Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sind 12 Jahre her, seitdem auf Grund des sogenannten Zweiten Neugliederungsgesetzes das Bundesland Baden-Württemberg geschaffen worden ist. Dieses Zweite Neugliederungsgesetz, das die Grundlage dieser Staatsbildung gewesen ist, ist Gegenstand einer lebhaften Kritik geworden und bis auf den heutigen Tag geblieben. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in seinem ersten grundsätzlichen Urteil dieses Gesetz als nicht verfassungswidrig bezeichnet; aber in einem zweiten Urteil vom Jahre 1956 hat sich das Bundesverfassungsgericht erneut mit diesem Gesetz beschäftigt und es an den allgemeinen Grundsätzen der Neugliederung gemessen, wie sie im Grundgesetz verankert sind.
Es gibt wohl keine treffendere und einschneidendere Kritik an diesem Zweiten Neugliederungsgesetz als die Worte, die das Bundesverfassungsgericht in seinem zweiten Urteil vom 30. Mai 1956 gefunden hat. Das Gericht hat damals in diesem zweiten Urteil geschrieben:
Das Grundgesetz perhorresziert, weil es das demokratische Prinzip ernst nimmt, die Bildung neuer Länder über den Kopf der Bevölkerung hinweg. Die Zerreißung Gesamt-Badens anläßlich der Bildung der späteren Bundesländer Baden und Württemberg erfolgte ohne Befragung der Bevölkerung.
Ein zweites Zitat aus diesem Urteil sei gleichfalls wiedergegeben:
Der Wille der badischen Bevölkerung ist durch die Besonderheit der politisch-geschichtlichen Entwicklung überspielt worden.
Was ist unter dieser „politisch-geschichtlichen Entwicklung" zu verstehen? Zweifellos auf der einen Seite auch der Tatbestand, daß damals auf Grund des Besatzungsrechts drei Länder im Südwesten Deutschlands bestanden haben; auf der anderen Seite aber auch der Tatbestand, daß das Zweite Neugliederungsgesetz schwere Mängel rechtlicher Art enthalten hat.
Dann hat das Bundesverfassungsgericht in demselben Urteil folgendes zum Ausdruck gebracht:
Bei der Abstimmung am 9. Dezember 1951 haben zwei Bevölkerungen, die badische und die württembergische, in der Weise gemeinsam abgestimmt, daß die zahlenmäßig stärkere die schwächere majorisieren konnte. Es war also eine Abstimmung, in der die badische Bevölkerung nicht selbst bestimmen konnte, in welchem staatlichen Verband sie künftig leben wollte. Sie lebt noch immer in einem Gebiet, das ohne Volksabstimmung seine Landeszugehörigkeit geändert hat.
Ich möchte an folgendem Beispiel deutlich machen, welches die schweren Mängel des Zweiten Neugliederungsgesetzes und damit des Zustandekommens des Bundeslandes Baden-Württemberg gewesen sind. Nehmen wir an — ein hypothetischer Fall —, das Bundesland Schleswig-Holstein käme auf den Gedanken — es kommt natürlich nicht auf den Gedanken —, sich die Stadt Hamburg einzuverleiben, und es würde zu diesem Zweck ein Gesetz des Inhalts eingebracht, daß der Gesamtraum von Schleswig-Holstein und von Hamburg in drei Abstimmungsbezirke zerlegt wird. Dieses Gesetz würde weiterhin bestimmen: Wenn sich in zwei von den drei Bezirken eine Mehrheit für die Zusammenfassung dieser beiden Bundesländer ergibt, dann soll ein neues einheitliches Bundesland Hamburg-Schleswig-Holstein gebildet werden. Wenn dann die Abstimmung käme und die Länder Schleswig und Holstein würden — hypothetisch — für dieses neue Einheitsland stimmen, die Stadt Hamburg aber die Mehrheit nicht gewähren, dann käme trotz der Entscheidung in Hamburg, das die Zusammenlegung mit Schleswig-Holstein abgelehnt hätte, ein neues einheitliches Bundesland Hamburg-Schleswig-Holstein zustande.
Genau dieses Verfahren, das uns schwer denkbar erscheint, ist im Fall der Bildung des Bundeslandes Baden-Württemberg angewendet worden; denn der Gesamtraum der früheren beiden Länder Baden und Württemberg wurde in vier Abstimmungsbezirke zerlegt. In dreien hat sich eine Mehrheit ergeben, im vierten war eine Mehrheit dagegen. 62 % der südbadischen Bevölkerung waren gegen die Bildung des neuen Bundeslandes, und 52 % der gesamtbadischen Bevölkerung waren gleichfalls dagegen. Trotzdem ist das neue Bundesland gebildet worden.
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Nun hat im Jahre 1956 ein erfolgreiches Volksbegehren im Gebietsteil Baden stattgefunden. 15 % der abstimmungsberechtigten Bevölkerung haben sich in die Listen des Volksbegehrens zugunsten einer Wiederherstellung des Landes Baden eingetragen. Das Grundgesetz sagt aber, wenn in einem Gebiet ein Volksbegehren erfolgreich verläuft, muß ln diesem Gebiet in jedem Falle ein Volksentscheid durchgeführt werden. Das ist eine zwingende Bestimmung, und es ist gar nicht dem Ermessen der Regierung überantwortet, ob dieser Volksentscheid stattfinden soll oder nicht. Das ist keine Frage der diskretionären Entscheidung, sondern das isst grundgesetzlich vorgeschrieben. Der Volksentscheid muß stattfinden.
Allerdings ist im Jahre 1959 eine Studie des Staatsministeriums in Stuttgart ausgearbeitet worden. Darin heißt es u. a., die Vorlage eines Gesetzentwurfes im gegenwärtigen Zeitpunkt sei nicht angebracht. Der Tätigkeit der Altbadener solle mit politischen, und an einem anderen Ort heißt es: mit psychologischen Maßnahmen entgegengetreten werden. Mit politischen Maßnahmen, aber nicht mit der einfachen rechtlichen Maßnahme, die durch das Grundgesetz zwingend vorgeschrieben war, nämlich durch die Ermöglichung eines Volksentscheides, wie das Gesetz es befiehlt.
Ich möchte hier ausdrücklich anerkennen, und ich möchte meiner Befriedigung darüber Ausdruck geben, daß, nachdem diese Angelegenheit jahrelang verzögert worden ist, nun der Herr Bundesinnenminister die Initiative ergriffen und einen Gesetzentwurf eingebracht hat, der die Grundlage für einen Volksentscheid in Baden bilden soll. Ich möchte weiterhin zum Ausdruck bringen, daß meine Freunde und ich auch mit einer Reihe wesentlicher Punkte, die in diesem Gesetzentwurf enthalten sind, übereinstimmen.
Wir stimmen damit überein, daß eine sogenannte Phasenregelung ins Auge gefaßt wird. Der Herr Bundesinnenminister teilt hier unseren Standpunkt, daß es nicht möglich ist, das gesamte deutsche Neugliederungsverfahren in einem Gesetzesakt — uno actu — durchzuführen, sondern daß es hierfür, so wie das Bundesverfassungsgericht es auch zuläßt, einer phasenweisen und sukzessiven Abfolge einzelner Gesetze bedarf.
Wir stimmen mit dem Herrn Bundesinnenminister auch darin überein, daß der Fall Baden zeitlich vorweggenommen werden soll. Hierfür liegen gute Gründe vor: einmal die Sonderbehandlung, die der Art. 118 des Grundgesetzes dem südwestdeutschen Raum hat angedeihen lassen, und zweitens der Umstand, daß die Volksabstimmung in Baden vom Jahre 1951 an den schweren Mängeln krankt, die vom Bundesverfassungsgericht in so außerordentlich treffender Weise dargestellt worden sind.
Wir sind auch mit dem Herrn Bundesinnenminister der Auffassung, daß eine weitere Hinausschiebung der Abstimmung in Baden einen schweren Störungsfaktor darstellen würde. Auch für den Fall, daß das jetzige Bundesland Baden-Württemberg bestehenbleiben sollte, liegt es im Interesse einer endgültigen Konsolidierung, den provisorischen Charakter, der ihm anhaftet, abzustreifen und durch einen Volksentscheid seine endgültige Legitimierung sich geben zu lassen.
Wir stimmen auch weitgehend überein mit der Gesamtkonzeption, die in der Drucksache des Herrn Ministers enthalten ist, allerdings mit einer einzigen Ausnahme. In der Drucksache des Regierungsentwurfs finden sich Ausführungen darüber, daß nach der Auffassung der Regierung das künftige Bild Deutschlands so gestaltet werden soll, daß großräumige Länder vorhanden sein sollen, und es werden eine Reihe solcher großräumiger Länder auch namentlich angeführt. Das Grundgesetz spricht nicht von großräumigen Ländern, sondern es geht von einem ganz anderen Begriff aus: der Lebensfähigkeit. Wir sind der Meinung, daß dieser Begriff der Lebensfähigkeit auch im Falle der Neugliederung des Südwestraums Anwendung finden soll, und wir stellen die Frage, wie mit dem Prinzip der Schaffung großräumiger Länder die Fortexistenz der Stadtstaaten Hamburg und Bremen vereinbar ist, die ganz bestimmt wichtige Länder im Gefüge der Bundesrepublik darstellen, aber keineswegs als großräumige Länder bezeichnet werden können. Ich glaube, daß aber in diesem Haus alle damit einverstanden sind, daß gerade diese beiden so wichtigen Länder mit ihrem Sonderstatus als Länder im föderalen Verband der Bundesrepublik auch künftig weiterbestehen sollen, und zwar auch dann, wenn sie dem Erfordernis des Regierungsentwurfs, nämlich der Großräumigkeit, nicht entsprechen sollten.
Gegen die Vorlage des Bundesinnenministeriums erhebt sich ein sehr gewichtiger Einwand, und ich räume ohne weiteres ein, daß dieser Einwand sich auch gegen unseren eigenen Initiativantrag nicht mit Unrecht geltend machen ließe. Es erhebt sich nämlich die Frage: Sind der Bundestag, der Bundesrat und die Bundesregierung nicht dann überfordert, wenn man von ihnen eine materielle Regelung der Landeszugehörigkeit eines Gebietsteiles verlangen soll, über dessen künftiges Schicksal zunächst einmal die beteiligte Bevölkerung selber befragt werden soll? — Da sind wir allerdings der Meinung, daß nur eine intime Kenntnis der regionalen und lokalen Verhältnisse es gestattet, hier eine Regelung, der künftigen Landeszugehörigkeit vorzunehmen, und daß das wichtigste Element, von dem der Bundesgesetzgeber Kenntnis nehmen müßte, der Wille der zum Volksentscheid berufenen Bevölkerung selbst darstellt.
Wir möchten ferner auf einen weiteren Einwand nicht verzichten. Wir befürchten, daß die Lösung, die der Entwurf des Herrn Bundesinnenministers vorsieht, nämlich die Regelung einer Aufrechterhaltung des jetzigen Bundeslandes Baden-Württemberg, eine Suggestivwirkung auf die abstimmungsberechtigte Wählerschaft ausübt; denn hier treffen ja bereits die Bundesregierung und der Bundestag eine Vorentscheidung. Hier wird eine Frage präjudiziert, die erst von der Bevölkerung selbst beantwortet werden soll. Gerade dieses Moment der Präjudizierung und der Suggestivwirkung einer Frage, die ja erst noch
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einer Antwort durch das Volk selber bedarf, ist ein Moment, das unbedingt vermieden werden soll.
In einem Dokument, das in dem Grünen Buch über die Bildung des Südweststaates enthalten ist, sind die sogenannten Freudenstädter Beschlüsse abgedruckt. Sie bringen folgendes zum Ausdruck:
Abstimmungsverfahren und Fragestellung sind so zu gestalten, daß der Wille der Abstimmungsberechtigten klar und unverfälscht zum Ausdruck kommt und daß keine der vorhandenen Auffassungen von vornherein bevorzugt oder benachteiligt wird.
Wir befürchten, daß, wenn der Bundesgesetzgeber der Bevölkerung bereits eine fertige Lösung vorschreibt, nämlich das jetzige Bundesland zu erhalten, gerade diese Erfordernisse der Freudenstädter Beschlüsse nicht gewährleistet sind, daß im Gegenteil die von einem solchen Entschluß des Gesetzgebers ausgehende Suggestivwirkung von vornherein die vorhandenen Auffassungen bevorzugt oder benachteiligt; und gerade das sollte ja vermieden werden.
Wir müssen schließlich auch auf die ernsten rechtlichen Folgen hinweisen, die sich dann, wenn der Regierungsentwurf Gesetz würde, ergeben würden, wenn die badische Bevölkerung die ihr vorgeschlagene Lösung, das jetzige Bundesland aufrechtzuerhalten, verneinen sollte. In diesem Falle wäre nach dem Grundgesetz wiederum keine endgültige Lösung geschaffen; in diesem Falle müßte die Bundesregierung erneut einen Gesetzentwurf einbringen;
das gesamte Bundesvolk wäre befugt, über diesen Gesetzentwurf abzustimmen, und es würde sich erneut die Problematik ergeben: Ist das Bundesvolk wirklich in der Lage, über das Schicksal eines Gebietsteils eine endgültige Entscheidung im Wege eines Volksentscheids zu erbringen, die doch der Natur der Sache nach in erster Linie von der Bevölkerung dieses Gebietsteils selber getroffen werden müßte?
Wenn ich nun ein Wort zu unserem eigenen Initiativantrag sage, so möchte ich eine Vorbemerkung machen. „Neugliederung" im Sinne des Grundgesetzes bedeutet nicht eine bloße Neueinteilung vpn Verwaltungsbezirken nach rationalen Gesichtspunkten. In einem unitarischen Lande, beispielsweise unserem Nachbarland, wäre eine Neueinteilung der Departemente bestimmt eine Maßnahme, die nach solchen rationalen Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit und Opportunität durchgeführt werden könnte. Aber Neugliederung im Förderalstaat ist etwas ganz anderes. Eine solche Neugliederung muß dem Kriterium der Gliedhaftigkeit jedes Gliedstaates Rechnung tragen, und der Artikel 29 des Grundgesetzes gibt Auskunft darüber, daß bei dieser Neugliederung zu berücksichtigen sind die landsmannschaftliche Verbundenheit, die geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit und das soziale Gefüge — alles Tatbestände und Elemente, die bei einer nur rationalen Grenzziehung nicht ohne weiteres ihre volle Berücksichtigung finden könnten.
150 Jahre lang, mehr als das, hat dieses Land Baden bestanden als ein demokratischer Staat mit einem gut funktionierenden, ja sogar einem vorbildlichen parlamentarischen System. 150 Jahre politischer Zusammenarbeit der Teile der badischen Bevölkerung haben in diesem Land ein Staatsgefühl erzeugt und ein Staatsvolk geschaffen. Wenn das Land Bayern sich als „Freistaat" bezeichnet hat, so kommt in dieser Wahl der Terminologie zum Ausdruck, daß auch nach unserem heutigen Grundgesetz unseren Ländern noch immer der staatsrechtliche Charakter eines Staates innewohnt. Entscheidend dafür, daß nach unserem Initiativantrag das Land Baden wiedererstehen soll, ist vor allem der politische Gesichtspunkt, daß dieses badische Volk, das in 150jähriger Tradition und Geschichte trotz der ursprünglichen Verschiedenartigkeit seiner stammesmäßigen Bestandteile zusammengewachsen ist, seine Angelegenheiten selbst verwalten will.
Wenn uns vielleicht vorgehalten werden sollte, daß in unserem Entwurf nicht die so oft berufene Gesamtkonzeption enthalten sei, so möchte ich dazu folgendes sagen. Einmal ist diese sogenannte Gesamtkonzeption — auch diese Frage hat im 2. und 3. Bundestag in den Ausschüssen eine große Rolle gespielt — dann gar nicht erforderlich, wenn es sich um den Südwestraum handelt. Sie ist deshalb nicht erforderlich, weil die Neugliederung des Südwestraumes in Art. 118 des Grundgesetzes eine Sonderbehandlung gefunden hat, weil dieser Südwestraum aus dem allgemeinen Neugliederungsgesetz ausgespart wurde und wegen der besonderen damals vorhandenen politischen Umstände eine besonders eilbedürftige Neugliederung erfahren sollte. Man kann diese These, die ich vertrete, daß die Gesamtkonzeption für unseren Fall Baden nicht erforderlich ist, auf Seite 42 des Rechtsgutachtens des Universitätsprofessors Dr. Friedrich Klein in Münster nachlesen, das im Auftrag der Landesregierung Baden-Württemberg erstattet worden ist.
Ich möchte aber auch ein Wort über den merkwürdigen Tatbestand sagen, wie bei der Bildung des jetzigen Bundeslandes Baden-Württemberg Vertreter verschiedener und — ich möchte sagen — konträrer Richtungen zu einem gemeinsamen Ergebnis zusammengewirkt haben. Ich verstehe darunter die Mitarbeit von Kräften, welche ihrer Grundeinstellung nach gar nicht Föderalisten, sondern Unitaristen sind auf der einen Seite und von Föderalisten, die es wirklich sind, auf der anderen Seite. Die Unitaristen haben sich von der Schaffung eines größeren Landes die Erreichung einer Etappe auf dem Wege zum Einheitsstaat versprochen. Die Föderalisten wünschten auch ein vergrößertes neues Bundesland.
Was die Unitaristen angeht, so möchte ich zu ihnen doch noch ein Wort sagen, und ich sage es als bewußter und betonter Föderalist. Im Süden Deutschlands haben 150 Jahre lang lebensfähige Länder bestanden — Bayern, Württemberg und Baden —, und alle drei Länder haben ein gut funktionierendes parlamentarisches System entwickelt. In ihren Bevölkerungen hat sich das Gefühl der innerstaatlichen Verbundenheit entwickelt. Ich weiß, daß das für Deutsche sehr schwer zu verstehen ist, die nicht in dem Bereich dieser gliedstaatlichen Länder
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aufgewachsen sind. Ich habe immer sehr viel Bewunderung für die Autonomie der preußischen Provinzen gehabt. Ich weiß, daß ihr Verwaltungsapparat und der Apparat der Körperschaften in vielen Provinzen in einer anerkennenswerten Weise große Leistungen erbracht haben. Ich bitte aber auch diejenigen Kollegen, die nicht dem Süden Deutschlands, die nicht diesen drei Ländern entstammen, Verständnis dafür zu haben, daß eine derartige 150jährige Geschichte nicht ohne Folgen auf die Grundeinstellung bleibt und daß die Bevölkerung, die durch Generationen hindurch dieser parlamentarischen Rechte in ihren Gliedstaaten teilhaftig war, Wert darauf legt, auch im neuen Föderalstaat der Bundesrepublik in einem Gliedstaat ihre Aufgaben als Volk dieses Gliedstaates voll zu erfüllen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum letzten Abschnitt meiner Ausführungen. Es liegen Ihnen zwei Entwürfe mit widersprechenden Forderungen vor: der Regierungsentwurf, der das jetzige Bundesland Baden-Württemberg aufrechterhalten möchte, und der Entwurf meiner Freunde, der die Wiederherstellung des Landes Baden vorsieht. Aber eine Schwäche ist beiden Entwürfen gemeinsam, daß nämlich in beiden Fällen eine Lösung präjudiziert, suggeriert und oktroyiert wird. Was wir wollen, ist, daß die Bevölkerung des Gebietsteils Baden in die Lage versetzt wird, in einer Alternative eine Entscheidung auszuüben zwischen zwei ihr durch das Gesetz gewährten Möglichkeiten. Wir wünschen, daß der Bevölkerung nicht eine fertige, von Bundesregierung und Parlament ausgearbeitete Lösung präsentiert wird, zu der sie nur ja oder nein zu sagen hat. Wir wünschen vielmehr, daß sich dieses badische Volk selbst entscheiden soll. Bei dieser Forderung können wir uns stützen auf die Bekundungen namhafter Völkerrechtslehrer, und ich will die eine oder andere Äußerung von ihnen wiedergeben.
Herr Professor Maunz, derzeitiger Kultusminister des Landes Bayern, schreibt:
Das Grundgesetz will keine bloße Akklamation, sondern eine echte Wahlmöglichkeit der Abstimmenden zwischen zwei denkbaren Wegen, es will keine bloße Bestätigungsfrage, sondern eine Alternativfrage.
Herr Professor Neumayer, Lausanne, der dem Gutachtergremium, das vom Innenministerium bestellt war, angehört hat, schreibt in seinem Gutachten:
Ein Referendum, bei dem den Abstimmenden angesonnen wird, nicht eine noch offene Frage zu beantworten, sondern in eine ohne ihre Zustimmung getroffene und vollzogene Entscheidung nachträglich einzuwilligen, bietet keine gleichwertige, sondern nur eine scheinbare Alternative.
Und Herr Professor Klein, Münster, schreibt in dem Gutachten, das er für die Landesregierung Baden-Württemberg erstattet hat, auf Seite 53 folgendes:
Eine wirklich gerechte, tendenzfreie Fragestellung sollte beiden Meinungen die Möglichkeit geben, ihren Willen auch mit einem Ja zu bekunden. Dementsprechend kommt als gerechte Fragestellung nur die Stellung von zwei Fragen in Betracht.
Wir sind also in die gleiche Lage versetzt, in der in der Zeit der Geltung des Corpus Juris Civilis die Römer und Byzantiner gewesen sind, wenn von maßgebenden Vertretern der Staatsrechtslehre verschiedene Meinungen vertreten worden sind. Sie haben diese Meinungen nebeneinandergestellt und haben sozusagen auf schriftlichem Wege eine Abstimmung zwischen den Zitaten dieser Autoritäten vorgenommen. Wir brauchen hier gar keine derartige Abstimmung vorzunehmen; denn diese drei Autoritäten stimmen vollkommen überein. Und was besagen sie? — Doch nur eines: daß eine wirklich gerechte Abstimmung sich nur dann erzielen läßt, wenn dem Wähler, wenn der beteiligten Bevölkerung eine Wahl zwischen zwei Möglichkeiten gewährt wird, die durch das Gesetz vorgeschrieben sein müssen, wenn also der Wähler nicht darauf beschränkt ist, einen faktischen Zustand, der bereits besteht, durch ein Ja bestätigen zu müssen oder durch ein Nein ablehnen zu sollen, sondern wenn ihm wirklich die beiden vorhandenen Lösungsmöglichkeiten zur Entscheidung vorgelegt werden.
Unser dringender Wunsch geht deshalb dahin, daß diese Alternative bei den weiteren Beratungen gefunden werden kann. Wir haben auch schon im 2. und 3. Bundestag die Auffassung vertreten, daß diese alternative Fragestellung notwendig ist.
Darüber hinaus haben wir aber auch die Meinung vertreten, daß die Alternativfrage schon mit dem jetzigen Grundgesetz vereinbar ist. Ich freue mich, daß der vor wenigen Wochen erschienene neue Kommentar von Maunz - Dürig sich zwar diese unsere Auffassung nicht zu eigen macht, aber sie entschieden mit eigenen Argumenten als seine eigene Auffassung ausdrückt. „In jedem Fall" — schreibt dieser Kommentar von Maunz-Dürig — „kann der Gesetzgeber in dem Gesetz selbst bestimmen — und er muß es notfalls bestimmen —, daß die Landeszugehörigkeit eines Gebietes von einer Entscheidung des Gebietsvolks zwischen zwei Möglichkeiten abhängt."
Das ist genau diejenige Auffassung, die wir im 2. und 3. Bundestag — im 2. mit Erfolg, im 3. mit Mißerfolg — ständig vertreten haben. Sollten aber die Mehrheiten in den zuständigen Ausschüssen dieses Hauses zu dem Ergebnis kommen, daß sie sich diese Auffassung nicht zu eigen machen können, so bitte ich, doch ernstlich in Erwägung zu ziehen, ob eine Änderung des Grundgesetzes ins Auge gefaßt werden soll, eine Grundgesetzänderung, die es ermöglicht, daß diese alternative Fragestellung für den Wähler eröffnet wird.
Ich möchte hier ausdrücklich anerkennen, daß der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg bei wiederholten Bekundungen die Auffassung vertreten hat, eine derartige Änderung des Grundgesetzes, die eine Alternativfrage zuläßt, sei erstrebenswert. Er hat allerdings diese seine Auffassung
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mit dem Zusatz vertreten: es sei notwendig, eine Art von Quorum in den Änderungstext einzuschalten in der Weise, daß sich 50 % der Abstimmungsberechtigten an der Abstimmung beteiligen müßten. Wir waren nicht in der Lage, bei den Gesprächen, die wir geführt haben, dieses Quorum als berechtigt anzuerkennen. Zwar hat ein solches Quorum in der Weimarer Verfassung im Falle von Neugliederungen bestanden, aber gerade dieses Quorum hat — das ist mir von Kennern der Weimarer Demokratie in den letzten Wochen bestätigt worden — jede wirksame Neugliederung zur Zeit der Weimarer Republik vereitelt. Es war das Haupthindernis, das einer sinnvollen Neugestaltung oder Neugliederung im Wege stand.
Schließlich kann ich mich gerade in der Frage des Quorums auf einen Kronzeugen berufen, der sich dazu wie folgt — ich zitiere wörtlich — geäußert hat:
Weiter haben wir natürlich erhebliche Bedenken dagegen, daß es nun bei einer Befragung auf die Mehrheit der Stimmberechtigten abgestellt wird; denn das würde nach meiner bescheidenen Auffassung ein durchaus undemokratisches Verfahren sein. Wir würden hier einen Abstimmungsfall erleben, wie ich ihn in der Geschichte demokratischer Abstimmungen noch nicht kennengelernt habe.
Ich möchte jedes Wort dieses Kronzeugen, der damals, wie er sagte, seine „bescheidene Auffassung"
zum Ausdruck brachte, unterzeichnen. Es ist kein
Geringerer . als der Herr Ministerpräsident Kiesinger, damals Bundestagsabgeordneter, der am 10. Januar 1951 diese Worte von diesem Pult im Deutschen Bundestag gesprochen hat.
Die letzte Frage, die an uns, die Unterzeichner ,des Antrages, gerichtet wird, lautet: Warum kämpft ihr nun seit zwölf Jahren für diese badische Frage? Warum wollt ihr nun unbedingt etwas, was vergangen ist, wiederherstellen? Seid ihr Freunde einer antiquierten und anachronistischen Restauration? Ist es nicht eine Donquichotterie? Kämpft ihr nicht gegen Windmühlenflügel, oder habt ihr die Haltung eines Michael Kohlhaas?
Meine Damen und Herren, ich möchte diese Frage ganz einfach beantworten. Es ist wahr, daß wir für das Recht kämpfen. Wir kämpfen deshalb, weil es sich um das Recht handelt. Als die badische Frage im Landtag des Landes Baden-Württemberg in Stuttgart behandelt wurde, hat einer meiner dortigen Kollegen die Worte des schwäbischen Landtagsabgeordneten Ludwig Uhland zitiert, die lauten:
Nach dem lang entbehrten Korne, Nach dem lang ersehnten Wein Bringt dies Jahr in seinem Horne Das alte gute Recht herein.
Aber es fragt sich, ob dieses alte gute Recht auch das neue lebendige und wirksame Recht ist. Da glaube ich allerdings, auf zwei wesentliche rechtliche Gesichtspunkte hinweisen zu sollen, die unabdingbare Bestandteile unseres geltenden Staats- und Verfassungsrechts sind.
Das eine Prinzip ist das Prinzip der Selbstbestimmung. Es mag zutreffen, daß dieses Prinzip, dessen totale Geltung in der ganzen Welt heute anerkannt worden ist, im Gebiete eines staatsrechtlichen Binnenraums nur eine limitierte Geltung haben kann. Aber es ist ebenso wahr, daß wir uns auf dieses Selbstbestimmungsrecht dann berufen, wenn es sich um Deutschland und insbesondere um Deutschland jenseits des Eisernen Vorhangs handelt. Ich glaube, es gilt der Rechtsgrundsatz, daß ein Volk, wenn es bestimmte Forderungen aufstellt, die außerhalb des Geltungsbereiches seines Gesetzes vollzogen werden sollen, dartun muß, daß es gewillt ist, diesen Forderungen auch in seinem eigenen Gebietsraum in vollem Umfang Rechnung zu tragen. Das Selbstbestimmungsrecht ist aber gerade auch in Art. 29 des Grundgesetzes in den gesetzlichen Schranken dieses Artikels als ein formendes Prinzip der Neugliederung anerkannt worden.
Der zweite Gesichtspunkt ist folgender: Wir haben durch die Schaffung des Grundgesetzes einen Rechtsstaat geschaffen. Wir leben in einem Rechtsstaat, und wir wollen diesen Rechtsstaat aufrecht erhalten. Das bedeutet, daß wir für den Vollzug der staatlichen Funktionen ein rechtlich einwandfreies Verfahren wünschen und daß wir dann, wenn grobe Verfahrensmängel vorliegen — hier liegen die Verfahrensmängel vor, die im zweiten Urteil des Bundesverfassungsgerichts gerügt worden sind —, eine Heilung dieser Verfahrensmängel wünschen. Das ist der Grund, der uns diese zwölf Jahre hindurch gestützt und begleitet hat. Wir wünschen, daß in der Schaffung gerechter und fairer Abstimmungsbedingungen dieser rechtsstaatliche Charakter unserer Bundesrepublik manifest wird.
Meine Damen und Herren, ich beantrage, daß die beiden Gesetzentwürfe an den Rechtsausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Inneres — mitberatend — überwiesen werden. Warum an den Rechtsausschuß federführend? Dieser Rechtsausschuß war auch im 3. Bundestag der federführende Ausschuß. So entspricht die Überweisung an ihn der Praxis des 3. Bundestages. Dieser Ausschuß hat sich bei seiner Gründung aber auch als Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht benannt. Die Frage der Neugliederung ist eine eminent verfassungsrechtliche Frage. Sie ist eine Frage schwierigster Art mit zahlreichen juristischen Komplikationen. Wer die Protokolle des Rechtsausschusses des 2. und 3. Bundestages nachliest, wird erstaunt sein über die latenten und manifesten Schwierigkeiten, die sich bei der Behandlung dieser schwierigen Rechtsprobleme ergeben haben. So nötigt die Natur der Sache wiederum dazu, einen Gegenstand, der dem Verfassungsrecht angehört, dem Ausschuß zuzuweisen, der für die Fragen des Verfassungsrechts kompetent ist.
Wir wünschen aber weiterhin, daß dieser zuständige Ausschuß die rechtlichen Möglichkeiten prüft, die es gestatten würden, eine alternative Fragestellung in die Wege zu leiten, sei es ohne Grundgesetzänderung, sei es mit Grundgesetzänderung. Wiederum sind dies verfassungsrechtliche Probleme. Wenn eine Grundgesetzänderung in Erwägung ge-
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zogen werden sollte, so ist wiederum — wie für jede Grundgesetzänderung — der Rechtsausschuß der federführende Ausschuß.