Rede von
Dr.
Carlo
Schmid
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, in meiner Eigenschaft als zweiter Berichterstatter den Bericht des ersten Berichterstatters, des Kollegen Furler, in tatsächlicher Hinsicht zu ergänzen. Sein Bericht umfaßt alles, was über den Hergang der Beratungen, über die gestellten Anträge und das Schicksal dieser Anträge wissenswert ist. Ich glaube jedoch, daß es nützlich sein könnte, die im Ausschuß zutage getretenen Auffassungen über die Rechtswirkungen der Präambel und die durch ihren Inhalt erfolgte Bindung jeder deutschen Regierung bei der Anwendung des Vertrages in einer prägnanten Zusammenfassung darzulegen.
Ich bemerke, daß über die einzelnen Feststellungen, die ich nun treffen werde, nicht formell abgestimmt worden ist, glaube jedoch, sicher sein zu dürfen, daß das, was ich sagen werde, die einmütige Auffassung des Ausschusses wiedergibt.
Im Ausschuß kam zum Ausdruck, daß die Präambel nicht etwa nur eine deklamatorische Zusammenfassung guter Wünsche darstellt, sondern den Organen der Bundesrepublik die Rechts pflicht auferlegt, entsprechend ihrem Inhalt zu handeln. Die Präambel ist ein Teil des Gesetzes, genauso rechtsverbindlich wie dessen paragraphierter Teil.
Im Ausschuß kam weiter zum Ausdruck — und diese Meinung wurde vom Vertreter der Regierung geteilt —, daß der deutsch-französische Vertrag innerhalb der rechtlichen und politischen Ordnungen gilt, die durch die Römischen Verträge und die anderen multilateralen Verträge über die Integration Europas und das nordatlantische Verteidigungssystem sowie durch den Deutschlandvertrag geschaffen worden sind. Danach bricht im Zweifelsfalle das Recht der multilateralen Verträge das Gemeinschaftsrecht, wie es mit Recht genannt wurde,
das durch den zweiseitigen Vertrag geschaffene Recht, falls es überhaupt zu einem Zweifel kommen sollte.
Im Ausschuß kam weiter zum Ausdruck, daß durch die Feststellung, daß durch diesen Vertrag die Rechte und Pflichten aus den von der Bundesrepublik Deutschland .abgeschlossenen multilateralen Verträgen unberührt bleiben, sowie durch die Erklärung des Willens, die Einigung Europas auf dem durch die Schaffung der europäischen Gemeinschaften begonnenen Wege durchzuführen, klargestellt ist, daß Europapolitik und Verteidigungspolitik der Bundesregierung von den durch 'die aufgeführten multilateralen Verträge geschaffenen Einrichtungen und Zielsetzungen auszugehen haben. Damit ist eine jede Bundesregierung auf eine aktive Europapolitik festgelegt; ebenso lauf eine Politik des Ausbaus und der Ausweitung .der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft; auf eine Politik, die hilft, die Voraussetzungen für ein Wirksamwerden der Kennedy-Round — um es in der Abkürzung zu sagen — zu schaffen, schließlich auf eine Politik, über die durch die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft geschaffenen europäischen Realitäten hinaus auf eine stärkere politische Integration Europas hinzuwirken.
Der Ausschuß war der Überzeugung, daß damit alle Befürchtungen gegenstandslos geworden sind — falls sie begründet gewesen sein sollten —, die innerhalb Deutschlands und außerhalb durch den Abschluß des Vertrages und die Begleitumstände seines Abschlusses aufgekommen sein mögen. Denn es steht nunmehr fest, daß der Vertrag einer jeden deutschen Bundesregierung nur als Instrument einer positiven europäischen Integrationspolitik und atlantischen Verteidigungspolitik dienen kann.
Wir wissen, daß darüber, was Europa sein soll, verschiedene Meinungen bestehen. Manche 'glauben, es genüge, ein Europa der Regierungen zu schaffen, .andere, eines der Staaten. Ich glaube mich nicht zu täuschen, wenn ich sage, daß die überwiegende Meinung im 'deutschen Volk ist, ,daß Europa ein Europa der Völker sein soll.