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    Deutscher Bundestag 41. Sitzung Bonn, den 12. Oktober 1962 Inhalt: Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Majonica .(CDU/CSU) . . . . . 1747 A Wehner (SPD) . . . . 1751 A, 1784 B Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 1759 D Döring (Düsseldorf) (FDP) . . . . 1761 B Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) 1763 D Dr. Schröder, Bundesminister . . 1770 A Erler (SPD) 1773 B Dr. Gradl (CDU/CSU) 1780 C Wacher (CDU/CSU) 1784 B Zur GO Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . . 1786 C Antrag der Fraktion der SPD betr. Überbrückungszulage für die Beamten und Versorgungsempfänger des Bundes (Drucksache IV/509) 1786 C Nächste Sitzung 1786 D Anlagen 1787 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962 1747 41. Sitzung Bonn, den 12. Oktober 1962 Stenographischer Bericht Beginn: 9.02 Uhr
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    *) Siehe Anlage 2 Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Frau Albertz 3. 11. Arndgen 12. 10. Dr. Arndt (Berlin) 12. 10. Dr. Aschoff 12. 10. Dr. Atzenroth 12. 10. Bading 12. 10. Baier (Mosbach) 12. 10. Bauer (Wasserburg) 26. 10. Bausch 20. 10. Benda 12. 10. Biermann 12. 10. Dr. Birrenbach 16. 10. Dr. h. c. Brauer 12. 10. Brese 12. 10. Burckardt 12. 10. Dr. Burgbacher 12. 10. Dr. Czaja 12. 10. Dopatka 12. 10. Engelbrecht-Greve 12. 10. Figgen 13. 10. Frau Dr. Flitz (Wilhelmshaven) 12. 10. Dr. Frey (Bonn) 12. 10. Dr. Dr. h. c. Friedensburg 28. 11. Geiger 12. 10. Gerns 12. 10. Gewandt 12. 10. Dr. Gleissner 12. 10. Dr. Götz 12. 10. Günther 12. 10. Dr. Hamm (Kaiserslautern) 12. 10. Dr. Harm (Hamburg) 1. 11. Harnischfeger 12. 10. Heiland 12. 10. Dr. Dr. Heinemann 12. 10. Hellenbrock 12. 10. Dr. Hesberg 12. 10. Hirsch 12. 10. Jacobi (Köln) 12. 10. Jacobs 12. 10. Junghans 12. 10. Dr. Jungmann 12. 10. Killat 12. 10. Dr. Kliesing (Honnef) 12. 10. Dr. Koch 12. 10. Kraus 12. 10. Dr. Kreyssig 12. 10. Kriedemann 12. 10. Freiherr von Kühlmann-Stumm 12. 10. Kühn (Bonn) 31. 12. Kuntscher 31. 10. Kurlbaum 12. 10. Lange (Essen) 12. 10. Leber 20. 10. Lenz (Bremerhaven) 12. 10. Lenze (Attendorn) 12. 10. Dr. Löbe 12. 10. Dr. Lähr 12. 10. Lünenstraß 12. 10. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Mälzig 12. 10. Frau Dr. Maxsein 12. 10. Dr. h. C. Menne (Frankfurt) 12. 10. Metzger 12. 10. Michels 12. 10. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller 12. 10. Dr. Morgenstern 12. 10. Müller (Nordenham) 12. 10. Müller (Worms) 12. 10. Murr 12. 10. Oetzel 31. 10. Rademacher 31. 10. Ramms 12. 10. Sander 12. 10. Dr. Schäfer 12. 10. Spitzmüller 12. 10. Steinhoff 13. 10. Stooß 12. 10. Storch 12. 10. Striebeck 12. 10. Dr. Freiherr 12. 10. von Vittinghoff-Schell Dr. Wahl 15. 11. Walter 12. 10. Wehking 3. 11. Weigl 12. 10. Werner 12. 10. Dr. Winter 12. 10. Wittmer-Eigenbrodt 31. 10. Anlage 2 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen zu dem Antrag der SPD-Fraktion betr. Überbrückungszulage für die Beamten und Versorgungsempfänger des Bundes (Drucksache IV/509). Dreieinhalb Monate nach der Erklärung des Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, Dr. von Brentano, vom 27. 6. 1962, als die Koalitionsparteien die Beratung des SPD-Antrages auf Zahlung einer Überbrückungszulage für die Beamten und Versorgungsempfänger des Bundes im Jahre 1962 ablehnten, liegt immer noch kein entsprechender Vorschlag der Koalitionsparteien vor. Vielmehr hat die Bundesregierung mehrfach alle Vorschläge auf Zahlung einer Überbrückungszulage abgelehnt. Diese ablehnende Haltung der Bundesregierung und Untätigkeit der Koalition hat verständlicherweise bei der Beamtenschaft starke Verärgerung hervorgerufen, die in dieser Haltung berechtigterweise eine Verletzung der Fürsorgepflicht der Bundesregierung sieht. Es wäre zu bedauern, wenn durch die mangelnde Fürsorgepflicht der Bundesregierung gegenüber den Bundesbeamten eine Berufs- und Staatsverdrossenheit der Beamtenschaft einträten, deren Leistungen der Herr Bundeskanzler erst in seiner Regierungserklärung gewürdigt hat. Es kommt nun darauf an, daß nach den vielen Reden 1788 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962 und zahlreichen zustimmenden Erklärungen gegenüber der Beamtenschaft auch tatsächlich etwas geschieht. Wir glauben, hier mit Recht auf die Ausführungen eines stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU hinweisen zu müssen, der erklärt hat, daß das gute Prinzip des Maßhaltens für die Verbrämung eines schlichten Unrechts herhalten würde, wenn man einem Postschaffner oder Zollassistenten unter Hinweis auf eine sparsame Wirtschaftsführung das verweigern würde, was ein Staatssekretär in Düsseldorf bekommen habe. Die SPD-Fraktion ist der gleichen Auffassung und bittet um schnelle Beratung des Antrages im Ausschuß, damit die Beamtenschaft noch im Oktober mit einer positiven Entscheidung rechnen kann. Anlage 3 Schriftliche Antwort des Herrn Bundesministers Schwarz auf die Zusatzfrage zu der Mündlichen Anfrage des Abgeordneten Dr. Schmidt (Gellersen) (Fragestunde der 34. Sitzung vom 14. Juni 1962, Drucksache IV/453, Frage X/2: *) Die Kosten des Gesamtvergleichs lassen sich zur Zeit noch nicht genau feststellen, da es sich um den Abschluß eines Rahmenvergleichs handelt und die Gesamtsumme der einzelnen Forderungen, die sich aus den erhobenen Klagen und den fristgemäß eingelegten Widersprüchen ergeben, der Einfuhr- und Vorratsstelle noch nicht vorliegen; als letzter Anmeldetermin für die spezifizierte Einreichung der Forderungen bei der Einfuhr- und Vorratsstelle ist der 31. Dezember 1962 vereinbart worden. Eine Schätzung der Gesamtforderungen hat einen Höchstbetrag von ca. 50 Mill. DM ergeben. Bei diesen Forderungen handelt es sich, worauf ich besonders hinweisen möchte, um zuviel erhobene Abschöpfungsbeträge (so die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, insbesondere die des Bundesverwaltungsgerichts in den Jahren 1960 und 1961). Diese Beträge brauchen jedoch nach dem Vergleich nur teilweise zurückgezahlt zu werden. Ein Schaden ist deshalb dem Bund durch den Abschluß des Gesamtvergleichs nicht entstanden, zumal die Kläger auf die Zahlung von Zinsen verzichtet haben. Außerdem ist zwischen den Parteien vereinbart worden, daß von der Einfuhr- und Vorratsstelle Gerichtskosten und Anwaltskosten nur in solchen Fällen voll übernommen werden, in denen ein höchstrichterliches Urteil gegen sie ergangen ist, während in allen anderen Vergleichsfällen die Anwaltskosten von jeder Partei selbst und die Gerichtskosten von jeder Partei zur Hälfte getragen werden sollen. Unter diesen Umständen erschien der Abschluß des Gesamtvergleichs, der zwischen den beteiligten Bundesressorts eingehend vorbereitet worden ist, aus Sparsamkeitsgründen nach den Bestimmungen der Reichshaushaltsordnung geboten, und zwar im *) Siehe 34. Sitzung Seite 1430 B Hinblick auf die Einsparung von sonst wahrscheinlich erheblich höheren Bundesmitteln sowie in Anbetracht einer erheblichen Arbeitsentlastung bei der Einfuhr- und Vorratsstelle und den beteiligten Bundesressorts. Die durch die Vielzahl der Prozesse verursachte Mehrbelastung für die Beamten der Bundesressorts und die Dienstangehörigen der Einfuhr- und Vorratsstelle hätte ohne Anstellung von zusätzlichen Kräften weiterhin nicht mehr verantwortet werden können. Eine Durchschrift dieses Schreibens habe ich noch Herrn Abgeordneten Provinzialdirektor i. R. Ritzel mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt, weil auch Herr Ritzel über den Ausgang der gegen die Einfuhr- und Vorratsstelle geführten Rechtsstreitigkeiten und die damit verbundenen Kosten für den Bund unterrichtet sein wollte. Anlage 4 Umdruck 144 Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/ CSU, FDP zur Erklärung der Bundesregierung vom 9. Oktober 1962 Der Bundestag wolle beschließen: I 1. Der Deutsche Bundestag ist bereit, die in der Regierungserklärung aufgezeigten Maßnahmen zur Stabilisierung der wirtschaftlichen Verhältnisse nachhaltig zu unterstützen. Insbesondere begrüßt der Deutsche Bundestag eine sparsame Haushaltspolitik, die der Offentlichen Hand die notwendige Zurückhaltung nicht zuletzt auf dem Baumarkt auferlegt hat. 14. Der Deutsche Bundestag erwartet, daß Länder und Gemeinden sich diesen Bemühungen der Bundesregierung anschließen. 15. Der Deutsche Bundestag appelliert eindringlich an die Tarifpartner, durch eine maßvolle und der wirtschaftlichen Situation entsprechenden Haltung bei der Gestaltung von Preisen, Löhnen und Arbeitszeit die Bemühungen der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages zu unterstützen. II 1. Der Bundestag erklärt seine Befriedigung über den Verlauf der Besuche des Bundespräsidenten und des Bundeskanzlers in Frankreich sowie des Präsidenten der Französischen Republik in Deutschland. Er betrachtet die Freundschaft und enge Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland als endgültigen und unverrückbaren Bestandteil. der deutschen Außenpolitik und als wesentlichen Beitrag für ein geeintes Europa. 2. Der Bundestag ist der Überzeugung, daß die noch offenen Probleme bei den Verhandlungen über den Eintritt Großbritanniens in die EWG in einer für alle Beteiligten tragbaren Weise gelöst werden können. Er fordert die Bundesregierung auf, Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962 1789 alles in ihren Kräften stehende zu tun, um dieses Ziel zu erreichen. Die politische Mitwirkung Großbritanniens bei der Schaffung eines geeinten und weltoffenen Europas wird vom Bundestag sehr begrüßt. 3. Der Bundestag hält es für erforderlich, daß nach dem Eintritt Großbritanniens in die EWG von ihren Gremien das Gespräch mit den Vereinigten Staaten über die von Präsident Kennedy vorgeschlagene atlantische Partnerschaft und Interdependenz aufgenommen wird. 4. Der Fortschritt der Menschheit, von der ein großer Teil noch von Hunger und Elend geplagt ist, hat als erste und unerläßliche Voraussetzung die Erhaltung des Weltfriedens. Der Bundestag ist der Auffassung, daß, nachdem in Westeuropa eine dauerhafte Friedensordnung gefunden worden ist, erneut versucht werden muß, auch mit Deutschlands östlichen Nachbarn zu einem wahren Frieden zu gelangen. Das Recht auf Selbstbestimmung, auf nationale Einheit und Freiheit muß dabei für das deutsche Volk ebenso respektiert werden wie für alle anderen Völker. 5. Der Bundestag erklärt seine Entschlossenheit, alles zu unterstützen und alles zu tun, um die Freiheit in Berlin zu wahren. Die Bevölkerung Westberlins darf gewiß sein, daß sie sich auf die Bundesrepublik verlassen kann. Gemeinsam mit den drei westlichen Schutzmächten und mit allen Partnern des westlichen Bündnisses wird die Freiheit in Berlin mit allen Mitteln verteidigt werden, die notwendig sind. Der Bundestag erklärt das im Bewußtsein der Verpflichtung des Grundgesetzes, sich für alle Deutschen verantwortlich zu wissen, gleichgültig in welchem Teil Deutschlands sie leben. Den Landsleuten hinter der Mauer und den Todesstreifen versichert der Bundestag, daß alle Energie eingesetzt werden wird, um endlich auch für sie Menschlichkeit und Selbstbestimmung und für das ganze deutsche Volk Einheit in Frieden und Freiheit zu verwirklichen. 6. Der Bundestag bedauert, daß die sowjetische Politik die Erreichung dieses gerechten Zieles nicht nur erschwert, sondern darüber hinaus eine Verschärfung der internationalen Lage bewirkt hat. Angesichts dieser Lage erwartet der Bundestag von der Bundesregierung, daß sie alle die Maßnahmen ergreift, die für die Sicherheit und Freiheit unseres Volkes erforderlich sind. 7. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf, mit ihren Verbündeten in Konsultationen einzutreten mit dem Ziel, seitens des Westens der Sowjetunion den Vorschlag zu machen, entsprechend der Verantwortung der Vier Mächte eine gemeinsame ständige Konferenz zur Lösung der deutschen Frage als Voraussetzung eines dauerhaften Friedens herbeizuführen. Bonn, den 12. Oktober 1962 Dr. von Brentano und Fraktion Dr. Mende und Fraktion.
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    Rede von Fritz Erler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Entschuldigen Sie, die Frage können Sie in manchen Punkten genauso gut an Herrn Bundeskanzler Dr. Adenauer richten; dann werden Sie eine reichhaltige Skala von Antworten bekommen.

    (Beifall bei der SPD. — Lachen bei der CDU. — Abg. Rasner: Sie waren schon besser!)

    — Regierungschefs haben es nicht immer leicht in
    Pressekonferenzen. Der Bundeskanzler nickt mir zu
    und hat volles Verständnis für den Regierenden Bürgermeister von Berlin. Ich danke ihm.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, wir haben dann hier eine Kontroverse gehabt, die gar nicht nötig wäre, nämlich beinahe sinngemäß in Fortführung des Gedankens, daß wir Berlin zu unserem Schicksal gemacht haben, die Anmerkungen des Herrn Bundeskanzlers zu Herrn Ollenhauers Wunsch, es sollte in der Regierungserklärung eigentlich auch ein Satz darüber gestanden haben, daß wir das Risiko mit unseren Verbündeten in der Berlin-Frage teilen.
    Inzwischen hat der Herr Bundesaußenminister noch einmal klargemacht, daß Chruschtschow wissen müsse, daß er in Berlin mit dem vollen Risiko konfrontiert sei. Dieses volle Risiko kann nicht nur ein amerikanisches Risiko sein, und deswegen ist es nicht nur, sondern auch das Risiko, daß sowjetische Einzelvorstöße — Salami-Taktik und ähnliches — in einen Konflikt hineintreiben mit der Gefahr eines Weltbrandes, mit der Gefahr eines atomaren Konflikts. Das gebe ich unbedingt zu, daß auch diese Wahrscheinlichkeit und Möglichkeit Teil der abschreckenden Wirkung der sowjetischen Politik gegenüber ist.
    Aber, meine Damen und Herren, hat uns nicht die Mauer, hat uns nicht die Zurücksendung des britischen Militärfahrzeugs in Berlin gezeigt, daß es bestimmte einzelne Aktionen gibt, bei denen die Drohung nur mit dem Einsatz von Atomwaffen unglaubwürdig ist, daß es infolgedessen durchaus sowjetische Pressions- und Einwirkungsmöglichkeiten in Berlin gibt, bei denen man imstande sein muß, sich auch auf andere Weise seiner Haut zu wehren? Dies ist ja doch u. a. Sinn all der Überlegungen, die im Verbande mit den drei Westmächten angestellt werden, um auf die Verschiedenartigkeit möglicher sowjetischer Schritte in Berlin auch auf angemessene, verschiedenartige Weise antworten zu können.
    Meine Damen und Herren, nicht wir Sozialdemokraten waren es, die im Ringen um Berlin in der deutschen Öffentlichkeit und in manchen politischen Kreisen Zweifel in die Standfestigkeit des amerikanischen Verbündeten gesät haben. Jedem, der darauf einmal in den Vereinigten Staaten von Amerika angesprochen worden ist, ist klar, daß es gerade wegen unseres Verhältnisses zu den Vereinigten Staaten durchaus richtig und notwendig war, im Zusammenhang mit der Regierungserklärung ein klärendes Wort auch über unsere eigenen Verpflichtungen auf diesem Gebiete zu sagen.
    Hier ist nun, obwohl man natürlich den amerikanischen Überlegungen Unrecht antun würde, wenn man sie auf den spezifischen Fall Berlin allein exemplifizierte, einiges über die Äußerungen meines Freundes Helmut Schmidt zu der neuen Strategie dargelegt worden, wie sie sich im Laufe von Monaten und Jahren in den Vereinigten Staaten von Amerika allmählich ausgebildet hat. Es ist die Ablösung der Strategie der massiven Vergeltung — seit Jahren im Gange — durch eine Strategie der abgestuften Abschreckung. Hier ist gesagt worden,



    Erler
    das sei drüben gar nichts Neues. Ich habe vor mir den „Amerika-Dienst" vom 25. Juni dieses Jahres; da wird über neue Konzeptionen des strategischen Denkens berichtet. Ich gebe zu, so schrecklich neu sind sie nicht, weil sie zu einem großen Teil — entgegen einem weitverbreiteten Gerücht in unserem Land — mitentwickelt worden sind vom bisherigen Oberbefehlshaber auf dem europäischen Schauplatz, General Norstad. Manches, was bei öffentlicher Erörterung daran mitunter schief wirken kann — die Gedanken von Pause, Schwelle und Ähnlichem —, findet sich in Äußerungen von Norstad, die ich hier vor mir habe, vom 11. April 1961, 2. März 1960. Manches andere, was über die Notwendigkeit etwa einer politischen Kontrolle, insbesondere des Kernwaffeneinsatzes — damit dort keine Selbstzündung stattfindet —, vom amerikanischen Präsidenten und seinen Beratern entwikkelt worden ist, findet sich auch schon andeutungsweise bei Norstad oder etwa — im November 1961 — beim Generalsekretär der NATO, Herrn Stikker.
    Deshalb war es wirklich für die Beziehungen zu unserem großen Verbündeten nicht gerade gut, daß alle jene Überlegungen, von denen .ich hier soeben gesprochen habe, in dem berühmten Aufsatz nach einem Hin und Her von Pressemeldung, Dementi und erneuter Meldung des Oberst Schmückle, der nun — ja, nein, ja, doch — nächstes Jahr vielleicht in die Vereinigten Staaten entsandt werden soll, abqualifiziert worden sind mit dem Satz: „Sie jonglieren in der Öffentlichkeit mit Begriffen wie ... „Pause" und „Schwelle" und zerreden damit die Abschreckung solange, bis sie einer Null ziemlich ähnlich sieht."
    An einer anderen Stelle heißt es:
    Unterstützt werden diese Philosophen von Militärs, die die Aufgabe der Heere im Atomzeitalter mit aller Gewalt nicht begreifen können ...
    Dort wird also gegen diese Überlegungen sehr heftig polemisiert. Ich bringe das nur in Erinnerung, damit wir sehen, daß es nichtgerade die Sozialdemokraten gewesen sind, die hier Zweifel in die Glaubwürdigkeit der amerikanischen Entschlossenheit, ihre Kraft auch für Europa einzusetzen, gesät haben. In dieser Diskussion über die neue Strategie, die dann von einigen Militär-Kommentatoren fortgeführt worden ist mit dem Drängen: da man sich auf die Amerikaner nicht mehr fest verlassen könne, müßten eben die Europäer eine eigene Abschreckungsmacht haben. Da kam es dann zu dem großartigen Kurzschluß einer deutschen Zeitung, wo ganz simpel zu lesen war — schön belehrend —: Die atomaren Sprengköpfe in deutschen Händen schrecken ab, und in amerikanischen nicht oder nicht immer.
    Ich rufe das einfach nur in Erinnerung zurück, damit wir, verehrter Herr Kollege zu Guttenberg, uns klar darüber werden, daß es wirklich nicht gut wäre, jetzt bei dieser Diskussion ausgerechnet in der Position des Praeceptor Germaniae — jetzt möchte ich es einmal umdrehen — Helmut Schmidt, der auf dem Gebiet einer der wenigen ist, die sich reiflich Gedanken machen und ein ziemliches Ansehen damit erworben haben, so zu trätieren, wie Sie es beliebten.
    Rasch noch zu zwei Punkten, die hier in der Debatte eine Rolle gespielt haben und wohl doch noch ein Wort zum Schluß verdienen.
    Einmal: der Herr Bundeskanzler hat, wie ich glaube, meinen Freund Herbert Wehner völlig mißverstanden, wenn er in seine Ausführungen hineingelesen haben sollte, daß Herbert Wehner der Bundesregierung ein Streben nach einem deutsch-französischen Übergewicht unterschiebe. Im Gegenteil. Wenn Sie das Protokoll nachlesen, werden Sie feststellen, daß er ausdrücklich bekundet hat, daß es ein solches Streben nach einem deutschfranzösischen Übergewicht nicht gebe und daß es unsere gemeinsame Aufgabe sei, auch wegen des Verhältnisses zu den anderen Partnern innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den Hinzukommenden, diese irrigen Vorstellungen gar nicht erst aufkommen zu lassen, mit vereinten Kräften. Er hat also hier der Bundesregierung keinen Tadel erteilt, sondern im Gegenteil, wenn sie sich in dieser Richtung bemüht, unsere Unterstützung dabei angeboten.
    Lassen Sie mich aber noch einen Satz zum deutsch-französischen und zum deutsch-britischen Verhältnis sagen. Ich bin in meiner Jugend in einer politischen Umgebung aufgewachsen, in der es selbstverständlich war, daß die Aussöhnung zwischen dem deutschen und dem französischen Volk endlich einmal geschaffen werden müßte, um die Zeit der deutsch-französischen bewaffneten Auseinandersetzungen ein für allemal in die Vergangenheit zu verbannen. Leider haben sich die Bemühungen derer, die damals so dachten — wir in der Sozialdemokratischen Partei und in der sozialistischen Jugendbewegung —, nicht durchgesetzt. Leider sind wir noch einmal durch ein Meer von Blut gewatet. Daraus haben wir hoffentlich für alle Zeiten gelernt. So stehen wir nicht an, den herzlichen Empfang, den der französische Staatspräsident de Gaulle in unserem Volke gefunden hat, zu begrüßen als ein Zeichen des deutschen Volkes, daß es mit allen Kräften dafür wirken will, daß die gemeinsame deutsch-französische Zukunft nicht mehr angetastet werden kann.

    (Allseitiger Beifall.)

    Aber lassen Sie mich eines hinzufügen. Wir, die wir wissen, was deutsch-französische Zerwürfnisse an Blut gekostet haben, was sie überhaupt Europa in seiner Stellung in der Welt gekostet haben, wir wissen auch, was Entfremdung zwischen Deutschland und Britannien uns und Europa gekostet hat. Deswegen sind wir uns bei voller Bejahung der deutsch-französischen Zusammenarbeit, des engen Zusammenrückens, des Lebens in einer Familie doch wohl einig darüber, daß das kein Ausschließlichkeitsbund ist, sondern daß wir bei engster Bewahrung der deutsch-französischen Freundschaft diese beiden Völker als gleiche und nicht als Sonderbündler in die größere Gemeinschaft der freien Völker Europas hineinbringen sollten.

    (Beifall bei der SPD.)




    Erler
    Deswegen hat es mir etwas leid getan, daß die Verhandlungen mit Großbritannien, wo es sicher auch um harte materielle Interessen geht, so etwas abschätzig mit dem Begriff „Feilschen" bezeichnet worden sind. Ich bin nicht dafür, daß man bei schwierigen wirtschaftlichen und politischen Verhandlungen die Interessen des eigenen Volkes den Interessen anderer Völker unterordnet. Wir sind uns alle darüber einig, daß man versuchen muß, die Interessen des eigenen Volkes in das Gesamtinteresse der werdenden Gemeinschaft richtig einzubauen. Aber dann muß man auch ein Stück. dieses Gemeinschaftsgeistes dazu mitbringen, wenn es darum geht, die Gemeinschaft nicht nur zu gründen, sondern sie zu vergrößern. Wenn wir unter rein kommerziellen Gesichtspunkten und gewissermaßen feilschend die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gegründet und nicht den politischen Willen dahintergestellt hätten, auch die ökonomischen Schwierigkeiten zu überwinden, wäre die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft nie eine Realität geworden.

    (Beifall bei der SPD.)

    Deshalb sollte sich der Bundestag einig sein, daß wir trotz mancher kühler Erklärungen, die wir möglichst rasch vergessen sollten, mit dem gleichen Geiste des politischen Willens und des Verständnisses für die Sorgen und Probleme anderer, von denen wir ja auch verlangen, daß sie Verständnis für unsere Sorgen und Probleme haben, für die Vergrößerung der Gemeinschaft um Großbritannien und jene demokratischen Länder Europas eintreten sollten, die sich um die Mitgliedschaft bzw., in lockererer Form, um die Assoziierung bemüht haben.
    Ich komme zum Schluß. Wir vermissen in den Stellungnahmen der Sprecher der Regierungsparteien ein Eingehen auf die von uns gegebenen konkreten Anregungen. Ich habe erfahren, daß anscheinend eine Entschließung, deren vervielfältigter Text mir noch nicht vorliegt, in diesem Hause von den Vertretern der Koalitionsparteien vorbereitet worden ist. Wir sind, als wir an die Vorbereitung der Debatte gingen, dahin unterrichtet worden, daß es um eine Aussprache gehe, die nicht das Ziel habe, bestimmte Positionen, auf Papier geronnen, davonzutragen. Wenn man es anders gewollt hätte, wären wir selbstverständlich zu einer Beratung eines Textes, den wir mit verantworten können, bereit gewesen. Ich kann mich zu einem noch nicht verbreiteten Text hier nicht äußern. Ich meine nur; ein gutes Verfahren ist es nicht, hier plötzlich einen Text vorzulegen, der wirklich nicht ernsthaft mit allen beraten werden konnte, die ihn zu verantworten haben.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Ich werde mich deswegen jetzt nicht zu der Entschließung äußern; dazu müssen wir sie erst einmal kennenlernen. Aber ich meine, daß — unbeschadet ihres Textes — Sie bei Durchsicht unserer Vorstellungen hoffentlich noch einmal darauf zurückkommen werden — auch der Herr Außenminister —, daß es bei uns einer Form bedarf, in der gemeinsame Verantwortung durch gemeinsame Beratung so geschaffen werden kann, daß es für politisches Handeln und nicht nur für politische Deklamationen eine
    möglichst breite Grundlage in diesem Hause gibt.

    (Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Gradl.

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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nie eine angenehme Aufgabe, in der Mittagsstunde sozusagen ein Schlußlicht der Debatte zu sein.

    (Abg. Wehner: Woher wissen Sie?)

    — Na, es scheint nach der Rednerliste so, Herr Wehner. — Ich will mich aber bemühen, Ihre Geduld nicht zu lange zu strapazieren. Ich hätte es vielleicht überhaupt nicht zu tun brauchen, wenn es nicht in jüngster Zeit in der Öffentlichkeit, nicht nur in der deutschen, einige Kontroversen gegeben hätte, die es notwendig machen, daß dazu hier ein klärendes Wort von unserer Seite gesagt wird.
    Herr Kollege Erler hat einen Teil seiner Ausführungen benutzt, um, wie er sich ausdrückte, Mißverständnisse zu beseitigen und Kontroversen auszuräumen. Nun, ich werde dasselbe versuchen mit Kontroversen, die nicht wir verursacht haben, und ich hoffe, daß wir dann am Schluß so weit einig sind, daß man über diese Dinge jedenfalls in Zukunft nicht wieder kontrovers zu werden braucht. Ich möchte betonen: wir werden diese Klarstellung nicht polemisch vornehmen. Ich werde nicht polemisieren. Ich weiß wie Sie, daß die Parole für Berlin heißt: Nicht auseinander, sondern zueinander! Aber die Klarstellungen sind notwendig, weil die Diskussion — die nach unserer Auffassung unnötige Diskussion — ja nicht einmal nur auf die deutsche Presse beschränkt worden ist, sondern auf die internationale Presse übergegriffen hat; und wenn man jetzt sieht, welche Fülle von Gedanken — oder besser sagt man vielleicht: Gedankensplitter — über mögliche Konstruktionen für • die Regelung der Berlin-Frage über uns ausgeschüttet werden, dann ist das auch ein Grund, vielleicht den einen oder anderen Punkt klar darzustellen.
    Lassen Sie micht aber noch ein oder zwei Dinge kurz vorausschicken. Es könnte — und das wäre gefährlich — insbesondere jenseits des Brandenburger Tors aus der Buntheit und der Widersprüchlichkeit dieser Diskussionen in unserem Lande, die nichts anderes ist als die Folge der Meinungs- und Pressefreiheit, ein falscher Eindruck entstehen, der Eindruck nämlich, als ob bei uns nicht mehr diese harte und gemeinsame Entschlossenheit in und für Berlin bestände, die tatsächlich vorhanden ist. Deswegen schicke ich voraus — und das bezieht sich nicht nur auf diese Debatte, und es richtet sich nicht an jemanden hier in diesem Hause, sondern an die jenseits des Brandenburger Tores insbesondere —: sie sollen sich bei aller Buntheit und Widersprüchlichkeit unserer Diskussionen niemals dem Trugschluß hingeben, daß nicht alle politischen Kräfte hier im Hause, drüben in Berlin, überhaupt in unserem Lande in der Entschlossenheit eins wären und eins blieben, Berlin als Ort der Freiheit und als



    Dr. Gradl
    Ausgangspunkt für die Wiederherstellung der deutschen Einheit zu bewahren.
    Gerade weil ich — ohne zu polemisieren — auch die eine oder andere Bemerkung in bezug auf Äußerungen des Regierenden Bürgermeisters machen werde, lassen Sie mich das noch sagen: die politische Arbeit ist für die Verantwortlichen in Berlin schwer, sehr schwer. Sie ist schwer für alle Verantwortlichen, für Herrn Brandt, für Herrn Amrehn oder wer sonst dort steht, gleichgültig ob er Ihrer Partei, der SPD, oder unserer Partei, der CDU, angehört, und beide Parteien tragen politisch die Stadt. Deshalb sage ich hier für meine Freunde: wir werden alles tun, was möglich und sinnvoll ist, um allen Verantwortlichen in Berlin jetzt und in Zukunft ihre Bürde zu erleichtern. Keiner von uns weiß, wie schwer die Zukunft wird. Wir wissen zwar, wie sie werden könnte, wir wissen aber nicht, wie sie wird. Aber wie auch immer sie werden mag, die Verantwortlichen in Berlin sollen wissen — und meine Freunde sagen ihnen das über alle Kontroversen hinweg —: wir werden ihnen helfen, so gut wir können, in Berlin ihre schwere Bürde zu tragen.
    Aber nun die Kontroversen! Niemand kann der Presse oder dem Funk verwehren, Fragen zu stellen und zu erörtern. Aber es muß nicht sein. Es mußte bestimmt nicht immer sein, daß durch bestimmte, oder man müßte fast sagen: mehr durch unbestimmte Äußerungen des Regierenden Bürgermeisters auch solche Fragen in streithafte Erörterungen gekommen sind, über die nicht gestritten zu werden brauchte. Dazu werde ich namens meiner Freunde jetzt einige Feststellungen treffen, unseren Standpunkt positiv, nicht polemisch formulieren, und ich werde mich, der Stunde folgend, auf einige, wie mir scheint, wichtige Punkte dabei konzentrieren.
    Der Viermächtestatus ist nach unserer Auffassung nach wie vor ein Fundament der westlichen Position in Berlin. Dieser Status legitimiert völkerrechtlich nicht nur die Anwesenheit der Westmächte in Berlin, sondern er legitimiert völkerrechtlich auch den Anspruch auf freien Zugang von und nach Berlin durch die sowjetische Besatzungszone. Das ist für die Auseinandersetzung in der kommenden Zeit vor der internationalen Politik und Öffentlichkeit von eminenter Bedeutung. So meinen wir: solange nicht eine bessere Lösung gefunden ist und, was nicht weniger wichtig ist, solange ihre Realisierung nicht gesichert ist, ist es falsch, auch nur mit Worten den Viermächtestatus in seiner Bedeutung in Frage zu stellen. Die einzigen, die ein Interesse daran haben, den Viermächtestatus als zerstört, als ganz überholtes Paragraphenwerk, als unwirklich und als aufgelöst darzustellen, sind Moskau und Pankow. Diesen Gefallen sollen und wollen wir ihnen wenigstens in Zukunft nicht mehr durch abwertende oder problematische Erörterungen tun oder tun lassen.
    Das andere, was auch in die Diskussion gekommen ist: es war nie zweifelhaft, daß — so wie die Dinge sich durch die sowjetischen Rechtsbrüche und durch die einseitigen Akte entwickelt haben — die Verantwortung auch für Westberlin bei den drei Westmächten konzentriert ist. Die praktische Folge
    daraus ist, daß der Sowjetunion nicht ein Hauch mehr Zuständigkeit in Westberlin zukommen darf, als sie umgekehrt den Westmächten im Ostsektor Berlins einräumt.

    (Zustimmung.)

    So selbstverständlich aber dieses Prinzip klingt und so selbstverständlich es ist, so wissen wir doch, daß es aus der Vergangenheit, aus dem alliierten Vertrauen der ersten Nachkriegsjahre einige in dieser Hinsicht kritische Punkte in Westberlin gibt; das Stichwort „S-Bahn" wird als Andeutung genügen. Das sind Dinge, deren öffentliche Erörterung im einzelnen unzweckmäßig ist. Aber das wollen wir sagen: meine Freunde haben Verständnis für die Bemühungen des Senats und bejahen sie, in allen Dingen mit den drei Westmächten zu einer Regelung zu kommen, die dem erwähnten Prinzip — nicht mehr hier als umgekehrt drüben — und der Sicherheit innerhalb Westberlins genügt.
    Lassen Sie mich auch noch folgendes sagen. Zwar sind die Berliner nicht mit jeder Reaktion der westlichen Schutzmächte auf östliche Aktionen zufrieden. Manchmal sind sie nicht zufrieden mit dem Tempo der Reaktion, manchmal nicht mit der Art, und es wäre sicher gut, wenn die drei Mächte den praktischen Vollzug ihrer Zuständigkeit in Berlin noch enger und straffer gestalten könnten. Aber diese und andere Wünsche können nicht jene große Tatsache schmälern, daß die Berliner auf die drei Schutzmächte voll vertrauen und daß sie sich darauf verlassen, daß das Notwendige in der rechten Weise geschieht, wenn es wirklich ernst darauf ankommt. Es ist menschlich hitter, Tag für Tag unmittelbarer Zeuge der Brutalität der Mauer und des Schießbefehls sein zu müssen. Es hat in der Stadt das eine oder andere Mal — auch diesseits der Mauer —kritische Momente gegeben. Die Berliner müßten ja wie die Mauer aus Stein sein, wenn sie nicht zuweilen Zorn überkäme. Sie wollen auch nicht die Welt draußen und die Landsleute auf der anderen Seite auf den Gedanken kommen lassen, vor der Mauer werde resigniert. Aber wer das Denken der Berliner kennt —.und ich glaube, in diesem Punkte wird mir jeder Berliner Kollege hier in diesem Hause zustimmen —, der weiß trotz mancher leichter und verständlicher Kritik: in den Berlinern ist nicht nur vom Verstand, sondern auch vom Herzen her ein tiefes Gefühl des Dankes lebendig, des Dankes und der Verbundenheit zu den drei Schutzmächten und insbesondere auch zu ihren ,Soldaten in Westberlin.
    Heute vormittag hat dieses Thema, das ich jetzt nur kurz 'berühre, verschiedentlich eine Rolle gespielt. Unbeschadet der Tatsache, daß die drei Westmächte die Verantwortung 'für Westberlin in der vordersten Linie tragen, ist und bleibt Berlin im entschiedensten Sinne des Wortes eine ,Sache der Bundesrepublik. Das ist — ich weiß nicht, wer darauf hingewiesen hat, ich unterstreiche es — im übrigen, wenn es nichts anderes gäbe, schon eine Verpflichtung, die das Grundgesetz uns auferlegt.
    Ein Ausdruck dieser natürlichen deutschen Verpflichtung für Berlin ist z. B. die umfangreiche finanzielle und wirtschaftliche Hilfe. Herr Kollege Ollen-



    Dr. Gradl
    hauer, genauso wie Sie gestern, sage ich heute für meine Freunde: wir haben es nicht anderes erwartet, aber wir stellen doch mit Dank und Genugtuung fest, daß nach den Worten des Bundeskanzlers die Aufwendungen für Berlin durch die Enge und die Anspannung des Haushalts nicht beeinträchtigt werden.
    Aber die Bundesregierung trägt für Berlin die politische und zumal auch die außenpolitische Verantwortung. Das, so meinen wir, muß auch in Berlin immer wieder bedacht werden. Es ist nicht gut, wenn — wie in allerjüngster Zeit — der 'Eindruck entsteht, als ob es von Berlin aus zwei außenpolitische Geleise in die Welt gebe: ein direktes, sozusagen eigenständiges, und ein indirektes über Bonn. Damit kein Mißverständnis entsteht: damit ist nichts gesagt gegen politische Gespräche des Regierenden Bürgermeisters und anderer verantwortlicher Männer in der Welt draußen mit Staatsmännern und Politikern, wie sie es wollen. Aber was wir meinen, ist:

    (Zuruf des Abg. Wehner)

    — Herr Wehner, Sie hören es gleich — wenn dabei ernste und umfassende Fragen, vielleicht sogar unter neuen Perspektiven aufkommen, dann sollte darüber insoweit vor der Öffentlichkeit zumindest nicht vor, sondern nach dem Meinungsaustausch mit der Bundesregierung gesprochen werden. Das ist gemeint, Herr Wehner.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Es sollte — das gilt für beide Seiten, für Berlin und Bonn — immer versucht werden, in stiller Arbeit ein Höchstmaß an Übereinstimmung herbeizuführen.
    Nun eine Bemerkung zu Ihnen, Herr Kollege Erler. Sie haben beklagt, 'daß wir zu einigen Anregungen, Vorschlägen, die von Ihrer Seite gemacht worden sind, uns hier nicht oder ungenügend geäußert haben. Eine darf ich jetzt noch einmal aufgreifen. Ich denke, Herr Ollenhauer, .an Ihre gestrige Anregung, einen ständigen Kreis für Berlinfragen aus Vertretern der Bundesregierung, des Senats und der Fraktionen zu schaffen. Der Herr Außenminister hat dazu schon Kritisches gesagt. Ich glaube mit ihm, daß es für eine solche Erörterung einer neuen festgefugten Institution nicht bedarf. Im Grunde haben wir für diese Fühlungnahmen bereits Institutionen genug. Aber richtig scheint mir und meinen Freunden an 'dem, was Ihnen vorschwebt, dieses: daß insbesondere die beiden zuständigen Ausschüsse des Hohen Hauses, der Auswärtige Ausschuß und der Gesamtdeutsche Ausschuß, für den intensiven Gedankenaustausch über diese schwierigen Fragen, an die Sie denken und die zweifellos sehr wichtig und schwierig sind, bei voller Besetzung des Ausschusses etwas, sagen wir, unhandlich sind. So sollten wir — meine Freunde sind dazu bereit — es so versuchen

    (Abg. Wehner: „Sollten wir"!)

    — ja, Herr Wehner, „sollten wir" sage ich, denn wir brauchen auch Ihre Zustimmung dazu —, daß die Vorsitzenden der beiden Ausschüsse im Benehmen mit Regierung und Senat von Fall zu Fall Aussprachen in einem zu vereinbarenden kleineren
    Kreise herbeiführen. Dort könnte man, was vielleicht im Augenblick 'das Wichtigste ist, aus der Fülle der Gedanken und Vorschläge — guten oder schlechten — in bezug auf Berlin jenen Meinungsaustausch herbeiführen, in dem Pro und Kontra ,gegenübergestellt, die Auffassungen dazu gesagt und abgestimmt wenden, so daß vielleicht eine gemeinsame Auffassung vertreten wind, die wir dann alle in der rechten Weise — ich greife auf, was Herr Erler vorhin gesagt hat —, jeder auf seinen Wegen, draußen gegenüber all den Undurchsichtigkeiten, die über diesen Dingen liegen, vertreten können. Das wäre ein Versuch, Iden wir machen können. Man sollte sehen, welche Erfahrungen damit gesammelt werden. Wir hatten es in .der Vergangenheit, wie Sie wissen, gelegentlich so gemacht, und es hat sich eigentlich nicht schlecht rentiert.
    Nun noch etwas zu den Einzelfragen! Das Thema: Volksabstimmung in Westberlin ist erörtert worden. Ich möchte dazu unseren Standpunkt vortragen. Zweifellos ist die Volksabstimmung eines der brauchbaren Mittel, durch die der Wille der Bevölkerung in besonders eindringlicher Weise kundgetan werden kann, wenn .das sein muß zur Unterstützung des westlichen oder zur Abwehr des östlichen Standpunktes oder in beider Richtung. Es sind durchaus Situationen denkbar, in denen das sehr zweckmäßig und sogar sehr dringlich sein kann. Darüber gab es bisher keine Meinungsverschiedenheiten. Meinungsverschiedenheiten sollten aber auch nicht darüber bestehen, daß man Volksabstimmungen nicht beliebig wiederholen kann. Der Wert dieses Instruments für Westberlin liegt in seiner Außerordentlichkeit d. h. praktisch in seiner Einmaligkeit. Vielleicht muß es einmal ganz plötzlich eingesetzt werden, und wenn ich mich nicht irre — ich glaube das zu wissen —, ist man in Berlin darauf technisch auch vorbereitet. Aber Zeitpunkt, Anlaß und Fragestellung einer solchen Volksabstimmung sollten Sache der innersten Entscheidung der Verantwortlichen bleiben und nicht vorzeitig zur öffentlichen Erörterung kommen; denn sonst wind dieses Instrument unter Umständen noch abgewertet.
    Eine andere und letzte Einzelfrage; sie kurz anzusprechen ist durch die Diskussion in der letzten Zeit notwendig geworden. Es handelt sich um die Frage der Fühlungnahmen mit Dienststellen jenseits des Brandenburger Tores. Solche technischen Kontakte gibt es seit langem, auch wegen des Interzonenhandels und anderer Fragen des Verkehrs. Wir haben nichts gegen Kontakte in der bisherigen Weise, soweit sie einen praktischen Wert haben oder versprechen. Natürlich haben wir auch nichts gegen humanitäre Kontakte etwa auf der Ebene des Roten Kreuzes. Wir werden immer bemüht und behilflich sein, etwas Menschlichkeit an die Mauer zu bringen, obwohl das fast paradox klingt, und die schreckliche Trennung durch die Mauer und den Todesstreifen zu mildern und zu tun, was sonst möglich ist. Eines nur — auch das möchte ich für meine Freunde mit aller Entschiedenheit sagen — wird nicht geschehen: Wir werden uns durch das Zonenregime nicht zu seiner Anerkennung als zweiten deutschen Staat erpressen lassen.



    Dr. Gradl
    Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich eine allgemeine Bemerkung machen und dann vielleicht noch auf zwei, drei Punkte eingehen, die Herr Kollege Erler erwähnt hat.
    Wir sind uns darüber im klaren — wir genauso wie Sie —, daß die Auseinandersetzung mit der Sowetunion um Berlin nicht nur in bezug auf Berlin selbst und nicht nur auf dem engen Felde Berlin geführt werden kann. Notwendig ist — und da werden wir uns alle gemeinsam anzustrengen haben —, daneben und darüber hinaus eine breite politische und moralische Offensive gegen die Ausgangsstellung der Sowjetunion zu führen. Ich glaube, Herr Kollege Wehner hat davon vorhin gesprochen: Frieden, Friedensvertrag, Friedenskonferenz, Liquidation des zweiten Weltkrieges und all das. Das sind die Parolen von drüben, mit denen die aggressiven Absichten getarnt werden. Sie haben recht, Herr Wehner, und wir stimmen Ihnen in diesem Punkte zu: das Friedensmotiv mit all seinen Variationen, so wie es insbesondere auch aus den Hetzsendungen und den Hetzschriften Moskaus zu uns herüberkommt, dürfen wir ihnen nicht überlassen. Wir wissen, der wirkliche Friede wäre längst möglich, wenn die Sowjetunion auf der Basis des Selbstbestimmungsrechts eine Verständigung mit den Westmächten und dem deutschen Volk suchte. Darauf ist sie seit 1945, seit der Mitübernahme der Verantwortung für Deutschland als Ganzes, verpflichtet, und darauf hat sie sich 1955 auf der Gipfelkonferenz in Genf durch ihre Unterschrift noch einmal verpflichtet. Auf diese Verpflichtung und auf das Selbstbestimmungsrecht muß sie immer wieder und jetzt erneut aufmerksam gemacht werden. Das, Herr Erler, so meinen wir, gehört dazu, um es nicht nur den anderen zu überlassen, auf eine Veränderung, d. h. für uns Verschlechterung des Status quo hinzuarbeiten, sondern um ihnen entgegenzutreten und von unserer Seite aus den Status quo in unserem Sinne zu verändern. Wenn wir von der anderen Seite hundertmal ein Nein, hundertmal eine Ablehnung hören, dann macht das unser Recht nicht schlecht und macht unsere Begründungen nicht schlecht, dann werden wir sie zum hundertundeinten Mal wieder vor diese Frage stellen müssen: Wie haltet ihr es mit der Verantwortung, die ihr von der ganzen Welt übernommen habt, und wie haltet ihr es mit der Selbstbestimmung und den Grundrechten für die Deutschen?

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Auf dieser Basis, so meinen wir — das werden Sie in dem Entschließungsantrag gefunden haben—, soll die Sowjetunion aufgefordert werden, in einer ständigen Vier-Mächte-Beratung gemeinsam die Voraussetzung für eine politsche und militärische Entspannung und damit für eine Friedensordnung zu schaffen, der alle zustimmen können, auch das deutsche Volk.
    Zu dieser Offensive gehört natürlich auch, daß wir vor der Welt immer wieder die politische Unmoral darstellen, die sich in Berlin an der Mauer und quer durch Deutschland an den Todesstreifen tagtäglich präsentiert. Wenn es für manche Leute langweilig ist, immer wieder das Wort von der
    Mauer und dem Todesstreifen hören und lesen zu müssen, soll uns das nicht irre machen darin, immer wieder darauf hinzuweisen. Schon allein unseren Landsleuten in der Zone mit ihrem lautlosen, zähen Widerstehen sind wir es schuldig, immer wieder auf diese Dinge hinzuweisen.
    Ich weiß, daß man sagt: Dann kommt die Gegenseite schnell mit dem Vorwurf des Kalten Krieges. Kalter Krieg ist nicht die Anprangerung der Untaten, Kalter Krieg sind die Untaten selber. Der begeht ihn, der die Untaten begeht, nicht wir.
    Dieses Hohes Haus hat Ende der vorigen Legislaturperiode einmütig eine Entschließung gefaßt, in der es seinen Wunsch nach guter nachbarlicher Beziehung auch zum Osten Europas ausgesprochen hat. Das ist nach wie vor unser Wunsch. Wir wollen auch mit der Sowjetunion ein gedeihliches, ein gutes Verhältnis. Was steht dem denn im Wege? Nichts steht im Wege als jenes Regime, das es in 17 Jahren nicht fertigbekommen hat, die Menschen für sich zu überzeugen. 17 Jahre lang hat die Sowjetunion diesem Regime ihren Schutz, ihre Macht, ihr Prestige geliehen. Und was ist das Ergebnis? Das bankrotteste Regime dieser Jahre, ein Regime, das am Ende Mauern bauen mußte, um das Volk am Davonlaufen zu hindern. Das sollte man sich im Kreml vor Augen halten und sich dann fragen, ob es nicht auch vom sowjetischen Standpunkt aus besser wäre, den Weg der Menschlichkeit und der Selbstbestimmung auch für den von ihr besetzten Teil Deutschlands zu gehen.
    In diesem Sinne mache ich mir das kühne Wort des Bundeskanzlers zu eigen, daß die Bundesregierung bereit ist — und ich füge hinzu: daß sicher wir alle und all unsere westlichen Freunde bereit sind —, über vieles mit sich reden zu lassen. Herr Kollege Wehner, Sie haben heute morgen gesagt — ich gebe es in meinen Worten, aber doch wohl dem Sinne nach richtig wieder —, dieses Wort „über vieles mit uns reden lassen" könne ungute Gedanken aufkommen lassen. Man könnte natürlich auf den Gedanken kommen, zu fragen: Worüber denn laßt ihr mit euch reden? Natürlich werden diese Fragen kommen. Aber hier möchte ich unterstreichen, was der Herr Außenminister gesagt hat: In dieser Phase, in der die Gegenseite nicht eine Spur von Bereitschaft erkennen läßt, daß sie zumindest zu vernünftigen Verhandlungen und Entwicklungen bereit ist, kann man von uns aus nicht mehr tun, als die Bereitschaft zu zeigen, und die Bereitschaft liegt in diesen Worten: die Bereitschaft, vernünftig zu sein und einsichtig zu sein, wenn die andere Seite auch einmal vernünftig und einsichtig wird. Wenn man am Tisch sitzt, dann kann man Konzessionen gegen Konzessionen aushandeln. Sie vorher zu nennen, das wäre eine schlechte Sache. Das wird draußen nicht immer verstanden.
    Ich glaube aber, über dieses Wort, das der Herr Bundeskanzler gesprochen hat, kann man in der Phase, in der wir heute stehen, nicht hinausgehen. Der Phantasie sind natürlich keine Grenzen gesetzt, und damit sie angeregt wird, will ich zum Schluß ein Beispiel nennen.



    Dr. Gradl
    Heute vormittag ist hier das Memorandum, die Antwort der Bundesregierung an Moskau vom Februar dieses Jahres zitiert worden. Wir alle waren der Meinung, das war eine gute Antwort. Nun, diesem Memorandum ging ja ein Memorandum der Sowjetunion voraus. In diesem Memorandum der Sowjetunion vom Dezember vorigen Jahres war sehr viel die Rede von wirtschaftlichen Dingen. Meine Damen und Herren, überlegen wir einen Augenblick, wie es in der Welt aussähe — sagen Sie nicht, ich sei ein Träumer; Politiker müssen manchmal auch phantasieren —, wenn die Sowjetunion hier ja sagen würde zu einer echten Entspannung, wenn sie ja sagen würde zu einer Lösung der deutschen Frage, die für uns erträglich ist, auf der Basis des Selbstbestimmungsrechts. Welch eine ungeheure Entspannung! Wieviel wäre dann nicht mehr notwendig, was heute an militärischer, wirtschaftlicher und auch politischer Last mitgeschleppt werden muß. Da zum Beispiel liegen Möglichkeiten, vieles zu tun und über vieles mit sich reden zu lassen. Aber das alles ist erst möglich, wenn wir durch unsere Standfestigkeit, durch unsere Selbstbehauptung und durch das Vertrauen, das wir in unsere eigene Sache demonstrieren, die Sowjetunion zu dieser Einsicht gebracht haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)