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    Deutscher Bundestag 41. Sitzung Bonn, den 12. Oktober 1962 Inhalt: Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Majonica .(CDU/CSU) . . . . . 1747 A Wehner (SPD) . . . . 1751 A, 1784 B Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 1759 D Döring (Düsseldorf) (FDP) . . . . 1761 B Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) 1763 D Dr. Schröder, Bundesminister . . 1770 A Erler (SPD) 1773 B Dr. Gradl (CDU/CSU) 1780 C Wacher (CDU/CSU) 1784 B Zur GO Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . . 1786 C Antrag der Fraktion der SPD betr. Überbrückungszulage für die Beamten und Versorgungsempfänger des Bundes (Drucksache IV/509) 1786 C Nächste Sitzung 1786 D Anlagen 1787 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962 1747 41. Sitzung Bonn, den 12. Oktober 1962 Stenographischer Bericht Beginn: 9.02 Uhr
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    *) Siehe Anlage 2 Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Frau Albertz 3. 11. Arndgen 12. 10. Dr. Arndt (Berlin) 12. 10. Dr. Aschoff 12. 10. Dr. Atzenroth 12. 10. Bading 12. 10. Baier (Mosbach) 12. 10. Bauer (Wasserburg) 26. 10. Bausch 20. 10. Benda 12. 10. Biermann 12. 10. Dr. Birrenbach 16. 10. Dr. h. c. Brauer 12. 10. Brese 12. 10. Burckardt 12. 10. Dr. Burgbacher 12. 10. Dr. Czaja 12. 10. Dopatka 12. 10. Engelbrecht-Greve 12. 10. Figgen 13. 10. Frau Dr. Flitz (Wilhelmshaven) 12. 10. Dr. Frey (Bonn) 12. 10. Dr. Dr. h. c. Friedensburg 28. 11. Geiger 12. 10. Gerns 12. 10. Gewandt 12. 10. Dr. Gleissner 12. 10. Dr. Götz 12. 10. Günther 12. 10. Dr. Hamm (Kaiserslautern) 12. 10. Dr. Harm (Hamburg) 1. 11. Harnischfeger 12. 10. Heiland 12. 10. Dr. Dr. Heinemann 12. 10. Hellenbrock 12. 10. Dr. Hesberg 12. 10. Hirsch 12. 10. Jacobi (Köln) 12. 10. Jacobs 12. 10. Junghans 12. 10. Dr. Jungmann 12. 10. Killat 12. 10. Dr. Kliesing (Honnef) 12. 10. Dr. Koch 12. 10. Kraus 12. 10. Dr. Kreyssig 12. 10. Kriedemann 12. 10. Freiherr von Kühlmann-Stumm 12. 10. Kühn (Bonn) 31. 12. Kuntscher 31. 10. Kurlbaum 12. 10. Lange (Essen) 12. 10. Leber 20. 10. Lenz (Bremerhaven) 12. 10. Lenze (Attendorn) 12. 10. Dr. Löbe 12. 10. Dr. Lähr 12. 10. Lünenstraß 12. 10. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Mälzig 12. 10. Frau Dr. Maxsein 12. 10. Dr. h. C. Menne (Frankfurt) 12. 10. Metzger 12. 10. Michels 12. 10. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller 12. 10. Dr. Morgenstern 12. 10. Müller (Nordenham) 12. 10. Müller (Worms) 12. 10. Murr 12. 10. Oetzel 31. 10. Rademacher 31. 10. Ramms 12. 10. Sander 12. 10. Dr. Schäfer 12. 10. Spitzmüller 12. 10. Steinhoff 13. 10. Stooß 12. 10. Storch 12. 10. Striebeck 12. 10. Dr. Freiherr 12. 10. von Vittinghoff-Schell Dr. Wahl 15. 11. Walter 12. 10. Wehking 3. 11. Weigl 12. 10. Werner 12. 10. Dr. Winter 12. 10. Wittmer-Eigenbrodt 31. 10. Anlage 2 Schriftliche Erklärung des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen zu dem Antrag der SPD-Fraktion betr. Überbrückungszulage für die Beamten und Versorgungsempfänger des Bundes (Drucksache IV/509). Dreieinhalb Monate nach der Erklärung des Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, Dr. von Brentano, vom 27. 6. 1962, als die Koalitionsparteien die Beratung des SPD-Antrages auf Zahlung einer Überbrückungszulage für die Beamten und Versorgungsempfänger des Bundes im Jahre 1962 ablehnten, liegt immer noch kein entsprechender Vorschlag der Koalitionsparteien vor. Vielmehr hat die Bundesregierung mehrfach alle Vorschläge auf Zahlung einer Überbrückungszulage abgelehnt. Diese ablehnende Haltung der Bundesregierung und Untätigkeit der Koalition hat verständlicherweise bei der Beamtenschaft starke Verärgerung hervorgerufen, die in dieser Haltung berechtigterweise eine Verletzung der Fürsorgepflicht der Bundesregierung sieht. Es wäre zu bedauern, wenn durch die mangelnde Fürsorgepflicht der Bundesregierung gegenüber den Bundesbeamten eine Berufs- und Staatsverdrossenheit der Beamtenschaft einträten, deren Leistungen der Herr Bundeskanzler erst in seiner Regierungserklärung gewürdigt hat. Es kommt nun darauf an, daß nach den vielen Reden 1788 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962 und zahlreichen zustimmenden Erklärungen gegenüber der Beamtenschaft auch tatsächlich etwas geschieht. Wir glauben, hier mit Recht auf die Ausführungen eines stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU hinweisen zu müssen, der erklärt hat, daß das gute Prinzip des Maßhaltens für die Verbrämung eines schlichten Unrechts herhalten würde, wenn man einem Postschaffner oder Zollassistenten unter Hinweis auf eine sparsame Wirtschaftsführung das verweigern würde, was ein Staatssekretär in Düsseldorf bekommen habe. Die SPD-Fraktion ist der gleichen Auffassung und bittet um schnelle Beratung des Antrages im Ausschuß, damit die Beamtenschaft noch im Oktober mit einer positiven Entscheidung rechnen kann. Anlage 3 Schriftliche Antwort des Herrn Bundesministers Schwarz auf die Zusatzfrage zu der Mündlichen Anfrage des Abgeordneten Dr. Schmidt (Gellersen) (Fragestunde der 34. Sitzung vom 14. Juni 1962, Drucksache IV/453, Frage X/2: *) Die Kosten des Gesamtvergleichs lassen sich zur Zeit noch nicht genau feststellen, da es sich um den Abschluß eines Rahmenvergleichs handelt und die Gesamtsumme der einzelnen Forderungen, die sich aus den erhobenen Klagen und den fristgemäß eingelegten Widersprüchen ergeben, der Einfuhr- und Vorratsstelle noch nicht vorliegen; als letzter Anmeldetermin für die spezifizierte Einreichung der Forderungen bei der Einfuhr- und Vorratsstelle ist der 31. Dezember 1962 vereinbart worden. Eine Schätzung der Gesamtforderungen hat einen Höchstbetrag von ca. 50 Mill. DM ergeben. Bei diesen Forderungen handelt es sich, worauf ich besonders hinweisen möchte, um zuviel erhobene Abschöpfungsbeträge (so die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, insbesondere die des Bundesverwaltungsgerichts in den Jahren 1960 und 1961). Diese Beträge brauchen jedoch nach dem Vergleich nur teilweise zurückgezahlt zu werden. Ein Schaden ist deshalb dem Bund durch den Abschluß des Gesamtvergleichs nicht entstanden, zumal die Kläger auf die Zahlung von Zinsen verzichtet haben. Außerdem ist zwischen den Parteien vereinbart worden, daß von der Einfuhr- und Vorratsstelle Gerichtskosten und Anwaltskosten nur in solchen Fällen voll übernommen werden, in denen ein höchstrichterliches Urteil gegen sie ergangen ist, während in allen anderen Vergleichsfällen die Anwaltskosten von jeder Partei selbst und die Gerichtskosten von jeder Partei zur Hälfte getragen werden sollen. Unter diesen Umständen erschien der Abschluß des Gesamtvergleichs, der zwischen den beteiligten Bundesressorts eingehend vorbereitet worden ist, aus Sparsamkeitsgründen nach den Bestimmungen der Reichshaushaltsordnung geboten, und zwar im *) Siehe 34. Sitzung Seite 1430 B Hinblick auf die Einsparung von sonst wahrscheinlich erheblich höheren Bundesmitteln sowie in Anbetracht einer erheblichen Arbeitsentlastung bei der Einfuhr- und Vorratsstelle und den beteiligten Bundesressorts. Die durch die Vielzahl der Prozesse verursachte Mehrbelastung für die Beamten der Bundesressorts und die Dienstangehörigen der Einfuhr- und Vorratsstelle hätte ohne Anstellung von zusätzlichen Kräften weiterhin nicht mehr verantwortet werden können. Eine Durchschrift dieses Schreibens habe ich noch Herrn Abgeordneten Provinzialdirektor i. R. Ritzel mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt, weil auch Herr Ritzel über den Ausgang der gegen die Einfuhr- und Vorratsstelle geführten Rechtsstreitigkeiten und die damit verbundenen Kosten für den Bund unterrichtet sein wollte. Anlage 4 Umdruck 144 Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/ CSU, FDP zur Erklärung der Bundesregierung vom 9. Oktober 1962 Der Bundestag wolle beschließen: I 1. Der Deutsche Bundestag ist bereit, die in der Regierungserklärung aufgezeigten Maßnahmen zur Stabilisierung der wirtschaftlichen Verhältnisse nachhaltig zu unterstützen. Insbesondere begrüßt der Deutsche Bundestag eine sparsame Haushaltspolitik, die der Offentlichen Hand die notwendige Zurückhaltung nicht zuletzt auf dem Baumarkt auferlegt hat. 14. Der Deutsche Bundestag erwartet, daß Länder und Gemeinden sich diesen Bemühungen der Bundesregierung anschließen. 15. Der Deutsche Bundestag appelliert eindringlich an die Tarifpartner, durch eine maßvolle und der wirtschaftlichen Situation entsprechenden Haltung bei der Gestaltung von Preisen, Löhnen und Arbeitszeit die Bemühungen der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages zu unterstützen. II 1. Der Bundestag erklärt seine Befriedigung über den Verlauf der Besuche des Bundespräsidenten und des Bundeskanzlers in Frankreich sowie des Präsidenten der Französischen Republik in Deutschland. Er betrachtet die Freundschaft und enge Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland als endgültigen und unverrückbaren Bestandteil. der deutschen Außenpolitik und als wesentlichen Beitrag für ein geeintes Europa. 2. Der Bundestag ist der Überzeugung, daß die noch offenen Probleme bei den Verhandlungen über den Eintritt Großbritanniens in die EWG in einer für alle Beteiligten tragbaren Weise gelöst werden können. Er fordert die Bundesregierung auf, Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Oktober 1962 1789 alles in ihren Kräften stehende zu tun, um dieses Ziel zu erreichen. Die politische Mitwirkung Großbritanniens bei der Schaffung eines geeinten und weltoffenen Europas wird vom Bundestag sehr begrüßt. 3. Der Bundestag hält es für erforderlich, daß nach dem Eintritt Großbritanniens in die EWG von ihren Gremien das Gespräch mit den Vereinigten Staaten über die von Präsident Kennedy vorgeschlagene atlantische Partnerschaft und Interdependenz aufgenommen wird. 4. Der Fortschritt der Menschheit, von der ein großer Teil noch von Hunger und Elend geplagt ist, hat als erste und unerläßliche Voraussetzung die Erhaltung des Weltfriedens. Der Bundestag ist der Auffassung, daß, nachdem in Westeuropa eine dauerhafte Friedensordnung gefunden worden ist, erneut versucht werden muß, auch mit Deutschlands östlichen Nachbarn zu einem wahren Frieden zu gelangen. Das Recht auf Selbstbestimmung, auf nationale Einheit und Freiheit muß dabei für das deutsche Volk ebenso respektiert werden wie für alle anderen Völker. 5. Der Bundestag erklärt seine Entschlossenheit, alles zu unterstützen und alles zu tun, um die Freiheit in Berlin zu wahren. Die Bevölkerung Westberlins darf gewiß sein, daß sie sich auf die Bundesrepublik verlassen kann. Gemeinsam mit den drei westlichen Schutzmächten und mit allen Partnern des westlichen Bündnisses wird die Freiheit in Berlin mit allen Mitteln verteidigt werden, die notwendig sind. Der Bundestag erklärt das im Bewußtsein der Verpflichtung des Grundgesetzes, sich für alle Deutschen verantwortlich zu wissen, gleichgültig in welchem Teil Deutschlands sie leben. Den Landsleuten hinter der Mauer und den Todesstreifen versichert der Bundestag, daß alle Energie eingesetzt werden wird, um endlich auch für sie Menschlichkeit und Selbstbestimmung und für das ganze deutsche Volk Einheit in Frieden und Freiheit zu verwirklichen. 6. Der Bundestag bedauert, daß die sowjetische Politik die Erreichung dieses gerechten Zieles nicht nur erschwert, sondern darüber hinaus eine Verschärfung der internationalen Lage bewirkt hat. Angesichts dieser Lage erwartet der Bundestag von der Bundesregierung, daß sie alle die Maßnahmen ergreift, die für die Sicherheit und Freiheit unseres Volkes erforderlich sind. 7. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf, mit ihren Verbündeten in Konsultationen einzutreten mit dem Ziel, seitens des Westens der Sowjetunion den Vorschlag zu machen, entsprechend der Verantwortung der Vier Mächte eine gemeinsame ständige Konferenz zur Lösung der deutschen Frage als Voraussetzung eines dauerhaften Friedens herbeizuführen. Bonn, den 12. Oktober 1962 Dr. von Brentano und Fraktion Dr. Mende und Fraktion.
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    Rede von Fritz Erler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor wir uns dem heutigen außenpolitischen Abschnitt der Debatte zuwenden, möchte ich noch kurz auf die Intervention des Herrn Bundeskanzler zur Frage seines Verhältnisses zu den Gewerkschaften in unserem Lande eingehen. Er hat dargelegt, welch große Bemühungen er persönlich unternommen habe, um die Mitwirkung der Arbeitnehmerorganisationen in bestimmten entscheidenden wirtschaftspolitischen Fragen zu gewinnen. Ich bin davon überzeugt, daß es hier nicht nur eines gelegentlichen Gesprächs, sondern eines möglichst häufigen Kontaktes der großen Arbeitnehmerorganisationen mit den Führern der deutschen Politik bedarf. Aber wenn schon derartige Gespräche stattfinden, dann sollten sie auch dazu führen, daß man allgemein in unserem Lande zu einem Klima kommt, in dem — wie gestern, glaube ich, gesagt worden ist — die Gewerkschaften nicht das Gefühl haben, ständig in die Rolle des Beschuldigten gedrängt zu werden.
    Ich möchte hier einen konkreten Einzelfall erwähnen — er ist leider sehr aktuell —, der mir nicht davon zu zeugen scheint, daß der Herr Bundeskanzler wirklich alles tut, um das Verhältnis zu den Gewerkschaften in dem hier geschilderten günstigen Sinne zu gestalten. Die Fraktionen haben heute ein Telegramm des Deutschen Gewerkschaftsbundes bekommen, das sich mit der Besetzung einer sehr wichtigen europäischen Funktion in der Montanunion beschäftigt. Ich darf mit Erlaubnis des Präsidenten aus diesem Telegramm einen wichtigen Abschnitt hier vorlesen:
    Bei der Gründung der Montanunion hatte die Bundesregierung den Grundsatz gebilligt, von den zwei deutschen Vertretern einen zu benennen, der vom Deutschen Gewerkschaftsbund vorgeschlagen wurde. So wurde Dr. Heinz Potthoff auf Vorschlag des DGB zum Mitglied der Hohen Behörde der Montanunion benannt. Durch den Rücktritt von Dr. Heinz Potthoff wurde es notwendig, diese Position neu zu besetzen. Der Bundeskanzler hat in Gesprächen mit den Vertretern des DGB ausdrücklich erklärt, daß auch bei dieser Neubesetzung Vorschläge des DGB berücksichtigt würden. Der DGB hat rechtzeitig schriftlich und in direktem Gespräch mit dem Bundeskanzler einen Kandidaten vorgeschlagen, der sowohl in fachlicher und persönlicher Hinsicht den an den Vertreter der Bundesrepublik in der Hohen Behörde gestellten Anforderungen voll entspricht und der durch langjährige Tätigkeit mit den in der Montanunion zu behandelnden Problemen der betroffenen Wirtschaftszweige bestens vertraut ist.
    Auf diese Vorstellung wurde ein hinhaltender Bescheid gegeben, bis dann das Bundeskabinett unter Dr. Adenauer am 10. 10. 1962 ohne vorherige Rücksprache oder Unterrichtung des DGB den Beschluß faßte, Herrn Staatssekretär Dr. Hettlage vom Bundesfinanzministerium als Vertreter der Bundesrepublik bei der Hohen Behörde für Kohle und Stahl anstelle von Herrn Dr. Potthoff zu benennen.

    (Zurufe von der SPD: Hört! Hört! — Unglaublich!)




    Erler
    In dem Telegramm heißt es weiter:
    Der DGB erblickt in der Art der Behandlung dieser Frage eine bewußte Brüskierung der Gewerkschaften, auf deren sachliche Mitarbeit die Bundesregierung gerade in den Institutionen der Europäischen Gemeinschaften weitgehend angewiesen ist.
    Die Gewerkschaften müssen in diesem Verhalten einen zusätzlichen Beweis dafür sehen, in welcher Weise die Bundesregierung offensichtlich über die anderswo selbstverständlichen Regeln politischen Verhaltens sich hinwegsetzen zu können glaubt,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    und wie sie nicht versäumt, das Verhältnis zwischen Gewerkschaften und Bundesregierung zu verschlechtern.

    (Zuruf von der SPD: Traurig!)

    Meine Damen und Herren, ich habe volles Verständnis dafür, daß die Bundesregierung Überlegungen angestellt hat, wie sie Herrn Bundesfinanzminister Starke dabei helfen kann, zu einem anderen Staatssekretär zu gelangen.

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    Aber daß man dieses Problem so löst, daß man es mit einer Herausforderung der Gewerkschaften verknüpft und damit gegen die bisher bewährte gute Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften in der Montanunion verstößt, dafür fehlt meinen politisehen Freunden jedes Verständnis.

    (Beifall bei der SPD.)

    Nun zu den heute erörterten außenpolitischen Fragen. Der Herr Bundesaußenminister hat einen Überblick über eine Reihe von in der Welt sich vollziehenden schnellen Umwälzungen gegeben. Er hat uns daran gemahnt, daß wir in dieser schnelllebigen Zeit immer nahe bei den Problemen bleiben müssen. Ich glaube, es ist auch wohl dieser Gedanke gewesen, der den Herrn Bundesaußenminister dazu geführt hat, vor einiger Zeit schon Gedanken zu erwägen, wie man auch in unserem Lande im Auswärtigen Amt eine Art politischen Planungsstab einrichten könne. Mit anderen Worten: das Vorausdenken und gelegentlich sogar das schriftliche Fixieren bestimmter möglicher Entwicklungen und Positionen gehört zum Handwerkszeug moderner Außenpolitik. Deshalb habe ich es nicht ganz verstanden, daß in der für uns außerordentlich wichtigen Frage der gemeinsamen westlichen Vorstellungen über eine Friedensregelung für ganz Deutschland der Herr Außenminister dieses Vorausdenken für zu gefährlich erklärt hat.

    (Abg. Freiherr zu Guttenberg: Das Vorausschreiben hat er für gefährlich erklärt!)

    — Aber wenn es nur in den Köpfen bleibt, ist es morgen unter Umständen wieder vergessen; das wissen Sie doch auch. Große Gedanken müssen von Zeit zu Zeit auch einmal im Gespräch und in der Diskussion und in der Niederschrift in einem entsprechend engen Kreise — jawohl! — diskutiert und geklärt und geprüft werden. Denn was soll einmal mit allen Gedanken geschehen, wenn der Träger dieser Gedanken plötzlich stirbt und damit alles, was er angehäuft hat an Kenntnissen und Erfahrungen, verloren geht?

    (Unruhe bei der SPD. — Abg. Wehner: Wer Gedanken trägt, stirbt nicht! Die anderen machen es nur aus Geschäftigkeit!)

    So geht es doch nicht. Aber ich verstehe die Bedenken des Herrn Außenministers. Ich teile sie nicht. Denn ich weiß, daß es eine Reihe anderer, genauso diffiziler außen- und verteidigungspolitischer Probleme gibt, bei denen immer die Gefahr besteht, daß der Gegner unter Umständen zur Unzeit mithört. Das wissen wir. Das entbindet uns nicht von der Verpflichtung, hier bei uns zu prüfen und zu überlegen, wie wir im Verein mit unseren westlichen Freunden jener sowjetischen Diffamierungskampagne wirksam entgegentreten können, die dahin zielt, daß die Sowjetunion, die doch in Wahrheit mit ihrem Spaltungsdiktat die Spannungen verschärft, angeblich einen Frieden wolle und wir in der Bundesrepublik Deutschland das nicht wollten.
    Wir wollen uns hier nicht über die Einzelheiten der Prozedur streiten. Wir haben ein paar Vorschläge gemacht, wie wir uns auch diesem Problem so zuwenden können, daß der deutschen Sache kein Nachteil geschieht. Ich bin überzeugt, daß, wenn der Herr Bundesaußenminister noch einmal Gelegenheit nimmt, sich die entsprechenden Papiere und Reden dazu sorgfältiger anzusehen, vielleicht doch — ohne daß eine verfassungsrechtlich neuartige Institution geschaffen werden sollte; das wollen wir gar nicht — eine feste Gesprächsform hergestellt werden kann, die dazu führt, daß diejenigen, die man zu einer breiten Grundlage für die Herstellung politischen Handelns der Umwelt gegenüber braucht, in einer geeigneten Weise an der Beratung und Vorbereitung solchen politischen Handelns auch beteiligt werden.
    Das ist doch das Thema, um das es geht. Gerade weil wir die Sorge wegen eines unzeitigen Zerredens haben, deshalb haben wir ganz bewußt einen Vorschlag gemacht, der — nach bitteren Erfahrungen in der Vergangenheit — den Kreis der Beteiligten nicht allzu groß werden läßt. Das ist doch wohl des Nachdenkens wert.
    Die Rede des Herrn Bundesaußenministers hat sich im übrigen sehr wohltuend von manchen Diskussionsbeiträgen unterschieden, die doch wohl ein bißchen darauf angelegt waren — lassen Sie es mich ehrlich sagen —, Händel zu suchen. Ich frage mich, ob bei aller Notwendigkeit der Profilierung des Gesichts von Parteien die gegenwärtige außenpolitische Lage unseres Volkes und unserer Hauptstadt den heutigen Tag dafür besonders geeignet macht.

    (Beifall bei der SPD.)

    Deshalb lassen Sie mich einiges zur Methode außenpolitischer Erörterungen in dieser sehr gefährlichen Zeit sagen. Natürlich kann und darf der Deutsche Bundestag zu den Lebensfragen der Nation nicht einfach schweigen. Das Volk erwartet, daß die Regierung und dieses Haus — und das ist geschehen - in einigen wichtigen Fragen unmißverständlich



    Erler
    klarmachen, wo sie stehen. Das Volk will wissen, ob und wie wir uns des Ernstes der Lage auch bewußt sind und wie breit die Grundlage ist, die geschaffen werden kann, um mit gemeinsamen Kräften die Lage so gut es geht zu meistern.
    Wir wissen — darin trennt uns nichts —, daß es heute vor allem auf die Abwehr des sowjetischen Vorstoßes gegen die Freiheit Berlins ankommt, des sowjetischen Versuchs, die Spaltung unseres Landes zu zementieren und damit gleichzeitig unseren Landsleuten in Mitteldeutschland jede Hoffnung auf eine spätere Änderung ihres schrecklichen Loses unter kommunistischer Gewaltherrschaft zu nehmen. Die Abwehr dieser Versuche gebietet größte Geschlossenheit.
    Dennoch leugnet niemand — das wäre geradezu kindlich —, daß man auch bei dieser notwendigen Geschlossenheit in den Prinzipien, auf die es ankommt, Einzelfragen verschieden beurteilen kann. Hier geht es doch wohl auch um eine Grundhaltung, ob man gewissermaßen abwarten soll, bis die Sowjetunion den nächsten Schritt zu unserem Nachteil tut, und ob man sich lediglich darauf verlassen kann, solche Abwehrmaßnahmen in der Hand zu haben, daß dieser Schritt vielleicht nicht erfolgt, oder ob man statt dessen im Verein mit unseren Freunden sich überlegt, ob es nicht einen Weg gibt, sich das Gesetz des politischen Handelns nicht nur vom Gegner und seinen angedrohten oder tatsächlich durchgeführten Schritten vorschreiben zu lassen.
    Ich teile Ihre Überzeugung, Herr Kollege Guttenberg, daß es hier auf eine klare und entschlossene Haltung ankommt. Aber die Haltung, die sicher notwendig ist, um die eigene Position mit aller Entschlossenheit zu verteidigen, muß, glaube ich, bei einem Gegner wie der Sowjetunion genau auch das aufweisen, wovon Sie an anderer Stelle geschrieben und heute auch gesprochen haben, nämlich ein Stück Dynamik. Wer — lassen Sie mich das kurz noch einmal sagen — angesichts der sowjetischen Versuche, den Status quo in Mitteleuropa und Berlin zu unserem Nachteil zu verändern, sich lediglich darauf beschränkt, die Entschlossenheit, den Status quo zu verteidigen, zu verkünden und sonst nichts, wer nur den anderen gegen den Status quo drücken läßt, der riskiert, daß dieser Status quo zum Vorteil des anderen und zum eigenen Nachteil verändert wird.
    Ich will hier aus guten Gründen, die Sie genauso gut kennen wie ich, nicht in die Einzelheiten gehen und nicht untersuchen, was angesichts der sehr engen Marge deutscher Handelsmöglichkeiten auf diesem Feld getan werden kann. Ich meine nur, es lohnt sich, sorgfältig miteinander auch über dieses Erfordernis zu sprechen, und dazu haben wir, glaube ich, einen förderlichen Weg vorgeschlagen. Dabei kommt es' darauf an, abzustecken, wie breit - und zwar möglichst breit — die Grundlage für gemeinsames Handeln geschaffen werden kann. Die Regierung ist stärker, wenn sie sich bei politischem Handeln auf eine möglichst breite Zustimmung in diesem Hause und in der Öffentlichkeit stützen kann. Ich wiederhole, was wir in früheren Debatten schon gesagt haben. Das kann aber dann nicht einfach so gehen, daß die Regierung von sich aus sagt:
    Nach reiflicher Prüfung haben wir dieses und jenes vorgeschlagen, und wir fordern das Hohe Haus auf, sich hinten anzuschließen. Dann muß man vielmehr mit denen, die nicht in der Regierung sitzen, auch über dieses gemeinsame Handeln sprechen und ihnen das Gefühl des Mitwirkens an den zu unternehmenden politischen Schritten geben. Dann wird die Grundlage breiter sein.
    Wir sind in diesem Hause trotz der Kontroversen, die hier heute aus einem bestimmten Teilaspekt, auf den ich noch kommen werde, wieder aufgeklungen sind, doch in vielen Fragen auch unseres außenpolitischen Verhaltens nicht erst in den letzten Jahren seit dem sowjetischen Ultimatum gegen Berlin ein gutes Stück Weges gemeinsam gegangen. Das fing doch mit jenem Akt des außenpolitischen Bekenntnisses der Bundesrepublik an, der uns seinerzeit viel Vertrauenskapital erworben und manche Hemmnisse gegen uns Deutsche abgebaut hat, als wir in diesem Hause den Wiedergutmachungsvertrag mit Israel beschlossen. Das war ein wichtiges Stück außenpolitischen Handelns.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Wer einmal in die Vereinigten Staaten von Amerika gereist ist, der weiß, welche Bedeutung diesem Vertragswerk auch und gerade für die Gestaltung der deutsch-amerikanischen Beziehungen zugekommen ist.
    Wie war es denn damals mit der Mitwirkung der Opposition? War die Mitwirkung eigentlich genauso ungeteilt auf allen anderen Seiten des Hauses?

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, ich habe vorhin durch einen Zwischenruf klargemacht, daß eine solche Gemeinsamkeit in breiten Teilen dieses Hauses auch bei dem sehr wichtigen, vorwärtsweisenden Beschluß der Bundesrepublik Deutschland bestand, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft beizutreten. Wir haben uns weiter darum bemüht, diese europäischen Gemeinschaftseinrichtungen, die ja mehr sind als lediglich Einrichtungen der freundschaftlichen Zusammenarbeit von Regierungen, fortzuentwickeln. In den letzten Jahren — das sagte ich schon — hat uns die Lage dann alle dazu gebracht, uns um unsere bedrohte Hauptstadt zu scharen und miteinander das Notwendige zu tun, um unsere und unserer Hauptstadt Freiheit zu schützen.
    Ich bringe das in Erinnerung, weil gerade dieser Rückblick zeigt, wie gefährlich es wäre, das abzuwerten mit Worten wie dem, es handle sich da um nichts anderes als um den faulen Zauber der Gemeinsamkeit. Wehe unserem Volke, wenn in der jetzigen Lage eine Partei glaubt, ihr Profil nur dadurch zurückgewinnen zu können, daß sie auf dem Feld der Außenpolitik . geradezu künstlich Händel sucht!

    (Beifall bei der SPD.)

    Deshalb fand ich einen Teil der heutigen Debatte so gespenstisch. Nehmen wir einmal das europäische Kapitel heraus.

    (Abg. Dr. Barzel: Und Helmut Schmidt?!)


    Erler
    — Helmut Schmidt hat nicht in diesem Hause debattiert, sondern sich in der Literatur genauso an einer Diskussion beteiligt wie andere auch. Und wenn Sie sich z. B. einmal den Beitrag von Herrn Schmückle ansähen, dann würden Sie erkennen, woher der größere Schaden für die deutsch-amerikanischen Beziehungen gekommen ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Damit meine ich nicht, daß Helmut Schmidt einen Schaden angerichtet hat. Das ist ein anderer Punkt. Aber darauf komme ich noch.

    (Abg. Freiherr zu Guttenberg: Herr Kollege Erler, Sie können doch nicht von uns sagen, daß wir Händel suchten, während es bei Ihnen Diskussion ist! — Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

    — Darauf komme ich noch.
    Ich darf daran erinnern, daß es der Bundeskanzler selbst und der Kollege Majonica gewesen sind, die ihrerseits die Töne für eine bestimmte, notwendig gewordene Replik gestimmt haben, und das wollte ich hier in aller Nüchternheit registrieren.

    (Abg. Rasner: Ich dachte, es sei Herr Ollenhauer gewesen!)

    — Entschuldigen Sie, lesen Sie sich doch einmal die sehr sanften Vorschläge des Herrn Ollenhauer zum Verfahren durch! Daß es in diesem Hause bei aller Übereinstimmung in den Grundfragen der Außenpolitik doch auch erlaubt sein wird, die Bundesregierung zu bitten, bestimmte Punkte ihrer Regierungserklärung zu präzisieren, wie es inzwischen erfreulicherweise auch noch einmal durch den Minister geschehen ist, dürfte wohl nicht bestritten werden.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Rasner: Er hat etwas ganz anderes gesagt! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    Mir ging es um heiklere Fragen, bei denen versucht worden ist, Gegensätze, die in diesem Hause oft zu stürmischen Debatten geführt haben, beinahe wie die Gespensterschlacht auf den Katalaunischen Feldern wieder heraufzubeschwören.
    Deswegen dazu nur ein paar Sätze. Meine Damen und Herren, wir wären ja nicht alle Zeugen dieser Debatte geworden und hätten nicht wie ich daran teilgenommen, wenn wir so täten, als hätte sie nicht stattgefunden; das wäre nicht wahr. Wir haben - und Herbert Wehner hat mit Recht daran erinnert — in den Fragen der europäischen Föderation hier in diesem Hause im Jahre 1950 einmütig quer durch die Parteien hindurch das Bekenntnis zu einem europäischen Bundespakt, zu den Vereinigten Staaten von Europa abgelegt.
    Die Diskussionen, die sich dann um die Europapolitik entwickelt haben, gingen doch im wesentlichen — von dem Sonderfall Montanunion abgesehen; zu dem werde ich auch noch einige Worte sagen — um die Verknüpfung der europäischen Zusammenarbeit mit dem damals heiß umstrittenen Thema, ob man erst die Bundesrepublik Deutschland aufrüsten, in den Verband der westlichen Allianz eingliedern und von dieser Position aus dann mit vermeintlich mehr Aussicht über die Wiedervereinigung Deutschlands verhandeln sollte oder ob man die andere Ausgangslage von damals, wie wir meinten, noch nutzen und zunächst nach einer anderen Sicherheitsordnung in Europa unter militärischer Beteiligung der Deutschen — das „Ohne-Mich" spielte in diesen Debatten keine Rolle — streben sollte, die, so hofften wir, mit der Wiedervereinigung Deutschlands verbunden wäre.
    Sie können sich heute gut hinstellen und sagen: Das sind alles Illusionen gewesen. Es ist ja nicht versucht worden!

    (Beifall bei der SPD.)

    Aber eines wollen wir doch ganz nüchtern festhalten: dieser Streit, den die Historiker von mir aus noch dreißig Jahre fortsetzen können, hat zunächst einmal damit ein Ende gefunden, daß neue Tatsachen geschaffen worden sind, daß wir die Ereignisse des Jahres 1952 nicht wiederholen können, etwa weil uns die letzten zehn Jahre nicht gefallen, und daß in diesen zehn Jahren leider Gottes nicht die Hoffnungen der Regierungsparteien, man würde dadurch bessere Voraussetzungen für die Wiedervereinigung schaffen, sich erfüllt haben, sondern die Spaltung unseres Landes verhärtet worden ist —, wozu natürlich auch noch eine ganze Reihe entscheidender anderer Faktoren hinzukommen. Diesen Sachverhalt wollen wir doch nicht einfach auf den Kopf stellen!

    (Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
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  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Fritz Erler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Bitte!