Rede von
Dr.
Konrad
Adenauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Für unsere Arbeit sind, aufs Große gesehen, einige wenige Wochen verloren worden. Ich hoffe, daß die Arbeit dieser umgebildeten Regierung und des Parlaments binnen kurzem die Zeit, die verlorengegangen ist, wieder einholt.
Sie werden sicher den berechtigten Wunsch haben, von mir zu hören, wie diese Bundesregierung sich die nächste Arbeit vorstellt. Die Koalitionsparteien, meine Damen und Herren, werden ihre gemeinsame Politik auf dem bisherigen Fundament fortsetzen.
— Nun, meine Herren, ich will jetzt nicht in die Vergangenheit sehen, sondern in die Zukunft.
— Meine Damen und Herren von der Opposition, ich wollte auch an Sie einige Worte richten und kann diese Worte jetzt schon voransetzen.
Die Arbeit des Parlaments ist für die Arbeit der Regierung eine absolute Notwendigkeit. Die Arbeit des Parlaments ist überhaupt das Entscheidende für das deutsche Volk.
Bei der Arbeit des Parlaments spielt die Opposition eine wesentliche Rolle, nicht eine Rolle der Behinderung, sondern vielleicht, meine Herren, eine Rolle der Erläuterung und eine Rolle der Ergänzung. Das ist meine Auffassung von der Aufgabe der Opposition, und ich würde mich sehr freuen, wenn Sie diese Auffassung teilten.
Meine Damen und Herren, die Vorlagen, die dem Bundesrat und dem Bundestag zugegangen sind, bleiben bestehen wie bisher. Es sind das eine ganze Anzahl, die noch nicht erledigt sind; wenn ich die Zahl richtig behalten habe, etwa 53. Sie sehen also, daß der Stoff drängt. Nicht als wenn ich besonders begierig wäre nach neuen Gesetzen. Ich bin in meinem ganzen Leben immer wenig entzückt gewesen von der Fülle der Gesetze. Aber unsere Zeit verlangt doch Anpassung an die fortschreitende Entwicklung und verlangt deswegen, daß die Regierung und das Parlament diese immer neu sich stellenden Aufgaben laufend erfüllen.
Die Gesetzentwürfe der Bundesregierung zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung, über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle und der Entwurf eines Bundeskindergeldgesetzes werden alsbald und als Einheit von der Bundesregierung verabschiedet werden und alle zum gleichen Zeitpunkt in Kraft treten.
Die Bundesregierung wird weiter die in der Haushaltsrede vom 7. November angekündigten Gesetzentwürfe über die Beseitigung von Härten in der Kriegsopferversorgung, in der Flüchtlingsgesetzgebung und in der Kriegsgefangenenentschädigung vorlegen.
In der Finanzpolitik, meine Damen und Herren, und in der Steuerpolitik bleibt der bisherige Kurs bestehen. Wir hoffen, daß es gelingt, möglichst bald zu einer Verständigung mit den Ländern und mit den Gemeinden über die Änderungen der Finanzverfassung zu kommen, die sich am Laufe der Zeit als dringend notwendig ergeben haben.
Die steuerlichen Reformen, die wir beabsichtigen, werden nach dem Prinzip der sozialen Gerechtigkeit und der Wettbewerbsgleichheit mit dem Ziele der Harmonisierung im EWG-Raum fortgesetzt. Aufgabe, meine verehrten Damen und Herren, und zwar eine sehr ernste Aufgabe für uns alle bleibt es, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft mit dem Ausland sicherzustellen. Auf diesem Gebiete stehen uns höchstwahrscheinlich in dem kommenden Jahre sehr ernste Aufgaben bevor. Aber ich glaube, meine Damen und Herren, daß es eine gemeinsame Aufgabe des gesamten Parlaments ist, die Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen, damit unser Volk in der bisherigen Weise weiterleben kann. Daß wir dabei auch in der Gesellschaftspolitik, in der Politik für den Mittelstand und insbesondere in der Landwirtschaftspolitik fortfahren, möchte ich sehr nachdrücklich unterstreichen. Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft muß gesteigert werden, und die Maßnahmen zur Strukturverbesserung müssen nachdrücklich gefördert werden.
Zur Zeit liegen Ihnen — ich erwähnte das eingangs schon — 53 Entwürfe vor, die noch nicht verabschiedet worden sind. Ich darf hier nochmals sehr nachdrücklich feststellen, daß keine Regierung etwas leisten kann, wenn nicht das Parlament das Siegel auf die Arbeit der Regierung drückt. Die Regierung ist vom Parlament abhängig. Ihre Erfolge sind abhängig vom Parlament, und da wir doch alle für das deutsche Volk in seiner Gesamtheit arbeiten wollen, richte ich an das gesamte Parlament die dringende Bitte, die Arbeit der Regierung, sei es kritisierend, sei es fördernd, zu unterstützen, aber auf alle Fälle zügig zu unterstützen.
2334 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 53. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Dezember 1962
Bundeskanzler Dr. Adenauer
Der Herr Bundestagspräsident hat soeben den Dank an die Minister ausgesprochen, die dem Kabinett nicht mehr angehören oder, sobald Herr von Hassel eintreten kann — er kann erst Mitte Januar eintreten —, ihm nicht mehr angehören werden. Diesem Dank schließe ich mich sehr nachdrücklich an.
Ich betone: jeder, der einmal eine Regierung gebildet hat, und erst recht jeder, der weiß, was es heißt, eine Koalitionsregierung zu bilden,
— ja, vielleicht kommen auch Sie einmal in der Lage —
weiß auch, daß dabei Opfer gebracht werden müssen, die oft sehr schwerfallen. Ich möchte den Herren, die nun dem Kabinett nicht mehr angehören oder nicht mehr angehören werden, auch namens der Bundesregierung für die Hingabe, die sie in ihrem Amt gezeigt haben, von Herzen danken.
Meine Damen und Herren, zur Zeit tagt der Ministerrat der NATO in Paris. Es ist überhaupt eine Zeit der außenpolitischen Hochspannung. Ich weiß nicht, ob Sie heute morgen die Ausführungen gelesen haben, die Herr Gromyko gemacht hat. Nun, ob sie wahr sind, ob sie nicht wahr sind, — wer kann das jetzt entscheiden. Ich will Herrn Gromyko gegenüber sehr höflich sein: sie sind außergewöhnlich stark gefärbt. Auf alle Fälle möchte ich eins betonen — was übrigens auch der französische Ministerpräsident Pompidou in seiner Rede betont hat —: die Bundesrepublik wird ihre Verpflichtungen gegenüber NATO getreu und pünktlich erfüllen. Wir stehen nach wie vor zu der europäischen Entwicklung.
Im Hinblick auf unsere Leistungen für NATO darf ich vielleicht eine Zahl nennen, die Sie interessieren wird. Am 20. Oktober 1956, als Herr Strauß sein Amt antrat, hatte die Bundeswehr eine IstStärke von 55 952 Mann. Am 13. Dezember 1962 betrug die Ist-Stärke der Bundeswehr 395 052 Mann. Darin, meine Damen und Herren, liegt eine gewaltige Fülle von Arbeit, von hingebender Arbeit, an der viele beteiligt sind, an der Spitze der Verteidigungsminister. Ich glaube, es ist eine Pflicht der Gerechtigkeit, ihm dafür unseren herzlichen Dank auszusprechen.
Meine verehrten Damen und Herren, ich hoffe, daß wir bald einmal zu Beginn des Jahres 1963 die Möglichkeit und Gelegenheit haben werden, uns hier im Bundestag über die deutsche Außenpolitik auszusprechen. Ich glaube, das ist notwendig, damit in der Welt kein Zweifel darüber besteht — weder bei den einen noch bei den anderen! —, daß die deutsche Außenpolitik — und in sie ist auch diese NATO-Aufgabe, von der ich eben gesprochen habe, eingeschlossen — dieselbe ist, wie sie bisher war. Allein die Erfüllung dieser Politik kann dem deutschen Volke die Freiheit bewahren, meine Damen und Herren, und das ist unsere oberste Aufgabe.