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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 44. Sitzung Bonn, den 26. Oktober 1962 Inhalt: Entwurf eines Gesetzes über die Bildung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (CDU/CSU, FDP) (Drucksache IV/540) — Erste Beratung — Schütz (CDU/CSU) 1923 B Kurlbaum (SPD) 1924 B Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (SPD) (Drucksache IV/563) — Erste Beratung — in Verbindung mit dem. Antrag betr. Bundeshilfe bei Mißbildungen durch Arzneimittel (SPD) (Drucksache IV/630) Frau Dr. Hubert (SPD) 1928 C Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister . . . 1930 D 4939 D Könen (Düsseldorf) (SPD) . . . . 1932 D Dr. Jungmann (CDU/CSU) 1936 A, 1938 A Dr. Hamm (Kaiserslautern) (FDP) . . 1938 C Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes (Abg. Hilbert, Leicht, Dr. Hauser u. Gen.) (Drucksache IV/553) — Erste Beratung — 1940 C Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung (CDU/CSU, PUP, SPD) (Drucksache 1V/559 [neu]) — Erste Beratung — 1940 D Entwurf eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Getreidegesetzes (Abg. Seidl [München], Bauer [Wasserburg], Bauknecht, Ertl u. Gen.) (Drucksache IV/561) — Erste Beratung — . . . . . . . . 1940 D Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 4. November 1961 mit dem Königreich Griechenland über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen usw. (Drucksache IV/570) — Erste Beratung — . . . 1941 A Entwurf eines Gesetzes zur Ausführung des Vertrages vom 4. November 1961 mit dem Königreich Griechenland über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen usw. (Drucksache IV/571) — Erste Beratung — 1941 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wirtschaftsstrafgesetzes 1954 (Drucksache IV/573) — Erste Beratung — 1941 B Entwurf eines Gesetzes zu dem. Vertrag vom 16. Mai 1961 mit der Republik Togo über die Förderung der Anlage von Kapital (Drucksache IV/592) — Erste Beratung — 1941 B Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 14. Juli 1960 mit dem Großherzogtum Luxemburg über die Soziale Sicherheit der Grenzgänger (Drucksache IV/595) — Erste Beratung — . . . . . . . . 1941 C II Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1962 Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 14. Juli 1960 mit dem Großherzogtum Luxemburg über die Gewährung von Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft usw. (Drucksache IV/596) — Erste Beratung — 1941 C Entwurf eines Gesetzes über die Durchführung von Statistiken auf dem Gebiet der Sozialhilfe, der Kriegsopferfürsorge und der Jugendhilfe (Drucksache IV/615) — Erste Beratung — 1941 D Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Hypothekenbankgesetzes (Drucksache IV/624) — Erste Beratung -- 1941 D Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Bundeshaushaltsrechnung für das Rechnungsjahr 1960 (Drucksache IV/441) 1942 A Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung einer Teilfläche der ehem. Hutier-Kaserne in Darmstadt (Drucksache IV/620) 1942 A Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung einer Teilfläche des ehern. Flugplatzes Loddenheide (Drucksache IV/621) 1942 A Antrag des Bundesminister der Finanzen betr. Veräußerung einer Teilfläche der ehem. Fahrtruppenschule in Hannover (Drucksache IV/622) . . . . . . . . 1942 B Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung einer Teilfläche der ehem. Schack-Kaserne in Hannover (Drucksache IV/626) 1942 B Bericht des Bundesrechnungshofes über die Prüfung der Bilanzen und des Geschäftsbetriebes der Verwertungsstelle der Monopolverwaltung für Branntwein beim Landesfinanzamt Berlin für die Geschäftsjahre 1958/59 und 1959/60 (Drucksache IV/627) 1942 B Antrag betr. Beseitigung von Abfallstoffen ,(Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal], Bading, Margulies u. Gen.) (Drucksache IV/587) 1942 C Entwurf einer Fünfunddreißigsten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 (Baumaterialien, Bauhilfsmittel usw.) (Drucksache IV/658) 1942 C Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit über den Entwurf einer Verordnung Nr.... zur Durchführung periodischer Lohnerhebungen im verarbeitenden Gewerbe (Drucksachen IV/636, IV/657) . 1942 D Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit über den Entwurf einer Verordnung über die ersten Maßnahmen zur Herstellung der Freizügigkeit der Grenzarbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft und einer Verordnung über die ersten Maßnahmen zur Herstellung der Freizügigkeit der Saisonarbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (Drucksachen IV/511, IV/667) 1943 A Mündlicher Bericht des Immunitätsausschusses betr. Genehmigung zur Durchführung des Vollstreckungsverfahrens gegen den Abg. Höhne (Druckasche IV/669) Dürr (FDP) 1943 B Schriftlicher Bericht des Ernährungsausschusses über die Vorschläge der Kommission der EWG a) für eine Richtlinie über die Einzelheiten zur Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit bei landwirtschaftlichen Betrieben, die seit mehr als zwei Jahren verlassen sind oder brachliegen, b) für eine Richtlinie über die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit in der Landwirtschaft für Angehörige eines Mitgliedstaates, die als Landarbeiter zwei Jahre ohne Unterbrechung in einem anderen Mitgliedstaat gearbeitet haben (Drucksachen IV/598, IV/670, zu IV/670) 1944 A Schriftlicher Bericht des Außenhandelsausschusses über den Entwurf einer Sechsunddreißigsten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 (Zollkontingente — 2. Halbjahr 1962) (Drucksachen IV/659, IV/681) 1944 B Bericht des Außenhandelsausschusses über die Zweiunddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 (Vergeltungszölle) (Drucksachen IV/608, IV/682) 1:944 C Bericht des Außenhandelsausschusses über die Fünfte Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste, Zweite Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung und die Zweite Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste (Drucksachen IV/606, IV/678) 1944 C Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1962 III Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Gesundheitswesen über den Vorschlag der Kommission betr. Regelung gesundheitspolizeilicher Fragen beim innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit frischem Fleisch (Drucksachen IV/635, IV/688) 1944 D Antrag betr. Überweisung von Anträgen an die. Ausschüsse (Umdruck 143) . . . 1944 D Entwurf eines Gesetzes zu dem Internationalen Fernmeldevertrag vom 21. Dezember 1959 (Drucksachen IV/449, IV/677) — Zweite und dritte Beratung — . . . . 1945 A Schriftlicher Bericht des Außenhandelsausschusses über den Entwurf einer Einunddreißigsten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 (Zollaussetzungen — 2. Halbjahr 1962) (Drucksachen IV/614, IV/679) 1945 C Schriftlicher Bericht des Außenhandelsausschusses über den Entwurf einer Dreiunddreißigsten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 (GATT-Zugeständnisse — EWG: USA) (Drucksachen IV/613, IV/680) . . . . 1945 C Nächste Sitzung 1945 D Anlagen 1947 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1962 1923 44. Sitzung Bonn, den 26. Oktober 1962 Stenographischer Bericht Beginn: 9.03 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Frau Albertz 3. 11. Arendt (Wattenscheid) 27. 10. Dr. Arndt (Berlin) 26. 10. Dr. Aschoff 26. 10. Dr. Atzenroth 26. 10. Auge 19. 11. Dr. Barzel 6. 11. Bauer (Wasserburg) 26. 10. Frau Berger-Heise 6. 11. Bergmann 26. 10. Berkhan 26. 10. Birkelbach 26. 10. Blachstein 6. 11. Blöcker 26. 10. Frau Blohm 26. 10. Blumenfeld 26. 10. von Bodelschwingh 26. 10. Börner 26. 10. Frau Brauksiepe 26. 10. Brese 26. 10. Brück 26. 10. Dr. Bucher 6. 11. Burckardt 26. 10. Corterier 26. 10. Cramer 26. 10. Dr. (Dehler 5. 11. Dr. Deist 6. 11. Deringer 5. 11. Dr. Dollinger 26. 10. Frau Dr. Elsner 26. 10. Engelbrecht-Greve 26. 10. Etzel 26. 10. Figgen 26. 10. Franke 26. 10. Dr. Dr. h. c. Friedensburg 28. 11. Geiger 26. 10. Dr. Gradl 6. 11. Haage (München) 26. 10. Dr. Harm (Hamburg) 1. 11. Dr. Hesberg 26. 10. Hörnemann (Gescher) 26. 10. Hübner 26. 10. Dr. Huys 26. 10. Kalbitzer 6. 11. Frau Klee 26. 10. Dr. Klein (Berlin) 26. 10. Koenen (Lippstadt) 27. 10. Dr. Kopf 6. 11. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Kraus 26. 10. Kriedemann 26. 10. Kubitza 26. 10. Freiherr von Kühlmann-Stumm 26. 10. Kühn (Bonn) 31. 12. Kühn (Hildesheim) 26. 10. Kühn (Köln) 6. 11. Kuntscher 31. 10. Leber 26. 10. Lermer 26. 10. Lohmar 26. 10. Dr. Löhr 26. 10. Majonica 6. 11. Dr. Mälzig 26. 10. Mauk 26. 10. Memmel 6. 11. Michels 26. 10. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller 26. 10. Müller (Nordenhamm) 26. 10. Müller (Remscheid) 27. 10. Murr 26. 10. Oetzel 31. 10. Ollenhauer 26. 10. Porten 26. 10. Frau Dr. Probst 26. 10. Rademacher 31. 10. Ramms 26. 10. Frau Dr. Rehling 26. 10. Ritzel 2. 11. Sander 26. 10. Dr. Schäfer 26. 10. Schmücker 26. 10. Dr. Schneider (Saarbrücken) 26. 10. Schultz 26. 10. Seibert 26. 10. Seuffert 26. 10. Storch 26. 10. Strohmayr 26. 10. Struve 26. 10. Dr. Süsterhenn 26. 10. Varelmann 26. 10. Verhoeven 26. 10. Wacher 6. 11. Wächter 26. 10. Dr. Wahl 15. 11. Walter 26. 10. Wehking 3. 11. Weinzierl 26. 10. Werner 27. 10. Wischnewski 26. 10. Wittmer-Eigenbrodt 31. 10. 1948 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1962 Anlage 2 Umdruck 143 Interfraktioneller Antrag betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse. Der Bundestag wolle beschließen: Die folgenden Anträge werden gemäß § 99 Abs. 1 GO ohne Beratung an die zuständigen Ausschüsse überwiesen: 1. Antrag der Fraktion der SPD betr. Drittes Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes — Drucksache IV/543 — an den Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen 2. Antrag der Abgeordneten Dr. Schmidt (Wuppertal), Bading, Margulies und Genossen betr. intereuropäische Naturparks — Drucksache IV/586 — an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten Bonn, den 10. Oktober 1962 Dr. von Brentano und Fraktion Ollenhauer und Fraktion Dr. Mende und Fraktion
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    Rede von Georg Kurlbaum


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich in eine kritische Würdigung des vorliegenden Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und FDP eintrete, möchte ich den Versuch machen, festzustellen, worüber nach allgemeinem Anschein auf diesem Gebiete Einigkeit in diesem Hause besteht.
    Wir stehen in der Bundesrepublik nach einer beinahe stürmischen Wiederaufbauperiode nach einem vorherigen unerhörten Zusammenbruch vor so etwas wie einer Normalisierung, d. h. die Wirtschaft und die Wirtschaftspolitiker müssen sich mit dem Gedanken vertraut machen, daß wir in künftigen Jahren unter mehr normalen Bedingungen werden arbeiten müssen, unter denselben Bedingungen, unter denen auch die anderen großen westlichen demokratischen Industrieländer zu arbeiten haben.
    Was meine ich damit im einzelnen konkret? Erstens einmal die Tatsache, daß wir keine wesentlichen weiteren Arbeitskraftreserven mehr haben. Zweitens — als Folge davon —, daß wir uns daran gewöhnen müssen, daß die Investitionen sehr viel stärker als bisher auf Rationalisierungsinvestitionen beschränkt werden müssen. Und drittens — auch als Folge des Vorhergehenden —, daß die Wachstumsraten unseres Sozialprodukts in der Zukunft wahrscheinlich sehr viel kleiner sein werden als im Durchschnitt in der vergangenen Aufbauperiode. Dieses wiederum wird und muß zur Folge haben, daß auch die Unternehmergewinne bescheidener sein werden als in der vorangegangenen Periode.
    In dieser Lage ist es besonders notwendig, daß man die bisherigen wirtschaftspolitischen Methoden nochmals genau und unvoreingenommen überdenkt, und in einer solchen Periode ist eine Versachlichung in der wirtschaftspolitischen Auseinandersetzung eine besondere Notwendigkeit. Lassen Sie mich Ihnen versichern, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ehrlich bemüht ist und sein wird, zu dieser sachlichen Auseinandersetzung beizutragen.
    Aber, meine Damen und Herren von der Koalition, wir haben, glaube ich, diese Versachlichung nicht erst jetzt entdeckt. Ich möchte darauf hinweisen, daß die SPD bereits im Jahre 1956 einen Gesetzentwurf eingebracht hat — in der Drucksache 2428 — mit der Überschrift: „Gesetzentwurf zur Förderung eines stetigen Wachstums in der Gesamtwirtschaft". Der Grundgedanke, das Grundanliegen unserer Initiative war schon damals, für die wirtschaftspolitische Debatte und insbesondere für die konjunkturpolitische Debatte eine solide und sachliche Diskussionsgrundlage zu schaffen. Wir haben es damals besonders bedauert, daß dieser Gesetzentwurf nicht über die erste Lesung im Plenum hinausgekommen ist. Der Wirtschaftspolitische Ausschuß des Bundestages hat es nicht einmal wert gefunden, diese Gesetzesvorlage zu beraten.
    Was war — schon damals — die Quintessenz unseres Anliegens? Die Quintessenz war, daß die Bundesregierung verpflichtet werden sollte, mindestens einmal jährlich einen Gesamtwirtschaftsbericht zu geben, der aus zwei Teilen bestehen sollte. In einem rückblickenden Teil sollte auf der Grundlage einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung insbesondere uniersucht werden, ob sich in der Wirtschaftsentwicklung Mißverhältnisse gezeigt haben; dieser Bericht sollte auch zeigen, welche Auswirkungen die Wirtschaftspolitik im vergangenen Jahre gehabt hat. Ergänzt werden sollte dieser Rückblick auf das vergangene Wirtschaftsjahr durch eine voraus-



    Kurlbaum
    schauende volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, für das kommende Jahr, wenn nötig mit verschiedenen Alternativen mit Rücksicht auf verschiedene mögliche Entwicklungen und mit Rücksicht auf besondere wirtschaftspolitische Vorhaben der Bundesregierung.
    Wir haben damals schon, um böswilligen Auslegungen entgegentreten zu können, in unserem Gesetzentwurf ausdrücklich gesagt: dieses Nationalbudget — so nennt man auch eine vorausschauende volkswirtschaftliche Gesamtrechnung — enthält keine Angaben für einzelne Unternehmen und ist kein für die Wirtschaft und ihre Unternehmen verbindlicher Plan.
    Weiter sollte nach unserem Vorschlag von 1956 ein Volkswirtschaftlicher Beirat gebildet werden. Allerdings sollte er nicht nur, wie im jetzigen Gesetzentwurf vorgesehen, einseitig von der Bundesregierung ernannt werden, sondern er sollte auf Vorschlag der Bundesregierung vom Bundespräsidenten ernannt werden. Aufgabe dieses Volkswirtwirtschaftlichen Beirates sollte es schon nach unserer Vorstellung von 1956 sein, beide Teile des Wirtschaftsberichts der Bundesregierung, den rückblikkenden wie den vorausschauenden, zu begutachten und das Gutachten auch der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Das Gutachten des Volkswirtschaftlichen Beirates sollte gemeinsam mit dem Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung vom Bundestag beraten werden. Schließlich sollte dieser Volkswirtschaftliche Beirat für die laufende Erörterung grundsätzlicher volkswirtschaftlicher Probleme zuständig sein und zur Verfügung stehen, allerdings ohne jede weitere Einschränkung dieses Themas.
    Der sozialdemokratische Gesetzentwurf von 1956 ist daher dadurch gekennzeichnet, daß er vor allen Dingen der Bundesregierung eine Verpflichtung auferlegt, nämlich die Verpflichtung, sich durch einen Jahresbericht auf einer international anerkannten zahlenmäßigen Grundlage der Diskussion in der Öffentlichkeit zu stellen. Es sollte ein Rechenschaftsbericht an den Bundestag für das vergangene Wirtschaftsjahr sein. Gleichzeitig sollte die Bundesregierung gezwungen werden, in derselben definierten zahlenmäßigen Form der Öffentlichkeit und dem Bundestag ihre Vorstellungen und Absichten für die kommende Wirtschaftsperiode bekanntzugeben. Der Volkswirtschaftliche Beirat sollte durch seine Gutachten der Öffentlichkeit und dem Bundestag eine gewisse Hilfestellung bei der Urteilsbildung auf diesem sehr schwierigen Gebiete geben. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird auch in den bevorstehenden Ausschußverhandlungen diese schon in unserem Gesetzentwurf von 1956 vertretene allgemeine Linie weiter vertreten.
    Was ist nun demgegenüber der wesentliche Inhalt des vorliegenden Gesetzentwurfes der CDU/CSU und der FDP? Zur periodischen Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung soll ein Sachverständigenrat von der Bundesregierung ohne Mitwirkung des Bundespräsidenten berufen werden. Die einzige Verpflichtung, die der Bundesregierung durch diesen Gesetzentwurf auferlegt wird, ist es, zum Gutachten des Sachverständigengremiums Stellung zu nehmen. Die Bundesregierung soll, wie es sehr undefiniert heißt, wirtschaftspolitische Schlußfolgerungen aus dem Gutachten des Sachverständigengremiums ziehen. Es wäre interessant, zu wissen, welcher Art diese wirtschaftspolitischen Schlußfolgerungen sein sollen. Sollen das nur wieder theoretische Schlußfolgerungen sein? Sollen diese Schlußfolgerungen nur eine Grundlage für Mahnungen an andere bilden, wie wir sie in letzter Zeit in der Hauptsache gehört haben? Oder sollen diese wirtschaftspolitischen Schlußfolgerungen auch einmal auf das eigene Verhalten der Bundesregierung bezogen werden? Sollen diese Schlußfolgerungen auch einmal geknüpft werden an Maßnahmen der Bundesregierung oder an das gänzliche Unterlassen von Maßnahmen? Das scheint mir ein sehr entscheidender Punkt zu sein.
    Es gibt aber noch andere Unklarheiten in diesem Gesetzentwurf bzw. Mängel in der Definition der Aufgabe des Sachverständigenrates. Lassen Sie mich ein Beispiel dafür nennen! Hoffentlich handelt es sich hierbei nur um verunglückte Formulierungen. Im § 2 Abs. 1 heißt es, es sei die Aufgabe dieses Sachverständigengremiums, „insbesondere die Ursachen von ... Spannungen zwischen Einkommensentwicklung und Güterangebot" aufzuzeigen. — Einkommen können bekanntlich gar nicht direkt, sondern nur indirekt über die Nachfrage, die sie auslösen, Spannungen im Verhältnis zum Angebot herbeiführen. Nur beim Verbraucher sind Einkommen und Nachfrage im wesentlichen identisch. Quelle unserer Sorgen gerade in den letzten Jahren war aber keineswegs in erster Linie die von den Verbrauchereinkommen ausgehende Nachfrage, sondern in den letzten Jahren und auch heute noch handelt es sich in erster Linie um andere Gruppen in der Volkswirtschaft. In den vergangenen zwei Jahren haben wir besondere Sorgen durch den von den Unternehmern ausgelösten Investitionsboom gehabt, der jetzt langsam abzuklingen scheint. Und heute noch bereitet uns die von den privaten Unternehmungen und der öffentlichen Hand ausgelöste Überbelastung des Baumarktes sehr große Sorge.
    Ich möchte damit nur klarmachen, daß allein von der Einkommensentwicklung her diese Probleme nicht beurteilt werden dürfen.
    Dann gibt es noch einen anderen interessanten Satz in dem Gesetzentwurf. Es heißt in § 2 Abs. 1 im letzten Satz, daß vom Sachverständigengremium „keine Empfehlungen für wirtschaftspolitische Maßnahmen" gegeben werden sollen. Ja, meine Damen und Herren, soll damit diesem Gremium die Kritik an Maßnahmen des Bundestages oder der 'Bundesregierung verboten werden? Oder soll diese Kritik eingeschränkt werden? Soll sich die Kritik dieses Gremiums ausschließlich auf alle anderen Faktoren in der Volkswirtschaft, nur nicht auf die staatliche Wirtschaftspolitik beziehen?
    Damit, meine Damen und Herren, kommen wir zum eigentlichen Problem. Ein neues Sachverständigengremium alleine nützt uns sehr wenig in der Bundesrepublik. Im Gegenteil besteht die Gefahr, daß, wenn jetzt, ohne daß weiteres geschieht, allein ein neues Sachverständigengremium gebildet wird,



    Kurlbaum
    in der Öffentlichkeit falsche Erwartungen geweckt werden. Wir haben bereits fünf ausgezeichnete wirtschaftswissenschaftliche Institute, deren Analysen der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Die Öffentlichkeit kann sich sehr wohl auch heute schon an Hand dieser Analysen ein ausgezeichnetes Bild von der Lage machen, soweit sie zuverlässig beurteilt werden kann. Es ist ein besonderer Vorteil dieser veröffentlichten Gutachten, daß auch Minderheitsmeinungen bekanntgegeben werden. Außerdem besitzen das Bundesfinanzministerium und das Bundeswirtschaftsminsterium Wissenschaftliche Beiräte, die in der Vergangenheit ausgezeichnete Gutachten veröffentlicht haben. Ich weiß nur nicht, wer sie liest. Wir lesen sie! Ich möchte einmal die Frage stellen: Was tut die Mehrheit dieses Bundestages und was tut die Bundesregierung eigentlich mit all diesen laufend veröffentlichten wissenschaftlichen Gutachten einschließlich der ausgezeichneten Monatsberichte der Deutschen Bundesnotenbank? Was tun sie vor allen Dingen mit der vielfachen Kritik, die in diesen wissenschaftlichen Gutachten in den vergangenen Jahren laufend an dem Verhalten des Bundestages und der Bundesregierung in Beziehung auf die Konjunkturpolitik geübt worden ist? Ich habe den Eindruck — —

    (Abg. Dr. Dr. h. c. Dresbach: Herr Kurlbaum, Sie werden zu inquisitorisch!)

    — Ich kann es leider nicht verstehen. — Offensichtlich versucht man, alle diese Gutachten und ihren kritischen Inhalt totzuschweigen, weil man sie nicht widerlegen kann. Das ist unser eindeutiger Eindruck von der Verwertung all dieser Gutachten.

    (Abg. Ruf: Es wäre aber gut, wenn auch die Opposition davon Kenntnis nähme!)

    - Verlassen Sie sich darauf, wir studieren sehr sorgfältig, und Sie werden gehört haben — —

    (Zuruf von der CDU/CSU: Studieren allein genügt nicht; verhalten Sie sich auch danach!)

    Sie werden erlebt haben, daß ich mich damit schon sehr oft hier im Bundestag beschäftigt und meine Kritik auf diese Gutachten gegründet habe. Es ist vorhin angedeutet worden, diese Gutachten würden manchmal mißbraucht. Ich habe sie wissentlich niemals mißbraucht, und es steht Ihnen nachher frei, nachzuweisen, ob überhaupt oder inwieweit wir diese Gutachten so, wie Herr Schütz meinte, mißbraucht haben. Im Gegenteil: Wir haben den Eindruck, daß sich die Koalitionsparteien und die Bundesregierung praktisch überhaupt nicht um alle diese Gutachten kümmern, sie bei ihren Entscheidungen nicht berücksichtigen.

    (Zurufe von der CDU/CSU.)

    Uns scheint es viel entscheidender zu sein, daß irgendein Wirtschaftsverband hier im Hause mit seinen Vertretern erscheint, insbesondere, daß ein solcher Wirtschaftsverband im Bundeskanzleramt Gehör findet. Bei solchen Vorstößen in das Bundeskanzleramt braucht ein solcher Verband nicht einmal mit einem auf Sachkenntnis gegründeten Widerstand zu rechnen.

    (Abg. Ruf: Das können auch die Gewerkschaften tun!)

    — Leider sind sie dort sehr selten empfangen worden!
    Wenn die Mehrheit des Bundestags und wenn die Bundesregierung den _ernsten Willen gehabt hätten, die Gutachten unabhängiger Wissenschaftler ernst zu nehmen und den Rat dieser Wissenschaftler gerade auch bezüglich ihres eigenen Verhaltens zu berücksichtigen, dann wäre dazu in der Vergangenheit schon vielmals Gelegenheit gewesen. Wir haben daher — das müssen wir hier ganz offen sagen — kein großes Vertrauen, daß sich das in Zukunft entscheidend verbessern wird. Eine solche entscheidende Wendung zum Besseren hätte nämlich zur Voraussetzung, daß die Mehrheit des Bundestags und die Bundesregierung endlich ihre eigene und ihre primäre Verantwortung für die Wirtschaftspolitik anerkennen würden, ihre primäre Verantwortung für die drei Grundforderungen, über die wir uns, glaube ich, einig sind, über die Grundforderungen nach einem ungestörten Wachstum, nach einer bleibenden Vollbeschäftigung und nach einer Erhaltung der Kaufkraft der D-Mark. Es wäre eine entscheidende Wendung zum Besseren, wenn die Mehrheit des Bundestags und die Bundesregierung endlich anerkennen würden, daß sie hier eine Verpflichtung zum eigenen Handeln besitzen.
    Diese Forderung nach einem eigenen Handeln dieses Hauses und der Bundesregierung in der Konjunkturpolitik haben wir hier in diesem Hause seit Jahren wiederholt vorgetragen. Wir haben diese Kritik nicht allein auf Grund unserer eigenen Überlegungen vorgetragen, sondern haben, wie Sie vorhin ganz richtig gesagt haben, dabei sehr oft hingewiesen auf die Gutachten der wissenschaftlichen Institute, auf die Gutachten der Wissenschaftlichen Beiräte beim Bundesfinanz- und Bundeswirtschaftsministerium und letzten Endes, nicht zu vergessen, auf die Berichte der Bundesnotenbank.
    Aber, meine Damen und Herren, neben dem guten Willen hat ein besserer Erfolg in der Beeinflussung der Konjunktur auch noch ,zwei andere Voraussetzungen.
    Die eine Voraussetzung ist, daß eine klare Entscheidung über das gesamtwirtschaftliche Ziel der Wirt'schaftspo'litik vorliegen muß, und zwar nicht nur in allgemeinen Erwägungen, sondern in quantitativen. Vorstellungen.
    Zum zweiten ist eine Voraussetzung für eine bessere Wirksamkeit auf dem Gebiet der Konjunkturpolitik, daß ein Instrumentarium, ein gesetzgeberisches und verwaltungsmäßiges Instrumentarium vorliegt, das bereitsteht für Eingriffe in die Konjunktur.
    Ich darf Ihnen dazu sagen, was der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium in einem ausgezeichneten 'Gutachten Anfang 1960 zu diesem Problem erklärt hat. Er sagt dazu wörtlich:



    Kurlbaum
    ... ist zunächst eine klare gesamtwirtschaftliche Entscheidung über den Kurs der allgemeinen Wirtschaftspolitik unerläßlich. Es muß in groben Zügen festgelegt werden, welches Verhältnis von privatem Verbrauch, Investitionen und Staatsverbrauch angestrebt werden soll, ...
    Und nun bitte, hören Sie zu: „Nur im Rahmen einer solchen Entscheidung können konkrete Maßnahmen erwogen oder empfohlen werden."
    Hier, bei dieser 'Entscheidung, die der Wissenschaftliche Beirat im Bundeswirtschaftsministerium anspricht, handelt es sich also um eine politische Entscheidung, die dieses Haus bzw. die Bundesregierung treffen müssen, mindestens in den Größenordnungen. Dieses Haus und die Bundesregierung müssen sich darüber klar werden, welchen Anteil am Sozialprodukt der private Verbrauch haben soll. Hier im Hause müssen wir uns darüber klar werden, welcher Teil des Sozialprodukts über die öffentliche Hand — sei es für Rüstung, sei es für Sozialleistungen — freigegeben werden soll. Schließlich muß man sich in diesem Hause auch über die Größenordnung der Investitionen klar werden, die wir in Zukunft anstreben wollen, und schließlich auch über einen so wichtigen Faktor wie den Exportüberschuß.
    Das sind also politische Entscheidungen, meine Damen und Herren von den Koalitionsparteien, und keine Sachverständigenentscheidungen. Aus dieser klaren Erkenntnis heraus wird es in dem sozialdemokratischen Gesetzentwurf von 1956 der Bundesregierung übertragen, eine gesamtwirtschaftliche quantitative Konzeption zu erarbeiten, und dem Sachverständigengremium wird es übertragen, diese Gesamtkonzeption der Bundesregierung bezüglich ihrer Realisierbarkeit auf Grund der drei Hauptforderungen — stetiges Wachstum, Vollbeschäftigung und stabile Währung — zu überprüfen. Es ist also unsere Vorstellung, daß eine politische Entscheidung dieses Hauses im Rahmen der Bundesregierung die Voraussetzungen für das Tätigwerden von unabhängigen und neutralen Sachverständigen schaffen muß.
    Nun komme ich zur zweiten Voraussetzung einer sinnvollen Konjunkturpolitik. Eine ausreichend schnell wirksame Konjunkturpolitik erfordert ein sorgfältig beratenes, langfristig bereitgestelltes Instrumentarium der Konjunkturpolitik. Es ist sehr gut und zu begrüßen, daß in der Öffentlichkeit — Sie können das in vielen Zeitungsartikeln feststellen — inzwischen ziemlich klar erkannt worden ist, daß allein Mahnungen an die wirtschaftlichen Organisationen hinsichtlich der Preise und Löhne, also die uns bekannten Maßhalteappelle, im Grunde an den Ursachen vorbeigehen und daher ohne Erfolg bleiben müssen. Maßgebend ist letzten Endes — und das hat die Öffentlichkeit inzwischen auch klar erkannt — das Verhältnis von Angebot und Nachfrage, und dieses Verhältnis rechtzeitig durch Maßnahmen der Wirtschafts- und Finanzpolitik zu beeinflussen, liegt primär in der Verantwortung des Bundestages und der Bundesregierung.
    Wir Sozialdemokraten leugnen nicht die Verantwortung der Gewerkschaften und der Unternehmerorganisationen in ihrem Bereich. Aber wir vertreten schon seit Jahren den Standpunkt, daß an der Spitze derer, die für die Konjunktur verantwortlich sind, das Parlament und die Regierung stehen. Es ist daher ein Unglück, daß z. B. auf dem Baumarkt von seiten dieses Hauses und von seiten der Bundesregierung jahrelang praktisch überhaupt nichts getan worden ist, um Angebot und Nachfrage auf dem Baumarkt in ein vernünftiges Verhältnis zu bringen. Man hat dann kurz vor den letzten Sommerferien leider ohne gründliche Beratung etwas so Unzureichendes wie das Baustoppgesetz in die Welt gesetzt. Dieses Gesetz, das, abgesehen von all seinen anderen Fehlern, überhaupt erst in einer Zeit wirksam werden kann, deren konjunkturpolitische Erfordernisse wir heute nicht zuverlässig beurteilen können, kann ,die Probleme des Baumarkts heute selbstverständlich nicht lösen. Das gleiche gilt auch von den Absichten bezüglich des § 7 b Einkommensteuer-Gesetz. Wenn man solche Maßnahmen so trifft, daß alle Bauvorhaben, 'die inzwischen schon genehmigt worden sind, ungestört weiterlaufen können — das wird ungefähr ein ibis zwei Jahre dauern —, dann kann man nicht erwarten, daß von diesen Maßnahmen heute irgendeine nennenswerte konjunkturpolitische Wirkung ausgeht.
    Darum möchte ich abschließend folgendes sagen. Wenn man konjunkturpolitische Maßnahmen zur Verfügung haben will, ,die mit genügender Schnelligkeit wirksam sind, dann muß dieses Instrumentarium in gründlicher und längerer Beratung vorzeitig geschaffen werden. Vielleicht haben Sie auch die Arbeiten der Wissenschaftlichen Beiräte auf diesem Gebiet nicht gelesen. Es gibt seit dem Jahre 1956 ausgezeichnete Gutachten 'der Beiräte beim Bundeswirtschaftsministerium und Bundesfinanzministerium, die sich mit dem Problem eines wirksamen Instrumentariums der Konjunkturpolitik beschäftigen. Die Überlegungen, die zu einem solchen Instrumentarium führen sollen, müssen unabhängig von der Tagespolitik und unabhängig von der augenblicklichen Lage fortgesetzt und zu gesetzgeberischen Ergebnissen geführt werden. Es ist ein sehr schlechtes Verfahren, wenn man sich nach den Löschgeräten immer erst dann umsieht, wenn es bereits brennt.
    Ferner ist es nötig, daß die Öffentlichkeit vorher weiß, mit welchen Maßnahmen sie bei bestimmten krisenhaften Zuspitzungen in der Konjunktur zu rechnen hat. Wenn Maßnahmen wie der Baustopp oder vielleicht auch die Maßnahme bezüglich des § 7 b erst nach Ausführung aller auf Vorrat genehmigter Bauten wirksam werden können, weil die Öffentlichkeit auf solche Maßnahmen keineswegs vorbereitet ist, dann werden alle diese Maßnahmen höchst fragwürdig.
    Ebenso würde es auch bei einer umgekehrten Konjunktur Entwicklung sein. Wenn die Dinge einmal in entgegengesetzter Richtung laufen sollten, wenn wir es also mit der Gefahr einer Deflation zu tun hätten, wenn wir eine zu kleine Nachfrage zu bekämpfen hätten, würde es nach unserer Auffas-



    Kurlbaum
    sung von außerordentlichem Nutzen für die Wirtschaft sein, vorher zu wissen, daß die Bundesregierung Maßnahmen vorbereitet hat, um ein solches Wellental in der Konjunktur schnellstens überwinden zu helfen. Ein solches Wissen der Wirtschaft über solche in Bereitschaft liegenden Maßnahmen könnte ein wesentlicher Stabilisierungsfaktor für unsere Wirtschaft sein.
    Seit Jahren ist 'bekannt, 'daß dieser Problematik, die ich hier in wenigen Sätzen zu skizzieren versucht habe in anderen fortschrittlichen Ländern Europas wesentlich mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird. In einzelnen Ländern liegen bereits entsprechende Gesetze vor, die laufend angewendet werden. Es wäre eine außerordentlich gute Sache, wenn sich die zuständigen Ausschüsse dieses Hauses einmal mit diesen Wegen, die in anderen Ländern begangen werden, befaßten. Hier liegt — das möchte ich klar und deutlich sagen — ein ernstes, schon seit Jahren nicht nur von uns getadeltes Versagen der Bundesregierung vor. Ich lasse dabei ausdrücklich offen, wo die Schuld liegt, ob im Bundeswirtschaftsministerium oder im Bundeskanzleramt.
    Ich möchte in diesem Zusammenhang zum Schluß auch noch auf das aufmerksam machen, was der Vizepräsident der EWG-Kommission, Herr Marjolin, kürzlich vor der Presse erklärt hat. Er hat erklärt, die EWG-Kommission werde den Mitgliedsregierungen in nächster Zeit Empfehlungen über die Bereitstellung eines konjunkturpolitischen Instrumentariums zukommen lassen, das, sollte sich einmal die Gefahr einer Rezession abzeichnen, rasch müßte eingesetzt werden können.
    Meine Fraktion ist nicht müde geworden und wird nicht müde werden, immer wieder auf diese Notwendigkeit hinzuweisen, auf die Notwendigkeit, daß 'die Mehrheit dieses Bundestages und die Bundesregierung sich endlich für eine aktive staatliche Konjunkturpolitik entscheiden. Sollten Mehrheit des Bundestages und 'Bundesregierung auch weiter auf diesem Gebiet so untätig wie bisher bleiben, so könnte dies einmal sehr ernste Folgen für unsere Wirtschaft haben.

    (Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Wird das Wort noch gewünscht? — Das scheint nicht der Fall zu sein. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlage an den Wirtschaftsausschuß zu überweisen. Ist das Haus einverstanden? — Kein weiterer Vorschlag? — Dann ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 38 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (Drucksache IV/563)

b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Bundeshilfe bei Mißbildungen durch Arzneimittel (Drucksache IV/630).
Wer begründet zunächst den Gesetzentwurf unter 38 a? — Das Wort hat Frau Abgeordnete Elinor Hubert.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Elinor Hubert


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die schweren Gesundheitsschädigungen, die durch das Arzneimittel Contergan hervorgerufen worden sind, haben neben dem tiefen Mitgefühl für die so schwer betroffenen Kinder und ihre Eltern begreiflicherweise in der Öffentlichkeit auch zu der Frage geführt: Wie war es denn möglich, daß ein Arzneimittel mit so schweren Nebenwirkungen eine so-große Verbreitung finden, ja überhaupt in den Verkehr gebracht werden konnte, und gibt es denn irgendeine Garantie dafür, daß so etwas in der Zukunft nicht wieder geschieht? Welche Maßnahmen können ergriffen werden oder sind inzwischen ergriffen worden, um ein ähnliches Unglück in Zukunft zu verhindern?
    Nun, ich glaube, zunächst muß darauf hingewiesen werden, daß im Jahre 1957, als Contergan in den Verkehr gebracht wurde, die Herstellung von Arzneimitteln auf industriellem Wege in der Bundesrepublik überhaupt keiner Regelung unterlag; im Gegensatz zu den sehr strengen Vorschriften für die Herstellung in Apotheken, wo das heute nur noch zu sehr geringem Teil geschieht. Man muß fast sagen: es kann wundernehmen, daß nicht schon früher irgendein Unglück passiert ist, und es spricht für die Vorsicht der deutschen pharmazeutischen Industrie im allgemeinen. Aber die Sorge über diesen ungeregelten Zustand hat uns doch immer schon sehr bewegt, und dieses Hohe Haus hat daher am 1. Dezember 1955 einen einmütigen Beschluß gefaßt, der die Bundesregierung aufforderte, bis zum Juni 1956 ein Arzneimittelgesetz vorzulegen. Die Frist wurde dann noch einmal verlängert, und schließlich, da von seiten der Bundesregierung nichts geschehen war, legte die SPD 1958 einen eigenen Gesetzentwurf vor, dem dann allerdings auch ein solcher der Bundesregierung folgte. Beide Entwürfe sind im Ausschuß eingehend beraten worden, und 1961 konnte ein Arzneimittelgesetz hier verabschiedet werden. Das war ohne Zweifel ein Fortschritt auf einem für die Volksgesundheit außerordentlich wichtigen Gebiet, obgleich das Gesetz keineswegs vollkommen den Vorstellungen der SPD entsprach, was wir damals auch zum Ausdruck gebracht haben.
    Angesichts der eingetretenen Katastrophe mit Contergan mußte man dieses Gesetz der Prüfung unterziehen, ob es denn, wenn es schon vorhanden gewesen wäre, genügt hätte, diesen Contergan-Zwischenfall zu verhindern. Ich glaube, wenn man es dieser Prüfung unterzieht, muß man sagen: vermutlich nein. Denn dieses Gesetz hält an dem alten Prinzip fest, daß Arzneimittel, die neu sind und Stoffe enthalten, deren Wirkung bisher noch nicht bekannt war, zunächst rezeptfrei in den Verkehr gebracht werden, es sei denn, daß der Hersteller selbst die Rezeptpflicht vorschlägt, und erst dann in die Rezeptpflicht einbezogen werden, wenn sich Schädigungen gezeigt haben. Man läßt also gleichsam erst das Kind in den Brunnen fallen.



    Frau Dr. Hubert
    Wir haben das seinerzeit mit Pervitin erlebt, das jahrelang frei verkauft wurde und dann so schwere Gesundheitsschädigungen verursachte, daß es heute sogar den strengen Vorschriften der Opium-Gesetzgebung unterliegt.
    Jetzt haben wir das Desaster mit dem Contergan. Die Frau Bundesgesundheitsministerin hat den Einwand gemacht, die Rezeptpflicht hätte auch nicht viel genützt; denn es sei ja soviel von Ärzten verschrieben worden. Da muß man doch ganz klar trennen zwischen der „Rezeptpflichtigkeit" eines Mittels und dem „auf Rezept Verschreiben". Mehr als 75 % unserer Bevölkerung gehören der sozialen Krankenversicherung an, und von dem Rest kann man sagen, daß fast alle einer privaten Krankenkasse angehören. Sie alle können die Kosten für ihre Arzneimittel von ihrer Kasse, der sozialen oder der privaten, nur dann ersetzt bekommen, wenn sie ein ärztliches Rezept vorlegen. Infolgedessen werden auch alle von einem Kranken benötigten Hilfs- und Arzneimittel, seien es Verbandsstoffe, sei es Baldriantee, selbstverständlich auf Rezept verschrieben. Das bedeutet aber keineswegs die Rezeptpflicht.
    Man kann im Ernst nicht annehmen, daß Ärzte werdenden Müttern ad libitum ein Arzneimittel wie Contergan verschrieben hätten, wenn es der Rezeptpflicht unterlegen hätte. Aber hier war ein Mittel wirksam wie Morphium und doch von jedermann jederzeit erhältlich und der Kontrolle des Arztes entzogen. Denn erstens konnte es jederzeit nachgekauft werden, und zweitens konnte, selbst wenn der Arzt ein anderes Schlafmittel aufgeschrieben hätte, der Betreffende sich in der Apotheke dieses Mittel, da es nicht rezeptpflichtig war, dafür geben lassen. Das ist bei nicht rezeptpflichtigen Mitteln möglich. Das Bedürfnis nach Schlaf- und Beruhigungsmitteln ist heute durch unsere Lebens- und Umweltbedingungen außerordentlich groß geworden. Der Verbrauch von Contergan ging täglich in die Millionen und war so verbreitet, daß es vorkam, daß etwa Pensionsinhaberinnen ihren Gästen es abends wie einen Bonbon auf den Nachttisch legten mit der Empfehlung für eine gute Nachtruhe.
    Uns haben jedenfalls gerade die Erfahrungen mit Contergan, das unter Rezeptpflicht bestimmt keine derartige Verbreitung mit so weittragenden Schäden hätte erreichen können, von der Richtigkeit unserer Einstellung und unserer Forderung überzeugt, die wir schon bei dem Arzneimittelgesetz erhoben haben, daß man neue Stoffe und neue Zusammensetzungen von Stoffen zunächst der Rezeptpflicht unterstellen muß. Wir befinden uns darin in Übereinstimmung mit dem Deutschen Ärztetag, der — wie Sie wissen — dieselbe Forderung wahrscheinlich aus denselben Gründen und Erfahrungen heraus wie wir erhoben hat.