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ID0316700400

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 167. Sitzung Bonn, den 18. August 1961 Inhalt: Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung zur politischen Lage und Beratung über die Lage Berlins Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 9769 B Brandt, Regierender Bürgermeister von Berlin . . . . . 9773 C Dr. Krone (CDU/CSU) 9777 A Ollenhauer (SPD) 9779 D Dr. Mende (FDP) 9781 A Schneider (Bremerhaven) (fraktionslos) 9783 C Behrisch (fraktionslos) 9786 A Neubauer (SPD) 9788 A D. Dr. Gerstenmaier, Präsident . 9788 C Anlage 9791 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. August 1961 9769 167. Sitzung Bonn, den 18. August 1961 Stenographischer Bericht Beginn: 11.04 Uhr
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    Anlage 1 Liste ber beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Bärsch 18. 8. Bettgenhäuser 22. 8. Caspers 22. 8. Dewald 22. 8. Dr. Frey 22. 8. Dr. Greve 22. 8. Hauffe 22. 8. Jaksch 18. 8. Frau Klemmert 22. 8. Dr. Königswarter 22. 8. Kuntscher 18. 8. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Lena (Trossingen) 22. 8. Meitmann 22. 8. Dr. Menzel 18. 8. Neuburger 22. 8. Pelster 22. 8. Dr. Pferdmenges 22. 8. Pohle 22. 8. Reitzner 22. 8. Scharnowski 22. 8. Schoettle 18. 8. Struve 22. 8. Strauß 18. 8. Dr. Tamblé 22. 8. Frau Welter (Aachen) 22. 8.
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    Rede von August Berlin


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es kommt nicht häufig vor, daß vor diesem Hohen Hause von der Bundesratsbank aus das Wort ergriffen wird. Wenn ich heute namens des Landes Berlin vor Sie hintrete, dann spiegelt sich darin die außerordentliche Lage wider, in die wir gebracht wurden.
    Es geht nicht um Berlin allein. Es geht um das kalte Ungarn, das sich im anderen Teil Deutschlands und im Ostsektor meiner Stadt vollzogen hat: Sie alle kennen die Bilder vom Stacheldraht, von den Betonpfählen und Betonmauern, von den Panzern, von den spanischen Reitern und von den feldmarschmäßig ausgerüsteten Soldaten. Was geschehen ist, ist mehr als ein schreiendes Unrecht.
    Man muß die Unzahl menschlicher Tragödien im Auge haben, die ,sich in diesen Tagen abspielen. Mitten durch eine Stadt, in der es trotz der administrativen Teilung noch immer täglich vieltausendfache Verbindungen gab, sind die Betonpfähle einer Grenze eingerammt worden, die zu einer Art chinesischer Mauer ausgebaut wird.
    Was zusammengehört, ist weiter auseinandergerissen, es wird brutal zerschlagen. Das Recht auf Freizügigkeit wurde zertrampelt. Dabei ist es primitives Menschenrecht, fliehen zu dürfen von einem Land in das andere. Um wieviel mehr gilt das erst, wenn es sich um die Flucht innerhalb eines Landes und innerhalb einer einzigen Stadt handelt.
    Deshalb ist es die Meinung Berlins, daß vor allem eine Initiative ergriffen werden müßte, um die flagrante Verletzung der Menschenrechte international zu brandmarken. Der Schutz der Menschenrechte ist eine ureigene Aufgabe der Vereinten Nationen. Den Weg vor das Weltforum kann man sich nicht aufheben für den Fall, daß eine Welt zu brennen beginnt.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)

    Es ist schon heute ein Zustand eingetreten, der das Eingreifen internationaler Institutionen notwendig macht, zumal die unmittelbar Betroffenen nicht mehr glauben, die Akte des Rechtsbruchs und der Aggression ohne Gefährdung des Friedens wirksam zurückweisen zu können.
    Die Menschen in der von Ulbricht geknebelten und von sowjetischen Panzern in Schach gehaltenen Zone und in dem von Ulbricht besetzten und annektierten Ostberlin sind voll Haß und Verzweiflung. Sie befinden sich in einem Gefühl grenzenloser Verlassenheit.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Sie müssen ihre Empörung unterdrücken. Niemand von uns wird sie der Verzweiflung preisgeben wollen.
    Auch aus diesem Grund ist es gut, daß der Deutsche Bundestag zusammengetreten ist, und es ist erfreulich, daß sich in diesen Tagen manche Zeichen der Verbundenheit, der Solidarität gezeigt haben. Wir dürfen jetzt — das ist die Meinung Berlins — mit den Ulbricht-Leuten weder über Ge-
    9774 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. August 1961
    Regierender Bürgermeister Brandt
    schäfte reden noch sonst so tun, als sei nichts Besonderes passiert.

    (Lebhafter Beifall im ganzen Hause.)

    Für die Stadt Berlin ist eine neue Lage entstanden. Als Stätte täglicher menschlicher Begegnungen zwischen West und Ost ist sie ausgeschaltet worden. Ausgeschaltet worden ist aber auch das Ventil, durch das bisher der Überdruck aus dem Ulbricht-Staat entweichen konnte.
    Meine Damen und Herren, mehr als 9 Millionen Karten für kulturelle Veranstaltungen sind im letzten Jahr an Ostberliner und Bewohner der Zonenrandgebiete ausgegeben warden. 60 000 Bürger meiner Stadt, die ihren Wohnsitz in Ostberlin haben, haben ihre Arbeit in Westberlin gefunden. Ich kenne aus diesen letzten Tagen Fälle, in denen Menschen nachts durch den Stacheldraht gekrochen sind, um sich von ihren Arbeitskollegen zu verabschieden, und mit Tränen in den Augen hinter den Stacheldraht zurückgingen, weil ihre Frauen, ihre Kinder und ihre Eltern drüben sind. Berlin ist nicht mehr der Ort, zu dem die Menschen kommen konnten, um die Luft der Freiheit zu atmen, um sich neue Kraft zu holen, bevor sie in ihren grauen Zonenalltag zurückkehrten.
    Der Senat von Berlin — und dieses möchte ich dem Hohen Hause in aller Form zur Kenntnis bringen — hat im Rahmen seiner begrenzten Möglichkeiten getan oder eingeleitet, was die Lage erfordert. Er hat dafür gesorgt, daß die Ordnung tin der Stadt aufrechterhalten wurde und daß dass Wirtschaftsleben nicht in Unordnung geriet.
    Ich muß von dieser Stelle aus herzlich darum bitten, daß jetzt erst recht Aufträge nach Berlin gegeben werden.

    (Lebhafter Beifall im ganzen Hause.)

    Das freiheitliche Berlin kann nicht leben ohne sein eigenes und das Vertrauen seiner Freunde in seine Lebensfähigkeit und Lebenskraft. Es wird noch mehr als bisher ausgebaut werden müssen zu einer großen modernen Stadt wirtschaftlichen und kulturellen Schaffens.
    Meine Mitbürger haben Vertrauen in die für die Freiheit der Bevölkerung Westberlins, die Anwesenheit der alliierten Truppen in Westberlin und den Zugang von und nach Westberlin gegebenen alliierten Garantien. Ich bin nicht nur überzeugt, ich weiß es — und ich habe es meinen Mitbürgern auf einer großen Kundgebung dieser Tage gesagt —, daß das Überschreiten der dadurch gezogenen Linie mehr als ein Risiko wäre. Diese Garantien sind heute Garantien des Friedens. Sie sind die Basis unserer Existenz in Berlin. Aber das gilt auch für Westdeutschland und für den Westen überhaupt.
    Die Berliner haben seit mehr als zwölf Jahren bewiesen, daß sie lieber Entbehrungen auf sich nehmen, als ihren Nacken unter das Joch einer neuen Diktatur zu beugen.

    (Beifall im ganzen Hause.)

    Heute kommt es dort und anderswo trotz bitterer
    Enttäuschungen mehr denn je darauf an, daß wir
    fest und entschlossen an der Seite unserer Freunde stehen.

    (Erneuter Beifall im ganzen Hause.)

    Gestern habe ich in einer Korrespondenz gelesen, was sich am Sonntag ereignet habe, sei „eine Maßnahme der Kommunisten in ihrem Machtbereich, nicht eine Maßnahme gegen die Freiheit im Bereich des Westens" gewesen. Ich halte diese Einschätzung für falsch.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Erstens werden die Interessen des freiheitlichen Berlin unmittelbar berührt, wie ich noch darlegen werde. Zweitens wird das Leben unseres gespaltenen Volkes tief berührt. Vor allem ,aber dürfte es keine Äußerung mehr geben, die indirekt den Akt der unrechtmäßigen Besetzung ides Ostsektors entschuldigt.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der übrigen Fraktionen.)

    In diesen Tagen vollziehen sich nicht nur unzählige Einzelschicksale. In diesen Tagen geschieht etwas mit unserem Volk, und zwar in beiden Teilen unseres Landes. Die einen fragen die anderen, ob sie abgeschrieben werden. Die einen fragen die anderen, wie hoch wir, die wir frei sind, Rechtlichkeit und Solidarität achten.
    Es ist schon einmal namenloses Unglück über unser Volk und über die Menschheit gekommen, weil wir Gesetz und Moral gering geachtet haben, weil wir geglaubt haben, daß das Schicksal anderer uns wenig angehe, solange es uns nur gut gehe.

    (Beifall bei der SPD.)

    Der Regierende Bürgermeister von Berlin hat in diesen Tagen aus allen Teilen der Bevölkerung unzählige Beweise dafür erhalten, daß es falsch ist, zu glauben, die Menschen in der Bundesrepublik würden nicht verstehen, was seit idem Sonntag in Berlin und in der Zone passiert ist. Unser Volk ist nicht der Kühlschrank-Ideologie zum Opfer gefallen. Unser Volk hat sich den Sinn für die gemeinsame Verantwortung bewahrt. Und das ist für unsere Landsleute drüben in der Zone wichtig zu wissen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der übrigen Fraktionen.)

    Was in Ostberlin geschehen ist, das ist ,der Einmarsch einer Armee in ein Territorium, in dem sie nichts zu suchen hat.

    (Lebhafter Beifall im ganzen Hause.)

    Die sogenannte Volksarmee mit ihren Nebenorganisationen hat Ostberlin annektiert. Sie hat den Viermächtestatus unter ihren Panzerketten zermahlen.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Die Anordnungen, die dazu geführt haben, stammen vom sogenannten „Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik". Die Anordnungen, die den S- und U-Bahnverkehr unterbrochen haben, sind vom sogenannten „Minister für Verkehrswesen der Deutschen Demokratischen Republik" unterzeichnet. Die Anordnungen, die den Bewohnern
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. August 1961 9775
    Regierender Bürgermeister Brandt
    Ostberlins das Betreten Westberlins verboten haben, sind vom „Minister des Innern der Deutschen Demokratischen Republik" unterzeichnet. Die Erlaubnis für „friedliche Westberliner", den Ostsektor der Stadt zu betreten, stammt vom Innenminister der sogenannten „Deutschen Demokratischen Republik". Das gleiche gilt für die Anordnungen, die die Einwohner Westdeutschlands betreffen. Der Minister des Innern der sogenannten DDR hat den ausländischen Staatsangehörigen einschließlich der Angehörigen des Diplomatischen Corps und der Angehörigen der westlichen Besatzungsstreitkräfte gestattet, zunächst 13, im Augenblick 12 — ich weiß nicht, wie viele in Zukunft — Übergangsstellen in den Ostsektor zu benutzen. Für den Oberbürgermeister Ostberlins blieb die klägliche Aufforderung übrig, seinen Bürgern zu sagen, daß sie nicht mehr in Westberlin arbeiten dürfen, und sie aufzufordern, sich eine neue Arbeit zu suchen.
    Die Zonenregierung hat ihre quasi Souveränität voll auf Ostberlin ausgedehnt. Sie hat Ostberlin annektiert, und sie hat diese Souveränität ausgeübt über alle — ich wiederhole: über alle —, die in Frage kommen könnten, Ostberlin zu betreten.

    (Abg. Wehner: Sehr richtig!)

    Das sind die nackten Tatsachen, an denen es nichts zu beschönigen gibt, über die man nicht hinweggehen kann, wenn man sich nicht selbst betrügen will.
    Die Anerkennung der Tatsachen, die durch eine bewaffnete Macht geschaffen sind, ist eine denkbar starke Form der Anerkennung einer staatlichen Organisation. Wer in den letzten Tagen das Organ des Zentralkommitees der kommunistischen Einheitspartei, wer das „Neue Deutschland" gelesen hat, der weiß, welche Töne des Triumphes, der Genugtuung, ,des Stolzes und des Hohnes auf den Westen dort zu vernehmen sind. In den letzten Anordnungen der Zonenbehörden ist sogar die Sektorengrenze amtlich als — ich zitiere — die „Grenze der Deutschen Demokratischen Republik" bezeichnet worden.

    (Hört! Hört! rechts.)

    Das, was man dort bisher als Staatsgrenze bezeichnet hat — die Schlagbäume am Ostrand des Ostsektors — ist an den Potsdamer Platz und an das Brandenburger Tor vorverlegt worden.
    Und dann kommt — wenn ich es richtig gelesen habe — der sowjetische Botschafter rund erklärt, daß Ministerpräsident Chruschtschow die Lage in Berlin nicht weiter verschärfen wolle.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Solche Töne hat man früher schon von anderen ,gehört.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Man nimmt und sagt, im Augenblick sei es genug.
    Selbstverständlich kann das Verhältnis zur Regierung der Sowjetunion — so haben es die Berliner dieser Tage vor dem Abgeordnetenhaus und an anderer Stelle gesagt, und so sage ich es auch hier — nicht unbeeinflußt bleiben durch den empörenden Rechtsbruch vom 13. August.

    (Beifall bei der SPD sowie in der Mitte und rechts.)

    Selbstverständlich können wir nicht so tun und werden wir nicht so tun, als ließe sich das Vorgefallene isolieren und ausklammern. Selbstverständlich können wir angesichts der flagranten Verletzung der Menschenrechte nicht über ein Kulturabkommen verhandeln, als ob nichts geschehen wäre.

    (Beifall bei der SPD und bei der CDU/CSU.)

    Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß die, die Verantwortung tragen in Deutschland — die Bundesregierung und auf unserer bescheideneren Ebene der Senat von Berlin —, nichts zu tun beabsichtigen, was die internationale Lage verschlechtert. Es kann keine Stadt geben und es kann kein Volk geben, die die Sicherung des Friedens mehr wünschten als Berlin und als das .deutsche Volk; und ich bin überzeugt, ,es wird dabei bleiben. Aber die Regierung der Sowjetunion darf nicht glauben, uns ins Gesicht schlagen zu können, und wir lächelten noch dazu.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Beifall bei Abgeordneten der Mitte und rechts.)

    Die über eine Viertelmillion Menschen, die vorgestern in Berlin freiwillig vor dem Rathaus zusammengekommen sind und empört und erbittert die Schande der letzten Tage in alle Welt gerufen haben, diese Menschen haben gemeinsam mit meinem Kollegen Amrehn und mir bekundet, daß sie kein Verständnis hätten für eine Haltung — irgendwo in der Bundesrepublik oder irgendwo in der westlichen Welt —, der die primitivste Selbstachtung fehlt. Ein Wurm krümmt sich noch, wenn er getreten wird.
    Für die westlichen Schutzmächte bedeutet der vergangene Sonntag, daß sie aus jenen Viermächtevereinbarungen herausgedrängt worden sind, die sich auf Berlin als Ganzes beziehen. Die Erklärung der Warschauer-Pakt-Staaten und das, was die Zonenregierung, darauf gestützt, verkündet hat, bedeutet in Wirklichkeit auch, daß den Westmächten die Mitverantwortung für Deutschland als Ganzes streitig gemacht wird, und zwar noch vor dem vielerörterten separaten Friedensvertrag.
    Unsere westlichen Schutzmächte haben in allem Ernst gestern auch in Moskau protestiert. Sie haben in voller Übereinstimmung mit uns die Verantwortung der Sowjetunion festgestellt. Sie haben diesen Einmarsch als illegal bezeichnet und die Rücknahme der damit verbundenen Maßnahmen verlangt. Das deckt sich auch mit der Meinung des Senats von Berlin und der Berliner Bevölkerung. Darüber hinaus haben die Westmächte in ihren Noten auf die Tatsache aufmerksam gemacht, „daß diese einseitige Abänderung des Vier-Mächte-Status von Berlin die Spannung und die bestehenden Gefahren nur vergrößern kann". Diese Vergrößerung der Spannung ist eingetreten. Sie liegt in der einseitigen Schuld der Regierung der Sowjetunion,

    (Abg. Wehner: Sehr wahr!)

    9776 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. August 1961
    Regierender Bürgermeister Brandt
    die nicht davon ablassen will, das aus Brutalität und Unfähigkeit zusammengesetzte Ulbricht-Regime zu stützen.

    (Beifall.)

    Die Regierung der Sowjetunion muß nachdrücklich darauf hingewiesen werden, wie gefährlich es ist, wenn sie auf dem Bruch der Vier-Mächte-Vereinbarungen beharrt. Aber die von der Sowjetunion zerfetzten Vier-Mächte-Vereinbarungen dürfen, ehe sie nicht wiederhergestellt sind, nicht zu einem Selbsthindernis des Westens werden, wenn es sich darum handelt, das zu tun, was im Interesse des freiheitlichen Berlin als Teil des freien Deutschland erforderlich ist. Dis Verbindungen zwischen der Bundesrepublik und Westberlin dürfen nicht gelockert, sie müßten eher gestrafft werden.

    (Beifall bei der SPD, der FDP und Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Die Bundesrepublik, die die völkerrechtliche Vertretung des Landes Berlin übernommen hat, darf auch keine internationalen Verträge schließen, ohne daß die Interessen Berlins gesichert sind.
    Der Senat von Berlin würde es für gut halten, wenn sichtbare Zeichen der alliierten Präsenz und der alliierten Rechte erfolgten und wenn alle möglichen politischen Initiativen ergriffen würden. Der Senat erwartet außerdem, daß eine weltweite Aufklärung dieses neuen Unrechts unternommen wird, und er ist selbstverständlich bereit, dabei mitzuwirken.
    Der Senat von Berlin hat vor dem Abgeordnetenhaus, vor der Berliner Bevölkerung und gegenüber der Bundesregierung betont, daß überzeugende, nichtmilitärische Maßnahmen ergriffen werden sollten. Er verbindet damit keine Vorwürfe an die Adresse der westlichen Verbündeten. Er hält nur nichts von sogenannten Gegenmaßnahmen, die ein schallendes Gelächter vom Potsdamer Platz bis Wladiwostok auslösen würden.

    (Beifall bei der SPD und ,der FDP.)

    Er hält nichts von Ankündigungen, denen nichts folgt.

    (Erneuter, lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP.)

    Er hält mehr davon, daß unserem ganzen Volk ein möglichst klares Bild vermittelt wird von den tatsächlichen Gegebenheiten und von der veränderten Wirklichkeit, mit ,der wir es zu tun haben, wenn es nicht gelingt, den Rechtsbruch rückgängig zu machen. Alle Beteiligten müssen sich völlig darüber im klaren sein, daß die Maßnahmen des letzten Sonntags nur ein Auftakt gewesen sind. Sie waren der erste Akt eines Dramas, dessen zweiter Akt bereits angekündigt ist.
    Der sowjetische Ministerpräsident hat die Hälfte seiner Forderungen für das, was er eine „Freie Stadt Westberlin" nennt, verwirklicht. Er hat sich, was er gefordert hat, selbst genommen. Durch derartige Teilerfolge ist der Appetit noch jeder Diktatur größer geworden.

    (Beifall bei der SPD, der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

    Das ist das eigentliche Gefährliche der Lage.
    Der Regierende Bürgermeister von Berlin kann nur vor einer Haltung warnen, die eine Prämie für Vertragsbruch, eine Belohnung für Gewalt sein würde. Sie wäre eine Einladung für Ulbricht, die Politik der vollendeten Tatsachen fortzusetzen. Die Spannung wird nicht verschärft, indem man die Wahrheit sagt, sondern die Spannung wird verschärft, indem einseitige Akte des Unrechts begangen werden.

    (Beifall.)

    Wir haben in der Zeit vor diesen Ereignissen oft und wiederholt gehört, daß Verhandlungen nicht unter Drohungen stattfinden dürfen. So hieß es seinerzeit, das Ultimatum müsse weg, bevor man verhandeln könne. Der Westen wird unserer Meinung nach zu sichern haben, daß er nun nicht bei kommenden Verhandlungen den Zustand der vollendeten Erpressung akzeptiert.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP.)

    Wir haben gehört, daß bei der Pariser Konferenz auch über eine westliche Verhandlungsinitiative gesprochen worden ist. Es müßte absolut klar sein, daß Verhandlungen nur auf einer eindeutigen Rechtsbasis stattfinden können, es sei denn — was keiner von uns glauben darf —, man wäre bereit, in Anerkennung vollendeter Tatsachen über einen verschlechterten Status für Westberlin zu verhandeln.
    Was am Sonntag geschehen ist — ich sage es noch einmal —, das ist keine unmittelbare Bedrohung Westberlins. Aber es ist ein tiefer Einschnitt im Leben unseres Volkes, und es ist auch ein Anschlag auf die westliche Gemeinschaft. Ich meine, daß es um die Glaubwürdigkeit geht, um die Glaubwürdigkeit der westlichen Politik.
    Der zweite Akt der Erpressung, der separate Friedensvertrag, den ich nur Teilungsdiktat nennen kann, wird in aller Offenheit angedroht. Ein Teilungsdiktat bringt uns mehr als das Problem der Agententheorie. Es geht dabei nicht um Stempelfragen, sondern um das Ansinnen, daß die Bundesrepublik meineidig werden soll an den Landsleuten in der Zone.
    Die Berliner stehen ganz gewiß nicht allein, wenn sie sagen: Die Bundesrepublik wird sich mit einem Teilungsdiktat nicht abfinden können.

    (Beifall im ganzen Hause.)

    Sie wird es niemals anerkennen können, nicht nur, weil sie ihre eigene Verfassung nicht brechen darf, die uns verbindlich auffordert, stellvertretend für alle Deutschen zu handeln. Das Grundgesetz verpflichtet die Bundesrepublik — wie es auch hier erneut gesagt worden ist —, sich um die Menschen in der sowjetisch besetzten Zone zu kümmern. Die Bundesrepublik kann und darf ein Teilungsdiktat nicht anerkennen, ohne die Verfassung zu brechen.
    Wir sind uns mit den Verbündeten einig, die ebenfalls die Wiedervereinigung vertraglich zum Ziele ihrer Politik gemacht haben. Auch sie könnten sich nicht mit einem Vertrag abfinden, der das Gegenteil der gemeinsamen Politik bedeutet.
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. August 1961 9777
    Regierender Bürgermeister Brandt
    Die Preisgabe unserer Landsleute wird nicht stattfinden. Wir sind ein Volk — das haben die Berliner angesichts der Drohungen dieser Tage auf ihre Weise noch einmal zu zeigen gehabt —, ein Volk, das auch eine Selbstachtung hat. Recht und Moral verpflichten uns zu diesem Standpunkt. Diese Haltung ergibt sich aber auch aus unserer demokratischen Überzeugung; denn ohne diese integre und unerschütterliche Haltung würden wir selbst, aus Schwäche oder Opportunismus, Wegbereiter eines neuen Nationalismus werden. Und niemand, dem der Friede etwas wert ist, in Ost oder West, kann das wünschen.
    Der Regierende Bürgermeister von Berlin weiß mit seinen Mitbürgern, daß wir vor schweren Monaten stehen. Hoffentlich werden wir uns darin bewähren.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD. Beifall bei der CDU/CSU und rechts.)



Rede von Dr. Eugen Gerstenmaier
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr, Krone.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Heinrich Krone


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was sich in Berlin seit dem letzten Sonntag zugetragen hat und was in seinen Auswirkungen noch nicht zu überblicken ist, darüber hat das Hohe Haus soeben einen erschütternden Bericht bekommen.
    Zahllose deutsche Familien auf beiden Seiten des Drahtverhaues sind in ihren persönlichen Beziehungen hart und schwer betroffen. Es gibt bestimmt kein Haus in unserem Vaterlande, wo dieses Geschehen die Menschen nicht leidenschaftlich bewegt. Das ganze deutsche Volk ist tief ,erschüttert. Es mehren sich die Meldungen, daß sich die Lage verschärft. Der Druck auf die Kirchen steigert sich. Führende Männer beider Kirchen werden an der kirchlichen Tätigkeit im Bereich ihrer Zuständigkeit gehindert. Selbst innerhalb der Zone sind gegen die Kirchen Maßnahmen getroffen worden.
    Als die Fraktionen dieses Hohen Hauses diese Sitzung vereinbarten, wollten sie nicht, daß sich an die Regierungserklärung eine außenpolitische Debatte anschlässe. Uns ging es nicht darum, uns auseinander zu setzen. Wir wollten uns vielmehr zueinander setzen — und das trotz des Wahlkampfes.

    (Lebhafter Beifall auf allen Seiten des Hauses.)

    Was uns bewegte, war: Hier soll in einer Schicksalsstunde des deutschen Volkes der Deutsche Bundestag mit jener Autorität Stellung nehmen, die er als frei ,gewählter Sprecher des ganzen deutschen Volkes eben für dieses ganze deutsche Volk hat. Wir wollten für die Deutschen der Bundesrepublik sprechen. Wir wollten aber auch und besonders für jene Deutsche sprechen, die jetzt nur schweigen können, die aber hinter dem Stacheldraht darauf warten, daß wir hier in der Freiheit für sie sprechen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Und dieses Wort muß genauso wie in der ,großen Freiheitskundgebung in Berlin lauten: Weg mit dem Stacheldraht! Gebt unseren deutschen Brüdern nach zwölf Jahren der Knechtschaft endlich ,die Freiheit!

    (Lebhafter Beifall auf allen Seiten des Hauses.)

    In jedem Volke gibt es Grundelemente des Gemeinsamen, auch in unserem deutschen Volke. Wir wollen alle, daß uns der Friede erhalten bleibt. Wir wollen alle die Freiheit für unser ganzes deutsches Volk. Wir stehen alle für Berlin und gegen das System in der Zone.
    Wenn ich das sage, was uns eint, so darf dieses Bekenntnis zum Gemeinsamen doch kein Anlaß zur Mißdeutung der Politik sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wenn angesichts des Geschehens am 13. August gesagt werden konnte, dieser Tag sei das Ergebnis einer verfehlten Politik,

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    er ,sei Grund und Anlaß zu einer Neuorientierung der deutschen Sicherheitspolitik, so halten wir uns, gerade in dieser ernsten Stunde, verpflichtet, auch dieses ganz unmißverständlich zusagen: Wir halten die Politik, die wir in den vergangenen zwölf Jahren getrieben haben, die Politik des engsten Bündnisses mit dem Westen, den Eintritt in die Atlantische Verteidigungsgemeinschaft und die deutsche Beteiligung an der Verteidigungspolitik des Westens, auch weiterhin für die einzig richtige Politik.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir danken der Bundesregierung und besonders
    dem Bundeskanzler dafür, daß er diese Politik konsequent gegen alle Widerstände durchgeführt hat.

    (Bravo-Rufe und erneuter lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Diese Politik dient nicht zuletzt auch Berlin, dem unser aller Sorge gilt.

    (Wiederholter lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    In diesem Zusammenhang muß ich einen Vorschlag erwähnen, der Berlin betrifft und der heute in den Zeitungen veröffentlicht worden ist. Ich glaube nicht, daß es klug ist, den Viermächtestatus von Berlin auch nur in Frage zu stellen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Auch wenn durch das Vorgehen der Sowjets dieser Status erneut auf das schwerste verletzt ist, so hieße ein Verzicht auf ihn für spätere Verhandlungen eine wichtige Rechtsposition aufgeben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die CDU/CSU-Fraktion hat die heutige Bundestagssitzung vor allem deshalb begrüßt, damit von der Tribüne des Parlaments das Wort der Wahrheit über Mitteldeutschland und Ost-Berlin gesagt wird, damit falsche Vorstellungen korrigiert werden und damit die Bankrotterklärung des kommunistischen Zonenregimeis erneut ins Bewußtsein der Weltöffentlichkeit gerufen wird. Die Massenflucht, derent-
    9778 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. August 1961
    Dr. Krone
    wegen Ost-Berlin und die Zone nunmehr als riesiges Konzentrationslager mit Stacheldraht abgesperrt worden ist, war von seiten der Bundesrepublik in keiner Weise ermutigt worden. Die Kommunisten selbst hatten sie mit der Ankündigung eines separaten Friedensvertrages für die sowjetische Besatzungszone ausgelöst. Die Bevölkerung der Zone befürchtete, mußte befürchten, daß dieser Separatfriede das Tor zum Westen, das in Berlin noch offen geblieben war, auf lange Zeit verschließen würde. Sie m u ßt e zu dieser Schlußfolgerung gelangen, nachdem ihr von ihren Unterdrückern immer wieder versichert worden war, daß sie die Kontrolle über sämtliche Wege nach West-Berlin übernehmen würden. So haben sich Tausende und aber Tausende, indem sie sich zur Flucht entschlossen, gegen den Kommunismus und für die Freiheit entschieden. Diese Massenflucht, diese „Volksabstimmung mit den Füßen", ist in der Tat zum großen Plebiszit geworden, das den Kommunismus noch nach 16 Jahren Gewaltherrschaft moralisch erledigt hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU).

    Die Kommunisten haben die Volksabstimmung nur mit den brutalsten Mitteln zu stoppen vermocht, mit der Annexion Ost-Berlins, mit der Unterdrükkung der Freizügigkeit, mit schwersten Verstößen also gegen internationales, auch von den Sowjets anerkanntes Recht. Das ist Ulbrichts traurige Bilanz, daß er 16 Millionen Deutsche nur noch mit Stacheldraht zusammenhalten kann. Im sowjetischen Auftrag hat er ein riesiges Konzentrationslager zu verwalten. Was hier geschehen ist, ist ein schwere Verletzung des internationalen Rechts und der Rechtsmoral. Klare Rechte, die in internationalen Verträgen und Abmachungen von 1944, 1945 und 1949 begründet sind und die Ost-Berlin ausdrücklich der Mächte gemeinschaft unterstellen, nicht der Sowjetunion und ihren Verwaltern, sind gewaltsam beiseite geschoben, de facto zerstört worden. Wenn Vertrauen in künftige Verträge wieder einkehren soll, so nur dann, wenn das Recht in Berlin wieder hergestellt wird. Deshalb müssen die Stacheldrahtverhaue weg.

    (Lebhafter Beifall in der Mitte.)

    Am 13. August ist in Ost-Berlin klar und unmißverständlich eine Annexion vollzogen worden. Ost-Berlin ist als Viermächtegebiet auch Zuständigkeitsbereich der drei Westmächte. Diese aber sind durch sowjetzonale Hilfstruppen der Sowjetunion und durch die Zonenbehörden herausgedrängt worden. Damit ist auch dieser Vorgang eine Sache der Geltung der drei westlichen Mächte, aber damit der westlichen Gemeinschaft überhaupt, in der die drei Mächte die entscheidende Rolle spielen.
    Schließlich — erwähne ich noch — die hohnvolle Verletzung der Menschenrechte, der Freizügigkeit und der freien Wahl des Arbeitsplatzes, die hier Menschen trifft, die seit Jahrhunderten eine menschliche und nationale Einheit in diesem Teil unseres Vaterlandes bilden. Wenn etwas zum Himmel schreit, dann ist es dieses menschliche Leid, das dadurch herbeigeführt worden ist, daß Millionen menschlicher Bande zerrissen worden sind. Damit ist aber auch eine neue Gefahr für den Frieden geschaffen worden. Ich will nicht provozieren und nichts auslösen. Aber es glaube doch niemand, daß dieses Leid sich nicht in Haß verwandelt und eines Tages auch entladen kann.
    Dieses alles deute ich auch an, damit niemand glaube, am 13. August sei nichts Entscheidendes geschehen, weil die Rechtsbrecher unmittelbar vor der konkreten Verletzung West-Berlins Halt gemacht haben.
    Es ist richtig, die freiheitliche Demokratie ist nicht immer eine leichte und bequeme Sache. In mancher Hinsicht haben es totalitäre Staaten leichter. Da wird befohlen und gehorcht, und deshalb kann schnell und überraschend gehandelt werden. Die Freiheit ist es aber — so meine ich — schon wert, daß wir gewisse Nachteile und Belastungen mit ihr in Kauf nehmen,

    (Beifall in der Mitte)

    auch in der Zusammenarbeit mit den Mächten, die unsere Bundesgenossen sind. Doch — so sage ich auch — sollte diese Zusammenarbeit schneller vonstatten gehen, als wir das in den letzten Tagen erlebt haben.

    (Zustimmung bei allen Fraktionen.)

    Protestschritte, über die tagelang hin- und herberaten wird, haben ihren psychologischen Effekt oft schon zu einem großen Teil verloren. Wir richten daher an alle Regierungen die dringende Bitte, die Nerven der Bevölkerung nicht zu sehr zu strapazieren und alles zu tun, um die jeweils erforderlichen gemeinsamen Schritte zu beschleunigen.

    (Beifall in der Mitte.)

    Wir sagen aber auch, daß die politische Zusammenarbeit freier Staaten nicht kommandiert werden kann, und wir möchten es der deutschen Öffentlichkeit nahelegen, die Geduld und die Besonnenheit aufzubringen, ohne die man in einer Allianz freier Staaten nicht auskommt.

    (Erneuter Beifall in der Mitte.)

    Lassen Sie mich auch das offen sagen: Eine nicht gute Kritik ist nahe daran gewesen, aus einer Krise, die in Wahrheit eine Krise des Kommunismus auf deutschem Boden ist, eine Krise des deutschen Vertrauens zu den Westmächten zu machen.

    (Beifall in der Mitte.)

    Manche Leute sind soweit gegangen, sich mehr mit den Westmächten auseinanderzusetzen als mit der Sowjetunion und ihren deutschen Handlangern.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Manche sogar mit dem Berliner Bürgermeister!)

    Vor einer solchen Kritik kann nur eindringlich gewarnt werden. Sie dient nicht dem deutschen Interesse, auch dann nicht, wenn der Ruf nach Gegenmaßnahmen nur allzu verständlich ist. Gerade weil die Gefahren, die die Kommunisten heraufzubeschwören drohen, unabsehbar sind, ist jeder Anschein deutscher oder westlicher Unbesonnenheit zu vermeiden.
    Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 167. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. August 1961 9779
    Dr. Krone
    Wir sind der Meinung, am 13. August ein warnendes Zeichen dafür erhalten zu haben, in welchem Maße die Sowjets ihre eigene Stärke überschätzen, und sehen deshalb keine andere Gegenmaßnahme als s o entscheidend an wie eine auch für die Sowjets eindrucksvolle Verstärkung der atlantischen und europäischen Verteidigung.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Nur ein solches Handeln, bei dem auch wir nach Kräften mitzuwirken haben, kann die Sowjets zum Einlenken veranlassen und ihre Bereitschaft zum Risiko in die Bereitschaft zum Verhandeln umwandeln. Sagen wir es doch offen: Nur weil die NATO existiert, sind Ulbrichts Panzer nicht durch das Brandenburger Tor nach West-Berlin gerollt.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die CDU/CSU möchte auch in dieser Stunde keinen Zweifel daran lassen: Das Ziel aller Bemühungen müssen aussichtsreiche Verhandlungen sein. Nur auf diesem Wege kann der Friede gewahrt werden. Der Wahrung des Friedens muß alle unsere Kraft dienen; der Wahrung des Friedens hat auch die Politik dieser Tage gedient. Mit den Westmächten und insbesondere mit den Vereinigten Staaten müssen wir in .der großen Auseinandersetzung mit dem Weltkommunismus den Weg der Festigkeit, aber auch der klugen Besonnenheit gehen. Nur so kann der Frieden in ,der Welt gewahrt werden und für unser Volk die Gesichertheit und spätere Einheit gewährleistet werden.
    Die Fraktion der CDU/CSU betrachtet es als eine Selbstverständlichkeit, daß das Gebot deutscher Selbstachtung von allen Verbänden und Organisationen, die es irgendwie mit dem Zonen-Regime zu tun haben, auch beachtet wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Sie verweist auf das Beispiel, das der Deutsche Sportbund und die deutsche Industrie gegeben haben.

    (Beifall bei ,der CDU/CSU.)

    Die Fraktion gibt der Erwartung Ausdruck, daß das deutsche Volk bei solchen unerläßlichen Konsequenzen, zu denen es gegenüber dem kommunistischen Terror gezwungen ist, von keinem der mit ihm befreundeten Völker im Stich gelassen wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Daß die Sowjet-Armee in Deutschland einrückte, ist die unerbittliche Folge eines Krieges, den einer begann, der in seinem Wahn ein großgermanisches Reich errichten wollte. Daß dieselbe Sowjet-Armee auch heute noch auf deutschem Boden steht, ist mit dem Recht, auch einer Besatzungsmacht, nicht vereinbar. Wir Deutsche haben mehr als einmal betont, daß uns an einem geordneten, ich möchte sagen, an einem guten Verhältnis auch mit der Sowjet-Union gelegen ist; wir erklären das auch heute wieder, wo der sowjetische Botschafter den Bundeskanzler aufgesucht hat. Doch alle Bereitschaft und aller gute Wille hat dort ein Ende, wo es um die Freiheit unseres deutschen Volkes geht.

    (Beifall bei der CDU/CSU.) Nie und nimmer können wir Deutsche auf das verzichten, was jedem anderen Volk in der Welt zugebilligt wird: Das Recht auf Einheit, auf Freiheit, auf Selbstbestimmung steht ,auch dem deutschen Volke zu. Es steht, das sei in dieser Stunde noch einmal besonders betont, auch den 17 Millionen Deutschen in der Zone und Ost-Berlins zu.


    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir wollen denen helfen, 'die fliehen mußten und die noch fliehen konnten. Wir müssen sie schnell wieder zu Arbeit, Brot und zu einer Bleibe bringen. Hier liegen neue Aufgaben für den Wohnungsbau.
    Wir wissen es, die Stunde ist furchtbar hart. Die kommunistischen Machthaber wollen uns auseinanderreißen. Wir rufen unseren Brüdern und Schwestern in Ost-Berlin und in der Zone zu: Glaubt an uns! Haltet zu uns, wie wir zu euch halten! Wir rufen ihnen zu Bleibt, was ihr wart: gute Deutsche! Die Freiheit ist dem Menschen eingeboren. Nie kann euch ein Terrorsystem den Willen zur Freiheit aus der Seele reißen. Wir rufen ihnen auch zu: Seht darauf, daß eure Kinder gute Christen bleiben! Vertraut auf ,den, der auch Herr ,der Völkerschicksale ist! Auf ,die Dauer kann kein Volk vergewaltigt werden. Auf ,dieser Wahrheit beruht eure und unsere Zukunft, eure und unsere Zuversicht.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)