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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 55. Sitzung Bonn, den 23. Januar 1963 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Döring . . . . . 2403 A Zur Tagesordnung: Behrendt (SPD) . . . . . . . . 2403 C Rasner (CDU/CSU) . . . . . . . 2403 D Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Dr. Dr. h. c. Baade . . . . . . . . 2417 B Fragestunde (Drucksache IV/ 912) Frage des Abg. Blumenfeld: Handel mit Indonesien Dr. Westrick, Staatssekretär . . 2404 C, D Blumenfeld (CDU/CSU) . . . . . 2404 D Frage des Abg. Ertl: Bauvorhaben in Außenbereichen Dr. Ernst, Staatssekretär . 2405 A, B, C, D, 2406 A, B, C, D Ertl (FDP) 2405 B Unertl (CDU/CSU) . . . 2405 C, 2406 C Fritsch (SPD) 2405 D, 2406 A Dr. Imle (FDP) 2406 A, B Frau Dr. Kiep-Altenloh (FDP) . 2406 C, D Frage des Abg. Dr. Aigner: Entwicklungshilfe für Ceylon Scheel, Bundesminister . . . 2407 A, C, D, 2408 A Dr. Aigner (CDU/CSU) 2407 C Sänger (SPD) 2407 D, 2408 A Frage des Abg. Ertl: Geflügelfleisch aus USA Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister 2408 A, B, C Ertl (FDP) . . . . . . . . 2408 B, C Fragen des Abg. Höhmann (Hessisch Lichtenau) : Fahrpreisermäßigungen für Kriegsversehrte und -hinterbliebene Höcherl, Bundesminister 2408 D, 2409 A, B Hähmann (Hessisch Lichtenau) (SPD) 2409 A, B Frage des Abg. Höhmann (Hessisch Lichtenau) : Sonstige Vergünstigungen für Kriegsbeschädigte und -hinterbliebene Höcherl, Bundesminister . . . . 2409 B, C Höhmann (Hessisch Lichtenau) (SPD) 2409 C Frage des Abg. Dr. Kliesing (Honnef) : Zahlung des Kinderzuschlages über das 25. Lebensjahr hinaus Höcherl, Bundesminister 2409 D Dr. Kliesing (Honnef) (CDU/CSU) 2409 D Fragen des Abg. Porten: Versorgung der deutschen Mühlen mit Roggengetreide Schwarz, Bundesminister 2410 A, B, C, D, 2411 A, B, C Porten (CDU/CSU) . . . 2410 B, C Ritzel (SPD) . . . . . . . . 2410C, D Frehsee (SPD) . . . . . . . 2411 A, B Ertl (FDP) 2411 B II Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Januar 1963 Fragen des Abg. Tobaben: Auslegung des Gesetzes zur Förderung der deutschen Eier- und Geflügelwirtschaft Schwarz, Bundesminister . . . . 2411 C, D Tobaben (CDU/CSU) 2411 B Frage des Abg. Ritzel: Behandlung sogenannter Kettenhunde Schwarz, Bundesminister . 2412 A, B, C, D, 2413 A, B Ritzel (SPD) . . . . . . . . . 2412 B Büttner (SPD) 2412 C, D Dr. Dr. h. c. Dresbach (CDU/CSU) . 2412 D, 2413 A Vizepräsident Schoettle . 2412 D, 2413 A Schwabe (SPD) 2413 A, B Frage des Abg. Dr. Imle: Förderung der vertikalen Verbundwirtschaft Schwarz, Bundesminister . . . . 2413 C, D Dr. Imle (FDP) 2413 C Frage des Abg. Dröscher: Anrechnung von Einkünften bei der Elternrente Blank, Bundesminister . 2413 D, 2414 A Dröscher (SPD) 2414 A Frage des Abg. Riegel (Göppingen) : Erforschung der Probleme des Phantom-Schmerzes Blank, Bundesminister . . . . 2414 B, C Riegel (Göppingen) (SPD) . . . 2414 B, C Frage des Abg. Riegel (Göppingen) : Forschung auf dem Gebiet der Orthopädie-Technik Blank, Bundesminister 2414 C, D, 2415 A, B Riegel (Göppingen) (SPD) 2414 D, 2415 A Bazille (SPD) 2415 A Höhmann (Hessisch Lichtenau) (SPD) 2415 B Vizepräsident Schoettle 2415 B Frage des Abg. Dr. Mommer: Fahrpreiserhöhung auf der Bundesbahn zwischen Bietigheim und Kornwestheim 2415 C Fragen ides Abg. Felder: Sicherheitsgurte in Kraftfahrzeugen Dr. Seiermann, Staatssekretär . . 2415 D, 2416 A, B Felder (SPD) 2416 A Frage des Abg. Dröscher: Anschlußbahnhof an der Rheinstrecke für Reisende aus dem Saar-Nahe-Hunsrück-Raum Dr. Seiermann, Staatssekretär . 2416 B, C, D Dröscher (SPD) 2416 C, D Frage des Abg. Dröscher: Flugsicherung auf militärischen Flugplätzen Dr. .Seiermann, Staatssekretär . . . 2416 D, 2417 A Dröscher (SPD) . . . . . . . . 2417 A Sammelübersicht 13 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen (Drucksache IV/ 889) . . . . . . . . . . 2417 B Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Entlastung der Bundesregierung wegen der Bundeshaushaltsrechnung für das Rechnungsjahr 1959 (Drucksache IV/ 854) 2417 C Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung (Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetz) (Drucksache IV/ 816) — Erste Beratung —; in Verbindung mit dem Entwurf eines Gesetzes über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle (Lohnfortzahlungsgesetz) (Drucksache IV/ 817) — Erste Beratung —; und dem Entwurf eines Bundeskindergeldgesetzes (Drucksache IV/ 818) — Erste Beratung — Blank, Bundesminister . 2417 D, 2447 A Stingl (CDU/CSU) 2428 D, 2465 D, 2466 B, 2467 D, 2468 A Dr. Schellenberg (SPD) 2436 B, 2466 A, C 2467 A Spitzmüller (FDP) 2448 D Dr. Franz (CDU/CSU) . . . . . 2453 A Rohde (SPD) . . . . . . . . 2455 D Ruf (CDU/CSU) . . . . . . . 2461 A Dr. Mommer (SPD) 2467 B Dürr (FDP) 2468 B Memmel (CDU/CSU) . . 2468 D, 2469 A Nächste Sitzung 2469 D Anlagen 2471 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Januar 1963 2403 55. Sitzung Bonn, den 23. Januar 1963 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung Es ist zu lesen: 54. Sitzung Seite 2353 D Zeile 5 statt „multilateralem": bilateralem. Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Arendt (Wattenscheid) 25. 1. Dr. Arndt (Berlin) 24. 1. Dr. Atzenroth 25. 1. Dr. Dr. h. c. Baade 25. 1. Bading 5. 2. Fürst von Bismarck 25. 1. Dr. Dörinkel 25. 1. Eisenmann 24. 1. Etzel 26. 1. Even (Köln) 23. 1. Figgen 23. 2. Dr. Dr. h. c. Friedensburg 23. 1. Funk (Neuces am Sand) 16. 2. Gewandt 31. 1. Freiherr zu Guttenberg 23. 1. Haage (München) 25. 1. Harnischfeger 25. 1. Hauffe 28. 2. Hellenbrock 26. 1. Holkenbrink 26. 1. Dr. Hoven 25. 1. Kalbitzer 25. 1. Frau Kipp-Kaule 25. 1. Klinker 25. 1. Knobloch 23. 1. Koenen (Lippstadt) 25.1. Dr. Kohut 25. 1. Kriedemann * 25. 1. Lemmer 26. 1. Lenz (Bremerhaven) 25. 1. Lücker (München) 25. 1. Maier (Mannheim) 23. 1. Matthöfer 23. 1. Mattick 25. 1. Frau Dr. Maxsein 25. 1. Dr. h. c. Menne (Frankfurt) 23. 1. Dr. Menzel 25. 1. Metzger * 23. 1. Michels 23. 1. Dr. Miessner 31. 1. Missbach 25. 1. Müller (Berlin) 28.2. Müller (Remscheid) 25. 1. Müller-Hermann 31. 1. Neubauer 17. 2. Neumann (Berlin) 25. 1. Dr.-Ing. Philipp 25. 1. Rademacher 31. 1. Dr. Rutschke 31. 1. Sander 25. 1. Schneider (Hamburg) 31. 1. Schütz (Hamburg) 25. 1. Storch * 23. 1. Frau Strobel * 25. 1. Urban 25. 1. Dr. Wahl 28. 2. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich Wischnewski * 23. 1. Dr. Zimmer 26. 1. Zühlke 24. 1. b) Urlaubsanträge Dr. Dr. h. c. Dresbach 28. 2. Katzer 31. 1. Kühn (Köln) 2. 2. Dr. von Merkatz 4. 2. Dr. Stammberger 3. 2. * Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments Anlage 2 Schriftliche Ausführungen des Abgeordneten Schulhoff zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle (Lohnfortzahlungsgesetz) (Drucksache IV/ 817). Bei den Diskussionen über die Lohnfortzahlung an erkrankte Arbeiter wird schon seit geraumer Zeit nur noch über die Methoden diskutiert, nach der die Zahlung erfolgen soll. Ich bin der Auffassung, daß es nötig ist, den entscheidenden Punkt noch einmal deutlich in Erinnerung zu rufen: Die Arbeitgeber der Bundesrepublik haben sich grundsätzlich bereit erklärt, die mit einer Lohnfortzahlung an Arbeiter verbundenen Belastungen zu tragen. Niemand wird annehmen, daß diese Bereitschaft der Arbeitgeber selbstverständlich ist. Im Gegenteil, ich glaube, darin liegt ein so großes Maß von Vernunft und Verständnis, daß es nur gerecht wäre, wenn den Vorstellungen der Arbeitgeber über die formelle Abwicklung der Lohnfortzahlung entscheidendes Gehör geschenkt würde. Wenigstens ist es sonst im allgemeinen üblich, demjenigen, der von sich aus eine Geldleistung anbietet, den praktischen Weg der Aufbringung und Auszahlung dieser Geldleistung selbst zu überlassen, wenn die von ihm vorgeschlagene Methode zu dem gleichen materiellen Ergebnis führt. Das Handwerk ist ein Freund des gesunden sozialen Fortschritts. Auch die Handwerksbetriebe sind deshalb interessiert, den bei ihnen tätigen rund 3 Millionen Gesellen und Fachkräften angemessene Lohn- und Arbeitsbedingungen zu bieten. Das haben die im Rahmen der Tarifautonomie abgeschlossenen Tarifverträge der letzten Jahre bewiesen. Die jährliche Gesamtlohnsumme des Handwerks ist Ende 1962 auf annähernd 19 Milliarden DM gestiegen. Das Handwerk hat sich der Diskussion über die gesetzliche Regelung der Lohnfortzahlung nicht verschlossen. Es hat allerdings seine positive Mitarbeit in dieser Frage von zwei entscheidenden Voraus- 2472 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Januar 1963 setzungen abhängig gemacht: erstens von der Normalisierung der überhöhten Krankenstände der deutschen Wirtschaft im Rahmen einer wirksamen Reform der Krankenversicherung, die wir gemeinsam anstreben, zweitens von der Aufbringung der Leistungen an die erkrankten Arbeiter durch die in den Krankenkassen zusammengeschlossenen Solidargemeinschaften der Betriebe, also von der Begrenzung der Beanspruchung der Betriebe auf einen regelmäßigen festen Umlagebeitrag. Die Regierungsvorlage überträgt im Rahmen einer arbeitsrechtlichen Konstruktion die Verantwortung und die Hauptlast der Lohnfortzahlung unmittelbar auf die Betriebe. Damit wird die Handwerkswirtschaft überfordert. Die Handwerksarbeit ist in hohem Grade lohnintensiv. Das Handwerk umfaßt zum größten Teil kleinere und mittlere Betriebe. Von seinen rund 3 Millionen Fachkräften waren 1956 in 320 000 Betrieben mit 2 bis 4 Fachkräften ca. 600 000, in 130 000 Betrieben mit 5 bis 10 Fachkräften ca. 700 000 und in 50 000 Betrieben mit 10 bis 25 Fachkräften ca. 650 000 Arbeitnehmer beschäftigt. Gerade in Betrieben dieser Größenordnungen, die mit Fertigungsaufgaben, Reparaturarbeiten oder Dienstleistungen beschäftigt sind, bedeuten Erkrankungen von Arbeitskräften erhebliche Störungen im Produktions- und Arbeitsablauf und Verluste an Umsätzen und Ertrag. Die Lohnfortzahlung während der Krankheitszeiten bis zur Dauer von 6 Wochen kann im Einzelfall die finanzielle Liquidität oder Ertragslage des Betriebes gefährden. Nach Erhebungen in einzelnen Fachbereichen des Handwerks auf der Grundlage der betrieblichen Erkrankungen im ersten Halbjahr 1962 würde die finanzielle Gesamtbeanspruchung der Betriebe bei der Einführung der gesetzlichen arbeitsrechtlichen Lohnfortzahlung nach den Vorschlägen des Regierungsentwurfes etwa 4 bis 5 % der Lohnsumme, bei Betrieben mit besonders hoher Fluktuation — z. B. Baugewerbe — 7 % und mehr der Lohnsumme betragen. Dazu tritt die schwierige verwaltungsmäßige Aufgabe, den Lohnfortzahlungsanspruch nach seinen rechtlichen Voraussetzungen zu prüfen und seine Höhe nach den gesetzlichen Anforderungen zu berechnen. Damit sind zwangsläufig Auseinandersetzungen in den Betrieben, eventuell auch vor den Gerichten verbunden. Der in der Regierungsvorlage vorgesehene Kostenausgleich über die Krankenkassen ist völlig unzureichend. Der Betrieb muß alle Lohnfortzahlungsbeträge vorlegen. Die hoch dotierten qualifizierten Fachkräfte, deren Lohneinkommen über 750 DM monatlich beträgt, sind — nach der vorgesehenen Regelung in dem Entwurf des Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetzes — in den Kostenausgleich nicht einbezogen. Im Hinblick auf die weitergehende Lohnentwicklung muß nach vorsichtigen Schätzungen damit gerechnet werden, daß mindestens ein Drittel der handwerklichen Fachkräfte von dem Kostenausgleich ausgeschlossen ist. Im übrigen ist die Rückerstattung der Lohnfortzahlung von der Anerkennung der betrieblichen Zahlungen durch die Krankenkasse abhängig. Auch hiermit sind für die beteiligten Betriebe erhebliche rechtliche Schwierigkeiten und finanzielle Risiken verbunden. Der Regierungsentwurf enthält somit besonders aus der Sicht der lohnintensiven mittelständischen Wirtschaft schwerwiegende Mängel. Deshalb können wir die Vorlage nicht als eine sinnvolle und gerechte Lösung der Lohnfortzahlung anerkennen. Wir beschränken uns aber nicht auf die Kritik des Gesetzentwurfes. Das Handwerk bietet in voller Übereinstimmung mit der Gesamtarbeitgeberschaft eine Regelung der Lohnfortzahlung auf solidarrechtlicher Basis als echte gesetzliche Alternative an. Nach diesem Vorschlag sollen die Krankenkassen Krankengeldbezüge in Höhe des Nettolohnes leisten; die dafür notwendigen Mittel werden von den den Krankenkassen angeschlossenen Betrieben durch einen gesonderten, ausschließlich von den Arbeitgebern zu zahlenden Beitrag aufgebracht. Diese Konstruktion gibt dem erkrankten Arbeiter gleich hohe Leistungen, gewährt außerdem eine stärkere Sicherung seines Anspruchs im Rahmen der Solidargemeinschaft der Betriebe. Außerdem werden von den Arbeitgebern die vollen Beiträge zur Rentenversicherung allein aufgebracht, so daß der Arbeiter auch insoweit keinen Nachteil haben kann. Es steht auf Grund von Befragungen fest, daß die Mehrheit der Arbeiter selber den Rechtsanspruch an die Krankenkassen vorzieht. Die von der Arbeitgeberschaft vorgeschlagene Alternative ist darüber hinaus verwaltungsmäßig übersichtlich und unkompliziert. Wesentlich ist ferner, daß die Kostenbelastung der Wirtschaft auf Grund der Leistungsberechnung auf Nettolohnbasis etwa 20 % unter dem Aufwand der unmittelbaren arbeitsrechtlichen Lohnfortzahlung liegt. Die öffentliche Diskussion der letzten Monate und Wochen hat gezeigt, daß weite Kreise die Regierungsvorlage nicht als die optimale Lösung der Lohnfortzahlung betrachten. Es sei in diesem Zusammenhang u. a. auf die Beratungen des Bundesrates im ersten Durchgang im November vorigen Jahres, aber auch auf die bekannte Stellungnahme des Wirtschaftsausschusses der rheinischen CDU verwiesen. Ich halte es deshalb für notwendig, daß der Bundestag bei seinen weiteren Beratungen über die begründeten Einwendungen der mittelständischen Wirtschaft nicht hinweggeht. Anlage 3 Schriftliche Begründung des Abgeordneten Dr. Danz zu dem Antrag der Fraktion der FDP betreffend Übernahme von qualifizierten Arbeitern in das Angestelltenverhältnis (Drucksache IV/ 726) *). Es wird von keiner Seite bestritten, auch von der Wissenschaft nicht, daß die derzeit im Arbeitsrecht und in der Sozialversicherung geltende Abgrenzung der Begriffe Arbeiter und Angestellter der modernen arbeitstechnischen Entwicklung nicht mehr entspricht. Die Unterscheidung von Arbeitern und Angestellten innerhalb der Arbeitnehmerschaft hat in der arbeitsteiligen Wirtschaft zwar noch ihre Berechtigung, *) siehe 54. Sitzung Seite 2395 B Deutscher Bundestag - 4, Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Januar 1963 2473 muß jedoch auf Grund der veränderten Funktionen der am Arbeitsprozeß Beteiligten eine Änderung erfahren. Die Unterscheidungsmerkmale stammen im wesentlichen aus dem vorigen und den Anfängen dieses Jahrhunderts und gewährleisten eine den gegenwärtigen Verhältnissen entsprechende Gliederung der Arbeitnehmerschaft nicht mehr. Die Dringlichkeit zur Lösung dieses Problems wird an der jahrelangen Diskussion deutlich, die die Wissenschaft zur Neuabgrenzung der Begriffe Arbeiter und Angestellter geführt hat. Mit gutem Recht freilich hat sich die Wissenschaft aller sozialpolitischen Gestaltungsabsichten enthalten und aus diesem Grunde davon abgesehen, dem Gesetzgeber Änderungsvorschläge zu unterbreiten. Die Schwierigkeiten einer dem arbeitstechnischen und sozialen Strukturwandel gemäßen Umgliederung der Arbeitnehmerschaft werden nicht verkannt. Sie dürfen jedoch den Gesetzgeber nicht davon abhalten, seiner gesellschaftspolitischen Aufgabe auch in dieser Richtung nachzukommen. Der Antrag der FDP auf Vorlage des Entwurfs eines Gesetzes, durch den die Übernahme von qualifizierten Arbeitern in das Angestelltenverhältnis geregelt wird, soll eine Möglichkeit aufzeigen, die Arbeitnehmerschaft bei Aufrechterhaltung einer auch heute noch notwendigen Differenzierung neu einzustufen. Die Funktionen vieler Arbeiter in der technisierten Industrie gleichen nicht nur in vieler Hinsicht denen der Angestellten; der Intellektualisierungsprozeß der Arbeit hat vielmehr zur Folge, daß eine immer größere Zahl von Arbeitnehmern im Arbeiterverhältnis nach Stellung im Betrieb und Art der Tätigkeit verantwortlicher eingesetzt ist als eine Reihe von Angestellten. Dieser Tatsache kann bei einer Neuregelung Rechnung getragen werden, indem der Angestelltenbegriff durch neue Tätigkeitsmerkmale bestimmt wird. Diese Einteilungskriterien muß der Gesetzgeber festlegen. Dabei sollen neben der Stellung des Arbeitnehmers in der Betriebshierachie besonders Verantwortung und Vorbildung bzw. Verantwortung oder Vorbildung Berücksichtigung finden. Der Kreis der Angestellten müßte auf Arbeiter ausgedehnt werden, die besonders schwierige, hochwertige und betriebswichtige Arbeit unter eigener Verantwortung verrichten, um diesem Personenkreis berufliche Aufstiegsmöglichkeiten zu eröffnen. Anlage 4 Schriftliche Antwort des Herrn Ministerialdirektors Hagelberg auf die Zusatzfrage zu der Mündlichen Anfrage des Abgeordneten Dr. Kohut (Fragestunde der 48. Sitzung vom 14. November 1962, Drucksache IV/ 727, Frage VI/ 2) : In der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 14. November 1962 hat Ihnen Herr Bundesminister Höcherl zugesagt, die Zahl der Lehrkräfte, die auf 100 Studierende kommen, für die einzelnen Länder der Bundesrepublik mitzuteilen. Nach den Erhebungen des Statistischen Bundesamtes ergab sich für das Wintersemester 1960/61 in den einzelnen Ländern folgendes Bild: Land ord. u.apl. Prof. Sonstige insgesamt a. o. Pro- u.Privatfessoren dozenten Lehrpersonen Schleswig- Holstein 1,9 3,0 1,9 6,8 Hamburg 0,9 2,1 1,3 4,3 Niedersachsen 1,6 1,9 2,0 5,5 Nordrhein-Westfalen 1,0 1,6 1,3 3,9 Hessen 1,6 1,9 1,7 5,2 Rheinland-Pfalz 2,1 2,4 1,9 6,4 Baden-Württemberg 1,3 1,7 2,2 5,2 Bayern 1,3 1,7 1,5 4,5 Saarland 2,1 1,1 3,6 6,8 Berlin (West) 1,3 1,0 2,0 4,3 zusammen . . . 1,4 1,7 1,7 4,8 Anlage 5 Schriftliche Antwort des Herrn Bundesministers Dr. Heck auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Wuermeling (Fragestunde der 54. Sitzung vom 16. Januar 1963, Drucksache IV/ 888, Frage VI) : Ist die Bundesregierung zur alsbaldigen Vorlage eines Gesetzentwurfs bereit, durch den die gesetzliche Benachteiligung von Familien, deren Kinder ein freiwilliges soziales Jahr in Krankenhäusern, Altersheimen, kinderreichen Familien usw. ableisten, durch Belassung des Kindergeldes, des Kinderzuschlages, des Waisengeldes und der Steuerermäßigung aufgehoben wird? Im Einvernehmen mit den Herren Bundesministern des Innern und der Finanzen beantworte ich die Frage wie folgt: Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, einen solchen Gesetzentwurf vorzulegen. Der Bundesregierung ist bekannt, daß innerhalb der Fraktion der CDU/CSU ein solcher Gesetzentwurf ausgearbeitet wurde und daß die Absicht besteht, diesen Entwurf als Initiativ-Gesetzentwurf einzubringen. Anlage 6 Schriftliche Antwort des Herrn Staatssekretärs Dr. Seiermann auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Walter (Fragestunde der 54. Sitzung vom 16. Januar 1963, Drucksache IV/ 888, Frage XIV/ 3) : Was beabsichtigt der Herr Bundesverkehrsminister zu tun, um mit Rücksicht auf den vorverlegten Abbau des Braunkohlevorkommens bei Ostheim Kreis Melsungen die Autobahnanschlußstelle Ostheim früher als vorgesehen herstellen zu lassen? 2474 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Januar 1963 Nach den bisherigen Planungen war beabsichtigt, mit dem Bau der Anschlußstelle Ostheim an der Autobahnbetriebsstrecke Kassel-Kirchheim-Frankfurt/ Main im Jahre 1965 im Rahmen des 2. Vierjahresplanes für den Ausbau der Bundesfernstraßen (1963-66) zu beginnen. Es sollte dabei versucht werden, die Baumaßnahme zeitlich vorzuziehen. Dieses setze allerdings voraus, daß der 2. Vierjahresplan mit 13,0 Mrd. DM voll finanziert würde. Die nicht vorhersehbaren Kürzungen von zweckgebundenen Straßenbaumitteln — die für die Haushalte 1962 und 1963 'zusammen mehr als 550 Mio DM ausmachen — haben zur Folge, daß zahlreiche neue Bauvorhaben im Interesse einer ungehinderten Durchführung der laufenden Baumaßnahmen erst mit Verzögerung begonnen werden können. Hierunter wird bedauerlicherweise auch der Bau der Anschlußstelle Ostheim fallen müssen. Es ist mir daher heute noch nicht möglich, irgendwelche Zusagen finanzieller Art oder hinsichtlich des Baubeginnes dieser Maßnahme zu machen. Anlage 7 Schriftliche Antwort des Herrn Staatssekretärs Dr. Seiermann auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Bechert (Fragestunde der 54. Sitzung vom 16. Januar 1963, Drucksache IV/ 888, Frage XIV/ 4) : Trifft es zu, daß im Bereich der Eisenbahndirektion Mainz vor einigen Jahren auf Anordnung der Direktion in den Wartesälen auf Bahnhöfen außerhalb der großen Städte alle Ofen und Heizungseinrichtungen entfernt worden sind und seitdem diese Wartesäle im Winter ungeheizt bleiben? Die Bundesbahndirektion Mainz hat 1959 eine Verfügung erlassen, wonach in uribewirtschafteten Warteräumen, die keine Zentralheizung, sondern nur Kohleöfen hatten, diese meist sehr alten und unwirtschaftlichen Ofen entfernt werden sollen. Zahlreiche Beschwerden waren darauf zurückzuführen, daß die in erster Linie betroffenen kleineren Bahnhöfe mit Heizungseinrichtungen sehr unterschiedlich ausgestattet waren. Viele solcher Stellen hatten keine Heizmöglichkeit, andere nur unzureichende eiserne Ofen, die eine übermäßige Verschmutzung der Räume verursachten. Umsteigebahnhöfe und Bahnhöfe mit Wirtschaftsbetrieben sind nicht betroffen. Bei grundlegenden Umbauten kleiner Empfangsgebäude und Einbau neuzeitlicher Beheizungsanlagen wenden nach Möglichkeit auch die Warteräume mit angeschlossen. Die Bundesbahndirektion Mainz bemüht sich, Härten zu vermeiden. Sie hat in Einzelfällen dem Einbau von Heizungseinrichtungen zugestimmt. Sollten Sie, Herr Abgeordneter, einen bestimmten Fall ansprechen, so bin ich gern bereit, bei der Deutschen Bundesbahn eine Überprüfung zu veranlassen. Anlage 8 Schriftliche Antwort des Herrn Staatssekretärs Dr. Seiermann auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Haase (Kellinghusen) (Fragestunde der 54. Sitzung vom 16. Januar 1963, Drucksache IV/888, Frage XIV/5) : Welche Pläne hat die Bundesregierung für den Ausbau der Verkehrsverbindung Itzehoe—Glückstadt—Wischhafen—Bremen unter Würdigung der aus Privatinitiative aufgebauten und durch die kürzliche Indienststellung eines weiteren Fährschiffes erweiterten Fährverbindung Glückstadt—Wischhafen entwickelt? Glückstadt als Schleswig-Holsteinischer Endpunkt der genannten Fährverbindung über die Elbe liegt an dem 1961/62 neu zur Bundesstraße 431 aufgestuften Straßenzug Hamburg—Wedel—ElmshornGlückstadt—St. Margarethen—Meldorf. Der Niedersächsische Endpunkt Wischhafen liegt an der Landstraße I. Ordnung, die über Neuland—Osten—Lamstedt zur Bundesstraße 74 westlich Bremervörde führt. Dieser Straßenzug ist vom Land Niedersachsen im Rahmen der für den 2. Vierjahresplan (1963-66) vorgesehenen weiteren Aufstufung von Landstraßen I. Ordnung zu Bundesstraßen mit vorgeschlagen worden. Es ist damit zu rechnen, daß diesem Vorschlag entsprochen werden kann; lediglich der Zeitpunkt der Übernahme als Bundesstraße ist noch offen. Anlage 9 Schriftliche Antwort des Herrn Bundesministers Stücklen auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Imle (Fragestunde der 54. Sitzung vom 16. Januar 1963, Drucksache IV/ 888, Frage XV/ 1): Ist sich die Bundesregierung bewußt, welche Auswirkungen auf den Bestand der Heimkehrer- und Kriegsopferverbände die mit Wirkung vom 1. März 1963 beschlossene Einführung einer zusätzlichen Inkassogebühr für die Beförderung von Zeitungen pro Abonnement und Monat in Höhe von 20 Pfennig neben der Erhöhung der bisherigen Zustell- und Zeitungsgebühr von ca. 12 Pfennig monatlich auf 17 Pfennig als Vertriebsgebühr haben muß? Von der zwar vorgesehenen, aber vom Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost noch nicht beschlossenen +Gebührenanhebung im Postzeitungsdienst können die Zeitungen der Heimkehrer- und Kriegsopferverbände aus Gründen der Gleichheit leider nicht ausgenommen werden. Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß die Selbstkosten der Deutschen Bundespost im Postzeitungsdienst auch nach der vorgesehenen Gebührenanhebung noch nicht einmal zu einem Drittel abgedeckt werden. Welche Gebührenerhöhungen der Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost im einzelnen beschließen wird, vermag ich noch nicht zu sagen. Diese Gebührenerhöhungen werden jedoch keinesfalls schon am 1. März 1963 wirksam werden. Anlage 10 Schriftliche Antwort des Herrn Bundesministers Stücklen auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Fritsch (Fragestunde der 54. Sitzung vom 16. Januar 1963, Drucksache IV/ 888, Frage XV/ 2) : Ist die Bundesregierung bereit, die Aufhebung der Selbständigkeit des Postamtes Zwiesel im Bayr. Wald mit Rücksicht auf den der Grenzlandförderung zuwiderlaufenden Charakter dieser Maßnahme rückgängig zu machen? Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Januar 1963 2475 Die geplante Aufhebung der Selbständigkeit des Postamts Zwiesel erfolgt im Rahmen der von der Deutschen Bundespost schon seit einigen Jahren im gesamten Bundesgebiet durchgeführten Rationalisierung des Betriebs- und Verwaltungsdienstes. Diese Maßnahme läuft den Grundsätzen der Grenzlandförderung nicht zuwider. Nach der Planung werden vielmehr nur interne Verwaltungsaufgaben und einige innerbetriebliche Aufgaben der Postämter Zwiesel und Regen beim Postamt Regen als dem größeren und verkehrsgünstiger gelegenen Amt zusammengefaßt. Eine Benachteiligung der Postkunden wird diese Maßnahme nicht zur Folge haben. Im übrigen bin ich ständig bemüht, die Zonenrandgebiete zu fördern. Allein im Gebiet der Oberpostdirektion Regensburg sind in den letzten 10 Jahren 50 Mio DM zur Verbesserung des Post- und Fernmeldewesens investiert worden. Anlage 11 Schriftliche Antwort des Herrn Bundesministers Stücklen auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Supf (Fragestunde der 54. Sitzung vom 16. Januar 1963, Drucksache IV/ 888, Frage XV/ 3) : Ist der Herr Bundespostminister bereit, in angemessener Zeit vor jeder Bundestagswahl den örtlichen Direktkandidaten für die Versendung von Drucksachen zur Unterrichtung der Wähler in bestimmtem Umfange Gebührenfreiheit zu gewähren? Durch das Gesetz über die Aufhebung der Gebührenfreiheiten im Post- und Telegraphenverkehr vom 29. April 1920 (RGBl. S. 678) sind im deutschen Postverkehr alle Gebührenfreiheiten aufgehoben worden. Seit diesem Zeitpunkt besteht der Grundsatz, daß alle Postsendungen, auch die von Behörden eingelieferten Sendungen, den allgemeinen Gebührenbestimmungen unterliegen, sofern nicht durch internationale Verträge oder besondere innerdeutsche Gesetze Gebührenfreiheit vorgesehen ist. Solche Sonderregelungen bestehen z. Z. nur für Kriegsgefangenen- und Blindenschriftsendungen auf Grund des Weltpostvertrags (Art. 39 und 40) und für Wahlbriefe zur Bundestagswahl auf Grund des Bundeswahlgesetzes vom 7. Mai 1956 (Bundesgesetzblatt I S. 383). Die genannten gesetzlichen Vorschriften sind für die Versender und für die Deutsche Bundespost verbindlich. Der Bundespostminister kann deshalb den Kandidaten für die Bundestagswahl keine Gebührenfreiheit für Postsendungen gewähren. Anlage 12 Schriftliche Antwort der Frau Bundesminister Dr. Schwarzhaupt auf die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Frau Herklotz (Fragestunde der 54. Sitzung vom 16. Januar 1963, Drucksache IV/ 888, Frage XVI/ 1): Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um eine Gefährdung des Grundwassers zu verhindern, die durch Defekte an Ölleitungen entstehen kann, wie sie kürzlich an der Leitung MarseilleKarlsruhe bei Wörth in der Pfalz auftraten? Am 9. und 10. Dezember vergangenen Jahres ist an der Ölleitung Marseille-Karlsruhe im Land Rheinland-Pfalz in der Nähe von Wörth ein Schaden aufgetreten, der zum Ausfließen einer größeren Menge Öl geführt hat. Ob dieser Vorfall für die Bundesregierung Anlaß sein kann, Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, Störungen dieser Art im Interesse ides Gewässerschutzes künftig zu vermeiden, kann erst beurteilt werden, wenn ,die Untersuchungen 'des Landes Rheinland-Pfalz über diesen Vorfall abgeschlossen sind. Ich habe das zuständige Ministerium in Mainz gebeten, sich über den Sachverhalt und über die Maßnahmen, die von seiten der zuständigen Landesbehörden wegen dieses Vorfalls getroffen worden sind, zu unterrichten. Nach Eingang dieser Mitteilung wird von meinem Haus und dem Bundesarbeitsministerium zu prüfen sein, ob der genannte Schaden und auch Vorfälle ähnlicher Art, die zuvor in anderen Ländern aufgetreten sind, auf technische Unzulänglichkeiten zurückzuführen sind, die durch Maßnahmen des Bundes oder der Länder beseitigt oder verhindert werden können. Anlage 13 Schriftliche Antwort der Frau Bundesminister Dr. Schwarzhaupt auf die Mündlichen Anfragen der Abgeordneten Frau Welter (Fragestunde der 54. Sitzung vom 16. Januar 1963, Drucksache IV/888, Fragen XVI/2, XVI/3 und XVI/4: Ist der Bundesregierung bekannt, daß die deutsche Schwesternausbildung nicht den Internationalen Richtlinien entspricht und demzufolge die deutsche Krankenschwester im Ausland und in Ubersee nicht die gewünschte Anerkennung findet? Die Anerkennung der deutschen Krankenpflegeausbildung im Ausland erfolgt nach den mir vorliegenden Berichten unterschiedlich. Die Ausbildung wird besonders nach ihrer Verlängerung auf drei Jahre nach 'den Bestimmungen des Krankenpflegegesetzes von 1957 in einer Reihe von Ländern anerkannt oder auf die vorgeschriebene Ausbildung angerechnet. Solange aber keine internationalen Verträge über die gegenseitige Zulassung von Krankenschwestern abgeschlossen sind, wird der Ausbildungsgang in allen Ländern im einzelnen daraufhin überprüft, wie weit er den im eigenen Land geltenden Bestimmungen entspricht. Dabei spielt die Frage, ob die Landessprache beherrscht wird, eine wesentliche Rolle. Die Abmachungen des Weltbundes der Krankenschwestern betreffen nur die vorübergehende Tätigkeit solcher Schwestern im Ausland, die Mitglieder des Weltbundes oder eines ihm angehörenden Schwesternverbandes sind. Ist der Bundesregierung bekannt, daß immer weniger Abiturientinnen in die Krankenpflege-Ausbildung eintreten, weil sie in diesem Beruf keine Aufstiegsmöglichkeiten sehen, und infolgedessen Stationsschwestern und leitende Schwestern fehlen, die menschenführende Aufgaben erfüllen und die gesteigerten medizinischen Berufsanforderungen bewältigen können? Repräsentative Zahlen über den Rückgang der Abiturientinnen unter den Krankenschwestern liegen mir nicht vor. Es ist aber bekannt, daß immer mehr Abiturientinnen sich dem Hochschulstudium 2476 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Januar 1963 zuwenden. Daher ist es sehr wünschenswert, daß die jetzt schon im Krankenpflegeberuf bestehenden Aufstiegsmöglichkeiten der Offentlichkeit besser bekanntgemacht und daß diese Aufstiegsmöglichkeiten weiter verbessert werden. Ist die Bundesregierung bereit, eine Novellierung des Krankenpflegegesetzes von 1957 vorzubereiten, damit die deutsche Schwesternausbildung den internationalen Richtlinien angepaßt und insbesondere die Zulassung zu der Krankenpflege-Ausbildung von der mittleren Reife abhängig gemacht wird? Die Frage, ob das Krankenpflegegesetz geändert und von den Krankenpflegeschülerinnen abgeschlossene Mittelschulbildung oder eine gleichwertige Schulbildung gefordert werden soll, wird zur Zeit in meinem Hause geprüft. Diese Prüfung erfolgt im Zusammenhang mit den Bestrebungen des Europarates nach einer Normierung und vertraglichen Regelung der an eine europäische Schwesternausbildung zu stellenden Mindestanforderungen. Die Bedenken großer Schwesternverbände gegen das Erfordernis der Mittelschulbildung beruhen vor allem auch darauf, daß nach den Erfahrungen dieser Verbände besonders gut geeigneter Nachwuchs an Krankenschwestern gerade aus der Landbevölkerung kommt. Auf diese Tatsache müßte bei einer Neuregelung der Ausbildung dadurch Rücksicht genommen werden, daß in besonderen Fällen auch geeignete Volksschülerinnen der Zugang zum Schwesternberuf geöffnet bleibt. Anlage 14 Schriftliche Antwort der Frau Bundesminister Dr. Schwarzhaupt auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Bechert (Fragestunde der 54. Sitzung vom 16. Januar 1963, 'Drucksache IV/ 888, Frage XVI/ 5): Ist der Bundesregierung bekannt, daß in dem Gutachten des Staatlichen Materialprüfungsamtes Nordrhein-Westfalen, Abteilung Strahlenschutz, Nr. IX 767/62 vom 14. Dezember 1961 festgestellt wurde, daß die von der Firma Siemens-Reiniger-Werke, Erlangen, an das Röntgen-Institut von Dr. med. Hans Rock, Regensburg, gelieferte und dort eingerichtete Röntgenanlage (Therapiegerät Stabilipan 250 mit Konvergenzstrahler) bis zu 4fach höhere Strahlenleistung hat, als nach den geltenden Strahlenschutzregeln zulässig ist, und daß Grund besteht für die Annahme, daß Geräte desselben Typs auch in anderen Instituten und bei anderen Strahlenärzten dieselbe unzulässig hohe Strahlungsmenge freigeben? Das Gutachten des staatlichen Materialprüfungsamtes des Landes Nordrhein-Westfalen isst von mir dem Bundesgesundheitsamt mit der Bitte um Überprüfung und Stellungnahme zugeleitet worden. Die Stellungnahme des Bundesgesundheitsamtes werde ich Ihnen sobald als möglich übermitteln. Was die legislative Seite betrifft, so ist von mir der Entwurf einer ,Strahlenschutzverordnung, welche die Anwendung von Röntgenstrahlen in der Human- und Veterinärmedizin regelt, entworfen und bereits einmal mit den beteiligten Ressorts erörtert worden. In dieser Verordnung sind neue Vorschriften über eine Bauartprüfung aller Röntgengeräte sowie eine regelmäßige Überwachung vorgesehen. Anlage 15 Schriftliche Antwort der Frau Bundesminister Dr. Schwarzhaupt auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Dr Bechert (Fragestunde der 54. Sitzung vom 16. Januar 1963, Drucksache IV/ 888, Frage XVI /6) : Besteht die Absicht, in der Bundesrepublik einen Strahlenpaß einzuführen, der für jeden einzelnen die Strahlungsmenge angibt, der er im Laufe des Lebens ausgesetzt wird, ein Strahlenpaß, wie er in einem Bericht des Nationalen Forschungsrates (National Research Council) der National Academy of Sciences, Washington D. C., für die Vereinigten Staaten empfohlen wurde? Die Einführung eines Strahlenpasses ist wiederholt, auch im Bundesgesundheitsrat, diskutiert worden. Von seiten der Ärzte wurde festgestellt, daß der Aufwand, der mit der Einführung des Strahlenpasses verbunden wäre, bei Abwägung aller Umstände in keinem Verhältnis zu dem Nutzen stehen würde, der damit erreicht werden soll. Ich werde trotzdem erneut den Bundesgesundheitsrat bitten, sich mit dieser Frage unter besonderer Berücksichtigung der in Ihrer Anfrage erwähnten Empfehlung des Nationalen Amerikanischen Forschungsrates zu befassen und erneut Stellung zu nehmen. Danach werde ich meinen Standpunkt noch einmal überprüfen.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Josef Stingl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Sprecher der CDU/CSU-Fraktion geht, wenn er sich heute nach der Rede des Ministers auf die Tribüne begibt, einen schweren Gang. Er will nämlich im Grunde genommen das gleiche sagen, was Ihnen der Herr Minister gesagt hat; er will dartun, daß die Gedankengänge, die die Regierung bewogen haben, uns dieses Gesetzeswerk, dieses Sozialpaket, wie wir es nennen, vorzulegen, auch unsere Gedankengänge sind.
    Ich möchte hie und da noch einen Gesichtspunkt beitragen. Auch wir sind offen für Gespräche, so wie das der Herr Minister soeben gesagt hat, und die Ausschußberatungen werden noch einiges Ergiebige bringen. Ihnen das zu sagen, ist der Sinn meiner Ausführungen.
    Herr Minister, wir sind nicht nur der gesamten Regierung, sondern auch Ihnen persönlich besonders dankbar für die Rede, die Sie uns hier gehalten haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir haben erneut erkannt, daß Sie eine Vorstellung davon haben, wie man unseren Staat von der Sozialpolitik her zu ordnen hat, und daß das die Vorstellung der CDU/CSU ist.
    Mit der Vorlage dieses sogenannten Sozialpakets will die Regierung die Sozialreform fortsetzen, die wir mit der Änderung der Rentenver-



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    sicherungsgesetze begonnen und jetzt in den Ausschußberatungen mit dem Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz weitergeführt haben. Dazu gehört auch das, was Sie, Herr Minister, ankündigten: ein 2. Neuregelungsgesetz in der Kriegsopferversorgung. Dazu gehört ferner, daß wir vor kurzer Zeit in diesem Hohen Hause ein Urlaubsgesetz verabschiedet haben. Alles das wollen wir als ein Ganzes sehen.
    Die drei Gesetze, die wir heute behandeln, stehen in einem engen Zusammenhang. Gewiß haben sie einen Zusammenhang in finanzieller Hinsicht. Der Minister hat das dargelegt. Sie haben aber auch einen Zusammenhang aus dem sachlichen Gehalt, aus der Weiterführung der Grundgedanken; denn diese ' wichtigen Gesetze gliedern den einzelnen wiederum neu ein in das Gefüge der Sozialordnung in unserer Bundesrepublik.
    Alle drei Gesetze, das KrankenversicherungsNeuregelungsgesetz, das Bundeskindergeldgesetz und das Lohnfortzahlungsgesetz, sind gewiß, jedes für sich, von entscheidender Bedeutung. Sie sind aber als Ganzes der Ausdruck unseres Willens, die Sozialpolitik zu modernisieren, sie der neuen Zeit anzupassen, mitzugehen mit der Entwicklung, die sich aus den volkswirtschaftlichen Gegebenheiten und den Verflechtungen im internationalen und insbesondere im europäischen Rahmen ergibt.
    Wir wollen dabei immer wieder daran denken, daß es nicht nur darauf ankommt, neue Organisationen zu schaffen, Institutionen zu legalisieren, sondern daß alles das nur den Sinn haben kann, das Selbstbewußtsein, die Verantwortung, die Würde des einzelnen zu stärken. Wir glauben nicht an das Heilmittel Organisation. Vielmehr sehen wir immer wieder den Menschen. Wir wissen aber auch, daß wir, wenn wir das wollen, wenn wir immer die Würde des Menschen heben wollen, wenn wir seine Freiheit stärken wollen, wenn wir ihn zu seinem eigentlichen Wesen kommen lassen wollen, ihm auf der anderen Seite eben auch mehr Verantwortung zumuten müssen. Ja, es ist eine Notwendigkeit, es entspricht seinem Wesen, ihm mehr Verantwortung zu geben.

    (Beifall in der Mitte.)

    Darum bringt dieses Gesetzeswerk nicht nur eine Fülle von Mehrleistungen, sondern auch eine Fülle von Mehrverantwortung, von Anspruch an den Geist des Menschen, der eben nicht nur mit Geldleistungen befriedigt werden kann, sondern der sich selbst betätigen und eigenen Willen dazu haben muß.

    (Erneuter Beifall in der Mitte.)

    Freiheit ist für uns eine Angelegenheit, die wir in der Chance, aber auch im Risiko erkennen. Wir bejahen, daß Chance und Risiko dazu gehören.
    Natürlich wären wir schlechte Sozialpolitiker, würden wir nicht dazusetzen, daß wir eine Grenze dieses Risikos sehen wollen, eine Grenze, die wir in die Sozialgemeinschaft all dieser Betroffenen einbetten. Man kann sich natürlich darum streiten, wo diese Grenze zu setzen ist, und offensichtlich geht
    darum der Streit. Jedenfalls lehnen wir die Gläubigkeit zur Organisation ab. Wir wollen die freie Entscheidung des Menschen, soweit wir irgend können, bewahren. Wir wollen ihm optimale Leistungen, nicht maximale geben, wie es der Minister soeben gesagt hat, wie es mein Kollege Kühn schon bei der Beratung der Rentenanpassungsgesetze gesagt hat. Meine Damen und Herren, so wollen Sie bitte die Gesetze auch im einzelnen sehen, so sollen Sie sie würdigen, auch wenn Sie an Einzelbestimmungen Kritik zu üben bereit sind.
    Zunächst einmal will ich etwas zur Verbesserung des bisherigen Kindergeldrechts sagen. Dieses Gesetz ist notwendig, weil dieses Hohe Haus schon in der vorigen Legislaturperiode durch eine Gesetzesbestimmung festgelegt hat, daß die Vereinheitlichung der Auszahlung notwendig sei. Es ist also die Erfüllung einer Pflicht, wenn wir das Kindergeldrecht vereinheitlichen. Zu der Erkenntnis, den Auszahlungsmodus zu vereinheitlichen, hat uns nicht nur der Ansturm gebracht, sondern das ergibt sich einfach aus der praktischen Notwendigkeit, schon um des Familienvaters willen, der wegen des Zweitkindes zu einer anderen Institution gehen müßte als wegen des dritten und weiteren Kindes.
    Aber nicht erschüttert ist unsere Ansicht von 1954. Es war an sich zweckmäßig, wie wir es damals zu regeln versuchten. Aber eine neue Zeit verlangt neue Überlegungen, und darum gehen wir jetzt auch diesen Weg mit der Regierung. Obwohl es der Herr Minister schon selbst getan hat und Sie dem Beifall gezollt haben, lassen Sie mich im Namen meiner Fraktion noch einmal ausdrücklich den ehrenamtlichen und den beamteten Kräften der Familienausgleichskassen für ihre Arbeit und Mitarbeit von ganzem Herzen unseren Dank sagen!

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wenn wir uns aber mit dieser Frage der Neuregelung des Kindergeldrechts beschäftigen und wenn wir dann sagen, daß wir auch die Leistungsverbesserungen für gut halten, gestatten Sie mir doch zusätzlich ein Wort an die Kritiker, die bei uns immer nur das Kindergeld sehen und unser System in Deutschland an den anderen Systemen nur von diesem Gesichtspunkt her messen. Es ist einfach falsch, zu meinen, ,die Familienpolitik unseres Staates erschöpfe sich in der Zahlung des Kindergeldes. Wir wären in der Tat ein armseliger Staat, wenn wir nur den dritten, ,den vierten und weiteren Kindern je 50 DM im Monat jetzt — früher weit weniger — gäben. Nein, zu diesen Leistungen gehört die Fülle der sonstigen Vergünstigungen, sei es im Steuerrecht, im Sparprämiengesetz, 'sei es im Wohnungsbauprämiengesetz, und was Sie immer dabei aufführen wollen, etwa die Kinderzulagen in den Sozialversicherungsgesetzen, und wo immer Sie das alles miteinander sehen. Aber eben weil dieses andere uns noch nicht genügt, haben wir auch noch die Kindergeldleistungen eingeführt. Wir meinen, daß der Ausbau dieses Rechts eine Angelegenheit ist, der sich dieses Hohe Haus nie wird entziehen können. Auch wenn dieses Gesetz hinter uns liegt, werden wir immer wieder



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    noch einmal darüber diskutieren müssen, ob es denn nun den Stand erreicht habe, an dem man keine Verbesserungen mehr anbringen könnte.
    Wir sind der Meinung, daß die Verbesserungen, die die Regierung vorschlägt, insbesondere die Erhöhung des Kindergeldes vom dritten Kind ab um ein Viertel der jetzigen Leistungen, sich sehen lassen können, zumal wir diese Erhöhungen im Zusammenhang mit der Übernahme der Leistungen, die bisher die Wirtschaft getragen hat, auf den Bundesetat einführen 'werden und wollen. Wer könnte denn achtlos daran vorübergehen, daß eine Mehrbelastung des Bundeshaushalts eintritt — eine Mehrbelastung gegenüber der bisherigen Belastung für dais Zweitkindergeld —, .die jährlich etwa 1400 Millionen ausmacht? Das ist keine Kleinigkeit. Auch dies muß gesehen werden, und wir müssen ,feststellen und nehmen es für uns in Anspruch, daß auch diese Mehrbelastung nur möglich ist, weil unsere Wirtschaftspolitik den Aufschwung in unserem Volke überhaupt ermöglicht hat.

    (Beifall \\bei der CDU/CSU.)

    Ich möchte zum Kindergeldneuregelungsgesetz im übrigen nicht viel mehr ,ausführen. Wenn es sich aus der Diskussion 'ergeben sollte, werden meine Kollegen bereit sein, auch dazu noch Stellung zu nehmen.
    Ich möchte jetzt auf das Lohnfortzahlungsgesetz eingehen. Unsere Fraktion hat in der Vergangenheit mehrfach festgestellt, daß sie es ablehnt, irgendwelche sozialpolitische Maßnahmen — übrigens wie auch auf anderen Gebieten — nach dem Gesichtspunkt zu behandeln, man müsse alles oder nichts bieten. Nein, wir haben immer gesagt, man muß auch eine Evolution, eine Entwicklung mitmachen können. Schon im Jahre 1957, als das erste sogenannte Lohnfortzahlungsgesetz verabschiedet wurde — das eigentlich ganz anders heißen müßte —, haben die Sprecher meiner Fraktion betont, daß sie dies nicht als einen Endpunkt der Entwicklung ansehen, 'sondern daß es unser Ziel bleibt, die wirkliche Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten im Krankheitsfalle zu erreichen. Aber wir waren nicht so töricht, diesen Schritt in einem Satz zu tun und damit den Grund für die Gefahr zu legen, daß das gesamte Wirtschaftsgefüge ins Schwanken kommt.
    Wir haben 'im Jahre 1961 einen weiteren Schritt getan. Kluge Leute könnten uns sagen: Warum tut ihr denn überhaupt einen weiteren Schritt; denn der Arbeiter hat ja jetzt im Krankheitsfall das gleiche, was er hätte, wenn er arbeiten würde.
    Meine Damen und Herren, gewiß hat er das gleiche, und er hat — horribile dictu — geradezu noch mehr, wenn er es versteht, im Lohnsteuerjahresausgleich die entsprechenden Anträge zu stellen. Wovon ich jetzt spreche, ist nahezu eine Unsittlichkeit, die wir hier im Gesetz verankert haben — nageln Sie mich nicht fest darauf, so hart sollte es gar nicht herauskommen.
    Aber nicht das empfangene Entgelt ist es, das uns dazu bringt, heute zu dem Regierungsentwurf des Lohnfortzahlungsgesetzes ja zu sagen, sondern die gesellschaftspolitische Bedeutung, die hinter diesem Schritt liegt, ist es, die uns so uneingeschränkt ja zu diesem Vorhaben der Regierung sagen läßt.

    (Beifall in der Mitte.)

    Wir sind der Meinung, daß die heutige Zeit es nicht verträgt, im Krankheitsfalle bei Arbeitern und Angestellten Unterschiede zu machen. Wir sind der Meinung, daß 'die Mündigkeit des Arbeiters, die Art seiner Beschäftigung, seine größere Verantwortung auch im einfachsten Betrieb durch die Automatisierung und ähnliches, daß alle diese Gesichtspunkte uns einfach zwingen, einen Anspruch des Arbeiters an seinen Arbeitgeber für die gleiche Zeit zu statuieren, in der er krank ist, wie ihn der Angestellt schon länger hat. Das ist nicht Nivellierung und das ist nicht Einebnung, sondern das ist das Heraufholen eines bisher in der Wirtschaft Schlechtergestellten auf einen Stand, den wir als den richtigen ansehen. Die Arbeiter haben es durch ihre Leistung, durch ihre Mitarbeit am Aufbau nach diesem schrecklichen Kriege verdient, daß wir ihnen nun die Gleichstellung für sechs Wochen im Krankheitsfall gewähren.
    Dem widerspricht es auch nicht, 'daß angebliche Befragungsergebnisse davon reden, dem Arbeiter selber komme es gar nicht darauf an; es komme ihm nur 'darauf an, das Geld in der Tasche zu haben. Es mag vielleicht sogar richtig sein, daß der eine oder andere sagt, es sei ihm völlig egal, woher er das Geld nehme; es komme ihm nur darauf an, daß er es habe. Das darf aber diesem Hohen Hause nicht egal sein. Es kommt darauf an, daß wir die Anonymität beseitigen, die darin liegt, daß sich der Arbeiter das Geld von einer Kasse abholt. Es kommt darauf an, daß wir den unmittelbaren Kontakt des Arbeiters zum Arbeitgeber haben. Denn, daß hier etwas dahintersteckt, zeigt sich sowohl in dem Bereich der Geschichte, den wir überblicken können, wie auch im Bereich der heutigen Situation. Das vernünftige Arbeitsverhältnis, das wir natürlich nicht wieder einführen konnten, gab es doch einmal bei den Zünften und Innungen, wo der Handwerksmeister seinen Gesellen eben in den Hausstand in allen Bereichen aufgenommen hatte. Das war eine, wie wir 'glauben, glücklichere Zeit, als wir sie heute haben.
    Aus der jetzigen Situation folgendes: es kann einfach kein Zufall sein, daß die Zahlen der Arbeitsunfähigkeitsfälle in den größeren Bereichen der Ortskrankenkassen wesentlich höher, ja, nahezu doppelt so hoch sind wie in den überschaubaren Bereichen der Innungskrankenkassen und der Landkrankenkassen. Das ist so, weil in diesen letztgenannten Bereichen von Natur aus das Verhältnis des Arbeiters 'zum Arbeitgeber 'inniger ist, weil eben der Meister seinen Gesellen in allen Lebensbereichen kennt. Hier ist das persönliche Verhältnis für den Gesellen viel deutlicher, so daß er sich sagt: Ich bleibe nicht zu Hause, wenn ich einmal nicht so gut an dem Schraubstock stehen kann; ich kann immerhin noch etwas anderes machen.
    Meine Damen und Herren, das ist es auch, was uns — obgleich uns entgegengehalten wird, es werde von den Arbeitern nicht erstrebt — dazu



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    I bringt, dem Arbeiter diesen Anspruch gegenüber seinem Arbeitgeber zu geben und uns dafür einzusetzen, daß die Vorstellungen der Bundesregierung, so wie sie uns im Gesetzentwurf aufgezeigt werden, verwirktlicht werden. Es paßt nicht in die Zeit, daß der Arbeiter zu einem Kassenschalter gehen muß, um sich für 6 Wochen Geld abzuholen. Es paßt auch nicht mehr in die Zeit, daß er — das ist nach dem heutigen Recht sogar noch getrennt — für einen Teil zum Kassenschalter, für den anderen Teil aber zu seinem Arbeitgeber gehen muß.
    Wir sehen ein, daß der Arbeiter, der, wie wir sagen, einen Anspruch an seinen Arbeitgeber hat, wenn er nicht gearbeitet hat, weil er krank ist, diesen Anspruch durch die Bescheinigung des Arztes nachweisen muß. Das hat nichts mit Mißtrauen zu tun; denn sonst wäre jede Sparkasse mißtrauisch, die Ihnen nicht Geld gibt, wenn sie hinkommen und sagen: Ich habe ein Sparkassenbuch. Die Sparkasse wird sagen: Das mußt Du mir vorlegen. So meinen wir, es ist berechtigt, wenn der Gesetzentwurf vorsieht, daß die Arbeitsunfähigkeit nachgewiesen werden muß, bevor der Arbeitgeber die Pflicht hat, den Lohn auszuzahlen, ohne daß dafür Arbeit geleistet worden ist.
    Ich möchte in diesem Zusammenhang nicht verschweigen, daß mir die Kritik, die an dieser Form der Lohnfortzahlung geübt wird und die aus Handwerkskreisen kommt, nicht gerade verständlich ist. Meine Damen und Herren, gerade in diesem Bereich muß man erkennen, daß das unmittelbare Verhältnis zwischen Meister und Gesellen, zwischen Meister und Lehrling verhindern wird, daß die Belastung weiter und weiter und weiter steigt, wie wir es mit großer Besorgnis in der Vergangenheit immer wieder gesehen haben. Ich gehöre nicht zu denen, die sagen, daß hier nur Mißbrauch vorliege, daß die Krankenziffern deswegen stiegen, weil die Leute, ohne krank zu sein, leichter feierten. Ich weiß sehr wohl, daß dafür eine Vielfalt von Begründungen hervorgeholt werden kann, z. B. die Begründung, daß wir durch die Hochkonjunktur auch Menschen beschäftigen, die gegen Krankheit anfälliger sind, oder daß wir in Frauenbetrieben sowieso eine leichtere Anfälligkeit haben. All das wissen wir. Trotzdem meine Damen und Herren, erfüllt es uns mit Besorgnis, wie hoch der Krankenstand heute ist. Wir glauben, die Verpersönlichung des Verhältnisses zwischen Arbeiter und Arbeitgeber kann uns helfen, hier ein bißchen zurückzudämmen, zumal wir auch glauben — lassen Sie mich das dazu sagen
    daß der Arbeiter, wenn das Gesetz einmal in Kraft ist und er an sich krank ist, durchaus auch noch einmal in den Betrieb geht und beispielsweise eine Arbeit macht, die sonst liegen bleibt, daß er z. B. etwas sortiert, was er sonst nicht tun konnte. Wir kennen es ja auch von Angestellten heute; sie gehen durchaus noch in den Betrieb, wenn sie einmal Kopfschmerzen haben, die sie berechtigen würden, zu Hause zu bleiben. Sie werden dann eben nicht die große geistige Arbeit leisten, die sie sonst zu leisten haben, sondern werden sich vielleicht einmal damit begnügen, die Karteikarten endlich an die Stelle zu stellen, wo sie sie nicht hinstellen konnten, weil sie bislang die andere Arbeit überwältigt hat. Wir glauben also, daß dieses Neuregelungsgesetz die Chance bietet, die Krankenzahlen — nicht: herunterzudrücken; das würde wieder bedeuten, daß man meint, dahinter stecke etwas Schlimmes — durch dieses gebesserte Verhältnis auf ein normales Maß zurückzuführen.
    Ich wäre töricht, würde ich verschweigen, daß es meiner Fraktion, der Regierung und sicher jedem hier im Hause klar ist, daß die Einführung der Lohnfortzahlung eine entschiedene, ja, eine schwere Belastung für den einzelnen Betrieb bildet, ja, daß sie in Einzelfällen, wenn eine große Morbidität auftritt, der Ruin eines Betriebes sein könnte. Wer möchte das leugnen? Der Betrieb hat es nicht in der Hand, ob von seinen fünf Gesellen, Gott sei es geklagt, wirklich alle fünf krank werden. Das wäre für den Betrieb sicherlich untragbar. Darum mußten wir danach streben, ein kalkulierbares Risiko daraus zu machen und einen Ausgleich vorzunehmen.
    Der Schritt, den die Bundesregierung vorschlägt, ist einer der Schritte zu diesem Ziel. Er wurde insbesondere von Wirtschaftskreisen gewünscht. Er hat den Vorteil, daß er das Risiko nicht der gesamten Wirtschaft auflastet, also nicht z. B. die niedrigen Krankenzahlen der Innungskrankenkassen in einen Topf wirft mit den höheren Krankenzahlen der Ortskrankenkassen. Aber er hat den Vorteil, daß die großen Betriebe ebenfalls mit drin sind. Wir sind für Vorschläge jeder Art aufgeschlossen. Aber wir meinen, daß das der beste Weg ist, den wir finden konnten, um das Risiko kalkulierbar zu machen, und darauf kommt es an.
    Wer dies bejaht und außerdem bejaht, daß wir uns im Bereich der sozialen Sicherung insgesamt mehr Verantwortung vor Augen führen, der kann selbstverständlich nicht verlangen, daß eine restlose Anonymität auf der Arbeitgeberseite eingeführt wird. Wer verlangt, daß der Arbeiter, der in der Krankenversicherung versichert ist, mehr zum Bewußtsein seiner Verantwortung geführt wird, der kann nicht verlangen, daß der Arbeitgeber nicht an diesem ganzen Bereich beteiligt wird. Deshalb sieht die Regierung vor, daß drei Viertel der Belastungen, die durch die Lohnfortzahlung an Arbeiter neu auf die Wirtschaft zukommen, durch eine bei den Krankenkassen zu errichtende Ausgleichskasse ausgeglichen werden können.
    Dieser Schritt, den wir wagen, die Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber an den Arbeitnehmer während sechs Wochen, ist ein großartiger Schritt. Er ist ein Schritt in Neuland, ganz sicher. Aber er bringt — hier wiederhole ich das Wort von Minister Blank — größere Freiheit und eine großartige Leistung auch für den Familienvater, der gewiß noch manchmal in großer Sorge war, wenn er krank wurde und nicht den vollen Lohn weiterbezog. Wir meinen, daß dieser Schritt dem Arbeiter mehr Freiheit bringt und dem Angestellten nichts nimmt, ihm aber in vieler Hinsicht eine größere Sicherung auch in seinem Bereich gewährleistet.
    Hier aber — auch das hat der Minister in einem anderen Zusammenhang gesagt —, in dieser größeren Freiheit, in diesem Hinordnen zu einem besseren
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    Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeiter, liegt auch der Zusammenhang mit dem dritten Gesetzentwurf, den wir heute in erster Lesung behandeln. — Ich will sehr vorsichtig sein, damit mir nicht bei diesem dritten Gesetzentwurf eine Vorwegnahme der Ausschußberatung passiert. — Hier liegt der Zusammenhang zu diesem dritten Gesetzentwurf, der Neuregelung der gesetzlichen Krankenversicherung. Ich habe mehrfach davon gesprochen, daß Freiheit und Verantwortung zusammengehören. Ich will ausdrücklich noch einmal sagen, daß das Mehr an Verantwortung, das wir fordern, niemals die Grenze zum Unzumutbaren hin überschreiten soll. Auch alles, was im Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetz der Regierung vorgesehen ist, ist von sozialen Gesichtspunkten bestimmt. Alles, was an größerer Verantwortung dort eingebaut ist, hat seine Grenze im sozial Zumutbaren und Ertragbaren. --- Dieses Wort vorweg.
    Lassen Sie mich dann einiges zum Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetz vom Standpunkt meiner Fraktion aus sagen.
    Die Bedeutung dieses Gesetzes — ich habe es schon vor drei Jahren ausgeführt — liegt darin, daß ein ungemein großer Teil unserer Bevölkerung durch die gesetzliche Krankenversicherung, sei es als Pflichtversicherte, sei es als freiwillig Versicherte, erfaßt ist. Aber obwohl das so ist, oder vielleicht auch gerade weil das so ist, kann dieses Gesetz — lassen Sie mich dies unterstreichen — niemals ein Gesetz werden, das jedem die Gesundheit garantiert. Dieses Gesetz ist dazu da, dafür zu sorgen, daß, wenn eine Krankheit auftritt, alle medizinisch denkbaren Leistungen erbracht werden, um die Gesundheit wiederherzustellen. Dieses Gesetz ist dazu da, dafür zu sorgen, daß, wo sich Krankheiten andeuten, vorbeugende Maßnahmen ergriffen werden. Dieses Gesetz ist dazu da, daß, wenn jemand krank geworden ist, dafür gesorgt wird, daß er nicht in seinem wirtschaftlichen Leben eine schwere Einbuße erleidet.
    Wir führen zum zweiten Male eine erste Debatte um ein Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetz. Gewiß können Sie den Vorwurf erheben, wir hätten dieses Gesetz im vorigen Bundestag verabschieden können, Ganz sicher! Wir glauben aber — schauen wir nur zurück! —, daß auch diese Zeit von Nutzen war.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Wir haben eine Menge Erkenntnisse gewonnen, und die Regierung hat eine Menge von Vorschlägen, die im Ausschuß erarbeitet worden waren, jetzt in dieses Gesetz hineingenommen. Wir glauben vor allem, daß jetzt die Lösung, die die Regierung vorschlägt, um die Eigenverantwortung zu stärken, von allen hier im Hause, wenn sie nur guten Willens sind und dahinter sehen, was es wirklich ist, mitgetragen werden kann.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Zu den Verbesserungen, die dieser Gesetzentwurf bringt, möchte ich darauf hinweisen, daß zwei entscheidende Verbesserungen, die im vorigen Gesetzentwurf noch standen, in diesem nicht mehr stehen, weil wir sie schon konsumiert haben. Es ist die Verbesserung beim Krankengeld nach der sechsten Woche, und es ist die Beseitigung der Aussteuerung. Hier liegt einer der entscheidenden Punkte für die Aufgabe der Krankenversicherung, die wirtschaftliche Situation des Kranken zu verbessern und seinen Lebensstandard nicht abfallen zu lassen. Für die ersten sechs Wochen haben wir — führen wir alle drei Gesetze ein — eine Sorge weniger; denn da wird der volle Arbeitslohn weitergezahlt. Schwierig wird es nach sechs Wochen, und dann ist der Eingriff in das Leben einer Familie, deren Ernährer krank geworden ist, schwer. Wir haben die Heraufziehung des Krankengeldes nach den sechs Wochen schon vorweggenommen, und wir haben dafür gesorgt, daß die Aussteuerungsgrenze so weit hinausgeschoben wird, daß man als nahezu sicher erwarten kann, daß, sollte die Krankheit länger dauern, inzwischen die Rentenversicherung der verschiedenen Formen eingreifen wird; obwohl ich nicht leugne, daß es immer noch Fälle gibt, in denen sehr schwerwiegende Ereignisse eintreten können, etwa dann, wenn nur Berufsunfähigkeit anerkannt wird, der Betreffende aber über die Frist hinaus noch im Krankenhaus liegt. Aber niemand, meine Damen und Herren, kann leugnen, daß diese beiden Bestimmungen wesentliche Verbesserungen waren und eigentlich in dieses Gesetz gehören.
    Was nun dieses uns zur Beratung vorliegende Gesetz angeht, so meinen wir, daß darin der richtige Weg dafür gefunden ist, auch den Versicherten alle Vorteile neuer medizinischer Erkenntnisse zugänglich zu machen. Es ist nicht so, daß das eine Armenversicherung wäre und daß man, um eine besondere neue medizinische Erkenntnis für sich auszuwerten, zum Privatarzt gehen müßte. Nein, meine Damen und Herren, gerade die Neuregelung in diesem Krankenversicherungsgesetz soll dazu führen, daß auch jedem Versicherten — jedem, ob er als Rentner versichert ist, ob er als Arbeiter versichert ist, ob er in der Innungskrankenkasse oder in einer anderen Kasse versichert ist — die neuesten Erkenntnisse der Medizin zugute kommen.
    Zugleich aber müssen wir darauf achten — und ich kann nur wieder sagen: wir müssen das an jeder Stelle des Sozialversicherungsrechts tun —, daß wir die Solidarität der Versicherten nicht überbeanspruchen. Wir müssen insbesondere bei Behandlung dieses Gesetzentwurfs und der Krankenversicherung auch einmal überlegen, daß heute das System in einer Art Nebel der Anonymität liegt. Welcher Versicherte weiß denn wirklich, welchen Beitrag zur Krankenversicherung er bezahlt?

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Die versiertesten Arbeitnehmer, die Sie auf der Straße fragen, welchen Beitrag sie zahlen, werden Ihnen zwar antworten können, welche Sozialversicherungsbeiträge sie insgesamt zahlen, aber der allergeringste Teil wird sagen können, welchen Krankenversicherungsbeitrag er zahlt. Wenn Sie den Arbeitnehmer dann noch fragen, wieviel von diesem Beitrag etwa fürärztliche Leistungen ausge-



    Stingl
    geben werden muß, muß er schweigen. Er kann das bei dem heutigen System nicht übersehen.
    Darum meinen wir, wir müssen heraus aus diesem Nebel der Anonymität. Wir müssen dem Versicherten soviel Individualität geben, wie überhaupt erträglich ist. Dieser Individualität muß es dienen, daß man ihn bei den Kassen kennt; das ist bis jetzt nicht der Fall. Die Einführung des Sonderbeitrages hat sicher sehr verschiedene Gründe, aber unter anderem auch den, daß es ein Einzelkonto des Versicherten bei der Krankenkasse geben wird, damit der Versicherte selber für die Krankenkasse kein Unbekannter mehr ist und 'damit er nicht mehr nur ein Name auf einer Liste eines Betriebes ist. Die Kasse kennt den Versicherten nicht, der Versicherte kennt seinen Beitrag nicht, der Versicherte kennt die Leistung nicht, der Arzt weiß nicht, was er für seine Leistung zu bekommen hat, weil er eine Gesamtvergütung erhält. Der Arzt weiß zwar, was er 'geleistet hat, aber er weiß auf Grund verschiedener Dinge — Heckenschnitt und ähnliches; Sie kennen die Fachausdrücke — nicht, ob ihm. alle Leistungen vergütet werden. All dies ,gilt es zu beseitigen.
    Wer modern sein will, muß erkennen, daß der Arbeiter heute wissen will, was mit seinem Geld geschieht, daß er selbst an diesen Entscheidungen beteiligt sein will; hier hilft nicht die Einführung der Selbstverwaltung.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Es genügt nicht, daß er einmal in einem Zeitraum
    von zwei Jahren — vielleicht vergrößern wir den
    1) Zeitraum auch noch — seinen Stimmzettel abgibt und sich dann allen Entscheidungen der Selbstverwaltung fügt. Der lebendige, immer wieder genährte Kontakt zwischen ihm und der Kasse, ihm und dem Arzt, dem Arzt und der Kasse sollte die Krankenversicherung — sollte sie wirklich, wie man so häufig hört, krank sein — gesunden lassen.
    Der Entwurf wird von der Bundesregierung mit einer gegenüber dem bisherigen Recht neuen Kennzeichnung des Personenkreises vorgelegt. Er führt auch für die Arbeiter eine Pflichtgrenze ein. Wir bejahen die Einführung der gleichen Pflichtgrenze für Arbeiter wie für Angestellte; 'denn wer bejaht, daß der Arbeiter wie der Angestellte sechs Wochen lang sein volles Entgelt 'bekommen soll, muß natürlich im Bereich der Solidaritätsversicherung die gleichen Grundsätze gelten lassen.
    Wir verkennen nicht, daß in diesem Punkte Kritik angemeldet wurde. Es wurde beispielsweise gesagt — damit hat sich auch der Herr Minister auseinandergesetzt —, daß der Familienvater, der Arbeiter sei — bei den Angestellten haben wir die Kritik übrigens nie gehört —, nunmehr nicht mehr der Versicherungspflicht unterliege und den Beitrag ganz bezahlen müsse. Das gilt natürlich auch für Ledige; für den Familienvater wurde gesagt, sei das aber ganz besonders schwer. Abgesehen davon, daß die Herausnahme der Belastung, die die Krankenkasse durch das Krankengeld trägt, dazu führen muß, daß der Krankenversicherungsbeitrag sinkt und damit die Berechnungen, die man uns aufgemacht hat, nicht mehr stimmen, glaube ich, daß es hier ein Feld der Betätigung gibt, von außen her der
    Familie, wenn es notwendig ist, zu helfen. Und im übrigen: welch herrliches Betätigungsfeld ergibt die Zahlung des Beitrags des freiwillig Versichertenfür die Verhandlungen ,der Tarifvertragsparteien! Wie kann man doch da in den Verhandlungen wieder etwas neu ins Gespräch bringen!
    Nicht zu verkennen ist, !daß der Herausfall von 2,7 Millionen Arbeitern aus der Versicherungspflicht mit Kritik gesehen wird. Wir wissen das. Wir 'wissen aber auch, daß in unserem Volk viel Angst dadurch verbreitet wird, daß man so tut, als ob diejenigen, ,die ,aus der Versicherungspflicht herausfallen, auch aus der Berechtigung herausfielen. Das ist einfach nicht wahr. Auch nach dem Regierungsentwurf fallen aus der Versicherungsberechtigung nur diejenigen heraus, deren Jahreseinkommen 15 000 DM übersteigt und die unter 40 Jahre alt sind. Das ist gewiß ein kleiner Personenkreis. Sicherlich kann man darüber nachdenken, ob die Grenzen richtig gefunden sind. Aber eines jedenfalls wollen wir feststellen: wir halten fest an der gleichen Versicherungspflichtgrenze für Arbeiter und Angestellte, und wir wissen dabei, 'daß wir für die Arbeiter insoweit eine Begünstigung in dieser Grenze haben, als die Zuschläge um der Vereinfachung willen einfach nicht berücksichtigt werden können.
    Lassen Sie mich auch ein Wort zu einer familiengerechten Versicherungspflichtgrenze sagen. Über das hinaus, was der Herr Bundesminister schon ausgeführt hat — die Gefährdung des Arbeitsplatzes, die eintreten könnte, wenn die Konjunktur einmal nicht 'den Aufschwung hat, den sie heute verzeichnet —, ist zu beachten, daß allein 'durch die Kinderzuschläge für den Familienvater effektiv die Grenze in der Sozialversicherung höher liegt.
    Lassen Sie mich auch ein Wort zu !der Ansicht sagen, man müsse die Versicherungspflichtgrenze variabel halten, man müsse sie etwa mit der Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung oder mit sonstigen Größen steigen oder fallen lassen. Das ist in 'diesem System einfach unmöglich. Man kann nicht eine variable Versicherungspflichtgrenze in der Krankenversicherung einführen, weil. das dazu führen würde, daß der gleiche Versicherte im gleichen Jahr oder jedenfalls in zwei aufeinanderfolgenden Jahren einmal versicherungspflichtig, im nächsten Augenblick versicherungsfrei wird; die Grenze überholt ihn wieder, er wird wieder versicherungspflichtig. Eine solche Möglichkeit, eine variable Versicherungspflichtgrenze einzuführen, gibt es nicht. Wir meinen also, daß der Vorschlag, den uns 'die Bundesregierung macht, richtig ist, und daß wir 'diesen Vorschlag vertreten sollten.
    Eine weitere Verbesserung in diesem Gesetz wird leider häufig übersehen, gewiß weil man sagen kann: auch heute gibt es keine Fälle, in denen die Familienhilfe durch eine Kasse versagt wird. Aber immerhin, wer garantiert uns, daß nicht vielleicht einmal !die Situation eintritt, in der die Krankenkassen Kann-Leistungen abbauen müßten. Darum möge beachtet werden, daß 'der Vorschlag der Bundesregierung die Familienhilfe zur Pflichtleistung macht und daß in dieser Familienhilfe wirklich dar-



    Stingl
    auf Rücksicht genommen wird, daß man auch eine Haushilfe bezahlen will und daß man den Zusammenhalt der Familie stärken will. Gerade dieser Punkt ist in der Diskussion beinahe immer übersehen worden. Man tut so, als sei das schon eine Selbstverständlichkeit.
    Es wird immer wieder übersehen, daß der Regierungsentwurf eine wesentliche Verbesserung in der Mutterschaftshilfe bringt. Das bedeutet immerhin eine Belastung für den Bundesetat von jährlich über 200 Millionen DM. Auch dies sollte einmal 'in der Offentlichkeit gesagt werden. Hier geht es darum, auch die Ehefrau .des Versicherten, die nicht selber arbeitet, besserzustellen als bisher.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Wir haben auch zu verzeichnen, daß über die Vorsorgemaßnahmen, die im Gesetz vorgesehen sind, beinahe nicht mehr gesprochen wird; sie sind sozusagen schon selbstverständlich. Jedoch führt sie der Regierungsentwurf erst ein, es gibt sie heute nicht. Und wenn einer sagt: „Ich werde heute doch von meinem Arzt untersucht, auch wenn er feststellen muß, daß ich gesund bin!", so ist das einfach contra legem. Wir wissen, daß das teilweise so gehandhabt wird. Aber dieser Gesetzentwurf bringt die Möglichkeit, von Rechts wegen eine Vorsorgeuntersuchung durchzuführen, um Krankheiten früh erkennen zu können.
    Die Abgrenzung der Leistungen der Krankenversicherung gegenüber anderen verpflichteten Leistungsträgern wird schon im UnfallversicherungsNeuregelungsgesetz neu gefaßt. Ich habe darauf auch bereits in meiner Bemerkung zu den Kosten bei der Mutterschaftshilfe angespielt.
    Nun lassen Sie mich etwas zu dem sagen, was am meisten in diesem Gesetz angeriffen wird: der Sonderbeitrag tut es den Kritikern .an. Es wird ins Feld geführt, hier sei eine unzumutbare Belastung. Es wird ins Feld geführt, er sei gesundheitsschädlich, und was immer der Argumente mehr sind. Meine Damen und Herren, sehen Sie ihn zunächst noch einmal unter dem Gesichtspunkt, den ich vorhin genannt habe: Wir wollen in der sozialen Krankenversicherung so weit wie irgend möglich und tragbar die Persönlichkeit selbst mit entscheiden lassen. Wir wollen durch diesen Sonderbeitrag aber auch gerade die Anonymität aufheben und zu einer besseren Klärung des Verhältnisses des Versicherten zum Arzt, des Versicherten zur Kasse und der Kasse zum Arzt kommen. Denn wenn von diesem Sonderbeitrag, der auf einem eigenen Konto aufgeführt werden muß, 25 % der Arzt- und der Zahnarztkosten abgebucht werden sollen, wird es sich dann der Patient, der Versicherte, gefallenlassen, daß ihm nicht gesagt wird, wie hoch diese 25 % sind? Daher ist mit dem Sonderbeitrag, mit ,der Einführung dieser größeren Individualtät unmittelbar die Kostenkenntnis des Patienten verbunden. Der Arzt muß verpflichtet sein, dem Patienten mitzuteilen, welche Leistungen er erbracht hat und wie groß sein Leistungsanspruch gegenüber der Kasse und natürlich auch gegenüber dem Versicherten ist.
    Wer behauptet, dieser Sonderbeitrag sei eine Barriere zum Arzt, der verkennt einfach die Gesinnung und Gesittung der deutschen Arbeiterschaft.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Kann mir jemand im Ernst sagen, in unserem Volk gebe es einen Arbeiter, der eine schwere Erkrankung oder eine Erkrankung hat, die schwere Folgen haben kann, und sich nicht vom Arzt behandeln läßt, weil er drei, vier, fünf oder zehn Mark zurückerhalten habe, Geld, 'das er nicht etwa erst auszugeben braucht, sondern das auf einem Konto für ihn gutgeschrieben ist? Wer dies sagt, meine Damen und Herren, unterstellt diesem Menschen Verantwortungslosigkeit, und wir wehren uns gegen eine solche Unterstellung.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Dabei muß auch noch beachtet werden, ,daß der Sonderbeitrag keine zusätzliche Belastung gegenüber dem bisherigen Recht darstellt — mindestens bei den Arbeitern nicht —; denn die Lohnfortzahlung muß, ich sagte es schon einmal, notwendigerweise eine Beitragssenkung bringen. Diese aber kann verwendet werden, um den Individualbeitrag, den Sonderbeitrag anzusammeln.
    Wenn aber der Arzt—damit will ich den Gedanken von der Beseitigung der Anonymität weiterführen — dem Patienten eine Rechnung auszustellen hat, muß logischerweise der Betrag, den er auf die Rechnung für ,den Patienten schreibt, ihm auch zustehen. Wir halten es also für unbedingt erforderlich, daß die Bezahlung der Einzelleistung des Arztes eingeführt wird. Dann kann nicht mehr das Gesamtpauschale und auch nicht mehr das Fallpauschale gezahlt werden. Wenn der Arbeiter seine Rechnung kennen soll, dann muß der Arzt diese Rechnung auch bezahlt erhalten.
    Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang ein Wort zum Arztrecht. Wir halten die Kassenärztlichen Vereinigungen, sowohl die in der unteren Ebene wie die auf Bundesebene, für unbedingt und absolut notwendig. Nach unserer Meinung hat die Entwicklung in der Geschichte dazu geführt, ,daß der Zusammenschluß der Ärzte gegenüber dem Verhandlungspartner Krankenkasse notwendig ist. Wir halten auch den Vorschlag der Bundesregierung, daß die Gebührenordnung ausgehandelt wird, für richtig. Wir finden es ebenfalls richtig, daß man individuellen Verhältnissen in verschiedenen Gegenden — ob das allerdings auf die Kassen bezogen sein muß, ist zweifelhaft — Rechnung tragen muß. Allerdings wird man Sorge dafür tragen müssen, daß sich das nicht in einer unterschiedlichen Belastung des einzelnen auswirkt; denn sonst könnte es sein, daß bei einer reichen Kasse ein armer Straßenfeger mehr Selbstbeteiligung zahlen muß als bei einer armen Kasse ein freiwillig weiterversicherter Generaldirektor. Das Beispiel ist ein bißchen absurd, aber es sollte immerhin deutlich machen, was ich meine. Nach unserer Ansicht ist also der Vorschlag der Regierung richtig, daß die Gebührenordnung ausgehandelt werden muß.



    Stingl
    Gestatten Sie mir eine persönliche Bemerkung zu einer Sache, in der ich häufig angegriffen worden bin. Ich habe in meinem Artikel von einem Ortszuschlag als einem Beispiel gesprochen. Ich wollte damit nicht sagen, daß er eingeführt werden soll, sondern ich habe nur darauf verwiesen, daß es derartige Systeme gibt. Ich meine also nicht, daß die Gebührenordnung jetzt mit Ortszuschlägen versehen werden sollte.
    Der Regierungsentwurf sieht auch eine Selbstbeteiligung bei den Arzneimitteln vor. Niemand wird bestreiten, daß der Verbrauch an Arzneimitteln, wie er uns vom Minister dargestellt wurde — 1957 747 Millionen, 1962 1250 Millionen DM — erschrekkend hoch ist. Die Steigerung der Ausgaben kann nicht daran liegen, daß die Medikamente um soviel teurer geworden sind, sondern sie liegt offensichtlich daran, daß der Verbrauch an Arzneimitteln zugenommen hat. Niemand wird auch bestreiten können, daß allein der höhere Verbrauch von Arzneimitteln kein Beweis dafür ist, daß die Bevölkerung gesünder wird,

    (Beifall in der Mitte)

    im Gegenteil. Darum sollten wir auch beim Verbrauch dieser Dinge eine größere Besinnung hervorrufen, und dazu soll dieser Beitrag dienen.
    Selbstverständlich — darüber kann gar kein Zweifel bestehen — muß man jedem, der eine lange Krankheit erlebt, die Chance geben, daß diese Beteiligung herabgesetzt wird. Das ist im Regierungsentwurf auch vorgesehen.
    Das dritte, was hier bekämpft wird, ist die Beteiligung an den Krankenhauskosten. Meine Damen und Herren, wenn es irgendwo überhaupt kein Argument gegen eine Beteiligung gibt, dann meiner Meinung nach hier. Denn diese Beteiligung trifft den Kranken nur so lange, wie er sein volles Arbeitsentgelt weiterbezieht. Es ist doch einfach unsinnig, zu sagen, daß die wirtschaftliche Situation dessen, der drei Mark für einen Krankenhaustag zahlt, gefährdet sei, obwohl er sein volles Einkommen weiterbezieht. Das ist einfach böswillig!

    (Abg. Killat: Und wenn er 150 Mark Rente erhält?!)

    — Herr Killat, auch der, der 150 Mark Rente bekommt, ist, wenn er im Krankenhaus liegt, von einer ganzen Reihe von Verpflichtungen entlastet. Im übrigen haben Sie mir ein gutes Stichwort gegeben. Wir glauben, daß wir in der Frage des Sonderbeitrages, des Arzneimittelbeitrages und der Krankenhauskostenbeteiligung der Rentner eingehende Überlegungen anstellen müssen, und sei es nur deshalb, weil es problematisch ist, ob man nur die Rente oder das ganze Einkommen berücksichtigen müßte. Ich erkläre also nachdrücklich, daß im Ausschuß die Frage, wie, wann und in welcher Höhe die Rentner den Sonderbeitrag bezahlen sollen, wie sie zur Beteiligung bei den Arzneimittel- und den Krankenhauskosten herangezogen werden, eingehend beraten werden muß. Jedenfalls aber kann der Versicherte, solange er sein volles Arbeitsentgelt weiter erhält, die Beteiligung an den Krankenhauskosten ohne jede Gefährdung tragen.
    Zur Auflockerung der Anonymität gehört auch die Regelung des vertrauensärztlichen Dienstes. Nicht wegen eines größeren Mißtrauens wollen wir den unmittelbaren Kontakt des behandelnden Arztes zum Vertrauensarzt, sondern weil es medizinisch erforderlich ist. Wie ist es heute: Der arbeitsunfähige Kranke wird nach rein kassenmäßigen Überlegungen zum Vertrauensarzt befohlen; wenn die Krankheit acht Tage dauert und es steht auf dem Schein, er hat ein Bein ab, dann wird trotzdem die vertrauensärztliche Untersuchung angeordnet. Wir wollen, daß der behandelnde Arzt dem Vertrauensarzt eine Art Kurzgutachten überläßt und daß aus diesem Kurzgutachten der Vertrauensarzt entnimmt, wann er in eine zusätzliche medizinische Beurteilung des Falles eintreten müßte. Wir glauben, daß das der Weiterentwicklung eines vernünftigen ärztlichen Dienstes an den Versicherten und nicht einer Verschärfung der Kontrollen dient. Im Gegenteil, dadurch wird eine ganze Reihe unnützer Aufforderungen, zum Vertrauensarzt zu gehen, wegfallen. Es wird gar nicht nötig sein, die Zahl der Vertrauensärzte zu erhöhen. Wer weiß, wieviel Vorladungen hinausgehen und wie wenig Untersuchungen durchgeführt werden müssen, weil bei einem großen Teil der Fälle gar kein Anlaß zur Untersuchung mehr besteht, der weiß auch, daß ich damit recht habe.
    Wir möchten deutlich sagen, daß wir die Gliederung der Kassen, so wile sie entstanden und gewachsen ist, bejahen. Meine Damen und Herren, das ist kein Lippenbekenntnis, sondern das gründet auf den Erfahrungen der Vergangenheit, das gründet z. B. auf dem, was ich zu den Land- und innungskrankenkassen sagte.
    Wir meinen, daß der Einwand, die Verwaltung des Sonderbeitrages und alles andere, was in dem Entwurf stehe, erhöhe die Verwaltungskosten, sicherlich 'gehört werden muß. Sicherlich muß man sich Gedanken darüber machen, wie der Sonderbeitrag verwaltet wird. Aber daß nun mehr Verwaltungskosten entstünden, als der Sonderbeitrag überhaupt ausmache, das ist einfach, meine Damen und Herren, verzeihen Sie, dummes Gerede.
    Die Neuordnung des Kindergeldgesetzes, die Neuordnung der Lohnfortzahlung, die Neuordnung der Krankenversicherung sind Fortschritte, sind Schritte auf dem Wege in dem Ausbau unseres Staates zum sozialen Rechtsstaat, wie wir ihn uns vorstellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wer immer wieder sagt, dies geschehe auf dem Rücken eines bestimmten Bevölkerungsteiles, nämlich auf dem Arbeitnehmer, der möge sich als einziges Argument einmal vorhalten, daß diese Gesetzentwürfe bei der günstigsten Rechnung 1,4 Milliarden DM Mehrbelastung für die Wirtschaft und 1,6 Milliarden DM Mehrbelastung für den Bundeshaushalt bedeuten. 3 Milliarden DM mehr werden also durch dieses Sozialpaket den Arbeitnehmern neu zur Verfügung gestellt. Sie dienen dazu, den sozialen Frieden in unserem Volk weiter zu festi-



    Stingl
    gen. Wer kann da leugnen, daß diese Gesetze ein Fortschritt sind!
    Sie sollen allerdings auch jedem einzelnen die größere Erkenntnis bringen, daß er 'an der Last der Solidarität mitträgt, daß er nicht einfach am Lohnzahlungstag etwas abgezogen bekommt und das gar nicht mehr als sein Geld empfindet. Sonderbeitrag, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Kindergeldneuregelung sollen ihm vielmehr vor Augen führen, daß die Gemeinschaft an seinen Lasten mitträgt, daß aber auch er 'seinen Anteil an diesen Lasten hat. Wir wollen nicht weiter ins Kollektiv hineingehen, sondern wir wollen den einzelnen aus der kollektiven Umklammerung befreien. Wir wollen ihn nicht in eine Organisation einspannen, sondern ihn, soweit möglich, frei machen. Jeder soll vor der Not bewahrt sein, jeder soll aber auch Verantwortung spüren, Verantwortung für sich, Verantwortung aber auch für das Ganze. Wir bitten Sie, diesen Gesetzen zuzustimmen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Thomas Dehler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Meine Damen und Herren, vor der Mittagspause wird noch der erste Redner der Opposition, Herr Professor Schellenberg, zu Wort kommen. Er sagt mir, daß er ungefähr eine Stunde benötigen werde. Dann wird eine Mittagspause von 1 1/2 Stunden eingelegt. Danach wird der erste Redner der Freien Demokratischen Partei zu Wort kommen.
Das Wort hat Herr Professor Schellenberg.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Ernst Schellenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers haben bei mir die Erinnerung ,an seine Ausführungen vor drei Jahren wachgerufen, mit denen er damals den dann so kläglich gescheiterten Gesetzentwurf der Regierung begründete.

    (Abg. Ruf: Daran haben Sie .gut mitgewirkt!)

    Dies auch deshalb, weil der Herr Bundesarbeitsminister heute verschiedentlich Zitate gebrauchte, die er uns auch damals darbot. Aber vor drei Jahren hatte wenigstens der Hauptsprecher der CDU/CSU-Fraktion, Herr Kollege Stingl, große Zweifel an der Konzeption der Regierung. Sie haben in Ihrer damaligen Rede, Herr Kollege Stingl — ich habe es nachzählen lassen —, 64mal die Formulierung gebraucht: „Wir werden im Ausschuß prüfen, ob noch sinnvollere Regelungen getroffen werden können." Davon war diesmal weniger die Rede. Sie haben heute vor allem dem Herrn Bundesarbeitsminister Ihren Dank für die vorzüglichen Vorbereitungen des Paketes zum Ausdruck gebracht.
    Im übrigen, Herr Kollege Stingl, habe ich in Ihren Ausführungen etwas vermißt, was ich gelesen habe. Sie haben nämlich, bevor der Gesetzentwurf uns überhaupt zugeleitet wurde, in einem Artikel geschrieben — ich zitiere wörtlich —:
    Die CDU ist fest gewillt, abgesehen von möglichen Änderungen in technischen Einzelheiten, das ganze Paket schnell zu verabschieden.
    Wir sind zu jeder Mitarbeit bereit. Aber wir müssen die Sache erst einmal sehr gründlich prüfen, meine Damen und Herren.

    (Abg. Frau Kalinke: Das wollen wir doch gemeinsam!)

    Und dazu will ich jetzt einen ersten Beitrag leisten.
    Der Optimismus des Sprechers der größten Regierungspartei ist wohl auch darin begründet, daß uns heute nicht allein das KrankenversicherungsNeuregelungsgesetz, sondern ein sogenanntes Paket von drei Gesetzentwürfen vorgelegt wird. Dieses Paket soll eine unzertrennbare Einheit bilden, wie der Herr Bundeskanzler in seiner sogenannten Regierungserklärung vom 15. Dezember 1962 sagte. Er erklärte wörtlich: Es wird zum gleichen Zeitpunkt in Kraft treten. Diese Erklärung des Herrn Bundeskanzlers entspricht jedenfalls nicht dem Wortlaut der Entwürfe, die uns hier heute vorliegen. Das Bundeskindergeldgesetz, eine der Vorlagen, soll am 1. Juli 1963 in Kraft treten, die anderen Gesetze jedoch — ich zitiere — „am ersten Tage des auf die Verkündung folgenden zweiten Kalendervierteljahres". Dieser Zeitpunkt liegt mit Sicherheit später als der 1. Juli 1963. sonst müßten die Gesetze noch im Laufe des Monats März verkündet sein. Wer von einem Gesamtpaket mit einem gemeinsamen Zeitpunkt des Inkrafttretens spricht, stellt somit nur seine mangelnde Sachkenntnis heraus.
    Die Konstruktion des sogenannten Paketes wurde erdacht — das ist jedenfalls unsere Auffassung —, weil man hofft, durch die Koppelung der Entwürfe für das Lohnfortzahlungsgesetz und das Bundeskindergeldgesetz mit dem Entwurf des Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetzes — jenem Entwurf, von dem der Bundeskanzler einmal sagte, er sei ein unangenehmer Gesetzentwurf — diesen unangenehmen Gesetzentwurf etwas besser verkraften zu können.
    Auch die Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers über den notwendigen Zusammenhang des Lohnfortzahlungsgesetzes mit den anderen Gesetzen des Paketes waren neu. Dann hätte der Bundesarbeitsminister uns schon vor drei Jahren den Entwurf eines Lohnfortzahlungsgesetzes vorlegen müssen. Zumindest hätte die Lohnfortzahlung doch in der Regierungserklärung vom November 1961 erwähnt werden müssen. Die Gedanken über den Zusammenhang des Pakets sind also erst neueren Datums.
    Lassen Sie mich zuerst einige Bemerkungen zu dem Entwurf des Bundeskindergeldgesetzes machen, das nach einem Artikel des Ministerialreferenten — ich zitiere wörtlich — „wohl mehr aus politischen Gründen in das Paket geraten ist".

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Ich bedauere, wenn ich ihm mit dem Zitat dienstliche Schwierigkeiten machen sollte. Aber da diese Ausführungen veröffentlicht sind, kann ich hier davon Gebrauch machen.

    (Abg. Ruf: Natürlich politische Gründe! Dazu stehen wir! Damit hat er ja recht!)




    Dr. Schellenberg
    Er sagt: ... mehr aus politischen Gründen in das Paket geraten ist".

    (Abg. Ruf: Aus politischen Gründen, wegen des wirtschaftlichen und finanziellen Zusammenhangs!)

    — Ja, aus politisch-taktischen Gründen.

    (Abg. Ruf: Nein, das eben nicht!)

    Aber nun zum Bundeskindergeldgesetz. Erstens: vor fast vier Jahren, nämlich am 18. Februar 1959, haben die Sozialdemokraten die Vorlage eines Gesetzes zur Neuordnung des Kindergeldrechts beantragt. Deshalb begrüßen wir es selbstverständlich, daß endlich dieser Gesetzentwurf vorgelegt wird, insbesondere weil damit ein Schlußstrich unter das nicht gerade sehr erfreuliche Kapitel einer berufsständischen Kindergeldideologie — oder einer, wie Herr Kollege Winkelheide seinerzeit sagte, „klassischen Lösung" — gezogen wird.
    Den Familien, den lohnintensiven Betrieben des Mittelstandes und sicher auch der heute so sehr gelobten Verwaltung wäre viel Ärger erspart worden, wenn man zu einem früheren Zeitpunkt etwas weniger starrsinnig gewesen wäre.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Manche sehen das heute noch nichtganz ein; denn ich habe im Bulletin Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers gelesen: Wir geben das System der Familienausgleichskassen nur ungern auf — wahrscheinlich unter dem politischen Druck derjenigen, die jetzt zusammen eine, wenn auch bescheidene Mehrheit haben.
    Im übrigen ist der Ärger mit dem berufsständischen Kindergeldsystem offenbar noch nicht ganz zu Ende; denn nach dem vorgelegten Gesetzentwurf soll die Auflösung der Familienausgleichskassen einem besonderen Gesetz vorbehalten bleiben.
    Zweitens komme ich zum sozialpolitischen Inhalt des 1Gesetzentwurfs. Im Entwurf wird für Zweitkinder an der Einkommensgrenze und damit an der Einkommensprüfung festgehalten. Das ist familienpolitisch eine bittere Enttäuschung. Wir wissen, daß wegen der vor rund anderthalb Jahren mit Mehrheitsbeschluß festgelegten Einkommensgrenze entgegen der ursprünglichen Absicht an rund 600 000 Familien mit Zweitkindern kein Kindergeld gezahlt wurde. Dieser Schrumpfungsprozeß wird sich bei jedem Festhalten an einer Einkommensgrenze fortsetzen, selbst dann, wenn jetzt für Familien mit drei und mehr Kindern jene Grenze von 600 auf 700 DM monatlich erhöht wird.
    Eine dritte Bemerkung zum Bundeskindergeldgesetz. Es soll für die Familien mit drei und mehr Kindern der seit vier Jahren bestehende Betrag von 40 DM monatlich auf 50 DM monatlich erhöht werden. Dennoch werden, wenn man alles ingesamt rechnet, die Ausgaben nach dem neuen Bundeskindergeldgesetz nicht höher sein als das, was im Juni/ Juli 1961 hier vom Hause beschlossen worden ist. Man kann das genau nachrechnen. Ich möchte es wegen der vorgeschrittenen Zeit nicht tun. — Herr Kollege Ruf, Sie werden nachher sprechen. Nehmen Sie sich bitte Ihren Ausschußbericht von damals vor, ziehen Sie die damaligen Zahlen zusammen und vergleichen Sie sie mit den jetzigen. Ich sage das, um Ihnen die Stellungnahme, die Sie nachher abgeben werden, zu erleichtern.

    (Abg. Ruf: Ich habe ein gutes Gedächtnis!)

    Man kann jetzt schon mit Sicherheit sagen: durch das Prinzip, die 'Einkommens- und Bedürftigkeitsgrenzen beizubehalten, wird der Gesamtaufwand für das Kindergeld .in der Tendenz rückläufig sein müssen, insbesondere wenn die nächste Einkommensprüfung Mitte des Jahres wieder fällig ist.
    Eine vierte Bemerkung zum Kindergeldgesetz. Der Entwurf bringt eine wesentliche Umschichtung in der Aufbringung der Mittel für das Kindergeld von der Wirtschaft auf den Staat. Die jetzige Mehrheit hat dies immer gefordert. Sicher wäre es zweckmäßiger gewesen, das in einem Zeitpunkt zu vollziehen, in dem wir noch vom Juliusturm sprechen konnten, statt dies jetzt in der Ära einer etwas schwierigeren Haushaltslage vollziehen zu müssen. Bei ,diesem Umschichtungsprozeß kommt aber, aufs Ganze gesehen, für die Familien nichts heraus, noch nicht 'einmal eine bescheidene Anpassung der Kindergeldgesamtausgaben an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten. Deshalb werden wir unser Möglichstes tun, um die Einkommensgrenze zu Fall zu bringen. Wir rechnen dabei natürlich auf die wertvolle Unterstützung des Kollegen Dr. Wuermeling, und wir hoffen, daß er uns als Abgeordneter wirksamer unterstützen kann denn als damaliger Familienminister.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

    Nun zu dem zweiten großen Gesetzesbereich, dem Lohnfortzahlungsgesetz. Erstens: wir haben in diesem Hause seit 1955 eine gesetzliche Regelung der Lohnfortzahlung gefordert und begrüßen es deshalb sehr, daß nunmehr ein Regierungsentwurf vorgelegt wird. Es ist sicherlich nicht überheblich. wenn wir feststellen, daß das auch ein Erfolg unserer ständigen Bemühungen um die Gleichstellung der Arbeiter im Krankheitsfalle ist, zumal die Bundesregierung bei der ersten Regierungserklärung dieser Legislaturperiode noch nicht an die Lohnfortzahlung dachte.
    Zweitens. So nachdrücklich wir die echte Lohnfortzahlung bejahen, so sehr treten wir für einen — wenn man den technischen Ausdruck gebrauchen will — versicherungsrechtlichen Kostenausgleich der Arbeitgeberaufwendungen ein. Meine Fraktion wird sich bei 'den Ausschußberatungen gerade im Interesse der lohnintensiven Betriebe dafür einsetzen, daß dieser Kostenausgleich gegenüber dem Entwurf noch wesentlich verbessert wird.

    (Beifall bei der SPD.)

    Beispielsweise hinsichtlich der Höhe der Ausgleichsquote — um nur einiges zu nennen —, der Einbeziehung auch der Arbeitnehmer mit einen Einkommen von 750 DM, der Gewährung laufender Abschlagszahlungen usw. Da läßt sich noch manches im Interesse der Betriebe tun, und wir werden es dabei an Aktivität nicht fehlen lassen.



    Dr. Schellenberg
    Gerade weil ich das hier erkläre, muß ich sagen, daß wir mit Bedauern von mehr oder weniger unverhüllten Drohungen Kenntnis nehmen mußten. Ich zitiere:
    Schon zur Begrenzung ihres finanziellen Risikos werden die Betriebe gezwungen sein, künftig bei Einstellung bzw. Entlassung von Arbeitern auf das Krankheitsregister des einzelnen Arbeiters Rücksicht zu nehmen.

    (Hört! Hört! bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Woraus haben Sie das zitiert?)

    — Ich kann es Ihnen sagen: Es steht leider im „Deutschen Handwerksblatt".
    Da wir den Kostenausgleich wirksam verbessern wollen, erwarten wir, daß alle, die guten Willens sind, sich von einer solchen Haltung distanzieren. Wir werden uns mit größtem Nachdruck für einen wirksamen Kostenausgleich einsetzen, um dieses neue Risiko für die lohnintensiven Betriebe kalkulierbar zu machen, und erwarten, daß dann jenen angedrohten Methoden die Grundlage entzogen wird.
    Drittens — und jetzt komme ich zu einem Punkt, in dem es doch sehr erhebliche Meinungsverschiedenheiten gibt —: Im Zusammenhang mit der Lohnfortzahlung der Arbeiter und der Angestellten soll nämlich innerhalb von drei Tagen — auf Verlangen des Arbeitgebers auch früher, also unter Umständen am ersten Tag — diesem eine ärztliche Bescheinigung vorgelegt werden — Nachweispflicht —.
    Dabei ist die ärztliche Schweigepflicht nicht immer gewährleistet. Ich zitiere aus der Begründung der Regierungsvorlage:
    ... ohne Angabe über die Art der Krankheit läßt sich oft kein Urteil ... darüber fällen, ob der Arbeitnehmer sie
    — die Krankheit — sich unverschuldet zugezogen hat.
    Eine solche Regelung, nach der also die Art der Krankheit durch ärztliche Bescheinigung nachgewiesen werden muß, ist nach unserer Auffassung ein erheblicher Eingriff in den Persönlichkeitsbereich aller Arbeiter und Angestellten und beeinträchtigt die ärztliche Schweigepflicht. Wir lehnen — das möchte ich von vornherein sagen — .derartige Regelungen kategorisch ab.

    (Beifall bei der SPD.)

    Deshalb muß im Gesetz festgelegt werden, daß keine dem Arbeitgeber vorzulegende ärztliche Bescheinigung ohne ausdrückliche Zustimmung des Beschäftigten Angaben über die Art der Krankheit enthalten darf.

    (Abg. Dr. Jungmann: Das ist doch selbstverständlich!)

    — Nein, leider nicht, Herr Kollege Dr. Jungmann. Der Bundesrat hatte es beantragt; aber die Bundesregierung hat dem leider nicht zugestimmt. Das ist die Sachlage. Ich bitte Sie, dies aus der Stellungnahme der Bundesregierung zu den Änderungsvorschlägen des Bundesrates zu entnehmen.
    Weiter halten wir es auch für bedenklich, daß I jene ärztliche Bescheinigung, die am ersten, zweiten oder spätestens dritten Tage vorzulegen ist, dem Arbeitgeber sofort Auskunft über die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit geben soll. Es muß befürchtet werden, daß eine solche Vorschrift Betriebe veranlassen könnte, ernsthaft erkrankte Arbeitnehmer zum nächstmöglichen Termin zu kündigen. Deshalb muß diese Sache sehr sorgfältig überlegt werden.
    Eine vierte Bemerkung zu dem Bereich „Lohnfortzahlung"! Der vertrauensärztliche Dienst soll neu geregelt werden. Herr Kollege Stingl hat sich diesem Thema heute hier gewidmet. Aber Herr Kollege Stingl, Sie werden es mir nicht übel nehmen, wenn ich auch etwas zitiere, was Sie offenbar einmal sehr schnell hingeschrieben haben:
    Auch die bisherige Einschaltung des vertrauensärztlichen Dienstes als eines „Polizeiorgans" der Kassen wird geändert werden.
    Ja, was wird geändert, und wie? Das ist der entscheidende Punkt.
    Die ärztliche Bescheinigung, die der Arbeiter und Angestellte spätestens innerhalb von drei Tagen vorlegen muß, soll nämlich einen Vermerk des behandelnden Artztes enthalten, daß der sogenannte Befundbericht dem vertrauensärztlichen Dienst übersandt wird. In diesem Befundbericht werden Vermutungsdiagnosen allgemeinster Art stehen, weil nämlich der Arzt, wenn er schon am ersten Tag die Diagnose schriftlich gegenüber dem vertrauensärztlichen Dienst stellen soll, überfordert ist. Sie werden Befunde finden, die lauten — das haben mir Ärzte gesagt —: „Unklarer Bauch", weil am ersten Tag die Diagnose noch völlig unklar ist. Die ärztliche Bescheinigung muß also einen Vermerk enthalten, daß der Befundbericht dem vertrauensärztlichen Dienst übersandt wird. Auf Grund des Befundberichts soll der vertrauensärztliche Dienst die Arbeitsunfähigkeit begutachten und dem Arbeitgeber das Ergebnis der Begutachtung und — jetzt kommt es wieder — die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit mitteilen.
    Meine Damen und Herren, ein solches System halten Sie also für sinnvoll. Herr Kollege Stingl, Sie sagen, das bisherige System der Einschaltung des vertrauensärztlichen Dienstes als eines „Polizeiorgans" der Kassen wird geändert werden. Wenn ich Ihre Terminologie gebrauche, muß ich sagen, daß der vertrauensärztliche Dienst von einem „Polizeiorgan" der Kassen zu einem solchen der Arbeitgeber wird.

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der Mitte: Was wollen Sie?)

    — Was wir im einzelnen wollen, kann ich nur im Rahmen der mir 'zur Verfügung stehenden Zeit darstellen. Wir haben natürlich konkrete Vorstellungen über das, was uns notwendig erscheint.
    Das System des Entwurfs berührt indirekt die Unabhängigkeit des vertrauensärztlichen Dienstes. Bisher fungierte der vertrauensärztliche Dienst als ein Treuhänder öffentlich-rechtlicher Einrichtungen. Nach dem Gesetzentwurf wird dieser vertrauens-



    Dr. Schellenberg
    ärztliche Dienst aber zum Objekt widerstrebender einzelwirtschaftlicher Interessen, nämlich der erkrankten Arbeiter und Angestellten, ihrer Arbeitgeber und auch der behandelnden Ärzte.
    Stellen Sie sich, meine Damen und Herren, bitte einmal vor, wie da die Praxis sein wird. Der Betrieb, der die Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit mit dem Vermerk Befundbericht wird dem vertrauensärztlichen Dienst übersandt erhält, wird häufig darauf drängen, daß der vertrauensärztliche Dienst seine Arbeiter und Angestellten möglichst bald zur Nachuntersuchung bestellt. Insbesondere werden die Betriebe mit einer großen Zahl von Beschäftigten als Großkunden ,des vertrauensärztlichen Dienstes auftreten und darauf pochen, daß ihre Beschäftigten möglichst schnell nachuntersucht werden und die Wiederholungsuntersuchung möglichst kurzfristig angesetzt wird.
    Meine 'Damen und Herren, ich 'spreche 'hier nicht aus Theorie; ersparen Sie es mir, weiter ins Detail zu gehen.
    Die Bestimmung, daß der Arbeitgeber, wie es so schön heißt, eine Gebühr für die Begutachtung an den vertrauensärztlichen Dienst zu entrichten hat, macht die Sache nicht besser, 'sondern noch schlechter. Der vertrauensärztliche Dienst kommt sowohl gegenüber dem Arbeitgeber als auch gegenüber dem Beschäftigten in eine unmögliche Situation. Heute schon empfindet der Arbeiter, insbesondere derjenige, der selten krank ist, die Vorladung zum vertrauensärztlichen Dienst als einen Akt des Mißtrauens der Krankenkasse. Morgen — nach der neuen Regelung — wird der Arbeiter oder Angestellte, wenn er etwa im Vergleich zu einem Kollegen kurzfristiger vorgeladen wird, darin eine von seinem Arbeitgeber veranlaßte Schikane erblicken,

    (Rufe von der Mitte: Oh!)

    insbesondere, wenn er vielleicht betriebliche Auseinandersetzungen hinsichtlich ,der Nachuntersuchung mit seinem Chef gehabt hat, wenn sich der Arbeitgeber in dieser Sache überhaupt nicht gerührt hat.

    (Zuruf von der Mitte: Phantasien!) Das sind Fakten!


    (Zuruf des Abg. Ruf.)

    Das vorgesehene System — )das möchte ich Ihnen aus betrieblicher Erfahrung sagen — bringt eine Unruhe in die Betriebe hinein, an der niemand interessiert sein kann. Deshalb müssen die Dinge gründlichst überlegt werden.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir Sozialdemokraten warnen eindringlich davor, mit solchen soziologisch und psychologisch falschen Maßnahmen die Lohnfortzahlung — die große Tat — von vornherein zu belasten; das wird das Gegenteil von dem bewirken, was erreicht werden soll. Das Klima in den Betrieben wird nicht verbessert, sondern verschlechtert. Das wäre eine ungute Sache für die Wirtschaft und für die Menschen, die in ihr zusammenarbeiten.

    (Abg. Ruf: Wollen Sie keine Kontrolle?) — Jawohl, ich will Ihnen einiges dazu sagen, Herr

    Kollege. Wir werden es im Ausschuß im einzelnen
    besprechen müssen, weil das zu sehr ins Detail führt.
    Sie sagen — das ist Ihre Argumentation — die Neuregelung ergibt sich aus der Lohnfortzahlung. Meine Damen und Herren, die Angestellten haben seit lange eine Gehaltsfortzahlung, und für sie waren bisher solche Methoden nicht gesetzlich festgelegt. Jetzt werden in diese Regeln mit allem, was damit zusammenhängt, die Nachweispflicht, der Befundbericht, die Reglementierung des vertrauensärztlichen Dienstes usw., auch die Angestellten einbezogen, für die sich hinsichtlich der Gehaltsfortzahlung überhaupt nichts ändert.

    (Abg. Ruf: Das ist die Gleichbehandlung!)

    — Jawohl, aber das ist die Nivellierung nach unten, die wir nicht wünschen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wenn Sie diese Methode jetzt einführen, dann bedeutet das — darüber müssen Sie sich klar sein — eine erhebliche Verschlechterung des sozialen und des humanitären Status des Angestellten.
    Unseres Erachtens besteht aber auch kein Anlaß, dieses Verfahren für die Arbeiter einzuführen. Die Arbeiter erhalten bei Arbeitsunfähigkeit, wie wir alle wissen, bereits gegenwärtig für die ersten sechs Wochen 100 % des Nettolohnes, teils von der Krankenkasse, teils von dem Arbeitgeber. Wenn künftig die Auszahlung des Lohnes im Krankheitsfalle allein durch den Arbeitgeber erfolgen soll, so erfordert dies nicht unbedingt eine grundlegende Änderung in der Überprüfung der Arbeitsfähigkeit, weil nämlich die Krankenkassen nach dem Entwurf den Kostenausgleich für die Lohnfortzahlung durchführen sollen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist schlecht!)

    — Die Kassen führen den Kostenausgleich durch und erheben dafür eine Umlage. Sie haben deshalb genauso wie bisher beim Krankengeld ein Interesse, die Aufwendungen für den Ausgleich in angemessenem Rahmen zu halten.
    Wir sind jedenfalls der Auffassung, daß die Vorstellungen des Entwurfes im Interesse aller arbeitenden Menschen und im Interesse der Wirtschaft noch sehr gründlich durchdacht werden müssen. Sie sind völlig unausgegoren.

    (Beifall bei der SPD.)

    Nun komme ich zu dem dritten großen Bereich, nämlich dem Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetz. Wenn ich recht sehe, ist dieser Gesetzentwurf in der letzten Legislaturperiode vor allen Dingen an drei Punkten gescheitert, erstens an der Kostenbeteiligung, zweitens an bestimmten gesundheitspolitischen und ärztlichen Problemen und drittens an den Fragen der Versicherungspflicht, der Organisation, der Finanzierung usw. Es war doch die selbstverständliche Verpflichtung der Bundesregierung, im Zuge der Überarbeitung jenes so kläglich gescheiterten Gesetzentwurfs die notwendigen Folgerungen aus den Beratungen gerade hinsichtlich



    Dr. Schellenberg
    dieser Punkte zu ziehen, die die großen Schwierigkeiten gemacht haben.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Es ist das Gegebene, daß ich mit der Kostenbeteiligung beginne, die auch eines der umstrittensten Probleme war.
    Erstens. Damals bei der Begründung der Vorlage hat der Herr Bundesarbeitsminister erklärt — und er hat es heute mit ähnlichen Worten wiederholt —, es gebe keine soziale Einrichtung in der Bundesrepublik, die sich den Schutz der Familien mehr angelegen sein lasse als die gesetzliche Krankenversicherung.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt auch!)

    — Stimmte; Sie wollen da wesentliche Änderungen und Verschlechterungen vornehmen. —

    (Zuruf des Abg. Dr. Jungmann.)

    Ich rechne Sie zur Regierungspartei, Herr Kollege Dr. Jungmann, und begrüße es sehr, wenn Sie als Arzt einen anderen Standpunkt einnehmen.

    (Beifall bei der SPD.)

    In dem jetzt gescheiterten Gesetzentwurf, mit dem wir zwangsläufig den jetzt vorgelegten Entwurf vergleichen müssen, weil die Arbeit doch irgendwie kontinuierlich sein muß, waren wenigstens Kinder von der Kostenbeteiligung für ärztliche und zahnärztliche Behandlung befreit. Nach dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf soll die Kostenbeteiligung von 25 % für ärztliche und zahnärztliche Behandlung ausnahmslos auch für Ehegatten und für alle Kinder gelten.

    (Zuruf von der SPD: „Familienpolitik"!)

    Der Herr Bundesarbeitsminister hat auch heute hier wieder großartige Worte über Familienpolitik und Verantwortungsbewußtsein gesprochen. Dem können wir zustimmen. Aber die Tatsachen des Gesetzentwurfs reden leider eine andere Sprache. Niemand kann bestreiten, daß die Kostenbeteiligung, so wie sie vorgesehen ist, um so höher sein muß, je größer die Familie ist.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Sie wollen die Struktur der deutschen Krankenversicherung verändern zum Nachteil der Familie; und dagegen wehren wir uns.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, wie waren die Dinge, als der Herr Bundesarbeitsminister in seine Pressekonferenz ging, in der er die Offentlichkeit mit diesem Gesetzentwurf bekanntmachte? Er wurde angesprochen von Leuten, denen es um das Anliegen der Familien geht, und Herr Bundesarbeitsminister erklärte wörtlich: „Man muß sich hüten, fortgesetzt an gut eingespielten Rechtssystemen herumzufummeln, um überall ein Familienhäkchen anzubringen". In Abwandlung der Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsminister sage ich: Man muß sich hüten, fortgesetzt an gut eingespielten Rechtssystemen herumzufummeln, um seine unausgewogenen Kostenbeteiligungsideen anzubringen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Dann würden sich vielleicht die sogenannten Familienhäkchen erübrigen.
    Meine Damen und Herren, auf die Darstellung des Herrn Bundesarbeitsministers, ,daß der Junggeselle schon sparen sollte im Hinblick auf die Familie und die Kostenbeteiligung,

    (Lachen bei der SPD)

    will ich nicht näher eingehen.

    (Abg. Frau Kalinke: Das ist doch unter Ihrem Niveau!)

    — Ja, meine Damen und Herren, der Herr Bundesarbeitsminister hat von der Kostenbeteiligung gesprochen und in .diesem Zusammenhang von dem Sparen des Junggesellen.

    (Zuruf.)

    — Ja, dann brauchte er nicht im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf davon zu sprechen. — Vielleicht war es ein Sprechfehler.
    Wir stellen fest, daß dieser Gesetzentwurf die Situation der Familie gegenüber dem früheren Entwurf bedauerlicherweise noch verschlechtert.
    Nun eine zweite Feststellung.

    (Abg. Ruf: Und die Familienhilfe, die verbessert wird?)

    — Am Kindergeld wird im Gesamten nichts verbessert. Leider nicht!

    (Abg. Frau Kalinke: Wir sprechen von der Krankenversicherung!)

    — Ja, natürlich spreche ich von der Krankenversicherung, und da wird für die Familie wenig verbessert.
    Zweitens. Bei der Lesung vor drei Jahren in diesem Hause sagte der Bundesarbeitsminister wörtLich: „Die Kostenbeteiligung wird in Wahrheit den Schwerkranken und den, der lange krank ist, unverhältnismäßig weniger treffen als den, der den Arzt nur einmal in Anspruch nimmt." Wir hatten schon damals starke Zweifel, ob jener alte Gesetzentwurf diesem Ziele dienen würde. Aber heute müssen wir feststellen, daß noch nicht einmal theoretisch an dem, was in der seinerzeitigen Begründung stand, festgehalten wird, nämlich an einer Verlagerung des Schwerpunktes der Leistungen von der kurzen auf die langfristige Krankheit. Sie können sich nicht damit exkulpieren, daß Sie erklären: Früher wurden einmal Leistungsverbesserungen geschaffen. Sie können in das !Sozialpaket doch nicht Dinge hineinpacken, die seit langem Gesetz sind. Der Herr Bundesarbeitsminister hat gesagt, was er noch gern an Neuem hineinpacken würde. Es ist jedoch kein zulässiges Verfahren, Dinge, die schon vor Jahren beschlossen worden sind, noch nachträglich In das Paket hineinzumanövrieren. Das nehmen wir Ihnen nicht ab.
    Es sollen grundsätzlich alle Versicherten — Rentner, Familienangehörige — die Kostenbeteiligung in Höhe von 25 % ihres Arzthonorars zahlen. Ich möchte Ihnen das an Hand von zwei Beispielen verdeutlichen. Ein lediger Versicherter mit einem



    Dr. Schellenberg
    Monatseinkommen von 500 DM sucht wegen einer Unpäßlichkeit den Arzt auf. Der Arzt schreibt diesen Mann krank. Diesem Versicherten wird nach der Gebührenordnung eine Kostenbeteiligung von 1,75 DM in Rechnung gestellt. Jetzt kommt ein anderer, ein Schwerkranker. Dieser; Schwerkranke wird allein für die Diagnose — wenn Röntgenaufnahmen erforderlich sind — mit einer Kostenbeteiligung belastet, ;die mindestens zehmmal so hoch ist wie die Kostenbeteiligung jenes, der wegen der Unpäßlichkeit zum Arzt rennt. Nach dieser Diagnose der schweren Krankheit beginnt erst mit der laufenden ärztlichen Behandlung die laufende Kostenbeteiligung bis zur Höchstgrenze, auf die ich noch zu sprechen komme.
    Eine dritte Bemerkung. Nach dem früheren Gesetzentwurf sollte die Zuzahlung für ärztliche Behandlung nach dem Ablauf 'der sechsten Woche entfallen. Jetzt ist dagegen eine Kostenbeteiligung prinzipiell ohne zeitliche Begrenzung zu entrichten. In der letzten Legislaturperiode wurde als Höchstgrenze für die Kostenbeteiligung — auch in einem Brief des Herrn Bundesarbeitsministers an die Ärzte
    — von einem Betrag von 15 DM pro Quartal gesprochen. Es gab dann viel Hin und Her. Wir sind Zeugen der Auseinandersetzungen auch in der CDU- Fraktion gewesen. Es hat jemand einmal nachgerechnet, daß Sie seiner Zeit sechsmal verschiedene einstimmige Fraktionsbeschlüsse zur Frage der Kostenbeteiligung gefaßt haben. Schließlich war der letzte Stand der Beschlüsse des Ausschusses mit der CDU-Mehrheit — die CDU hatte damals die absolute Mehrheit —, daß Sie selbst Schritt für Schritt das System der Kostenbeteiligung abbauen wollten. Sie haben dann mit Ihrer Mehrheit eine Krankenscheingebühr — also eine einmalige Kostenbeteiligung für die ärztliche Behandlung — von 2 DM pro Quartal beschlossen. Mit Ausnahme der freiwillig Versicherten mit einem Einkommen über 15 000 DM, für die Sie eine Sonderregelung wollten. Das war der letzte Stand ¡der Dinge; von dem hätte eigentlich die Regierung bei den neuen Vorlagen ausgehen sollen.
    Nach dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf beträgt grundsätzlich für alle Versicherten die Höchstgrenze der Kostenbeteiligung für das Kalenderjahr bei dem Sonderbeitrag von 2 % monatlich — denn die Verrechnung erfolgt jährlich — 24 % des monatlichen Einkommens. Die Kostenbeteiligung findet durch die Höchstgrenze — wenn man es ganz genau sagt — in der Regel erst ihr Ende, wenn das Arzthonorar für die Familie insgesamt die Höhe des Monatseinkommens des Versichertenoder Rentners erreicht. So kann man es allgemein ausdrücken.

    (Abg. Ruf: Das ist eine Verdrehung!)

    — Nein, meine Damen und Herren.

    (Lebafte Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Herr Kollege Ruf, wir werden uns darüber noch eingehend unterhalten, so leicht kommen Sie nicht davon. Die Höhe der Kostenbeteiligung wird noch lange diskutiert werden.

    (Abg. Frau Kalinke: Ihr Einmaleins müssen Sie uns erklären!)

    — Aber sehr verehrte Frau Kollegin, die Kostenbeteiligung beträgt 25 % des Arzthonorars. Sie wird für ein Kalenderjahr verrechnet. 2 % monatlich sind
    24 % für jedes Kalenderjahr. Der Versicherte zahlt die Kostenbeteiligung von 25% solange, bis das Arzthonorar etwa seinem Monatseinkommen entspricht.

    (Abg. Ruf: Aha, also!)

    Dann erst ist die Höchstgrenze erreicht — man muß diese Dinge in Ruhe überlegen, im Plenum sind diese technischen Fragen nicht ganz einfach —; die Höchstgrenze für den einzelnen ist praktisch erreicht, wenn die Rechnung des Arztes und des Zahnarztes für die gesamte Familie ungefähr seinem monatlichen Einkommen entspricht. Davon zahlt der Versicherte
    25 %.

    (Abg. Ruf: Immer nur in der Höhe des Sonderbeitrages, höchstens 180,— DM im Jahr)

    — Rechnen Sie es durch! Das ist das Prinzip. Die Höchstgrenze beträgt — und das ist sozialpolitisch und gesundheitspolitisch entscheidend — ein Vielfaches von dem, was in der letzten Legislaturperiode im Regierungsentwurf vorgesehen war. Diese Höchstgrenze — Herr Dr. Jungmann, Sie werden es mir bestätigen — kommt zur vollen negativen Auswirkung leider bei demjenigen, der schwerkrank ist und häufiger die ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen muß.

    (Zuruf des Abg. Ruf.)

    So ist das System leider konstruiert.
    Deshalb muß ich eine harte Bemerkung machen, wenn ich wieder den Herrn Bundesarbeitsminister zitiere. Wie sagte er doch: „Die Kostenbeteiligung wird den wahrhaft Schwerkranken und den, der lange krank ist, unverhältnismäßig weniger treffen als den, der einmal zum Arzt geht." Jetzt muß es heißen: sie wird den Schwerkranken unverhältnismäßig härter treffen als denjenigen, der den Arzt einmal in Anspruch nimmt. Das ist leider der Tatbestand.

    (Abg. Frau Döhring [Stuttgart]: Leider!)

    Viertens! Nach Meinung der Bundesregierung — —

    (Zuruf des Abg. Stingl.)

    — Herr Kollege Stingl, ich kann Ihnen sagen, an ihrer neuen Konzeption werden sie noch lange zu knabbern haben. Die Sache sieht so einfach aus, hat es aber, wenn man es überlegt, in sich. Ich möchte mich jetzt an mein Manuskript halten, um die Zeit nicht zu sehr zu überschreiten.
    Das neue Verfahren soll nach Meinung der Bundesregierung den Vorteil haben, daß durch die Verrechnung des Sonderbeitrages mit der Kostenbeteiligung der Versicherte und seine Familie nicht von der rechtzeitigen Inanspruchnahme des Arztes abgehalten werden. Meine Damen und Herren, das wird entscheidend davon abhängen, wie sorgsam der einzelne rechnet. Wer nämlich nur das Heute sieht, den wird die spätere Verrechnung der Kostenbeteiligung von 25 % mit seinem Sonderbeitrag wenig beeindrucken. Aber für den, der auch an das Morgen denkt — und das ist doch der Verantwor-



    Dr. Schellenberg
    tungsbewußte —, wird die Entscheidung für die Inanspruchnahme des Arztes wesentlich von der tatsächlichen Höhe der Kostenbeteiligung abhängen. Der Verantwortungsbewußte, der es durchrechnet, wird schnell erkennen, daß die neuerdachte Methode im Grunde genommen — gestatten Sie den Ausdruck —, nur ein psychologischer Trick ist. Im Vergleich zu den früheren Vorschlägen ist es ein psychologischer Trick, im wirtschaftlichen Inhalt soll eine höhere Kostenbeteiligung geschaffen werden. Tatsächlich ist .diese Kostenbeteiligung mit einer Quote von 25 % des Arzthonorars auch unter Berücksichtigung der Höchstbegrenzung, selbst im Vergleich zu Regelungen in der privaten Krankenversicherung hoch. Ich möchte Ihnen dies an zwei Beispielen verdeutlichen.
    Jener ledige Versicherte, von dem ich sprach, der also 500 Mark Monatseinkommen hat und wegen Unpäßlichkeit oft ,zum Arzt geht, macht das innerhalb eines Jahres angenommen zehnmal. Er erhält immer noch eine Rückerstattung von rund 100 DM.

    (Abg. Ruf: Wenn er nicht hingeht, bekommt er mehr! Das ist der Sinn der Sache!)

    — Lassen Sie mich zu dem anderen Beispiel kommen! Der Familienvater mit einem monatlichen Einkommen von 400 DM, dessen Familie von schwerster Krankheit betroffen wird, hat allein für die ärtzliche Behandlung 96 DM an Kostenbeteiligung zu zahlen.

    (Abg. Stingl: Und wieviel machen die Gesamtkosten aus?)

    — Nach der Vorlage zahlt er praktisch 25 % Kostenbeteiligung. Das ist das System.

    (Abg. Stingl: Und wenn die gesamten Arztkosten 15 000 DM .ausmachen?! — Zuruf der Abg. Frau Kalinke.)

    — Aber, meine Damen und Herren, doch nicht für ambulante Behandlung. Die Kastenbeteiligung — dais werde ich Ihnen zahlenmäßig belegen — nach dem neuen Entwurf ist wesentlich höher als nach dem früheren. Wir mußten erwarten, daß die Bundesregierung aus den Meinungsverschiedenheiten der letzten Legislaturperiode die Konsequenzen zieht.
    Nach dem früheren Entwurf sollte für ärztliche und zahnärztliche Behandlung eine Kostenbeteiligung der Versicherten von im Durchschnitt insgesamt 358 Millionen DM erhoben werden. Nach dem, was Sie im Ausschuß beantragt haben, sollte die Krankenscheingebühr, auf die Sie sich zurückgezogen hatten, einen Betrag von 150 Millionen DM im Jahr ergeben. Jetzt aber, meine Damen und Herren von der Regierungspartei, soll sich nach dem Regierungsentwurf die Kostenbeteiligung für ärztliche und zahnärztliche Behandlung auf 750 Millionen DM belaufen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Die Kostenbeteiligung für die ärztliche Leistung
    hat sich gegenüber dem früheren Entwurf also mehr
    als verdoppelt und gegenüber dem letzten Fraktionsbeschluß der CDU/CSU verfünffacht. Dast ist der Tatbestand.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Die Angelegenheit wird, wenn man sie weiter durchdenkt, finanziell noch grotesker. Nach dem System der Verrechnung von Sonderbeitrag und Kostenbeteiligung zahlen die Versicherten nämlich nicht etwa jährlich eine Kostenbeteiligung von insgesamt 750 Millionen DM, sondern nach den Vorschlägen der Regierung sollen die Versicherten durch den Sonderbeitrag gewissermaßen als Vorschuß für die Kostenbeteiligung einen Betrag von insgesamt 3 Milliarden DM entrichten.

    (Abg. Killat: Eisernes Sparen!)

    Das ist die Methode. Mit dem zusätzlich erhobenen Sonderbeitrag sollen jährlich also erst einmal 2,2 Milliarden DM eingezogen, im Durchschnitt für die Dauer eines Jahres von der Kasse verwaltet und schließlich den Einzaihlern zurückerstattet werden. Durch diesen Gesetzentwurf soll die versicherte Bevölkerung verpflichtet werden, im Wege des Sonderbeitrags Mittel ,aufzubringen, von denen mit mathematischer Sicherheit feststeht, daß 'sie den Bedarf für die Kostenbeteiligung um über 2 Milliarden DM insgesamt überschreiten. Die ganze Prozedur wird nur deshalb vorgenommen, damit man irgendwann einmal mit einer möglichst hohen Rückzahlungsquote operieren kann.

    (Beifall bei der SPD.)

    Sechstens. Neben dem Sonderbeitrag gibt es noch andere Kostenbeteiligungen. Sie sind im wesentlichen — für Arzneien, Heil- und Hilfsmittel — aus dem früheren Entwurf übernommen. Ich will sie deshalb hier nicht behandeln. Alle Versicherten einschließlich der Rentner und Familienangehörigen haben sie grundsätzlich zu zahlen.
    Eine Änderung ist nur bei der Krankenhauspflege vorgesehen. Der Versicherte soll, solange er kein Krankengeld erhält, drei Mark für jeden Pflegetag an das Krankenhaus zahlen, was praktisch bedeutet, daß ein Beschäftigter bis zur Dauer von sechs Wochen die Kostenbeteiligung zu entrichten hat. Der Rentner hat für seine eigene Person — Familienangehörige sind dabei befreit — sogar für die Gesamtdauer der Krankheit zu zahlen. Dieses System der Kostenbeteiligung bei Krankenhauspflege trifft die Rentner und die Bezieher niedriger Einkommen viel härter als die Regelung des letzten Regierungsentwurfs. Damals war als Einnahme für Kostenbeteiligung bei Krankenhauspflege ein Betrag von 82 Millionen DM im Jahr angesetzt, jetzt sind es 170 Millionen DM im Jahr.
    Aber auch in sonstiger Hinsicht wurden die Regelungen für Kostenbeteiligung gegenüber dem Entwurf der vorigen Legislaturperiode verschlechtert. Ein Beispiel: Nach dem letzten Entwurf hatte der durch Arbeitsunfall Verletzte einen Erstattungsanspruch auf alle Zuzahlungsbeträge, die ihm aus Anlaß des Arbeitsunfalls bzw. durch die Berufskrankheit entstanden sind. Ich habe in dem vorliegenden Entwurf vergeblich nach einer gleichlautenden Vorschrift gesucht.



    Dr. Schellenberg
    Der Herr Staatssekretär des Bundesarbeitsministeriums,

    (Abg. Ruf: Ein mutiger Mann!)

    der uns durch seine prägnanten Formulierungen bekannt ist, hat gesagt, als der Entwurf zum erstenmal veröffentlicht wurde — so schrieb die Presse —: Der frühere Entwurf Blanks, der von den Parteien zurückgewiesen wurde, war vielleicht besser

    (Abg. Frau Kalinke: Das meine ich auch!)

    als der jetzt vorgelegte zweite Entwurf. — Wir, meine Damen und Herren, haben den damaligen schon für sehr schlecht gehalten, und Sie können sich deshalb vorstellen, daß wir gegen den neuen noch härter kämpfen werden.

    (Beifall bei der SPD.) Das ist heute erst die Ouverture.

    Siebtens. Wie im früheren Entwurf sind gewisse Befreiungen von der Kostenbeteiligung vorgesehen; ich will sie nicht verschweigen. Generell sollen Rentner, deren Rente unter 125 DM im Monat liegt, nicht an den Kosten ärztlicher und zahnärztlicher Behandlung beteiligt werden. Diese Rentner werden ohnehin, soweit sie keine zusätzlichen Einkünfte haben oder in Familien leben, zusätzlich von den Sozialämtern unterstützt.
    Die Härteklausel hat der Herr Bundesarbeitsminister erwähnt. Ihr Inhalt ist, daß eine Befreiung von der Beteiligung an den Arznei-, Heilmittel- und Krankenhauspflegekosten dann erfolgen kann, wenn die Lebenshaltung des Versicherten oder seiner Familie durch die Zuzahlung unzumutbar beeinträchtigt würde. In der Begründung heißt es dazu: die Kasse hat darüber im Einzelfall zu entscheiden. — Das ist nichts anderes als die Einführung von Bedürftigkeitsprüfungen in die deutsche Sozialversicherung. Das ist nach unserer Auffassung ein bedenklicher Rückschritt. Im übrigen sind die Sozialämter auf Grund ihrer Aufgabenstellung für Bedürftigkeitsprüfungen wohl geeigneter als Krankenkassen. Nach Einführung dieser vorgesehenen Kostenbeteiligung, insbesondere bei Krankenhauspflege von Rentnern, werden bestimmt auch die Sozialämter angegangen werden, diese Kostenbeteiligung zu übernehmen. Das wird interessante Zuständigkeitsfragen im Verhältnis zwischen Krankenkassen und Sozialämtern geben. Es könnte für viele Versicherte auch ratsamer erscheinen, sich um Krankenhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz zu bemühen als Leistungsansprüche auf Grund ihrer gesetzlichen Krankenversicherung geltend zu machen. Das sind keine Einzelfälle. Ich bitte Sie wirklich, die Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes mit denen des Entwurfes bei Fällen aus der Praxis zu vergleichen.

    (Abg. Ruf: Das haben wir getan!)

    Wir wenden Ihnen praktische Fälle bieten, die bedauerlich und erstaunlich zugleich sind.
    Sie sagen, Herr Kollege Ruf, Sie hätten die Dinge geprüft.

    (A: bg. Ruf: Das haben wir gemacht!)

    --- Dann haben Sie es nicht für die Familien geprüft! Denn hier ergeben sich Konsequenzen, die schlimm sind.
    Achtens. Der Gesetzentwurf enthält — ich bestreite es nicht —, .abgesehen von den Dingen, die mit der Mutterschaftshilfe, den Pflichtleistungen für Klinikentbindungen usw. zusammenhängen, einige Verbesserungen auch gegenüber dem früheren Entwurf.

    (Zuruf von der CDU/CSU.)

    — Auch der Herr Bundesarbeitsminister hat die Entwürfe eingehend begründet. Es handelt sich um drei Gesetzentwürfe. Diese Entwürfe sind auch nach Ihrer Meinung wichtige Grundlagen der Sozialpolitik. Deshalb bitte ich also sehr zu entschuldigen, wenn ich noch weiter spreche. Ich will versuchen, nicht mehr auf Ihre Zwischenbemerkungen einzugehen. Ich habe noch einiges 'zu sagen.

    (Heiterkeit.)

    Die Leistungsverbesserungen gleichen aber das verstärkte Gewicht der Kostenbeteiligung nicht im entferntesten aus. Der Herr Bundesarbeitsminister und auch Herr Kollege Stingl haben die Kostenbeteiligung mit den Verbesserungen begründet, die die Lohnfortzahlung bringt.
    Wir halten den Versuch der Koppelung von Lohnfortzahlung und Einführung der Kostenbeteiligungen für sachlich unbegründet. Zwar ergeben sich für Gruppen von Arbeitern aus ¡der Lohnfortzahlung, durch Beitragssenkungen, ungeachtet des Sonderbeitrages und der Kostenbeteiligung finanzielle Vorteile. Aber wenn Sie die Zahl dieser Arbeiter mit denen vergleichen, für die sich Nachteile ergeben, dann ergibt sich ein schlechtes Bild. Sie müssen 'die .aus der Versicherungspflicht ausscheidenden Arbeiter, 'die ihre Beiträge voll selbst zu zahlen haben, 'den Belasteten zurechnen. Aber selbst für diese Minderheit der Versicherten führt die Koppelung von Lohnfortzahlung und Kostenbeteiligung zu erheblichen Ungerechtigkeiten, denn besonders die mit Familien und die durch Krankheit in der Familie Belasteten werden betroffen. Aber für die Mehrzahl der Versicherten, rund 15 Millionen, nämlich die Angestellten, .die freiwillig Versicherten, alle Rentner und die Gruppe der Arbeiter, die aus der Versicherungspflicht ausscheiden, entstehen durch den Sonderbeitrag erhöhte Belastungen durch Kostenbeteiligung bei Arzthonoraren. Zusätzlich kommt noch die Kostenbeteiligung .für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel und Krankenhauspflege.
    Was sagt die Bundesregierung zu diesen Belastungen? Ich zitiere wieder aus der Begründung: Diese Dinge können — jetzt kommt das wörtliche Zitat —
    den Versicherten angesichts .der wirtschaftlichen Entwicklung zugemutet oder in Zukunft durch eine entsprechende Regelung der Lohn- und Gehaltstarife ausgeglichen werden.
    Wir halten das für eine bedenkliche Begründung.
    Wir stellen fest, daß durch diesen 'Gesetzentwurf ein fundamentaler Grundsatz unserer Krankenversicherung, daß nämlich .die Leistungen ausschließlich



    Dr. Schellenberg
    aus den Beiträgen finanziert werden — und das ist für uns der Grundsatz der Solidarität —, aufgehoben wird und daß künftig eine Mitfinanzierung der Ausgaben in einer Größenordnung von über 1 Milliarde DM vorwiegend, durch Personengruppen erfolgen soll — vorwiegend nage ich —, denen das Paket keine Leistungsverbesserung bringt. Das sind nämlich die Angestellten, die Rentner, die freiwillig Versicherten und jene Arbeiter, die durch Ausscheiden aus der Versicherungspflicht Beiträge jetzt selbst zahlen müssen.
    Der Herr Bundesarbeitsminister hat die Pläne zur Kostenbeteiligung als Ausdruck der Solidarität bezeichnet. Hier scheiden sich ernsthaft die Geister. Wir halten die Kostenbeteiligung für die unsozialste Methode der Finanzierung von sozialen Leistungen.

    (Beifall bei der SPD. -Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Das sind politische Unterschiede, meine Damen und Herren!

    (Zuruf der Abg. Frau Kalinke.) — Ich sage Ihnen, — —(Abig. Horn: Sie wollten doch nicht auf Zurufe eingehen!)

    — Herr Kollege Horn, ich danke Ihnen! Ich werde Frau Kollegin Kalinke nicht mehr antworten. Wir werden ohnehin noch ausgiebig zu diskutieren haben.
    Wir machen der Bundesregierung den Vorwurf, daß sie es vor erneuter Einbringung des so umstrittenen Gesetzentwurfs unterlassen hat, die sozialen und gesundheitlichen Fakten, die die Krankenversicherungsreform betreffen, erforschen zu lassen. Das wäre für ein so bedeutsames Reformwerk unerläßlich gewesen. Der Bundesarbeitsminister, der die grundlegenden Untersuchungen, beispielsweise über den Krankenstand, unterlassen hat, hat hier über internationale Erfahrungen gesprochen.

    (Abg. Ruf: Die sind überall dieselben!)

    Der Minister hätte uns lieber genaues Material über internationale Erfahrungen unterbreiten sollen. Das wäre besser gewesen, als hier hingeworfene Bemerkungen über die Sozialpolitik des Auslandes zu machen.
    Dabei ist als Beispiel Schweden ,genannt worden. Der Herr Minister hat sich darauf berufen, er habe mit dem früheren schwedischen Sozialminister gesprochen. Ich war dreimal in Schweden, habe mit ihm viele Stunden einen sehr 'eingehenden Meinungsaustausch gehabt und stehe natürlich mit meinen schwedischen politischen Freunden in regem Gedankenaustausch. Ich mache 'dem Herrn Minister Blank den Vorwurf, er hat die Dinge, über die er gesprochen hat, nicht sorgfältig genug untersucht.
    Nur wenige Stichworte! Man kann nicht einen einzelnen Tatbestand 'für eine Vergleichsziehung herausgreifen, sondern muß die Gesamtheit der sozialen Sicherung, mindestens die Gesamtheit der gesundheitlichen Sicherung bewerten. Hierfür ist die Entwicklungstendenz in Schweden hochinteressant. Als ich die Dinge in Schweden zum erstenmal untersucht habe — 1954 —, bestand in Schweden praktisch noch keine allgemeine Krankenversicherung. Jetzt ist in sie das ganze Volk einbezogen. In Schweden befindet sich die gesundheitliche Sicherung in einem ständigen Aufbau. So wird die Krankenhausbehandlung prinzipiell kostenfrei gewährt,

    (Abg. Frau Kalinke: Auch für die Familie?)

    — ja, im Prinzip! —, während bei uns Kostenbeteiligungen bei Krankenhauspflege eingeführt werden sollen.
    Nun einige Zahlen. Es sind die einzigen auf Grund eines internationalen Vergleichs, die mir zur Verfügung gestanden haben. Es handelt sich um Vergleichsmaterial des Internationalen Arbeitsamtes über die Ausgaben für gesundheitliche Leistungen bezogen auf den Kopf der Bevölkerung, gesundheitliche Leistungen sowohl durch die Sozialversicherung wie durch den Staat. Mit diesen Ausgaben für die Gesundheitspolitik liegt Schweden um 70 % über den Leistungen der Bundesrepublik einschließlich der Krankenversicherung.

    (Abg. Ruf: Dafür hat Schweden auch die Umsatzsteuer ab 1. Januar 1962 auf 6 % erhöhen müssen!)

    — Das weiß ich nicht so genau. Ich habe ja das Thema Schweden nicht aufgeworfen. Die Dinge sind für Vergleichsziehungen vielschichtig, und deshalb sollte man nicht wenige Bemerkungen hinwerfen,

    (Abg. Frau Kalinke: Das ist doch eines Ihrer Modelle!)

    um damit ,die Kostenbeteiligung, die 'Sie einführen wollen, zu begründen.
    Ich möchte Ihnen aber noch eine Zahl nennen, die die Tendenz des Sozialaufwandes gemessen, am Sozialprodukt, in Schweden erkennen läßt. Im Jahre 1958 betrug der Sozialaufwand in Schweden 13 % des Sozialprodukts und bei uns damals 14,1 % des Sozialprodukts. Bei uns ist der Sozialaufwand inzwischen auf 12,7 % deis Sozialprodukts heruntergegangen; in Schweden ist er auf 13,7 % des Sozialprodukts angestiegen. Meine Damen und Herren, wir sind zu internationalen Vergleichen bereit. Aber das kann nicht heute geschehen. Es wäre sehr interessant, im Hause einmal über die europäische Sozialpolitik und ihre Entwicklung zu diskutieren.
    Noch ein Wort zu der Frage des Mißbrauchs. Wir haben niemals bestritten, daß die Möglichkeit besteht, soziale Leistungen 'zu mißbrauchen.

    (Abg. Ruf: Schon ein Fortschritt!)

    Ich möchte ausdrücklich erklären: wir sind zu sorgsamen Überlegungen im Ausschuß darüber bereit,

    (Sehr gut! in der Mitte)

    wie einem vorsätzlichem Mißbrauch von Leistungen der sozialen Krankenversicherung begegnet werden kann.

    (Abg. Ruf: Darum geht eis!)

    Dabei wird es für uns ohne Belang sein, ob das
    „schwarze Schaf" ein Arbeiter, ein Angestellter, ein



    Dr. Schellenberg
    Arzt oder vielleicht sogar — wenn der Kostenausgleich eingeführt wind — ein Arbeitgeber ist.

    (Sehr wahr! bei der SPD. — Abg. Ruf: Einverstanden!)

    Wir wollen gemeinsam prüfen, wie wir einen Mißbraucher treffen können. Aber wir wehren uns mit allem Nachdruck dagegen, Pauschalurteile über 'den sogenannten allgemeinen Mißbrauch sozialer Leistungen 211 fällen

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der Mitte)

    und Menschen finanziell zu belasten, die ohnehin schweres gesundheitliches Leid in ihrer Familie zu tragen halben.

    (Erneuter Beifall 'bei der 'SPD.)

    Ich komme zu dem zweiten Bereich, den gesundheitlichen und ärztlichen Fragen.
    Erstens. Wir halben mit Interesse die Bemühungen der Bundesregierung verfolgt, ihr Verhältnis zu den Repräsentanten der Ärzte zu normalisieren. Wir begrüßen das, wenn wir auch wissen, daß die Verbesserung dieser Beziehungen gewisse wirtschaftliche Konsequenzen hat.
    Die Honorierung nach Einzelleistungen bejahen wir. Wir setzen dabei voraus, daß dem Mehr an Honorar auch entsprechende Leistungen gegenüberstehen.
    Viele Probleme der Mitwirkung von Ärzten und Zahnärzten in der Krankenversicherung sind im Entwurf noch keineswegs sinnvoll geregelt. Hier muß noch manches Gespräch geführt werden, damit wir zu einem sinnvolleren Ausgleich verschiedener Interessenlagen kommen.
    Naturgemäß begegnen die Fragen des Prüfungswesens und der Gebührenordnungen erheblichen Schwierigkeiten. Aber gerade die Probleme der Gebührenordnungen machen deutlich, daß die Kostenbeteiligungspläne des Gesetzentwurfs zu unmöglichen Konsequenzen führen. Wir stimmen in dieser Beziehung der Stellungnahme der Bundesärztekammer zu, 'die wir in allen Teilen mit großer Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen haben.
    Wir werden alles tun, um gesetzliche Regelungen zu finden, die die behandelnden Ärzte vor überflüssigen Belastungen mit Schreibarbeiten bewahren. Im übrigen halten wir an der Auffassung fest, daß jedes pauschale Mißtrauen gegenüber den Versicherten auch ein Mißtrauen gegenüber seinem behandelnden Arzt ist.
    Zweitens. Wir begrüßen, daß der Gesetzentwurf die Bezugsdauer für Mutterschaftsgeld nach der Entbindung verlängern und die Klinikentbindung zur Pflichtleistung machen will. Aber wir halten diese Leistungen im Hinblick auf die hohe Mütter- und Säuglingssterblichkeit noch nicht für ausreichend. Wir verweisen mit Nachdruck auf unseren Entwurf eines Mutterschutzgesetzes, den wir nicht im Ausschuß für Arbeit begraben sehen möchten.
    Drittens. Im ganzen gesehen ist die gesundheitspolitische Konzeption des Gesetzentwurfs unbefriedigend. Kennzeichnend hierfür ist, daß die Bundesregierung den Vorschlag des Bundesrats, in den Gesetzentwurf die Worte Leistungen zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit aufzunehmen, abgelehnt hat. Die Erklärung der Bundesregierung, der Begriff Gesundheit sei versicherungsrechtlich kaum bestimmbar und Maßnahmen zur Gesunderhaltung müßten die Freiheit des einzelnen erheblich einschränken, lassen unseres Erachtens ein mangelndes Verständnis für die Aufgaben der Gesundheitspolitik in der Gesellschaft von heute erkennen.
    Viertens. Die Leistungen des Gesetzentwurfs für die Vorsorgehilfe sind völlig unzureichend. Die wesentlichste Verbesserung im Vorsorgebereich besteht darin, daß nicht wie im früheren Entwurf Versicherte, die das 40. Lebensjahr, sondern bereits solche, die das 35. Lebensjahr vollendet haben, innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren im Rahmen der Vorsorgehilfe sich einmal ärztlich untersuchen lassen können. Zum Ausgleich für diese Verbesserung soll dann eine Kostenbeteiligung für Vorsorgeuntersuchungen von 7,50 DM erhoben werden. Die SPD wird sich bemühen, die Vorsorge zu einem wesentlichen Fundament der Krankenversicherung zu machen.
    Fünftens. Wir vermissen auch jeden konstruktiven Versuch zur Lösung des sehr schwierigen Krankenhausproblems und teilen nicht die Auffassung, daß mit der Einführung von Kostenbeteiligung bei Krankenhauspflege der Zuständigkeitsbereich des Bundes erschöpft ist.
    Im übrigen jetzt zu dem dritten Bereich: Kreis der Versicherten, Fragen der Organisation und Finanzierung.
    Erstens. Der Kreis der versicherungspflichtigen Angestellten sinkt ständig. Er wird jetzt durch die Veränderung der Versicherungspflichtgrenze wieder ein wenig steigen, aber auf Sicht weiter absinken. Wir können die Auffassung nicht teilen, daß unter der Begründung einer arbeitsrechtlichen Gleichstellung nun 2,7 Millionen Arbeiter aus der Versicherungspflicht ausscheiden sollen. Der Verlust des Beitragsanteils für diese Arbeiter wird auf rund 600 Millionen DM im Jahr geschätzt. Diese Arbeiter werden somit wirtschaftlich erheblich geschädigt. Schließlich lehnen wir es auch mit Nachdruck ab, daß bei Übersteigen eines Gesamteinkommens von 1250 DM monatlich prinzipiell, wenn auch mit einer Übergangsregelung, die freiwillige Versicherung erlöschen soll. Wir halten Tendenzen, den Kreis der Versicherungspflichtigen oder der freiwillig Versicherten einzuengen, für sozialpolitisch und gesundheitspolitisch bedenklich. Die Versicherungspflichtgrenze sollte stets mit der Entwicklung der durchschnittlichen Arbeitsentgelte Schritt halten.
    Unserer Überzeugung nach sollte der Gesetzgeber die soziale Sicherung bei Krankheit in jeder Weise fördern. Das liegt im Interesse des einzelnen und der Gesellschaft. Unabhängig von dem Streit über die Höhe der Versicherungspflichtgrenze werden wir vorschlagen, den Arbeitern und Angestellten einen Rechtsanspruch gegenüber ihren Arbeitgebern auf Fortzahlung des Beitragsanteils bei Übersteigen



    Dr. Schellenberg
    der Versicherungspflichtgrenze einzuräumen, wenn sie weiterhin den Schutz einer Krankenversicherung in Anspruch nehmen. Wir wissen, daß das wirtschaftliche Probleme mit sich bringt. Sie sollten diskutiert und es sollten unter Umständen Übergangsregelungen getroffen werden.
    Für unser Anliegen ist es — das möchte ich ausdrücklich betonen — nicht von entscheidender Bedeutung, bei welcher Einrichtung der nicht mehr Versicherungspflichtige seinen Krankenversicherungsschutz sucht, ob bei Pflichtkassen, Ersatzkassen oder auch bei der privaten Krankenversicherung. Vielmehr sind wir der Auffassung, daß ein echt er Leistungswettbewerb sich sozialpolitisch und gesundheitspolitisch positiv auswirken könnte. Selbstverständlich muß aber im Falle der Weiterzahlung des Beitrags durch den Arbeitgeber sichergestellt sein, daß stets mindestens der Leistungsstand der gesetzlichen Krankenversicherung einschließlich der Familienhilfe auf die Dauer gewährleistet ist. Über alle Einzelheiten sind wir zum Gespräch bereit.
    Zweitens. Nun zu den Arten der Krankenkassen. Wir bejahen die Eigenständigkeit der Träger der Versicherung, die in der historischen Entwicklung begründet ist. Heute hat jeder Angestellte nach seiner freien Entscheidung das Recht, Mitglied einer Ersatzkasse zu werden, wovon 5 Millionen Angestellte Gebrauch gemacht haben. Die Möglichkeit der Arbeiter, Mitglied entsprechender Ersatzkassen zu werden, ist faktisch beschränkt. Die Zahl der Mitglieder der Arbeiterersatzkassen beträgt noch nicht 1 % aller Versicherten der Krankenversicherung. Deshalb sollten wir einmal prüfen, ob im Zusammenhang mit einer arbeitsrechtlichen Gleichstellung nicht auch den Arbeitern mehr als bisher die Freiheit der Wahl ihres Krankenversicherungsträgers zugestanden werden kann.
    Wir wissen, daß das schwierige Probleme sind; sie sollten aber unter dem Gesichtspunkt geprüft werden, daß uns nicht die Schwierigkeit der Materie schrecken kann, wenn es darum geht, den besten gesundheitlichen Schutz für alle arbeitenden Menschen sicherzustellen.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Drittens. Über die Verwaltungsfragen haben sich viele Leute Gedanken gemacht. Die Begründung des Entwurfs hierzu ist völlig unzureichend. Das Mehr und das Weniger an Kosten gleicht sich aus — eine solche Bemerkung zeigt einen Mangel an Vorausschau. Es ist nicht unbekannt, daß manche Sachverständige sogar meinen, allein wegen der Verwaltungsfragen sei überhaupt das ganze System des Sonderbeitrages und der Rückerstattung nicht praktikabel.
    Viertens. Meine letzten Bemerkungen betreffen die finanziellen Auswirkungen. Die Gesetzentwürfe haben finanzielle Auswirkungen, die weit über die Belastung der Wirtschaft, die natürlich beachtlich ist, aber die auch im Verhältnis zur Lohnsumme und zur Lohnentwicklung gesehen werden muß, und über die Belastung des Bundes mit dem Kindergeld hinausgehen. Der Finanzteil im Regierungsentwurf ist äußerst dürftig. Wir hätten mindestens erwartet, daß eine Vorausschätzung der Einnahmen und Ausgaben nach dem gegenwärtigen Stand und dem Inkrafttreten des Gesetzes gegeben wird, wie dies bei der Reform der Rentenversicherung 1956/57 selbstverständlich war. Gewiß bereitet eine solche Schätzung Schwierigkeiten, man muß sie aber haben, um die finanziellen Auswirkungen genauer beurteilen zu können. Das ist insbesondere auch notwendig, weil der letzte Gesamtbericht für die gesetzliche Rentenversicherung erst für 1958 vorliegt.
    Leider sind in dem Finanzteil die finanziellen Auswirkungen auf die Steuereinnahmen und auf die Beitragseinnahmen der Sozialversicherung unberücksichtigt geblieben. Ich möchte ,an einem Beispiel verdeutlichen, um welche Größenordnungen, die im finanziellen Teil nicht erwähnt sind, es sich handelt. Nach ,den Thesen der Bundesregierung ergibt sich für die Rentenversicherung eine zusätzliche Beitragseinnahme von jährlich 766 Millionen DM. Ferner ist zu berücksichtigen die Ausgabenersparnis der Rentenversicherung bei der Krankenversicherung der Rentner nach § 310 'in Höhe von 393 Millionen DM. — Dieser Betrag wird genannt. — Insgesamt würde sich durch die Gesetzentwürfe die Finanzlage der Rentenversicherung jährlich um 1 Milliarde 159 Millionen DM verbessern.
    Im Hinblick darauf, daß der Herr Bundesarbeitsminister erklärte, die Belastung der Wirtschaft durch die Lohnfortzahlung betrage 1,4 Milliarden jährlich, muß doch eine solche Größenordnung von über 1,1 Milliarden Mehreinnahmen der Rentenversicherung in eine finanzielle Gesamtschau einbezogen werden. Darüber sind noch sorgfältige Ausarbeitungen zu erstellen. Wir Sozialdemokraten haben dafür Vorarbeiten geleistet. Wir werden sie Ihnen im Ausschuß zur Verfügung stellen.

    (Abg. Ruf: Sehr gut! Vielen Dank im voraus!)

    Wir leisten positive Beiträge auch in der finanziellen Hinsicht.

    (Abg. Ruf: Auch positive?)

    — Natürlich!
    Meine Damen und Herren, im Ergebnis bringen die Gesetzentwürfe Belastungen und Entlastungen für Millionen von Versicherten. Es ist viel zu einfach zu sagen: es kommt die Lohnfortzahlung, deshalb können Kostenbeteiligungen eingeführt werden. In einer großen Linie läßt sich sagen: entlastet werden die Gruppen der Arbeiter unter 750,— DM, belastet die Angestellten, die Rentner, die freiwillig Versicherten und die Arbeiter mit Einkommen über 750,— DM monatlich. Im Ganzen findet eine gewaltige finanzielle Umschichtung statt, bei der die Jungen, die Alleinstehenden, die Gesunden entlastet, aber die Familien, die Alteren und die Kranken belastet werden. Das sollte in seinen sozialpolitischen und gesundheitspolitischen Konsequenzen sehr genau überlegt werden. Setzen Sie deshalb, Herr Kollege Stingl, nicht schon zu Beginn der Aussprache Zeitpunkte für die Verabschiedung. Es liegt im gemeinsamen Interesse alle Dinge sorgfältig zu überlegen.



    Dr. Schellenberg
    Wir Sozialdemokraten haben niemals bestritten, daß wir in der Bundesrepublik — bei allen Fehlern und Mängeln — in unserem Sozialleistungssystem einen beachtlichen Leistungsstand haben. Dieser Stand ist das Ergebnis eines 70jährigen Ringens um die soziale Sicherung

    (Beifall bei der SPD)

    und der wirtschaftlichen Anstrengungen unseres ganzen Volkes. Wir haben jetzt aber die Befürchtung, daß durch dieses Paket, das eigentlich ein Finanzpaket ist, unsere soziale Sicherung in eine Richtung gelenkt wird, die große gesundheitspolitische, familienpolitische und sozialpolitische Sorgen mit sich bringt.
    Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei der SPD.)