähigen Menschen sowie den Opfern des Krieges ermöglicht, frei von Not und Sorge zu leben. Nach Untersuchungen der EWG-Kommission weist die Bundesrepublik im Durchschnitt der Jahre 1955 bis 1960, gemessen am Volkseinkommen, die höchsten Leistungen für die soziale Sicherheit auf, und seit 1960 wurden bekanntlich weitere wesentliche Verbesserungen vorgenommen. Die Bundesrepublik gehört zu den Ländern mit den höchsten Sozialleistungs-Quoten in der Welt.

      (Abg. Dr. Mommer: Das haben wir Ihnen abgetrotzt!)

      Gleichwohl sind wir gewillt, das System der sozialen Sicherungen vor allem auch qualitativ weiter zu verbessern.

      (Beifall in der Mitte.)

      Die Lage der alten Menschen ist zu einem besonders dringlichen Sozialproblem geworden. Zwar hat die Rentenreform die wirtschaftliche Lage der meisten alten Mitbürger weitgehend gebessert, aber wir



      Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
      müssen über das Materielle hinaus den alten Menschen auch zu Lebensbedingungen verhelfen, die ihrer Lage gemäß sind. Die Bundesregierung wird dieses Problem zusammen mit den Ländern und Gemeinden verstärkt in Angriff nehmen.
      In meiner Regierungserklärung habe ich die Bedeutung jener Anstrengungen unterstrichen, die dem Ausbau unseres Bildungswesens, des Gesundheitswesens, der Raumordnung und des Verkehrsnetzes dienen. Unsere Haushaltspolitik wird sich in Zukunft verstärkt auf die Förderung dieser „Sozialinvestitionen" ausrichten müssen. Sozialinvestitionen sind vordringliche Anliegen des Gemeinwohls, sie bereichern das Leben jedes einzelnen Bürgers.

      (Beifall bei den Regierungsparteien.)

      Alle diese Anstrengungen dienen nicht allein der Wohlstandssicherung. Wir müssen mehr noch als bisher erkennen, daß Sozialinvestitionen im weiteren, aber recht verstandenen Sinne die Voraussetzung für eine bessere Lebensordnung überhaupt schaffen. Mehr und bessere Sozialinvestitionen kommen indirekt auch dem privaten Lebensstandard zugute und verbessern dazu noch die Leistungsfähigkeit und Wettbewerbskraft unserer Wirtschaft. Das bedeutet durchaus nicht: Mehr Staat in der Wirtschaft, wohl aber mehr öffentliche Vorsorge in all jenen Bereichen, die die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen unseres Lebens setzen.
      Der Aufwand für Sozialinvestitionen ist in meinen Augen fast gleich bedeutsam wie der Sozialkonsum selbst. Der Ihnen vorliegende Haushalt für das Jahr 1965 enthält eine Reihe von deutlichen Ansatzpunkten, die diesem Grundsatz Rechnung tragen. Eine solche Politik kann indessen nur bei langfristiger Anlage Erfolg haben. Sie erfordert nicht zuletzt eine gute Zusammenarbeit von Regierung und Parlament und setzt den Mut voraus, überwuchernden partiellen Wünschen die Zustimmung zu versagen, wenn es um das Gemeinwohl geht. Hier handelt es sich im wahrsten Sinne um eine langfristige Aktion des politischen und ökonomischen Gemeinsinns. Sie ist vergleichbar mit der Wirtschafts- und Währungsreform der ersten Jahre unserer politischen Arbeit. Ich werde mich dieser Aufgabe besonders annehmen, aber rechne dabei nicht minder auf Ihrer aller Unterstützung.
      Auf allen Gebieten des Verkehrs hat die Bundesrepublik erhebliche Mittel eingesetzt. Mit ihren Ausgaben für den Straßenbau steht sie schon heute — das verdient wiederholt zu werden — an zweiter Stelle hinter den Vereinigten Staaten. Aber es bleibt noch sehr viel zu tun. Die drei Binnenverkehrsträger Schiene, Straße und Binnenschiffahrt befinden sich in einer Phase starker struktureller Umstellung.
      Ich kann an dieser Stelle nicht darauf verzichten, ein Wort zu der Veröffentlichung einzelner Teile eines Berichts der Deutschen Bundesbahn über Rationalisierungsmaßnahmen zu sagen. Dieser Bericht ist gestern durch eine sozialdemokratische Pressemitteilung in Auszügen veröffentlicht worden, offenbar nicht mit der Absicht, einen verkehrspolitischen Beitrag zu leisten, sondern um Unruhe und Unsicherheit zu stiften.

      (Zustimmung bei den Regierungsparteien. — Lachen und Zurufe bei der SPD. — Abg. Rasner: Nur!)

      Dieses durchsichtige Verfahren ist im Interesse der Deutschen Bundesbahn und ihrer Mitarbeiter entschieden abzulehnen.

      (Beifall bei den Regierungsparteien.)

      Wir brauchen gute Lösungen, aber keinen politischen Krawall.

      (Lebhafter Beifall in der Mitte. — Lachen bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Das kann man verstehen! — Abg. Dr. Schmidt Unruhe bei der SPD.)


      (Wuppertal): Das war ein gutes Wort! —

      Die Bundesregierung hat ihren ablehnenden Standpunkt bereits bekanntgegeben. Gewiß müssen Personen- und Güterverkehr neu geordnet werden. Strukturpläne für die nächsten Jahre sollen das Leistungsangebot der Verkehrsträger verbessern und modernisieren. Ziel der Neuordnung ist eine volkswirtschaftlich und technisch optimale Verteilung der Aufgaben auf die einzelnen Verkehrsträger. Mit einer solchen langfristigen Modernisierung und Rationalisierung will die Bundesregierung zusammen mit den Ländern und Gemeinden für den Bereich des Verkehrs die Voraussetzungen einer besseren Ordnung schaffen und die Leistungsfähigkeit und Wettbewerbskraft der Wirtschaft stärken. Die Bundesregierung hat die notwendigen Vorarbeiten eingeleitet.
      Lassen Sie mich noch auf eine weitere wichtige Gemeinschaftsaufgabe zu sprechen kommen, die wir vordringlich bewältigen müssen, ich meine die Raumordnung. Der wirtschaftliche Aufstieg in der Bundesrepublik hat sich bisher naturgemäß auf der Basis der gegebenen Wirtschafts- und Sozialstruktur vollzogen. Bereits vorhandene strukturelle Mängel sind dabei oft noch verstärkt worden. Wohl ist schon manches geschehen. Das trifft besonders für den Bereich der regionalen Wirtschaftsförderung und der Ansiedlung von Flüchtlingsindustrien zu. Gleichwohl bleiben uns aber noch große Aufgaben gestellt. Ich denke dabei insbesondere an Maßnahmen zur strukturellen Verbesserung in den Ballungsräumen, an die Förderung der wirtschaftlich schwachen Gebiete und an die Erneuerung unserer Städte und Dörfer. Nur so kann auf die Dauer ein gesundes Leben der Bevölkerung im ausgewogenen soziologischen Verhältnis zwischen Stadt und Land erreicht werden. Ich bitte daher den Bundestag, den Entwurf des Raumordnungsgesetzes möglichst bald zu verabschieden, damit dieses Vorhaben in verstärktem Maße verwirklicht werden kann.
      Zu den großen Gemeinschaftsaufgaben gehört nicht zuletzt auch die Familienpolitik. Ihr tiefster Sinn liegt in dem Bemühen, die Familie in ihrem Wert und in ihrer Aufgabe als Kernzelle jeder gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung zu schützen.

      (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)




      Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
      Wo sich die Familie zurückzieht, rückt der Staat nach. Aber der Staat kann und soll nicht allmächtig und nicht allzuständig sein.

      (Beifall bei den Regierungsparteien.)

      Wir verneinen diese Allzuständigkeit des Staates und sehen es daher als unsere Aufgabe an, der Familie in der Erfüllung ihrer eigentlichen Bestimmung zu helfen.
      Eine soziale Familienpolitik muß .der Jugend ohne Rücksicht auf die finanzielle Leistungsfähigkeit der Eltern eine an der Begabung ausgerichtete Berufsmöglichkeit eröffnen.

      (Zurufe von der SPD.)

      Wir erstreben, ,daß mehr Kinder auch aus Schichten mit geringerem Einkommen, insbesondere aus Arbeiterfamilien, höhere Schulen und Universitäten besuchen wollen und können. Es empfiehlt sich dabei, die in den letzten Jahren geschaffenen Grundlagen weiter auszubauen. Zu Beginn dieses Jahres wurden das Kindergeldgesetz verbessert und die Leistungen auf den Bundeshaushalt übernommen. Daneben wurden auch die Kinderzuschläge im öffentlichen Dienst erhöht. Das Steueränderungsgesetz 1964 sieht weitere Entlastungen der Steuerzahler mit Kindern vor.
      Ein weiterer zielbewußter Ausbau des Familienlastenausgleichs bleibt auch künftig eine der wichtigsten Aufgaben unserer Gesellschafts- und Sozialpolitik.

      (Beifall in der Mitte.)

      Zu ihm gehört auch die Förderung der Bildung und Ausbildung aller jungen Deutschen, die in der Zukunft neben der Meisterung ihres eigenen Schicksalls die Verantwortung für unser Land zu tragen haben. Zwischen dem Wachstum der materiellen und der geistigen Kräfte muß in der Nation ein ausgewogenes Verhältnis bestehen, wenn nicht die Gefahren des materiellen Wohlstandes auf die Dauer seinen Nutzen ernsthaft in Frage stellen sollen.
      Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Ausgaben für eine verbesserte Ausbildung, die den gesteigerten Anforderungen von heute und morgen gerecht werden soll, zu den wichtigsten Investitionen des Staates gehören. Deswegen sollten als nächster Schritt auf diesem Wege wirksame Ausbildungsbeihilfen vor allem jenen Familien zugute kommen, die das Opfer für eine qualifizierte und daher kostspielige Ausbildung ihrer Kinder auf sich nehmen.

      (Beifall bei der CDU/CSU.)

      Seit vielen Jahren ist die Bundesregierung auch bemüht, die Eigentums- und Vermögensbildung in breitesten Schichten der Bevölkerung zu fördern. Diese Politik erwies sich trotz Ablehnung durch die Opposition als erfolgreich.

      (Lachen bei der SPD.)

      Wir — ich möchte das unterstreichen —, wir begannen mit dieser Politik, die heute schon in vielen Ländern als beispielhaft empfunden wird.

      (Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

      Wir werden sie konsequent fortsetzen.

      (Abg. Wehner: Natürlich!)

      Es wurden in der Bundesrepublik 21/2 Millionen Eigenheime und Eigentumswohnungen gebaut, die sich überwiegend in Händen von Arbeitnehmern befinden.

      (Beifall bei der CDU/CSU.)

      Dazu wurden drei Millionen Sozialwohnungen erstellt. Seitens der öffentlichen Hand wurden 30 Milliarden ,DM für den Wohnungsbau aufgewendet. In diesen Wochen wird die achtmillionste Wohnung fertiggestellt.

      (Hört! Hört! und Beifall bei der CDU/CSU.)

      Die Bundesregierung prüft zur Zeit alle Möglichkeiten, um breiten Schichten der Bevölkerung das Recht einzuräumen, die mit öffentlichen Mitteln bereits erstellten und die künftig zu errichtenden Wohnungen als Eigentum erwerben zu können.

      (Beifall in der Mitte.)

      Das Prämiensparen wird vereinheitlicht werden. Zur Zeit arbeitet ein besonderer Kabinettsausschuß an neuen Vorschlägen für eine verstärkte Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer.

      (Zuruf von der SPD: Und warum?)

      Dabei wird auch zu prüfen sein, ob und in welcher Form individuelle Sparleistungen des Arbeitnehmers durch entsprechende Zuleistungen des Arbeitgebers gefördert werden können.
      Die Bundesregierung lehnt die Konzentration massenhaften Vermögens in der Verfügung weniger oder in kollektiv verwalteten Fonds ebenso ab

      (Zuruf von der SPD: Wie schön!)

      wie etwa ein Verfügungsrecht der Tarifpartner über die Verwendung eines Teils des Lohnes.

      (Beifall bei den Regierungsparteien.)

      Auch wünscht sie keine zu langfristige Bindung dieser Mittel. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß an der Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers über die Verwendung aller Anteile seines Einkommens festgehalten werden muß.

      (Beifall bei den Regierungsparteien.)

      Der Arbeitnehmer soll nicht Eigentümer minderen Rechts werden. Insbesondere muß dem Arbeitnehmer stets auch ein Wechsel der Anlageform zugestanden werden.

      (Beifall bei den Regierungsparteien.)

      Volkswirtschaftlich wäre es auch nicht zu verantworten, den deutschen Kapitalmarkt in eine Vielzahl von branchengebundenen bzw. brancheninteressierten Spartöpfen aufzuspalten und damit praktisch funktionsunfähig werden zu lassen.

      (Beifall bei den Regierungsparteien.)

      Das Steueränderungsgesetz 1964 wird mit der Entlastung der Steuerzahler einen weiteren Beitrag zur Bildung privater Ersparnisse leisten.

      (Abg. Wehner: Bei wem denn?!)




      Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
      Der erfolgreiche Weg der Überführung von Anteilsrechten an Bundesunternehmen in privater Hand wird in Kürze durch die bevorstehende Teilprivatisierung der VEBA fortgesetzt werden.
      Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich über Europa sprechen.

      (Abg. Wehner: Wird auch privatisiert!)

      Mit meinem Amtsantritt sind die Gespräche über eine gemäße Form der politischen Zusammenarbeit Europas, die 1962 ins Stocken gerieten, wieder in Gang gekommen. Wir ließen uns dabei von der Erkenntnis leiten, daß Europa im Weltgeschehen nur dann das ihm zukommende Gewicht erhalten wird, wenn in das Einigungswerk, das mit der Schaffung der Europäischen Gemeinschaften begonnen wurde, die Bereiche der Außenpolitik, der Verteidigung und der kulturellen Beziehungen einbezogen werden. Unserem alten Kontinent Gestalt und Kraft in der Gemeinschaft zu geben, ist die Voraussetzung für eine echte Partnerschaft zwischen Europa und Amerika im Rahmen des atlantischen Bündnisses. Das ist zugleich die Grundlage dafür, daß dieses Europa, das der Welt in der Vergangenheit so viel gegeben hat, auch in Zukunft an der Formung der Menschheitsgeschicke aktiv teilhaben und seiner Jugend hoffnungsvolle Möglichkeiten eröffnen kann.

      (Beifall bei den Regierungsparteien.)

      Als Fazit der politischen Gespräche, die ich in einer Reihe von Hauptstädten führte, ist festzustellen, daß zwar die Auffassungen über das, was kurzfristig realisierbar ist, noch nicht voll übereinstimmen, daß aber das Verständnis und auch der Wille, die politische Einigung Europas weiterzuführen, durchaus lebendig ist. Entscheidende Bedeutung kommt dabei zweifellos dem deutsch-französischen Verhältnis zu. Nach meiner Überzeugung ist das Einvernehmen zwischen diesen beiden Völkern die Voraussetzung jeder europäischen Politik überhaupt.

      (Beifall bei den Regierungsparteien.)

      Dieser Erkenntnis trägt die Bundesregierung bei ihren Bemühungen um die politische Einigung Europas in vollem Maße Rechnung.
      In den vergangenen Monaten hat die Bundesregierung Vorstellungen und Pläne entwickelt, die geeignet erscheinen, uns der politischen Einigung Europas näherzubringen und zugleich die Integration innerhalb der Europäischen Gemeinschaften zu beschleunigen. Beides ist notwendig: Die uns selbst gestellte Aufgabe konnte sich nicht darin erschöpfen, etwa nur den originären deutschen Standpunkt aufzuzeigen, sondern vielmehr die optimale Lösung zu suchen, d. h. ein Modell zu entwickeln, das Aussicht hat, von allen Partnern angenommen zu werden. Dieser Sachlage sollten sich auch jene Kritiker bewußt sein, die der Bundesregierung vor Abschluß der Konsultationen mangelnde Präzisierung vorwerfen.

      (Beifall in der Mitte. — Abg. Wehner: Das steht doch im „Rheinischen Merkur" !)

      Die aus diesen Gesprächen gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen werden uns in Kürze befähigen, einen Plan vorzulegen, der den Weg aufzeigen soll, der aus zunächst lockerer Zusammenarbeit in ein immer fester gefügtes europäisches Ordnungssystem einmündet. Wenn es dabei auch zweckmäßig erscheint, daß die Mitgliedstaaten der EWG den Anfang machen, so setzt eine Einigung doch voraus, daß sich in der Folge auch andere freie Länder Europas der sich formierenden politischen Gemeinschaft zugesellen können. Das gilt im besonderen im Hinblick auf Großbritannien, dessen Einbeziehung in das europäische Einigungswerk die Bundesregierung unverändert wünscht, aber es gilt nicht minder für unsere anderen europäischen Freunde.
      Wir hegen die Hoffnung, daß es noch in diesem Jahre zur Aufnahme von formellen Regierungsverhandlungen zwischen den Sechs kommt. In jedem. Falle werden wir es nicht an Geduld und Phantasie, aber auch nicht an Intensität des Bemühens fehlen lassen.
      Auch im wirtschaftlichen Bereich sind nach Auffassung der Bundesregierung neue Anstrengungen der sechs Mitgliedsstaaten erforderlich. Alle Möglichkeiten der Römischen Verträge sollen deshalb voll ausgeschöpft werden. Die deutsche Regierung tritt aus dem gleichen Grunde für die baldige Vollendung des Gemeinsamen Marktes ein. Das letzte Ziel muß die Zusammenfügung des ganzen freien Europas sein. Nur auf diese Weise erlangt unser Kontinent das ihm zukommende politische Gewicht.
      Unsere Entschlossenheit, ein wirtschaftlich und politisch geeintes Europa zu schaffen, wird ergänzt durch unsere Arbeit an der Begründung und Festigung der atlantischen Partnerschaft. Europa braucht diese Partnerschaft, da Frieden und Freiheit in der Welt nur durch gemeinsame Anstrengungen Nordamerikas und Europas mit Erfolg verteidigt werden können.

      (Beifall bei der CDU/CSU.)

      Dieses Bewußtsein ist bei uns in Deutschland besonders lebendig, weil wir die Gefahren unmittelbar erkennen und die Bedrohung vielleicht am stärksten empfinden. Unsere amerikanischen Freunde wissen umgekehrt, daß ihre Position in Europa und ihre Stellung in der Welt des festen Bündnisses mit einem starken europäischen Partner bedarf.
      Die Bundesregierung erblickt nach wie vor in einer allgemeinen und kontrollierten Abrüstung den Weg zu echtem und dauerhaftem Frieden, sofern die eigentlichen, die inneren Ursachen der Spannungen beseitigt werden. In diesem Sinne hat sich die Bundesregierung stets für die weltweite Verwirklichung eines allgemeinen Interessenausgleichs eingesetzt, und sie wird das auch weiterhin tun. Wir hegen jedoch Bedenken gegenüber solchen Einzelmaßnahmen, deren optische Wirkung nur geeignet ist, darüber hinwegzutäuschen, daß sich am Spannungszustand in der Substanz nichts geändert hat und daß der Westen als Ganzes, Europa und Deutschland, dadurch geschwächt werden würden.

      (Sehr gut! in der Mitte.)

      Die historische Erfahrung lehrt, daß nur ein echtes
      und ausgewogenes Geben und Nehmen eine Span-



      Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
      nung zur Ruhe kommen läßt und ein echter Frieden nur auf dieser Grundlage gefunden werden kann.
      Es ist unzählige Male dargelegt worden, welche Vorleistungen die Bundesregierung bereits erbracht hat, um auch den Staaten des Ostens den Beweis friedlicher deutscher Politik zu bezeugen. Obwohl wir feststellen müssen, daß alle Beweise unseres guten Willens einfach nicht zur Kenntnis genommen werden oder durch verlogene politische Hetze in das Gegenteil verfälscht werden, erkläre ich auch heute wieder, daß die Bundesregierung bereit ist, den Staaten des Ostens im Zuge einer Friedensregelung in Europa, die Deutschland als natürliche Einheit einschließt, alle denkbaren und zumutbaren Garantien anzubieten und gemeinsam mit unseren Verbündeten dafür einzustehen.

      (Beifall bei den Regierungsparteien.)

      Unsere Verteidigungskonzeption stützt sich auf die enge Zusammenarbeit mit unseren NATOVerbündeten. Die innere Struktur der Bundeswehr ist in den letzten Monaten Gegenstand öffentlicher Auseinandersetzung geworden, die noch nicht abgeklungen ist. Was zur Frage der „Inneren Führung" der Bundeswehr zu sagen ist, habe ich diesem Hause am 25. Juni dargelegt. Ich wiederhole heute meine Aussage, daß die Männer der Bundeswehr unsere volle Anerkennung und unser ganzes Vertrauen verdienen.

      (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zustimmung des Abg. Dr. Schmid [Frankfurt].)

      Daß, gemessen an der Größe der Bundeswehr, auch Unzulänglichkeiten zutage treten, soll uns den Blick für die Proportionen nicht trüben und darf unser politisches Urteil nicht verfälschen. Die äußere Struktur der Bundeswehr und das ihr zugrunde liegende strategische Konzept bedürfen zweifellos ständiger Überprüfung und Anpassung an die politischen, militärischen und technologischen Gegebenheiten.
      Es ist dafür gesorgt, daß die differenzierten Expertenmeinungen analysiert und gewogen werden,

      (Abg. Wienand: Wo?)

      um daraus im gemeinsamen Interesse den größten Nutzen ziehen zu können. Die NATO-Verteidigung bildet im Ganzen zugleich den Rahmen für die nationale Verteidigung. Diese vielseitige und vielschichtige Materie kann mithin auch nur in der Einheit verstanden werden. Unter den derzeitigen Gegebenheiten und unter Berücksichtigung unserer Lage ist sie insbesondere aus zwei Gründen unteilbar. Erstens: Der Aufbau unserer Streitkräfte als deutscher Beitrag zur NATO entspricht im wesentlichen der eingegangenen Verpflichtung. Nunmehr gilt es, die Bundeswehr auf einem modernen und schlagkräftigen Stand zu halten. Für die Bundesregierung stellt sich damit die Aufgabe, die territoriale Verteidigung und die Vielfalt der im zivilen Bereich erforderlichen Verteidigungsmaßnahmen mit dem ihnen gebührenden Rang zu behandeln, ohne die Effektivität ihrer .der NATO unterstellten Truppenverbände zu schmälern. Zu den nationalen und internationalen Verpflichtungen aus dieser Aufgabe
      treten zweitens die finanziellen und wirtschaftlichen Auswirkungen, die es zwingend geboten erscheinen lassen, im Rahmen einer Gesamtkonzeption all e r Verteidigungsmaßnahmen zu ausgewogener Verteilung von Prioritäten und Mitteln zu gelangen.
      Wenn heute innerhalb der NATO des öfteren von Krisen gesprochen wird, so sollte darüber doch nicht vergessen werden, daß die Verteidigungskraft der NATO heute stärker ist als je zuvor. Der unbestreitbare Erfolg dieses Bündnisses bestätigt, daß diese Form der Integration nationaler Streitkräfte zu einem notwendigen Bestandteil der internationalen Sicherheit geworden ist. Die NATO ist trotz aller Diskussionen in ihrer Struktur gesund. Ihre Notwendigkeit, wenn auch nicht ihre Organisation im einzelnen, wird überdies von keinem NATOstaat bestritten.
      Die unverzichtbare Notwendigkeit politischer und militärischer Zusammenarbeit gibt uns die Hoffnung, daß die NATO eines Tages zu einem wirklich integrierten Bündnis mit gemeinsamer Politik in einem umfassenderen Sinne werden wird. Wir streben dieses Ziel unbeirrt an. Die Bundesregierung ist jedoch auf diesem Wege bereits weiter gegangen, als andere Staaten bisher zu folgen bereit waren. Der militärischen Solidarität gegenüber dem gemeinsamen Gegner sollte entsprechend auch eine politische Solidarität in den wichtigsten Bereichen außenpolitischen Handelns sichtbar werden.
      Zu dem Projekt der multilateralen Atomstreitmacht ist folgendes zu sagen. Es ist heute fast auf den Tag genau ein Jahr vergangen, daß in Paris zwischen den NATO-Botschaftern von acht Partnerstaaten, nämlich der Vereinigten Staaten, Großbritanniens, Italiens, der Niederlande, Griechenlands, Belgiens, der Türkei und Deutschlands, die Beratungen über den amerikanischen Vorschlag zum Aufbau einer multilateralen Atomstreitmacht begonnen haben. Dieser Plan, der die Bildung einer strategischen Atomstreitmacht von etwa 25 Schiffen mit ca. 200 strategischen Nuklearraketen vom Typ Polaris A 3 vorsieht, wurde im Laufe dieses Jahres seitens der beteiligten Staaten eingehend beraten. Diese Verhandlungen haben zu einer Klärung der meisten Sachfragen und zu einer weitgehenden Übereinstimmung geführt. Der Stand der Arbeiten berechtigt zu der Hoffnung, daß bis Ende dieses Jahres ein unterschriftsreifer Vertrag über die Gründung der MLF erarbeitet werden kann.
      Die Bundesregierung hat bereits unter meinem Amtsvorgänger einer Teilnahme an den Beratungen des Projekts zugestimmt und ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Mitwirkung an der MLF erklärt. Ich bin überzeugt, daß die Verwirklichung dieses Projekts nicht nur im Interesse der gesamten Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft liegt, sondern auch dem europäischen Interesse dient. Die MLF basiert auf dem Grundsatz der Nichtverbreitung von Atomwaffen, nämlich einer Nichtvermehrung derjenigen Staaten, die eine eigene nationale Kontrolle über Atomwaffen ausüben.
      Wir streben, um das deutlich und unmißverständlich zu sagen, eine multilaterale Streitmacht an, d. h.



      Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
      eine solche, an der sich möglichst viele europäische Staaten beteiligen. Wir möchten zudem darauf vertrauen dürfen, daß eine Reihe der angesprochenen Länder mit den USA und uns zusammen den in Vorbereitung befindlichen Vertrag unterzeichnen werden.
      Die Bundesregierung hat oft genug versichert, daß ihr nichts ferner liegt, als die Sowjetunion zu bedrohen. Solange uns aber umgekehrt vom Osten her sozusagen täglich der Schrecken der Atomwaffen und Raketen vor Augen geführt wird, ist es die Pflicht der Bundesregierung als der Sachwalterin der Lebensinteressen des deutschen Volkes und auch aus der Verantwortung für Europa, nach Mitteln und Wegen zu suchen, dieser ständigen Bedrohung im Bündnis mit der freien Welt wirksam begegnen zu können.

      (Beifall bei den Regierungsparteien.)

      Die politische Notwendigkeit gebietet uns, einen Weg zu finden, die europäischen und amerikanischen Interessen am atomaren Schutz Europas zusammenzuführen und ihnen sichtbaren Ausdruck zu verleihen.
      Was unsere Beziehungen zur Sowjetunion anlangt, so haben wir in den vergangenen Jahren wiederholt Vorschläge unterbreitet, die nach unserer Überzeugung zu einer Normalisierung der Beziehungen hätten führen können. Zu unserem Bedauern mußten wir jedoch feststellen, daß bisher alle unsere Bemühungen an der starren Deutschland-Politik der Sowjetunion gescheitert sind. Während diese das Recht auf Selbstbestimmung jedem der zahlreichen jungen Staaten zubilligt, verweigert sie uns dieses Recht immer noch mit der Willkür des Siegers und verlangt, daß wir das Regime ihrer Statthalter auf deutschem Boden hinnehmen. Diese Haltung, die an die Rückständigkeit kolonialer Systeme erinnert, paßt nicht mehr in unsere Zeit

      (Beifall bei der CDU/CSU)

      und ist meines Erachtens eines Volkes, dessen Söhne sich anschicken, den Weltraum zu erschließen, unwürdig. Wir haben den aufrichtigen Wunsch, auch mit dem sowjetischen Volk zum Frieden zu kommen und den Auftakt für vertrauensvolle und dauerhafte Beziehungen zu geben.
      Es ist schon eine eigentümliche Verdrehung und mißbräuchliche Darstellung, uns als Revanchisten zu bezichtigen, wenn wir darauf verweisen, daß Deutschland nach dem erklärten Willen der Siegermächte, einschließlich der Sowjetunion, bis zu einem Friedensvertrag mit einem wiedervereinigten Deutschland in den' Grenzen vom 31. Dezember 1937 fortbestehen soll. Wir erheben keinen Anspruch auf anderes Territorium und sind willens, auch die Grenzfragen im Osten ausschließlich auf dem Wege friedlicher Verhandlungen zu klären.
      Während in unseren Landen niemand auf Revanche sinnt, ist -es eine verlogene Unterstellung, daß wir auch nur entfernt an gewaltsame Auseinandersetzungen mit unseren Nachbarn im Osten dächten. Genau das Gegenteil ist richtig. Wir lehnen den Krieg nicht nur deshalb ab, weil er einem Selbstmord gleichkäme, sondern weil er mit unseren politischen und moralischen Grundsätzen unvereinbar ist!

      (Beifall bei den Regierungsparteien.)

      Alle Welt weiß — dessen bin ich überzeugt —, daß wir den Frieden wollen. Auch unsere östlichen Nachbarstaaten wissen das sehr wohl. Keine politische Propaganda kann diese Wahrheit übertönen.
      Wir begrüßen jeden Ansatzpunkt für eine Verbesserung des Ost-West-Verhältnisses. Wir schätzen es auch, daß von sowjetischer Seite Zeichen einer solchen Bereitschaft erkennbar sind. Um so mehr bedauern wir, daß eine Aufgeschlossenheit gegenüber der deutschen Frage offensichtlich nicht besteht. Die Sowjetunion glaubt leider immer noch, daß ihren Interessen durch die Teilung Deutschlands besser als durch die Wiederherstellung der Einheit unseres Vaterlandes gedient sei.
      Dies aber gerade ist das entscheidende Hemmnis für die Normalisierung der deutsch-sowjetischen Beziehungen. In dem Wunsch, gerade auf diesem Felde Fortschritte zu erzielen, habe ich erklärt, daß ich es, eine gleiche Bereitschaft von seiten des sowjetischen Ministerpräsidenten Chruschtschow vorausgesetzt, begrüßen würde, einen der Befriedigung dienenden Gedankenaustausch zu pflegen. Ich begrüße es, daß Herr Chruschtschow die Nützlichkeit eines solchen Gesprächs anerkannt hat.
      Ich hoffe auch, daß ein solcher Besuch Herrn Chruschtschow vielseitige Gelegenheit geben wird, deutsche Vorstellungen kennenzulernen, und daß nicht zuletzt auch die Eindrücke, die er in Deutschland aus eigener Anschauung sammeln kann, ihm verdeutlichen werden, wie sehr der Wunsch des deutschen Volkes nach Wiedervereinigung die Grundlage unseres gesamten politischen Denkens und Handelns ist und sein muß.

      (Beifall bei der CDU/CSU.)

      Der Besuch wird Herrn Chruschtschow auch- davon bin ich überzeugt — ein realistisches Bild von der politischen Gesinnung des freien Teiles des deutschen Volkes vermitteln. Vielleicht wird er dann darüber nachdenken, ob ein wiedervereinigtes Deutschland nicht auch für die Sowjetunion ein besserer Partner wäre als eine durch widerrechtliche. und widernatürliche Spaltung zur Unruhe verurteilte deutsche Nation.

      (Beifall bei den Regieungsparteien.)

      In unseren Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten können wir Ansätze zu einer positiven Entwicklung verzeichnen. Nach der Eröffnung einer Handelsvertretung in Warschau haben wir seither auch mit Rumänien, Ungarn und Bulgarien den Austausch von Handelsvertretungen vereinbart und neue Warenabkommen geschlossen, die West-Berlin einschließen. Wir hoffen, daß entsprechende Abmachungen auch mit der Tschechoslowakei getroffen werden können. Mit Jugoslawien haben wir im Juli dieses Jahres wirtschaftliche Abmachungen vereinbart, die zu einer Verbesserung der Beziehungen beitragen können. Wir hoffen insgesamt, daß die Errichtung deutscher Handelsmissionen in den ost-



      Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
      europäischen Staaten der Verständigung mit diesen Völkern nützt. Die Tätigkeit amtlicher deutscher Vertreter sollte es beiden Seiten möglich machen, bestehende Vorurteile abzubauen und an traditionell gute kulturelle, wirtschaftliche und menschliche Beziehungen anzuknüpfen.
      Unser Verhältnis zu Warschau ist verständlicherweise besonders wichtig und schwierig. Im Interesse beider Länder werden wir bemüht sein, daß Mißtrauen zu überwinden. Wir glauben, dem polnischen Volk die Überzeugung vermitteln zu können, daß, unbeschadet der bis zu einem Friedensvertrag noch offenen und dabei einvernehmlich zu klärenden Fragen, Deutschland niemals den Versuch machen wird, diese mit Gewalt lösen zu wollen.
      Die Aufnahme amtlicher wirtschaftlicher Beziehungen zur Tschechoslowakei wird, wie wir hoffen, dazu beitragen, auch mit diesem Volke gutnachbarliche Beziehungen zu pflegen. Dieses Ziel müßte bei beiderseitigem gutem Willen um so eher zu erreichen sein, als es zwischen der Tschechoslowakei und Deutschland — was ich hiermit erneut bekräftigen möchte — keine ungeklärten Grenzfragen gibt.

      (Zustimmung des Abg. Dr. Schmid [Frankfurt].)

      Wir sind uns darüber im klaren, daß der Weg zur Verständigung mit den osteuropäischen Staaten lang und mühsam sein wird, besonders deshalb, weil ihre Regierungen glauben, der sowjetischen Politik folgen zu müssen, die das Recht des deutschen Volkes auf Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit leugnet. Wir werden deshalb nichts unversucht lassen, um den Völkern dieser Länder immer wieder vor Augen zu führen, daß nur die ungelöste Deutschlandfrage einer endgültigen Aussöhnung im Wege steht und darum eine baldige Regelung dieses Problems auch in ihrem eigenen Interesse gelegen wäre.
      Ganz anders liegen die Dinge, was die sowjetische Besatzungszone Deutschlands betrifft. Was Herr Ulbricht — der immerhin sowjetischer Staatsbürger ist — und seine Helfershelfer in diesen Tagen auch zur Verherrlichung ihres Zwangsregimes sagen mögen, so bleibt doch die Tatsache bestehen, daß die Bevölkerung der Zone eine Gewaltherrschaft ablehnt, die weder deutsch noch demokratisch ist.

      (Beifall in der Mitte.)

      Unsere Brüder an der Zone leben in der Hoffnung auf baldige Wiedervereinigung. Sie vertrauen und erwarten, daß es der Politik der freien Welt gelingen wird, dieses Ziel in Frieden und Freiheit zu verwirklichen. Die deutsche Regierung würde daher gegen ihre elementarste Pflicht verstoßen, wenn sie mit dem Gewaltregime der SBZ auch nur entfernt paktieren würde.

      (Beifall in der Mitte.)

      In diesem Zusammenhang möchte ich auch feststellen, daß sich die Staats- und Regierungschefs der
      Konferenz in Kairo — einer Konferenz übrigens, die
      wachsende Bedeutung dieser Staaten ein der heutigen Welt zeigt — zum Selbstbestimmungsrecht der
      Völker bekannt halben. Sie erklärten, „daß alle
      Völker das Recht lauf Freiheit und die Wahl ihres eigenen politischen, wirtschaftlichen und sozialen System haben müßten". Die deutsche Regierung erkennt mit großer Genugtuung das Verständnis an, das die ungebundenen Länder mit dieser Entschließung idem deutschen Volke und seinem Selbstbestimmungsrecht entgegenbringen.
      Die Spannungen zwischen der Sowjetunion und Rotchina, die in den letzten Monaten zu vielen Spekulationen Veranlassung gaben, werfen Probleme auf, die wir nicht nach Maßstäben ides Tagesgeschehens beurteilen sollten. Zweifellos bahnen sich hier langfristige Entwicklungen an, die wir angesichts der Dynamik des Geschehens mit größter Aufmerksamkeit zu verfolgen haben, die uns aber für den Augenblick keine endgültige Stellungnahme abverlangen.
      Etwas anderes sind unsere Wirtschaftsbeziehungen zu Rotchina zu beurteilen. Die Bundesregierung wird sorgfältig prüfen, ob, in welchem Umfang, zu welchem Zeitpunkt und mit welchen Mitteln ein Ausbau ides Warenverkehrs politisch zu rechtfertigen ist. Wir werden gerade auch in dieser Frage mit unseren Verbündeten in ständiger Fühlungnahme bleiben.
      Nun noch einige Worte zu Israel. Die Spannungen im Nahen Osten stellen nach wie vor einen Gefahrenherd für den Weltfrieden dar. Unsere NahostPolitik bedarf daher ganz besonderer Sorgfalt und Behutsamkeit. Wir haben in idiesem Gebiet keine politischen Sonderinteressen, sondern wünschen nur, daß seine Völker, mit denen wir gleichmäßig gute Beziehungen pflegen wollen, in einer friedlichen Ordnung wirtschaftliche und soziale Fortschritte erzielen können.
      Unser Verhältnis zum Staate Israel ist nicht nur von politischen Erwägungen bestimmt. Es läßt sich nicht von der Bürde trennen, die der Nationalsozialismus idem deutschen Volke auferlegt hat. Wir haben versucht, zu heilen, was mit Menschenkraft geheilt werden kann. Aber wir wissen, daß kein noch so guter Wille das Geschehene vergessen läßt. Die Bundesregierung bedauert es aufrichtig, daß gewisse Vorgänge die fortschreitende Verbesserung ides deutsch-israelischen Verhältnisses gestört und in Israel Gefühle der Besorgnis ausgelöst haben. Um so mehr begrüße ich die jüngste Erklärung des israelischen Ministerpräsidenten vor der Knesseth. Ich verzeichne mit Dankbarkeit, daß sich Ministerpräsident Eschkol

      (Abg. Wehner: Die Zensur!)

      um Verständnis für die Lage Deutschlands bemüht.
      Wir verstehen sehr wohl, daß die Tätigkeit gerade deutscher Wissenschaftler in Ländern, deren Verhältnis zu Israel außerordentlich gespannt ist, dort Bitterkeit und Erregung wachruft. Ministerpräsident Eschkol hat anerkannt, daß eine solche Tätigkeit von weiten Kreisen des deutschen Volkes verurteilt wird. In diesem Zusammenhang bedauert und mißbilligt die Bundesregierung jede Tätigkeit von Deutschen im Ausland, die zu einer Gefahr für den Frieden werden könnte.

      (Beifall bei den Regierungsparteien.)




      Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
      Ich füge dem hinzu, daß wir alle Möglichkeiten ausschöpfen werden, die dazu beitragen, dem israelischen Volke dais Gefühl der Bedrohung durch Deutsche zu nehmen.

      (Beifall in der Mitte.)

      Ich kann meine Reide nicht abschließen, ohne ein Wort an die Opposition zu richten.

      (Lachen bei der SPD.)

      Die Opposition versucht, den Anschein zu erwecken, in entscheidenden Fragen auf die Linie der Regierungspolitik eingeschwenkt zu sein,

      (Abg. Wehner: Haben Sie denn eine Linie?)

      die sie lange Zeit erbittert, aber vergeblich bekämpft hat.

      (Beifall in der Mitte.)

      Ich kann der SPD nicht die Feststellung ersparen, daß es redlicher und der Pflicht gegenüber dem Wähler angemessener wäre, dies endlich offen zuzugeben.

      (Beifall in der Mitte. — Zurufe von der SPD.)

      Denn das ist ja die Wahrheit, daß sich in allen wesentlichen Bereichen der deutschen Innen- und Außenpolitik keine Konzeption der Opposition als brauchbar erwies.

      (Beifall bei den Regierungsparteien.)

      Nicht wir — Regierung und Koalition — haben von der SPD gelernt; sie hingegen versucht, uns zu kopieren.

      (Beifall in der Mitte. — Abg. Mommer: Wahlkampfer Erhard! — Weitere Zurufe von der SPD.)

      Die Sozialdemokraten wußten früher, daß zu einer Opposition die echte Alternative gehört.

      (Abg. Wehner: „Echt" !)

      In den ersten sieben Jahren unserer gemeinsamen parlamentarischen Tätigkeit boten sie eine solche Alternative. Sie war falsch, aber ehrlich.

      (Beifall in der Mitte. — Zurufe von der SPD.)

      Heute, nach dem Fehlschlag ihrer Alternative, wäre die SPD logischerweise gezwungen, der Regierungspolitik klar und mit allen Konsequenzen zuzustimmen.

      (Lachen und Zurufe von der SPD.)

      Statt dessen möchte sie aber durch den Anschein, sie habe einen eigenen gangbaren Weg vorzuschlagen, wieder Profil gewinnen.

      (Fortgesetzte Zurufe von der SPD.)

      Für alle etwas mehr zu fordern und überall etwas mehr zu versprechen — das ist kein politisches Programm.

      (Beifall bei den Regierungsparteien.)

      Das hat auch nichts mit den Aufgaben einer verantwortungsbewußten Opposition zu tun.
      Manche kritische Äußerung aus dem publizistischen Bereich entspringt heute weniger mangelnder Übereinstimmung mit der Politik der Bundesregierung als der staatsbürgerlichen Überzeugung, daß die parlamentarische Opposition Staat und Gesellschaft seit Jahr und Tag ihren naturgegebenen Beitrag schuldig bleibt.

      (Beifall in der Mitte.)

      Damit ist eine gefährliche Entwicklung eingeleitet.

      (Lachen und Zurufe von der SPD.)

      Für die Bundesregierung ist der Bundestag die verfassungsrechtliche Institution, vor der sie sich in erster Linie zu verantworten hat. Die Bundesregierung erachtet es als ihre selbstverständliche Pflicht, dem Parlament das zu geben, was des Parlamentes ist.

      (Zurufe von der SPD.)

      Dieses Hohe Haus soll und muß in unserem Staate
      der Mittelpunkt unseres politischen Lebens bleiben.
      Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Fortgesetzte Zurufe von der SPD.)