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ID0409620100

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    Deutscher Bundestag 96. Sitzung Bonn, den 14. November 1963 Inhalt: Abg. Mischnick — stellvertretendes Mitglied des Wahlprüfungsausschusses . . 4367 A Fragestunde (Drucksache IV/1614 [neu]) Frage des Abg. Seuffert: Lärmbelästigung beim Flugplatz Schleißheim Hopf, Staatssekretär 4367 B, D, 4368 A, B Seuffert (SPD) 4367 D Ertl (FDP) 4368 A Mertes (FDP) . . . . . . . . 4368 A, B Frage des Abg. Dr. Steinmetz: Rechtsunwirksame Beförderungen in der früheren deutschen Wehrmacht Hopf, Staatssekretär 4368 C, D Dr. Steinmetz (CDU/CSU) . . . 4368 D Frage des Abg. Dr. Kohut: Unbewohnte Einfamilienhäuser in Wahn Dr. Dollinger, Bundesminister . 4369 A, B, C Dr. Kohut (FDP) . . . . . . . 4369 B, C Fragen des Abg. Dr. Aigner: Luitpold-Hütte in Amberg Dr. Dollinger, Bundesminister . . . 4369 C, 4370 B, C, D, 4331 A, C, D, 4372 A Dr. Aigner (CDU/CSU) . . . . 4370 A, B, 4371 A, B, 4372 A Frage des Abg. Dr. Eppler: Aktion Deutsch-Französische Freundschaft von Hase, Staatssekretär . . , 4372 B, C, D 4373 A Dr. Eppler (SPD) 4372 B Dr. Schäfer (SPD) 4372 C Dr. Mommer (SPD) 4372 C, D Frau Meermann (SPD) 4373 A Frage des Abg. Kaffka: Mit Moslems verheiratete deutsche Frauen Dr. Carstens, Staatssekretär . , 4373 B, C, D, 4374 A, B Kaffka (SPD) 4373 C Dr. Schäfer (SPD) 4373 C Jahn (SPD) 4373 D Dr. Rinderspacher (SPD) . . . . 4374 A, B Frage des Abg. Welslau: Einkommen einer Arbeitnehmerfamilie mit drei Kindern Blank, Bundesminister 4374 C II Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 Frage des Abg. Welslau: Eigenheimerwerb einer Arbeitnehmerfamilie mit drei Kindern bei 700 DM Einkommen Lücke, Bundesminister . 4374 D, 4375 A, C Welslau (SPD) 4375 A Dr. Schäfer (SPD) 4375 B, C Dr. Aigner (CDU/CSU) . . . . 4375 D Frage der Abg. Frau Meermann: Verteilung der Mappe „Schwarz auf Weiß" Lücke, Bundesminister . . 4375 D, 4376 A Frau Meermann (SPD) . . 4375 D, 4376 A Frage des Abg. Dröscher: Uranerz-Verarbeitung im Steinautal Lenz, Bundesminister 4376 B, C Dröscher (SPD) 4376 B, C Frage des Abg. Dröscher: Verfälschtes Eigelb Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister . 4376 D, 4377 A, B, C Dröscher (SPD) . . . . 4376 D, 4377 A Dr. Roesch (SPD) 4377 A, B Frau Dr. Kiep-Altenloh (FDP) . 4377 B, C Frage des Abg. Folger: Bittere Mandeln Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister . . . 4377 C, 4378 A Folger (SPD) . . . . . . . . . 4378 A Frage des Abg. Dröscher: Signalanlagen innerhalb von Ortsdurchfahrten Dr. Dahlgrün, Bundesminister 4378 B, C, D, 4379 A Dröscher (SPD) 4378 C, D Fragen des Abg. Seidel (Fürth):: Verlegung amerikanischer Anlagen aus dem Langwassergebiet der Stadt Nürnberg Dr. Dahlgrün, Bundesminister . 4379 A, C Seidel (Fürth) (SPD) 4379 B, C Entwurf eines Sechsten Gesetzes über die Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen sowie über die Anpassung der Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (Sechstes Rentenanpassungsgesetz — 6. RAG) (Drucksache IV/1584) — Erste Beratung —; in Verbindung mit dem Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Produktivität sowie die Veränderungen des Volkseinkommens je Erwerbstätigen und über die Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherungen (Sozialbericht 1963) (Drucksache IV/1486) Blank, Bundesminister 4379 D Dr. Franz (CDU/CSU) 4381 D Dr. Schellenberg (SPD) 4384 B Spitzmüller (FDP) 4387 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes (Abg. Dr. Burgbacher, Scheppmann, Arendt [Wattenscheid], Dr. Aschoff u. Gen.) (Drucksache IV/1555) — Erste Beratung — 4390 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes (SPD) (Drucksache IV/1567) — Erste Beratung —; in Verbindung mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes (SPD) (Drucksache IV/1568) — Erste Beratung — und dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Körperschaftsteuergesetzes (SPD) (Drucksache IV/1569) — Erste Beratung — Seuffert (SPD) 4390 B Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . 4394 B Dr. Artzinger (CDU/CSU) . . . 4397 A Dr. h. c. Dr.-Ing. Möller (SPD) . . 4400 D Dr. Imle (FDP) . . . . . . . 4403 D Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesentschädigungsgesetzes (2. ÄndG-BEG) (Drucksache IV/1550) — Erste Beratung —; in Verbindung mit dem Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesrückerstattungsgesetzes (Drucksache IV/1549) — Erste Beratung — Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . . 4406 B, 4423 A Dr. Böhm (Frankfurt) (CDU/CSU) . 4411 C Hirsch (SPD) 4418 A Dr. Kohut (FDP) . . . . . . . 4424 C Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 III Entwurf eines Gesetzes über Umstellung der Abgaben auf Mineralöl (Drucksache IV/1473); Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses (Drucksachen IV/1613, zu IV/ 1613) — Zweite und dritte Beratung — Dr. Bleiß (SPD) . . . . 4427 A, 4433 B Drachsler (CDU/CSU) . . . . . . 4429 C Dr. Imle (FDP) . . . . . . . . 4431 D Dr. Eppler (SPD) . . . . 4434 A, 4435 B Dr. Stecker (CDU/CSU) . . . . . 4434 D Mertes (FDP) . . . . . . . . . 4435 C Antrag betr. Vorlage des Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SPD) (Drucksache IV/ 1494) Dr. Lohmar (SPD) . . . 4436 A, 4447 D Dr. Hahn (Heidelberg) (CDU/CSU) . 4439 A Dr. Hellige (FDP) . . . . . . . 4442 A Lenz, Bundesminister . . . . . . 4444 B Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 16. Mai 1961 mit der Republik Togo über die Förderung der Anlage von Kapital (Drucksache IV/592) ; Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses (Drucksache IV/884) — Zweite und dritte Beratung — 4448 C Neunundzwanzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Zollkontingent für feste Brennstoffe) (Drucksache IV/1612) 4448 D Entwurf eines Gesetzes über den Übergang des zur Bundeswasserstraße Elbe gehörigen Nebenarms „Alte Süderelbe" auf die Freie und Hansestadt Hamburg (Drucksache IV/1593) — Erste Beratung — . . 4449 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rennwett- und Lotteriegesetzes (Drucksache IV/1587) — Erste Beratung — . . 4449 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Offshore-Steuergesetzes (Drucksache IV/ 1589) — Erste Beratung — 4449 A Mündlicher Bericht des Ausschusses für wirtschaftlichen Besitz des Bundes über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Zustimmung zur Überlassung junger Anteile an wirtschaftlichen Unternehmungen an andere Bezieher als den Bund; hier: Kapitalbeteiligung des Landes Nordrhein-Westfalen und des Vereins für die bergbaulichen Interessen an der Treuhandstelle für Bergmannswohnstätten im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbezirk mbH in Essen (Drucksachen IV/1389, IV/1610) 4449 A Schriftlicher Bericht des Ernährungsausschusses über den Antrag der Abg. Logemann, Sander, Wächter u. Gen. betr. EWG-Agrarpreispolitik (Drucksachen IV/ 1258, IV/1611) 4449 C Nächste Sitzung 4449 D Anlagen 4451 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 4367 96. Sitzung Bonn, den 14. November 1963 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Arendt (Wattenscheid) * 15. 11. Dr. Arndt (Berlin) 31. 12. Dr. Arnold 15. 11. Dr. Atzenroth 15. 11. Bading 15. 11. Benda 14. 11. Bergmann * 14. 11. Berlin 20. 11. Birkelbach * 14. 11. Fürst von Bismarck 15. 11. Börner 15. 11. Dr. von Brentano 15. 11. Brese 16. 11. Burckardt 15. 11. Burgemeister 16. 11. Cramer 15. 11. Dr. Deist * 15. 11. Deringer 14. 11. Dr. Dichgans * 15. 11. Dopatka 18. 11. Dorn 14. 11. Frau Dr. Elsner * 15. 11. Etzel 15. 11. Fritsch 30. 11. Dr. Furler * 14. 11. Goldhagen 16. 11. Freiherr zu Guttenberg 15. 12. Hahn (Bielefeld) 15. 11. Hauffe 15. 11. Dr. Hesberg 14. 11. Holkenbrink 15. 11. Dr. Hoven 30. 11. Illerhaus * 14. 11. Kahn-Ackermann 15. 11. Kalbitzer 15. 11. Frau Kipp-Kaule 15. 11. Dr. Kliesing (Honnef) 14. 11. Knobloch 15. 11. Kreitmeyer 16. 11. Kriedemann * 16. 11. Dr. Krümmer 14. 11. Leber 15. 11. Lenz (Brühl) * 15. 11. Dr. Löbe 15. 11. Dr. Löhr 15. 11. Lücker (München) * 15. 11. Mauk * 15. 11. Merten 16. 11. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Metzger 21. 11. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller 14. 11. Freiherr von Mühlen 24. 11. Müller (Aachen-Land) 16. 11. Müller (Remscheid) 15. 11. Neumann (Allensbach) 16. 11. Ollenhauer 31. 12. Pöhler 15. 11. Porten 15. 11. Porzner 15. 11. Rademacher * 15. 11. Frau Renger 15. 11. Richarts * 15. 11. Dr. Schneider (Saarbrücken) 15. 11. Schoettle 31. 12. Dr. Seffrin 16.11. Seifriz 15. 12. Storch* 15. 11. Frau Strobel * 15. 11. Dr. Supf 15. 11. Dr. Freiherr von Vittinghoff-Schell 15. 12. Walter 14. 11. Weber (Georgenau) 15. 11. Weinkamm 15. 11. Wellmann 16. 11. Wendelborn 15. 11. Dr. Wilhelmi 16. 11. Wischnewski * 15. 11. b) Urlaubsanträge Freiherr von Kühlmann-Stumm 29. 11. Dr. Müller-Hermann 15. 12. * Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments Anlage 2 Umdruck 359 Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Umstellung der Abgaben auf Mineralöl (Drucksachen IV/1473, IV/1613, zu IV/1613). Der Bundestag wolle beschließen: In Artikel 8 erhält Artikel 1 des Straßenbaufinanzierungsgesetzes folgende Fassung: „Artikel 1 Zweckbindung des Aufkommens der Mineralölsteuer Das Aufkommen an Mineralölsteuer, ,ausgenommen das Aufkommen aus der Besteuerung der 4452 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 96. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. November 1963 Schweröle und Reinigungsextrakte nach § 8 Abs. 2 des Mineralölsteuergesetzes, ist in Höhe von 55 von Hundert für Zwecke ides Straßenwesens zu verwenden." Bonn, den 14. November 1963 Ollenhauer unid Fraktion Anlage 3 Umdruck 357 (neu) Änderungsantrag der Fraktion der SPD zu Nummer 2 des Antrages des Finanzausschusses zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über Umstellung der Abgaben auf Mineralöl (Drucksachen IV/1473, IV/1613, zu IV/1613). Der Bundestag wolle beschließen: In Nr. 2 b) des Ausschußantrags - Drucksache IV/1613 — wird der letzte Satzgestrichen und als gesonderter Entschließungsantrag als Buchstabe c wie folgt gefaßt: „c) Die Bundesregierung wird ersucht,alsbald Vorschläge zu unterbreiten, die die Wiettbewerbsverzerrungen durch das Eigenverbrauchsprivileg der Raffinerien zu Lasten konkurrierender mittelständischer Betriebe beseitigen." Bonn, Iden 14. November 1963 Ollenhauer und Fraktion Anlage 4 Umdruck 360 Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Imle, Mertes und Genossen zu Nummer 2 des Antrages des Finanzausschusses zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über Umstellung der Abgaben auf Mineralöl (Drucksachen IV/1473, IV/1613, zu IV/1613). Der Bundestag wolle beschließen: In Nr. 2 b) des Ausschußantrages — Drucksache IV/1613 — wird der letzte Satz gestrichen und als gesonderter Entschließungsantrag als Buchstabe c wie folgt gefaßt: „c) Die Bundesregierung wird ersucht, Vorschläge zu unterbreiten, wie eine Wettbewerbsgleichheit mittelständischer Unternehmen gegenüber dem Eigenverbrauchsprivileg der Raffinerien sichergestellt werden kann." Bonn, den 14. November 1963 Dr. Imle Mertes Dr. Danz Deneke Dr. Emde Ertl Frau Dr. Flitz (Wilhelmshaven) Dr. Hamm (Kaiserslautern) Dr. Kohut Logemann Dr. Mälzig Margulies Murr Peters (Poppenbüll) Dr. Rieger (Köln) Dr. Rutschke Soetebier Zoglmann Anlage 5 Umdruck 358 (neu) Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur dritten Beratung des von .der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Umstellung der Abgaben auf Mineralöl (Drucksachen IV/1473, IV/1613, zu IV/1613). Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, 1. zu prüfen, ob der 2. Vierjahresplan für den Ausbau der Bundesfernstraßen durch die starke Entwicklung der Motorisierung überholt und 2. gegebenenfalls bis zum 31. März 1964 einen modifizierten 2. Vierjahresplan vorzulegen, der es ermöglicht, unter voller Ausschöpfung der Straßenbaukapazität den Ausbau des Bundesfernstraßennetzes an die Motorisierung anzupassen. Bonn, den 13. November 1963 Ollenhauer und Fraktion
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    Rede von Dr. Rolf Dahlgrün


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Bundesregierung lege ich dem Hohen Hause zwei Gesetzentwürfe vor, die das Gebiet der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts betreffen. Ich darf zuerst das Bundesentschädigungsgesetz und anschließend das Bundesrückerstattungsgesetz behandeln.
    Die Wiedergutmachung ist nur ein Teilgebiet der Regelung von Schäden, die das nationalsozialistische Regime verursacht hat. Da mit den heute zu behandelnden Entwürfen und dem Entwurf eines Gesetzes zur Abgeltung von Reparations-, Restitutions-, Zerstörungs- und Rückerstattungsschäden, dessen erste Lesung, soweit ich unterrichtet bin, für eine der nächsten Plenarsitzungen vorgesehen ist, nach der Absicht der Bundesregierung die Liquidation des nationalsozialistischen Regimes abschließend geregelt werden soll, erlauben Sie mir zunächst einige allgemeine Betrachtungen.
    Als 1945 die Tragödie jener zwölf Jahre des Naziregimes ihr katastrophales Ende gefunden hatte, war Deutschland ein einziger Trümmerhaufen.
    Hätte man damals die Frage gestellt, wie alle Schulden und Schäden der NS-Zeit abgegolten werden sollten, dann hätte kein Mensch daran gezweifelt, daß von einer neuen deutschen Regierung nur eine faire Abwicklung des Hitler-Bankrotts nach konkursrechtlichen und sozialen Maßstäben hätte verlangt werden können. Was ist aus diesen Gedanken im Verlaufe von 18 langen Jahren geworden? Die neue Regierung, der neue demokratische Staat sind unversehens für alle Dinge und Taten verantwortlich gemacht worden, .die sich im „Dritten Reich" oder im Zusammenhang mit der Katastrophe ereignet haben. Auf allen Gebieten werden Ansprüche, Rechtsansprüche, ohne Rücksicht auf den NS-Zusammenbruch erhoben.
    Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang das wiederholen, was Herr Kollege Seuffert in diesem Hohen Hause während der Beratungen zum Kriegsfolgengesetz zum Ausdruck gebracht hat. Herr Kollege Seuffert hat gesagt: „Wer in dieser Weise die Bundesrepublik verantwortlich machen will, wer da sagt, Bonn sei an alledem schuld, hat einfach vergessen, daß es einen Adolf Hitler gegeben hat."

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Eine allgemeine Haftpflicht der Bundesrepublik kann im übrigen auch keinesfalls aus dem Gedanken einer Identität von Reich und Bundesrepublik hergeleitet werden. Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich festgestellt, daß der Bund auch auf Grund der Identitätslehre nicht als Schuldner .der Reichsverbindlichkeiten angesprochen werden kann, daß es vielmehr dem Bundesgesetzgeber überlassen bleibt, entsprechend dem territorial geminderten Einflußbereich und der dadurch bedingten geringeren Finanzkraft über das Ausmaß solcher Leistungen zu entscheiden und dafür in einem angemessenen Umfang öffentliche Mittel bereitzustellen.
    Die allgemeine Erörterung unseres Problems verlangt darüber hinaus eine zweite grundsätzliche Feststellung. Auch die Durchführung der NS-Liquidation muß sich dem Grundziel jeder staatlichen Tätigkeit einordnen: der Sicherung und Erhaltung von Gegenwart und Zukunft unseres Volkes. Wir würden diesem Volk, ja der ganzen Welt gegenüber verantwortungslos 'handeln, wollten wir um der Ordnung der Vergangenheit willen Aufgaben und Pflichten der Gegenwart vernachlässigen, die sich unabweisbar stellen.
    Nach den Feststellungen des Bundesfinanzministeriums hat die gesamte deutsche öffentliche Hand — also Bund, Länder, Gemeinden, Lastenausgleichsfonds — zur Beseitigung von Folgen des verlorenen Krieges und des NS-Regimes seit der Währungsreform rund 290 Milliarden DM aufgebracht.

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    Hiervon entfallen auf das Gebiet der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts rund 23 Milliarden DM. Im Jahre 1952 sind dagegen die gesamten Leistungen für die Wiedergutmachung zugunsten aller Geschädigten, nicht nur zugunsten der jüdischen, auf etwa 10 Milliarden DM geschätzt worden, wovon ein Globalbetrag von 3 Milliarden DM auf das Abkommen mit Israel und ein Betrag



    Bundesminister Dr. Dahlgrün
    von 3 bis 4 Milliarden DM auf die Durchführung
    der Entschädigungsgesetzgebung entfallen sollten.
    Es ist allgemein anerkannt, daß die Bundesrepublik das Abkommen mit dem Staat Israel vereinbarungsgemäß in loyaler Weise abgewickelt hat. Auf dem Gebiet des Entschädigungsrechts hatte sich die Bundesregierung verpflichtet, das in der amerikanischen Zone geltende Entschädigungsrecht auf das gesamte Bundesgebiet zu erstrecken, in einzelnen konkreten Punkten zu erweitern und bestimmte überregionale Verfolgtengruppen einzubeziehen. Dieser Verpflichtung sind wir bereits durch das Bundesergänzungsgesetz vom 18. September 1953 voll nachgekommen. Zur Abgeltung von rückerstattungsrechtlichen Ersatzansprüchen war im Bundesrückerstattungsgesetz in Ergänzung der alliierten Rückerstattungsgesetze eine auf 1,5 Milliarden DM ausdrücklich begrenzte Leistungspflicht der Bundesrepublik vorgesehen.
    Was ist nun aus diesem Wiedergutmachungsprogramm und dem damals geschätzten finanziellen Aufwand von 10 Milliarden DM tatsächlich geworden? Zu dem Globalvertrag mit Israel kamen Globalverträge mit zehn anderen europäischen Staaten und eine Globalvereinbarung mit dem Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge. Für den Abschluß dieser Verträge bestand keine rechtliche Verpflichtung seitens der Bundesrepublik. Die Bundesregierung glaubte jedoch, auch im Verhältnis zu diesen europäischen Staaten, die unter der NS-Gewaltherrschaft schwer gelitten hatten, ihrem guten Willen zur Wiedergutmachung Ausdruck geben zu sollen. Etwa 1 Milliarde DM zahlt die Bundesrepublik auf Grund dieser Verträge.
    Das Bundesergänzungsgesetz von 1953 wurde bereits im Jahre 1956 grundlegend novelliert und ganz erheblich ausgebaut. Das finanzielle Gesamtvolumen des Gesetzes wurde dabei auf 7 bis 8 Milliarden DM geschätzt. Heute, zehn Jahre nach Erlaß des Bundesergänzungsgesetzes, sind von Bund und Ländern an Entschädigungsleistungen bereits 151/2 Milliarden DM erbracht worden. Wir rechnen damit, daß für die Abwicklung der letzten 15% der eingereichten Entschädigungsanträge und für die Zahlung der laufenden Renten — ausgehend von den jetzigen Jahresbeträgen in Höhe von 700 bis 800 Millionen DM — insgesamt nochmals 10 Milliarden DM gezahlt werden müssen. Insgesamt würde sich damit allein für das Bundesentschädigungsgesetz die gewaltige Summe von 26 Milliarden DM errechnen. Das ist etwa das Siebenfache dessen, was man im Jahre 1952 als Schätzung zugrunde gelegt hatte.
    Nach dem Bundesrückerstattungsgesetz, auf das ich beim zweiten Teil meiner Ausführungen noch etwas eingehender zu sprechen komme, sind bisher 1,8 Milliarden DM gezahlt worden. Nach dem geltenden Recht werden noch etwa 750 Millionen DM zu zahlen sein.
    Auch auf den Sondergebieten der Wiedergutmachung hat die Bundesrepublik in den vergangenen Jahren erheblich mehr getan, als ursprünglich vorgesehen war. Ich darf nur daran erinnern, daß das Wiedergutmachungsgesetz für Angehörige des öffentlichen Dienstes wiederholt erweitert worden ist. Dasselbe gilt für die Wiedergutmachungsgesetze in der Kriegsopferversorgung. Zwar fehlen uns für diese Rechtsgebiete exakte Zahlen, doch wird man auch insoweit von Gesamtleistungen in Höhe von etwa 2 Milliarden DM ausgehen können.
    Rechnet man diese Zahlen zusammen, so kommt man bis heute auf den von mir bereits genannten Gesamtbetrag von rund 23 Milliarden DM, den die Bundesrepublik nach geltendem Recht für die Wiedergutmachung ausgegeben hat. Ich meine, dieser Betrag dokumentiert eine sehr eindrucksvolle Leistung der Bundesrepublik, und sie wird auch im Ausland von maßgebenden Persönlichkeiten uneingeschränkt anerkannt.
    Leider wird trotzdem versucht, diese Leistungen der Bundesrepublik auf dem Gebiete der Wiedergutmachung zu verkleinern oder zu zerpflücken. Die Kritik geht zunächst an die Richtung, daß die geleisteten Wiedergutmachungszahlungen nur einen Bruchteil der gesamten Schäden berücksichtigten. Wie hoch der gesamte Verlust ist, den das NS-Regime den Verfolgten in aller Welt zugefügt hat, läßt sich angesichts des Umfangs und der Vielgestaltigkeit dieser Schäden gar nicht angeben. Daß aber die Bundesrepublik alles Menschenmögliche getan hat und tut, um diese Schuld des Hitler-Regimes abzutragen, daran kann ein ernsthafter Zweifel nicht aufkommen. Leider hat sich der sowjetisch besetzte Teil Deutschlands, der sich so gern als Nachfolgestaat des Deutschen Reiches ausgibt, an dieser Last der Vergangenheit nicht beteiligt.

    (Zurufe von der Mitte: Hört! Hört! — Leider!)

    Von den betroffenen Kreisen im Ausland wird ferner teilweise erklärt: Was von der Bundesrepublik in der Vergangenheit geleistet worden sei, werde zwar durchaus anerkannt, doch bedürfe es noch erheblicher zusätzlicher und neuer Opfer, um das Werk der Wiedergutmachung in den Augen der Welt zu einem guten Abschluß zu bringen. Bei dieser Argumentation klingt der Gedanke an, daß ohne diese zusätzlichen und neuen Opfer Zweifel an dem wahren Wiedergutmachungswillen des deutschen Volkes aufkommen könnten.
    Eine solche Argumentation, meine Damen und Herren, lehne ich grundsätzlich ab. Die Wiedergutmachung ist uns ein großes menschliches Anliegen, das wir aus eigenem Antrieb durchführen und zum Abschluß bringen wollen. Wir lassen uns dabei auch nicht davon leiten, inwieweit uns das Ausland diese Leistungen außenpolitisch honoriert. Aber selbst wenn ich mich einmal auf den Boden einer so merkantilen Betrachtung stellen wollte, für die mir jedes Verständnis fehlt, habe ich erheblichen Zweifel, ob diese Auffassung überhaupt der wahren Sachlage entspricht. Die westliche Welt erwartet von uns in zunehmendem Maße harte Opfer für die Aufrechterhaltung von Freiheit und Sicherheit. Ich erwähne hier die Aufwendungen für die Verteidigung und die Entwicklungshilfe. Dabei wird gerade im Ausland als selbstverständlich vorausgesetzt, daß



    Bundesminister Dr. Dahlgrün
    die Ausgaben für die Liquidation des NS-Regimes einschließlich der Leistungen für die Wiedergutmachung in den nächsten Jahren auslaufen.
    Ich möchte hier noch kurz auf die Vergleiche eingehen, die immer wieder zwischen Wiedergutmachungsrecht und Regelungen auf anderen Gebieten gezogen werden. Wir haben diese Vergleiche nicht zu scheuen, meine Damen und Herren. Stellt man z. B. die Personenzahl der Wiedergutmachungsberechtigten derjenigen der Lastenausgleichsberechtigten gegenüber, so ergibt sich klar, daß die Durchschnittsleistungen an die Wiedergutmachungsberechtigten — und ich meine, mit vollem Recht — ganz erheblich höher liegen. Dasselbe trifft im Verhältnis zur Kriegsopferversorgung zu.
    Ich bin gerne bereit, auch auf das in diesem Zusammenhang am häufigsten genannte Gesetz zu Artikel 131 einzugehen, falls dies in der späteren Diskussion gewünscht wird, und die zwingenden Gründe vorzutragen, die zu einer solchen Regelung geführt haben. Gerade hier werden aus einigen wenigen Fällen, meine Damen und Herren, verallgemeinernde Schlußfolgerungen gezogen, die nicht haltbar sind und vor denen wir uns hüten sollten.
    Die Kritik richtet sich auch gegen die Durchführung der Wiedergutmachungsgesetze. Es wird behauptet, daß nach dem Bundesentschädigungsgesetz eine Vielzahl von Ansprüchen abgelehnt worden sei. Das trifft in dieser Form nicht zu. Aus der Bundesstatistik ergibt sich, daß etwa 650 000 Ansprüche abgelehnt wurden. Weit über 1,2 Millionen Ansprüche sind dagegen heute bereits positiv entschieden worden.
    Zu noch etwas anderem möchte ich sprechen und ganz entschieden vor der Beurteilung der Wiedergutmachung von ausgesuchten Einzelfällen her warnen. Millionen von Wiedergutmachungsanträgen sind zur vollsten Zufriedenheit der Beteiligten erledigt worden. Davon spricht niemand. Aber die geringe Zahl zweifelhafter Fälle wird herausgegriffen und häufig genug sogar entstellt groß herausgebracht. Selbst die Gerichte werden von einer unberechtigten Kritik nicht ausgenommen. Ich stehe gar nicht an zu erklären, daß sich in manchen Einzelfällen tatsächlich menschliche Unzuträglichkeiten gezeigt haben; aber ich wende mich mit aller Entschiedenheit dagegen, solche Fälle zu verallgemeinern oder ein Kollektivurteil zu fällen. Tausende von Beamten, Richtern, Angestellten und Ärzten, die sich auch für andere Aufgabenbereiche melden könnten und dort vielleicht bessere berufliche Chancen antreffen würden, tun seit Jahren ihr Bestes, um zur guten und schnellen Durchführung der Wiedergutmachung beizutragen. Ihnen allen sollte unser Dank gehören.

    (Beifall in der Mitte.)

    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt etwas näher auf die beiden Gesetzentwürfe selbst eingehen, die Ihnen zur Änderung des Bundesentschädigungsgesetzes und des Bundesrückerstattungsgesetzes vorliegen. Ausgangspunkt für die Novellierung war, den gesetzgeberischen Willen klarzustellen, wo den Gesetzen eine nicht dem Willen des
    Gesetzgebers entsprechende Auslegung — sei es in ausdehnendem, sei es in einschränkendem Sinne — gegeben wurde. Daraus folgt, daß die Novellen keine Grundsatzänderungen der bisherigen Rechtslage enthalten, daß insbesondere die bisher geltenden Grundsätze unberührt bestehenbleiben mußten. Gegen diese Konzeption richteten sich in den vergangenen Monaten die Hauptbedenken einzelner Verfolgtenorganisationen. Ich muß daher namens der Bundesregierung noch einmal die Grenzen aufzeigen, die uns für die Schlußgesetzgebung auf dem Gebiete der Wiedergutmachung gezogen sind.
    Ich kann insbesondere nicht eindringlich genug davor warnen, die finanzielle Problematik der Wiedergutmachung zu bagatellisieren. Die finanziellen Auswirkungen müssen vielmehr von Anfang an mit in die Überlegungen einbezogen werden. Darin bin ich mit den Ministerpräsidenten, den Finanzministern und den Wiedergutmachungsministern aller Länder ohne Ausnahme einig.
    Vor kurzem las ich eine Betrachtung, die offensichtlich darauf abgestimmt war, jeden, der die finanzpolitischen Aspekte der Wiedergutmachung anzurühren wagt, als einen unverbesserlich Gestrigen hinzustellen. Ich glaube, man sollte auf solche Erklärungen eine deutliche Antwort geben. Wenn wir uns tagtäglich und jahraus, jahrein Sorgen um die Erhaltung der finanziellen Stabilität unseres Staates machen, so tun wir das aus der Verantwortung heraus, die wir insoweit auch vor unserem Volk und vor der freien Welt überhaupt zu tragen haben. Eine finanziell kranke Bundesrepublik wäre ein schlechter Partner der Geschädigten und der westlichen Welt überhaupt.

    (Sehr gut! bei den Regierungsparteien.)

    Die Kritiker, die der Meinung sind, daß die Kosten aller Wiedergutmachungsschlußgesetzgebung nicht für die Frage entscheidend sein dürften, wie eine solche Gesetzgebung auszusehen hat, mögen insoweit gerade auf die Stimmen hören, die hierzu ständig aus vielen vorurteilsfreien Kreisen des Auslands zu uns dringen. Von dort würden sie darüber belehrt werden, daß es keine Regierung in der ganzen Welt geben wird, die in der Lage wäre, solche Dinge anders zu beurteilen oder anders zu behandeln.
    In der letzten Zeit kann man auch des öfteren etwa folgende Wendungen hören und lesen: es werde zwar anerkannt, daß die Wiedergutmachung der Bundesrepublik eine großartige und einmalige Leistung darstelle; man solle aber doch den Wert dieser Leistung nicht dadurch gefährden, daß man bei der Schlußgesetzgebung finanzielle Erwägungen in den Vordergrund stelle und zu engherzig sei. Was steckt hinter solchen Formulierungen?: Wenn nicht alle unsere Forderungen erfüllt werden, dann, lassen wir keinen guten Faden an dem, was wir eben noch als hoch anerkennenswert gekennzeichnet haben. — Ich glaube, zu einer solchen Haltung erübrigt sich jeder weitere Kommentar.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Zu den Aufgaben der Beseitigung der Folgen aus der Zeit des Dritten Reiches sind in den letzten



    Bundesminister Dr. Dahlgrün
    Jahren in immer größer werdendem Umfang Aufgaben hinzugetreten, die nicht vernachlässigt werden können, will die Bundesrepublik ihren Platz in der Gemeinschaft der freien Völker nicht gefährden. Die Erfüllung aller Aufgaben im Rahmen des deutschen Verteidigungsbeitrages, des Bevölkerungsschutzes, der Entwicklungshilfe und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft kostet sehr viel Geld, und der Bundesfinanzminister muß dieses Geld aufbringen. Bevor er es ausgibt, muß er es den Bürgern dieses Staates vorher weggenommen haben. Aus dieser Sicht war bei der Schlußgesetzgebung auf dem Gebiet der Wiedergutmachung leider von vornherein eine Beschränkung auf die wichtigsten und dringlichsten Reformwünsche notwendig.
    In den Haushalten von Bund und Ländern werden seit Jahren für die Wiedergutmachung jährlich Ausgaben in Höhe von insgesamt rund 3 Milliarden DM angesetzt. Es ist weder für den Bund noch für die Länder möglich, die bisherigen Haushaltsansätze zu erhöhen. Die neuen Änderungsgesetze können vielmehr nur dadurch finanziert werden, daß diese hohen Ansätze über die bisher vorgesehene Zeit hinaus beibehalten werden. Aber ich muß hier mit allem Nachdruck betonen, daß es die ständig steigenden Lasten auf allen Gebieten unmöglich machen, diese Methode für längere Zeit fortzusetzen. Die Finanzexperten von Bund und Ländern schätzen den finanziellen Mehraufwand der Novelle zum Bundesentschädigungsgesetz auf etwa 3 Milliarden DM, den der Novelle zum Bundesrückerstattungsgesetz auf etwa 1,5 Milliarden DM. Damit wird die deutsche Wiedergutmachung voraussichtlich einen Gesamtleistungsbetrag von 40 Milliarden DM erreichen. Die Bundesregierung ist damit bis an die äußerste Grenze der finanziellen Leistungsfähigkeit von Bund und Ländern gegangen.
    Die Bundesregierung mußte deshalb bereits bei der Aufstellung der Gesetzentwürfe zahlreiche Erweiterungswünsche auf den beiden Rechtsgebieten ablehnen. Die Bundesregierung müßte auch — ich erkläre das mit ausdrücklich für diesen Fall erteilter Ermächtigung des Bundeskabinetts — etwaigen Erweiterungen, die den vorgesehenen finanziellen Rahmen sprengen, in aller Form widersprechen. Gerade deshalb möchte ich alle Fraktionen des Hohen Hauses eindringlich bitten,

    (Zuruf des Abg. Jahn)

    die Vorlagen in diesem Sinne zu würdigen, aber auch die aufgezeigten Grenzen zu beachten, Herr Kollege Jahn.
    Lassen Sie mich zum Schluß meine Damen und Herren, noch einige konkrete Angaben zu der Novelle zum Bundesentschädigungsgesetz machen, denen ich dann einige Ausführungen zu der anderen Novelle, der zum Bundesrückerstattungsgesetz, anschließen möchte.
    Wie ich bereits betont habe, hält die Novelle an der bisherigen Grundstruktur des Gesetzes, insbesondere an dem Kreis der Anspruchsberechtigten und an den Schadenstatbeständen, fest. Sie dient im wesentlichen der Beseitigung ganz konkreter Härten und der Einführung einiger für notwendig gehaltener sachlicher Verbesserungen. Ich möchte hier insbesondere die Anpassung aller Renten und Anrechnungsfreibeträge an künftige Erhöhungen der Beamtenbesoldung erwähnen, ferner die Einführung einer Vermutung für die Verfolgungsbedingtheit von Gesundheitsschäden bei mindestens einjähriger KZ-Haft, die Erhöhung der Entschädigung für Ausbildungsschäden von 5000 DM auf 10 000 DM, die Gewährung einer Krankenversorgung für Rentenempfänger und Rückwanderer, die teilweise Verbesserungen der Bestimmungen über die Wohnsitzvoraussetzungen, die Erweiterung des allgemeinen Härteausgleichs sowie eine beschränkte Angleichung früherer Entscheidungen an die geänderte Praxis und Rechtsprechung.
    Für Verfolgtengruppen, die die Wohnsitz- und Stichtagsvoraussetzungen des bisherigen Gesetzes nicht erfüllt haben, ist die Errichtung eines Sonderfonds von 600 Millionen DM vorgesehen. Dieser Sonderfonds soll in erster Linie die Gewährung von Beihilfen an Verfolgte ermöglichen, die als politische Flüchtlinge ihren Heimatstaat im Osten oder Südosten Europas erst nach dem Inkrafttreten des bisherigen Gesetzes, also nach dem 1. Oktober 1953, verlassen haben. Die vielfach gestellte Forderung, diesen Personenkreis in vollem Umfang in die Entschädigungsregelung des Gesetzes einzubeziehen, konnte schon aus finanziellen Gründen nicht erfüllt werden, weil durch diese Maßnahme zusätzliche Aufwendungen von vielen Milliarden D-Mark entstehen würden.
    Auch zahlreichen anderen Wünschen, die an der Grundstruktur des Gesetzes rühren würden, konnte die Bundesregierung nicht entsprechen, wie z. B. dem Wunsch auf Änderung der bisherigen Kausalitätsbegriffe oder auf eine generelle Beweiserleichterung. Gerade die letzte Frage haben wir sehr eingehend mit den Sachverständigen der Länder geprüft. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß eine Verwirklichung dieser Vorschläge praktisch darauf hinauslaufen würde, daß überhaupt nichts Konkretes mehr zu beweisen wäre. Ich bin fest überzeugt, daß sich bei Berücksichtigung dieser Vorschläge Mißbräuche ergeben würden, vor deren höchst unerwünschten Folgen man nur sehr eindringlich warnen kann. Daher haben gerade auch weitblickende Verfolgte und auch Vertreter ihrer Organisation dringend davon abgeraten, die Beweiserfordernisse weiter aufzuweichen.
    Von seiten einzelner Verfolgtenorganisationen wirft man der Bundesregierung zu der Novelle zum Bundesentschädigungsgesetz vor, sie habe in zahlreichen Punkten die bisherige Rechtslage zum Nachteil der Verfolgten verschlechtert. Zunächst möchte ich klarstellen, daß die Novelle keine echten materiellen Verschlechterungen enthält, sondern nur in einzelnen Punkten, und zwar nach beiden Richtungen hin, Klarstellungen dessen, was nach Auffassung der Bundesregierung und der Länder vom Gesetzgeber 1956 gewollt war. Ich darf darauf hinweisen, daß das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten hat, daß der Gesetzgeber auch zu einschränkenden Klarstel-



    Bundesminister Dr. Dahlgrün
    Lungen, ja sogar zu echten materiellen Verschlechterungen der Rechtslage berechtigt sei, vorausgesetzt daß der Gleichheitsgrundsatz nicht verletzt werde. Das sei aber nur dann der Fall, wenn die Mehrzahl der Fälle nach dem günstigeren Recht bereits positiv entschieden sei und nur die kleinere Zahl der noch offenen Fälle unter die ungünstigere Regelung fallen würde. Man wird daher schon rechtlich gegen die einschränkenden Klarstellungen der Novelle nichts einwenden können. Ich halte aber auch sachlich ,diese Klarstellungen der Novelle für geboten.

    (Abg. Jahn: Und politisch?)

    Auch durch die Ihnen vorgelegte Novelle zum Bundesentschädigungsgesetz werden nicht alle bestehenden Härten .auf diesem Gebiet beseitigt werden können. Das ist aber auch auf keinem anderen Rechtsgebiet möglich. Jede tatbestandsmäßige Abgrenzung, jeder Stichtag, überhaupt jede Normierung muß zwangsläufig eine scharfe Grenze zwischen Berechtigten und Nichtberechtigten ziehen und führt damit in Einzelfällen zu Härten. Es gibt Grenzen für die allgemeine Normierung, es gibt finanzielle Grenzen und es gibt Grenzen für die verwaltungsmäßige Durchführung, wenn wir nicht das Werk der Wiedergutmachung neu beginnen wollen, wozu sich auch die Länder, die für die Durchführung verantwortlich sind, die finanziell stark beteiligt sind, niemals verstehen würden. Die Bundesregierung glaubt aber, mit den vorgelegten Gesetzentwürfen im Rahmen des Möglichen das Äußerste getan und damit einen guten Abschluß der Wiedergutmachung ermöglicht zu haben.
    Ich möchte zum Abschluß meiner Ausführungen zum Bundesentschädigungsgesetz nicht verfehlen, nochmals die Worte in Erinnerung zu bringen, die Herr Bundeskanzler Professor Dr. Erhard in seiner Regierungserklärung gesagt hat:
    Wir haben die Schuld, die während jener tragischen zwölf Jahre der Gewaltherrschaft im Namen Deutschlands allen Deutschen aufgebürdet wurde, schonungslos offenbart. Wir werden diese Schuld vollends abtragen, soweit Menschen dazu in der Lage sind. Darum betrachten wir die Wiedergutmachung als eine bindende Verpflichtung. Wir wissen es zu würdigen, wenn Menschen aus eigenem Erleben heraus noch nicht bereit sind, sich mit dem neuen Deutschland 'zu versöhnen. Aber wir haben keinen Sinn für jene Bestrebungen, die aus vergangener Barbarei für alle Zeit eine deutsche Erbsünde herleiten und als politisches Mittel konservieren möchten.
    Unser Tun dient nicht nur der Stunde, dem Tag oder diesem Jahr. Wir haben die Pflicht, in Generationen zu denken und unseren Kindern und Kindeskindern ein festes Fundament für eine glückliche Zukunft zu bauen.
    Kurz einige Bemerkungen zum Bundesrückerstattungsgesetz. Wie ich schon eingangs meiner Ausführungen zu der Novelle zum Bundesentschädigungsgesetz erwähnt habe, lege ich mit diesem Gesetzentwurf auf dem Gebiet der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts gleichzeitig den
    Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesrückerstattungsgesetzes vor. Dieser Entwurf soll nach dem Willen der Bundesregierung auch auf diesem Teilgebiet der Wiedergutmachung eine abschließende Regelung bringen.
    Der Regierungsentwurf sieht eine volle Befriedigung der rückerstattungsrechtlichen Geldverbindlichkeiten des Deutschen Reiches und der dem Deutschen Reich gleichgestellten Rechtsträger durch die Bundesrepublik Deutschland vor. Die Gesamtsumme dieser Verbindlichkeiten wird zur Zeit auf 3,2 Milliarden DM geschätzt. Es ist aber durchaus möglich, daß sich diese Gesamtsumme bei der weiteren Durchführung des Gesetzes noch wesentlich erhöht.
    Die Bundesrepublik zahlt also freiwillig mindestens 1,7 Milliarden DM mehr, als sie nach dem Überleitungsvertrag zum Deutschlandabkommen und nach der Vereinbarung der Bundesregierung mit der Claims-Konferenz im Haager Protokoll zu zahlen verpflichtet ist.
    Mit dieser vorgesehenen Regelung wird zugleich der oft erhobene Einwand hinfällig, daß durch § 5 des Bundesrückerstattungsgesetzes die ursprünglich vorgesehene Summe von 1,5 Milliarden DM ausgehöhlt worden sei. Diese Vorschrift war nicht im Regierungsentwurf zum Bundesrückerstattungsgesetz enthalten. Sie ist vielmehr erst auf Anregung des Wiedergutmachungsausschusses des Bundestages in den Gesetzentwurf aufgenommen worden. Es kann nicht verkannt werden, daß ohne § 5 des Bundesrückerstattungsgesetzes die Gesamtleistungen, die nach diesem Gesetz zu erbringen sind, wesentlich geringer wären.
    Die volle Befriedigung aller rechtzeitig angemeldeten Ansprüche beseitigt nunmehr auch jeden letzten Zweifel daran, daß die Leistungen an die über § 5 des Bundesrückerstattungsgesetzes Berechtigten nicht zu einer Schmälerung der Leistungen der übrigen Berechtigten führen. Ich glaube, meine Damen und Herren, Sie alle werden anerkennen, daß die Bundesregierung hiermit unter Zurückstellung finanzieller Bedenken bis an die äußerste Grenze des Möglichen gegangen ist.
    Wie zum Bundesentschädigungsgesetz ist auch zum Bundesrückerstattungsgesetz von den Verfolgtenverbänden der Wunsch vorgetragen worden, die Anmeldefristen sollten neu eröffnet werden. Ich darf hierzu darauf hinweisen, daß der Bundestagsausschuß für Wiedergutmachung zu dieser Frage in seinem Schriftlichen Bericht über den Entwurf eines zweiten Änderungsgesetzes, der eine nochmalige Verlängerung der Anmeldefristen bis zum 1. April 1959 vorsah, wie folgt Stellung genommen hat:
    „Der Ausschuß hält im übrigen die vorgesehene Verlängerung der Anmeldefristen für zweckmäßig und ausreichend, weist dafür gleichzeitig darauf hin, daß eine weitere Verlängerung nicht möglich und erforderlich ist."
    Der Wunsch auf Neueröffnung der Anmeldefristen wird nun insbesondere damit begründet, daß die über § 5 des Rückerstattungsgesetzes Berechtigten vielfach von einer Meldung ihrer Ansprüche abgesehen hätten, weil sie glaubten, den nach § 5



    Bundesminister Dr. Dahlgrün
    verlangten Nachweis der Verbringung ihrer außerhalb des Geltungsbereichs entzogenen Vermögensgegenstände in den Geltungsbereich des Gesetzes nicht führen zu können. — Hierauf darf ich erwidern, daß schon geraume Zeit vor Ablauf der Anmeldefristen in der in- und ausländischen Presse, in den maßgebenden Kommentaren zum Rückerstattungsgesetz und insbesondere auch im Bericht des Wiedergutmachungsauschusses vom 5. April 1957 darauf hingewiesen worden ist, .daß an den Verbringungsnachweis keine allzu strengen Anforderungen zu stellen und allgemeine Erfahrungstatsachen hierbei zu berücksichtigen seien.
    Daß die Mehrzahl der Geschädigten von der Möglichkeit, einen Anspruch über § 5 durchzusetzen, Gebrauch gemacht hat, geht aus der Zahl der Anmeldungen, die sich auf Entziehungen außerhalb des Geltungsbereichs beziehen, eindeutig hervor. Allein beim Haupttreuhänder für Rückerstattungsvermögen in Berlin sind mehr als 300 000 solcher Ansprüche angemeldet worden.
    Die Bundesregierung verneint daher jede rechtliche Verpflichtung, die Anmeldefristen neu zu eröffnen. Sie hat aber ein Übriges getan, indem sie in § 44 a die Bildung eines Fonds in Höhe von 400 Millionen DM vorgesehen hat, aus dem diejenigen Berechtigten, denen in den besetzten Westgebieten Hausrat oder 'denen in den gesamten besetzten Gebieten Schmuck und Edelmetallgegenstände entzogen worden sind, Leistungen erhalten können. Die Härteleistungen sind auf diese beiden Fälle beschränkt worden, weil hier generell feststeht, daß diese entzogenen Gegenstände überwiegend in den Geltungsbereich des Rückerstattungsgesetzes gelangt sind.
    Nun ein Wort zu einem weiteren Wunsch der Verfolgtenverbände. Es ist angeregt worden, den Nachweis der Verbringung in § 5 des Bundesrückerstattungsgesetzes 'durch eine Vermutung, daß die im Ausland entzogenen Gegenstände in den Geltungsbereich des Bundesrückerstattungsgesetzes verbracht sind, zu ersetzen. Die Verwirklichung eines solchen Vorschlages würde gegen ein Grundprinzip des schon von den alliierten Militärregierungen geschaffenen Rückerstattungsrechts verstoßen. Diese Gesetze finden bekanntlich nur Anwendung auf Gegenstände, die im Geltungsbereich des Gesetzes entzogen worden sind oder die nach der Entziehung außerhalb des Geltungsbereichs in den Geltungsbereich gelangt sind. Dieses objektive Territorialitätsprinzip würde durch eine solche Vermutung entscheidend durchbrochen werden. Der Antragsgegner, das Deutsche Reich, kann praktisch in keinem einzigen Fall den Gegenbeweis führen, daß die entzogenen Gegenstände nicht in den Geltungsbereich verbracht worden sind, obwohl sich bei der Durchführung des Bundesrückerstattungsgesetzes ergeben hat, daß etwa Warenvorräte oder Maschinen größtenteils in den besetzten Gebieten verblieben sind. Auch hier würden also bei einer Umkehrung der Beweislast viele Milliarden zu zahlen sein.
    Auch auf diesem Teilgebiet der Wiedergutmachung werden mit der Ihnen vorgelegten Novelle nicht alle Härten beseitigt. Aber auch hier glaubt die Bundesregierung im Rahmen des Möglichen das Äußerste getan zu haben. Ich darf Sie nochmals bitten, sich auch bei Behandlung dieses Gesetzentwurfs der Grenzen bewußt zu bleiben, die jeder mit finanziellen Leistungen verbundenen gesetzlichen Regelung — leider auch auf dem Gebiet der Wiedergutmachung — gesetzt sind.

    (Beifall bei ,den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Die beiden Vorlagen sind begründet. Liegen Wortmeldungen zur Aussprache vor? — Herr Abgeordneter Dr. Böhm!

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Franz Böhm


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesfinanzminister hat dem Hause einen Überblick über die bisherigen Wiedergutmachungsleistungen der Bundesrepublik gegeben. Er hat Zahlen genannt, die sehr eindrucksvoll sind.
    Man könnte den Überblick durch einen Hinweis auf die bedeutenderen Gesetze, die es auf diesem Gebiete gibt, und die bedeutenderen Verträge, die hier abgeschlossen worden sind, vervollständigen. Da ist allen voran das Bundesentschädigungsgesetz zu nennen, ursprünglich unter dem Namen „Bundesergänzungsgesetz" 1953 in Kraft getreten, sehr umfassend im Jahre 1956 novelliert. Da ist das Bundesrückerstattungsgesetz aus dem Jahre 1957. Da ist das Bundesgesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes aus dem Jahre 1951 und ein anderes Gesetz zur Regelung 'der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für die im Ausland lebenden Angehörigen des öffentlichen Dienstes aus dem Jahre 1952. Da ist ein Gesetz, das noch aus dem Jahre 1949 stammt und wenige Tage nach Errichtung 'der Bundesrepublik noch vom Wirtschaftsrat erlassen worden ist, über die Behandlung der Verfolgten des Nationalsozialismus in der Sozialversicherung. Da ist dann noch das Gesetz aus dem Jahre 1953 zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Kriegsopferversorgung für Berechtigte im Ausland. Dazu kommen noch vier alliierte Rückerstattungsrechte der amerikanischen, britischen und französischen Zone und der Kommandantur Berlin. Das wären die wesentlichsten Gesetze.
    An bedeutenden Verträgen wären zu erwähnen der Israel-Vertrag vom 10. September 1952 und der Vertrag — offiziell durch zwei Protokolle bezeichnet — mit der Conference on Jewish Material Claims against Germany, also der Konferenz der Weltvereinigungen der jüdischen Verfolgtenverbände, ebenfalls vom 10. September 1952. Einige Monate früher wurde der Überleitungsvertrag zum DeutschlandVertrag vom 26. Mai 1952 abgeschlossen. In den Verträgen mit der Claims Conference, an dem Protokoll Nr. 1 und im Überleitungsvertrag zum Deutschland-Vertrag hat die Bundesregierung Verpflichtungen in bezug auf den Mindestinhalt der Gesetzesvorschläge zur Wiedergutmachung übernommen, die sie dem Bundestag einzureichen gedachte. Diese Vertragsverpflichtungen binden ausschließlich



    Dr. Böhm (Frankfurt)

    die Bundesregierung in bezug auf die Gesetzentwürfe, die sie dem Bundestag einreicht. Sie binden nicht den Bundesgesetzgeber.

    (Zuruf von der Mitte: Sehr richtig!)

    Dazu kommen zehn Verträge mit europäischen Staaten, auf Grund deren Globalsummen an diese Staaten bezahlt wunden, die sie in den Stand setzen sollten, ihrerseits die Verfolgten zu entschädigen, die als Angehörige ihres Staates in diesen Staaten leben. Unsere Wiedergutmachungsgesetze sehen nämlich individuelle ,Entschädigungen nur für solche Opfer des Nationalsozialismus vor, die irgendeine territoriale Beziehung zur Bundesrepublik haben. Es ist keine Entschädigung für Bürger anderer Staaten vorgesehen, ,die früher in den anderen Staaten gewohnt haben und heute dort noch wohnen. Allerdings ist dieser Personenkreis erweitert worden, namentlich bewußt zugunsten jüdischer Verfolgter, die sich in den DP-Lagern auf dem Gebiete der Bundesrepublik am 1. Januar 1947 befunden haben und von dort aus nach Israel oder in die ganze Welt weitergewandert sind. Auch sie erhalten Entschädigung.
    Ferner ist eine individuelle Entschädigung für solche Ausländer vorgesehen worden, die im mittelbaren oder unmittelbaren Zusammenhang mit der Verfolgung irgendwann einmal vor Inkrafttreten des Gesetzes staatenlos geworden sind, zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes im Jahre 1953 Staatenlose oder Flüchtlinge waren und nun im Ausland leben. Denn diese Personen haben ja auch keinerlei Aussicht, aus etwaigen Reparationszahlungen oder Globalzahlungen Deutschlands, wie wir sie z. B. mit den zehn Ländern vereinbart haben, entschädigt zu werden. Sie haben keinen Schutzstaat. Wir haben auch eine beschränkte individuelle Entschädigung dieser Personengruppe übernommen. Aber z. B. Holländer, die während der Besetzung Hollands durch deutsche Truppen ins Konzentrationslager verbracht worden sind und heute wieder als holländische Staatsbürger in Holland leben, erhalten keine Entschädigung aus unseren Individualgesetzen. Die Grundvorstellung war, daß alle diejenigen Personen, die während des Krieges in den besetzten Gebieten geschädigt worden sind, nicht individuell als Personen entschädigt werden sollen, sondern daß es den Regierungen dieser Länder vorbehalten bleiben muß, im Friedensvertrag mit Deutschland Reparationszahlungen oder Globalzahlungen zu erwirken.
    Nun hat sich, wie Sie alle mit Kummer und Sorge miterlebt haben, die Herstellung eines allseitigen Friedenszustandes bis zum heutigen Tage verzögert, und noch heute ist kein Ende abzusehen. Das hat in den mit uns befreundeten Nationen des Westens die Aussichten für die dort lebenden Verfolgten, noch zu ihren Lebzeiten eine Entschädigung zu bekommen, in die Ferne gerückt. Aus diesem Grunde hat die Bundesregierung mit diesen Staaten die Globalbeträge vereinbart. Dazu kommen noch die Verträge, die der Bundesfinanzminister erwähnt hat: ein Vertrag mit dem Hohen Kommissar für Flüchtlinge; durch einen anderen Vertrag mit Osterreich haben wir uns zu gewissen Beitragszahlungen zur internen österreichischen Wiedergutmachung verpflichtet.
    Die Zahlen brauche ich Ihnen nicht zu wiederholen. Ich will nur eine nennen, die auch der Herr Bundesfinanzminister genannt hat: die Zahlungen, die sich pauschal aus all dem ergeben werden, wenn die beiden Novellen, die dem Hohen Hause vorliegen, unverändert angenommen werden. Für diesen Fall ist ein Gesamtbetrag von etwa 40 Milliarden DM geschätzt und errechnet worden, eine gewaltige Summe.
    Es kommt noch der recht erhebliche Verwaltungsaufwand für die Durchführung des Bundesentschädigungsgesetzes hinzu, der in erster Linie von den Ländern getragen wird. Ich nenne hier die Entschädigungsämter. Dann ist auch eine außerordentliche Mühe zu berücksichtigen, die für die Materialsammlung aufgewendet worden ist. Selbstverständlich dürfen auch die hierfür notwendigen Mittel nicht vergessen werden. Denken Sie doch bitte einmal daran, wie wir mit unserer Wiedergutmachung angefangen haben: die Angestellten und Beamten der Entschädigungsämter haben damals im Durchschnitt nur eine sehr blasse Vorstellung von der Verfolgungswirklichkeit im Dritten Reich gehabt. Heute dagegen sind allein in den Archiven und Akten der Außenstelle des Entschädigungsamtes RheinlandPfalz in Berlin Materialien über die Verfolgungswirklichkeit in Rumänien und verschiedenen anderen Staaten des damals von Hitler besetzten östlichen Bereichs zusammengetragen, die einen unheimlichen Überblick und eine Kenntnis von der Wirklichkeit und den geschichtlichen Vorgängen in diesen Bereichen vermitteln. Wir haben die Wiedergutmachungsgerichte; bei den Gerichten sind Wiedergutmachungskammern und Wiedergutmachungssenate eingerichtet worden. Bei den entscheidenden Bundesministerien und den Ministerien der Länder sind Wiedergutmachungsreferate errichtet worden. Es besteht also ein außerordentlich umfassender Verwaltungsapparat zur Durchführung der Wiedergutmachung.
    Erst die Abwicklung der praktischen Wiedergutmachung hat uns überhaupt eine Kenntnis von dem schauderhaften Umfang der Verfolgung und des in der Hitler-Zeit begangenen Unrechts und der Summe der Leiden verschafft.
    Übrigens haben unsere Bundesgesetze auch eine Vorgeschichte. Ich glaube, es ist heute, da diese sogenannten Schlußgesetze vorliegen, auch ein Anlaß, einen historischen Rückblick auf die Entstehung der Wiedergutmachung zu werfen. Von diesem Rückblick kann nämlich auch ein sehr schlüssiger Rückschluß auf ihren Sinn und ihren Erklärungswert gezogen werden.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    So hatten wir, bevor es eine Bundesrepublik gab, Wiedergutmachungsgesetze der Länder. Um 1947 herum sind die ersten entstanden, und zwar verschieden in den vier Zonen. Diese Ländergesetze waren die einzige Grundlage für die Entschädigungsansprüche bis zum Erlaß des Bundesergänzungsgesetzes im Jahre 1953.



    Dr. Böhm (Frankfurt)

    Aber nicht nur vor der Errichtung der Bundesrepublik hat es Wiedergutmachungsgesetze gegeben. Es hat schon vor dem Zusammenbruch des Dritten Reiches, also im Dritten Reich selber, Widerstandsbewegungen gegeben, die — darunter die wichtigsten und bedeutendsten Widerstandsbewegungen — die Wiedergutmachung zu einem Programmpunkt für die Wiederaufrichtung des Rechts und eines neuen Deutschland gemacht haben. Ich wäre in der Lage, Ihnen näheres über diese Zeit zu sagen; aber viele von Ihnen wissen das schon selber. Das Programm dieser Widerstandskreise im Dritten Reich ging dahin, daß eine neue deutsche Regierung das Steuer vom Unrecht, Terror und von der Gewalt auf die Wiederaufrichtung des Rechts herumwerfen müsse und daß hier sozusagen als Nagelprobe die Übernahme einer Haftung für den Schadensersatz für zugefügtes Unrecht im Vordergrund stehen sollte.
    Schon damals waren sich die betreffenden Kreise darüber einig, daß es sich bei der Entschädigung der Opfer der Verbrechen nicht etwa um einen Samariterdienst handelt wie beim Roten Kreuz, sondern um eine Rechtspflicht zum Ersatz von Unrechtsschaden, Schaden, der zugefügt worden ist von einer Unrechtsregierung des Reiches und für den die nachfolgende, auf das Recht verpflichtete und eingestellte Regierung, gerade um diesen Wandel nicht nur zu dokumentieren, sondern auch durch die Tat zu bewähren, die Haftung übernehmen sollte. Statt Tötung, Beraubung, Entwürdigung, Qual, Gesundheitszerrüttung sollten treten die Sorge für die Hinterbliebenen der Opfer, die Rückerstattung des Raubes, die Wiederherstellung des sozialen, beruflichen und moralischen Status der Opfer, insbesondere auch der Juden und des Judentums im ganzen, Wiedereingliederung der Opfer in die Gesellschaft, Sorge für Alter und für Invalidität.
    Der Gedanke war auch der, daß durch das Indenvordergrundstellen einer solchen Entschädigung von Gewaltopfern einer eigenen Regierung ein ganz anderes Ausleseprinzip innerhalb des Staates und der Gesellschaft gewährleistet werden sollte. Ein Staat, der die Parole ausgibt: „Juda verrecke!" erzielt eine andere Auslese — in seinen Schlägergarden und seinen Funktionärskorps — als ein Staal, der die Parole der Wiedergutmachung ausgibt. Im einen Staat werden sich alle Menschen mit Gewaltinstinkten, Roheitsinstinkten und Unterwerfungsinstinkten an die Spitze drängen; im anderen Fall werden den Ton in der Gesellschaft die Menschen des Rechts und der Menschlichkeit angeben. Das ist ein ganz entscheidender politischer, ich möchte sagen, verfassungspolitischer Programmsatz schon im Widerstand gewesen.
    Die Erfolgsbilanz, die aus der Wiedergutmachungsgesetzgebung gezogen werden kann, wird wohl dahin gehen: Es ist kein Werk aus einem Guß entstanden und konnte kein Werk aus einem Guß entstehen. Wir haben uns auf Neuland bewegt, wir haben improvisieren müssen. Geschichtliche Zufälligkeiten waren maßgebend für die Auswahl der Personengruppen, für die Auswahl der Tatbestände. Wir haben Lehrgeld bezahlt. Bevor es eine Bundesrepublik gab, gab es nur Länder, die einzeln vorgehen mußten. Wir haben heute einen Bundesstaat, bei dem nicht nur die Wiedergutmachungsgesetzgebung, sondern auch der Vollzug der Wiedergutmachung im Verhältnis zu zentral organisierten Staaten kompliziert ist. Der Gesetzgeber ist ferner abhängig von der Rechtsprechung unabhängiger Gerichte, von den Entscheidungen zahlreicher Entschädigungsämter und von den verwaltungs-organisatorischen Schwierigkeiten, die sich hier ergeben. Die ganze Verwaltung, die ganze Ausübung der Wiedergutmachung ist fast vollständig in die Regie der Länder gegeben. Auch hier ist eine gewaltige organisatorische Leistung von jenen vollbracht worden, die diese Verwaltungsapparate aufgebaut haben, aber auch durch die Treue und Gewissenhaftigkeit, mit der die Leiter der Entschädigungsämter zusammen mit ihren Angestellten im Laufe der Zeit bei ihrer Aufgabe zu Werk gegangen sind. Es ist erstaunlich, wie sich die berufliche Qualität, die Kenntnisse und die Einsichten im Laufe der Jahre verbessert haben. Am Anfang waren wir zeitweise in Verzweiflung und glaubten, das würde nicht gehen. Aber da ist doch sehr viel geschehen. Wir haben deshalb heute auch Anlaß, dankend all der unzähligen Namenlosen zu gedenken, die zu dem Vollzug der Wiedergutmachung nach besten Kräften und zum Teil mit einem bemerkenswerten Geschick, mit einem warmen Herzen und einem scharfen Verstand beigetragen haben.

    (Allgemeiner Beifall.)

    Historisch könnte man vielleicht die Frage stellen: warum kam eigentlich die Wiedergutmachung nach 1945 nur so langsam in Gang? Wieso hat sich bei vielen, auch bei vielen unserer Landsleute der Eindruck bilden können, als sei die Wiedergutmachung gar kein deutsches Anliegen, sondern ein Anliegen der Alliierten gewesen? Nun, dafür gibt es sehr durchschlagende Gründe. Insbesondere gab es für den Anfang der Wiedergutmachung zwei Hemmnisse. Wir hatten in den Jahren nach dem Zusammenbruch nur die Länder, keinen Bund, keine Zentralgewalt, nicht einmal eine partielle Zentralgewalt. Natürlich kann jedes Land Gesetze erlassen für die Entschädigung derjenigen Opfer des Nationalsozialismus, die in seinem Gebiete wohnen. Aber wie sollte Bayern oder Hessen oder Schleswig-Holstein dazu kommen, etwa diejenigen, die innerhalb der besetzten Gebiete während der Hitler-Zeit geschädigt worden sind — ich denke insbesondere an die ungeheuren Massaker und die Verfolgung der Juden außerhalb des Reichsgebiets —, in ihre Entschädigung einzubeziehen? Hier mußte erst die Bildung einer zentraleren Gewalt, die Errichtung der Bundesrepublik abgewartet werden, ehe sich die Wiedergutmachung auf diese Geschädigten erstrecken konnte. An sich wäre die deutsche Initiative auf keinem Gebiet so aussichtsreich gewesen wie auf diesem, und bei keinem Gebiet hätten die Alliierten es so verstanden, wenn die Initiative von uns ausgegangen wäre. Man muß sagen, daß die Länder, nachdem die Sache begonnen hatte, doch zum Teil vorbildliche und wegweisende Arbeit in der damaligen Zeit geleistet haben. Das gilt auch für den süddeutschen Länderrat. Nach der Errich-



    Dr. Böhm (Frankfurt)

    tung der Bundesrepublik ist in den ersten Jahren der Bundesrat der Hauptträger auch der gesetzgeberischen Vorarbeiten jener Zeit gewesen.
    Der entscheidende Durchbruch der deutschen Initiative erfolgte aber — man kann es auf den Tag genau angeben — am 27. September 1951. Damals hat Bundeskanzler Dr. Adenauer im Namen der Bundesregierung vor dem Bundestag eine Erklärung abgegeben, die so bedeutsam ist, daß ich -zumal das Bewußtsein von der ursprünglichen Konzeption zuweilen in der öffentlichen Diskussion verlorenzugehen droht — einige der wichtigsten und entscheidensten Sätze mit Genehmigung des Herrn Präsidenten im Wortlaut verlesen möchte. In der Erklärung bekundete die Bundesregierung ihre Bereitschaft,
    gemeinsam mit Vertretern des Judentums und des Staates Israel, der so viele heimatlose ... Flüchtlinge aufgenommen hat, eine Lösung des materiellen Wiedergutmachungsproblems herbeizuführen, um damit den Weg zur seelischen Bereinigung unendlichen Leides zu erleichtern. Sie ist tief davon durchdrungen, daß der Geist wahrer Menschlichkeit wieder lebendig und fruchtbar werden muß. Diesem Geist mit aller Kraft zu dienen, betrachtet die Bundesregierung als die vornehmste Pflicht des deutschen Volkes.
    Ferner wird gesagt:
    Die Bundesregierung und mit ihr die große Mehrheit des deutschen Volkes sind sich des unermeßlichen Leides bewußt, das in der Zeit des Nationalsozialismus über die Juden in Deutschland und in den besetzten Gebieten gebracht wurde. Das deutsche Volk hat in seiner überwiegenden Mehrheit die an den Juden begangenen Verbrechen verabscheut und hat sich an ihnen nicht beteiligt. Es hat in der Zeit des Nationalsozialismus im deutschen Volke viele gegeben, die mit eigener Gefährdung aus religiösen Gründen, aus Gewissensnot, aus Scham über die Schändung des deutschen Namens ihren jüdischen Mitbürgern Hilfsbereitschaft gezeigt haben. Im Namen des deutschen Volkes
    — das ist ein entscheidender Satz —
    sind aber unsagbare Verbrechen begangen worden, die zur moralischen und materiellen Wiedergutmachung verpflichten, sowohl hinsichtlich der individuellen Schäden, die Juden erlitten haben, als auch des jüdischen Eigentums, ...
    Dieses Wort von der moralischen und materiellen Wiedergutmachung will nicht besagen, daß die Bundesregierung die" Pflicht zur Wiedergutmachung nur für eine moralische Pflicht gehalten hätte. Vielmehr ist der Ausdruck „moralische Wiedergutmachung" dem Ausdruck „materielle Wiedergutmachung" entgegengestellt, und man verstand unter der moralischen Wiedergutmachung die Herstellung der Ehre und die Wiedergutmachung der Entwürdigung geschändeter Menschen, insbesondere auch mit den Mitteln der Erziehung, des Geschichtsunterrichts. Dagegen war sich die Regierung von vornherein darüber im klaren, daß die Wiedergutmachung im
    Grunde eine Rechtspflicht war, die zwar aus verschiedenen Gründen formell durch Gesetze noch besonders übernommen werden mußte, aber nicht erst durch diese Gesetze geschaffen worden ist, vor allen Dingen nicht erst durch die Verträge. Nicht durch die Verträge mit der Claims Conference und durch die Verträge mit den Alliierten ist die Wiedergutmachungspflicht des Bundes völkerrechtlich-vertraglich statuiert worden. In diesen Verträgen ist vielmehr lediglich der Mindestinhalt der von der Bundesregierung vorzulegenden Gesetze zum Gegenstand einer Verpflichtung gemacht, aber nicht die Wiedergutmachungspflicht als solche geschaffen worden.
    Es hat zuweilen den Anschein, daß neuerdings eine Tendenz besteht, unsere Wiedergutmachungspflicht aus diesen Verträgen abzuleiten, um dann mit besonderem Nachdruck hervorzuheben, daß wir ja über den Mindestinhalt dieser Verträge hinausgegangen sind. Das gibt doch eine etwas falsche Darstellung der historischen und politischen Bedeutung der Wiedergutmachung.

    (Zurufe von der SPD: Allerdings! Sehr wahr!)

    Nun haben sich an diese entscheidende Erklärung der Bundesregierung damals sofort Schlag auf Schlag wichtige Akte angeschlossen. Da waren zunächst die Kontakte mit dem Staat Israel und mit der Claims Conference. Es hat Anfang Dezember 1947 ein Treffen zwischen Bundeskanzler Adenauer und Dr. Nahum Goldmann in London stattgefunden. Bei diesen Gesprächen erbot sich Dr. Nahum Goldmann auch, bei der israelischen Regierung zu sondieren sowie eine Konferenz der großen Weltverbände vorzubereiten. Die Verhandlungen mit Israel ebenso wie mit der Claims Conference haben dann im März 1952 angefangen; die Verhandlungen mit den westlichen Besatzungsmächten über den Deutschlandvertrag hatten schon etwas früher begonnen. Die Verhandlungen haben dann in Verträgen einen Abschluß im Jahre 1952 gefunden.
    Im Sommer 1953 hat die Bundesregierung das Bundesergänzungsgesetz im Bundestag eingebracht. Die Bundesregierung hat sich darin ziemlich streng an den in dem Vertrag mit der Claims Conference und in dem Überleitungsvertrag festgelegten Mindestinhalt gehalten und ist kaum darüber hinaus gegangen. Der Deutsche Bundestag war damals — es war in den letzten Monaten oder Wochen der Wahlperiode des 1. Deutschen Bundestages — unglücklich darüber, daß er keine Gelegenheit mehr hatte, Kritik an diesem nach seiner Meinung viel zu bescheidenen Gesetz zu üben, wollte aber die Legislaturperiode nicht vorübergehen lassen, ohne ein Gesetz anzunehmen. So ist ohne wesentliche Aussprache das Bundesergänzungsgesetz von 1953 angenommen worden.
    Das bitte ich jetzt auch zu berücksichtigen: die Sprecher aller Fraktionen dieses Hauses — und es waren damals noch mehr Fraktionen da — haben ohne Ausnahme das Bundesergänzungsgesetz von 1953 als unzureichend bezeichnet und haben bemängelt, daß sich die Bundesregierung so eng an die



    Dr. Böhm (Frankfurt)

    Mindesterfordernisse in den beiden Verträgen gehalten hat.

    (Abg. Jahn: Der Bundesfinanzminister weiß das nur nicht mehr!)

    Der 2. Bundestag, der dann zusammentrat, hat alsbald die Initiative ergriffen. Er hat sogar in Betracht gezogen, ein Bundesentschädigungsgesetz in eigener Regie, also durch sämtliche damaligen Fraktionen, einzubringen. Aber Herr Bundesfinanzminister Schäffer hat die Einrichtung einer gemischten Kommission zur Anfertigung einer die bloße technische Novelle weit überschreitenden neuen Novelle zu diesem Gesetz angeboten. Damit ist zum erstenmal und ich glaube, auch zum einzigen Male in diesem Hause eine Regierungsvorlage von einer Kommission bearbeitet worden, der Abgeordnete aller Fraktionen des Bundestages, die Ressorts der Bundesregierung und außerdem fünf Länder einschließlich Berlins angehört haben.
    Diese Kommission hat 9 Monate getagt und die ganze Zeit nichts anderes getrieben, als dieses ganze Gesetz zu novellieren. Dieser Entwurf ist dann von der Bundesregierung im Bundestag eingebracht worden, der am Tage der Einbringung dieses Gesetzentwurfs einen eigenen Ausschuß, den Wiedergutmachungsausschuß, eingesetzt hat.
    Die Novelle selbst ist dann am 20. Juni 1956 mit sehr starken Erweiterungen verabschiedet worden. Nunmehr war klar, daß Bundesregierung und Bundestag eindeutig die Initiative für die Wiedergutmachung als eine deutsche Frage in ihre Hand genommen hatten und sich von der Anlehnung an alliierte Vorschläge und von der Bindung an alliierte Aktivität vollständig emanzipiert hatten. Die Annahme der Novelle vom Jahre 1956 war ein wiedergutmachungsgeschichtlich und nicht nur wiedergutmachungsgeschichtlich bedeutsames Ereignis; es war ein bedeutendes Ereignis in unserer Geschichte.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    An diesem Geist muß festgehalten werden — das war von vornherein die Idee -, und er muß zu einer festen, nicht mehr zu verlassenden Tradition unserer Politik werden.
    Wichtig war nach der Auffassung, die sich damals in der Kommission, die den Gesetzentwurf erstellen sollte, im Wiedergutmachungsausschuß und in diesem Hohen Hause bei der Konzeption unseres Bundesentschädigungsgesetzes durchgesetzt hat, die Vorstellung, daß die Rechtsgrundlage der Wiedergutmachungspflicht die Vorschriften der §§ 823 ff. unseres Bürgerlichen Gesetzbuches waren, die vorsehen, daß sich an die Verübung von Unrechtshandlungen eine zivilrechtliche Schadensersatzpflicht, und zwar eine Verpflichtung auf Ersetzung des vollen Schadens, anknüpft, und es war die Rechtsauffassung von uns allen, daß jeder, der im Dritten Reich verfolgt worden ist, am Tage, an dem ihm das Unrecht zugefügt worden ist, einen zivilrechtlichen Anspruch gegen die Hitlerregierung und gegen das Hitlerreich auf Grund des damals ohne Einschränkung gültigen Bürgerlichen Gesetzbuches erworben hatte, einen Anspruch, der allerdings nicht geltend gemacht werden konnte, da sich kein Gericht gefunden hätte, das ihn angenommen hätte. Aber dieser Anspruch war auf damaliges Recht gegründet, und es handelte sich nun darum, diese Schuld eines dahingegangenen Reiches zu übernehmen, und zwar dadurch, daß die- Haftung für die Bewirkung dieser Schuld übernommen wurde. Gleichzeitig ist die Schuld selber aus einer privatrechtlichen Schuld in eine öffentliche-rechtliche Entschädigungsverpflichtung verwandelt worden.
    Diese Verwandlung in eine öffentlich-rechtliche Entschädigungsverpflichtung hat zwei bedeutsame Wirkungen gehabt; die eine hat sich hauptsächlich zugunsten der Verfolgten, die andere zuungunsten — aber mit Absicht zuungunsten — der Verfolgten ausgewirkt. Zugunsten der Verfolgten hat sich ausgewirkt, daß dadurch, daß die Entschädigungspflicht zu einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung gemacht worden ist, der Schuldner, also der Bund und die Länder, oder die Haftenden, die Zahlungsverpflichteten ihrerseits den Verfolgten, ihren Gläubigern eine Verwaltungsapparatur zur Verfügung gestellt haben, die den Verfolgten die in vielen Fällen äußerst schwierige Beschaffung der Beweise ex officio erleichtern sollte. Ganz zweifellos wäre, wenn wir die Sache im bürgerlichen Recht gelassen hätten, der überwältigende Teil der Ansprüche ganz einfach an der Beweisfrage gescheitert. Die Beweisregelung und das Beweisverfahren bei unseren Entschädigungsämtern hat dies weitgehend beseitigt. Es ist auch eine sehr merkwürdige Konstruktion, daß der Schuldner, der daran interessiert ist, wenig oder nichts zu zahlen, seinem Gläubiger dabei helfen soll, diese Schuld zu beweisen, und unsere Rechnungshöfe haben Mühe gehabt, diese Quadratur des Zirkels zu begreifen. Es handelte sich also um eine Anerkennung der Haftung für diese Schuldverpflichtungen des Dritten Reichs.
    Zum Nachteil des Verfolgten hat sich ausgewirkt, daß sich die Bundeserpublik vorbehalten hat und vorbehalten mußte, wie schon in der Regierungserklärung stand, den Umfang ihrer Entschädigungsverpflichtung aus dem Gesichtspunkt der Begrenzung der Leistungsfähigkeit zu limitieren. Das bedeutet aber, daß alles Unrecht, das durch die Verfolgung begangen worden ist, wieder gutgemacht werden muß, bis die Grenze der Leistungsfähigkeit erreicht wird, daß auch eine sorgfältige Abstimmung der Wiedergutmachungsverpflichtungen mit den anderen Verpflichtungen und lebendigen Aufgaben unseres Staates vorgenommen wird.
    Der Herr Bundesfinanzminister hat schon mit Recht darauf hingewiesen, daß die Bundesrepublik die einzige politische Gewalt auf dem Gebiete des ehemaligen großdeutschen Reichs Adolf Hitlers ist, die diese Übernahme der Haftung vollzogen hat. Die Sowjetzone gewährt zwar ihren in ihrem Gebiet sitzenden Verfolgten eine gewisse Entschädigung, aber, wie gesagt, nur an Einwohner und nicht als Schadensersatz, sondern als eine Art von öffentlicher Verfolgtenzulage, eine Art von politischer Auszeichnung, einen Zuschlag zu einer prinzipiell ganz anderen Einkommensverteilung, als wir bei uns haben. Keinen Pfennig leistet die Sowjetzone an



    Dr. Böhm (Frankfurt)

    auswärts lebende Verfolgte, auch nicht an solche im Ausland lebende Verfolgte, die auf ihrem Gebiet geschädigt worden sind, keinen Pfennig an Staatenlose, Flüchtlinge und DPs. Die Entschädigung für das an den Juden verübte Unrecht hat fast ausschließlich die Bundesrepublik auf ihre Schultern genommen. Die Sowjetzone lehnt jede Verantwortlichkeit für irgend etwas ab, was sich vor ihrer glorreichen Urzeugung in der Geschichte zugetragen hat. Sie benimmt sich wie eine geschichtslose Gralstaube, vollkommen neugeboren im Geiste Lenins, gereinigt vom Erdenrest, heißt Hase und weiß von nichts, besonders nichts von den Schulden vorheriger Regierungen.
    Der Staat Österreich hat sich als ein selbst verfolgter Staat etabliert, mit dem Verfolgerstaat weder verwandt noch verschwägert, auf dem Gebiet der Wiedergutmachung allenfalls Gläubiger, nicht Schuldner, leistet eine gewisse Wiedergutmachung an im Lande lebende österreichische Juden, nicht aber an die österreichischen Juden, die heute in Israel oder sonst in anderen Ländern leben. An der innerösterreichischen Wiedergutmachung beteiligt sich auch die Bundesrepublik. Die in Israel und im sonstigen Ausland lebenden österreichischen Juden und Verfolgungsopfer aber stehen vor der Situation: entweder gar nichts oder Entschädigung von der Bundesrepublik, die dann in diesem Fall ihre einzige Hoffnung ist.
    Die Welt hat sich überhaupt so sehr an die bewußt übernommene Verantwortung der Bundesrepublik gewöhnt — das hat der Bundesfinanzminister schon mit Recht erwähnt —, daß sich der Tadel wegen Unvollkommenheiten und Mißständen der Wiedergutmachung nur an die Bundesrepublik richtet, nicht an diejenigen politischen Erben hitlerischer Aktiven, die keine Wiedergutmachung leisten, von denen man vielmehr weiß, daß es ganz zwecklos ist, sie überhaupt auf Wiedergutmachung anzusprechen. Ja, die Sowjetzone und Sowjetrußland haben sogar versucht, uns — der Bundesrepublik — aus der Bereitschaft zur Wiedergutmachung politisch und moralisch einen Strick zu drehen. Sie haben behauptet, darin liege eine Identifikation mit dem Hitlerstaat; deshalb bewirkten wir die Zahlung von Hitlerschulden. Als ob jemals in der Weltgeschichte ein Verbrecherregime seine Opfer entschädigt hätte! Die Schulden von Unrechtsregimen werden immer nur von Regimen des Rechts bezahlt.

    (Abg. Jahn: Leider ja!)

    An nichts anderem kann man einen Rechtsstaat in solchen Fällen wirklich erkennen

    (Abg. Jahn: Sehr wahr!) als daran, daß er das tut.


    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP.)

    Das ist ein glaubwürdiger Test; 40 Milliarden DM zahlt kein Volk aus der Westentasche. Wenn die Bundesrepublik ihren Anspruch, Gesamtdeutschland zu vertreten und zu repräsentieren, erhebt, dann ist das keine leere Behauptung, hinter der keine Taten
    stünden. Hinter diesem Anspruch steht die Wiedergutmachung.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Der Herr Bundesfinanzminister hat uns schon Auskunft gegeben über den Grund der Änderungsbedürftigkeit des Bundesentschädigungsgesetzes und des Bundesrückerstattungsgesetzes; ich brauche nicht mehr viel auf die Details einzugehen. Die Hauptpunkte sind, daß sich nach 1953 noch ganz unerwartete Wanderbewegungen von Juden in Rumänien, in Ungarn, in Bulgarien vollzogen haben, die nach der Befreiung aus dem Konzentrationslager erst nach 1953 aus ihrer alten Heimat, in die sie zurückgekehrt waren, entweder nach Israel oder sonstwohin in die Welt ausgewandert sind, — aus keinem anderen Grund als dem, daß sie vorher von den kommunistischen Regierungen nicht herausgelassen worden sind.
    Es war ganz unerwartet, daß Rumänien plötzlich die Genehmigung für die Auswanderung — vorübergehend — gegeben hat. Und es war ganz unerwartet, daß in Ungarn die Revolution ausbrach und für ein paar Tage die Grenze geöffnet war. Durch diese Lücke sind sehr erhebliche Mengen von ehemaligen Hitlerverfolgten teils nach Israel, teils nach Amerika, teils in andere Staaten ausgewandert. Sie können nach unserem Gesetz keine Entschädigung bekommen, weil unser Gesetz verlangt, daß sie schon im Jahre 1953 Staatenlose oder Flüchtlinge gewesen sind.
    So treffen sich also heute in israelischen Dörfern Verfolgte, die schon zusammen das gleiche Schicksal in einem Konzentrationslager erlebt haben. Der eine von ihnen war zufällig am 1. Januar 1947 in einem deutschen DP-Lager — der wird am besten entschädigt —, der andere war vor 1953 Staatenloser oder Flüchtling geworden; der wird am zweitbesten und, wenn er in Israel sitzt, am drittbesten entschädigt. Dann kommen diejenigen, die erst nach 1953 die Möglichkeit hatten auszuwandern, diese bekommen überhaupt nichts.
    Früher, auch zur Zeit der Verfolgung, hieß es: Ein Reich, ein Volk, ein Führer, eine Verfolgung. Heute ist der Wiedergutmachungsanspruch vielfach von Zufälligkeiten des positiven Rechts, an die wir auch nicht gedacht haben, abhängig, so daß neue Ungerechtigkeiten entstanden sind. Für die große Gruppe der hiervon betroffenen Menschen sieht der Regierungsentwurf einen Härtefonds in Höhe von 600 Millionen DM vor. Härtefonds bringen große Schwierigkeiten für die Verwaltung, die Verteilung und die praktische Handhabung mit sich. Sie haben aber den sehr großen Vorteil für den Wiedergutmachungsschuldner, daß sie eine fest begrenzte Summe darstellen, mit der der Bundesfinanzminister, mit der der Haushalt rechnen kann und von der man weiß, daß sie nicht überschritten wird. Wenn wir demgegenüber lediglich den Gesetzestext ändern, kann die Gesamtbelastung nicht zuverlässig geschätzt werden, weil wir nicht wissen, wie viele Verfolgte dieser Kategorien es gibt, wie viele von ihnen den Antrag stellen und wie viele die Beweise erbringen können. oder nicht.



    Dr. Böhm (Frankfurt)

    Unserer Fraktion leuchtet die Lösung, wie sie hier vorgesehen ist, ein. Unsere Fraktion begrüßt auch die sonstigen Verbesserungen. Es sind zum Teil entscheidende Verbesserungen und Erweiterungen, die der Regierungsentwurf vorsieht. Sie begrüßt auch — das möchte ich besonders hervorheben — die Tendenz, die Grenzen der Leistungsfähigkeit mit Ernst und Gewissenhaftigkeit zu beobachten, nicht nur bei der Wiedergutmachung, sondern schlechterdings bei allen mit Haushaltsbelastungen verbundenen Gesetzen. Diese Tendenz, die insbesondere in der Regierungserklärung zum Ausdruck kommt, wird von unserer Fraktion mit einhelliger Zustimmung aufgenommen.
    Schon in der 1951 von Dr. Adenauer verlesenen Erklärung wurde der Vorbehalt der Leistungsfähigkeit gemacht. Es wurde von Belastungen der Leistungsfähigkeit durch andere Verpflichtungen gesprochen. Unter diesen anderen Verpflichtungen sind schon damals zwei ausdrücklich erwähnt worden, nämlich die Leistungen der Kriegsopferversorgung und an die Flüchtlinge.
    Bei beiden Schlußgesetzen wird diese Frage mit der größten Akribie geprüft werden müssen, mit größerer Akribie als zuvor, auch in einer engeren Kooperation mit dem Haushaltsausschuß, als es früher geschehen ist.
    Wir haben nämlich, wie der Herr Bundesfinanzminister ebenfalls ausgeführt hat, inzwischen die Grenze erreicht, wo eine empfindliche Vermehrung der Haushaltsbelastung durch eine, wie die Erfahrung lehrt, leider sehr verführerische, aber schlechterdings nicht zu verantwortende Vernachlässigung der Geldwertstabilität erkauft werden müßte. Wir würden dann statt echter Leistungen Schwundleistungen darbieten, was auch keine redliche Wiedergutmachungspolitik sein würde.
    In diesem Zusammenhang wird auch immer darauf aufmerksam gemacht, wie stark wir im Jahre 1956 die Belastung durch die damalige Novelle unterschätzt haben. Aber ganz abgesehen davon, daß uns die gleiche Unterschätzung auch beim Lastenausgleichsgesetz und bei anderen Gesetzen unterlaufen ist, ist das bei der Wiedergutmachung besonders zu erklären. Das plötzliche Anschwellen der Anträge war eine Folge der Seriosität unseres Wiedergutmachungswillens in jenen Jahren. Vorher hieß es im Ausland vielfach, hinter der Wiedergutmachung stünden nur die Alliierten, und wenn die Alliierten abrückten, werde keine Wiedergutmachung mehr geleistet. Die eindrucksvolle Ausweitung unseres Entschädigungsgesetzes im Jahre 1956 hat schlagartig das Vertrauen in die wiedergutmachungsrechtliche Seriosität der Bundesrepublik in der ganzen Welt erhöht. Die Wirkung war, daß viele Personen, die vorher, um nicht Enttäuschungen zu erleben, keine Anträge geschickt hatten, ihre Anträge einreichten. Heute sind wir in einer besseren Lage. Heute haben wir ein viel übersehbareres Feld, wir haben mehr Anhaltspunkte für den Umfang der einzelnen Kategorien und für die Beurteilung der finanziellen Auswirkungen einzelner Bestimmungen.
    Der Abstrich aus dem Gesichtspunkt der begrenzten Leistungsfähigkeit darf aber nur innerhalb dieser Grenze ernsthaft geprüft werden. Das gleiche gilt für die Frage, wo, bei welchen Vorhaben Abstriche im Hinblick auf die Dringlichkeit vorgenommen werden sollen. Im übrigen muß es dabei bleiben: es darf nicht so sein, daß unsere Wiedergutmachungspflicht nur so weit reicht, wie unser Gesetz reicht, auch wenn neue Tatbestände oder neue Gruppen auftauchen, sondern unsere Wiedergutmachungspflicht reicht so weit, wie sie von uns nicht ausdrücklich, und zwar nur mit dem Hinweis auf die begrenzte Leistungsfähigkeit, eingeschränkt ist. Beim Auftauchen neuer Tatbestände muß also immer geprüft werden: Wie groß ist der Personenkreis, welchen Umfang haben die noch nicht entschädigten Schadenstatbestände, in welcher Höhe würde das insgesamt den Haushalt belasten, und überschreitet diese Belastung zusammen mit den anderen Belastungen die Leistungsfähigkeit des Bundes? Wir werden diese Sorgfalt, da ja die Frage noch offen ist, wie im einzelnen die Verbesserungen dosiert werden müssen, in den Ausschüssen anwenden müssen. Bevor das geschehen ist, läßt sich hier noch kein deutliches Bild gewinnen.
    Ich habe mich hier nur bemüht, die Prinzipien aufzuzeigen, nach denen wir verfahren müssen. Wir dürfen in unserer Wiedergutmachungsseriosität nicht erlahmen. Es darf nicht eine Stimmung aufkommen, als gelte es, jetzt noch ein lästiges Pensum zu absolvieren, sondern es muß bis zur letzten Entscheidung mit größtem Ernst verfahren werden. Es darf auch keine allgemeine Stimmung aufkommen, die etwa auf Wiedergutmachungsbehörden, auf Rechnungshöfe oder auf Wiedergutmachungsgerichte lähmend einwirken könnte. Die Wiedergutmachung ist nichts, was von selbst zustande kommt; ,die Wiedergutmachung stellt hohe sittliche Ansprüche an ein Volk, das es mit der Umkehr, mit der Rückkehr und mit der Aufpflanzung des Rechtsgedankens ernst meint. Man muß sich dieser Pflicht bis zum letzten Tage mit voller Hingabe und mit vollem Ernst widmen. Tun wir das nicht, so bringen wir Leistungen, die wir schwer genug aufgebracht haben, nachträglich um einen Teil ihres Segens. Nicht etwa, weil heute das Gesetz nicht zur vollen Befriedigung ausfällt — es kann nicht zur vollen Befriedigung ausfallen —, sondern weil ein unguter Eindruck über zunehmende, wollen wir einmal sagen, Wiedergutmachungsverdrossenheit entsteht.

    (Beifall im ganzen Hause.)

    Das darf nicht erfolgen. Wir würden eine der wichtigsten Entscheidungen, die wir getroffen haben, seitdem es eine Bundesrepublik Deutschland gibt, wir würden eine wichtige Weichenstellung ohne jede Not und leichtfertig ändern, wenn wir uns nicht von diesen Prinzipien leiten ließen.

    (Beifall im ganzen Hause.)